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Theoretische Chemie 2009

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pungsintegrale der beteiligten Schwingungswellenfunktionen, ge- ben Aufschluss über die Übergangs- wahrscheinlichkeit zwischen ver- schiedenen Schwingungszuständen. Deren Berechnung ist vergleichswei- se einfach, sofern man Freiheitsgra- de als separabel annehmen darf, so dass N-dimensionale FC-Integrale in Produkte von N 1-dimensionalen FC-Integrale zerfallen. Im Allgemeinen beobachtet man jedoch eine Duschinky-Rotation, die eine Veränderung der Form der Nor- malschwingungen beim elektro- nischen Übergang beschreibt. Als Konsequenz müssen N-dimensiona- le Überlappungsintegrale bestimmt werden, die nicht notwendigerweise in einfache Produkte separieren. In einem zeitunabhängigen Bild ist ne- ben der Berechnung der Integrale insbesondere deren schiere Anzahl ein Problem. Dieses nimmt mit der steigenden Zahl der Schwingungs- freiheitsgrade sowie zunehmender Übergangsenergie und Temperatur noch stark zu. Auswahl der Integrale Seit Rekursionsformeln für mehr- dimensionale Franck-Condon-Inte- grale in der harmonischen Nähe- rung mit Duschinsky-Effekt einge- führt wurden, gibt es viele Ansätze Vibronische Strukturmethoden Vibronische (vibratorisch-elektro- nische) Strukturmethoden beschrei- ben sowohl die Bewegung der Elek- tronen als auch die Schwingungs- bewegung der Atomkerne. Dies kann einerseits in einer adiabatischen Nä- herung geschehen (z. B. grob-, Born- Oppenheimer(BO)- oder Born-Hu- ang-adiabatisch), bei welcher die Elektronen- und Schwingungswel- lenfunktion als separabel angesetzt werden; andererseits kann eine dia- batische (nicht-adiabatische) Be- schreibung nötig werden, wenn sich zwei Zustände energetisch nahe kommen und (stark) miteinander wechselwirken. 1) Paradeanwendungen für vibro- nische Strukturmethoden sind die Berechnung von schwingungsauf- gelösten Elektronenspektren wie UV/Vis-Absorptions- und -emis- sionspektren 2) sowie von Elektro- nenübertragungsprozessen, z. B. lichtinduziertem Elektronentransfer, Transport durch molekulare Kontak- te oder Franck-Condon-Blocka- den. 3) In diesen Anwendungen wird oft die Franck-Condon(FC)-Nähe- rung verwendet. Die zugehörigen FC-Faktoren, die Betragsquadrate der mehrdimensionalen Überlap- Robert Berger, Joonsuk Huh, Ulrich Kleinekathöfer, Christian Ochsenfeld Fortschritte bei vibronischen Strukturmethoden ermöglichen Einblicke in Schwingungs- und Elektronen- übergänge von Systemen mit Hunderten von Freiheitsgraden. Durch Kombination von klassischen und quantenmechanischen Zugängen in einem Multiskalenansatz lassen sich quantendynamische Prozesse in komplexen Systemen auf atomarer Skala simulieren. Mit linear-skalierenden Methoden sind selbst auf Workstation-Computern Moleküle mit mehr als 1000 Atomen auf HF-, DFT- und MP2-Niveau berechenbar. Theoretische Chemie 2009 Trendbericht zur Auswahl der relevanten Integra- le. Diese variieren von einfachen Be- schränkungen in den berücksichtig- ten Quantenzahlen, über eine Vor- selektion mit angenäherten Model- len, gefolgt von einer Nachbesse- rung, 4) bis hin zu ausgefeilteren neu- en Strategien. Letztere verwenden die Integrale für ein oder zwei ange- regte Oszillatoren, um Integrale mit mehreren gleichzeitig angeregten Oszillatoren abzuschätzen und gege- benenfalls zu verwerfen. 5) Es lassen sich jedoch auch rigoro- se Integralauswahlstrategien etablie- ren, 6a) die auf analytischen Summen- regeln basieren. 6a,6b) Sie berechnen den Gesamtbeitrag ganzer Klassen 331 Nachrichten aus der Chemie | 58 | März 2010 | www.gdch.de/nachrichten
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Page 1: Theoretische Chemie 2009

pungsintegrale der beteiligten Schwingungswellenfunktionen, ge-ben Aufschluss über die Übergangs-wahrscheinlichkeit zwischen ver-schiedenen Schwingungszuständen. Deren Berechnung ist vergleichswei-se einfach, sofern man Freiheitsgra-de als separabel annehmen darf, so dass N-dimensionale FC-Integrale in Produkte von N 1-dimensionalen FC-Integrale zerfallen.

Im Allgemeinen beobachtet man jedoch eine Duschinky-Rotation, die eine Veränderung der Form der Nor-malschwingungen beim elektro-nischen Übergang beschreibt. Als Konsequenz müssen N-dimensiona-le Überlappungsintegrale bestimmt werden, die nicht notwendigerweise in einfache Produkte separieren. In einem zeitunabhängigen Bild ist ne-ben der Berechnung der Integrale insbesondere deren schiere Anzahl ein Problem. Dieses nimmt mit der steigenden Zahl der Schwingungs-freiheitsgrade sowie zunehmender Übergangsenergie und Temperatur noch stark zu.

Auswahl der Integrale

� Seit Rekursionsformeln für mehr-dimensionale Franck-Condon-Inte-grale in der harmonischen Nähe-rung mit Duschinsky-Effekt einge-führt wurden, gibt es viele Ansätze

Vibronische Strukturmethoden

� Vibronische (vibratorisch-elektro-nische) Strukturmethoden beschrei-ben sowohl die Bewegung der Elek-tronen als auch die Schwingungs-bewegung der Atomkerne. Dies kann einerseits in einer adiabatischen Nä-herung geschehen (z. B. grob-, Born-Oppenheimer(BO)- oder Born-Hu-ang-adiabatisch), bei welcher die Elektronen- und Schwingungswel-lenfunktion als separabel angesetzt werden; andererseits kann eine dia-batische (nicht-adiabatische) Be-schreibung nötig werden, wenn sich zwei Zustände energetisch nahe kommen und (stark) miteinander wechselwirken.1)

Paradeanwendungen für vibro-nische Strukturmethoden sind die Berechnung von schwingungsauf-gelösten Elektronenspektren wie UV/Vis-Absorptions- und -emis-sionspektren2) sowie von Elektro-nenübertragungsprozessen, z. B. lichtinduziertem Elektronentransfer, Transport durch molekulare Kontak-te oder Franck-Condon-Blocka-den.3) In diesen Anwendungen wird oft die Franck-Condon(FC)-Nähe-rung verwendet. Die zugehörigen FC-Faktoren, die Betragsquadrate der mehrdimensionalen Überlap-

Robert Berger, Joonsuk Huh, Ulrich Kleinekathöfer, Christian Ochsenfeld

Fortschritte bei vibronischen Strukturmethoden ermöglichen Einblicke in Schwingungs- und Elektronen-

übergänge von Systemen mit Hunderten von Freiheitsgraden. Durch Kombination von klassischen und

quantenmechanischen Zugängen in einem Multiskalenansatz lassen sich quantendynamische Prozesse in

komplexen Systemen auf atomarer Skala simulieren. Mit linear-skalierenden Methoden sind selbst auf

Workstation-Computern Moleküle mit mehr als 1000 Atomen auf HF-, DFT- und MP2-Niveau berechenbar.

Theoretische Chemie 2009

�Trendbericht�

zur Auswahl der relevanten Integra-le. Diese variieren von einfachen Be-schränkungen in den berücksichtig-ten Quantenzahlen, über eine Vor-selektion mit angenäherten Model-len, gefolgt von einer Nachbesse-rung,4) bis hin zu ausgefeilteren neu-en Strategien. Letztere verwenden die Integrale für ein oder zwei ange-regte Oszillatoren, um Integrale mit mehreren gleichzeitig angeregten Oszillatoren abzuschätzen und gege-benenfalls zu verwerfen.5)

Es lassen sich jedoch auch rigoro-se Integralauswahlstrategien etablie-ren,6a) die auf analytischen Summen-regeln basieren.6a,6b) Sie berechnen den Gesamtbeitrag ganzer Klassen

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von FC-Faktoren zum spektralen Profil und verwerfen eine Klasse, so-fern deren Gesamtbeitrag unerheb-lich ist. Der Vorteil derartiger Strate-gien liegt in einer detaillierten Kon-trolle durch obere und untere Feh-lerschranken. Mit diesen Verfahren lassen sich Effekte endlicher Tem-peraturen7a) und Beiträge, die über die Franck-Condon-Näherung hi-nausgehen (Herzberg-Teller), ab-schätzen.7b) So können andere jüngste Auswahlansätze8) um eine rigorose Selektionsstrategie ergänzt werden.

Für ausgedehnte Systeme kann trotz Auswahl die Zahl der Zustände so groß werden, dass selbst eine Be-rechnung lediglich der relevanten In-tegrale ausscheidet. Dann bietet sich der Wechsel in ein zeitabhängiges

suchen und zur Berechnung von FC-Profilen einsetzen.10) Für gewöhn-lich werden die zugehörigen BO-Po-tenziale in konventionellen Normal-koordinaten entwickelt, die sich für starre Moleküle eignen. Für beweg-lichere Moleküle verfolgt zum Bei-spiel Luckhaus11) einen flexibleren Ansatz in krummlinigen Schwin-gungskoordinaten, den er zusam-men mit Kollegen erfolgreich auf das ZEKE - Photoelektronenspektrum (ZEKE = Zero-Kinetic-Energy) von Essigsäure anwandte.12) Bei Wahl ge-eigneter Koordinaten für Bewegun-gen großer Amplitude erscheint die-ser Zugang sehr leistungsfähig.

Jenseits von Franck-Condon

� Der einfachste Schritt über die Franck-Condon-Näherung hinaus ist die Herzberg-Teller(HT)-Nähe-rung. Diese berücksichtigt die Ab-hängigkeit der elektronischen Über-gangsmomente von den Kernkoordi-naten. Im grob-adiabatischen Bild berücksichtigt die HT-Näherung zwar eine kernkoordinatenabhängi-ge Kopplung zwischen elektro-nischen Zuständen, sie bleibt aber im BO-Bild weiterhin eine adiabati-sche Näherung.1b)

In der HT-Näherung erster Ord-nung benötigt man für elektrische Dipolübergänge beispielsweise den Gradienten des elektronischen Über-gangsdipolmoments bezogen auf die Auslenkung der Kernkoordinaten. Während diese mit verschiedenen Methoden der Quantenchemie nu-merisch bestimmt werden können, stellten Coriani et al. einen Zugang im Rahmen der zeitabhängigen Dichtefunktionaltheorie über ana-lytische Gradiententechniken bereit und setzten diesen für Berechnun-gen von HT-Profilen ein.13) HT-artige Terme spielen auch bei der Berech-nung von schwingungsaufgelösten elektronischen Circulardichrois-mus(CD)-Spektren (siehe z. B. Lit.14a,b)) sowie von Zweiphotonen-CD-Varianten eine zentrale Rolle.14)

Eine andere Betrachtungsweise ergibt sich im diabatischen Bild. Nä-hert man diabatische Zustände har-monisch an und berücksichtigt eine

Abb. 1. Oben: Berechnetes Franck-Condon-Profil für den 11Ag -> 11B2u Übergang in

Anthracen bei verschiedenen Temperaturen7a) im zeitabhängigen und zeitunabhängigen

Bild. Unten: Bei einem zeitunabhängigen Ansatz nimmt mit zunehmender Temperatur

die Zahl M der für eine vorgegebene Fehlerschranke � erforderlichen, gleichzeitig

anzuregenden Schwingungen stark zu.

Bild an, in dem sich das FC-Profil über eine Fouriertransformation der Zeitkorrelationsfunktion ergibt. 3,7a,9) Dies ist beispielsweise auch in einem kombinierten Ansatz möglich, der ei-nen bequemen Wechsel zwischen zeitabhängigem und zeitunabhängi-gem Bild erlaubt (Abbildung 1), auch in Systemen mit Hunderten von Frei-heitsgraden.7a) Bei Bedarf lässt sich dieser Ansatz um eine zeitunabhängi-ge Kumulantenentwicklung ergän-zen, die ein grobes Überblicksspek-trum liefert.7c)

Anharmonische Effekte in elek-tronischen Spektren werden zum Beispiel im Rahmen von Schwin-gungskonfigurationswechselwir-kungsansätzen (vibrational configu-ration interaction, VCI) berücksich-tigt, die mehrere Gruppen unter-

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�Magazin� Theoretische Chemie 332

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6) a) H.-C. Jankowiak, J. L. Stuber, R. Berger,

J. Chem. Phys. 2007, 127, 234101.

b) E. V. Doktorov, I. A. Malkin, V. I. Man'ko,

Chem. Phys. Lett. 1977, 46, 183; J. Mol.

Spectrosc. 1979, 77, 178.

7) a) J. S. Huh, H.-C. Jankowiak, J. L. Stuber,

R. Berger, unveröffentlichte Ergebnisse;

b) J. S. Huh, J. L. Stuber, R. Berger, unver-

öffentlichte Ergebnisse.

8) F. Santoro, A. Lami, R. Improta, J. Bloino,

V. Barone, J. Chem. Phys. 2008, 128,

224311;

9) J. Tatchen, E. Pollak, J. Chem. Phys. 2008,

128, 164304.

10) a) J. Bowman, X. Huang, L. Harding,

S. Carter, Mol. Phys. 2006, 104, 33;

b) J.M. Luis, B. Kirtman, O. Christiansen,

J. Chem. Phys. 2006, 125, 154114;

c) V. Rodriguez-Garcia, K. Yagi, K. Hirao,

S. Iwata, S. Hirata, J. Chem. Phys. 2006,

125, 014109;

d) G. Rauhut, J. Chem. Phys. 2007, 127,

184109;

e) J. S. Huh, M. Neff, G. Rauhut,

R. Berger, Mol. Phys. 2010, doi:

10.1080/00268970903521178;

11) D. Luckhaus, Phys. Chem. Chem. Phys.

2008, 10, 6215.

12) P. Zielke, P. W. Forysinski, D. Luckhaus, R.

Signorell, J. Chem. Phys. 2009, 130,

211101.

13) S. Coriani, T. Kjærgaard, P. Jørgensen,

K. Ruud, J. S. Huh, R. Berger, J. Chem.

Theory Comput. 2010,

doi:10.1021/ct900506c.

14) a) N. Lin, Y. Luo, F. Santoro, X. Zhao,

A. Rizzo, Chem. Phys. Lett. 2008, 464, 144;

b) N. Lin, F. Santoro, X. Zhao, A. Rizzo,

V. Barone, J. Phys. Chem. A 2008, 112,

12401;

b) N. Lin, F. Santoro, A. Rizzo, Y. Luo,

X. Zhao, V. Barone, J. Phys. Chem. 2009,

113, 4198.

15) a) T. Ichino, J. Gauss, J. F. Stanton, J. Chem.

Phys. 2009, 130, 174105;

b) A. Tajti, P. G. Szalay, J. Chem. Phys.

2009, 131, 124104.

16) a) L. S. Cederbaum, E. Gindensperger,

I. Burghardt, Phys. Rev. Lett. 2005, 94,

113003;

b) L. S. Cederbaum, J. Chem. Phys. 2006,

124, 144103;

c) E. Gindensperger, I. Burghardt,

L. S. Cederbaum, J. Chem. Phys. 2006,

124, 144104;

d) E. Gindensperger, H. Koeppel,

L. S. Cederbaum, J. Chem. Phys. 2007,

126, 034106;

e) E. Gindensperger, L. S. Cederbaum,

J. Chem. Phys. 2007, 127, 124107;

f) M. Basler, E. Gindensperger,

H.-D. Meyer, L. S. Cederbaum, Chem.

Phys. 2008, 347, 78.

17) D. Schuch, J. Math. Phys. 2007, 48,

122701.

18) z. B. a) H. Tao, B. G. Levine, T. J. Martínez,

J. Phys. Chem. A 2009, 113, 13656;

b) J. Tatchen, E. Pollak, J. Chem. Phys.

2009, 130, 041103.

falls auch mit aufwendigeren Multi-referenzverfahren. Ähnliche Strate-gien verfolgen auch semiklassische oder klassische Car-Parinello-Simu-lationen [s. Nachr. Chem. 2009, 57, 307 und unter „Quantendynamik komplexer Systeme“ S. 334].

Literatur

1) M. Klessinger, J. Michl, Excited States and

Photochemistry of Organic Molecules,

Wiley-VCH, Weinheim, 1995; G. Fischer,

Vibronic Coupling, Academic Press, New

York, 1984.

2) siehe z. B.:

a) T. Petrenko, F. Neese, J. Chem. Phys.

2007, 127, 164319;

b) T. Petrenko, O. Krylova, F. Neese,

M. Sokolowski, New J. Phys. 2009, 11,

015001;

c) F. P. Diehl, C. Roos, H.-C. Jankowiak,

R. Berger, A. Köhn, G. Diezemann,

T. Basché, J. Phys. Chem. B 2010,

doi:10.1021/jp909862x

3) siehe z. B.:

a) K. K. Liang, C.-K. Lin, H.-C. Chang,

A. A. Villaeys, M. Hayashid, S. H. Lin, Phys.

Chem. Chem. Phys. 2007, 9, 853;

b) R. Leturcq, C. Stampfer, K. Inderbitzin,

L. Durrer, C. Hierold, E. Mariani,

M. G. Schultz, F. von Oppen, K. Ensslin,

Nat. Phys. 2009, 5, 327;

c) J. S. Seldenthuis, H. S. J. van der Zant,

M. A. Ratner, J. M. Thijssen, ACS Nano

2008, 2, 1445;

d) S. Yeganeh, M. A. Ratner, E. Medina,

V. Mujica, J. Chem. Phys. 2009, 131,

014707;

e) C. Benesch, M. Čîžek, J. Klimeš,

I. Kondov, M. Thoss, W. Domcke, J. Phys.

Chem. C 2008, 112, 9880.

4) M. Dierksen, S. Grimme, J. Chem. Phys.

2005, 122, 244101.

5) F. Santoro, R. Improta, A. Lami, J. Bloino,

V. Barone, J. Chem. Phys. 2007, 126,

084509.

endliche Kopplung zwischen diesen Zuständen, so entstehen Anharmo-nizitäten durch die vibronische Kopplung. Die Parameter des dia-batischen Modells sind üblicherweise durch eine Punkt-für-Punkt-Berech-nung von BO-Potenzialen bestimm-bar, an die der Modellhamiltonopera-tor angepasst wird. Im letzten Jahr wurden Implementierungen zur effi-zienten Bestimmung dieser Parame-ter mit analytischen Ableitungen im Rahmen der Equation- Of- Motion- Coupled-Cluster-(EOM-CC)- Theorie vorgestellt; sie ergänzen frühere Complete- Active- Space- Self- Con sis -tent- Field (CASSCF)-Zugänge.15)

Diabatische Modelle erlauben es, Systeme mit konischen Durchdrin-gungen zu beschreiben [s. Trendbe-richt Nachr. Chem. 2008, 56, 325]. Da für große Moleküle der rechneri-sche Aufwand jedoch erheblich wird, formulierten und untersuch-ten Cederbaum et al.16) in einer Serie von Artikeln einen Ansatz zur Un-terteilung eines Systems in ein Sub-system mit stark gekoppelten Schwingungen sowie eine Umge-bung mit schwacher Kopplung. Die-ser Ansatz erzeugt mit wiederholten Transformationen der Umgebungs-freiheitsgrade eine Sequenz effekti-ver Hamiltonoperatoren für den Ein-fluss der Umgebung. Dadurch lassen sich der gewünschte Detailgrad und damit auch die zugänglichen Zeit-skalen variieren.

Ein alternativer Ansatz zur Be-rücksichtigung dissipativer Umge-bungseinflüsse basiert auf einem nichtlinearen nichthermiteschen Hamiltonoperator, der neben Wel-lenpaketlösungen auch entspre-chende zeitabhängige Green- und Wigner-Funktionen liefert und die Möglichkeit beinhaltet, Umgebungs-effekte durch nichtunitäre Transfor-mationen zu eliminieren17) (weitere Ansätze unter „Quantendynamik komplexer Systeme“ S. 334).

Direkte Dynamikansätze ver-suchen schließlich, die notwendige Vorausberechnung von diabatischen Potenzialflächen zu vermeiden [s. Nachr. Chem. 2008, 56, 325]. Sie erzeugen die Potenzialflächen im Zuge der Simulation,18) gegebenen-

Joonsuk Huh, Jahrgang 1978,

schloss im Jahr 2003 seinen

Bachelor am Chemiedepart-

ment der Pohang Universität,

Korea, und erhielt seinen

Master in Computational

Science and Engineering an der TU München.

Seit 2007 ist er Stipendiat der Frankfurt Inter-

national Graduate School for Science am Frank-

furt Institute for Advanced Studies (FIAS).

Robert Berger, Jahrgang

1970, war Postdoc an der ETH

Zürich und Liebig-Stipendiat

an der TU Berlin, bevor er

2003 von der Volkswagen-

Stiftung ein Nachwuchsgrup-

penstipendium erhielt. Im Jahr 2005 wurde er

Fellow des FIAS und seit 2009 ist er Professor

am Clemens-Schöpf-Institut der TU Darmstadt.

. [email protected]

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Theoretische Chemie �Magazin� 333

Page 4: Theoretische Chemie 2009

Dynamische Ab-initio-Methoden

� Eine Möglichkeit ist die verein-heitlichte Beschreibung der Mole-küldynamik und der Elektronen-struktur-Theorie wie dies in Ab-ini-tio-MD-Formalismen geschieht. Der prominenteste Vertreter dieser Richtung ist die Car-Parrinello-Me-thode. In ihrer ursprünglichen Form berücksichtigt sie die Bewe-gung der Kerne innerhalb des elek-tronischen Grundzustands.2) Meh-rere hundert Atome lassen sich mit dieser Methode beschreiben; Kom-binationen mit genäherten Dichte-funktionaltheorie(DFT) - Varianten wie DFTB (density-functional ba-sed tight-binding) lassen auch grö-ßere Systeme zu.3) Die Anwendung auf elektronisch angeregte Zustän-de ist derzeit durch die DFT be-schränkt.

Eine komplementäre Technik, insbesondere für photoinduzierte Übergange in komplexer Umge-bung, ist die Ab-initio-Multiple-Spawning-Methode.4) Diese Technik wird mittlerweile direkt mit ge-mischt quantenmechanisch-mole-kulardynamisch (QM/MM) berech-neten Potenzialenergieflächen ge-nutzt. Sie liefert z. B. Ergebnisse für Chromophore und andere System mit konischen Durchschneidungen. Allerdings ist auch bei dieser Metho-de die Größe der zu behandelnden Systeme beschränkt.

Reduzierte Beschreibungen

� Reduzierte Dichtematrixtheorien und gemischt quantenklassische Si-mulationsmethoden gehören zu den wenigen heute verfügbaren Metho-den, die wesentliche Quanteneffekte in die Beschreibung großer moleku-larer Systeme einbauen können („groß“ meint Systeme, die inklusi-ve Umgebung bis zu hunderttausend Atome enthalten). Bei diesen Verfah-ren teilt man das Gesamtsystem auf in ein quantenmechanisch zu be-schreibendes Teilsystem und den Einfluss der Umgebung, „Bad“ ge-nannt. Üblicherweise wird der Ein-fluss der Umgebung mit stochasti-schen Prozessen modelliert, oder es

Quantendynamik komplexer Systeme

� Die Beschreibung zeitabhängiger Prozesse in großen, molekularen Komplexen, beispielsweise des Energietransfers in Dendrimeren oder des Ladungstransfers in Biomo-lekülen, ist ein wichtiger Schritt, um die Beziehung zwischen deren Struktur und Funktion zu verste-hen. Teilweise ist die Komplexität dem nicht vernachlässigbaren Effekt der Umgebung geschuldet, also z. B. dem Wasser oder einer Protein-umgebung. Für rein quantenche-mische Berechnungen sind diese Systeme in der Regel zu groß. Zwar können klassische Molekulardyna-mik(MD)-Simulationen gute Diens-te leisten, wenn es darum geht, strukturelle Änderungen zu erklä-ren, aber diese Technik versagt kon-struktionsbedingt etwa bei der Be-rechnung optischer Spektren. Auf der experimentellen Seite gibt es je-doch ausgereifte zeitaufgelöste spek-troskopische Techniken, die eine große Menge an Informationen zu eben diesen komplexen Szenarien liefert.1) Aktuell wird an theoreti-schen Methoden geforscht, um diese Experimente zu beschreiben.

werden Spektraldichten angenom-men, welche die frequenzabhängige Kopplung zwischen System und Bad widerspiegeln.5) In den letzten Jah-ren entstanden vermehrt Techniken, um diese statistischen Annahmen durch eine zeitabhängige Kombina-tion von klassischen MD-Simulatio-nen und quantenchemischen Rech-nungen zu ersetzen. Im Wesentli-chen resultiert der Einfluss der Um-gebung in thermischen Fluktuatio-nen der Energien und Kopplungen im reduzierten System.

Eine Möglichkeit, diese Fluktua-tionen in ein Modell zu integrieren, ist deren Transformation in die Spektraldichte. Anwendung findet diese dann in Zeitentwicklungen der reduzierten Dichtematrix (Abbil-dung 1). Dieser Zugang dient unter anderem der Berechnung der Ab-sorption von Lichtsammelkomple-xen von Purpurbakterien.6) Es sei darauf hingewiesen, dass die genaue Berechnung von Absorptionsspek-tren solch großer Komplexe sehr aufwendig sein kann und neue Me-thoden zur Lösung des Problems entwickelt wurden, die Hierarchien von Dichtematrixgleichungen ver-wenden.7) Ein Vorteil der Dichtema-trixmethoden ist, dass sie das kor-rekte thermische Gleichgewicht er-reichen. Nachteilig sind die notwen-dige Mittelungen bei der Aufstellung des Modells. Dabei gehen viele der Details aus den MD-Simulationen und den quantenchemischen Rech-nungen verloren.

Gemischt quantenklassische Ansätze

� Alternativ zur reduzierten Be-schreibung können wellenpaketba-sierte Methoden verwendet werden (Abbildung 1). Hierbei sind ins-besondere die Formalismen der Eh-renfest-Dynamik und das Surface Hopping zu nennen, mit jeweils breiten, aber zumeist komplementä-ren Anwendungsgebieten. Beide Me-thoden heben einige der fundamen-talen Grenzen der klassischen MD-Simulationen auf. Zum einen ma-chen sie es möglich, elektronische Übergänge zu beschreiben, und zum

Abb. 1. Mögliche Simulationen komplexer Systeme: Von MD

und quantenchemischen Rechnungen über Quantendynamik zu

Populationtransfer und Spektroskopie.

�Magazin� Theoretische Chemie 334

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Page 5: Theoretische Chemie 2009

anderen bieten sie eine Strategie, um Quanteneffekte der Kernbewegun-gen wie Nullpunktsenergien und Tunneln einzubauen. Aktuelle Bei-spiele der Surface-Hopping-Metho-de sind die Simulation des Photo-schaltens eines Fluoroproteins im Rahmen einer QM/MM-Simulation8) oder die Verbindung mit DFT-Me-thoden zur Berechnung des Lan-dungstransfers in Quantenpunk-ten.9) Beide Methoden, die Ehren-fest-Dynamik und die Surface-Hop-ping-Technik, sind Näherungs-methoden. So enthält die Ehrenfest-Dynamik eine implizite Hochtem-peraturnäherung, d. h. sie erreicht in vielen Fällen nicht das korrekte ther-mische Gleichgewicht. Zur Korrek-tur wurden unter anderem Ad-hoc-Faktoren eingeführt10) oder MD-Si-mulationen mit quantenmecha-nischen Bädern vorgeschlagen.11)

Energie- und Ladungstransfer

� Wellenpaketbasierte Methoden, die an MD-Simulationen gekoppelt sind, wurden in letzter Zeit auf sehr unterschiedliche Systeme und Fra-gen angewandt. Dazu zählen: • lineare und nichtlineare Spektro-

skopie von Dendrimeren in Lö-sung,12)

• kohärente zweidimensionale In-frarotspektroskopie von Schwin-gungsmoden und der Populati-onstransfer zwischen diesen Mo-den in Polypeptiden,13,14)

• zweidimensionale Infrarotspek-troskopie für die Kopplungen in Wasser,15)

• elektronischer Anregungsener-gietransfer in Lichtsammelkom-plexen (Abbildung 2). Auch Ladungstransfer in und La-

dungstransport durch komplexe molekulare System sind diffizile Pro-bleme, die man beispielsweise mit DFT-Methoden angehen kann.16) Modellansätze haben den Vorteil, dass sich komplexe Zeitabhängig-keiten modellieren lassen,17) wobei die Parameter solcher Studien aus Ab-initio-Rechnungen extrahiert werden können.18) Spielen allerdings Lösungsmitteleffekte eine große Rolle, bieten sich quantenklassische

Fazit

� Die Kombination von klassischen und quantenmechanischen Zugän-gen in einem Multiskalenansatz er-laubt es heutzutage, quantenmecha-nische Prozesse in komplexen Syste-men auf atomarer Skala zu simulie-ren. Die meisten teilweise auf spe-zielle Ziele hin formulierten Metho-den haben allerdings noch ihre Grenzen; Ansätze für Weiterent-wicklung sind erkennbar.

Methoden an: Beispielsweise kann der Ladungstransfer in DNA mit die-ser Methode modelliert werden.19) Dabei zeigt sich ein drastischer Ef-fekt der Lösungsmittelmobilität auf die Energetik und damit die Dyna-mik des Prozesses. Dies spiegelt sich auch im Ladungstransport durch DNA wieder, bei dem, anders als beim Ladungstransfer, die DNA mit zwei Elektroden verbunden ist.20) Auch in dieser Konstellation lassen sich MD-Simulationen mit DFT-Rechnungen verbinden.

Handelt es sich bei den Ladungs-trägern um Ionen, also Teilchen, die in guter Näherung klassisch be-schreibbar sind, kommt man mit den derzeitigen Computerressourcen mit MD-Methoden schon recht weit.21,22) Quantenmechanische Eigenschaften wie Polarisationseffekte und dyna-mische Protonierungszustände ein-zelner Aminosäuren bedürfen aller-dings einer genaueren Behandlung. Dies ist unter anderem mit Ab-initio-MD-Simulationen möglich.23) Auch für diese Art von Problemen wäre ei-ne effektive Kopplung von klassi-schen und quantenmechanischen Methoden hilfreich.

Abb. 2. Anregungsenergietransfer in einem Lichtsammelkomplex LH2 von Purpurbakterien:

Die Anregung startet an einem Bakteriochlorophyll und verteilt sich danach auf mehrere

Pigmente. Die Rechnungen basieren auf dem in Abbildung 1 gezeigten Schema mit Wellen-

paket-Propagation. (Erstellt mit freundlicher Hilfe von Carsten Olbrich und Jörg Liebers.)

Ulrich Kleinekathöfer, Jahr-

gang 1968, ist seit dem Jahr

2006 Professor für Theoreti-

sche Physik an der privaten

Jacobs University Bremen. Er

studierte Physik in Göttingen

und promovierte 1996 am dortigen MPI für

Strömungsforschung. Von 1996 bis 1997 war

er als Minerva-Stipendiat bei David J. Tannor

am Weizmann Institut, Israel. Danach wech-

selte er an die TU Chemnitz in die Arbeitsgrup-

pe von Michael Schreiber, wo er sich im Jahr

2002 habilitierte. Seine Forschungsinteressen

gelten der Quantendynamik kleiner und gro-

ßer Systeme, klassischen biomolekularen Si-

mulationen sowie der gemischt quantenklas-

sischen Beschreibung komplexer Aggregate.

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Theoretische Chemie �Magazin� 335

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Ein erster hierfür entscheidender Schritt wurde bereits in den 80er Jah-ren für die HF-Methode durch die Einführung direkter Verfahren durch Almlöf1) sowie effizienter Integral-abschätzungen durch Ahlrichs2) er-zielt: Der formal mit M4 skalierende Aufwand zur Berechnung der Fock-Matrix reduziert sich damit auf M2.

Eine weitere Reduktion nicht nur für HF, sondern auch für viele andere quantenchemische Näherungsverfah-ren, konnte durch die Entwicklung neuer Methoden in den letzten 10 bis 15 Jahren erzielt werden, deren Re-chenaufwand asymptotisch lediglich linear mit der Molekülgröße skaliert. Dadurch lässt sich heute mit konven-tionellen Einprozessor-Computern, die Energetik von Molekülen mit mehr als 1000 Atomen und 10 000 Basisfunktionen auf HF- und DFT- Niveau sowie auf störungstheoreti-schem Niveau (MP2: Møller-Plesset zweite Ordnung Störungstheorie) be-rechnen. Zudem können auf HF- und DFT-Niveau bereits heute weitere Mo-leküleigenschaften für derart große Moleküle berechnet werden.

Gemeinsamer Grundgedanke der meisten dieser linear-skalierenden Ab-initio-Methoden ist die Ausnut-zung der elektronisch-lokalen Struk-tur von Molekülen. Dabei unterschei-den sich allerdings die Vorgehenswei-sen für die verschiedenen Teilschritte der Berechnungsmethoden zum Teil stark. Insgesamt haben sich insbeson-dere Methoden durchgesetzt, die das lokale Verhalten der Elektronen rigo-ros oder möglichst genau abschätzen und ausnutzen. Dabei werden weiter-hin alle signifikanten Kopplungen der Elektronen untereinander im Rahmen der quantenchemischen Näherung berücksichtigt, so dass die Genau-igkeit und Vorhersagekraft für die Ei-genschaften des Gesamtmoleküls er-halten bleibt. Ein dabei entscheiden-der genereller Aspekt linear-skalieren-der Methoden ist die Vermeidung der in konventionellen Ab-initio-Formu-lierungen auftretenden kanonischen, delokalisierten Molekülorbitale. Aller-dings existieren deutliche Unterschie-de in der Vorgehensweise für Neufor-mulierungen von HF- und DFT-Me-thoden sowie von wellenfunktions-

Quantenchemie für Moleküle mit 1000 und mehr Atomen

� Seit Einführung der Schrödinger-Gleichung im Jahre 1926 ist zumin-dest im Prinzip bekannt, wie moleku-lare Systeme und ihre Eigenschaften im nicht-relativistischen Sinne exakt beschrieben werden können. Zwar ist für die meisten chemisch-interessan-ten Moleküle eine analytische Lösung der Schrödinger-Gleichung nicht möglich, jedoch wurden seit 1926 ei-ne Vielzahl hierarchischer Näherun-gen entwickelt, die eine systematische (und prinzipiell beliebig genaue) An-näherung der exakten Lösung der Schrödinger-Gleichung erlauben.

Gleichzeitig ist die Quantenchemie ein verhältnismäßig junges und sehr dynamisches Forschungsgebiet, wel-ches sich mittlerweile zu einem breit einsetzbaren und wichtigen Werk-zeug der molekularen Wissenschaften entwickelt hat. Die Berechnungen können nicht nur experimentelle Stu-dien ergänzen und die Interpretation experimenteller Daten erleichtern, sondern auch Einblicke in molekulare Vorgänge liefern, die durch experi-mentelle Studien nicht oder nur sehr schwer zugänglich sind.

Eine zentrale Schwierigkeit der ge-näherten Lösung der Schrödinger-Gleichung ist der in konventionellen Formulierungen stark mit der Mole-külgröße (M) ansteigende Rechenauf-wand (Abbildung): Selbst die ein-fachsten Methoden wie Hartree-Fock (HF) oder die Dichtefunktional-Theo-rie (DFT) skalieren beispielsweise für die Energieberechnung asymptotisch kubisch mit der Molekülgröße. Bei genaueren Methoden wie der Coupled - Cluster(CC) - Theorie liegt der Anstieg bei mindestens M6, und wächst mit zunehmender Genau-igkeit der gewählten Hierarchiestufe weiter. Zudem kann sich der Aufwand weiter erhöhen, je nachdem welche Eigenschaft berechnet werden soll.

Daher ist es für die Berechnung großer Moleküle essenziell, das Ska-lenverhalten des Rechenaufwandes mit der Molekülgröße zu reduzieren.

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Umgebung über MM-Verfahren. Vom physikalischen Standpunkt ist die Kopplung von QM- und MM-Verfah-ren sicherlich nicht ideal, es haben sich jedoch über die letzten Jahrzehn-te sehr erfolgreiche Vorgehensweisen etabliert,16) die beeindruckende Studi-en komplexer Systeme ermöglichen (z. B. Lit.16–19)).

Trotz der Vereinfachung von Be-rechnungen durch QM/MM-Verfahren bleibt häufig die Schwierigkeit der Wahl der Größe des QM-Ausschnit-tes. Hier können linear-skalierende Methoden Abhilfe schaffen, indem sie eine systematische Vergrößerung des QM-Bereiches erlauben und die physi-kalisch nicht-triviale Brücke zur MM-Methode in weniger wichtige Bereiche des Molekülsystems verdrängt wird. So können zuverlässigere Resultate er-zielt werden.20) Für die Beschreibung von Enzymen mit klar definiertem ak-tiven Zentrum sind einige hundert Atome im QM-Bereich sicherlich aus-reichend, jedoch können für komple-xe und großflächige Wechselwir-kungsbereiche, wie sie beispielsweise zwischen Proteinen oder zwischen Vi-rus und Zellrezeptor auftreten, leicht mehrere 1000 Atome für den QM-Be-reich notwendig sein, um eine zuver-lässige Berechnung zu ermöglichen.

Weitere notwendige Methodenentwicklungen

� Trotz der Erfolge linear-skalieren-der Methoden zur Berechnung großer

Abb. 1. Bedeutung der Linearisierung des Skalenverhaltens quan-

tenchemischer Methoden für die Berechnung großer Moleküle.

basierten Korrelationsmethoden wie MP2- oder CC-Theorien.

Über die letzten Jahrzehnte gab es Beiträge vieler Forschungsgruppen, wobei hier lediglich ein allgemeiner Überblick gegeben sei, mit einer Be-schränkung auf einige wenige Zitate überwiegend des vergangenen Jahres.

Linear-skalierende HF- und DFT-Methoden

� Um linear-skalierende HF- oder DFT-Methoden zu erhalten, wurden beispielsweise Formulierungen über die Einteilchen-Dichtematrix einge-führt. Die Dichtematrix verknüpft dabei die typischerweise als Basis ver-wendeten Gauß-Funktionen mit der Elektronendichte des Moleküls, so dass es sich bei ihr (für Moleküle mit elektronisch lokaler Struktur) um ei-ne lokale Größe handelt. Die Anzahl signifikanter Elemente in der Dichte-matrix wächst folglich asymptotisch lediglich linear mit der Molekülgrö-ße. Ein direktes Lösen der Gleichun-gen für die Dichtematrix ermöglicht linear-skalierende Formulierungen, so dass nicht nur Energetik und Ener-giegradienten mit linear-skalieren-dem Aufwand berechnet werden können, sondern auch viele moleku-lare Eigenschaften wie beispielsweise NMR-Verschiebungen oder statische und dynamische Polarisierbarkeiten. So sind Moleküle mit 1000 Atomen zugänglich (z. B. Lit. 3–6)).

Linear-skalierende wellenfunktions-basierte Korrelationsmethoden

� Auch bei der Entwicklung linear-skalierender wellenfunktionsbasier-ter Methoden zur Beschreibung der Elektronenkorrelation gab es über die letzten Jahrzehnte bedeutende Fort-schritte zur Reduktion des Skalenver-haltens. Dabei wird typischerweise das stark lokale Verhalten der Elek-tronenkorrelation ausgenutzt – man denke nur an das asymptotische 1/R6-Verhalten dispersiver Wechsel-wirkungen. Entscheidend geprägt durch Arbeiten von Pulay und Saebø in den 80er Jahren und nachfolgen-den wichtigen Beiträgen von Werner, Schütz, Scuseria, und vielen anderen

(siehe z. B. Sonderband7) und Trend-bericht8)) konnte das Skalenverhalten durch lokale Näherungen für MP2 und einige CC-Ansätze auf linear re-duziert werden. Zwar gibt es eine Vielzahl unterschiedlichster Ansätze, ihnen gemeinsam ist jedoch die Ver-wendung lokaler Größen entweder in Form lokalisierter Orbitale8 –13) oder natürlich lokaler Atomorbitale (Gauß-Funktionen).14) In beiden Fäl-len sind aufwändige Neuformulie-rungen und -implementierungen der Korrelationstheorien notwendig.7,8) Desweiteren kann man hier zwei An-sätze unterscheiden, die entweder über eine Wahl von Domänen und Einschränkung zugelassener Anre-gungen vorgehen8–11) oder versuchen die Reichweite elektronischer Wech-selwirkungen möglichst rigoros vor-abzuschätzen und so numerisch ver-nachlässigbare Beiträge zu eliminie-ren.14) Die bislang größte wellen-funktions-basierte Korrelationsrech-nung wurde vor kurzem für ein RNA-System mit 1664 Atomen und 19 182 Basisfunktionen auf MP2-Niveau (Laplace-basiert in einem Scaled-op-posite-spin-Ansatz) durchgeführt.15)

Kombination linear-skalierender QM- mit MM-Methoden (QM/MM)

� Zwar eröffnen linear-skalierende Methoden neue Möglichkeiten für die quantenchemische Berechnung gro-ßer Moleküle mit zur Zeit etwa 1000 Atomen, dennoch sind viele Biomole-küle sehr viel größer. Eine pragmati-sche Ergänzung bietet hier die Kopp-lung quantenmechanischer Methoden (QM) mit einfachen klassischen Me-thoden der Molekülmechanik (MM) in QM/MM-Verfahren.16) Diese kom-binieren die Stärken beider Methoden: zum einen die hohe Vorhersagekraft der (ab-initio) QM-Methoden, zum anderen den geringen Rechenaufwand der stark von (problematischen) Para-metrisierungen abhängigen MM-Me-thoden. Letztere lassen sich leicht auf Moleküle mit mehreren hunderttau-send Atomen anwenden. Auf diese Weise kann beispielsweise ein aktives Zentrum in einem Enzym über QM-Methoden beschrieben werden und die weniger schwer zu beschreibende

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5.) Zuletzt sei die effiziente Be-schreibung der Moleküldynamik er-wähnt, die für viele und insbesondere auch große Moleküle von immenser Bedeutung ist. Dabei ist eine zentrale Schwierigkeit die Genauigkeit der zu-grundeliegenden Potenzialhyperflä-che, die typischerweise on-the-fly zu berechnen ist. Somit steht hier wieder-um die Frage nach der Effizienz der quantenchemischen Berechnung von Energie und Energiegradienten (aber auch von anderen molekularen Eigen-schaften) im Vordergrund.

Fazit und Ausblick

� Linear-skalierende Methoden er-möglichen heutzutage bereits auf ein-fachen Workstation-Computern die Berechnung der Energetik (und teils anderer Eigenschaften) von Molekü-len mit mehr als 1000 Atomen und 10 000 Basisfunktionen auf HF-, DFT- und sogar MP2-Niveau. Zwar ist klar, dass aufgrund des linearen Skalenverhaltens im Prinzip jeglicher Zuwachs an Rechnergeschwindigkeit sich nunmehr direkt in die berechen-bare Molekülgröße umsetzt, dennoch verbleiben viele Herausforderungen und ein Bedarf an methodischen Ent-wicklungen. Die beeindruckenden Fortschritte der quantenchemischen Methoden über die letzten Jahrzehn-te zeigen deutlich, dass eine immer genauere und effizientere Lösung der zentralen Schrödinger-Gleichung möglich ist und hier auch noch in den nächsten Jahren viel zu erwarten ist.

Moleküle verbleiben, neben der Ent-wicklung linear-skalierender Metho-den für noch genauere quantenchemi-sche Näherungen und bislang nicht zugängliche Moleküleigenschaften, viele Herausforderungen und Verbes-serungsmöglichkeiten:

1.) So ist die Reduktion der Vorfak-toren quantenchemischer Berechnun-gen ein generell sehr wichtiges Ziel in der Quantenchemie, insbesondere auch bei Verwendung großer Basissät-ze. Aktuelle Ansätze schließen hier die Verwendung von Auxiliarbasen (reso-lution of the identity oder density fit-ting),10–12,21,22) von Cholesky-Zerle-gungen12,21,23) oder von pseudospek-tralen Ansätzen24) ein. Reduzierte Vor-faktoren zur Berechnung großer Mole-küle sind insbesondere auch für line-ar-skalierende Methoden von großer Bedeutung, da sich hier jeglicher Ge-schwindigkeitsgewinn direkt in die berechenbare Molekülgröße umsetzt.

2.) Das hier beschriebene lineare Skalenverhalten bezieht sich auf den Anstieg der Rechenzeit bei Vergröße-rung des Moleküls bei gleichbleiben-der Qualität der Basisentwicklung. Wird lediglich die Basis bei gleichzei-tig konstanter Molekülgröße vergrö-ßert, steigt der Aufwand typischerwei-se nicht linear, so dass neue Entwick-lungen notwendig sind. In den letzten Jahren wurde versucht auch den An-spruch an die Basis zu verringern: hier sind R12- und F12- Methoden zu er-wähnen, die z. T. auf ältere Arbeiten von Kutzelnigg bzw. Klopper zurück-gehen und in den letzten Jahren neue Impulse erhalten haben.7,10,25)

3.) Desweiteren gab es in den letz-ten Jahren, initiert durch Arbeiten von Grimme, zahlreiche Bestrebungen, die Qualität der einfachsten wellenfunk-tionsbasierten Näherung zur Berech-nung der Elektronenkorrelation, des MP2-Ansatzes, durch Skalierung der verschiedenen MP2-Beiträge auf prag-matische Weise zu verbessern.26–29) Dies erhöht indirekt die Möglichkei-ten große Systeme zu beschreiben.

4.) Das Skalenverhalten zahlreicher „linear-skalierender“ Methoden steigt typischerweise für Systeme mit stark delokalisierter Elektronenstruktur wieder an, so dass auch hier noch zahlreiche Fragen offen sind.

Christian Ochsenfeld, Jahr-

gang 1968, ist seit Februar

2010 Lehrstuhlinhaber an

der LMU München, nachdem

er von 2002 bis 2010 Profes-

sor für Theoretische Chemie

an der Universität Tübingen war. Er studierte

Chemie in Karlsruhe und promovierte dort

1994 bei Reinhart Ahlrichs. Nach Forschungs-

aufenthalten in Berkeley (USA) und Mainz

folgte er einem Ruf nach Tübingen. Im Jahr

2009 folgten fünf Rufe an die Universitäten FU

Berlin, Konstanz, LMU München, Uppsala und

Wien. Seine Forschungsinteressen gelten der

Entwicklung und Anwendung quantenche-

mischer Methoden zur Berechnung großer

Molekülsysteme.

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