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The Inner Nature of Music and the Experience of Tone

Date post: 08-Jan-2016
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Rudolf Steiner fala da Relação entre música e ser humano

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  • RUDOLF STEINER

    Das Wesen des Musikalischenund

    das Tonerlebnis im Menschen

    Acht Vortrge, zwei Fragenbeantwortungenund zwei Schluworte, gehalten in Kln, Berlin, Leipzig, Dornach

    und Stuttgart in den Jahren 1906 und 1920 bis 1923

    1989RUDOLF STEINER VERLAG

    DORNACH/ SCHWEIZ

  • Nach vom Vortragenden nicht durchgesehenen Mitschriftenherausgegeben von der Rudolf Steiner-Nachlaverwaltung

    Die Herausgabe besorgte Helmut von Wartburg

    1. Auflage in dieser ZusammenstellungGesamtausgabe Dornach 1969

    2. Auflage, um den Vortrag vom 2. Dezember erweitertGesamtausgabe Dornach 1975

    3. Auflage, teilweise neu durchgesehenGesamtausgabe Dornach 1981

    4. Auflage, Gesamtausgabe Dornach 1989

    Einzelausgaben undVerffentlichungen in Zeitschriften siehe Seite 169

    Bibliographie-Nr. 283Siegelzeichnung auf dem Einband von Rudolf Steiner

    Zeichnungen im Text nach Tafelzeichnungen Rudolf Steiners,ausgefhrt von Assja Turgenieff und Hedwig Frey (siehe auch Seite 169)Alle Rechte bei der Rudolf Steiner-Nachlaverwaltung, Dornach/Schweiz

    1969 by Rudolf Steiner-Nachlaverwaltung, Dornach/SchweizPrinted in Switzerland by Zbinden Druck und Verlag AG, Basel

    ISBN 3-7274-2831-7

  • Zu den Verffentlichungenaus dem Vortragswerk von Rudolf Steiner

    Die Grundlage der anthroposophisch orientierten Geisteswissen-schaft bilden die von Rudolf Steiner (1861-1925) geschriebenen undverffentlichten Werke. Daneben hielt er in den Jahren 1900 bis1924 zahlreiche Vortrge und Kurse, sowohl ffentlich wie auch frdie Mitglieder der Theosophischen, spter Anthroposophischen Ge-sellschaft. Er selbst wollte ursprnglich, da seine durchwegs freigehaltenen Vortrge nicht schriftlich festgehalten wrden, da sieals mndliche, nicht zum Druck bestimmte Mitteilungen gedachtwaren. Nachdem aber zunehmend unvollstndige und fehlerhafteHrernachschriften angefertigt und verbreitet wurden, sah er sichveranlat, das Nachschreiben zu regeln. Mit dieser Aufgabe betrauteer Marie Steiner-von Sivers. Ihr oblag die Bestimmung der Stenogra-phierenden, die Verwaltung der Nachschriften und die fr die Her-ausgabe notwendige Durchsicht der Texte. Da Rudolf Steiner ausZeitmangel nur in ganz wenigen Fllen die Nachschriften selbst kor-rigieren konnte, mu gegenber allen Vortragsverffentlichungensein Vorbehalt bercksichtigt werden: Es wird eben nur hinge-nommen werden mssen, da in den von mir nicht nachgesehenenVorlagen sich Fehlerhaftes findet.

    ber das Verhltnis der Mitgliedervortrge, welche zunchst nurals interne Manuskriptdrucke zugnglich waren, zu seinen ffent-lichen Schriften uert sich Rudolf Steiner in seiner SelbstbiographieMein Lebensgang (35. Kapitel). Der entsprechende Wortlaut istam Schlu dieses Bandes wiedergegeben. Das dort Gesagte gilt glei-chermaen auch fr die Kurse zu einzelnen Fachgebieten, welchesich an einen begrenzten, mit den Grundlagen der Geisteswissen-schaft vertrauten Teilnehmerkreis richteten.

    Nach dem Tode von Marie Steiner (1867-1948) wurde gemihren Richtlinien mit der Herausgabe einer Rudolf Steiner Gesamt-ausgabe begonnen. Der vorliegende Band bildet einen Bestandteildieser Gesamtausgabe. Soweit erforderlich, finden sich nhere An-gaben zu den Textunterlagen am Beginn der Hinweise.

  • INHALT

    DAS WESEN DES MUSIKALISCHEN

    ERSTER VORTRAG, Kln, 3. Dezember 1906............................................. 11Schopenhauersche Gedanken als Ausgangspunkt fr eine okkulte Betrach-tung der Musik. Der Aufstieg der Menschenseele durch eine spirituelleEntwickelung. Das Devachan als die Welt der Sphrenmusik. Irdische Mu-sik als Nachklang der in hheren Welten wahrgenommenen Klnge. Dietiefere Bedeutung von Dur und Moll.

    ZWEITER VORTRAG, Berlin, 12. November 1906.......................................19Goethes und Schopenhauers Ansichten ber die Bedeutung der Knste.Die drei Bewutseinszustnde des Menschen. Das Verweilen der Men-schenseele im Devachan und das Erleben der Sphrenmusik whrend destraumlosen Schlafes. Die irdische Musik als unbewute Erinnerung an die-ses Erleben. Bewutmachung dieser Zusammenhnge durch die okkulteEntwickelung.

    DRITTER VORTRAG, Berlin, 26. November 1906...................................... 30Die Vererbung des musikalischen und des mathematischen Talentes inden Familien Bach und Bernoulli. Das Verhltnis der Individualitt zuden vererbten Anlagen. Das Werden des Menschenwesens in den vergan-genen Erdenzeiten. Die Entwickelung der Gehr-, Sprach- und Gleich-gewichtsorgane.

    VIERTER VORTRAG, Leipzig, 10. November 1906...................................... 37Die Anschauungen Goethes ber die Kunst und Schopenhauers ber diebesondere Stellung der Musik. Die Weiterentwicklung dieser Gedankendurch Richard Wagner. Die Bedeutung der Musik vom okkulten Stand-punkt aus betrachtet. Die Umwandlung der niederen Wesensgliederdurch die Wirkung der Musik. Fragebeantwortung.

  • FRAGENBEANTWORTUNGEN UND SCHLUSSWORTE

    ERSTE FRAGENBEANTWORTUNG, Dornach, 29. September 1920. . . 47Die Entwickelung der Musik in der Zukunft. Die Erweiterung unseresTonsystems durch ein neues Erleben des einzelnen Tones. Das Eindringenneuer Impulse in die Menschheitsentwickelung und die damit verbun-denen Schwierigkeiten. Der Zusammenhang des Musikalischen mit demAtmungsproze und mit der Gliederung des Menschenwesens.

    ZWEITE FRAGENBEANTWORTUNG , Dornach, 30. Dez. 1920, abends . 60Vom Wesen des Knstlerischen. Das Erleben des einzelnen Tones. DieBeziehungen zwischen Farbe, Sprache und Gesang. Das Abgleiten derdramatischen Kunst ins Naturalistische. Die Entstehung der Eurythmieaus der okkulten Beobachtung des Menschenwesens. Goethes Verhltniszur Tonlehre. Kurze Bemerkung zu Gesangsmethoden. Kunst und Kunst-betrachtung. Abstraktheit mancher Fragestellungen. Mrchenbetrach-tung, Mrchendeutung.

    ERSTES SCHLUSSWORT, Dornach, 20. Dezember 1920..............................90Die Bedeutung der Holzsorten beim Bau von Musikinstrumenten. Pro-bleme der Akustik und der Raumgestaltung. Geologische Verhltnisseeiner Landschaft und die Musikalitt ihrer Bewohner. Die neu erbauteGeige des Dr. Thomastik.

    ZWEITES SCHLUSSWORT, Dornach, 7. Februar 1921................................... 97Der Zusammenhang der menschlichen Wesenheit mit den kosmischenWelten, dargestellt in einer chinesischen Legende. Die Bedeutung derMusik fr die alten Kulturen.

    DES MENSCHEN USSERUNG DURCH TON UND WORT

    VORTRAG , Dornach, 2. Dezember 1922..................................................... 101Ursprache und Urgesang. Das konsonantische und das vokalische Element.Die zwlf Urkonsonanten. Der menschliche Organismus als Musikinstru-ment. Das Leben nach dem Tode im schpferischen Ton und Wort dergeistigen Welt, in der Weltenmusik. Seelisch-Vokalisches und Planeten,Seelisch-Konsonantisches und Tierkreis. Die Planetengtter als Spieler aufdem kosmischen Instrument des Fixsternhimmels.

  • DAS TONERLEBNIS IM MENSCHEN

    ERSTER VORTRAG, Stuttgart, 7. Mrz 1923................................................. 119Der Gehrvorgang okkult betrachtet. Die heutige Terzenempfindungzwischen frherer nempfindung und zuknftiger Oktavempfin-dung. Das Ohr als Reflexionsapparat fr das Tonempfinden. Das Musi-kalische durch den ganzen Menschen erlebt. Die innere Gliederung derOktave. Die Septimenmusik der Atlantier als religises Erlebnis. DieQuintenmusik folgender Epochen als Erlebnis der Ein- und Ausatmung.Die Skala der fnf Tne. Die Terzenmusik der Neuzeit als Erlebnis desSubjektiv-Seelischen. Dur und Moll. Die zuknftige Vertiefung des Musi-kalischen durch das Oktaverleben. Die Anwendung dieser Gesichtspunktefr die Musikerziehung.

    ZWEITER VORTRAG, Stuttgart, 8. Mrz 1923.............................................. 133Das Wesen der verschiedenen Intervall-Erlebnisse. Melodie, Harmonieund Rhythmus in ihrer Beziehung zu Denken, Fhlen und Wollen. DerUrsprung der Musik im Erleben des Spirituellen. Die Blas-, Streich- undSchlaginstrumente als verwirklichte Imaginationen. Das zuknftige Erlebendes einzelnen Tones als Musikalisch-Differenziertes. Der Zusammenhangder eurythmischen Intervallformen mit dem Wesen der Intervalle. Septime,Sext und Quint als Intuitions-, Inspirations- und Imaginationserlebnis.

    DRITTER VORTRAG, Dornach, 16. Mrz 1923.............................................149Die Welt der Hierarchien und die Welt der Tne. Geistige Ereignisse alsUrsache des Bewutseinswandels im vierten nachchristlichen Jahrhundert.In der atlantischen Zeit: Erleben der Septime als Empfindung vom Waltender Gtter. Nachwirkung davon in dem folgenden Quintenzeitalter. Ver-lust dieses Erlebens im Aufkommen der Terzempfindung. In der lemuri-schen Zeit: Erleben der None und der oktavbergreifenden groen undkleinen Terz als kosmische Jubelgesnge und Klagen der Gtter.

    A N H A N G

    Notizen von Mathilde Scholl aus dem Jahr 1905 (1906?).......................... 165

    Hinweise. Zu dieser Ausgabe......................................................................... 168Hinweise zum Text........................................................................ 169

    Namenregister................................................................................................... 176Verzeichnis der Wortlaute ber Musik.......................................................... 177Rudolf Steiner ber die Vortragsnachschriften............................................ 189bersicht ber die Rudolf Steiner Gesamtausgabe.................................... 191

  • Das Wesen des Musikalischen

  • ERSTER VORTRAGKln, 3. Dezember 1906

    Das Musikalische hat fr die, welche darber nachgedacht haben,immer etwas Rtselvolles gehabt in bezug auf die sthetische An-schauungsweise. Die Musik ist auf der einen Seite das Verstndlichstefr die Seele, fr das unmittelbar empfindende Menschengemt, aufder anderen Seite etwas Schwieriges fr die, welche ihre Wirkungbegreifen wollen. Wenn wir die Musik vergleichen wollen mit denanderen Knsten, so mssen wir sagen: Eigentlich haben die anderenKnste alle in der physischen Welt ein Vorbild. Wenn zum Beispielder Bildhauer die Statue eines Apoll oder Zeus schafft, dann arbeiteter nach der idealisierten Wirklichkeit der menschlichen Welt. Ebensoist es in der Malerei. Heute will man sogar in der Malerei nur dasgelten lassen, was unmittelbar den Eindruck der Wirklichkeit gibt.Ebenso bemht sich die Poesie, ein Abbild der Wirklichkeit zu schaf-fen. Wer diese Theorie auf die Musik anwenden wollte, wrde wohlkaum zu irgendeinem Resultat kommen knnen. Der Mensch mu sichfragen: Woher kommt denn eigentlich der knstlerisch geformte Ton,worauf in der Welt hat er Bezug?

    Ein Geist des 19. Jahrhunderts, der in bezug auf die Kunst klareund treffende Vorstellungen gebracht hat, ist Schopenhauer. Er weistder Musik eine ganz besondere Stellung zu unter den Knsten undder Kunst als solcher einen ganz besonderen Wert im Leben des Men-schen. Er hat im Grunde genommen als Leitmotiv seiner Philosophieden Satz: Das Leben ist eine miliche Sache und ich suche es ertrglichzu machen dadurch, da ich darber nachdenke. - In der ganzen Weltherrscht nach seiner Darstellung ein unbewuter, blinder Wille. Erbildet den Stein und dann aus dem Stein die Pflanze und so weiter,weil er immer unbefriedigt ist. So lebt in allem die Sehnsucht nachdem Hheren.

    Der Mensch selbst sprt dies, doch bestehen da groe Unterschiede:Der im dumpfen Bewutsein dahinlebende Wilde fhlt viel wenigerdas Unbefriedigtsein des Willens als der hherstehende Mensch, der

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  • viel klarer den Schmerz des Daseins empfinden kann. Da sagt Scho-penhauer: Es gibt noch ein zweites, das der Mensch kennt auer demWillen, das ist die Vorstellung. Sie ist wie eine Fata Morgana, wie einNebelgebilde oder ein Gekrusel der Wellen, in dem die Gebilde desWillens, des dunkeln Dranges sich spiegeln. Im Menschen erhebt sichder Wille zu diesem Scheingebilde. Wenn er dadurch den Willen sieht,wird er noch unbefriedigter. Es gibt aber Mittel, durch die der Menschzu einer Art Erlsung von dem blinden Drang des Willens kommenkann. Eines dieser Mittel ist die Kunst. Durch sie vermag der Menschsich hinwegzuversetzen ber das Unbefriedigtsein des Willens.

    Wenn der Mensch ein Kunstwerk schafft, schafft er aus seinerVorstellung heraus. Whrend aber andere Vorstellungen blo Bildersind, ist es bei der Kunst etwas anderes. Zum Beispiel der Zeus desPhidias ist nicht durch die Abbildung eines wirklichen Menschen zu-stande gekommen. Da hat der Knstler viele Eindrcke kombiniert,alle Vorzge im Gedchtnis behalten und alle Mngel weggelassen.Aus vielen Menschen hat er sich ein Urbild geformt, das nirgends inder Natur verwirklicht ist, aber doch auf viele einzelne Individuali-tten verteilt ist. Schopenhauer sagt, da der wahre Knstler die Ur-bilder wiedergibt, nicht die Vorstellungen, die sonst der Mensch hat,nicht die Abbilder, sondern die Urbilder. Dadurch, da der Menschsich so gleichsam in der schaffenden Natur zu ihren Tiefen begibt,schafft er sich eine Erlsung.

    So ist es mit allen Knsten, auer der Musik. Die anderen Knstemssen durch die Vorstellung hindurchgehen, also Bilder des Willensgeben. Aber der Ton ist ein unmittelbarer Ausdruck des Willens selbst,ohne Einschiebung der Vorstellung. Wenn der Mensch im Ton knst-lerisch ttig ist, ist er gleichsam mit seinem Ohr am Herzen der Naturselbst liegend; er vernimmt den Willen der Natur und gibt ihn in derFolge der Tne wieder. So - sagt Schopenhauer - steht der Menschin einem vertrauten Verhltnis zu den Dingen an sich, so dringt er einin das innerste Wesen der Dinge. Weil sich der Mensch dem Wesennahe fhlt in der Musik, deshalb fhlt er in der Musik jene tiefe Be-friedigung.

    So hat Schopenhauer aus einer instinktiven Erkenntnis heraus der12

  • Musik die Rolle zugewiesen, das Wesen des Kosmos unmittelbar dar-zustellen. Er hatte eine Art instinktiver Ahnung von dem wirklichenSachverhalt. Warum das Musikalische zu allen sprechen kann, warumdas Musikalische von der frhesten Kindheit an auf den Menschenwirkt, das wird uns erklrlich werden auf dem Gebiet des Daseins,wo die Musik ihre wirklichen Vorbilder hat.

    Wenn der Musiker komponiert, kann er nichts nachahmen. Er muaus seiner Seele herausholen die Motive des musikalischen Schaffens.Woher er sie holt, das wird sich uns ergeben, wenn wir hinweisen aufdie Welten, die fr die Sinne nicht wahrnehmbar sind. Wir mssen danachsehen, wie die hheren Welten eigentlich beschaffen sind. DerMensch ist in der Lage, sich hhere, in der Seele liegende Fhigkeitenzu erschlieen, die sonst schlummern. Wie dem Blindgeborenen durchOperation die physische Welt sichtbar wird, so knnen auch dem Men-schen die inneren Organe erschlossen werden, um hhere geistige Wel-ten zu erkennen.

    Wenn der Mensch solche Fhigkeiten entwickelt, die sonst in ihmschlummern, wenn er anfngt, durch Meditation und Konzentrationund so weiter seine Seele zu entwickeln, da geht es stufenweise mit ihmaufwrts. Das erste, was er dann erlebt, ist eine besondere Umgestal-tung seiner Traumwelt. Wenn der Mensch vermag, bei der Meditationalle Erinnerungen an die uere Sinneswelt und an sonstige Erlebnisseauszuschalten, und wenn er dann doch noch einen Seeleninhalt hat,dann fngt seine Traumwelt an, eine groe Regelmigkeit zu be-kommen. Es ist dann, wenn er erwacht, als ob er sich aus einem flu-tenden Weltenmeer erhbe. Er wei, er hat jetzt etwas Neues erlebt,er ist wie herausgekommen aus einem solchen Meer von Licht und Far-ben, wie er es noch nicht gekannt hat in der physischen Welt. Immermehr gewinnen seine Traumerlebnisse an Deutlichkeit. Er erinnertsich, da in dieser Licht- und Farbenwelt Dinge und Wesenheitenwaren, die sich dadurch von den anderen Gegenstnden unterscheiden,da man durch sie hindurchgehen kann, da sie keinen Widerstandentgegensetzen. Er lernt eine Summe von Wesenheiten kennen, derenElement, deren Krper die Farben sind. Es sind Wesenheiten, die inder Farbe sich offenbaren, sich verkrpern. Allmhlich dehnt der

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  • Mensch sein Bewutsein ber diese Welt aus und erinnert sich beimErwachen, da er darin handelnd aufgetreten ist. Der nchste Schrittist dann, da er diese Welt mit hinbernimmt in die Tageswelt. Dannlernt der Mensch allmhlich das zu sehen, was man den Astralleibdes Menschen nennt. Er erlebt eine Welt, die viel realer ist als diegewhnliche physische Welt. Die physische Welt ist eine Art Verdich-tung, herauskristallisiert aus der Astralwelt. Auf diese Weise hat derMensch dann zwei Stufen des Bewutseins: das alltgliche Wachbe-wutsein und das Traumbewutsein.

    Eine noch hhere Stufe erreicht der Mensch, wenn er den vlligbewutlosen Zustand umzuwandeln vermag in einen bewuten Zu-stand. Der Chela oder Schler lernt die Kontinuitt des Bewutseinsfr einen Teil der Nacht zu erlangen, fr die Teile der Nacht, die nichtdem Traumleben angehren, sondern die noch ganz bewutlos sind.Er lernt dann, bewut zu werden in einer Welt, von der er sonst nichtswei. Diese neue Welt ist nicht eine Licht- und Farbenwelt, sondernkndet sich zuerst an als eine Tonwelt. In diesem Bewutseinszustanderlangt der Mensch die Fhigkeit geistig zu hren, Tonkombinationen,Tonmannigfaltigkeiten zu vernehmen, die dem physischen Ohre un-hrbar sind. Diese Welt nennt man die Devachanwelt.

    Nun darf man nicht glauben, da, wenn der Mensch die geistige,tnende Welt aufsteigen hrt, er nicht auch behlt die Licht- undFarbenwelt. Auch die Tonwelt ist durchsetzt von Licht und Farbe,die aber der astralen Welt angehren. Aber das ureigenste Elementder Devachanwelt ist das flutende Meer der Tne. Auch aus dieserWelt der Bewutseinskontinuitt kann der Mensch das Tnende her-berbringen und dadurch auch das Tnende in der physischen Welthren. Allem in der physischen Welt liegt ein Ton zugrunde. Ein jedesGesicht reprsentiert bestimmte devachanische Tne. Alle Gegenstndehaben auf dem Grunde ihres Wesens einen geistigen Ton, und derMensch selbst ist in seiner tiefsten Wesenheit ein solch geistiger Ton.Aus diesem Grunde hat Paracelsus gesagt: Die Reiche der Natur sinddie Buchstaben und der Mensch ist das Wort, welches sich aus diesenBuchstaben zusammensetzt. - Jedesmal, wenn der Mensch einschlft,bewutlos wird, tritt sein Astralleib heraus aus dem physischen Leib.

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  • Dann ist der Mensch zwar unbewut, aber doch lebend in der geistigenWelt. Auf seine Seele machen die geistigen Klnge einen Eindruck.Jeden Morgen wacht der Mensch auf aus einer Welt der Sphrenmusik,und aus einem Gebiet des Wohllauts zieht er ein in die physische Welt.Wenn es wahr ist, da die Seele des Menschen zwischen zwei Verkr-perungen ein Devachan hat, so drfen wir auch sagen, da die Seelewhrend der Nacht schwelgt und lebt in dem flutenden Ton, als demElement, aus dem sie eigentlich gewoben ist, das eigentlich ihre Hei-mat ist.

    Der schaffende Tonknstler nun setzt den Rhythmus, die Harmonienund Melodien, die sich whrend der Nacht seinem Astralleib einpr-gen, um in einen physischen Ton. Unbewut hat der Musiker das Vor-bild der geistigen Welt, das er umsetzt in die physischen Klnge. Dasist der geheimnisvolle Zusammenhang zwischen der Musik, die hierim Physischen erklingt, und dem Hren der geistigen Musik in derNacht.

    Wenn ein Mensch beleuchtet ist vom Lichte, dann bildet sich vonihm ein Schatten an der Wand. Das ist nicht der wirkliche Mensch.So ist die Musik, die im Physischen erzeugt wird, ein Schatten, einwirklicher Schatten von einer viel hheren Musik des Devachans. DasUrbild, die Vorlage der Musik ist im Devachan, die physische Musikist nur ein Abbild der geistigen Wirklichkeit.

    Nachdem wir uns dies klargemacht haben, wollen wir die Wirkungder Musik auf den Menschen zu begreifen suchen. Die Einteilung desMenschen, die der okkulten Untersuchung zugrunde liegt, ist diese:Physischer Leib, therleib, Astralleib und Ich. Der therleib ist eintherisches Urbild des physischen Leibes. Ein noch feinerer Leib, derdem therleib verwandt ist und zu dem Astralen hinneigt, ist derEmpfindungsleib. Innerhalb dieser drei Stufen des Leibes sehen wirdie Seele. Die hngt zunchst mit dem Empfindungsleib zusammen.Dem Empfindungsleib ist wie eingegliedert die Empfindungsseele. Diesteckt im Empfindungsleib darinnen. Wie ein Schwert mit der Scheide,in der es steckt, ein Ganzes bildet, so sind auch der Empfindungsleibund die Empfindungsseele ein Ganzes. Auerdem hat der Mensch nochdie Gemts- oder Verstandesseele und als noch hheres Glied die Be-

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  • wutseinsseele, und diese ist verknpft mit dem Geistselbst oder Ma-nas. Wenn der Mensch schlft, liegt im Bett mit dem physischen undtherleib der Empfindungsleib; die hheren Glieder, also auch dieEmpfindungsseele, sind in der Welt des Devachans. Im physischenRaum fhlen wir alle anderen Wesen auer uns. Im Devachan fhlenwir uns nicht auerhalb der Wesen, sondern da durchdringen sie uns,da sind wir in den Wesen darinnen. Darum hat man in allen okkultenSchulen die Sphre des Devachans und auch des Astralen die Welt derDurchlssigkeit genannt.

    Indem der Mensch so lebt und webt in der Welt der flutendenTne, wird er selbst durchflutet von diesen Tnen. Wenn er nun ausdieser devachanischen Welt zurckkehrt, dann sind seine eigene Be-wutseinsseele, Verstandes- und Empfindungsseele von den Schwin-gungen der devachanischen Welt durchsetzt; er hat sie selbst in sich.Mit ihnen dringt er in die physische Welt ein. Wenn er diese Schwin-gungen aufgenommen hat, dann sind die Schwingungen so, da er ausder Empfindungsseele heraus zurckwirken kann auf den Empfin-dungsleib und den therleib. Dadurch, da er die Schwingungen mit-bringt aus dem Devachan, kann er die Schwingungen auf seinen ther-leib bertragen. Dann schwingt der eigene therleib mit. Das Wesendes ther- und Empfindungsleibes beruht im Grunde genommen aufdenselben Elementen, auf dem geistigen Ton und auf geistigen Schwin-gungen. Der therleib ist niedriger als der Astralleib, aber die Ttig-keit, die im therleib ausgebt wird, steht hher als die Ttigkeit desAstralleibes. Die Entwickelung des Menschen besteht darin, da erdas, was er hat, vom Ich aus umformt, zuerst den Astralleib in Manas,dann den therleib in Buddhi, dann den physischen Leib in Atma.Weil der Astralleib der dnnste ist, braucht man die wenigste Kraft,um in ihn hineinzuarbeiten. Die Kraft, die man braucht, um in dentherleib hineinzuarbeiten, die braucht man aus der Devachanwelt,die Kraft der Umwandlung des physischen Leibes braucht man ausder hheren Devachanwelt. Auf den Astralleib kann man wirken mitden Krften der astralen Welt selbst, auf den therleib aber nur mitden Krften der Devachanwelt. Auf den physischen Leib kann mannur wirken mit den Krften der oberen Devachanwelt.

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  • Whrend der Nacht holt sich der Mensch die Kraft aus der Weltder flutenden Tne, die Kraft, dies auf den Empfindungsleib undtherleib zu bertragen. Wenn der Mensch musikalisch schafft oderwahrnimmt, so liegt das daran, da er diese Klnge in dem Empfin-dungsleib schon hat. Whrend der Mensch beim Aufwachen des mor-gens sich nicht bewut wird, da er nachts Tne aufgenommen hat,sprt er doch, wenn er Musik anhrt, da diese Abdrcke der gei-stigen Welt in ihm sind. Wenn er Musik hrt, kann der Hellsehersehen, wie die Tne fluten, die festere Materie des therleibes ergrei-fen und diesen mitschwingen lassen, daher hat der Mensch danndas Wohlgefhl. Das kommt daher, da der Mensch sich dann alsSieger fhlt ber den therleib durch seinen Astralleib. Dies ist amstrksten, wenn der Mensch es erreicht, das zu berwinden, was imtherleib schon ist. Immer tnt der therleib herauf in den Astral-leib. Wenn er Musik hrt, ist der Eindruck zuerst im Astralleib. Dannschickt er die Tne bewut in den therleib und berwindet die Tne,die im therleib schon sind. Das ist das Wohlgefhl des musikalischenZuhrens und auch des musikalischen Schaffens. Bei gewissen musika-lischen Klngen geht aus dem Astralleib etwas hinein in den ther-leib. Der hat nun neue Tne erhalten. Es entsteht eine Art vonKampf zwischen dem Empfindungsleib und dem therleib. Sind dieseTne so stark, da sie die eigenen Tne des therleibes berwinden,dann entsteht heitere Musik, in der Dur-Tonart. Wenn ein Musikali-sches in der Dur-Tonart wirkt, dann kann man verfolgen, wie derEmpfindungsleib Sieger ist ber den therleib. Bei der Moll-Tonartist der therleib Sieger ber den Empfindungsleib. Der therleibwidersetzt sich den Schwingungen des Empfindungsleibes.

    Wenn der Mensch im Musikalischen lebt, so lebt er in einem Ab-bild seiner geistigen Heimat. In dem Schattenbild des Geistigen findetdie Seele die hchste Erhebung, die intimste Beziehung zum Urelementdes Menschen. Daher ist es, da die Musik so tief auch auf die schlich-teste Seele wirkt. Die schlichteste Seele fhlt in der Musik den Nach-klang dessen, was sie im Devachan erlebt hat. Sie fhlt sich da inihrer Heimat. Jedesmal fhlt der Mensch dann: Ja, du bist aus eineranderen Welt!

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  • Aus dieser intuitiven Erkenntnis heraus hat Schopenhauer der Mu-sik jene zentrale Stellung unter den Knsten angewiesen und gesagt,da der Mensch in der Musik den Herzschlag des Willens der Weltwahrnimmt.

    Der Mensch fhlt in der Musik die Nachklnge dessen, was imInnersten der Dinge webt und lebt, was mit ihm so verwandt ist. Weildie Gefhle das innerste Element der Seele sind, verwandt mit dergeistigen Welt, und weil die Seele im Ton ihr Element hat, in dem siesich eigentlich bewegt, so lebt sie da in einer Welt, wo die krperlichenVermittler der Gefhle nicht mehr vorhanden sind, wo aber die Ge-fhle noch leben. Das Urbild der Musik ist im Geistigen, whrend dieUrbilder fr die brigen Knste in der physischen Welt selbst liegen.Wenn der Mensch Musik hrt, fhlt er sich wohl, weil diese Tnebereinstimmen mit dem, was er in der Welt seiner geistigen Heimaterlebt hat.

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  • ZWEITER VORTRAGBerlin, 12. November 1906

    Wir sehen, wie uns die Welt, die ganze Natur um uns herum, durchdie geisteswissenschaftliche Betrachtungsweise verstndlich wird, undes wird uns mehr und mehr klar, wie uere Tatsachen unserer Um-gebung eine mehr oder weniger tiefgehende Bedeutung fr die innereWesenheit des Menschen haben knnen. Wir werden heute einigesentwickeln ber das Thema: Warum wirkt die Musik in einer ganz be-stimmten, eigenartigen Weise auf die menschliche Seele? - Dabei wol-len wir tief hineinleuchten in die Grnde der Seele.

    An den Ausgangspunkt stellen wir die Frage, wie es sich denn er-klren lt, da eine so merkwrdige Vererbung stattfinden kann,wie wir sie zum Beispiel in der Familie Bach sehen, in der innerhalbeines Zeitraumes von zweihundertfnfzig Jahren eine Anzahl vonbeinahe dreiig Mitgliedern eminente musikalische Begabung zeigten.Oder eine andere Tatsache: da in der Familie Bernoulli die mathema-tische Begabung in hnlicher Weise sich vererbte und acht ihrer Mit-glieder mehr oder weniger groe Mathematiker waren. Das sind zweiErscheinungen, die sich unter Vererbung begreifen lassen; doch sindsie total verschiedene Dinge.

    Die Musik erschien von jeher den Geistern, die versuchten, etwastiefer in das Wesen der Dinge einzudringen, als etwas ganz Beson-deres. Stets nahm die Musik eine besondere Stellung innerhalb derKunst ein. Stellen wir uns einmal auf den Standpunkt Schopenhauers.In seinem Werke Die Welt als Wille und Vorstellung spricht er vonden Knsten als von einer Art Erkenntnis, die unmittelbarer ins Gtt-liche fhre, als es der Verstandeserkenntnis mglich sein knne. DieseAnsicht Schopenhauers hngt damit zusammen, da er ber die Weltdie Anschauung hatte, alles, was uns umgibt, sei nur ein Spiegelbildmenschlicher Vorstellung. Dieses Spiegelbild kommt nur dadurch zu-stande, da uere Dinge in den menschlichen Sinnen Vorstellungenhervorrufen und da der Mensch dadurch zu ihnen in Beziehung tritt.Von dem, was keinen Eindruck machen kann auf die Sinne, kann der

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  • Mensch nichts wissen. Physiologisch spricht er von spezifischen Sin-nesempfindungen. Das Auge kann nur Lichtempfindungen in sich auf-nehmen, allen anderen Eindrcken gegenber verhlt es sich unemp-findlich; nur das, was Licht ist, kann es empfinden, und gleichermaendas Gehr nur Tonempfindungen und so weiter. Alles was der Menschso als seine Welt ringsum betrachtet, spiegelt sich, nach der AnschauungSchopenhauers, als eine Art Fata Morgana in ihm wieder, ist eineArt Spiegelung, hervorgerufen durch die menschliche Seele selbst.

    Nun sagt Schopenhauer, es gibt doch eine Mglichkeit, hinter dieVorstellung zu kommen. Ein Ding gibt es, zu dessen Wahrnehmungder Mensch keiner ueren Einwirkung bedarf, und das ist der Menschselber. Alles uere ist ihm eine ewig wechselnde, ewig sich verschie-bende Fata Morgana. Nur eines spren wir unabnderlich und immerin derselben Weise in uns, das sind wir selber. Unser Wille ist es, indem wir uns spren, und es ist kein Umweg von auen ntig, um seineEinwirkungen auf uns wahrzunehmen. Wenn wir irgendeine Wirkungauf die Auenwelt vollziehen, dann spren wir den Willen, wir sindselbst dieser Wille, daher wissen wir, was der Wille ist. Wir wissen esaus eigener, innerer Erfahrung, und aus der Analogie knnen wir schlie-en, da dieser in uns wirkende Wille auch auer uns vorhanden undttig sein mu, da Krfte auer uns vorhanden sein mssen, gleichwie die Kraft, die innerhalb unser als Wille ttig ist. Und diese Krftenennt er den Weltwillen.

    Stellen wir uns nun die Frage: Wie entsteht Kunst? - Die Antwortauf diese Frage, immer noch im Sinne Schopenhauers, lautet: Durchein Kombinieren der Fata Morgana auer uns und in uns, durch einZusammenfassen beider. Wenn der Knstler, zum Beispiel als Bild-hauer, eine Idealgestalt, sagen wir, von Zeus schaffen will, und ersich nach einem Urbilde umschaut, dann sieht er sich nicht einen ein-zelnen Menschen an, um in ihm das Urbild zu finden, sondern hltUmschau unter vielen Menschen. Er nimmt von dem einen Menschenein wenig, von dem anderen wieder ein wenig und so weiter. Er prgtsich alles ein, was Strke, was edel, was hervorragend ist, und darausformt er sich ein typisches Bild von Zeus, so wie er den Zeusgedan-ken in sich trgt. Das ist die Idee im Menschen, die nur dadurch zu

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  • gewinnen ist, da man das, was die Welt uns bietet, was in Einzel-heiten an uns herantritt, in sich kombiniert.

    Stellen wir diesen Gedanken Schopenhauers mit dem GoetheschenGedanken zusammen, der seinen Ausdruck findet in den Worten: Inder Natur sind mehr die Absichten bedeutsam. - Da finden wir, daSchopenhauer und Goethe vollkommen miteinander einverstandensind. Beide nehmen an, da es Absichten in der Natur gibt, die siein ihren Werken nicht ganz erreicht, nicht ganz zum Ausdruck brin-gen kann, wenigstens im einzelnen nicht voll erreicht. Der schaffendeKnstler nun versucht, diese Absichten in der Natur zu erkennen, siezusammenzufassen und im Bilde darzustellen. So versteht man, daGoethe sagt, die Kunst sei Offenbarung geheimer Naturabsichten, dader schaffende Knstler die Fortsetzung der Natur offenbare. DerKnstler nimmt die Natur in sich auf; er lt sie wieder in sich er-stehen und aus sich herausgehen. Es ist, als ob die Natur nicht fertigwrde und in den Menschen die Mglichkeit hineingieen wrde, ihrWerk zu Ende zu fhren. Die Natur findet in ihm ihre Vollendung,ihre Krnung, sie jauchzt gewissermaen auf in ihm und in seinemWerke.

    Im menschlichen Herzen liegt so die Befhigung, zu Ende zu den-ken, und das, was die Absicht der Natur war, hinauszugieen. Goethesieht in der Natur die groe, schaffende Knstlerin, die nur ihre Ab-sichten nicht voll erreichen kann, die uns gewissermaen vor ein Rt-sel stellt. Der Knstler jedoch lst diese Rtsel; er ist der groe Rtsel-lser, indem er die Absichten der Natur zu Ende denkt und aus sichheraussetzt in seinen Werken.

    Das trifft bei allen Knsten zu, sagt Schopenhauer, nur nicht beider Musik. Sie steht auf einer hheren Stufe als alle anderen Knste.Warum? - Schopenhauer findet die Antwort, indem er sagt: Alle an-deren schaffenden Knste, die Bildhauerei, die Malerei, sie mssendie Vorstellungen zusammenfassen, ehe sie die geheimen Absichten derNatur erraten; die Musik dagegen, die Melodien, die Harmonien derTne, sie sind die unmittelbare uerung der Natur selber. Der Mu-siker hrt unmittelbar den Pulsschlag gttlichen Willens durch dieWelt fluten, er vernimmt es, wie sich dieser Wille ausdrckt in Tnen.

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  • So steht er nher dem Herzen der Welt als alle anderen Knstler; inihm lebt die Fhigkeit, den Willen, den Weltenwillen darzustellen.Die Musik ist der Ausdruck des Willens der Natur, whrend alle an-deren Knste der Ausdruck der Idee der Natur sind. Darum, weil dieMusik nher dem Herzen der Welt flutet, weil sie so unmittelbar derAusdruck seines Wogens und Wallens ist, darum wirkt sie auch un-mittelbarer auf die menschliche Seele. Sie strmt ein in die Seele als dasGttliche in seinen verschiedenen Gestaltungen. Und so ist es erklr-bar, da die Musik so unmittelbar, so gewaltig, so elementar in ihrenWirkungen auf die menschliche Seele ist.

    Wenden wir uns nun von diesem Standpunkt, den bedeutende Gei-ster, wie Schopenhauer und Goethe, der erhabenen Kunst der Musikgegenber einnehmen, zu dem Standpunkte, von dem aus der Okkul-tismus diese Frage beleuchtet, so finden wir merkwrdigerweise, daaus dem, was der Mensch ist, uns verstndlich und begreiflich wird,weshalb die Tne, die Harmonien und Melodien so auf ihn einwirken.Wir gehen da wieder zurck auf die bekannten drei Bewutseinszu-stnde, die dem Menschen mglich sind, und auf sein Verhltnis zu dendrei Welten, zu denen er whrend dieser drei Bewutseinszustnde ge-hrt.

    Drei Bewutseinszustnde gibt es, doch nur einer von diesen istdem gewhnlichen Menschen voll bekannt, da er whrend der anderenbeiden nichts von sich wei, sie durchlebt, ohne eine Erinnerung, einebewute Einwirkung davon in den einen, ihm bekannten Bewutseins-zustand durchzubringen. Dieser letztere ist der Bewutseinszustand,den wir als das gewhnliche, wache Tagesbewutsein bezeichnen. Derzweite Bewutseinszustand ist dem gewhnlichen Menschen teilweisebekannt; es ist der traumerfllte Schlaf, dieser Symboliker, der demMenschen in Symbolen oft einfache Alltagserlebnisse vorfhrt. Derdritte Bewutseinszustand ist der traumlose Schlaf, der fr den ge-whnlichen Menschen den Zustand einer gewissen Leere bedeutet.

    Nun gibt aber die Initiation eine Verwandlung der drei Bewutseins-zustnde. Zunchst verndert sich sein Traumleben. Es ist nicht mehrchaotisch, nicht mehr eine Reproduktion der Alltagserlebnisse in oftwirren Symbolen; sondern eine neue Welt tut sich dem Menschen auf

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  • im Traumschlaf, eine Welt voll flutender Farben, voll schimmernderLichtwesen umgibt ihn da, die astrale Welt. Das ist keine neu er-schaffene Welt, sie ist nur neu fr den Menschen, der bisher ber denniederen Bewutseinszustand, den des Alltagsbewutseins, nicht hin-ausgekommen ist. Diese Welt ist vielmehr immer da, sie umgibt fort-whrend den Menschen. Sie ist eine wirkliche Welt, ebenso wirklich,wie die uns umgebende Welt, die uns als Wirklichkeit erscheint. So-bald der Mensch eingeweiht ist, die Initiation empfangen hat, lernter diese wunderbare Welt kennen. Er lernt bewut in ihr sein, miteinem ebenso klaren, nein klareren Bewutsein, als es sein Tagesbewut-sein ist. Er lernt auch seinen eigenen Astralleib kennen und lernt be-wut in ihm zu leben. Was er nun in dieser neuen Welt, die sich vorihm auftut, erlebt, ist ein Leben und Weben in einer Farben- undLichtwelt im wesentlichen. Der Mensch beginnt nach der Einweihung,aus dem gewhnlichen Traumschlaf heraus zu erwachen; es ist, als ober sich erhoben fhlte aus einem wogenden Meer von flutendem Lichtund Farben. Und lebendige Wesenheiten sind diese flutenden Farben,dieses schimmernde Licht. Dies Erleben im bewuten Traumschlaf ber-trgt sich dann auch auf das ganze Leben im Tages-Wachbewut-sein; diese Wesenheiten lernt er auch im Alltagsleben sehen.

    Den dritten Bewutseinszustand erreicht der Mensch dann, wenner den traumlosen Schlaf in einen bewuten Zustand zu verwandelnvermag. Auch die Welt, in die der Mensch dadurch eintreten lernt,zeigt sich ihm zunchst nur teilweise, dann immer mehr und mehr.Immer lnger und lnger lebt er in ihr, ist bewut in ihr und erlebtin ihr ein sehr Bedeutsames.

    Nun kann der Mensch zur Wahrnehmung der zweiten, der astra-len Welt nur kommen, wenn er durch die sogenannte Groe Stillehindurchgeht. Er mu still, ganz still in sich werden. Die groe Ruhemu vorausgehen dem Aufwachen in der astralen Welt. Und diesetiefste Stille wird immer grer und grer, wenn er anfngt, sichdem dritten Bewutseinszustande zu nhern, dem Zustand, wo er imtraumlosen Schlaf empfindet. Die Farben der Astralwelt werden im-mer durchsichtiger, das Licht immer klarer, gleichsam durchgeistigter.Der Mensch hat dann die Empfindung, als ob er selbst in dieser Farbe,

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  • in diesem Lichte lebe, als ob nicht sie ihn umgebe, sondern er selbstFarbe und Licht sei. Er fhlt sich selbst als astralisch innerhalb dieserastralischen Welt, wie schwimmend in groer, tiefer Ruhe. Dannbeginnt diese tiefe Stille nach und nach aufzutnen, es fngt an, leiseund immer lauter geistig zu klingen; wie durchzogen wird die Weltdes Lichtes und der Farben von klingenden Tnen. Dieser dritte Be-wutseinszustand, in den der Mensch nun nach und nach eintritt, be-steht darin, da die farbige Welt, in der er im Astralen lebte, durch-klungen wird. Und das ist Devachan, das ist die sogenannte mentaleWelt, die sich nun vor ihm auftut. Und hinein tritt er in diese wun-derbare Welt durch das Tor der Groen Stille; aus der Groen Stilleklingt der Ton von der anderen Welt zu ihm herber. So verhlt essich wirklich mit der devachanischen Welt.

    Manche theosophischen Bcher bringen andere Beschreibungen vonihr; doch beruhen diese nicht auf eigener Erfahrung der Wirklichkeitdieser Welt. Leadbeater zum Beispiel bringt eine zutreffende Beschrei-bung des Astralplanes und des Erlebens auf diesem, doch seine Be-schreibung des Devachanplans ist nicht zutreffend. Sie ist lediglicheine Konstruktion, zusammengestellt nach dem Muster des astralenPlanes, sie ist nicht von ihm selbst erlebt. Alle Beschreibungen, dieIhnen nicht schildern, wie von der anderen Seite der Ton herber-klingt, die sind nicht richtig, sind nicht aus der Anschauung heraus.Dem Devachanischen ist besonders eigen, da es eine tnende Welt ist,wenigstens im wesentlichen. Man darf sich selbstverstndlich nichtdenken, da die Devachanwelt nicht auch eine in Farben erstrahlendesei. Sie ist selbstverstndlich auch durchleuchtet von der astralen Welt,denn sie ist ja nicht getrennt von ihr, das Astralische durchdringt auchdas Devachanische. Doch das eigentlich Devachanische liegt im Tnen.Das, was das Licht in der Groen Stille war, fngt jetzt an zu tnen.

    Auf einem noch hheren Plan des Devachans wird aus dem Tonetwas Worthnliches. Von da kommt alle wirkliche Inspiration, undin diesem Gebiete bewegen sich die Autoren, die inspiriert waren. Sieerleben dort ein wirkliches Einklingen der Wahrheiten der hherenWelten. Dieses Phnomen ist durchaus mglich.

    Nun mssen wir uns vorstellen, da nicht nur der Eingeweihte in24

  • diesen Welten lebt. Der Unterschied ist nur, da der Eingeweihte inBewutheit diese verschiedenen modifizierten Zustnde durchlebt. Inihm ist nur ins Bewute umgendert, was der gewhnliche Menschwieder und wieder unbewut durchmacht. Denn auch der gewhnlicheMensch geht tatschlich durch diese drei Welten immer wieder hin-durch, nur wei er nichts davon, weil er sich seiner selbst und seinerErlebnisse dort nicht bewut wird. Doch bringt er sich trotzdem vonden Wirkungen, die dieses Erleben in ihm hervorruft, etwas mit. Wenner morgens aus dem Schlafe erwacht, bringt er mit sich nicht nur diekrperliche Erquickung durch den Schlaf, sondern er bringt mit sichaus jenen Welten auch die Kunst. Denn nichts anderes ist es, als ein,wenn auch unbewutes Sich-Erinnern an die Erlebnisse der astralenWelt, wenn zum Beispiel der Maler in seinen Farbentnen, Farben-harmonien, die er auf seine Leinwand hinsetzt, weit ber die Wirklich-keit der Farben der physischen Welt hinausgeht. Wo hat er diese Tne,diese schimmernden Farben gesehen, wo sie erlebt? Das sind die Nach-wirkungen der astralen Erlebnisse seiner Nchte. Nur dieses flutendeMeer von Licht und Farben, von einer Schnheit, einer strahlenden,schimmernden Tiefe, in dem er whrend seines Schlafes gelebt, gibtihm die Mglichkeit, jene Farben, in denen er gelebt, so wieder zuverwerten, wenn er auch in den schweren, erdigen Farben unsererphysischen Welt nicht annhernd das Ideal, das in ihm lebt, das er-lebt worden ist, wiedergeben kann.

    So sehen wir in der Malerei ein Schattenbild, einen Niederschlagder astralischen Welt auf die physische Welt, und wir sehen ihre Wir-kungen sich so groartig, so wunderbar im Menschen ausleben.

    In der groen Kunst gibt es wunderbare Dinge, die fr den Okkul-tisten ganz anders verstndlich sind, weil er ihren Ursprung durch-schaut. Ich denke da zum Beispiel an zwei Bilder von Leonardo daVinci, die im Louvre in Paris hngen. Das eine stellt den Bacchus, dasandere den Johannes dar. Beide Bilder zeigen dasselbe Gesicht; es istalso fr beide dasselbe Modell benutzt worden. Sie sind mithin nichtdurch ihre uere novellistische Wirkung so total voneinander verschie-den; die malerischen Lichtmysterien, die sie enthalten, beruhen vielmehrlediglich auf ihrer Farben- und Lichtwirkung. Das Bacchusbild zeigt

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  • ein eigentmliches, ins Rtliche schimmerndes Licht, das ber dieKrperflche ausgegossen ist. Es ist, als ob der Krper dies Licht insich eingesogen habe, es spricht von einer unter der Haut verborgenenppigkeit und kennzeichnet so die Bacchusnatur. Es ist, als ob er dasLicht aufsauge, und es mit dem Eigenen, eben jener ppigkeit durch-setzt, wieder von sich gebe. Das Johannes-Bild dagegen zeigt einekeusche, gelbliche Tnung. Es scheint, als ob die Farbe den Krpernur umspiele, ab ob derselbe das Licht nicht aufnehme, nur seineFormen von dem Licht umgeben lasse, aber nichts von auen in sichhineinnehmen wolle. Es ist eine vllig selbstlose Krperlichkeit, vlligrein, vllig keusch, die in diesem Bilde zum Beschauer spricht.

    Alles das versteht der Okkultist. Nur mu man nicht glauben, dasich ein Knstler immer verstandesmig klar ist ber das, was inseine Werke hineingeheimnit ist. Die Niederschlge seiner astralenVisionen brauchen nicht bis in das physische Bewutsein zu dringen,um in seinen Werken zu leben. Leonardo da Vinci hat die okkultenGesetze, nach denen er seine Bilder geschaffen, vielleicht nicht ge-kannt - darauf kommt es nicht an -, aber aus seinem instinktivenEmpfinden heraus hat er sie befolgt.

    So sehen wir in der Malerei den Schatten, den Niederschlag derastralischen Welt auf unsere physische Welt. Der Musiker hingegenzaubert eine noch hhere Welt, er zaubert die devachanische Welt indie physische hinein. Tatschlich sind die Melodien, die Harmonien,die zu uns aus den Werken unserer groen Meister sprechen, richtigeAbbilder der devachanischen Welt. Wenn irgendwo wir einen Schat-ten, einen Vorgeschmack der devachanischen Welt zu empfangen ver-mgen, so ist es in den Melodien und Harmonien der Musik, in ihrenWirkungen auf die menschliche Seele.

    Wir kehren noch einmal zur Wesenheit des Menschen zurck. Wirfinden da zunchst den physischen Leib, dann den therleib, dannden Astralleib, dann das Ich, das zuerst dem Menschen bewut wardam Ende der atlantischen Zeit.

    Wenn der Mensch schlft, lst sich der Astralleib und die Empfin-dungsseele von der niederen Wesenheit des Menschen los. Im Betteliegt der physische Mensch, verbunden mit seinem therleib. Alle

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  • seine anderen Teile lsen sich los und leben in der astralischen undder devachanischen Welt. Und in diesen Welten, und zwar in der De-vachanwelt, nimmt die Seele in sich auf die Welt der Tne. Der Menschist tatschlich beim Erwachen jeden Morgen durchgegangen durch einMusikalisches, durch ein Meer von Tnen. Und der Mensch, der seinephysische Natur so gegliedert hat, da sie diesen Eindrcken folgt -er braucht es nicht zu wissen -, der ist eine musikalische Natur. Dasmusikalische Wohlgefhl beruht in nichts anderem als in dem rich-tigen Zusammenstimmen der Harmonien, die er von drben gebracht,mit den Tnen und Melodien von hier. Entsprechen die Tne vonauen diesen Tnen des Inneren, so haben wir das musikalische Wohl-gefhl.

    Fr das Musikalische ist das Zusammenwirken von Empfindungs-seele und Empfindungsleib von besonderer Bedeutung. Man mu wis-sen, da das ganze Bewutsein entsteht aus einer Art berwindungder ueren Welt. Was dem Menschen als Lust, als Freude zum Be-wutsein kommt, bedeutet den Sieg des Geistigen ber das blo Kr-perlich-Lebendige, der Empfindungsseele ber den Empfindungsleib.Fr den aus dem Schlafe mit den inneren Schwingungen zurckkeh-renden Menschen gibt es eine Mglichkeit, die Tne strker zu stim-men und den Sieg der Empfindungsseele ber den Empfindungsleibwahrnehmen zu knnen, so da die Seele imstande ist, sich strkerzu fhlen als der Leib. Der Mensch kann immer bei der Wirkung vonMoll wahrnehmen, wie die Schwingungen des Empfindungsleibes str-ker sind, whrend bei der Dur-Tonart die Empfindungsseele strkerschwingt und den Empfindungsleib berwltigt. Sobald die kleine Terzeintritt, fhlt man den Schmerz der Seele, das berwiegen des Emp-findungsleibes; erklingt aber die groe Terz, so verkndet sie den Siegder Seele.

    Wir knnen jetzt auch begreifen, worauf die tiefe Bedeutung derMusik beruht, warum ihr von allen, die den Zusammenhang der in-neren Dinge kennen, von jeher die hchste Stelle unter den Knsteneingerumt wurde, warum ihr auch von Nichtwissenden eine beson-dere Stellung zugewiesen wurde, und warum sie in unserer Seele dietiefsten Saiten anrhrt und erklingen lt.

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  • Wenn der Mensch im Wechsel zwischen Schlafen und Wachen fort-whrend einen bergang von der physischen zur astralischen undvon dieser zur devachanischen Welt vollfhrt, sehen wir darin einAbbild seiner Inkarnationen. Wenn er im Tode seinen physischen Leibverlt, steigt er durch die astrale Welt hinauf zur devachanischen.Dort findet er seine eigentliche Heimat; dort ist seine Ruhesttte. Derfeierlichen Ruhezeit dort folgt sein Wiederhinabsteigen in die phy-sische Welt, und er vollfhrt so einen fortwhrenden bergang voneiner Welt zur anderen.

    Aber als sein Ureigenstes, weil Heimatlichstes, empfindet derMensch das, was der devachanischen Welt angehrt. Die Vibrationen,die diese durchfluten, werden durch sein tiefinnerstes Wesen gefhlt.Das Astrale und Physische empfindet er gewissermaen nur als Hlle.Im Devachanischen ist seine Urheimat, und die Nachklnge aus dieserHeimatwelt, der geistigen Welt, ertnen ihm in den Harmonien undMelodien der physischen Welt. Sie durchziehen diese niedere Weltmit den Ahnungen eines herrlichen, wunderbaren Daseins; sie durch-whlen sein tiefinnerstes Wesen und durchzittern es mit Schwingun-gen von reinster Freude, erhabenster Geistigkeit, die ihm diese Weltnicht geben kann. Die Malerei spricht zur astralen Leiblichkeit, dochdie Tonwelt spricht zum Innersten des Menschen. Und solange derMensch noch kein Eingeweihter ist, ist ihm zunchst die Devachan-welt, seine Heimatwelt, im Musikalischen gegeben. Daher die hoheSchtzung der Musik von allen, die solchen Zusammenhang ahnen.Auch Schopenhauer ahnt ihn in einer Art instinktiver Intuition, dieer in seinen philosophischen Formeln ausspricht.

    So wird uns die Welt, so werden uns vor allem die Knste begreif-lich, vermge des Okkultismus. Es ist oben alles wie unten und untenalles so wie oben. Wer im hheren Sinne diesen Ausspruch versteht,der lernt in den Dingen der Welt Wertvolles und wieder Wertvollereszu erkennen, und nach und nach in dem von ihm als wertvoll Erkann-ten den Abdruck immer hherer und hherer Welten zu empfinden;der empfindet auch im Musikalischen das Bild einer hheren Welt.

    Das Werk des Architekten, aus Stein gefgt, der den Jahrhundertenwidersteht, es ist aus ihm herausgesetzt, in Materie umgesetzt, und so

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  • auch die Werke der Bildhauerei und Malerei. Sie sind uerlich da,sie haben Form angenommen.

    Doch die Werke der Musik mssen sich immer wieder von neuemerzeugen. Sie fluten dahin im Wogen und Wallen ihrer Harmonienund Melodien, ein Abbild der Seele, die in ihren Inkarnationen sichauch immer wieder von neuem erleben mu im Dahinfluten der Zeiten.Wie die menschliche Seele ein Werdendes ist, so ist ihr Abbild hier aufErden ein Flieendes. Die tiefe Wirkung der Musik beruht auf dieserVerwandtschaft. Die menschliche Seele flutet abwrts aus ihrer Hei-mat, dem Devachan; sie flutet hinauf zu ihm, und ebenso ihre Schat-ten, die Tne, die Harmonien. Daher die intime Wirkung der Musikauf die Seele. Aus ihr spricht zur Seele die ureigenste Verwandtschaft,aus ihr klingen in sie hinein Heimatklnge im tiefinnersten Sinne. Ausihrer Urheimat, aus der geistigen Welt, aus der Heimatwelt, da tnenzu uns herber die Klnge der Musik und sprechen trstend und erhe-bend zu uns in den wogenden Melodien und Harmonien.

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  • DRITTER VORTRAGBerlin, 26. November 1906

    Um das Thema unseres heutigen Vortrages zu charakterisieren, wollenwir ausgehen von einer Tatsache, die wir bereits im vorigen Vortragerwhnt haben. Wir haben dargelegt, da in demselben Verhltnis, wiesein Schattenbild an der Wand zum Menschen steht, ebenso ein Schat-tenbild des Devachanlebens sich uns gibt im Musikalischen, berhauptim Tonleben auf dem physischen Plan. Wir haben erwhnt, da inder Familie Bach im Laufe von zweihundertfnfzig Jahren neunund-zwanzig Musiker von mehr oder weniger groer Begabung geborenworden sind, da also das musikalische Talent sich durch Generatio-nen vererbt hat, ebenso wie in der Familie Bernoulli das mathematischeTalent. Wir wollen heute diese Tatsachen vom okkulten Standpunktaus beleuchten, und wir werden von diesem Standpunkte aus mannig-faltige Antworten erhalten auf wichtige karmische Fragen. Etwas, dasmanchem als Frage auf der Seele liegt, ist dieses: Wie verhlt sich diephysische Vererbung zu dem, was wir durchgehendes Karma nennen?In der Familie Bach ist der Ururgrovater eine bestimmte Indivi-dualitt, die vor tausendfnfhundert oder tausendsechshundert Jahrenauf der Erde gelebt hat und einer anderen Form angehrte. Im Gro-vater ist eine andere Individualitt verkrpert gewesen. Gegen denGrovater ist der Vater wieder eine andere Individualitt; im Sohnverkrperte sich wieder eine andere Individualitt. Diese drei Indivi-dualitten haben mit der Vererbung des musikalischen Talentes un-mittelbar gar nichts zu tun. Rein innerhalb der physischen Vererbungist die bertragung des musikalischen Talentes. Diese Frage der phy-sischen Vererbung beantwortet sich oberflchlich, wenn wir uns klar-machen, da des Menschen Begabung fr die Musik abhngig ist voneiner Einrichtung des Ohres. Alle musikalische Begabung wrde nichtsbedeuten, wenn der Betreffende nicht ein musikalisches Ohr htte; dasOhr mu fr diese Begabung besonders eingerichtet sein. Und dieserein krperliche Grundlage fr das musikalische Talent ist es, die sichvererbt von Generation zu Generation. Wir haben so einen musika-

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  • lischen Sohn und Vater und Grovater, die alle musikalische Ohrenhatten. Wie sich die physischen Formen des Krpers, zum Beispiel dieder Nase, von einer Generation zur anderen vererben, so auch dieStrukturverhltnisse des Ohres.

    Nehmen wir an, wir htten es mit einer Reihe von Individualittenzu tun, die sich eben in der geistigen Welt befinden und die mit sichbringen aus der vorhergehenden Inkarnation die Anlage zur Musik,die sich nun auf dem physischen Plane ausleben will. Was wrde dieAnlage bedeuten, wenn die Individualitten sich nicht in Krpern in-karnieren knnten, die ein musikalisches Ohr haben? Es wrden danndiese Individualitten durch das Leben hindurchgehen, und diese F-higkeit mte stumm, unausgebildet bleiben. Es ist also selbstverstnd-lich, da diese Individualitten sich hingezogen fhlen werden zu ei-ner Familie mit musikalischem Ohr, mit einer krperlichen Anlage,die es der Individualitt ermglicht, sich auszuleben. Die Familieunten auf dem physischen Plane bt eine Anziehungskraft aus fr dieIndividualitt oben im Devachan. Vielleicht wrde die Individualittnoch zweihundert Jahre oder lnger im Devachan verbleiben; viel-leicht ist ihre Devachanzeit noch nicht ganz abgelaufen. Aber weilauf dem physischen Plan ein geeigneter physischer Leib ist, wird sichdie Individualitt jetzt verkrpern, wo sie noch htte zweihundertJahre im Devachan bleiben knnen, und sie wird vielleicht bei dernchsten Devachanzeit diese Zeit nachholen und dann um so viel ln-ger in der geistigen Welt verweilen. Solche Regeln liegen der Verkr-perung zugrunde. Sie hngt nicht allein davon ab, ob die Individuali-tt oben zur Verkrperung drngt, sondern auch davon, was fr eineAnziehungskraft von unten ausgebt wird. Als das deutsche Landeinen Bismarck ntig hatte, mute sich eine passende Individualittverkrpern, weil die Verhltnisse sie auf den physischen Plan herab-zogen.

    So kann die Zeit oben in der geistigen Welt verkrzt oder ver-lngert werden, je nach den Verhltnissen, die unten auf der Erdesind, und die zur Wiederverkrperung drngen oder nicht.

    Wir mssen uns nun klarmachen, wie dieser Mensch gegliedert istund wollen daher intimer auf die Natur des Menschen eingehen. Einen

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  • physischen, einen ther- und einen Astralleib hat der Mensch. Derphysische Leib ist ihm gemeinsam mit allen Wesen, die man leblosenennt, der therleib gemeinsam mit allen Pflanzen. Dann kommt derAstralleib, der ist schon an sich eine sehr komplizierte Wesenheit; danndas Ich.

    Wenn wir uns den Astralleib genauer ansehen, haben wir zuerstden sogenannten Empfindungsleib. Diesen hat der Mensch gemein-schaftlich mit der ganzen Tierwelt, so da alle hheren Tiere ebensowie der Mensch einen physischen Leib, einen therleib und einen Emp-findungsleib hier unten auf dem physischen Plan besitzen.

    Dagegen hat der Mensch hier unten eine individuelle Seele, dasTier aber eine Gruppenseele. Viele Tiere haben zusammen eine Grup-penseele, so da wir, wenn wir die Seele der Tiere betrachten wollen,hinaufsteigen mssen auf den astralen Plan. Beim Menschen aber istdie Seele hier unten auf dem physischen Plane. Beim Menschen ist derEmpfindungsleib nur ein Teil des astralischen Leibes. Der vierte Teildes Menschen, das Ich, ist dasjenige, was von innen heraus arbeitet.

    Versetzen wir uns nun einen lngeren Zeitraum zurck, in die le-murische Zeit. Es ist damals ein ganz Bedeutsames eingetreten. JeneVorfahren, die vor Millionen und Millionen von Jahren auf der Erdeihr Dasein hatten, waren ganz anders als die Menschen jetzt. Es gabdamals auf dem physischen Erdenplan eine Art hherer Tiere, Tiere,von denen heute nichts mehr auf der Erde vorhanden ist, die lngstausgestorben sind. Sie waren ganz eigenartig gestaltet. Das, was heutehier die hheren Tiere sind, sind Nachkommen dieser ganz anders ge-stalteten Wesen, aber verkommene Nachkommen. Diese Wesen sinddie Vorfahren der heutigen physischen Menschennatur. Sie hatten nureinen physischen Leib, einen therleib und einen Empfindungsleib.Und damals verband sich nach und nach das Ich mit diesen Wesen;es senkte sich von der hheren Welt herab. Die Tierheit also wuchsder Seele des Menschen entgegen, die Seele begab sich von oben her-unter. Von unten herauf entwickelte sich die Tierheit, von oben senktesich die Seele herab.

    Wie eine Wirbelwolke von Staub unten auf der Erde aufwirbeltund von oben eine Wasserwolke ihr entgegenkommt, so verbanden

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  • sich Tierleib und Menschenseele. Der Empfindungsleib des unten aufder Erde lebenden Tieres, jenes Vorfahren des Menschen, hatte sichso weit entwickelt, da er das Ich aufnehmen konnte.

    Dieses Ich bestand nun auch aus Gliedern, und zwar aus Empfin-dungsseele, Verstandesseele und Bewutseinsseele. Dieser fr die ue-ren Sinne unwahrnehmbare Leib, der Ich-Leib, sank herab. Hinaufentwickelte sich ihm entgegen ein physischer, ein therleib und einEmpfindungsleib.

    Htte es eine Million Jahre frher auch Wesen gegeben, die denphysischen Leib, den therleib und den Empfindungsleib besaen, siehtten diese oben schwebenden Iche fhlen knnen. Aber sie httensagen mssen, eine Verbindung ist unmglich, denn diese oben schwe-benden Empfindungsseelen sind noch so fein geistig, da sie sich mitdem groben Leibe nicht vereinigen knnen. Nun aber hat sich dieSeele oben vergrbert, der Empfindungsleib unten verfeinert. Es istjetzt eine Verwandtschaft dadurch zwischen beiden eingetreten, undnun senkt sich die Seele herab. Tatschlich, wie der Sbel in einerScheide steckt, so steckt die Empfindungsseele im Empfindungsleibe.In diesem Sinne ist das Wort der Bibel zu verstehen: Gott blies demMenschen den Odem ein, und er ward eine lebendige Seele.

    Wenn man aber dieses Wort ganz verstehen will, mu man sichklar sein ber die verschiedenen Stoffgattungen, die es auf der Erdegibt. Wir haben da zuerst das Feste. Okkult wird das Erde genannt.Doch was der Okkultist damit bezeichnet, ist nicht Ackererde, sondernder Zustand des Festen berhaupt. Alle festen Bestandteile des physi-schen Krpers werden auch Erde genannt, zum Beispiel die Knochen,die Muskeln und so weiter. Dann kommt zweitens das Flssige; okkultnennt man das Wasser. Wasser wird alles genannt, was flssig ist,zum Beispiel auch das Blut. Drittens haben wir den luftfrmigen Zu-stand, okkult Luft genannt.

    Dann geht der Okkultist zu hheren, feineren Krpern hinauf; berdie Luft steigt er zu feineren Zustnden hinauf. Wollen wir uns dasklarmachen, dann mssen wir zum Beispiel irgendein Erz, sagen wir dasBlei, betrachten. Das ist okkult Erde. Wird es stark erhitzt, also ge-schmolzen, dann wird es okkult zu Wasser; verdunstet es jetzt, so wird

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  • es im okkulten Sinne Luft. Luft ist das, was zuletzt auf diese Art ausjedem Krper entstehen kann. Dehnt sich die Luft immer weiter aus,wird sie immer feiner, dann tritt ein neuer Zustand ein. Den nenntder Okkultist Feuer. Das ist der erste therzustand. Feuer ist, wassich zu Luft verhlt wie Wasser zum Festen. Was noch feiner ist alsFeuer, nennt der Okkultist Lichtther. Noch hher hinauf kommenwir zu demjenigen, was im Okkultismus Chemischer ther genanntwird. Die Kraft, die bewirkt, da zum Beispiel der Sauerstoff an Was-serstoff sich ketten kann, ist der Chemische ther. Noch feiner als derChemische ther ist der Lebensther.

    Wir haben so sieben verschiedene Zustnde im Okkultismus. Dain irgendeiner Substanz Leben ist, ist zurckzufhren auf den Lebens-ther. Das, was im physischen Leibe lebt, besteht aus Erde, Wasserund Luft, in okkulter Sprache. Das was im therleibe lebt, besteht ausFeuer, Lichtther, Chemischem ther und Lebensther. Wir haben sozu gleicher Zeit den physischen und den therleib geeint und getrennt.Der ganze therleib durchdringt den physischen Leib; ebenso durch-dringt der Astralleib den therleib. Das Astrale kann gerade bis zumFeuer heruntersteigen, es kann nicht mehr durchsetzen Wasser, Erde,Luft. Das Physische dagegen kann nur bis zum Feuer hinauf. Machenwir uns klar, wie das Physische bis zum Feuer hinaufgeht im Dampf,also okkult Luft. Im Dampf spren wir das auseinandertreibendeFeuer. Das Physische geht hinauf zum Feuer, das Astrale hinunter biszum Feuer, in der Mitte steht der therleib.

    In der lemurischen Zeit nun, zu einem Zeitpunkt, lange ehe sichdie sieben Glieder des Menschen vereinigt hatten, haben wir Wesen,die unten waren und die noch nicht den physischen Leib bis zum Feuerhinauf gebracht hatten. Sie waren noch nicht imstande, warmes Blutzu entwickeln. Und erst ein physischer Leib, der imstande ist, warmesBlut zu entwickeln, kettet an sich die Seele. Sobald jene Wesen so weitwaren, da sie sich zum Feuerther hinanentwickelt hatten, war dieIch-Seele bereit, sich mit dem physischen Leibe zu verbinden. Allejene Tiere, die als die Nachzgler zurckgeblieben sind, die Amphibien,haben wechselwarmes Blut.

    Wir mssen diesen Zeitpunkt in der lemurischen Zeit festhalten. Es34

  • war das ein Moment von hchster Wichtigkeit, als das Wesen, welchesaus physischem Leib, therleib und Empfindungsleib bestand, durchdas warme Blut befruchtet werden konnte mit der Menschenseele.

    Nun geht die weitere Entwickelung von der lemurischen Zeit zuratlantischen ber. Innerhalb der lemurischen Zeit war es nur dasElement der Wrme, in dem sich Seele und Leib berhrten. Zu An-fang der atlantischen Zeit trat etwas Neues ein. Das seelische Elementdrang nun tiefer in den physischen Leib ein, und zwar bis zur Lufthinunter. In der lemurischen Zeit war es nur bis zum Feuer gekommen;jetzt konnte es bis zur Luft vordringen. Dies ist fr die Menschenent-wickelung sehr wichtig, denn es ist der Beginn fr die Fhigkeit, imElemente der Luft leben zu knnen. Ebenso wie es in der lemurischenZeit zuerst nur Kaltblter gegeben hat, so gab es bis hierhin nurstumme, tonlose Geschpfe. Sie muten sich der Luft bemchtigen,bevor sie tnen konnten. Die ersten, elementarsten Anfnge des Sin-gens und Sprechens finden jetzt statt.

    Die nchste Stufe wird es mit sich bringen, da die Seele hinunter-steigt ins Flssige. Dann kann sie bewut zum Beispiel das Blut in denAdern leiten. Diese Stufe der Entwickelung steht uns in einer nochfernen Zeit bevor.

    Man knnte einwerfen, da das kaltbltige Insekt auch tnt; dochist dies nicht der Fall in dem Sinne, wie hier vom Tnen der Seelevon innen nach auen die Rede ist. Die Tne, die das Insekt hervor-bringt, sind physikalischer Natur. Das Zirpen der Grille, das Schwir-ren der Flgel sind uerliche Tne, es ist nicht die Seele, die tnt.Es handelt sich fr uns um den tnenden Ausdruck der Seele.

    Der Mensch war zu dem eben beschriebenen Zeitpunkt imstande,die Seele tnend nach auen zu ergieen. Er konnte jetzt von innenheraus dasselbe schicken, was von auen zu ihm hineingeht. Den Tonempfngt der Mensch von auen durch das Ohr und gibt ihn als sol-chen der Umwelt zurck. Das Ohr ist als solches eines der ltestenOrgane und der Kehlkopf eines der jngsten. Ohr und Kehlkopf ste-hen ganz anders zueinander als alle anderen Organe. Das Ohr schwingtselber mit, es ist wie eine Art Klavier. In ihm sind eine Anzahl Fser-chen, von denen jedes auf einen gewissen Ton stimmt. Es verndert

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  • das, was drauen vorgeht, was zu ihm von auen hereinkommt, nichtoder doch nur sehr wenig. Alle anderen Sinnesorgane, zum Beispieldas Auge, verndern die Eindrcke der Umwelt. Und alle anderenSinne mssen sich zu der Stufe des Ohres erst in der Zukunft entwickeln,denn wir haben im Ohr ein physisches Organ, das auf der hchstenStufe der Entwickelung steht.

    Das Ohr steht im Zusammenhang mit einem Sinn, der noch lterist. Das ist der Sinn fr die Raumorientierung, das heit fr die F-higkeit, die drei Richtungen des Raumes zu spren. Der Mensch hatnicht mehr das Bewutsein, da dieser Sinn in ihm steckt. Dieser Sinnsteht in inniger Verbindung mit dem Ohr. Wir finden tief im Innerendes Ohres merkwrdige Bgen, drei halbzirkelfrmige Kanle, diesenkrecht aufeinander stehen. Die Wissenschaft wei nichts mit ihnenanzufangen. Doch wenn diese verletzt sind, hrt bei den Menschendas Orientierungsvermgen auf. Dies sind berbleibsel des Raum-sinnes, der viel lter ist als der Gehrsinn. Frher nahm der Menschden Raum so wahr, wie heute den Ton. Jetzt ist der Raumsinn ganzin ihn bergegangen und unbewut geworden. Der Raumsinn nahmden Raum wahr, das Ohr nimmt den Ton wahr, das heit das, wasbergeht vom Raum in die Zeit.

    Man wird jetzt verstehen, da eine gewisse Verwandtschaft be-stehen kann in bezug auf den musikalischen und den mathematischenSinn. Der letztere ist gebunden an diese drei Halbbgen. Die musi-kalische Familie zeigt als Merkmal das musikalische Ohr, die mathe-matische Familie eine besondere Ausbildung der drei Halbbgen imOhr, an die das Raumtalent gebunden ist. Und diese waren bei derFamilie Bernoulli besonders ausgebildet und vererbten sich von einemMitglied zum anderen wie das musikalische Ohr in der Familie Bach.Und die zur Verkrperung herabsteigenden Individualitten mutensich, um ihre Anlagen ausleben zu knnen, die Familie suchen, wo dieseErbschaft bestand.

    Dies sind die intimen Zusammenhnge zwischen physischer Ver-erbung und der Seele, die nach Hunderten und aber Hunderten vonJahren sich aufsuchen, und wir sehen, wie in dieser Weise das ueredes Menschen mit seinem Inneren zusammenhngt.

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  • VIERTER VORTRAGLeipzig, 10. November 1906

    Man kann ber Musik in verschiedenen Richtungen sprechen, wir be-treten damit ein weites Gebiet. Heute will ich mich darauf beschrn-ken, zu sagen, welche Rolle die Musik in der menschlichen Entwicke-lung spielt, vom geistigen Standpunkt aus, welche Stellung sie in derWelt einnimmt und wo sie ihren Ursprung hat.

    Es gibt die mannigfaltigsten Anschauungen ber Musik, und manchehaben eine ganz bestimmte Bedeutung. So sieht Schopenhauer in denKnsten etwas, wodurch der Mensch von dem Vergnglichen zu demEwigen gefhrt wird. Urbilder verwirklichen sich nach seiner An-schauung in den Knsten, aber die Musik sagt dem Menschen etwasganz Besonderes. Schopenhauer sah in der Welt zweierlei: Vorstellungund Wille. Den Willen bezeichnete er als das Ding an sich, die Vor-stellung als Spiegelung des Willens. Der Mensch kann nicht den Willenwahrnehmen, nur das Bild dahinter. Aber Bilder sind nicht gleich-wertig. Manche sagen viel, manche wenig. Als Ideen bezeichnete er sie,und aus diesen heraus schafft der Knstler. Wenn wir die Menschenbetrachten, so knnen wir sie hlich, schn, abstoend, anziehendfinden. Ein Genie bildet nicht einen Menschen ab. Der geniale Knst-ler greift viele Eigenschaften heraus und schafft daraus ein Bild, einIdeal. Der Knstler dringt bis zu den Ideen und schafft damit seineBilder, und die sind dann besonders charakteristisch. Dies gilt fralle Knste, aber nicht fr die Musik. In derselben sieht Schopenhauerkeine Ideen, sondern das Ding an sich zu uns sprechen. Der Ton, dergeformte Ton ist keine Vorstellung fr ihn, sondern der Ausdruck desDinges an sich. Das direkte Sprechen ist das musikalische Sprechen.Es ist fr Schopenhauer, als wenn in intimster Weise das Hchste zuseiner Seele spreche.

    Schopenhauers Ansicht hat Richard Wagner beeinflut. WagnersSeele suchte in ihrer Art den Sinn des Weltenrtsels zu erkunden.Groe Genies suchen nicht Begriffe, sie suchen den Ort, wo sie richtighinhorchen knnen, um zu hren, wie die Gtter zu ihnen sprechen.

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  • Richard Wagner war einverstanden mit Goethe, welcher die Knsteals Fortsetzung der Natur ansah. In unserer materialistischen Zeit siehtman anders. Goethe sieht in und zwischen den Dingen, was die Naturzum Ausdruck zu bringen bestrebt ist. Goethe schrieb aus Italien: Wieich so stehe vor den Kunstwerken, in denen die groe Kunst lebt, dasehe ich, da etwas wie Gott aus denselben spricht. - Und 1805 schreibter in seinem Buch ber Winckelmann: Wenn die Natur alle ihre Krftevereinigt, Ordnung, Ma und Harmonie, dann erst bekommen wirdas Gefhl fr die Kunst. - Ein anderes Mal sagt er: Die Dinge in derNatur sind wie nicht ganz fertig, als ob noch ein Geheimnis dahinterwre. In der groen Natur sind die Absichten der Natur das Bewun-derungswerte. Dieses soll der Knstler schaffen.

    So fhlte auch Richard Wagner im groen. Er wollte vordringen zuden Urbildern der Dinge. Die Absicht sollte ber die Bhne schreiten,und darum brauchte er auch eine andere Sprache fr diese bermensch-lichen Gestalten. Daher greift er zur Musik, das zum Ausdruck zubringen.

    Was liegt nun Schopenhauers Ansicht zugrunde und machte Ein-druck auf Richard Wagner? Um zu begreifen, was in diesen Menschenlebte, mssen wir versuchen, tief in das Weltwesen einzudringen, dennSchopenhauer war nur Philosoph, kein Okkultist. Wir mssen denGrundsatz des groen Hermes Trismegistos zu verstehen suchen: Esist oben alles so wie unten. - Solch ein tief Eingeweihter erkannte ber-all den physiognomischen Ausdruck des geistigen Wesens. Hinter derPhysiognomie, hinter der Geste liegt die Seele, die man durchleuchtensieht. Alles, was in der Seele ist, ist im Leib. Hermes sah in der Seeledas Oben, in dem Leib das Unten. Die Natur ist nur die Physiognomiedes Geistes. Er sah in der Musik knstlerisch geformten Ton.

    Plastische Kunst beurteilt man nach der hnlichkeit mit dem Vor-bild, Malerei ebenso. Die Helden, die ber die Bhne schreiten, habenihre Vorbilder. Von der Musik kann man das nicht sagen. Das Rau-schen des Wasserfalls, das Zwitschern der Vgel kann man nicht na-turgetreu wiedergeben.

    Schelling und Schlegel, auch andere, hatten die Anschauung: Archi-tektur, Baukunst sei erstarrte Musik. Wenn die Gebilde flieend ge-

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  • macht werden knnten, wrden sie hnlich wie Musik wirken. Siehtten keine hnlichkeit mit dem Vorbild. Alle Kunst geht ber etwashinaus. Ein Unterschied aber besteht: Die Musik spricht in viel elemen-tarerer und unmittelbarerer Weise zu den Menschen. Sie ergreift denMenschen und reit ihn mit sich fort, ob er will oder nicht. Bei ande-ren Knsten lt sich die Aufmerksamkeit abwenden, bei der Musikist das nicht so leicht.

    Was aber sind die Vorbilder der Musik in der geistigen Welt? Hiermssen wir wieder uns mit der menschlichen Entwickelung beschf-tigen, im okkulten Sinne. Wie das geschieht, deutete ich schon frheran, ausfhren kann ich es heute nicht. So fragen wir gleich: Was sinddie Errungenschaften desjenigen, der sich in die hheren Welten er-hebt? Er dringt in die astralische Welt ein. Wenn er anfngt, die astra-lische Welt zu sehen und steht vor einer Pflanze, sieht sich diese an,ohne sich im einzelnen mit ihr zu beschftigen; wenn er klar ist, daseine physischen Organe nicht mehr beteiligt sind, dann sieht er, wiesich eine Flamme bildet, die sich loslst und sich ber die Pflanze er-hebt. So kann der Mensch in der astralischen Welt sehen, wie von denDingen eine Eigenschaft sich abhebt. Der fortgeschrittene, aufmerk-same Schler merkt im Schlaf, da er in einer ganz merkwrdigenTraumwelt aufwacht. Farben fluten durcheinander und aus diesemFarbenmeer hebt sich der Mensch heraus.

    Unter Anleitung des Lehrers sieht er Formen sich herausbilden, dienicht aus dieser Welt stammen. Spter nimmt er diese Farbengebildein der Wirklichkeit neben den anderen Dingen wahr. Fr solche Men-schen ist ein Teil der Nacht etwas ganz anderes geworden. Es ist einZwischenzustand zwischen Wachen und Traum. Ein Traum, aus demsich hhere Wahrheiten offenbaren. Das ist die astralische Welt.

    Nun gibt es noch Hheres. Es tritt innerhalb dieser Farbengebildeetwas Besonderes auf. Aus dem Farbengebilde spricht der Ton, einDurchtnen nimmt man wahr. In diesem Moment hat der Mensch dasDevachan betreten, er befindet sich in der eigentlich geistigen Welt.Das ist der reale Hintergrund der beiden hheren Welten, die die Men-schen betreten. Ist er in der Astralwelt, hrt er nicht die Geruschedieser Welt. Hier ist eine groe Stille, alles spricht da durch Farbe

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  • und Licht. Und dann erklingt leise und lauter und immer lauter einetnende Welt aus dieser Farbenwelt. Ist der Mensch dort, dann erlebter den Geist der Welt. Da lernt er verstehen, was groe Geister mei-nen, wenn sie wie Pythagoras von Sphrenmusik sprechen. Die Sph-renmusik der kreisenden Sonnen hat man sinnbildlich deuten wollen,sie ist aber so nicht zu deuten. Die durch den Weltenraum tnendeSonne ist eine tnende Wirklichkeit.

    Ein okkultes Bild ist: Die Sonne um Mitternacht sehen. In demAugenblick, wo der Chela oder Schler hellsehend wird, sieht er durchdie Erde durch, sieht er die Sonne. Aber noch grer ist es, wenn er dieSonne tnen hrt. Goethes Worte im Prolog zum Faust sind keinePhrase: Die Sonne tnt nach alter Weise. Die Posaunen, die Johannesin der Offenbarung erwhnt, kennt der Okkultist als eine Wirklichkeit.

    In theosophischen Schriften kommen Irrtmer vor. Leadbeater zumBeispiel schildert den Astralplan richtig geschaut, aber seine Beschrei-bung des Devachanplanes ist seine Erfindung. Allerdings beschreibter diesen feiner als den Astralplan, aber sonst nicht richtig.

    Hinter unserer sinnlichen und astralischen Welt haben wir eineWelt des Tones, die devachanische Welt. Alle Ihre Organe sind ausder geistigen Welt heraus geschaffen. Niemals htte es ein Herz, eineMilz gegeben, wenn wir nicht einen therleib htten. Denken Sie sichein Gef mit Wasser: Sie erregen einen Wirbel darin, und knntenSie diesen schnell festhalten, so wrden Sie ein Gebilde erhalten. Ausdem Astralorganismus entstanden Leber und Gehirn. Hier finden Siewieder das Oben und Unten. Scheinbar entfernt liegende Dinge hn-gen ganz merkwrdig zusammen. Ein Beispiel: Das Herz ist ein un-willkrlicher Muskel, und wir glauben physikalisch, da das Herzdas Treibende sei. Andere Muskeln, zum Beispiel die der Hand, unter-liegen dem Willen. Da das Herz der treibende Motor des Blutes sei,hat der Okkultist nie behauptet. Er sieht in der Blutbewegung die Ur-sache der Herzbewegung. Er sieht das Herz als ein Organ an, welcheserst in der Zukunft seine Vervollkommnung erlebt. In Zukunft wirddie Blutbewegung in der Willkr des Menschen liegen. Deshalb schautder Herzmuskel so aus und entspricht der Bau des Herzens dem deswillkrlichen Muskels. Erst spter wird der Mensch wie einen Hand-

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  • muskel willkrlich sein Herz in Ttigkeit setzen. Das Herz ist aufeinem besonderen Wege der Entwickelung, das hat schon Hegel ein-mal angedeutet.

    Dies alles hngt mit der menschlichen Entwickelung zusammen.Nehmen Sie an die drei Grundteile und das Ich. Zunchst arbeitet derMensch unbewut in seinen Astral-, ther- und physischen Leib hin-ein und gliedert ihnen etwas von Manas, Buddhi und Atma an. Nungibt es aber auerdem etwas Bewutes. Der therleib besteht aus zweiTeilen, aus dem einen, den er mitgebracht hat, und dem, den das Ichhineingearbeitet hat, als der Mensch noch auf der Tierstufe, Fischstufewar. Das Herz ist gestaltet durch die Umgestaltung des therleibes.Alles auf dieser Welt ist wie der Siegelabdruck des Geistigen. So auchist es mit jeder Kulturerscheinung. Das, was der Mensch alles geistigum sich hat, kann er nicht wahrnehmen, aber etwas von diesem Siegel-abdruck der astralischen Welt erlebt ein Knstler. Ich will Ihnen einBeispiel nennen, wie eine spirituelle Wahrheit auf die Leinwand ge-zaubert werden kann. Von Leonardo da Vinci hngen zwei Bilder imLouvre in Paris. Sie stellen dar Johannes den Tufer und Dionysos-Bacchus. Bei beiden scheint dasselbe Modell gedient zu haben. DerBacchus zeigt einen eigentmlich rtlich-blulichen Ton des mensch-lichen Leibes, whrend vom Johannes-Leib ein gelb-goldiger Ton ent-gegenzudringen scheint. Der Maler hat das so geschaut. Der Dionysosscheint das Licht einzusaugen und schickt es mit seiner eigenen Frbungzurck. An Johannes tritt auch das Licht heran, es wird aber von sei-nem Leib zurckgeworfen, keusch drngt er es zurck, es durchmischtsich nicht mit dem Leibe, es bleibt in seiner therischen Reinheit. Dashat der Maler nur geahnt.

    Der Maler malt astralische Farben. Beim Musiker aber, da tntdie devachanische Welt in unsere irdische herein. Musik ist der Aus-druck des Tones im Devachan. In den Harmonien der Sphren schrei-tet in der Tat ein devachanischer Geist. Nur ist dort kein sinnlichtnender Ton, dort ist das Urbild. Im therleib des Menschen ist dasAbbild des devachanischen Tones. Dieser therleib, den der Menschso in sich selbst ausgebildet hat, ist durchsetzt mit den Schwingungender devachanischen Welt.

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  • Denken Sie einmal, da dieser umgestaltete therleib des Menscheneingebettet ist in den niederen Leib. Und dieser neue therleib schwingtund schwingt, es entsteht das Gefhl des Sieges des hheren ber denunteren therleib. Wenn das Gefhl des Sieges des hheren ther-leibes ber den niederen entsteht, ertnt Dur-Tonart. Wenn der h-here therleib nicht Herr ber den ungeluterten werden kann, wirddas Gefhl hervorgerufen, wie wenn von auen Moll-Tonart ertnt.Der Mensch wird sich durch die Dur-Tonart seiner Gefhlsherrschaftbewut. Fhlt er, wie die hohe Schwingung nicht durchdringen kann,so sprt er Moll-Tonart. Wenn dieses musikalische Element sich in diekosmische Welt einreihen will, da ist der Augenblick, wo sich dasBuddhi-Element regt, und da erst kann der Mensch die knstlerischenTne in Harmonien formen. Ein Ansatz zu neuer Entwickelung liegtin der Musik. Es ist fr die anderen Knste ein nicht ganz Erreichtes.In der Musik liegt etwas Prophetisches fr die Zukunftsentwickelung.Der neue therleib kommt durch Musik in Schwingung, und nun fngtauch der uere therleib an zu schwingen.

    Bei Mozarts, namentlich aber bei Rossinis Werken setzen sich auchdie Schwingungen im alten therleib fort, aber in ganz geringem Mae.Wrden Sie aber die Zuhrer des Lohengrin beobachten knnen, sowrden Sie sehen, wie die Wirkung noch eine ganz andere ist. Wagner-sche Musik erregt den Buddhi-Leib so stark, da die direkte Wirkungauf den therleib da ist. So wird durch Wagnersche Musik eine nde-rung des Temperamentes und der Neigungen im therleib erzielt, unddamit knnen Sie ahnen, was Wagner ahnte, und was auch zum Aus-druck kam in seinen Schriften ber Musik. Der Okkultist sagt: Wennder Mensch eine Entwickelung durchmacht und Sphrenmusik hrt,so hrt er himmlische Musik. Aber der Alltagsmensch kann nicht bisdahin durchdringen. So hat der Mensch die Aufgabe, die hhere Welteinzusiegeln in die physische Welt. In dem, was der Mensch hervor-bringt, schafft er einen Abdruck der geistigen Welt. Das haben Schopen-hauer und Wagner gesprt, und daher haben sie der Musik eine sowichtige Rolle zugeschrieben.

    Fr die Geisteswissenschaft ist die Zeit gekommen, den Menschenzu helfen, nicht mehr traumhaft, sondern bewut zum Schaffen zu

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  • kommen. Ich wollte Ihnen deutlich zu machen suchen, warum dieMusik so elementar wirkt: Im Devachan sind wir heimisch, da lebtetwas Ewiges, und wenn dem Menschen hier unten etwas gegebenwird aus der Urheimat, da ist es kein Wunder, da er ergriffen wird.Und deshalb ist der Einflu der Musik so gro, selbst auf den ein-fachsten Menschen, der nichts ahnt von dem, was in den Tnen derMusik zu ihm spricht: Ich bin du, und du bist von meiner Art.

    Fragebeantwortung (die gestellte Frage ist nicht erhalten)

    Es wird durch die Kunst das Bett geschaffen fr den astralischen unddevachanischen Einflu. Das Eigenartige ist bei Wagner, da seineMusik eine enorme Wirkung auf den therleib ausbt. Selbst unmusi-kalische Menschen spren das. Die Musik wirkt durch den Umwegber den therleib auf den Astralleib. Bach war viel abstrakter, erhatte nicht das Unmittelbare von Wagner. Der groe Musiker, jederMusiker hat sich seine Begabung in frheren Inkarnationen erworben.Nun mu man aber in Betracht ziehen, da, wenn auch in musikali-scher Beziehung einer fortgeschritten ist, er in anderen Dingen es nochnicht zu sein braucht, zum Beispiel in moralischer Beziehung. DerMensch ist ja so mannigfaltig. Man mu ihn beurteilen nach dem, waser hat, und nicht nach dem, was er nicht hat. Das ist mir so oft beimeinen Goethe-Vortrgen aufgefallen, wie die Menschen so gern dasNegative statt das Positive aufsuchen, das, was der Mensch nicht hat,statt dessen, was er hat. Ich bin wohl hundertmal gefragt worden, wasan dem Verhltnis mit Frau von Stein gewesen sei und anderem. Ichkonnte nur immer sagen: Aus dem Verhltnis entstand so viel Groes,da das mich allein beschftigte. - Es kommt mir so vor, als wenn einSammler edle Steine zwischen den Kieselsteinen sucht. Er greift ebennur nach den edlen, die anderen lt er auer acht.

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  • Fragenbeantwortungenund Schluworte

  • FRAGENBEANTWORTUNGDornach, 29. September 1920

    anschlieend an die Aussprache nach drei Vortrgenvon Paul Baumann

    ber die Erweiterung des Tonsystems

    Es ist eigentlich nur mglich, ein paar Andeutungen zu geben, dennallein ber die von Herrn Stuten gestellten Fragen lieen sich ja wo-chenlange Unterredungen anstellen, wenn man sie erschpfend beant-worten wollte. Und wir werden ja sehen, wie weit wir heute kommen.Ich mchte zunchst von einem Thema ausgehen, damit wir vielleichtgewissermaen von einem Zentrum aus dann weitergehen knnen. Esist gesprochen worden von der Erweiterung des Tonsystems, nichtwahr, und verschiedene Redner haben sich, wie ich glaube, fr dieseErweiterung des Tonsystems interessiert; es waren wohl auch direktMusiker, Komponisten unter ihnen.

    Nun, die ganze Frage hngt, wie ich ja glaube, zusammen mit eineranderen, die vielleicht nicht so leicht zu fassen ist, wie man gewhn-lich meint. Und da mchte ich zunchst sagen: Ich wollte selber eineArt von Frage zunchst an diejenigen Persnlichkeiten richten, welchesich beteiligt haben gerade an dieser Diskussion ber die Erweiterungdes Tonsystems. Ich werde nur ein paar Vorbemerkungen machen unddann Sie bitten, sich ganz nach Ihrem subjektiven Erleben auszu-drcken.

    Es ist wohl kaum zweifelhaft, da mit dem Zeitpunkt, den heuteHerr Baumann in einer ausgezeichneten Art charakterisiert hat durchdas Heraufkommen der Septimen, eigentlich im musikalischen Erlebender zivilisierten Menschheit ein sehr groer Umschwung eingetretenist. Ich glaube, da man nur das frhere Musik-Erleben heute nochnicht genug kennt; das heit, theoretisch schon, aber man hat es nichtmehr so im Erleben, da man diesen Umschwung vollstndig klar undda man ihn intensiv genug empfnde. Aber das, was da heraufge-

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  • kommen ist, ist eigentlich bis jetzt noch nicht abgelaufen, und viel-leicht stehen wir mitten drinnen in einer Umwandlung, wenn ich sosagen darf, des musikalischen Bedrfnisses der Menschen. Natrlichvollziehen sich solche Dinge nicht so rasch, da sie in deutliche Defi-nitionen zu bringen sind; aber sie vollziehen sich eben doch, und sielassen sich in einer gewissen Weise in der fortschreitenden Entwicke-lung der Menschheit abfangen.

    Und da mchte ich fragen, ob die einzelnen der vorhergehendenUnterredner, wenn sie sich besinnen auf das, was sie musikalisch er-leben, nicht auf so etwas hinweisen knnen, was eine Art Umschwungin dem ganzen musikalischen Erleben berhaupt bedeutet. Konkreterformuliert die Frage: Ich mchte meinen, da man sich heute im mu-sikalischen Erleben eine Ansicht darber bilden knnte, wie verschie-dene Menschen - ich will jetzt mehr vom Musikalischen zunchst ab-sehen - einen einzelnen Ton verschieden erleben. Nun, da sie ihn ver-schieden erleben, das ist ja ganz zweifellos; aber ihn so verschiedenerleben, da dieses verschiedene Erleben in irgendeiner Weise in ihrMusikverstndnis hineinspielt.

    Man kann nmlich, glaube ich, deutlich wahrnehmen, da heutedie Tendenz besteht, gerade bei dem musikalisch erlebenden Menschen,gewissermaen in den Ton tiefer hineinzugehen. Nicht wahr, mankann bei einem Ton mehr an der Oberflche bleiben, oder tiefer inden Ton hineingehen.

    Und da frage ich nun die Persnlichkeiten, die frher mitdisku-tiert haben, ob sie irgendeine Vorstellung damit verbinden knnen,wenn ich sage: Das musikalische Erleben der Gegenwart geht immermehr und mehr dahin, den einzelnen Ton zu spalten in der Auffassung,und den einzelnen Ton gewissermaen zu befragen, inwiefern er selbstschon eine Melodie ist, oder nicht eine Melodie ist? Ich meine, ob da-mit irgendeine Vorstellung verbunden werden kann? Denn es lt sicheigentlich ber die Frage der Erweiterung des Tonsystems kaum reden,ohne da man einen Untergrund hat, von dem aus man redet.

    Die Bemerkung ist vorhin gemacht worden ber die Gerusche.Die ganze Diskussion ber die Gerusche ist vielleicht auch nur be-antwortbar, wenn man eine solche Voraussetzung erst erledigt, wie

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  • ich sie hier angegeben habe. Denn wenn ich zum Beispiel annehme - ichwei nicht, ob diese Dinge heute schon sehr ausgiebig subjektiv er-lebt werden -, da der Herr, der hier lngere Zeit gesprochen hat, derber die Gerusche sich ergangen hat, da der besonders geneigt ist,heute schon die Frage, ob im Ton eine Melodie wahrzunehmen ist, imweitgehendsten Sinne mit Ja zu beantworten, dann verstehe ich ihn,dann verstehe ich vollstndig, wie er in den einzelnen Ton hineingeht,oder in die einzelnen Laute, die der andere blo als ein Gerusch emp-findet, und wie er dadurch, da er in die Tiefen des Tones hineintaucht,allerdings etwas findet in den Tnen, die dann das Gerusch bilden,das er sich heraussuchen kann, so da etwas so musikalisch zustandekommt, was derjenige, der nicht in diese Tiefen des Tones hinunter-taucht, eben nicht mitmachen kann.

    Es ist ja heute morgen von Dr. Husemann darauf hingewiesen wor-den, da auch in anderer Beziehung die Menschheit der Gegenwartdavor steht, die Persnlichkeit allmhlich mehr auseinander zu spal-ten. Und so scheint es auch, da es schon eine ganze Anzahl von Men-schen in der Gegenwart gibt, die einfach ein anderes Tonerlebnis ha-ben dem einzelnen Ton gegenber, als gerade in der einen oder an-deren Richtung sehr scharf geschulte Musiker. Und das hngt zu-sammen mit der anderen Frage, die ja auch gestellt worden ist, wiesich zu der ganzen Sache die Geisteswissenschaft zu verhalten hat.

    Nun mchte ich przise die Frage stellen, ob irgendeine vernnftigeVorstellung damit verbunden werden kann, wenn man sagt, es kannunter Umstnden schon der einzelne Ton als eine Melodie empfundenwerden dadurch, da man sich, indem man in seine Tiefen geht, Par-tiales heraushebt aus dem Tone, gewissermaen partiale Tne, derenVerhltnis, deren Zusammenklang einem dann selbst schon wiederumeine Art von Melodie sein kann?

    Paul Baumann: Es ging aus meinem Vortrag auch hervor, da ich gerade das Ge-rusch in Verbindung setze mit dem Harmonischen, also mit dem zusammenge-faten Melodischen. Kann man das Klanggerusch auffassen als etwas, was einezusammengefate Melodie ist, vielleicht eine Harmonie ist, die wir aber musika-lisch auch empfnden? In Wirklichkeit ist jedes Gerusch etwas Musikalischeszweifellos, nur brauchen wir es nicht gerade als musikalische Kunst anzusprechen. Wirknnen es nicht unterscheiden, aber es ist das sehr deutlich zu empfinden in Klang-

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  • farben, da hier wieder etwas besonders Musikalisches, etwas vom Beweglichen derDinge mitspricht, da man den bloen musikalischen Ton, der an sich nicht gehrtwird, deutlich unterscheiden kann von dem, worinnen er sehr deutlich schwingt.

    Das meine ich nicht. Ich meine jetzt speziell, die Mglichkeit des Ton-erlebens selbst zu erweitern, das heit, gewissermaen beim Erlebendes Tones in die Tiefen hineinzugehen, oder meinetwillen auch etwasherauszuholen aus dem Tone, so da man eigentlich im Ton selbstschon etwas erlebt.

    Paul Baumann: Ich meine die Scheidung dessen, was man in der musikalischenKunst braucht, was mitklingt, womit man aber ebenfalls etwas, was in den Dingenmusikalisch wirkt, empfindet.

    Ich meine jetzt nicht dieses, sondern was man in einem Ton erlebt,ohne da es irgendwie objektiv mitwirkt. Man spaltet den Ton selberund synthetisiert ihn wiederum. Ich meine als reines Erlebnis. Den Tonschrieb man von altersher dem Tongeist zu. Populr ausgedrckt: beieiner historischen Vorstellung des Passauer ... Spiels von 1250, dawird gleich zu Anfang, ehe das Spiel berhaupt beginnt, der Teufelals Verfhrer vorgestellt; und um diese Atmosphre richtig wirken zulassen, mu der Teufel in ein Feuerhorn blasen; das tut so schrill, dadie Leute schon alle erschrecken. Das ist der Grundstock dieses Ton-geistes, von dem ich rede.

    Einige Meinungen werden noch geuert.

    Das sind alles Dinge, die das nicht treffen, was ich meine, das Er-leben aus einem Ton heraus, das als Melodie erscheint. Wenn ein Ton an-geschlagen wird, so weht tatschlich eine Melodie aus dem Ton heraus.

    Dr. Stein: Man mu, scheint mir, unterscheiden zwischen Tonwahrnehmungund Tonempfindung. Ich empfinde an der Wahrnehmung etwas ganz besonders tief,und dieses Empfindungsmige geht dann, wenn ich einen Schmerz oder Schreckempfinde,...

    Ich meine jetzt nicht, da wir die Dinge, die ja nun schon einmalda sind, definieren sollen, sondern: ob wir in einer bergangszeitleben in bezug auf das Tonerlebnis, so da es tatschlich etwas andereswird. Ich meine, da es tatschlich musikalisch heute noch aufgefat

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  • wird als ein Ton, der mit anderen in Beziehung gebracht wird, der ineiner Melodie ist und so weiter, da es aber eine Mglichkeit gibt beimTon, in die Tiefe hineinzugehen, vielleicht auch noch etwas unter ihmzu suchen und dann, wenn man auf dies hinblickt, dann ist erst einefruchtbare Auseinandersetzung mglich.

    Weitere Meinungsuerungen.

    Man kann, wenn man einen Ton lange halten hrt, beim Anfangder Freischtz-Ouvertre zum Beispiel, eine Empfindung haben, dieich vielleicht bildlich veranschaulichen kann. So wre sozusagen derTon: ein halber Bogen - das soll eine graphische Darstellung sein -, andiesem halben Bogen mchte ich etwas zeichnen wie kleine Nerven,die da herausgehen, da man ein Tonempfinden an diesem halben Bo-gen habe, wie wenn er da hereingehen wrde, dann wieder auf deranderen Seite des Bogens durch, dann an Nerven und Venen wiederheraus, so da eine gewisse innere Bewegung da ist, die einmal aufder einen Seite dieses halben Bogens liegt, dann einmal auf der ande-ren. Man knnte es vielleicht auch dynamisch ausdrcken, da maneine grere Intensitt hineingibt und wieder zurckgeht.

    Meinungsuerungen.

    Das lange Halten ist nur, damit man es besser merkt. Das langeHalten wrde einem unter Umstnden auch mglich machen, die Ver-nderungen des Tons zu bemerken. Ich meine jetzt weniger die Ver-anschaulichungskurve, die in dieser Weise gezeichnet werden kann,die so verluft, sondern ich meine die, die man eigentlich hier hineinsenkrecht auf die Tafel zeichnet.

    Weitere uerungen: ... Das liegt in der Intensitt?

    Deshalb sa


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