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Tanze deine Diss

Date post: 03-Feb-2017
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AUSGEFORSCHT ausschließlich aus Laborklängen zusammengemischt, und da ergab sich die Ausweitung auf die tänzerische Darstel- lung der Forschung ganz selbstverständlich. In den folgenden Jahren ging man allerdings dazu über, die Tänze nicht live aufzuführen, sondern als Videos einsen- den zu lassen. Es wurden immer mehr, sodass es inzwischen auch Fachkategorien gibt wie bei den Nobelpreisen. Die Jury wählt Sieger in Physik, Chemie, Biologie und Sozialwissen- schaften sowie einen Gesamtsieger, und das Online-Publi- kum darf zusätzlich eine Lieblingsshow wählen. Die Tanztechniken reichen von Disco bis Avantgarde. Die Siegerin des Jahres 2010, Maureen McKeague, ließ die gesam- te Laborbesatzung synchron mit den Hüften wackeln, was tän- zerisch eher peinlich aussieht, aber erstaunlich gut das Selex- Verfahren (Systematic Evolution of Ligands by Exponential En- richment) erklärt, mit dem sich DNA-Aptamere gewinnen las- sen. Am anderen Ende des Spektrums gibt es auch Aufführun- gen, die äußerst interessant aussehen, aber so geheimnisvoll bleiben, dass wir die zugehörige Doktorarbeit auch noch lesen müssen, um zu verstehen, worum es eigentlich ging. Im vorigen Jahr gewann der Australier Peter Liddicoat den Wettbewerb mit einem Tanz über Aluminiumlegierungen. Im Titel seiner Doktorarbeit liest sich das so: „The evolution of na- nostructural architecture in 7000 series aluminium alloys dur- ing strengthening by age-hardening and severe plastic de- formation” – doch das Tanzvideo hört auf den eingängigeren Namen „A super-alloy is born“. Die Entscheidung für das Jahr 2013 fiel erst nach Redaktionsschluss, aber Sie finden den siegreichen Tanz sicher auf Youtube. Auch anderswo verschwinden etwaige kultu- relle Barrieren zwischen der Schwere der Wis- senschaft und der Leichtigkeit des Tanzes. Die ehrwürdige Rambert Dance Company in Lon- don arbeitet regelmäßig mit der Biologin Nicola Clayton von der Universität Cambridge zusam- men und verlieh ihr den Ehrentitel „Scientist in Residence“ [Curr. Biol. 2011, 21, R905]. Und vor kurzem ereilte mich eine Anfrage von einem noch nicht so bekannten Tanztheater aus London. Rhiannon Faith will mit ihrem Ensemble aus zwei Personen die Chemie der Liebe auf die Bühne bringen. Da hüpfen die Hormone und die Pheromone schwingen die Hüften. Michael Groß www.michaelgross.co.uk Tanze deine Diss M Moleküle sind ja immer in Bewegung. Sie hüpfen herum, sie winden und schütteln sich. Genau wie Menschen, wenn sie versuchen zu tanzen [Nachr. Chem. 2013, 61, 422]. Mehr als einmal habe ich in meinen Traktaten über Errungen- schaften der modernen Wissenschaft zu Tanzmetaphern gegriffen, um zum Beispiel die Ramanspektroskopie (Tanz der Moleküle) oder die Olefinmetathese (Ringelpiez) verständlich zu machen. Und der Physikochemiker Jürgen Brickmann brachte bereits vor zehn Jahren Kekules Traum auf eine Tanzbühne [Nachr. Chem. 2003, 51, 861]. Es liegt also nahe, chemische Forschung statt durch umständliche Formulierungen und Formeln durch Tanz zu vermitteln. Die Tänzer können zum Beispiel Moleküle ver- schiedener Schattierungen repräsentieren, die sich durch unsichtbare Kräfte zu einander hingezogen fühlen – eine perfekte Verbindung von Kunst und Wissenschaft. Zumin- dest, solange es um einzelne oder wenige Moleküle geht. Molare Mengen an Menschen auf die Bühne zu bringen, dürfte problematisch werden, schließlich umfasst die Weltbevölkerung ja nur 1,2 x 10 –14 Mol. Für alle, die sich inspiriert fühlen, ihre Rotations- und Schwingungsspektren durch eigene Rotationen und Schwin- gungen zu interpretieren, gibt es den Wettbewerb „Dance your PhD“, den Science seit dem Jahr 2008 veranstaltet. Ein bisschen peinlich scheint die Sache den Kollegen bei der altehrwürdigen Wissenschaftszeitschrift schon zu sein, denn Informationen zum Wettbewerb gibt es nur gut versteckt auf dem Blog eines freien Mitarbeiters, John Bohannon, sowie bei den Videos von siegreichen Beiträgen auf Youtube. Eine Webpräsenz mit Ehrung der Sieger hat der Wettbewerb offenbar nicht. Das jährliche wissenschaftliche Wetttanzen startete ursprünglich als Vorprogramm zu einer wissenschaft- lich-musikalischen Veranstaltung in Wien. Der Doktorand der Molekular- biologie, Christoph Campregher, bei Nacht bekannt als DJ Trockenmoos, hatte ein Set „Der gute Fritz hat mit Hochdruck an seinem Ammoniakwalzer gearbeitet!“ Cartoon: Roland Wengenmayr, Frankfurt
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AUSGEFORSCHT

ausschließlich aus Labor klängen zusammengemischt, und da ergab sich die Ausweitung auf die tänzerische Darstel-lung der Forschung ganz selbstverständlich.

In den folgenden Jahren ging man allerdings dazu über, die Tänze nicht live aufzuführen, sondern als Videos einsen-den zu lassen. Es wurden immer mehr, sodass es inzwischen auch Fachkategorien gibt wie bei den Nobelpreisen. Die Jury wählt Sieger in Physik, Chemie, Biologie und Sozialwissen-schaften sowie einen Gesamtsieger, und das Online-Publi-kum darf zusätzlich eine Lieblingsshow wählen.

Die Tanztechniken reichen von Disco bis Avantgarde. Die Siegerin des Jahres 2010, Maureen McKeague, ließ die gesam-te Laborbesatzung synchron mit den Hüften wackeln, was tän-zerisch eher peinlich aussieht, aber erstaunlich gut das Selex-Verfahren (Systematic Evolution of Ligands by Exponential En-richment) erklärt, mit dem sich DNA-Aptamere gewinnen las-sen. Am anderen Ende des Spektrums gibt es auch Aufführun-gen, die äußerst interessant aussehen, aber so geheimnisvoll bleiben, dass wir die zugehörige Doktorarbeit auch noch lesen müssen, um zu verstehen, worum es eigentlich ging.

Im vorigen Jahr gewann der Australier Peter Liddicoat den Wettbewerb mit einem Tanz über Aluminiumlegierungen. Im Titel seiner Doktorarbeit liest sich das so: „The evolution of na-nostructural architecture in 7000 series aluminium alloys dur-ing strengthening by age-hardening and severe plastic de-formation” – doch das Tanzvideo hört auf den eingängigeren

Namen „A super-alloy is born“. Die Entscheidung für das Jahr 2013 fiel erst nach Redaktionsschluss, aber Sie finden den siegreichen Tanz sicher auf Youtube.

Auch anderswo verschwinden etwaige kultu-relle Barrieren zwischen der Schwere der Wis-

senschaft und der Leichtigkeit des Tanzes. Die ehrwürdige Rambert Dance Company in Lon-

don arbeitet regelmäßig mit der Biologin Nicola Clayton von der Universität Cambridge zusam-

men und verlieh ihr den Ehrentitel „Scientist in Residence“ [Curr. Biol. 2011, 21, R905].

Und vor kurzem ereilte mich eine Anfrage von einem noch nicht so bekannten Tanztheater aus

London. Rhiannon Faith will mit ihrem Ensemble aus zwei Personen die Chemie der Liebe auf

die Bühne bringen. Da hüpfen die Hormone und die Pheromone schwingen die Hüften.

Michael Groß

www.michaelgross.co.uk

Tanze deine Diss

M Moleküle sind ja immer in Bewegung. Sie hüpfen herum, sie winden und schütteln sich. Genau wie Menschen, wenn sie versuchen zu tanzen [Nachr. Chem. 2013, 61, 422]. Mehr als einmal habe ich in meinen Traktaten über Errungen -schaften der modernen Wissenschaft zu Tanzmetaphern gegriffen, um zum Beispiel die Ramanspektroskopie (Tanz der Moleküle) oder die Olefinmetathese (Ringelpiez) verständ lich zu machen. Und der Physikochemiker Jürgen Brickmann brachte bereits vor zehn Jahren Kekules Traum auf eine Tanzbühne [Nachr. Chem. 2003, 51, 861].

Es liegt also nahe, chemische Forschung statt durch umständliche Formulierungen und Formeln durch Tanz zu vermitteln. Die Tänzer können zum Beispiel Moleküle ver-schiedener Schattierungen repräsentieren, die sich durch unsichtbare Kräfte zu einander hingezogen fühlen – eine perfekte Verbindung von Kunst und Wissenschaft. Zumin-dest, solange es um einzelne oder wenige Moleküle geht. Molare Mengen an Menschen auf die Bühne zu bringen, dürfte problematisch werden, schließlich umfasst die Weltbevölkerung ja nur 1,2 x 10–14 Mol.

Für alle, die sich inspiriert fühlen, ihre Rotations- und Schwingungsspektren durch eigene Rotationen und Schwin-gungen zu interpretieren, gibt es den Wettbewerb „Dance your PhD“, den Science seit dem Jahr 2008 veranstaltet. Ein bisschen peinlich scheint die Sache den Kollegen bei der altehrwürdigen Wissenschaftszeitschrift schon zu sein, denn Informationen zum Wettbewerb gibt es nur gut versteckt auf dem Blog eines freien Mitarbeiters, John Bohannon, sowie bei den Videos von siegreichen Beiträgen auf Youtube. Eine Webpräsenz mit Ehrung der Sieger hat der Wettbewerb offenbar nicht.

Das jährliche wissenschaftliche Wetttanzen startete ursprünglich als Vorprogramm zu einer wissenschaft-lich-musikalischen Veranstaltung in Wien. Der Doktorand der Molekular -biologie, Christoph Campregher, bei Nacht bekannt als DJ Trockenmoos, hatte ein Set

„Der gute Fritz hat mit Hochdruck an

seinem Ammoniakwalzer gearbeitet!“

Cartoon:

Roland Wengenmayr,

Frankfurt

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