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1 3 STANDORT (2013) 37:243–259 DOI 10.1007/s00548-013-0299-4 vor“, erläuterte Projektkoordinator Prof. Herrmann Spellmann, Direktor der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA). „Die vor- liegenden Ergebnisse tragen zur Ver- sachlichung der oftmals kontroversen Diskussion um den Nutzungsverzicht im Wald bei und helfen, auf solider Grundlage die weiteren notwendigen Schritte zur Umsetzung des 5-Prozent- Ziels zu planen“ ergänzte Beate Jessel. Das Bundeskabinett hatte am 7. November 2007 die unter Federfüh- rung des Bundesumweltministeriums (BMU) erarbeitete Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt beschlossen. Damit liegt in Deutschland erstmals eine umfassende und anspruchsvolle Strategie zur Umsetzung des UN- Übereinkommens über die biologische Vielfalt vor. Mit der Verwirklichung von rund 330 Zielen und rund 430 Maßnahmen mit einem Zeithorizont bis zum Jahr 2020 soll der Rückgang der biologischen Vielfalt aufgehalten und der Trend umgekehrt werden. Für den Lebensraum Wald wurde neben einer naturnahen Bewirtschaftung als zentrales Ziel formuliert: „2020 beträgt der Flächenanteil der Wälder mit natürlicher Waldentwicklung fünf Prozent der Waldfläche“. Bestandsaufnahme geeigneter Flächen für natürliche Waldentwicklung Seit Dezember 2010 beschäftigt sich ein Forschungsverbund aus Mitarbei- tern der Nordwestdeutschen Forstli- chen Versuchsanstalt, der Professuren für Vegetationskunde und für Waldbau der Universität Freiburg sowie des Institutes für Landschaftsökologie und Naturschutz in Bühl (ILN) im Auf- trag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) mit der Frage, auf welchen Flä- chen Deutschlands aktuell und vor- aussichtlich bis zum Jahr 2020 eine Aktuelle Daten zur natürlichen Waldentwicklung in Deutschland Umfang und Qualität nutzungsfreier Wälder in Deutschland werden bilanziert Mitte Oktober wurden die Ergebnisse des Forschungs-und Entwicklungs- vorhabens „Natürliche Waldentwick- lung als Ziel der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ vorgestellt. Demnach gibt es derzeit 213.145 ha dauerhaft gesicherten Wald mit natür- licher Waldentwicklung in Deutsch- land. Dies entspricht einem Anteil von 1,9 % der Waldfläche des Landes. Bis zum 2020 wird der Anteil voraussicht- lich auf 2,3 und danach auf ca. drei Prozent steigen. In der Nationalen Stra- tegie zur biologischen Vielfalt (NBS) der Bundesregierung wird bis zum Jahr 2020 eine natürliche Waldent- wicklung auf fünf Prozent der gesam- ten Waldfläche bzw. zehn Prozent der öffentlichen Wälder angestrebt. Ins- besondere das „Fünf-Prozent-Ziel“ wurde in der Vergangenheit von unter- schiedlichsten Interessengruppen sehr kontrovers diskutiert, ohne dass zum Umfang bereits bestehender Flächen mit natürlicher Waldentwicklung bis- her bundesweit Zahlen vorlagen. „Wälder ohne forstliche Nutzung sind fester Bestandteil einer multifunk- tionalen Forstwirtschaft. Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zum Schutz und zur Entwicklung der bio- logischen Vielfalt in unseren Wäldern und erbringen darüber hinaus zahlrei- che ökologische Leistungen“, erläu- terte Prof. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz. „Erstmals liegen nun belastbare Bilan- zen und Prognosen zum Flächenum- fang der derzeitigen NWE5-Kulisse STANDORT INFO natürliche Waldentwicklung gewähr- leistet ist und wie diese Flächen aus naturschutzfachlicher und ökonomi- scher Sicht zu bewerten sind. Zunächst musste allerdings definiert werden, was unter „Wald mit natür- licher Entwicklung“ zu verstehen ist. Wälder mit natürlicher Entwicklung umfassen demnach Waldbestände ohne direkte Einflussnahme des Menschen. Die dauerhafte Aufgabe der forstlichen Nutzung sowie das Unterlassen von Eingriffen auf einer abgegrenzten Fläche von mindestens 0,3 ha Größe ist dafür Grundvoraus- setzung. Auf diesen Flächen wird das Ziel verfolgt, die dauerhaft ungestörte Entwicklung natürlicher Prozesse zu gewährleisten. Als Wälder mit natürli- cher Entwicklung gelten auch diejeni- gen waldfähigen Standorte, auf denen jegliche menschliche Nutzung dauer- haft eingestellt und eine Waldsukzes- sion absehbar ist. Basierend auf den Kriterien Dauer- haftigkeit, rechtliche Verbindlichkeit sowie Zweck der Nutzungsaufgabe wurden eine Kernbilanz (mit Stich- jahr 2013) sowie zwei Zukunftsbilan- zen errechnet. In der Zukunftsbilanz 2020 sind zusätzlich solche Flächen berücksichtigt, die mit hoher Wahr- scheinlichkeit bis 2020 der natür- lichen Waldentwicklung überlassen werden und dann den Anforderun- gen der Kernbilanz entsprechen. In der Zukunftsbilanz 2020 + sind die voraussichtlich nach 2020 zusätzlich vorhandenen „Wälder mit natürlicher Entwicklung“ aufgeführt. Die Kernbi- lanz umfasst 213.145 ha Flächen mit natürlicher Waldentwicklung. Dies entspricht einem Anteil von 1,9 % des gesamten Waldes in Deutschland. Der Anteil wird voraussichtlich bis 2020 auf 2,3 % und in den nachfol- genden Jahren auf etwa 3 % ansteigen (Abb. 1). Online publiziert: 12. November 2013
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STANDORT (2013) 37:243–259DOI 10.1007/s00548-013-0299-4

vor“, erläuterte Projektkoordinator Prof. Herrmann Spellmann, Direktor der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA). „Die vor-liegenden Ergebnisse tragen zur Ver-sachlichung der oftmals kontroversen Diskussion um den Nutzungsverzicht im Wald bei und helfen, auf solider Grundlage die weiteren notwendigen Schritte zur Umsetzung des 5-Prozent-Ziels zu planen“ ergänzte Beate Jessel.Das Bundeskabinett hatte am 7. November 2007 die unter Federfüh-rung des Bundesumweltministeriums (BMU) erarbeitete Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt beschlossen. Damit liegt in Deutschland erstmals eine umfassende und anspruchsvolle Strategie zur Umsetzung des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt vor. Mit der Verwirklichung von rund 330 Zielen und rund 430 Maßnahmen mit einem Zeithorizont bis zum Jahr 2020 soll der Rückgang der biologischen Vielfalt aufgehalten und der Trend umgekehrt werden. Für den Lebensraum Wald wurde neben einer naturnahen Bewirtschaftung als zentrales Ziel formuliert: „2020 beträgt der Flächenanteil der Wälder mit natürlicher Waldentwicklung fünf Prozent der Waldfläche“.

Bestandsaufnahme geeigneter Flächen für natürliche Waldentwicklung

Seit Dezember 2010 beschäftigt sich ein Forschungsverbund aus Mitarbei-tern der Nordwestdeutschen Forstli-chen Versuchsanstalt, der Professuren für Vegetationskunde und für Waldbau der Universität Freiburg sowie des Institutes für Landschaftsökologie und Naturschutz in Bühl (ILN) im Auf-trag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) mit der Frage, auf welchen Flä-chen Deutschlands aktuell und vor-aussichtlich bis zum Jahr 2020 eine

Aktuelle Daten zur natürlichen Waldentwicklung in Deutschland

Umfang und Qualität nutzungsfreier Wälder in Deutschland werden bilanziert

Mitte Oktober wurden die Ergebnisse des Forschungs-und Entwicklungs-vorhabens „Natürliche Waldentwick-lung als Ziel der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ vorgestellt. Demnach gibt es derzeit 213.145 ha dauerhaft gesicherten Wald mit natür-licher Waldentwicklung in Deutsch-land. Dies entspricht einem Anteil von 1,9 % der Waldfläche des Landes. Bis zum 2020 wird der Anteil voraussicht-lich auf 2,3 und danach auf ca. drei Prozent steigen. In der Nationalen Stra-tegie zur biologischen Vielfalt (NBS) der Bundesregierung wird bis zum Jahr 2020 eine natürliche Waldent-wicklung auf fünf Prozent der gesam-ten Waldfläche bzw. zehn Prozent der öffentlichen Wälder angestrebt. Ins-besondere das „Fünf-Prozent-Ziel“ wurde in der Vergangenheit von unter-schiedlichsten Interessengruppen sehr kontrovers diskutiert, ohne dass zum Umfang bereits bestehender Flächen mit natürlicher Waldentwicklung bis-her bundesweit Zahlen vorlagen.„Wälder ohne forstliche Nutzung sind fester Bestandteil einer multifunk-tionalen Forstwirtschaft. Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zum Schutz und zur Entwicklung der bio-logischen Vielfalt in unseren Wäldern und erbringen darüber hinaus zahlrei-che ökologische Leistungen“, erläu-terte Prof. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz. „Erstmals liegen nun belastbare Bilan-zen und Prognosen zum Flächenum-fang der derzeitigen NWE5-Kulisse

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natürliche Waldentwicklung gewähr-leistet ist und wie diese Flächen aus naturschutzfachlicher und ökonomi-scher Sicht zu bewerten sind.Zunächst musste allerdings definiert werden, was unter „Wald mit natür-licher Entwicklung“ zu verstehen ist. Wälder mit natürlicher Entwicklung umfassen demnach Waldbestände ohne direkte Einflussnahme des Menschen. Die dauerhafte Aufgabe der forstlichen Nutzung sowie das Unterlassen von Eingriffen auf einer abgegrenzten Fläche von mindestens 0,3 ha Größe ist dafür Grundvoraus-setzung. Auf diesen Flächen wird das Ziel verfolgt, die dauerhaft ungestörte Entwicklung natürlicher Prozesse zu gewährleisten. Als Wälder mit natürli-cher Entwicklung gelten auch diejeni-gen waldfähigen Standorte, auf denen jegliche menschliche Nutzung dauer-haft eingestellt und eine Waldsukzes-sion absehbar ist.Basierend auf den Kriterien Dauer-haftigkeit, rechtliche Verbindlichkeit sowie Zweck der Nutzungsaufgabe wurden eine Kernbilanz (mit Stich-jahr 2013) sowie zwei Zukunftsbilan-zen errechnet. In der Zukunftsbilanz 2020 sind zusätzlich solche Flächen berücksichtigt, die mit hoher Wahr-scheinlichkeit bis 2020 der natür-lichen Waldentwicklung überlassen werden und dann den Anforderun-gen der Kernbilanz entsprechen. In der Zukunftsbilanz 2020 + sind die voraussichtlich nach 2020 zusätzlich vorhandenen „Wälder mit natürlicher Entwicklung“ aufgeführt. Die Kernbi-lanz umfasst 213.145 ha Flächen mit natürlicher Waldentwicklung. Dies entspricht einem Anteil von 1,9 % des gesamten Waldes in Deutschland. Der Anteil wird voraussichtlich bis 2020 auf 2,3 % und in den nachfol-genden Jahren auf etwa 3 % ansteigen (Abb. 1).

Online publiziert: 12. November 2013

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Weitere Informationen: Prof. Dr. Hermann Spellmann, Nordwestdeutsche Forstliche Ver-suchsanstalt, Tel.: 05 51/ 69 40 11 23, E-Mail: [email protected], Internet: www.nw-fva.de/nwe5/.

BfN

Der Puls der Gewässer

Ein Dow Jones-Index für die Umwelt?

Der globale Wassergipfel „Budapest Water Summit“ fand vom 8. bis 11. Oktober in Budapest statt. Ban Ki-moon, Generalsekretär der Vereinten Nationen, sowie der ungarische Präsi-dent János Áder eröffneten das Forum: Hochrangige Vertreter aus Wissen-schaft, Politik, Wirtschaft und Nicht-regierungsorganisationen diskutierten drei Tage lang über die nachhaltige Nutzung der Ressource Wasser.Im Fokus stand die Frage, wie man die aktuellen Entwicklungen im Wasser-sektor stärker in die Millennium-Ent-wicklungsziele der Vereinten Nationen einfließen lassen kann. Basierend auf den Ergebnissen verschiedener UN-Programme und Initiativen sowie des World Water Forums präsentierten die Teilnehmer „SMARTe“ Lösungsvor-schläge (SMART = Specific, Measurea-ble, Attainable, Realistic and Timely) für ein nachhaltiges Wassermanagement. Am Ende des Gipfels wurde eine Reso-

lution verabschiedet, mit dem Anliegen, die Ziele zum Wassermanagement für die post 2015 Agenda zu formulieren.Klement Tockner, Direktor des Berli-ner Leibniz-Instituts für Gewässeröko-logie und Binnenfischerei (IGB), war einer der Sprecher auf der internatio-nal besetzten Podiumsdiskussion zum Thema Water Quality and Sustainable Development Goals: „Wasser ist nicht nur eine grundlegende Ressource für uns Menschen – Gewässer zählen zu den wertvollsten Lebensräumen über-haupt. So muss in jede Strategiedis-kussion zum Themenfeld „Wasser, Energie, Nahrung“ die Ökologie ein-bezogen werden. Der Rückgang der biologischen Vielfalt ist die wohl größte Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Ein Verlust ist unumkehrbar. Im Sinne des Vorsorgeprinzips darf die ökonomische Entwicklung nicht

Abb. 1 In Wäldern mit natürlicher Entwicklung gehört Totholz dazu (Foto: Bauer)

Abb. 2 Gewässer – hier das Löcknitztal bei Berlin – sind wertvolle Lebens-räume für Tiere und Pflanzen (Foto: Jörg Gelbrecht, IGB)

auf Kosten dieser Vielfalt erfolgen“, so Klement Tockner. Doch in welchem Zustand ist unsere belebte Umwelt?

Robuste Indikatoren für ein zuverlässiges Monitoring

Benötigt werden robuste Indikato-ren – eine Art „Dow Jones-Index“ für Ökosysteme, der die Veränderungen insgesamt erfasst und zugleich die zugrunde liegenden Ursachen erken-nen lässt. „Dafür brauchen wir wissen-schaftliche Daten von hoher Qualität. Langzeitforschung und -monitoring sind unabdingbar, um den ‚Puls‘ der Ökosysteme zu messen. Sie sind das Frühwarnsystem und die Basis, um Prioritäten im Management unserer Umwelt zu setzen“, so Klement Tock-ner. Die Wissenschaftsgemeinde ent-wickelt derzeit innovative Methoden des Monitorings, um ökologische Pro-zesse in Echtzeit zu untersuchen. So können mittels Fernerkundung Ext-remereignisse wie Hochwasser und Hitzewellen besser erforscht werden. Auch gilt es, neue Wege zu gehen, was Datenverarbeitung und -bereitstellung betrifft. „Diese Daten sind öffentliches Gut, welches der Gemeinschaft frei zur Verfügung stehen muss“, betont Klement Tockner die Verantwortung von Wissenschaftlern, eine Grund-lage für die Entwicklung von Manage-mentkonzepten zu schaffen (Abb. 2).

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Arten fleischfressender Säugetiere aus-gestorben sind und es heute nur noch 280 lebende Arten gibt. In Kombina-tion mit Informationen zu historischen Klimaveränderungen können wir dann auch abschätzen, wie viele es mit Blick auf den Klimawandel in Zukunft wer-den könnten“ (Abb. 3 und 4).

„Eine nachhaltige Welt ist eine, in der sauberes Wasser sicher verfügbar ist“, lautet der Titel der Kongressresolu-tion. Ein Treffen wie der „Budapest Water Summit“ soll die Zusammen-arbeit der Akteure stärken, diesem Ziel ein Stück näher zu kommen.

Kontakt: Prof. Dr. Klement Tockner, Leibniz-In-stitut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), Tel.: 030/ 64 18 16 02, E-Mail: [email protected]. Weitere Informationen: www.budapestwatersummit.hu, www.igb-berlin.de.

Forschungsverbund Berlin

Artenreichtum ist relativ

Neues Konzept zum Verständnis biologischer Vielfalt

Biodiversität ist mittlerweile auch biologischen Laien ein Begriff – sie ist avancierte zum Schlüsselwort für Medienberichte über Artensterben, Lebensgrundlagen oder Klimawan-del. Doch zu ihrer Erforschung gibt es noch keine einheitlichen Methoden. So gehen beispielsweise Paläontolo-gen und Biologen bei der Erforschung von Artenreichtum und Artenschwund bislang getrennte Wege; das Wissen über ausgestorbene und noch lebende Arten wird selten zusammengeführt. Das wollen Wissenschaftler des „Bio-diversität und Klima Forschungs-zentrums“ (BiK-F) nun ändern. Ihr Konzept zur Verknüpfung von Daten der beiden Forschungsrichtungen wurde im Fachjournal „Trends in Eco-logy & Evolution“ vorgestellt.„Wenn wir die Erkenntnisse über aus-gestorbene und noch lebende Arten miteinander verknüpfen, bekommen wir einen wesentlich tieferen Einblick in die Entstehung und das Verschwin-den von Arten“, formulierte es Dr. Susanne Fritz vom BiK-F, Leitauto-rin der Publikation. „So könnten wir zum Beispiel nachvollziehen, warum innerhalb der letzten 15 Mio. Jahre in Nordamerika und Eurasien etwa 800

Abb. 3 Die Verknüpfung von Daten ausgestorbener und noch lebender Arten kann wesentlich dazu beitragen, die Entstehung und das Verschwinden von Organismengruppen zu verstehen. Ein Beispiel dafür ist die Familie der Pferde. Während alle heute lebenden Arten zur Gattung Equus zählen, sind für das Miozän in Nordamerika allein mehr als 15 Gattungen beschrieben. Ausgestorbener Mesohippus (vor ca. 30–40 Mio. Jahren) (Foto: H. Zell)

Die Hyäne ist auch eine Europäerin

Biodiversität lässt sich auch anhand der Entwicklung von Arteneigen-schaften in Bezug zum Lebensraum erforschen – etwa durch die Analyse ökologischer Nischen. Diese beschrei-ben die Umweltbedingungen, unter

Abb. 4 Heutiger Vertreter der Familie Equidae, Equus ferus caballus (Foto: K. Holzwarth)

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kombiniert werden können, und zeigt gleichzeitig auf, welchen Mehrwert dies bringt. Die Gruppe um Susanne Fritz erwartet sich davon ein neues, übergreifendes Verständnis dafür, wie das Zusammenspiel einer Viel-zahl von Faktoren Diversität entstehen lässt und erhält. Diese Faktoren sind: die Wechselbeziehungen zwischen Arten und ihrer Umwelt sowie von Arten untereinander, die Entwicklung von Merkmalen, die Prozesse der Art-bildung, der Ausbreitung und schließ-lich des Aussterbens. Der neue Ansatz erlaubt es, diese Faktoren in integrie-renden Modellen zusammenzuführen.Interesse an diesem Konzept ist vor-handen, das ist schon jetzt klar. „Die bislang verwendeten statistischen Modelle, mit denen die Entwicklung von Arten berechnet wird, können nun durch die paläontologischen Daten entsprechend erweitert werden“, kom-mentiert Böhning-Gaese die neuen Möglichkeiten. „Unsere Arbeit legt das theoretische Fundament für künf-tige Modellierungen.“ Durch das neue Konzept lässt sich künftig wohl auch besser absehen, welche Arten durch veränderte Umweltbedingungen womöglich verschwinden – und wie

denen Arten leben und erlauben Rück-schlüsse darauf, wie die Anpassung erfolgte. Dass beispielsweise die Tüp-felhyäne in den Savannen und Tro-ckengebieten Afrikas und des Nahen Ostens zu Hause ist, erklärten sich viele Biologen bislang damit, dass sie sich an die hohen Temperaturen und die Trockenheit ihres Lebens-raums angepasst hat. Paläontologen wissen jedoch schon länger, dass Hyä-nen noch während der letzten Eiszeit auch in Europa lebten. „Ökologische Nischen können also durchaus größer sein als vermutet, wenn wir paläonto-logische Daten in unsere Betrachtun-gen einbeziehen“, erläutert Fritz. Im konkreten Fall heißt das, dass Hyänen nicht unbedingt hohe Temperaturen benötigen. Dann jedoch stellt sich den Biologen die Frage, was sonst ihre Nische definiert – und wo Hyänen unter veränderten klimatischen Bedin-gungen überleben könnten (Abb. 5).

Umfassendes Verständnis komplexer Prozesse

Die vorgelegte Studie gibt konkrete Schritte vor, wie künftig die Methoden aus beiden Fachgebieten miteinander

Abb. 5 Eine Einbeziehung von Paläodaten in die Modellierung ökologischer Nischen heutiger Arten könnte zeigen, dass viele von ihnen auch unter ganz anderen Bedingungen als heute leben können, ihre tatsächliche ökologische Nische also deutlich größer ist als bislang angenommen. Ein Beispiel dafür sind die Tüpfelhyänen, die heute nur in Afrika verbreitet sind, aber in der Eiszeit auch in Europa vorkamen (Foto: C. Grünewald)

sich dies auf das gesamte Ökosystem auswirken könnte. Angesichts der mit dem Klimawandel einhergehenden Veränderungen sind solche Erkennt-nisse doppelt wertvoll.

Weitere Informationen: Dr. Susanne Fritz, LOEWE Biodiversität und Klima Forschungs-zentrum (BiK-F), Tel.: 069/ 75 42 18 03, E-Mail: [email protected]; Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, LOEWE Biodiver-sität und Klima Forschungszentrum (BiK-F), Tel.: 069/ 75 42 18 90, E-Mail: [email protected].

Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen

Gestaltender Naturschutz

Letzte Chance für die Artenvielfalt?

Wie lässt sich Artenvielfalt in einer Welt erhalten, in der traditionelle Ökosysteme immer mehr von „men-schengemachter Natur“ verdrängt werden? „Der Rückgang der Bio-diversität ist so dramatisch, dass wir in Sachen Naturschutz dringend umdenken müssen“, sagt Dr. Chris-topher Kaiser-Bunbury von der TU Darmstadt. Zusammen mit Prof. Nico Blüthgen, ebenfalls TU Darmstadt, und Christoph Küffer vom Institut für integrative Biologie der ETH Zürich hat er ein neues Naturschutzkonzept entwickelt, das bisherige als aus öko-logischer Sicht „wertlos“ erachtete Landschaften mit einbezieht. Dass dieses Konzept funktioniert, zeigen zahlreiche Erfahrungen auf Inseln. Diese Erfahrungen wollen die Auto-ren auf andere Landschaftsszenarien hochskalieren.In einer Welt, in der der Mensch durch sein Wirken Veränderungen bis in den letzten Winkel des Planeten bewirkt, könne der Begriff Ökosystem kein Synonym mehr sein für unberührte Natur. Der einzige Ausweg sei eine Aufhebung des Gegensatzes von Öko-system und Kulturlandschaft, wes-halb vor wenigen Jahren der Begriff

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gleichsweise kostengünstig. In Indien zum Beispiel werden in Kaffeeplan-tagen vermehrt einheimische Bäume gepflanzt und kleine Weiler angelegt, damit einheimische Tierarten sich in dieser Agrarlandschaft ansiedeln und halten können. Gleichzeitig hat sich die Menge und Qualität des Kaffees verbessert. In Europa zeigen Versu-che mit Hecken, Wiesenstreifen und Pflanzungen kleiner Baumgruppen entlang den Feldern, dass sich viele Insektenarten, aber auch Vogel-, und Säugetierarten ansiedelten. Damit sind zugleich Korridore zwischen im traditionellen Sinne schützenswerten Landschaften geschaffen. „Die ein-zelnen Maßnahmen für sich genom-men sind nicht neu, es fehlt jedoch an einem übergreifenden Konzept, das sämtliche Landschaftsbereiche mitei-nander verbindet. Genau das passiert bereits auf vielen mit dem Festland nicht verbundenen Inseln – mit gro-ßem Erfolg“.

Reif auf den Inseln

Die Studien der Darmstädter und Schweizer Biologen ergaben, dass landschaftlich heterogene Inseln wie Galapagos, Hawaii, Mauritius, Fidschi oder die Seychellen Beispiele dafür seien, wie ein solches integriertes Konzept funktionieren kann. Auf den Seychellen beispielsweise umfassen kombinierte Naturschutzmaßnahmen

„neue Ökosysteme“ geprägt wurde. Er beschreibt gestörte Ökosysteme, die durch menschliches Einwirken bereits deutlich in ihrer Artzusam-mensetzung verändert wurden. „Die Aufsplittung der Ökosysteme in histo-rische und neue Habitate muss in ein neues Naturschutzkonzept übertragen werden“, erläutert der Bestäubungs-biologe Kaiser-Bunbury den nicht unumstrittenen Ansatz. Insbesondere in den USA oder auch in Afrika, wo noch weitläufige Naturparks erhal-ten sind, fürchten Kritiker, dass das neue Konzept den Schutz ursprüng-licher Natur etwa durch Kürzung von Finanzmitteln schwächen könnte. Die Biologen propagieren jedoch einen kombinierten Ansatz: „Nicht nur die ‚historische‘ Natur ist schützenswert, sondern auch gestaltete Produktions-landschaften. In unserem Konzept führen wir Strategien zusammen, die bislang als inkompatibel galten. Wir haben nicht mehr die Wahl, wir müssen in einer von Menschen domi-nierten Welt neue Realitäten akzep-tieren und mit dem arbeiten, was wir haben. Dazu schlagen wir vor, histori-sche Biodiversität zu schützen, neue Ökosysteme aktiv zu schaffen, um intensives Management zu betreiben, neue Habitate als natürliche, wilde Landschaften zu akzeptieren und zur Arterhaltung zu nutzen sowie Agrar- und andere Kulturlandschaften unter Beibehaltung des Landschaftsnut-zens zur Erhaltung von Biodiversität umzufunktionieren.“

Selbst „wertlose“ Agrarlandschaften gehören auf die Agenda

Zu den neuen Ökosystemen zählen also auch Maisfelder und Bananen-plantagen, denn selbst landwirtschaft-lich genutzte Flächen können für die Erhaltung von Artenvielfalt und Bio-diversität genutzt werden. Und ent-sprechende Maßnahmen sind sogar relativ einfach umzusetzen und ver-

Abb. 6 Ein Tagge-cko als Blütenbesu-cher auf Mauritius (Foto: Dr. Christo-pher Kaiser-Bunbury)

nicht nur den nur noch in wenigen Bergregionen erhaltenen ursprüng-lichen Nebelwald, sondern auch auf-gegebene Zimtholzplantagen und urbane Nutzungsräume wie Gärten. Die Erfolge sind nicht zu übersehen: Bedrohte Arten konnten sich in ihrem Bestand erholen und die Biodiversität entsprechend stabilisiert werden. „Das gilt für die meisten Inseln, die wir in unsere Studie mit aufgenommen haben, und zwar unabhängig von ihren spezifischen ökologischen Problemen. Naturschutz auf die Landschaftsebene zu heben, das heißt ganze Inseln oder Teile von Festlandökosystemen in den Konzept-Mix einzubeziehen, ist also nicht nur das kleinere Übel, son-dern es ist eine große Chance, dem Schwund an Biodiversität zu begeg-nen“, so Kaiser-Bunbury. „Gleichzei-tig müssen wir mehr über den Einfluss invasiver Arten auf die Biodiversität wissen“, ergänzt Prof. Nico Blüthgen aus laufenden Untersuchungen der TU Darmstadt. „Gegen eingewan-derte Ameisen auf Hawaii etwa haben die einheimischen Pflanzen keinen Schutzmechanismus entwickelt.“ Seine Arbeitsgruppe befasst sich mit den Folgen des Artenschwunds: „Der dramatische Verlust an Biodiversi-tät geht einher mit einer reduzier-ten Funktionalität der Ökosysteme und erfordert auch mit Blick auf den Klimawandel dringend notwendige Schutzmaßnahmen.“ (Abb. 6)

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Was uns saubere Luft wert sein sollte

Bonner Institut publiziert Kosten der Umweltbelastung

Die gesellschaftlichen Kosten von Luftverschmutzung sind offenbar deutlich höher als bislang angenom-men. Darauf deutet eine Studie aus den USA hin, die das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) ver-öffentlicht hat. Demnach lassen sich durch eine niedrigere Ozonbelastung sowohl die Gesundheitsausgaben als auch die Sterblichkeitsrate spürbar reduzieren. Die Forscher analysierten ein Umweltprogramm, das in Teilen der USA einen Handel mit Emissions-zertifikaten und eine Deckelung des Schadstoffausstoßes von Industrie-anlagen einführte. In der Folge sank die sommerliche Ozonbelastung dras-tisch, was zu Einsparungen allein bei Arzneimitteln in Höhe von 900 Mio. $ pro Jahr führte.Im Rahmen des Programms legte die US-Umweltschutzbehörde jähr-lich eine Obergrenze für den Aus-stoß von Stickoxiden (NOx) fest, die für die Entstehung von bodennahem, gesundheitsschädlichem Ozon als hauptverantwortlich gelten. 2004 durften rund 2.500 betroffene Kraft-werke und Industrieanlagen in den Sommermonaten insgesamt nur noch

Manche Arten müssen aufgegeben werden

Zu diesem rationalen Schutzansatz zählt, sich auf das Notwendige zu konzentrieren, um nicht unnötig Zeit, Energien und Ressourcen zu verbrau-chen. „Wir müssen zielgerichtet für genau definierte Arten aktiv werden. Es gibt zahllose Arten, die wir vor dem Aussterben in freier Wildbahn nicht mehr retten können, auch nicht mit den aufwändigsten Mitteln“, so Blüthgen. Das werde man in 30 oder 40 Jahren massiv zu spüren bekom-men, erst dann werde das Artensterben in seinem ganzen Ausmaß deutlich. Das bedeute auch, dass man sich von der Idee lösen müsse, alle bedroh-ten Arten retten zu wollen. Vielmehr müsse zwischen wichtigen und weni-ger wichtigen Arten und deren Funk-tionen im Ökosystem unterschieden werden.Wichtig seien für die Biologen jene Arten, die für den Fortbestand ihres Ökosystems entscheidend und/oder evolutionär merklich verschieden sind. Für solche ausgewählten Arten müsse man alle denkbaren Maß-nahmen ergreifen, um ihren Bestand und damit den ihres Ökosystems zu sichern. Für solche Arten der „histo-rischen“ Natur seien auch aufwändige Aktionen der Arterhaltung angemes-sen – bis hin zu sogenannten „ex situ“-Maßnahmen, also Versuchen, das Aussterben durch Zoohaltung oder Kultivierung in Botanischen Gärten zu verhindern.

Kontakt: Dr. Christoper Kaiser-Bunbury, TU Darmstadt, Tel.: 06151/16-75413, E-Mail: [email protected]; Prof. Nico Blüthgen, TU Darmstadt, Tel.: 06151/16-75411, E-Mail: [email protected].

TU Darmstadt

Abb. 7 Die Ver-meidung von Luft-emissionen ist auch wirtschaftlich sinn-voll (Foto: © Dieter Schütz/Pixelio)

650.000 Tonnen Stickoxide aussto-ßen. Ab 2005 reduzierte die Behörde die Deckelung auf 550.000 Tonnen pro Sommer. Zugleich führte sie einen Handel mit Emissionszertifikaten ein, der einen Anreiz zur weiteren Sen-kung der Emissionen bot und Umwelt-sünder finanziell bestrafte.Die Autoren der Studie ermittelten neben der Ozonbelastung auch die entstandenen Kosten für „Abwehr-maßnahmen“ durch medizinische Behandlung sowie indirekte Folgekos-ten in Form einer höheren Sterblich-keit. Durch einen Vergleich zwischen den 20 beteiligten Bundesstaaten und dem Rest der USA vor und nach dem Inkrafttreten des Programms konn-ten die Wissenschaftler sicherstel-len, dass sich die ermittelten Effekte unmittelbar auf das NOx-Programm zurückführen lassen. Jahreszeitliche Unterschiede flossen ebenfalls in die Studie ein (Abb. 7).

Weniger mit gefährlichem Ozon belastete Sommertage

Das Ergebnis: Durch einen drasti-schen Rückgang der Emissionen ver-ringerte sich die durchschnittliche Ozonbelastung um mehr als sechs Prozent. Die Zahl der Sommertage mit gefährlich hohen Ozonwerten ging um rund ein Viertel zurück. Da viele der betroffenen Unternehmen im

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lebenswichtig“ erschienen. Dabei ste-hen zwei Konflikte im Fokus: Terri-torialstreitigkeiten um zumeist kleine Felseninseln im Chinesischen Meer und die Piraterie vor Afrikas Küsten. Ferner stellt das Leibniz-Journal ein Forschungsvorhaben des Leibniz-Zen-trums für Marine Tropenökologie vor, das kolumbianischen Fischern dabei helfen soll, ihre Lebensgrundlage nicht durch Überfischung zu zerstö-ren. Weitere Artikel zum Schwerpunkt widmen sich dem Meer als Wirt-schaftsfaktor, der Rolle von Bakterien im Lebensraum Meer sowie einem großen Programm zur Archäologie von Häfen. Hinzu kommt ein Bericht über ein Projekt des Deutschen Schiff-fahrtsmuseums, das Schiffswracks am Grund der Nordsee untersucht und sich für den Schutz von Kulturgütern unter Wasser einsetzt (Abb. 8).Außerdem skizziert Leibniz-Präsident Karl Ulrich Mayer in dieser Ausgabe die Perspektiven der Leibniz-Ge-meinschaft nach den Braunschweiger Empfehlungen des Wissenschaftsra-tes. Berichtet wird auch über ein gro-ßes Digitalisierungsprojekt, das unter Beteiligung des Zentrums für Zeithis-torische Forschung in Potsdam drei Tageszeitungen der DDR vollständig und frei zugänglich macht und mit einem eigenen Portal zur DDR-Presse zeitgeschichtlich einordnet. Die Tübinger Psychologin Sonja Utz wid-met sich der Frage, ob soziale Netz-werke tatsächlich als Quelle nützlicher

ersten Programmjahr in Umwelttech-nologien investiert hatten, sank der NOx- Ausstoß zu Beginn des zweiten Sommers praktisch über Nacht um 35 Prozent. In Folge der geringeren Gesundheitsbelastung reduzierten sich die Gesamtausgaben für Arznei-mittel um 1,9 % – das entspricht rund 900 Mio. $ jährlich. Eine ebenso hohe Summe kommt hinzu, wenn man den „ökonomischen Wert“ des mensch-lichen Lebens einrechnet. Denn in den am NOx-Programm beteiligten Regionen gab es – insbesondere in der Altersgruppe der über 75-Jährigen – pro Sommer im Schnitt 2.200 weniger Todesfälle als sonst.Laut Studie übersteigt der gesell-schaftliche Nutzen des Luftrein-haltungsprogramms die Kosten der Emissionsverringerung um mehr als das Doppelte. „In der aktuellen Dis-kussion um die Förderung grüner Technologien stehen meist die Kosten für Unternehmen und Verbraucher im Vordergrund. Unsere Untersuchung zeigt, dass der Preis unterlassener Umweltschutzmaßnahmen dabei häu-fig unterschätzt wird“, sagt Mitautor Olivier Deschenes. Der Ökonom von der University of California koordi-niert als Programmdirektor den IZA-Forschungsschwerpunkt „Umwelt und Beschäftigung“.

Die Studie ist in englischer Sprache erschienen: Deschenes O, Greenstone M, Shapiro JS (2013) Defensive Investments and the Demand for Air Quality: Evidence from the NOx Budget Pro-gram and Ozone Reductions. IZA Discussion Paper No. 7557. Die Studie ist von der IZA-Ho-mepage abrufbar: http://ftp.iza.org/dp7557.pdf.

IZA

Meere in Seenot

Leibniz-Journal mit Themenschwerpunkt Meere

Die Ausgabe 3/2013 des Leibniz-Journals ist unter dem Titel „Seenot. Die Meere: umkämpft, ausgebeutet,

Abb. 8 Das Meer ist für die Fischerei ein fundamentaler Wirt-schaftsfaktor (Foto: © Marvin Siefke/Pixelio)

Informationen und emotionaler Unter-stützung dienen können. Empfehlun-gen zu aktuellen Ausstellungen in den Forschungsmuseen und Instituten der Leibniz-Gemeinschaft sowie Lese-tipps in der Rubrik „Leibniz-Lektüre“ runden das Heft ab.

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 86 selb-ständige Forschungseinrichtungen, deren Ausrichtung von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften reicht. Weitere Infor-mationen: www.leibniz-gemeinschaft.de. Kos-tenloses Abonnement des Leibniz-Journals per E-Mail: [email protected]. Down-load des Heftes: www.leibniz-gemeinschaft.de/medien/publikationen/journal/32013/. Kontakt: Christoph Herbort-von Loeper, Tel.: 030/ 20 60 49–48, Mobil: 01 74/ 310 81 74, E-Mail: [email protected].

Leibniz-Gemeinschaft

Recycling hilft Emissionen sparen

Studie von Fraunhofer UMSICHT zur ALBA Group

Industriestaaten brauchen Rohstoffe- und zwar zuverlässig. Doch Primär-rohstoffe werden knapp. Nachhaltiges Recycling überführt stoffliche Pro-duktions- oder Konsumrückstände in Sekundärrohstoffe. Diese ersetzen endliche Ressourcen und verringern Emissionen, die bei deren Gewinnung,

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zeigen: Planungen und Projekte kön-nen von den Vorschlägen und der Expertise der Betroffenen profitieren. Zudem lassen sich durch frühe Betei-ligungen gesellschaftliche Kontrover-sen vermeiden oder versachlichen. Autorinnen und Autoren aus Behör-den, Wissenschaft und Bürgerinitiati-ven haben in der neuen Ausgabe der Zeitschrift „Umwelt und Mensch – Informationsdienst (UMID)“ Positio-nen, Perspektiven und Beispiele zum Thema Bürgerbeteiligung dargestellt. Sie zeigen, wie sich Mitwirkungsfor-men gestalten oder weiterentwickeln lassen und erklären neue gesetzliche Regelungen zur Bürgerbeteiligung im Themenfeld Umwelt und Gesundheit. Für Politiker, Projektmanager und Bürger liefern die Beiträge viele prak-tische Informationen zu wichtigen Standards für Beteiligungsverfahren oder zu einzelnen Methoden wie Dia-logforen oder Workshops.Durch mehrere rechtliche Neuerun-gen wurde die Bürgerbeteiligung in Deutschland gestärkt. Dazu gehören das am 26. Februar 2013 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten und das Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Ver-einheitlichung der Planfeststellungs-verfahren vom 31. Mai 2013. Die Europäische Union hat das Jahr 2013 zudem zum Jahr der Bürgerinnen und

Aufbereitung und Transport entstehen. ALBA Group-Recycling sparte 2012 rund 7,1 Mio. t Treibhausgase und fast 41,1 Mio. t Primärrohstoffe durch das Recycling von über 7 Mio. t Wert-stoffen. Dies zeigt eine Studie, die Fraunhofer UMSICHT im Auftrag des Recycling- und Umweltdienstleisters erstellte. Die Broschüre zur Studie ist online kostenfrei verfügbar (Abb. 9).

Weiterlesen: www.umsicht.fraunhofer.de/de/presse-medien/pressemitteilungen/2013/recyc-ling-alba.html.

Fraunhofer

Bürger beteiligen – Akzeptanz fördern

Informationsdienst hilft, bessere Mitwirkungsformen zu finden

Bürgerinnen und Bürger fordern immer häufiger, an wichtigen Ent-scheidungsprozessen beteiligt zu werden. Sie wollen ihre Positionen und Argumente einbringen, statt von bereits gefassten Beschlüssen nur zu lesen oder zu hören. Menschen werden daher heute stärker in Planungs- und Entscheidungsprozesse einbezogen als bisher, etwa bei Lärmfragen, beim Aus- und Umbau der Energieversor-gung oder bei der Endlagerung radio-aktiver Abfälle. Die Erfahrungen

Bürger erklärt. Damit will sie die in der EU vorhandenen Möglichkeiten, sich am europäischen Gesetzgebungs-prozess zu beteiligen, besser bekannt machen. Für die Redaktion der Zeit-schrift UMID ist dies Anlass, der Bürgerbeteiligung an Projekten und Prozessen im Themenfeld „Umwelt und Gesundheit“ in Deutschland ein eigenes Heft zu widmen. Neben den aktuellen neuen Gesetzen erläutern die Autorinnen und Autoren bereits bestehende Beteiligungsmöglichkei-ten, zum Beispiel beim Planen und Umsetzen von Lärmminderungsmaß-nahmen. Die EU-Lärmumgebungs-richtlinie eröffnet bereits seit 2002 einigen Spielraum für die Gestaltung von Beteiligungen. Das Umweltbun-desamt förderte daher ein Projekt, das neue Verfahren der Bürgerbeteiligung beim Lärmschutz erprobt. Erfahrun-gen und Ergebnisse des Projektes wer-ten die Forscherinnen und Forscher im neuen UMID jetzt erstmals aus.

Beispiele aus gesellschaftlichen Kontroversen

Konkrete Erfahrungen bei der Bürger-beteiligung in gesellschaftlich kontro-vers diskutierten Bereichen schildert etwa das Bundesamt für Strahlen-schutz (BfS) an zwei Beispielen: den Auswirkungen des Mobilfunks auf Mensch und Umwelt sowie der Nut-zung der Schachtanlage Asse als End-lagerstätte für radioaktive Abfälle. Wissenschaftler des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) stellen neue, insbesondere dialogorientierte Verfahren wie Verbraucherkonferen-zen oder Verbraucherschutzforen vor.Der Umwelt und Mensch – Informa-tionsdienst (UMID) erscheint drei- bis viermal pro Jahr und informiert kos-tenlos zu Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz. Die am Aktions-programm Umwelt und Gesundheit (APUG) beteiligten Einrichtungen – Bundesumweltministerium, Bun-desgesundheitsministerium, Bun-desverbraucherschutzministerium,

Abb. 9 Mit dem Ende des Analog-fernsehens fällt jede Menge Elektroschrott an. Recycling hilft dabei, Treibhaus-gase und Rohstoffe zu sparen (Foto © Karl-Heinz Laube/Pixelio)

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Sanierung ihrer Wohnungsbestände einen großen Beitrag zur Energie-einsparung und CO2-Minderung. Die mögliche Einsparung ist jedoch nur erreichbar, wenn die Bewohner ihr Verhalten darauf anpassen. „Das technische Know-how zur Energie-effizienz ist inzwischen enorm hoch, doch müssen die Bewohner in dem Veränderungsprozess mitgenommen werden. Ansonsten werden die Mög-lichkeiten der Umwelt- und finanziel-len Entlastung nicht ausgeschöpft“, unterstreicht Professorin Heidi Sin-ning, Leiterin des Forschungsprojekts. Zur Reduzierung des Pro-Kopf-CO2-Ausstoßes haben die Städte Erfurt und Kassel kommunale Klimaschutzkon-zepte erarbeitet. Neben technischen Lösungen trägt vor allem das ener-gieeffiziente Verhalten der Bewohner dazu bei, die Klimaschutzziele zu erreichen. Auf Quartiersebene können mit der energetischen Sanierung von Wohnungsbeständen große Energie-einspareffekte erzielt werden.

Kostensenkende Maßnahmen

Die WbG Erfurt hat hohes Interesse, die Energieeffizienz im Wohnge-bäudebereich zu steigern und so die Betriebs- und Nebenkosten für ihre Bewohner zu senken. Das Wohnungs-unternehmen verfügt über ca. 7.600 Wohneinheiten in Erfurt. Aktuell führt die WbG Erfurt energetische Gebäude-sanierungen im Quartier „Roter Berg“ durch, die bis 2015 umgesetzt werden sollen. Insgesamt betreffen die Sanie-rungsmaßnahmen 398 Wohneinheiten am Jakob-Kaiser-Ring. Schwerpunkte der Instandhaltungs- und Modernisie-rungsmaßnahmen sind unter anderem die Balkonsanierung und die Fassa-dendämmung, die Erneuerung der Hauseingänge inkl. der Treppenhäuser, die Erneuerung der Heizstation und der Heizflächen, die Erneuerung der Elektroversorgung, die Erneuerung der Zuwegungen als stufenfreier Zugang zum Haus und die Aufwertung bzw. Umgestaltung des Wohnumfeldes.

Umweltbundesamt, Bundesamt für Strahlenschutz, Bundesinstitut für Risikobewertung sowie Robert Koch-Institut – geben den UMID gemein-sam heraus.

Weitere Informationen und Download: www.umweltbundesamt.de/umid

BfR

Gemeinsam mit Bewohnern mehr Energieeffizienz erreichen

Mit nachhaltigem Konsumverhalten zur Energiewende

Die Wohnungsbau-Genossenschaft Erfurt eG (WbG) und die Gemein-nützige Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Kassel (GWG) sind Partner des Forschungsprojekts „Energieeffizienz und Wohnungswirtschaft (EnWo-Kom)“. Der Rote Berg in Erfurt sowie der Rothenberg und die Quellhofstraße in Kassel sind bis 2016 Beispielquar-tiere für das Modellprojekt „Energie-effizienz und Wohnungswirtschaft – Erprobung von Umweltkommunika-tionskonzepten zum energieeffizienten Bewohnerverhalten in Bestandssied-lungen in Erfurt und Kassel“ des Ins-tituts für Stadtforschung, Planung und Kommunikation (ISP) der Fachhoch-schule Erfurt. Fördergeber ist die Deut-sche Bundesstiftung Umwelt (DBU).Das Forschungsprojekt EnWoKom soll Informations- und Beteiligungs-methoden erproben und weiterentwi-ckeln, die den Energieverbrauch der Bewohner positiv verändern. Dabei geht es vor allem um den Wärmever-brauch der privaten Haushalte. Dieser macht einen hohen Anteil am End-energieverbrauch aus und die Ein-sparmöglichkeiten sind noch nicht ausgeschöpft. Die Wohnungsunter-nehmen leisten durch die energetische

Ziel der umfangreichen Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen ist es, erhebliche Energieeinsparun-gen, eine bessere Zugänglichkeit und Bewohnbarkeit gerade für ältere und gehbehinderte Menschen zu erreichen und damit einhergehend eine bessere Nutzbarkeit der einzelnen Wohnungen durch Zuschnittsveränderungen etwa durch das Einfügen von Fenstern an den Giebelseiten. Mit der sehr umfang-reichen Umgestaltung der Außenanla-gen soll ein schwellenloser Zugang zu möglichst vielen Gebäuden im Quar-tier geschaffen werden. Ausgehend von der örtlichen Situation erhalten jeweils zwei oder mehrere Hauseingänge eine gemeinsame Rampe. Die gegenwärtig leer stehenden Wohnungen, in denen Zuschnitts- bzw. Grundrissverände-rungen vorgenommen werden können, erfahren eine komplette Renovierung, die Bäder werden vergrößert, Duschen eingebaut. Wo möglich, erfolgt die Gestaltung der Küche mit Fenster.Im Rahmen des zweiten Sanierungs-abschnitts wird eng mit dem ISP zusammengearbeitet und intensiv mit den Bewohnern kommuniziert. Erster Schritt werde eine Bewohnerbefra-gung sein (Abb. 10).Die GWG Kassel verwaltet als größ-ter Wohnungsanbieter der Stadt mehr als 8.600 Wohnungen. Das Woh-nungsunternehmen hat bereits ener-getische Sanierungsmaßnahmen in den 450 Wohnungen des Quartiers am Rothenberg abgeschlossen. Die 61 Wohnungen in der Quellhofstraße werden aktuell saniert oder befinden sich in Sanierungsvorbereitung. Ein Abschluss der Sanierungsarbeiten ist für Ende 2014 vorgesehen. Als beglei-tende Maßnahme zur Energieeinspa-rung in den Wohnungsbeständen der GWG werden Stromsparberater einge-setzt. Nachbarschaftshelfer des Vereins piano e. V. wurden dafür entsprechend ausgebildet. Die aufsuchenden Bera-ter geben den Mietern energieeffi-ziente Tipps zur Veränderung des Verhaltens im Alltag. „Im Rahmen des EnWoKom-Projekts erhoffen wir uns

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Finanzlage der Kommunen spitzt sich zu

Große strukturelle Unterschiede zwischen den Bundesländern

Die finanzielle Lage vieler Kommunen in Deutschland spitzt sich dramatisch zu. In den Jahren 2007 bis 2011 ist die Gesamtverschuldung der Städte und Gemeinden von 111 auf 130 Mrd. € gestiegen. Das eigentlich Bedrohliche daran: Für diesen Anstieg sind über-wiegend höhere Kassenkredite ver-antwortlich. Diesen Krediten stehen keinerlei Werte oder Investitionen gegenüber. Das geht aus dem Kom-munalen Finanzreport 2013 der Ber-telsmann Stiftung hervor. Analysiert wurden die kommunalen Haushalte auf der Einnahme- und der Ausga-

zusätzliche Handlungsansätze, um das Energiebewusstsein der GWG-Kunden zu entwickeln und ihr Verbraucherver-halten dauerhaft zu verändern. Dies würde die Energiekosten nachhaltig reduzieren und dem Kunden direkt als Kostenersparnis zugutekommen“, so Peter Ley, Geschäftsführer der GWG Kassel.

Das Modellprojekt EnWoKom greift Ergebnisse des 2011 abgeschlossenen Projektes „Klima-schutz in Kommunen“ auf, das ebenfalls von der Deutsche Bundesstiftung Umwelt gefördert wurde. Das interdisziplinäre Team des Instituts ISP leitet Prof. Dr.-Ing. Heidi Sinning, Tel.: 03 61/ 67 00– 375. E-Mail: [email protected]. Informationen zum Projekt: www.fh-er-furt.de/fhe/isp/forschung/projekte/enwokom/. Ansprechpartner WBG Erfurt eG: Uwe Walzog, Tel.: 03 61/ 74 72– 200, E-Mail: [email protected]. Ansprechpartner GWG Kassel: Annett Martin, Projektleitung piano, Tel.: 05 61/ 700 01- 750, E-Mail: [email protected].

FH Erfurt

beseite. Gemeinden und Gemeinde-verbände werden für die jeweiligen Länder zusammengefasst, um struktu-relle Unterschiede zwischen den Län-dern aufzudecken. Grundlage sind die amtlichen Rechnungsergebnisse für das Jahr 2011. Die Kennzahlen sind jeweils pro Einwohner angegeben. Einzelne Städte und Gemeinden ana-lysiert der Finanzreport nicht.„Die Spaltung in reiche und arme Kommunen vertieft sich. Viele Städte scheinen in einer Abwärtsspirale aus Überschuldung, Abwanderung und sinkender Attraktivität gefangen“, sagte Kirsten Witte, Kommunalex-pertin der Stiftung. Die Bertelsmann Stiftung spricht sich deshalb dafür aus, ähnlich wie für die Landeshaushalte auch für Kommunen eine Schulden-bremse zu erlassen.Die Höhe der Kassenkredite ist rasant gewachsen: 2007 machten die Kas-senkredite mit 29 Mrd. € ein Viertel der kommunalen Gesamtschulden aus. Bis Ende 2011 sind die Kas-senkredite um über die Hälfte auf 44 Mrd. € angestiegen, was knapp 34 % der Gesamtverschuldung bedeu-tet. Kassenkredite gelten als Kern der kommunalen Finanzkrise, weil sie ausschließlich der Liquiditätssiche-rung dienen. Sie wurden zum Symbol der zunehmenden Handlungsunfähig-keit der Städte und Gemeinden, da mit steigenden Kassenkrediten auch der Raum für Investitionskredite und damit für den Bau und Instand-haltung von Straßen, Schulgebäuden und sonstiger städtischer Infrastruktur enger wird.„Zudem schwebt neben dem vorher-sehbaren Anstieg der Pensionslasten eine mögliche Erhöhung des Zins-niveaus wie ein Damoklesschwert über den Kommunen“, sagte René Geißler, Finanzexperte und Mitver-fasser der Studie. Derzeit profitieren die verschuldeten Städte und Gemein-den von den äußerst niedrigen Zin-sen. „Das Zinsniveau des Jahres 2001 zugrunde gelegt, wären die Zinsaus-gaben jährlich 2,5 Mrd. € höher als

Abb. 10 Bauab-schnitt im Jakob-Kaiser-Ring in Erfurt (Foto: WbG Erfurt)

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einem der östlichen Bundesländer. Die Stadt Essen ist mit Kassenkredi-ten von 2,16 Mrd. € mehr als drei Mal höher verschuldet als alle bayerischen, sächsischen und baden-württembergi-schen Kommunen zusammen. Auch Städte wie Oberhausen, Pirmasens und Kaiserslautern (6.870, 6.215,

heute. Das Defizit in den kommunalen Haushalten hätte sich fast verdoppelt“, so Geißler.

Nur sächsische Kommunen reduzierten Kassenkredite

Die Kassenlage der Kommunen unter-scheidet sich von Bundesland zu Bun-desland erheblich. In Sachsen – dem einzigen Bundesland, dessen Kom-munen die Kassenkredite zwischen 2007 und 2011 spürbar reduzieren konnten – beträgt die kommunale Ver-schuldung durch Kassenkredite 13 € pro Einwohner. Am anderen Ende der Skala befindet sich das Saarland: Dort liegt die Pro-Kopf-Verschul-dung mit Kassenkrediten bei 1.754 €. „Die Schere geht weiter auf“, sagte Geißler. Während die Kommunen in Bayern, Baden-Württemberg, Sach-sen und Thüringen neue Kredite fast ausschließlich für Investitionen auf-nehmen, wachsen im Saarland, in Nordrhein-Westfalen, Hessen und in Rheinland-Pfalz die kommunalen Kassenkredite stetig. Mit Folgen: In Nordrhein-Westfalen und dem Saar-land etwa liegen die kommunalen Bauausgaben mittlerweile ein Drittel unter dem Bundesdurchschnitt.Die Unterschiede zwischen den Bundesländern spiegelt auch das Verhältnis zwischen Schulden und Finanzvermögen, das im Wesent-lichen aus Bareinlagen und Anteils-rechten an Beteiligungen besteht: Nur in Baden-Württemberg übersteigt das Finanzvermögen der Kommunen das Volumen der Kredite (Abb. 11). Besonders ungesund ist das Verhält-nis im Saarland, wo die Verschuldung mehr als das neunfache des Finanz-vermögens beträgt. Diese regionale Konzentration der „schlechten Schul-den“ bestätigt sich beim Blick auf die Städte, die besonders hoch verschuldet sind. Mehr als die Hälfte der gesamten Kassenkredite deutscher Kommunen entfällt 2011 auf nur 30 Städte und Landkreise. Von denen liegen 19 in Nordrhein-Westfalen – und keine in

Abb. 11 Ungesundes Verhältnis von Finanzvermögen und Schulden. (Quelle: Statistisches Bundesamt)

6.040 € pro Einwohner) tragen eine sehr hohe Schuldenlast durch Kassen-kredite (Abb. 12 und 13).Ein Abbau der Kreditbelastung ist für die hoch verschuldeten und oft-mals schrumpfenden Kommunen allein kaum möglich, so der Finanz-report. „Aus der Spirale sinkender

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Schuldenbremse für Kommunen als Lösung?

Um zu verhindern, dass bislang sta-bile Kommunen in die Verschuldung abrutschen, empfiehlt der Finanzre-port der Bertelsmann Stiftung eine kommunale Schuldenbremse in den Kommunalverfassungen zu verankern. Damit würden die Kommunen auch verpflichtet, eigene Einnahmepoten-ziale auszuschöpfen. Dazu zählen die Steuern, deren Höhe die Kommunen selbst festlegen können, etwa Grund- und Gewerbesteuer. Bislang ist das Niveau dieser Kommunalsteuern von

Handlungsfähigkeit und wachsen-der sozialer Probleme führt nur ein gemeinsamer Kraftakt von Bund, Ländern, Kommunen und Bürgern“, sagte Kirsten Witte. Einiges sei auf den Weg gebracht. So habe der Bund die Kommunen bei den Sozial-ausgaben spürbar entlastet. Sieben Bundesländer haben Entschuldungs-fonds aufgelegt. Darüber hinaus fordert der Finanzreport, die kom-munalen Haushaltsnöte auch in der anstehenden Neuverhandlung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu berücksichtigen.

Bundesland zu Bundesland sehr unter-schiedlich. Die kaum verschuldeten sächsischen Kommunen etwa erhe-ben überdurchschnittliche Hebesätze auf die Grundsteuer B, während das Niveau in Hessen und Rheinland-Pfalz unterdurchschnittlich ist. „Steuer-erhöhungen sind politisch unbequem, aber langjähriger Einnahmeverzicht verschärft die Haushaltskrise“, so Geißler.Auf Kritik stößt im Finanzreport, dass ein immer höherer Teil der kommu-nalen Schulden sich nicht mehr im Haushalt findet, folglich für den Bür-ger nur schwer sichtbar wird. Nahezu 60 % ihrer Schulden haben die Kom-munen inzwischen ausgelagert – etwa in Beteiligungen an Unternehmen für Versorgung oder Wohnungswirtschaft. „In der Auslagerung stecken Chan-cen und Risiken, in jedem Fall aber schrumpft die Transparenz für Poli-tik, Bürger und Aufsicht“, sagte René Geißler.

Umfangreiche Kennzahlen für die einzelnen Kommunen (ab 5.000 Einwohner) bietet das Datenportal www.wegweiser-kommune.de. Kontakt: René Geißler, Tel.: 0 52 41/ 81-81 467, E-Mail: [email protected].

Bertelsmann Stiftung

Erste Studie über die Kiosklandschaft in Hannover

Wirtschaftsgeographen: Flächendeckendes Kiosksterben nicht absehbar

Der schnelle Einkauf um die Ecke auch am späten Abend, die Tüte Chips, der Liter Milch oder auch Brötchen am Sonntagmorgen: Für viele Hanno-veraner sind Kioske unverzichtbar und gehören zum Stadtbild. Eine Studie am Institut für Wirtschafts- und Kul-turgeographie der Leibniz Universität Hannover hat jetzt einen genaueren Blick auf die hannoversche Kiosk-

Abb. 12 Die kommunale Verschuldung ist in den einzelnen Bundesländern sehr unterschied-lich. (Quelle: Statistisches Bundesamt)

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Viele gebildete Kioskbetreiber

Herausgekommen ist dabei unter anderem, dass sich die 341 Kioske im Stadtgebiet Hannovers in den zent-ralen Stadtbezirken Linden-Limmer, Mitte, Vahrenwald-List und Süd-stadt-Bult ballen. In Linden-Limmer herrscht mit neun Kiosken pro Quad-ratkilometer die höchste Kioskdichte, gemessen an der Fläche. In Mitte gibt es zwar pro Fläche nicht ganz so viele Kioske, dafür herrscht dort mit 580 Einwohnern pro Kiosk die höchste Dichte gemessen an der Bevölkerung. Beim Bildungsabschluss der Kiosk-betreiber erlebten die Wirtschaftsgeo-graphen eine kleine Überraschung: Viele Kioskbesitzer haben einen recht guten Bildungsabschluss. Rund 70 % verfügen über einen Schulabschluss und 15 % sogar über einen Hoch-schulabschluss. Bei ihrer Motivation

landschaft geworfen. Trotz zigtausen-der Kioske in Deutschland existieren bisher kaum empirische Studien, die sich mit Kiosken und ihren Besitze-rinnen und Besitzern auseinanderset-zen. In dem Studienprojekt „Kioske in Hannover – Eine Bestandsaufnahme“ haben die Wirtschaftsgeographen Nora Hesse und Arne Vorderwülbe-cke gemeinsam mit Studierenden 113 Kioskbetreiber in Hannover befragt.Im Mittelpunkt stand dabei unter anderem das vielzitierte Kioskster-ben. Sehen die Kioskbetreiber ihre wirtschaftliche Zukunft tatsächlich so schwarz wie oft vermutet? Welche Maßnahmen werden ergriffen, um gegenzusteuern? Zum anderen haben die Wirtschaftsgeographen in einer Bestandsaufnahme Aspekte wie die Kioskdichte pro Stadtteil oder den Bil-dungsabschluss der Betreiber erhoben.

Abb. 13 Deutsche Städte: Knietief im Dispo. (Quelle: Statistisches Bundesamt)

scheiden sich die Befragten: Die eine Hälfte betreibt den Kiosk nach eige-nen Angaben aus Mangel an Erwerbs-alternativen und nimmt dafür eine hohe Arbeitsbelastung bei geringem Einkommen in Kauf. Demgegenüber steht die andere Hälfte der Befragten, die ihren Kiosk primär aus Überzeu-gung betreibt. Sie schätzen in erster Linie die Selbstständigkeit und den Kundenkontakt.Zum Thema „Umsätze und Zukunfts-aussichten“ ergab sich ebenfalls eine 50/50-Verteilung. Die eine Hälfte der Kioskbetreiber ist mit den Umsätzen durchaus zufrieden, während sich die andere Hälfte über die wirtschaftliche Situation beklagt. Ganz pessimistisch sind allerdings nur etwa fünf Prozent der Befragten. Sie gehen davon aus, ihren Kiosk in den nächsten drei Jah-ren aufgeben zu müssen. Von einem flächendeckenden Kiosksterben kann anhand dieser Ergebnisse daher vorerst nicht die Rede sein. Die Projektleiter Nora Hesse und Arne Vorderwülbe-cke sind sich sicher: „Trotz schlech-terer Rahmenbedingungen als in der Vergangenheit werden Kioske auch weiterhin ihren Platz in der Einzel-handelslandschaft Hannovers haben.“ (Abb. 14)Die größte Konkurrenz für hannover-sche Kioske stellen die Supermärkte dar. Fast 80 % der Kioskbetreiber sehen sich einer starken Konkurrenz zu Supermärkten ausgesetzt. Dazu dürfte vor allem die Liberalisierung des niedersächsischen Ladenschluss-gesetzes im Jahr 2007 beigetragen haben. Eine vielversprechende Wett-bewerbsstrategie scheint die Schaf-fung von Alleinstellungsmerkmalen wie zum Beispiel der Verkauf beson-derer Lebensmittel und Getränke zu sein. Einige erfolgreiche Beispiele in Hannover zeigen bereits, dass sich durch ein spezialisiertes Angebot ein gewisser Kultstatus einzelner Kioske entwickelt hat. Kioske schaffen zudem in nicht unerheblichem Maße Arbeits-plätze. Im Moment arbeiten etwa 700 Menschen in hannoverschen Kiosken,

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stehe einer nachhaltigen Raument-wicklung im Weg. Er zementiere die Vorstellung davon, dass eine ein-heitliche Versorgung in Stadt und Land möglich sei, und stehe der drin-gend notwendigen Entwicklung von umsetzbaren Versorgungskonzepten für dünn besiedelte Regionen im Weg. Diese Konzepte seien bitter nötig, so Klaus Töpfer, Exekutivdirektor des IASS Potsdam: „Durch den demo-grafischen Wandel verstärkt sich das Gefälle zwischen städtischen Zentren und ländlichen Gebieten enorm. Diese Unterschiede müssen wir anerkennen, um den richtigen Ordnungsrahmen für das Kleinerwerden aufzustellen.“

Millionenschwere Programme verpuffen wirkungslos

Um zu neuen Lösungsansätzen zu kommen, fordert die Studie dazu auf, das Leitbild der Gleichwertigkeit neu zu diskutieren. Denn mit dem Argu-ment der Gleichwertigkeit, so die Autoren, ließen sich Subventionen für bauliche Verschönerungen, für die Ansiedlung von Unternehmen oder für neue Straßen begründen – und zwar selbst in entlegenen oder dünn besiedelten Landstrichen, in denen die Bevölkerungszahl abnimmt. Ins-besondere dort zeitigten diese kost-spieligen Programme jedoch immer dürftigere Ergebnisse. Wo junge Men-schen abwandern, nehme langfristig

davon rund 400 als Inhaber und Teil-haber sowie mehr als 300 Angestellte, von denen immerhin ein Viertel voll-zeitbeschäftigt ist.

Abruf der kompletten Studie: www.wigeo.uni-hannover.de/berichte.html. Kontakt: Nora Hesse, Projektleiterin, Tel.: 05 11/ 762 28 55, E-Mail: [email protected].

Universität Hannover

Abschied von der Gleichwertigkeit

Neue Konzepte für ländlichen Raum gesucht

Einheitliche Versorgungsstandards verhindern eine nachhaltige Raum-entwicklung. Das stellten das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) Potsdam und das Berlin-Insti-tut für Bevölkerung und Entwicklung in einer gemeinsamen Studie mit dem Titel „Vielfalt statt Gleichwertigkeit“ fest. Die in Deutschland geltenden Leitbilder der Versorgung und infra-strukturellen Mindeststandards auf dem Land führen zu einem gleichen Flächenverbrauch und Ressourcenein-satz wie in der Stadt – aber für sehr viel weniger Menschen. Das sei nicht im Sinne der Umweltpolitik, so die Autoren der Studie.Vor allem der gesetzlich festgeschrie-bene Grundsatz der Gleichwertigkeit

in der Regel auch die Wirtschaftskraft ab. Selbst millionenschwere Förder-programme könnten diesen Prozess nicht aufhalten. Besonders offensicht-lich werde das Versagen der Raum-politik am Flächenverbrauch: Dieser liege trotz Bevölkerungsrückgang Tag für Tag bei 80 ha und damit weit über der Zielmarke der Bundesregierung von 30 zusätzlichen Hektar pro Tag.Die Studie fordert deshalb an die demo-grafische Entwicklung angepasste Raumentwicklungskonzepte: Wo nur noch wenige Personen leben und junge Menschen abwandern, lohne es sich nicht, überdimensionierte zentra-lisierte Abwasserentsorgungsanlagen zu betreiben, neue Straßen zu bauen oder den Linienverkehr aufrechtzu-erhalten. Vielmehr müssten alternative Versorgungskonzepte her – wie etwa mobile Arztpraxen, flexible Verkehrs-mittel oder Fernschulen. Im Extremfall müsse die Verwaltung sogar Entsied-lungskonzepte für unattraktive und kaum noch bewohnte Dörfer erstellen. „Wir müssen wohl ein paar ‚heilige Kühe‘ schlachten – etwa die Mindest-schülerzahlen, das Personenbeförde-rungsgesetz oder den Anschluss- und Benutzungszwang beim Abwasser“, fordert Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Nur so könnten kreative Lösungen entstehen, die die Zukunfts-fähigkeit des ländlichen Raums dort sichern, wo es noch möglich sei, und die dazu beitragen, einen ökologi-schen Nutzen aus dem Bevölkerungs-rückgang zu ziehen (Abb. 15).

Kostenloser Download der Studie: www.ber-lin-institut.org/publikationen/studien/vielfalt-statt-gleichwertigkeit. Kontakt: Ruth Müller, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwick-lung, Tel.: 030/ 3101 7450, E-Mail: [email protected]. Weitere Informa-tionen, wie auch die Möglichkeit, den kostenlo-sen regelmäßigen Online-Newsletter „Demos“ zu abonnieren: www.berlin-institut.org.

Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

Abb. 14 Oft die letzte Rettung: Der Kiosk um die Ecke (Foto: © Hennig Hraban Ramm/Pixelio)

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eine Auszeit nehmen, stecken oft materielle Überlegungen dahinter.

● Familienpolitik braucht einen lan-gen Atem

Es gibt immer mehr Betreuungsan-gebote für Kinder unter drei Jahren und die Betreuungsrate in Deutsch-land hat sich innerhalb von fünf Jah-ren verdoppelt. Da die Geburtenrate sich im gleichen Zeitraum aber nicht veränderte, wird die Wirksamkeit des Krippenausbaus häufig infrage gestellt. Zu Unrecht, meint Mar-tin Bujard vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung und fordert mehr Geduld und die Beachtung anderer familienpolitischen Ziele. Sein Credo: Effekte auf die Gebur-tenrate sind nur langfristig messbar.

Diese Ausgabe und ein Archiv aller vergange-nen Ausgaben stehen zum Download bereit: www.demografische-forschung.org. Kontakt: Silvia Leek, Max-Planck-Institut für demografi-sche Forschung, Tel.: 03 81/ 20 81– 0, E-Mail: [email protected].

MPI f. Demografische Forschung

Anleitung zum Wenigersein

Berlin-Institut: Mehr Ehrlichkeit in die Debatte um demografischen Wandel!Kein Thema wird Deutschland künf-tig mehr verändern als das Altern und

Bestimmt das Einkommen die Demografie?

Neue Ausgabe von „Demografische Forschung aus erster Hand“

Die aktuelle Ausgabe (Nr. 3/2013) des demografischen Newsletters mit ver-ständlich aufgearbeiteten Ergebnissen der aktuellen Forschung, ist erschie-nen. Sie enthält folgende Themen:

● Arme sterben jünger Menschen mit geringen Renten

haben eine geringere Lebens-erwartung. Die Lebenserwartung in Deutschland steigt seit Jahren – aber nicht in allen sozialen Schich-ten gleich stark: Im Jahr 2008 etwa konnten 65-Jährige mit hohen Ren-ten damit rechnen, dass sie noch rund 20 weitere Jahren leben wür-den. Im Gegensatz dazu blieben Gleichaltrigen mit sehr niedrigen Renten nicht einmal mehr 15 Jahre.

● Warum Väter in Elternzeit gehen Mit der Einführung des Elterngeldes

sollten unter anderen Anreize für die Väter geschaffen werden, sich mehr um ihre Kinder zu kümmern. Die Soziologin Heike Trappe von der Universität Rostock hat jetzt erst-mals untersucht, was Männer tat-sächlich dazu bewegt, länger als nur zwei Monate in Elternzeit zu gehen. Ihr Eindruck: Wenn Väter sich für die Betreuung des Nachwuchses

Abb. 15 Wird es auch zukünftig noch möglich und sinnvoll sein, im ländlichen Raum einen Linien-verkehr aufrechtzu-erhalten? (Foto © Erich Westendarp/Pixelio).

Schrumpfen der Bevölkerung, so das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in seiner Demografiestra-tegie mit dem Titel „Anleitung zum Wenigersein“. Zwar sei das inzwi-schen in der Politik angekommen, jedoch mangele es der Debatte um den demografischen Wandel an Ehrlichkeit und vor allem an langfristigen Plänen.„Die Bevölkerungsentwicklung hält unbequeme Wahrheiten bereit“, sagt Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts. Aber weder Regierung noch Opposition hätten dies im Wahlkampf offen thematisiert. So klammere die bisherige Demografiestrategie der Bundesregierung die wichtigsten Bau-stellen des demografischen Wandels aus und ende zudem im Jahr 2030 – dann, wenn die Alterung ihren größten Einfluss auf die Gesellschaft ausüben werde. Erheblichen Nachbesserungs- und Reformbedarf sieht das Insti-tut vor allem in den vier Bereichen Familienpolitik, Fachkräftesicherung, Sozialsysteme und Regionalpolitik.Der Familienpolitik sei es bisher trotz erheblichen Aufwands nicht gelungen, etwas am Nachwuchsmangel – einer der Haupt-Ursachen für die demo-grafischen Probleme – zu verändern. Sie sei teuer, ineffizient und ohne kla-res Ziel. Das Berlin-Institut fordert, dass Familienpolitik jene unterstützt, die durch Kindererziehung und Pflege Verantwortung übernehmen – und zwar unabhängig von Ehestand und Verwandtschaftsgrad. Das Ehegatten-splitting sei deshalb durch ein Fürsor-gesplitting zu ersetzen. Gleichzeitig müsse der Staat eine zuverlässige, qualitativ hochwertige Betreuungsin-frastruktur für Familien fördern und mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten ermöglichen (Abb. 16).

Aktivierung stiller Reserven reicht nicht aus

Weiteren Reformbedarf sieht das Institut bei der Fachkräftesicherung. Noch immer habe die Aktivierung der „stillen Reserve“ – der Arbeitslosen,

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entwicklungspolitischer Probleme zu erarbeiten. Das Berlin-Institut erstellt Studien, Diskussions- und Hinter-grundpapiere, bereitet wissenschaftli-che Informationen für den politischen Entscheidungsprozess auf und betreibt ein Online-Handbuch zum Thema Bevölkerung.

Download des Discussion Papers: www.berlin-institut.org/publikationen/discussion-papers/anleitung-zum-wenigersein.html. Kontakt: Ste-fan Sievert, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, Tel.: 030/ 31 10 26 98, E-Mail: [email protected]. Weitere Informatio-nen, beispielsweise die Möglichkeit, den kos-tenlosen regelmäßigen Newsletter „Demos“ zu abonnieren: www.berlin-institut.org.

Berlin-Institut

der Frauen und der Älteren – Vorrang vor der Anwerbung von Menschen aus anderen Ländern. Die Lücken im Arbeitsmarkt würden jedoch demogra-fiebedingt bald so groß, dass alle Mög-lichkeiten der Fachkräftesicherung gleichzeitig genutzt werden müssten. Deshalb solle das Land seine Attrak-tivität für qualifizierte Zuwanderer aus Nicht-EU-Ländern deutlich erhöhen.Dies sei auch notwendig für den Erhalt funktionierender Sozialsysteme. Denn trotz Nachhaltigkeitsfaktor und Ruhestand mit 67 seien die Renten-, Pensions- und Gesundheitssysteme keinesfalls demografiefest. In ihnen schlummern, so das Institut, enorme finanzielle Lasten, die auf künftige Generationen verlagert werden. Die Berliner Denkfabrik schlägt vor, das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung zu koppeln, eine zusätzliche private sowie betrieb-liche Altersvorsorge verpflichtend zu machen und die Rentengarantie, wonach die Renten auch bei schlech-ter Wirtschaftslage niemals sinken dürfen, zurückzunehmen.Als letzte Baustelle nennt das Institut den Umgang mit den demografisch stark angeschlagenen ländlichen Regionen: „Wo die Bevölkerung deut-lich geschrumpft ist, lässt sich die gewohnte Versorgung schon heute nicht mehr garantieren“, sagt Kling-holz. „Die Politik muss sich daher ehr-licherweise vom Primat gleichwertiger Lebensverhältnisse verabschieden. Sie muss einen Ordnungsrahmen für das Kleinwerden, mancherorts sogar für den geordneten Rückzug schaffen.“Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein unabhängiger Thinktank, der sich mit Fragen regio-naler und globaler demografischer Veränderungen beschäftigt. Das Insti-tut wurde 2000 als gemeinnützige Stif-tung gegründet und hat die Aufgabe, das Bewusstsein für den demografi-schen Wandel zu schärfen, nachhaltige Entwicklung zu fördern, neue Ideen in die Politik einzubringen und Kon-zepte zur Lösung demografischer und

Stadt statt Lärm

Ansätze für eine wirksame Lärmminderung

Die Ausgabe 3-2013 der Fachzeit-schrift „Informationen zur Raum-entwicklung“ befasst sich mit dem Thema Lärm. Lärm ist besonders in den Städten ein ernstes Umwelt- und Gesundheitsproblem. Laute Geräusche können nicht nur das Gehör schädigen, sondern sich auch auf den ganzen Kör-per auswirken und Stress auslösen.Aufgabe der Stadt-, Verkehrs- und Bauleitplanung muss es daher sein, Maßnahmen zur Vorbeugung und zum Schutz gegen Lärm zu entwickeln und umzusetzen. In der Praxis ist dies jedoch noch nicht immer ein leiten-

Abb. 16 Familien-politik soll die-jenigen fördern, die tatsächlich auch Verantwor-tung übernehmen (Foto: © Stephanie Hofschläger/Pixelio)

Abb. 17 Lärm-schutzmaßnahmen – oft nicht schön, aber für Anwohner von entscheidender Bedeutung für die Lebensqualität. Im Bild die Metro in Kopenhagen (Foto © Willi Dörr/Pixelio)

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der EU-Umgebungslärmrichtlinie zum Tragen kommen (Abb. 17).Neben Lösungsmöglichkeiten für die Stadt- und Bauleitplanung geben die Beiträge Denkanstöße für politische Entscheidungsträger sowie Fachleute in Verwaltung und Privatwirtschaft. Vorgestellt werden aber auch die Hemmnisse, welche einer wirksamen Lärmminderung in den Kommunen entgegenstehen können.

der Planungsgedanke. Es braucht also wirksame Konzepte. Denn weniger Lärm bedeutet Gesundheitsschutz, mehr Lebensqualität und geringere volkswirtschaftliche Kosten. Das Heft geht sowohl auf die Lärmsitua-tion in den deutschen Großstädten als auch auf die gesundheitlichen Folgen von Lärm ein. Im Mittelpunkt stehen Ansätze für eine wirksame Lärmmin-derung, wie sie etwa in der Umsetzung

Bestellung der Ausgabe 3/2013 „Stadt statt Lärm“: Zum Preis von 19 € per E-Mail an [email protected]. Weitere Informa-tionen: www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroef-fentlichungen/IzR/izr_node.html, Kontakt: Christian Schlag, Stab Direktor, Tel.: 02 28/ 994 01– 14 84, E-Mail: [email protected]; Thomas Wehmeier, Referat I 5– Verkehr und Umwelt, Tel.: 02 28/ 994 01- 12 35, E-Mail: [email protected].

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