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Staats- und Verfassungskrise 1933 () || Aktuelle Krisenbewältigung im Vergleich mit den Strategien...

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145 Helene Schuberth Aktuelle Krisenbewältigung im Vergleich mit den Strategien der 1930er-Jahre 1 1. Einleitung Wer nichts aus der Geschichte lernt, heißt es, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen. Das ist nicht ganz richtig, denn jede geschichtliche Periode hat ihre Eigenheiten. Aber wir können die Momente erken- nen, in denen die Geschichte möglicherweise in eine andere Rich- tung gegangen wäre, wenn sich die Protagonistinnen/Protagonisten anders verhalten hätten. Was wir aber auf alle Fälle aus der Geschichte gelernt haben soll- ten, ist, dass Fehlentwicklungen oder gar Katastrophen meist als Fol- ge von falschen Grundannahmen, fehlerhaften Einschätzungen und Realitätsverleugnung entstanden sind. Oder aber sinnvoll scheinende Einzelentscheidungen führten zu nicht mehr kontrollierbaren Ket- tenreaktionen, weil die Wirkung auf das Ganze nicht oder zu wenig berücksichtigt wurde. Der Weg, der in die Große Depression der 1930er-Jahre führte, und die Reaktionen darauf bieten reichlich Anschauungsmaterial für die viel diskutierte Hypothese, dass alternatives wirtschaftspoli- tisches Handeln nachfolgende politische Entwicklungen möglicher- weise hätte verhindern können. Dies wird oft für Deutschland und Österreich konstatiert. Die Wirtschaftspolitik habe den Aufstieg des Faschismus begünstigt. In den Vereinigten Staaten hingegen wurde die Krise für weitreichende Reformen und eine Stärkung der Demo- 1 Ein spezieller Dank geht an Johann Kernbauer für wertvolle Kommentare. Brought to you by | Brown University Rockefeller Lib Authenticated | 128.148.252.35 Download Date | 6/3/14 4:58 PM
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Helene Schuberth

Aktuelle Krisenbewältigung im Vergleich mit den Strategien der 1930er-Jahre1

1. Einleitung

Wer nichts aus der Geschichte lernt, heißt es, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen. Das ist nicht ganz richtig, denn jede geschichtliche Periode hat ihre Eigenheiten. Aber wir können die Momente erken-nen, in denen die Geschichte möglicherweise in eine andere Rich-tung gegangen wäre, wenn sich die Protagonistinnen/Protagonisten anders verhalten hätten.

Was wir aber auf alle Fälle aus der Geschichte gelernt haben soll-ten, ist, dass Fehlentwicklungen oder gar Katastrophen meist als Fol-ge von falschen Grundannahmen, fehlerhaften Einschätzungen und Realitätsverleugnung entstanden sind. Oder aber sinnvoll scheinende Einzelentscheidungen führten zu nicht mehr kontrollierbaren Ket-tenreaktionen, weil die Wirkung auf das Ganze nicht oder zu wenig berücksichtigt wurde.

Der Weg, der in die Große Depression der 1930er-Jahre führte, und die Reaktionen darauf bieten reichlich Anschauungsmaterial für die viel diskutierte Hypothese, dass alternatives wirtschaftspoli-tisches Handeln nachfolgende politische Entwicklungen möglicher-weise hätte verhindern können. Dies wird oft für Deutschland und Österreich konstatiert. Die Wirtschaftspolitik habe den Aufstieg des Faschismus begünstigt. In den Vereinigten Staaten hingegen wurde die Krise für weitreichende Reformen und eine Stärkung der Demo-

1 Ein spezieller Dank geht an Johann Kernbauer für wertvolle Kommentare.

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kratie genützt. Neben unterschiedlichen demokratischen Traditionen spielen ökonomische Faktoren für die Erklärung dieser Unterschiede zwischen Europa und den USA eine bedeutende Rolle.

Es waren die tief ins Bewusstsein eingebrannten, traumatischen Erfahrungen der Großen Depression, die die internationale Staaten-gemeinschaft in den Jahren nach dem Ausbruch der Krise im Au-gust 2007 zu international konzertierten Aktivitäten der Krisenbe-kämpfung veranlassten, die sicherlich als weitreichend und historisch beispiellos interpretiert werden können. Dennoch stellt sich heute die Frage, inwieweit tatsächlich in der nun schon seit sechs Jahren andauernden Krise die richtigen Lehren aus den Verwerfungen der 1930er-Jahre gezogen wurden. Da die Krise bislang verschiedene wirt-schaftspolitische Reaktionen auf die bei Finanzkrisen typischen drei Phasen – die Banken- und Finanzkrise (2007/08), die Wirtschafts-krise (ab 2008) und schließlich die sogenannte Staatsschuldenkrise, insbesondere in Europa (ab 2010) – ausgelöst hat, ist die Antwort darauf nicht eindeutig. Ebenso ist die Frage für die Länder bzw. Re-gionen unterschiedlich zu beantworten.

In Kapitel 2 wird die Große Depression (1929/32) mit der Großen Rezession (2008/09) in Hinblick auf verschiedene wirtschaftspoliti-sche Bereiche verglichen. Zunächst wird diskutiert, inwieweit die bei-den Weltwirtschaftskrisen in Hinblick auf Ursachen und Sequenz der Krisenereignisse überhaupt vergleichbar sind (Kap. 2.1.). Schließlich werden Parallelen und Unterschiede der geld- und fiskalpolitischen Reaktion beschrieben (Kap. 2.2. und 2.3.) sowie die Maßnahmen in der Finanz- und Bankenregulierung verglichen (Kap. 2.4.). Der in den ersten beiden Krisenphasen – der Finanzkrise sowie der nach-folgenden Wirtschaftskrise – erfolgte Einsatz von konventionellen und nichtkonventionellen geldpolitischen Instrumenten sowie die Maßnahmen der Konjunkturstabilisierung standen konträr zu jenen der 1930er-Jahre. Allerdings wird die seit der dritten Phase (der soge-nannten Staatsschuldenkrise) insbesondere in den europäischen Kri-senländern verfolgte Austeritätspolitik oft mit der Deflationspolitik von Reichskanzler Heinrich Brüning in der Weimarer Republik in

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den Jahren 1930 bis 1932 oder aber mit der vom Völkerbund oktroy-ierten rigiden Sparpolitik in Österreich im Zusammenhang mit den Genfer Protokollen 1922 sowie der Lausanner Anleihe 1932 verglichen.

Damals wie heute stellt sich die Frage nach Alternativen, die zum Beispiel in der Bewertung der Anfang der 1930er-Jahre gesetzten wirt-schaftspolitischen Maßnahmen Deutschlands zu der Kontroverse über die „Borchardt-Hypothese“2 führte, die angesichts der hohen Aus-landsverschuldung Deutschlands und der Beschränkungen des Gold-standards die gängige Sichtweise, eine expansive keynesianische Politik hätte die Weltwirtschaftskrise früher beenden können, in Frage stellte.3

Eine in diesem Zusammenhang bislang wenig beachtete und in-teressante Parallele findet sich zwischen der Rolle Deutschlands und Österreichs im Goldstandardsystem der Zwischenkriegszeit und jener der Krisenstaaten der Währungsunion heute; aber es gibt auch bedeu-tende Unterschiede, die gerade für die Diskussion um die Perspekti-ven des Euro wichtig sind. Die Europäische Währungsunion kann als strikte Variante des Goldstandards gesehen werden4, wobei die Fixierung der Wechselkurse in beiden Währungsregimen die Autono-mie der Wirtschaftspolitik erheblich einschränkt. Kapitel 3 diskutiert mögliche Schlussfolgerungen, die sich aus den Erfahrungen Deutsch-lands und Österreichs mit dem Goldstandard für die heutigen Proble-me in den Krisenstaaten ergeben. Kapitel 4 zieht ein Resümee.

2 Knut Borchardt, Zwangslagen und Handlungsspielräume in der großen Weltwirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre: Zur Revision des über-lieferten Geschichtsbildes, in: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1979, 83–132.

3 Hansjörg Klausinger, Die Alternativen zur Deflationspolitik Brünings im Lichte der zeitgenössischen Kritik: zugleich ein neuer Blick auf die Borchardt-These, Wien 1997.

4 Barry Eichengreen/Peter Temin, Fetters of Gold and Paper, in: Oxford Review of Economic Policy 26 (2010) 3, 370–384.

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2. Große Depression versus Große Rezession

2.1. Krisenursachen und Krisenverlauf im Vergleich

Sowohl die Große Depression der 1930er-Jahre als auch die Große Rezession ab 2008 begannen als Finanzkrisen. Auslöser der Großen Depression war ein „Börsencrash“ im Oktober 1929 in den USA, dem eine Boomphase vorangegangen war, die durch kreditfinanzierten Konsum, eine Immobilien- und Aktienkursblase, steigende Vermö-gens- und Einkommensungleichheit sowie fremdfinanzierte Aktien-käufe gekennzeichnet war. Der außergewöhnlich starke Aktienkurs-einbruch trieb viele Unternehmen in den Konkurs und die Wirtschaft in eine schwere Rezession, die durch die Maßnahmen der Wirtschafts-politik noch verstärkt wurde. Liquiditäts- und Solvenzprobleme des Bankensektors und schließlich ein Run auf einige Banken traten erst auf, als das Bruttosozialprodukt bereits um zehn Prozent gefallen war.5 In der Folge musste ein Drittel der Banken liquidiert werden.6

Der Börsenkrach in New York verbreitete Schockwellen in der ganzen Welt, wobei die unmittelbarste Wirkung auf die europäischen Länder, und insbesondere Deutschland, darin bestand, dass es zu ei-nem ‚sudden stop‘ kam: US-amerikanische Banken und Eigentüme-rinnen/Eigentümer von in Deutschland emittierten Anleihen verwei-gerten die weitere Finanzierung der deutschen Zahlungsbilanzdefizite, auch um ihre eigenen durch die Krise in Mitleidenschaft gezogenen Bilanzen zu stärken. Zur Finanzierung der Reparationszahlungen, des Zinsendienstes und schließlich der Leistungsbilanzdefizite ver-schuldete sich Deutschland in den 1920er-Jahren überwiegend in den USA und Großbritannien. Das Ausbleiben der Finanzierung führte zwischen 1929 und 1933 zu einem starken Wirtschaftseinbruch, der durch das Festhalten am Goldstandard und die eingeschlagene defla-torische Politik noch verstärkt wurde. Hier ist allerdings zu erwähnen,

5 Albrecht Ritschl, War 2008 das neue 1929? Richtige und falsche Vergleiche zwischen der Großen Depression der 1930er-Jahre und der Großen Rezes-sion von 2008, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik 13 (2012), 36–57.

6 Randall E. Parker, Reflexions on the Great Depression, Cheltenham 2002.

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dass sich Deutschland und insbesondere Österreich bereits in den 1920er-Jahren, bedingt durch die Nachwirkungen des Krieges, der politischen Instabilität, der Hyperinflation, der Bankenkrisen und der hohen Auslandsverschuldung in einer schwierigen wirtschaftlichen Phase befanden. 1929 lag in Deutschland das Bruttosozialprodukt pro Kopf unter dem Niveau von 19137, in Österreich knapp darüber.

Eine weitere Eskalationsstufe im Krisenverlauf wurde durch den Zusammenbruch der Österreichischen Creditanstalt im Mai 1931 ausgelöst, der in Deutschland die dortige Bankenkrise verstärkte und zu einem Run auf Banken und zu weiterer Kapitalflucht führte. Im September 1931 suspendierte schließlich Großbritannien die Gold-konvertibilität des Pfund Sterling. Dies markierte den Beginn des Zerfalls des internationalen Goldstandards, dem eine Phase nationa-ler Alleingänge mit kompetitiven Abwertungen, Kapitalverkehrskon-trollen und Handelsprotektionismen folgte.

Auch die Große Rezession 2009 war die Folge einer Finanzkrise. Allerdings wurde sie durch eine Krise des Banken- und Finanzsys-tems im Sommer 2007 ausgelöst, die direkte Folge des Zusammen-bruchs eines kleinen Segments des Immobilienmarktes in den USA war, und nicht durch einen Börsenkrach wie 1929. Sie ist daher eher mit der Bankenkrise 1931 vergleichbar. Damals wie 2007 ist das Ban-kensystem mit zu wenig Eigenkapital in die Krise geschlittert.

Die in den Jahren vor 2007 entwickelten komplexen Techniken der Verbriefung von Krediten und des Kreditrisikotransfers, die den weltweiten Handel mit Hypothekenkrediten in großem Maßstab möglich machten, waren wesentlich dafür verantwortlich, dass sich die Krise rasch global ausweitete.

Hedgefonds, Zweckgesellschaften und einige Banken, die diese von den Ratingagenturen mit Bestnoten ausgezeichneten, nun zum Teil un-einbringlich gewordenen verbrieften Kredite gekauft hatten, gerieten rasch zunächst in Illiquidität oder sogar in Insolvenz (z. B. Northern Rock, Bear Stearns). Mit der Dauer der Krise, die zu Beginn als ein auf

7 Ritschl, War 2008 das neue 1929?

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das US-Bankensystem isolierbares Phänomen begriffen wurde, offen-barten sich nicht nur laufend neue, bislang unbeachtete Schwachstellen in der Finanzmarktregulierung, es zeigte sich auch die Fragilität des globalen Finanzsystems, die die Forderung nach einer umfassenden Regulierung verstärkte. Es folgte die Teilverstaatlichung von Banken – sowohl in den USA als auch in Europa. Die Pleite der US-Invest-mentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 löste schließlich eine Kettenreaktion aus, mit der nahezu das gesamte Kreditgeschäft zwischen den Banken (Zwischenbankmarkt) – das ohnehin bereits seit Mitte 2007 erheblichen Störungen unterlag – zum Erliegen kam. An den Börsen kam es 2008 zu noch größeren Einbrüchen als im Jahr zuvor. Im Verlauf des Jahres 2008 und schließlich 2009 führte die Fi-nanzkrise über Finanzierungsbeschränkungen und den Einbruch des Welthandels weltweit zu einem massiven Rückgang der Wirtschafts-leistung, wie er in den Jahrzehnten zuvor nicht beobachtet worden war.

Die hier kurz chronologisch dargestellten, höchst unterschiedli-chen Verläufe und Übertragungsmechanismen der beiden Krisen sind keineswegs mit den tieferen Krisenursachen zu verwechseln, die merkbare Parallelen zeigen. Ein weitgehend unreguliertes oder zu wenig reguliertes Banken- und Finanzsystem, spekulative Exzesse unproduktiver Rentiers, steigende Ungleichheit der Einkommen und Vermögen8, steigende Verschuldung und der Aufbau makroökonomi-scher Ungleichgewichte spielten im Vorfeld beider Krisen eine gewisse Rolle, ebenso die Hegemonie wirtschaftsliberaler volkswirtschaftlicher Paradigmen, die staatlichen Eingriffen skeptisch gegenüber standen.

2.2. Wirtschaftspolitische Reaktionen

Der in der Anfangsphase der Großen Rezession beobachtbare Gleich-klang beim Einbruch der Industrieproduktion und der noch stärke-re Rückgang des Außenhandelsvolumens und der Börsenkurse im

8 Michael Kumhof/Romain Rancière, Inequality, Leverage and Crisis, In-ternational Monetary Fund Working Paper 10/286, Washington 2010.

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Vergleich mit dem Verlauf dieser Daten in der Großen Depression nährte zunächst Befürchtungen, die Wirtschaft würde sich ähnlich dramatisch wie damals entwickeln.9 Ein Zusammenbruch des Welt-finanzsystems, der Kollaps von Banken, Versicherungen und anderen Finanzinstitutionen, mit unabsehbaren realwirtschaftlichen Folgen konnte letztlich nur durch eine historisch einzigartige, internatio-nal koordinierte Vorgehensweise von Notenbanken ab dem Sommer 2007 und der Regierungen im Rahmen von Banken- und Konjunk-turstabilisierungsmaßnahmen ab Herbst 2008 verhindert werden.

Während die Große Depression in den meisten Ländern etwa drei Jahre lang dauerte, in deren Verlauf das Bruttoinlandsprodukt in den USA um 27 Prozent, in Deutschland um 16 Prozent und in Öster-reich um 20 Prozent einbrach und die Arbeitslosenquote 1932 auf 24 Prozent in den USA, 30 Prozent in Deutschland und 26 Prozent in Österreich anstieg, endete die Große Rezession nach ein bis zwei Jahren. Der Wirtschaftseinbruch war mit 2,9 Prozent in den USA, 5,4 Prozent in Deutschland und 3,4 Prozent in Österreich deutlich schwächer, ebenso der Anstieg der Arbeitslosigkeit.10 Auch ist es ge-lungen, die in den 1930er-Jahren ausgeprägte Deflation – so fiel das Preisniveau in Deutschland und den USA zwischen 1929 und 1932 um die 20 Prozent – zu verhindern.

Trotz bereits in den Jahren 2010 und 2011 erfolgter rascher Rück-kehr zu positivem, aber moderatem Wachstum in den Industrie- und aufstrebenden Volkswirtschaften dauern die Wirkungen der jüngsten Finanzkrise fort. Die Arbeitslosigkeit ist höher als vor der Krise und steigt in vielen Ländern an, Konjunktur- und Bankenrettungspake-te sowie der starke Wirtschaftseinbruch hinterließen tiefe Spuren in den Staatshaushalten, die Reform des Banken- und Finanzsystems ist noch lange nicht abgeschlossen. Der Euroraum befindet sich seit

9 Barry Eichengreen/Kevin H. O’Rourke, A tale of two depressions. What do the new data tell us? VoxEU.org, March 8, 2010.

10 Karl Aiginger, The Great Recession versus the Great Depression: Stylized Facts on Siblings That Were Given Different Foster Parents, in: Econo-mics: The Open-Access, Open-Assessment E-Journal, Vol. 4, 2010–18.

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Ende 2011 wieder in der Rezession und die Krise hat die Schwächen der wirtschaftspolitischen Koordinierungsarchitektur der Europäi-schen Währungsunion, an deren Beseitigung in mühevollen Schrit-ten gearbeitet wird, offen zu Tage treten lassen.

2.2.1. GeldpolitikDass die Geldpolitik den zentralen Beitrag dazu leistete, dass sich die Erfahrungen der Großen Depression nicht wiederholten, gilt heute als unbestritten.11 Sowohl die US-amerikanische Notenbank als auch die Europäische Zentralbank (EZB) setzten über Zinssenkungen tra-ditionell konventionelle, aber auch nicht-konventionelle Maßnah-men der Geldpolitik.12 Letztere haben – in einer Situation, in der sich der Nominalzinssatz nahe Null bewegt und nicht weiter gesenkt wer-den kann – zum Ziel, dem Deflationsrisiko dennoch vorzubeugen und die Finanzierungsbedingungen in bestimmten Marktsegmen-ten zu verbessern. Im Unterschied zur konventionellen Geldpolitik, bei der Notenbanken den Banken temporär gegen Wertpapiere als Sicherheit Geld leihen, erwerben sie nun Wertpapiere (z. B. Staats-anleihen) auf direktem Weg13, um spezifische, etwa von Illiquidität betroffene Finanzmarktsegmente zu unterstützen.

Während die US-amerikanische Notenbank Maßnahmen der Li-quiditätsbereitstellung für das Bankensystem unmittelbar nach Kri-senausbruch mit einer forcierten Zinssenkungsstrategie sowie mit dem Einsatz unkonventioneller Maßnahmen der Geldpolitik kombinierte, wählte die EZB zunächst eine andere Vorgehensweise. Sie reagierte

11 Christiane Baumeister/Luca Benati, Unconventional Monetary Policy and the Great Recession: Estimating the Impact of a Compression in the Yield Spread at the Zero Lower Bound, European Central Bank, Working Paper Series No 1258, October 11, 2010.

12 Helene Schuberth, Geldpolitik und Finanzkrise. Die Bedeutung nicht konventioneller geldpolitischer Maßnahmen, in: WSI Mitteilungen 09/2009, 489–496.

13 Ben Bernanke, The Crisis an the Policy Response, Stamp Lecture, London School of Economics, London, January 13, 2009.

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rasch und effektiv mit großzügiger Bereitstellung von Liquidität an das Bankensystem, um speziell der Anspannung am Geldmarkt (Interban-kenmarkt) entgegenzuwirken. Ab Anfang Oktober 2008 entschloss sie sich dann auch, entsprechend dem schon zuvor eingesetzten globalen Zinssenkungszyklus den Refinanzierungszinssatz für den Euroraum rasch bis auf ein Prozent zu senken; im November 2013 senkte sie ihn schließlich auf 0,25 Prozent. Im Vergleich dazu hat die US-amerika-nische Notenbank bereits in der zweiten Hälfte 2007 begonnen, die Leitzinsen zügig um insgesamt fünf Prozentpunkte auf das Niveau von 0,25 Prozent zu senken, auf dem sie seither verharren.

Ab Anfang Mai 2009 beschloss der EZB-Rat, zusätzlich auch nicht-konventionelle Maßnahmen der Geldpolitik einzusetzen. Es wurde vereinbart, direkt besicherte Wertpapiere (= covered bonds) im Ausmaß von circa 60 Milliarden Euro zu erwerben, um einer dro-henden Kreditverknappung entgegenzusteuern und insbesondere im Marktsegment der Immobilienfinanzierung expansiv zu wirken. Mit dem Ausbruch der sogenannten Staatsschuldenkrise in Europa wurde im Mai 2010 schließlich ein Aufkaufprogramm von Staatsanleihen und privaten Anleihen gestartet, um insbesondere dem Zinsanstieg von Staatsanleihen in einigen Krisenländen entgegenzuwirken und damit den Transmissionsmechanismus der Geldpolitik zu verbessern. Diesem Schritt folgte zwei Jahre später die Ankündigung der EZB, unter strengen Auflagen für die betroffen Staaten, am Sekundär-markt unlimitiert Staatsanleihen zu kaufen.

Insgesamt konnten die international akkordierten expansiven Maßnahmen von Notenbanken, die bis heute fortgesetzt und in manchen Ländern ausgebaut wurden, einen Zusammenbruch des Weltfinanzsystems verhindern und mit dazu beitragen, dass unmit-telbar nach dem Krisenjahr 2009 die Volkswirtschaften wieder zu einem – allerdings moderaten – Wachstum zurückkehren konnten.

Die seit 2007 gesetzten geldpolitischen Maßnahmen stehen kon-trär zu denen, die in den 1930er-Jahren getroffen wurden. Die re-striktive Geldpolitik der US-amerikanischen Notenbank, die der Wirtschaft damals Liquidität entzog, hat wesentlich dazu beigetra-

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gen, dass die Rezession zur Depression wurde.14 Oberstes Ziel war zunächst, den Goldstandard, eine fixe Parität des Dollar zum Preis des Goldes, aufrecht zu erhalten. Die Länder, die sich in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg dieser internationalen monetären Ord-nung unterwarfen, hatten damit die Wechselkurse de facto zueinan-der fixiert. Die zu Beginn der 1920er-Jahre von Hyperinflation und Bankenkrisen geplagten Staaten Zentraleuropas versprachen sich da-durch die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit und Preisstabili-tät. Die Beibehaltung des geltenden Währungssystems war aber auch die Bedingung der Gläubiger (z. B. USA und Frankreich) für weitere Kredite an die europäischen Schuldnerländer, deren Rückzahlung sie, die Kreditgeber, durch eine mögliche Abwertung der Währun-gen der betroffenen Staaten gefährdet sahen. Das bedeutete letztlich, dass die nationalen wirtschaftspolitischen Handlungsspielräume in diesem quasi fixen Wechselkurssystem stark eingeschränkt waren.

Als sich Anfang der 1930er-Jahre nach und nach die europäischen Staaten vom Goldstandard lösten, um den rezessionsbedingten Preis-verfall entgegenzuwirken oder infolge spekulativer Attacken, wie ge-gen das Pfund Sterling, lösen mussten, erhöhte die US-amerikanische Notenbank im Oktober 1931 den Zinssatz, der bereits ab 1928 ange-hoben worden war, nochmals signifikant, um die Goldparität des Dollar aufrecht zu erhalten und letztlich den Goldabfluss zu stoppen. Gleichzeitig wurde der Wirtschaft Liquidität entzogen. Andere Län-der folgten mit dieser monetären Restriktion und verschärften damit die Rezession weiter. Einseitige Abwertungen, allen voran Großbri-tanniens, verlagerten den Deflations- und Rezessionsdruck zu den nicht abwertenden Ländern: Die USA werteten ihre Währung erst 1933 ab und setzten unmittelbar danach expansive geldpolitische

14 Price V. Fishback, US Monetary and Fiscal Policy in the 1930s, in: Ox-ford Review of Economic Policy 26 (2010) 3, 385–413; Milton Friedman/Anna J. Schwartz, A Monetary History of the United States, 1867-1960, Princeton 1963; Gauti B. Eggertsson/Michael Woodford, The Zero Bound on Interest Rates and Optimal Monetary Policy, in: Brookings Papers on Economic Activity 34 (2003) 1, 139–235.

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Schritte, die zusammen mit anderen Maßnahmen des New Deal ei-nen beeindruckenden Aufschwung mit jährlichen Wachstumsraten von über acht Prozent einleitete. Dieser dauerte bis 1937 an15 und ermöglichte letztlich eine allmähliche Erholung der Weltwirtschaft. Frankreich folgte 1936 mit der Abkehr vom Goldstandard, ohne sich von der Rezession befreien zu können. Deutschland stellte 1931 die Goldkonvertibilität ein, wertete aber nicht ab, sondern erzielte Vor-teile für den Export über den Weg von Prämien und Subventionen. Bis 1933 vertiefte sich die Depression mit zerstörerischen innenpoliti-schen Konsequenzen. Eine ähnliche Entwicklung nahm Österreich, das den Goldstandard erst im April 1933 suspendierte. Deutschland und Österreich führten 1931 im Zuge der Banken- und Währungskri-se Kapitalverkehrskontrollen und Devisenbeschränkungen ein.

Die restriktive Geldpolitik der Deutschen Reichsbank unmittelbar vor und während der Weltwirtschaftskrise ist Teil der Deflationspoli-tik von Reichskanzler Heinrich Brüning. Sie ergab sich unmittelbar aus den Erfordernissen des Goldstandards und internationaler Verein-barungen im Zusammenhang mit Reparationszahlungen sowie Kon-ditionen von Gläubigerstaaten. Die Befürchtung war, eine z. B. von John Maynard Keynes 1932 vorgeschlagene Abkehr Deutschlands vom Goldstandard könne angesichts des 1929 in Kraft getretenen Young-Plans, der die Modalitäten der Reparationszahlungen neu regelte, von den Gläubigern möglicherweise als Versuch einer einseitigen Änderung der Spielregeln aufgefasst und mit Kapitalflucht beantwortet werden.16 International abgesicherte Bestimmungen des Reichsbankgesetzes in Bezug auf Goldparität und das Verbot des Ankaufs von Staatspapieren durch die Reichsbank machten expansive geldpolitische Impulse im Rahmen der gültigen Rechtslage schwierig und die Notenbankfinan-zierung von Beschäftigungsprogrammen unmöglich. Darüber hinaus

15 Christina D. Romer, What Ended the Great Depression?, in: Journal of Economic History 52 (1992) 4, 757–784.

16 William L. Patch, Jr/William L. Patch, Heinrich Brüning and the Disso-lution of the Weimar Republic, Cambridge 2006.

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hatte die Währungs- und Bankenkrise 1931 die Zahlungsbilanzsituation Deutschlands dramatisch verschärft und trotz Devisenbewirtschaftung den Spielraum für eine expansive Geldpolitik über das im Goldstan-dard ohnehin eingeschränkte Maß hinaus eingeengt.

Allerdings muss erwähnt werden, dass eine Abkehr vom Gold-standard und eine expansive Geldpolitik weder von den damals einflussreichen Ökonomen, noch von der deutschen Regierung in Erwägung gezogen wurden – selbst die zahlreichen Programme, die angesichts des drohenden Aufstiegs der NSDAP zur Ankurbelung der Wirtschaft vorgelegt wurden, waren bezüglich der Forderung nach einer Abwertung zögerlich. Zu sehr war auch die Mehrzahl der Proponenten von Konjunkturprogrammen von der Inflationsgefahr einer expansiven Geldpolitik und einer möglichen Wiederholung der traumatischen Erfahrungen der Hyperinflation der 1920er-Jahre überzeugt. Dies ist angesichts der Schulden-Deflations-Spirale und einer Produktionslücke, die auf annähernd 20 Prozent geschätzt wird, heute schwer nachvollziehbar.17

Auch Österreichs geldpolitischer Handlungsspielraum zur Krisen-bekämpfung war gering. Es war die Pfadabhängigkeit von Fehlern und Versäumnissen der Vergangenheit, die dazu führte, dass Ös-terreich einen guten Teil seiner wirtschaftspolitischen Souveränität schon früh an ausländische Gläubiger abgeben musste, zuerst im Zuge der Genfer Sanierung 1922 und später im Rahmen der Lau-sanner Anleihe 1932. Zu den Fehlern zählten beispielsweise, dass die Notenbankfinanzierung der Budgetdefizite unmittelbar nach Kriegs-ende fortgeführt wurde, was zur galoppierenden Inflation führte und zur Notwendigkeit einer Währungsstabilisierung mithilfe einer an strenge Konditionen geknüpften Anleihe einiger Völkerbundstaa-ten. Ein großes Versäumnis war, dass die strukturellen Probleme des auf die Monarchie ausgerichteten hypertrophen Bankensektors nicht durch dessen geordnete Redimensionierung gelöst wurden. Stattdessen schwächten zahlreiche Liquidationen und Bankzusam-

17 Klausinger, Alternativen.

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menbrüche, die 1931 in jenem der Creditanstalt ihren Kulminations-punkt fanden, die reale Wirtschaft und führten zur weiteren Flucht aus der Währung. Die Creditanstalt, die sich mit der Übernahme der Bodenkreditanstalt übernommen hatte, wurde zwar aufgrund ihrer systemischen Bedeutung unter Beteiligung der Bank of Eng-land aufgefangen. Dennoch griff die Krise auf Deutschland über, dessen Bankensystem ohnehin schon angeschlagen war, und weitere Schockwellen erfassten die Weltwirtschaft, sodass sich letztlich die Krise weiter vertiefte. Auf die Kapitalflucht, die viel zu spät durch Devisenkontrollen begrenzt wurde, reagierte die Notenbank mit ei-ner Hochzinspolitik, die die Krise verschärfte. Auch in Österreich verhinderten das Trauma der Inflation der frühen 1920er-Jahre und die Orthodoxie der Wirtschaftswissenschaften eine Diskussion über eine Abkehr vom Goldstandard.18

Damals wie heute gab es Bemühungen zur internationalen Ko-operation, wie zum Beispiel die Einberufung der „London World Economic Conference“ von 1933, um in dieser Situation währungs-, geld- und wirtschaftspolitische Alleingänge mit desaströsen Wirkun-gen zu verhindern und international koordinierte Maßnahmen zur Beendigung der Großen Depression zu ergreifen.19 Im Unterschied zu heute scheiterten diese Bemühungen an widerstreitenden nationa-len Interessen, aber auch an ökonomischen Fehleinschätzungen über die Ursachen der Krise, die letztlich kontraproduktive Rezepte der Krisenbewältigung begründeten.

2.2.2. Fiskalpolitik und BankenrettungspaketeSo blieben in der Großen Depression die Budgetdefizite weitgehend ausgeglichen. Mit Schützenhilfe der damals dominierenden Wirt-

18 Hans Kernbauer/Fritz Weber, Von der Inflation zur Depression. Österreichs Wirtschaft 1914–1938, in: Emmerich Tálos/Wolfgang Neugebauer (Hg.), „Austrofaschismus“. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938 (= Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik, Bd. 18, hg. vom Verein kri-tische Sozialwissenschaften und politische Bildung), Wien 1984, 1–30.

19 Eichengreen/Temin, Fetters.

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schaftswissenschaften wurden in den europäischen Schuldnerländern die Forderungen nach Konjunkturprogrammen mit dem Hinweis auf die fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten und die Notwendig-keit der internen Abwertung über Lohnsenkungen (z. B. Kündigung von Kollektivverträgen) und Sparmaßnahmen (Kürzung von Ar-beitslosen- und Krankengeld, Pensionskürzungen) zur Erlangung der Wettbewerbsfähigkeit abgelehnt. Aus der zumindest in Deutschland und Österreich dominierenden, aber auch in den USA einflussrei-chen, auf der monetären Überinvestitionstheorie beruhenden Kon-junkturerklärung, deren prominentester Vertreter August Friedrich von Hayek war, folgte die Ablehnung expansiver Maßnahmen in der Geld- und Fiskalpolitik, weil diese der notwendigen „Reinigungs-funktion“ jeder Krise entgegenstünden und die Funktionsfähigkeit freier Märkte beeinträchtigen würden. Die Krise wurde als Mittel gesehen, Lohnstarrheiten, Staatseingriffe in den Preismechanismus und den Arbeitsmarkt zu beseitigen. Auch Joseph Schumpeter for-derte Lohn- und Preissenkungen, den Abbau des Sozialstaates und Budgetkürzungen20, eine Strategie, die wenig später als Heinrich Bü-nings Deflationspolitik bekannt wurde.

Die Forderung nach einem ausgeglichenen Budget war Teil der An-tikrisenmaßnahmen, die auch von den internationalen Gläubigerstaa-ten eingefordert wurden. Reichskanzler Brüning operierte bei der Um-setzung der krisenverschärfenden Spar- und Deflationspolitik 1930/32 mit Notverordnungen, deren von der Opposition geforderte Aufhe-bung im Reichstag keine Mehrheit fand. Auch in Österreich wurde vor der Ausschaltung des Nationalrates im März 1933 im Parlamentarismus ein Hindernis für notwendige Sanierungsmaßnahmen gesehen. Rost van Tonningen, Vertreter des Finanzkomitees des Völkerbundes in Ös-terreich, notierte in seinem Tagebuch, er habe gemeinsam mit Bun-dekanzler Engelbert Dollfuss und dem Notenbankpräsidenten Viktor Kienböck „die Ausschaltung des Parlaments für notwendig gehalten, da

20 Joseph A. Schumpeter, Grenzen der Lohnpolitik, in: Der deutsche Volkswirt 3 (1929) 26, 847–851.

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dieses Parlament die Rekonstruktionsarbeit sabotierte“.21 Im Zuge der sich vertiefenden Wirtschafts- und Währungskrise und der Sanierung der Creditanstalt geriet der Staatshaushalt weiter unter Druck. Das Budgetsanierungsgesetz 1931 sah den Stopp der öffentlichen Investi-tionen, den Abbau von Beamtengehältern und Steuererhöhungen vor, die Auflagen der Lausanner Anleihe 1932 Steuererhöhungen sowie Ein-sparungen des Bundes und der ÖBB. 1933 waren schließlich 45 Prozent aller Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer in der Industrie arbeitslos.22

Auch die USA strebten während der Weltwirtschaftskrise einen ausgeglichenen Haushalt an, allerdings wurden bereits vor der im Jahr 1933 beginnenden Amtszeit von Präsident Franklin D. Roosevelt die konjunkturbedingten Einnahmeausfälle nicht vorwiegend durch Ausgabensenkungen, sondern teilweise durch Steuererhöhungen kompensiert.23 Die ab 1933 eingeleiteten expansiven fiskalpolitischen Maßnahmen und Programme des New Deal waren – gemessen am dramatischen Einbruch der Einkommen – von der Größenordnung her nicht so bedeutend, hatten aber vermutlich, in Kombination mit der expansiven Geldpolitik, eine signifikante positive Wirkung auf die Beschäftigungssituation und die soziale Lage.24

Dass ab 1932 die Budgetdefizite gering gehalten werden konnten, hängt damit zusammen, dass die steigenden Staatsausgaben zum Teil mit höheren Steuern finanziert wurden. So wurde der Spitzensteu-ersatz in der ersten Amtszeit Roosevelts auf 63 Prozent und in der zweiten auf 79 Prozent angehoben. Der Spitzenerbschaftssteuersatz stieg von 20 auf 45, dann auf 60, später auf 70 und schließlich auf 77 Prozent.25 Dennoch stieg die Staatsschuldenquote in den zehn Jahren nach 1929 um fast 30 Prozentpunkte auf 44 Prozent des Bruttoin-

21 Karl Bachinger/Herbert Matis, Der österreichische Schilling. Geschichte einer Währung, Graz 1974, 149.

22 Kernbauer/Weber, Österreichs Wirtschaft.23 Fishback, Fiscal Policy.24 Romer, Great Depression.25 Paul Krugman, The Conscience of a Liberal, Frankfurt/New York 2008.

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landprodukts.26 Ein ähnlich hoher Anstieg ist in den USA nach 2007 zu verzeichnen, allerdings bereits nach fünf Jahren.

Auch unmittelbar vor der Großen Rezession 2009 war die Skep-sis mancher Ökonominnen/Ökonomen gegenüber diskretionä-ren fiskalischen Impulsen, deren Wirkungen zur Ankurbelung der Wirtschaft als begrenzt gesehen wurden, groß. Die Industrie- und Schwellenländer einigten sich aber angesichts der erwarteten Tiefe der Krise unmittelbar nach der Lehman-Pleite rasch auf Konjunk-turprogramme, die in einzelnen Ländern ein quantitativ signifikantes Ausmaß annahmen. Allein zwischen 2008 und 2010 gaben die USA kumulativ 5,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Stimulierungs-maßnahmen (Steuersenkungen, Infrastruktur- und Beschäftigungs-programme) aus, in Deutschland drei Prozent27, in Österreich an die zwei Prozent. Es ist auch den stark expansiven Maßnahmen einiger Schwellenländer (z. B. China) zu verdanken, dass die weltwirtschaft-liche Erholung unerwartet rasch im Jahr 2010 erfolgte.

Kritisiert wurde oft der geringe Anteil von Zukunftsinvestitionen, wie etwa in Bildung, Forschung und Klimaschutz in den US-amerika-nischen und europäischen Konjunkturprogrammen. Die Maßnahmen waren zwar strukturkonservierend, schwächten aber effektiv die Kon-traktion ab. Mit dazu beigetragen hat, dass sie mit wenigen Ausnah-men in sämtlichen OECD-Ländern im Rahmen einer international akkordierten Aktion getroffen wurden, wodurch sich die Fiskalmul-tiplikatoren im Vergleich zu einem nationalen Alleingang erhöhten.28

Zentral für die Stabilisierung des Finanzsektors waren und sind die staatlichen Garantien für die Ausgabe von Bankenanleihen und Re-kapitalisierungen für den Bankensektor, auf die sich die Europäische Union in einer konzertierten Aktion im Herbst 2008 verständigte. Die USA legten das „Troubled Asset Relief Program“ auf, ähnliche Maß-

26 Fishback, Fiscal Policy.27 OECD (Hg.), The Effectiveness and Scope of Fiscal Stimulus, in: OECD

Economic Outlook, Chapter 3, 2010.28 OECD, Effectiveness.

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nahmen hatten sie bereits Monate zuvor eingeleitet. Zwischen Oktober 2008 und Dezember 2011 stellten die Länder der Europäischen Union (EU) insgesamt 13 Prozent des Bruttoinlandprodukts dem Bankensek-tor zur Verfügung. Zwei Drittel davon entfielen auf Garantien, ein klei-nerer Teil auf Maßnahmen zur Kapitalisierung von Banken.29

Auch während der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre kam es vereinzelt zu Stützungsaktionen, staatlichen Rekapitalisierungen und orchestrierten Fusionierungen von systemisch relevanten Banken, wie beispielsweise im Zuge der Bankenkrise 1931, als die Creditanstalt und große deutsche Banken vor dem Kollaps bewahrt wurden. Nach Jahren der Nichteinmischung wurden 1932 in den USA Maßnah-men zur Unterstützung von Banken eingeleitet, die unter Franklin D. Roosevelt ausgeweitet wurden. Diese Initiativen kamen entwe-der zu spät oder konnten, wie im Falle der Krise der Creditanstalt, globale Übertragungswirkungen nicht verhindern. Vor dem Hinter-grund dieser Erfahrungen sind die seit 2007 erfolgten Maßnahmen der Finanzmarkt- und Bankenstabilisierung als überaus erfolgreich zu bezeichnen. Die Kritik, Aktionäre würden geschont und die All-gemeinheit belastet, gab es damals wie heute.

Die Bankenrettungsmaßnahmen, aber auch die Konjunkturpake-te und vor allem die Wirkungen des starken Wirtschaftseinbruchs im Jahr 2009 über rückläufige Steuereinnahmen und automatische Erhöhungen der Staatsausgaben (automatische Stabilisatoren), ließen die Bruttoverschuldungsquoten stark ansteigen: Zwischen 2007 und 2011 erhöhte sich die Schuldenquote im Euroraum um 20 Prozent-punkte auf 87 Prozent, in Deutschland um 15 auf 80 Prozent, in Ös-terreich um zehn Prozentpunkte auf 72 Prozent und in den USA um 35 Prozentpunkte auf 103 Prozent. Die notwendig gewordene Konso-lidierung bremste den Aufschwung und manövrierte – neben vielen anderen Einflussfaktoren – manche europäische Länder wieder in re-zessive Phasen, wobei die Arbeitslosenquoten im europäischen Süden

29 Europäische Kommission (Hg.), Bericht über staatliche Beihilfen der EU-Mitgliedstaaten, KOM (2012) 778.

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auf Niveaus der 1930er-Jahre stiegen. Auch der in den USA nach 1933 einsetzende Aufschwung war nicht von langer Dauer. 1937 schlitterten die USA in eine schwere Rezession. Es war die aus heutiger Sicht zu frühe Rücknahme der expansiven fiskal- und vor allem geldpoliti-schen Maßnahmen, die damals eine Abwärtsspirale auslöste.30

2.2.3. FinanzmarktregulierungDie im New Deal erfolgte rasche Stabilisierung und strenge Regulie-rung des Bankensystems, die über einige Jahrzehnte das Ausbrechen großer Finanzkrisen verhinderte und für die Banken selbst eine noch nie da gewesene Stabilität bedeutete, wird oft als Beispiel einer gelun-genen Krisenbewältigung genannt. Mit dem Glass-Steagall Act 1933 wurde das Trennbankensystem eingeführt, welches das für die reale Wirtschaft wichtige Kredit- und Einlagengeschäft vom risikobehaf-teten Wertpapierhandel abtrennen sollte. Die Aufhebung des Glass-Steagall Act im Jahr 1999, der bereits in den Jahren zuvor über die Einschaltung von Zweckgesellschaften umgangen wurde, war eine der Voraussetzungen für die der Krise 2008 vorausgehende Speku-lationsblase. Mit der 1933 eingerichteten Federal Deposit Insurance Corporation wurde ein Einlagensicherungsfonds geschaffen, der das Vertrauen in das Bankensystem wiederherstellte. Schließlich wurde 1934 die Securities and Exchange Commission gegründet, welche die bis dahin unbeaufsichtigten Wertpapiergeschäfte kontrollieren sollte.

Im Unterschied zur Bankenregulierung im New Deal war nach der Lehman-Pleite 2008 das Ziel einer umfassenden Regulierung ein in-ternational akkordiertes Anliegen. Im Herbst 2008 wurde auf Ebene der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-20) ein Pro-zess initiiert, der ohne Zweifel die weitaus größte Reform der Finanz-marktregulierung seit Jahrzehnten darstellt.31 Allerdings konnte das

30 Charles W. Calomiris/Joseph Mason/David Wheelock, Did Doubling Re-serve Requirements Cause the Recession of 1937–1938? A Microeconomic Approach, in: NBER Working Paper No 16688, January 2011.

31 Helene Schuberth, Finanzmarktregulierung in der EU – Fünf Jahre nach Leh-man, in: Wirtschaft und Gesellschaft 1/2014.

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ursprünglich angepeilte Ziel der umfassenden, lückenlosen Regulie-rung sämtlicher Finanzinstrumente, sämtlicher Segmente des Finanz-marktes sowie sämtlicher Weltregionen nicht erfüllt werden. Dazu kommt, dass viele Reformen zunächst zu moderat angelegt waren und letztlich nachgebessert werden musste. So wurde, um ein Beispiel von vielen zu nennen, die Dringlichkeit der Schaffung eines harmonisier-ten, grenzüberschreitenden Bankeninsolvenzrechts erst im Krisenver-lauf erkannt. Derzeit werden in der EU Rechtsakte vorbereitet, damit systemrelevante Banken geordnet abgewickelt werden können, ohne eine systemische Krise zu verursachen. Schließlich sollten damit auch die fiskalischen Kosten von Finanzkrisen gering gehalten werden, z. B. durch eine verpflichtende Beteiligung von Anleihegläubigern und Eigentümern von Banken an einer allfällig notwendigen Kapitalisie-rung einer Bank im Rahmen von „Bail-In“-Instrumenten.

Die geordnete Bankenabwicklung stellt dabei ein Element der ge-planten Europäischen Bankenunion dar, die die wichtigsten Banken zentral beaufsichtigen wird. Wären ähnliche Instrumente der Ban-kenabwicklung Teil des im Herbst 2008 gespannten Schutzschirms mit den Bankenrettungspaketen gewesen, so wäre letztlich der An-stieg der Staatsschulden moderater ausgefallen.

Eine Parallele zu den Maßnahmen des New Deal stellen die ge-planten Eingriffe in die Marktstruktur dar. Der 2010 verabschiedete Dodd-Frank Act, das Herzstück der Regulierungsreform der USA, sieht unter anderem mit der Beschränkung des Wertpapierhandels eine Rückkehr zu den Intentionen des Glass-Steagall Act vor, aller-dings in abgeschwächter Form. Ein moderates Modell der Idee des Trennbankensystems wird derzeit in der EU diskutiert32, wonach rechtlich, wirtschaftlich und betrieblich voneinander getrennte Toch-terbanken in einer Holdingkonstruktion zusammengefasst werden. Erleidet ein auf den Wertpapierhandel spezialisiertes Tochterunter-

32 Europäische Kommission (Hg.), „Liikanen Report“. The Final Report of The High-Level Expert Group on Reforming the Structure of the EU Banking Sector, October 2, 2012.

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nehmen Verluste, sollen diese nicht auf die anderen Geschäftsfelder der Bank übergreifen können.

Wenngleich eine abschließende Bewertung der Regulierungsreform nicht möglich ist, da diese noch nicht zu Ende geführt ist, so stellt allein der Umstand, dass sie international koordiniert und – zumindest was die Intentionen der Reform betrifft – relativ uniform implementiert wird, eine beachtliche Leistung internationaler Politikkoordination dar.

3. Europäische Währungsunion und Goldstandard im Vergleich

Die Auflösung des Goldstandards ab 1931 machte den Weg frei für expansive Maßnahmen und zuvor abgelehnte Alternativen. Die da-mit wieder gewonnene Souveränität in der Wirtschaftspolitik wurde höchst unterschiedlich genutzt: Aufbau des Sozialstaats im Rahmen des New Deal einerseits und Zerstörung der Demokratie und Errich-tung faschistischer Regime andererseits, wobei der Boden dafür durch die deflationäre Wirtschaftspolitik im Goldstandardsystem aufbereitet worden war. Auch mit dem Verweis auf das strenge Korsett des Gold-standard der 1920er-Jahre, dessen Funktionsmechanismen als eine der Ursachen der Großen Depression gesehen werden33, wird heute der Euroaustritt der europäischen Krisenstaaten als Option diskutiert. Solange die Peripheriestaaten in der Währungsunion verbleiben, so die Argumentation, verlieren sie weiter an Wettbewerbsfähigkeit. Die von der Troika34 verordnete „interne Abwertung“ über Einkommens-senkungen und Kürzungen der Staatsausgaben seien mit der von internationalen Gläubigern in der Zwischenkriegszeit oktroyierten Deflationspolitik Deutschlands und Österreichs vergleichbar. Erst die Abkehr vom Goldstand habe eine Erholung ermöglicht.

33 Barry Eichengreen, Golden Fetters: The Gold Standard and the Great Depression, 1919–1939, New York 1992.

34 Gremium aus Vertreterinnen/Vertretern der EZB, des Internationalen Währungsfonds und der EU-Kommission, das die Verhandlungen über Staatshaushalte von in Finanznot geratenen Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe führt.

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Tatsächlich gibt es einige Parallelen zwischen der Rolle der euro-päischen Krisenstaaten heute und jener Deutschlands und Österreich damals.35 Beide Staaten waren im Ausland verschuldet und dann, nach dem Börsenkrach 1929, mit einer plötzlichen Umkehr der Kapitalströ-me konfrontiert. Auch die Kapitalzuflüsse in die europäischen Krisen-staaten, die ab dem Beginn der Währungsunion einen kreditfinanzier-ten Boom ausgelöst hatten, kehrten sich ab 2010 um. Die Folge war eine Abwärtsspirale von Kapitalflucht, steigenden Zinsen und Staats-schulden, Rezession und Problemen des Bankensektors, die einerseits mit dem Wirtschaftseinbruch zusammenhingen, andererseits waren die Banken auch durch den Kapitalabfluss geschwächt. Ähnliche Probleme stellten sich auch für die Schuldnerstaaten in der Zwischenkriegszeit.

Die Europäische Union setzte seit 2010 eine Reihe von Maßnah-men, um die Abwärtsspirale, in denen die Länder gefangen waren, zu durchbrechen. Dazu zählen die sukzessiv aufgebauten Schutz-schirme, die die Krisenstaaten mit Krediten unterstützen: zunächst die bilaterale Kredite, später die Europäische Finanzstabilisierungs-fazilität (EFSF) und schließlich der ab 2012 dauerhaft eingerichtete Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM). Allein mit der Ankün-digung der EZB im Sommer 2012, Staatsanleihen in unlimitierter Höhe unter strenger Konditionalität am Sekundärmarkt zu kaufen, ist es gelungen, die Zinsen auf Staatsanleihen der Krisenländer signi-fikant zu senken. Im Rahmen der geplanten Errichtung der Europä-ischen Bankenunion, die eine zentrale Beaufsichtigung der wichtigs-ten Kreditinstitute durch die EZB vorsieht und einen Meilenstein in der Antikrisenpolitik darstellt, sollen Banken rekapitalisiert und im Endausbau geordnet abgewickelt werden können.

Als 1931 eine deutsche Großbank im Sog der Krise der Creditan-stalt in Liquiditätsschwierigkeiten geriet und ein Run auf die Ban-ken einsetzte, war es für die Deutsche Reichsbank nicht möglich, bei den Partnerzentralbanken eine über die erste Tranche hinausgehende weitere Liquiditätsunterstützung zu erhalten. Die Argumente, die

35 Ritschl, War 2008 das neue 1929?

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gegen den Kredit ins Treffen geführt wurden, ähnelten denen, die auch heute im Zusammenhang mit den Schutzschirmen zu hören sind: Dies sei zu riskant, inflationär, Deutschland habe über seine Verhältnisse gelebt und solle seine Hausaufgaben machen.36 Die Er-eignisse nahmen ihren Lauf und der Bank Run war einer der vielen Bausteine, der die Rezession in eine Depression verwandelte.

Eine Triebkraft der Abwärtsspirale war damals auch die restriktive Geldpolitik. Die fehlende bzw. stark eingeschränkte geldpolitische Autonomie der Staaten im Goldstandardsystem ist eine weitere Par-allele zur Währungsunion. Während der Weltwirtschaftskrise 1929/32 war aber nicht der Goldstandard das eigentliche Problem, sondern der Umstand, dass die Notenbanken nicht kooperierten, um die Krise gemeinsam zu bekämpfen. Schließlich verfolgten die USA als größter Nettokapitalexporteur und Leitwährungsland ab 1928 eine restriktive Geldpolitik, die anderen Staaten mussten nachziehen, um Kapitalflucht zu verhindern.37 Im Unterschied dazu setzte die EZB im Rahmen ihres Mandats sehr weitreichende, über Zinssenkungen hinausgehende, expansive Maßnahmen, die letztlich auch den Kri-senstaaten zugute kommen.

Die Deflationspolitik Heinrich Brünings wurde damals weitge-hend als alternativlos gesehen. Auch heute wird von der Alternativ-losigkeit der Austeritätspolitik in den Schuldnerstaaten gesprochen solange die Länder in der Währungsunion verbleiben. Die Anpas-sungsprogramme der Troika ziehen zweifelsohne rezessive Wirkun-gen nach sich und erschweren damit die Senkung der Staatsschulden-ziele. Es sind eine Reihe von weniger schmerzhaften Strategien zum Abbau der Leistungsbilanzdefizite und sonstiger Ungleichgewichte denkbar, die mit der Dauer der Krise und dem dramatischen Anstieg

36 Adalbert Winkler, 1931 darf sich nicht wiederholen, in: Financial Times Deutschland, 08.08.2012.

37 Michael D. Bordo/Ehsan U. Choudhri/Anna J. Schwartz, Was Expan-sionary Monetary Policy Feasible During the Great Contraction? An Ex-amination of the Gold Standard Constraint, in: NBER Working Paper No. 7125, May 1999.

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der Arbeitslosigkeit im europäischen Süden verstärkt ins Blickfeld geraten. Ein Weg, die Anpassung zu erleichtern, wäre, diese symme-trischer zu gestalten, indem die Kernwährungsländer über expansive Impulse die Rolle eines Konjunkturmotors im Euroraum einnehmen oder aber die Errichtung von Elementen einer Fiskalunion. Diese Strategien bedürften allerdings einer weiteren Verbesserung der Ko-ordinierung und letztlich einer politischen Vertiefung der Währungs-union. Schließlich ist es nicht die gemeinsame Währung, die für die Probleme im Euroraum verantwortlich ist, sondern der Umstand, dass sie geschaffen wurde, ohne die lohn-, fiskal- und sozialpoliti-sche Koordinierung entscheidend zu vertiefen und das Banken- und Finanzsystem zentral und streng zu beaufsichtigen. Wäre die 2012 verabschiedete Bankenunion, in Verbindung mit einem europawei-ten Insolvenzrecht für Banken, schon viel früher eingerichtet wor-den, wie dies in den ursprünglichen Konzepten für den Vertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion vorgesehen war38, so wären die Triebkräfte der Abwärtsspirale in den Krisenländern nie so stark wirksam geworden. Möglicherweise wäre die Krise in dieser Schärfe gar nicht ausgebrochen.

4. Resümee

Es ist vor allem einer historisch einzigartigen internationalen Ko-operationsbereitschaft, der Absage an nationalstaatliche Egoismen, zu verdanken, dass letztendlich die negativen Wirkungen der Krise seit 2007 begrenzt werden konnten – Voraussetzungen, die in der Zwischenkriegszeit angesichts zerrütteter internationaler Finanzbe-ziehungen nicht gegeben waren.

Dass heute die erzielten Fortschritte bei der Weiterentwicklung der europäischen Institutionen und Koordinierungsmechanismen manchmal nur in mühevoller Kleinarbeit erzielt werden können, ver-

38 Harold James, Making the European Monetary Union, Cambridge Mass. 2012.

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stellt den Blick darauf, in welch beeindruckender Weise auch bei der Krisenbewältigung im Euroraum bislang der Gedanke des Zusam-menhalts und durchaus auch die Macht des ökonomisch Faktischen gegenüber den Fliehkräften von Renationalisierung, Abschottung und Kleinstaaterei obsiegten.

Auch die Wirtschaftswissenschaften leisteten, anders als vor und während der Großen Depression, einen positiven Beitrag. Artikel und Bücher über ökonomische Theorien, die aus der Erfahrung der Welt-wirtschaftskrise der 1930er-Jahre heraus entwickelt wurden und in den Bibliotheken verstaubten, verloren rasch das Stigma der Unwissenschaft-lichkeit, mit dem sie in den Jahrzehnten zuvor versehen worden waren.

Aus den Fehlern, die vor und während der Großen Depression gemacht wurden, hat man gelernt. Trifft dies aber auch auf Erfah-rungen positiver Krisenbewältigung zu? In den USA wurde mit dem New Deal die Depression nicht nur mit öffentlichen Infrastrukturin-vestitionen und einer expansiven Geldpolitik bekämpft, es wurden auch substantielle und anhaltende soziale Veränderungen eingeleitet, die zu einer breiten Aufbruchsstimmung geführt und mitreißenden Optimismus auslösten. Zudem kam es zunächst zu keinem dramati-schen Anstieg der Staatsschuldenquoten, auch weil das Steuersystem progressiver gestaltet worden war. Im Unterschied zu Kontinental-europa ging die Demokratie gestärkt aus der Großen Depression her. Die zahlreichen Maßnahmen zeichneten sich dadurch aus, dass mehrere Dimensionen der Krise verknüpft und die Stärkung der Wirtschaft mit der Durchsetzung sozialer Reformen sowie der strik-ten Regulierung des Finanzsystems, das über Jahrzehnte Stabilität gewährleistete, verbunden wurde.

Langfristig erfolgreich wird Krisenbewältigung sicherlich nur dann sein, wenn parallel zu den kurzfristigen Stabilisierungsmaß-nahmen, inklusive der Liquiditätsunterstützung durch Notenban-ken, das Banken- und Finanzsystem strikt und effektiv reguliert wird. Hier bleibt noch einiges zu tun.

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