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Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 14/2015

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 14/2015 SpruchZ 2015 Seite 294 Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting, Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten Nr. 14/2015 vom 4. September 2015 ISSN 2195-7274 Inhaltsübersicht Gesetzgebung: Stellungnahme von Dreier Riedel Rechtsanwälte zu dem Delisting-Gesetzesvorschlag, S. 295 Delisting-Fälle S. 301 Kabel Deutschland Holding AG Bemerkenswerte Befundevon Prof. Knoll Fall 5: Marktrisikoprämie und Laufzeitprämie, S. 302 Die 2012 gegründete Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt und online verfügbar archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ ). Sie erscheint jeweils nach Bedarf. Der Bezug ist kostenlos. Für Bestellungen und Abbestellungen wenden Sie sich bitte an den Herausgeber: [email protected] Die Zeitschrift dient lediglich der Information über die aktuelle Rechtsentwicklung. Sie kann eine umfassende rechtsanwaltliche Beratung nicht ersetzen. Spruchverfahren aktuell
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Page 1: Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 14/2015

Spruchverfahren aktuell - Nr. 14/2015

SpruchZ 2015 Seite 294

Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting, Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten

Nr. 14/2015 vom 4. September 2015 ISSN 2195-7274

Inhaltsübersicht

Gesetzgebung: Stellungnahme von Dreier Riedel Rechtsanwälte zu dem Delisting-Gesetzesvorschlag, S. 295

Delisting-Fälle S. 301

Kabel Deutschland Holding AG

„Bemerkenswerte Befunde“ von Prof. Knoll Fall 5: Marktrisikoprämie und Laufzeitprämie, S. 302

Die 2012 gegründete Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt

und online verfügbar archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ). Sie erscheint jeweils

nach Bedarf. Der Bezug ist kostenlos. Für Bestellungen und Abbestellungen wenden Sie sich bitte an

den Herausgeber: [email protected]

Die Zeitschrift dient lediglich der Information über die aktuelle Rechtsentwicklung. Sie kann eine

umfassende rechtsanwaltliche Beratung nicht ersetzen.

Spruchverfahren aktuell

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 14/2015

SpruchZ 2015 Seite 295

Neuregelung des Delistings

Stellungnahme von Dreier Riedel Rechtsanwälte zu dem Delisting-Gesetzesvorschlag

Zu dem in der letzten Ausgabe dokumentierten Gesetzesentwurf der Regierungskoalition aus

CDU/CSU und SPD zum Delisting (SpruchZ 2015, 280 ff.), der Beratungsgegenstand der öffentlichen

Anhörung am Montag, den 7. September 2015, sein soll, haben Dreier Riedel Rechtsanwälte in einem

Schreiben an den Finanzausschuss des Deutschen Bundestags mit dem unter 1. abgedruckten

Begleitschreiben die nachfolgende Stellungnahme (2.) abgegeben:

_______________

1. Begleitschreiben

Sehr geehrter Herr Gaul,

als Anlage übersenden wir Ihnen unsere Stellungnahme zur geplanten Delistingthematik

sowie unsere diesbezügliche Pressemitteilung vom 02. September 2015 mit der Bitte um

Weiterleitung dieser mail nebst Anhang an alle Beteiligten.

Dass das Thema "Delisting" hoch aktuell und eine gesetzliche Normierung dringend erforderlich ist,

beweist die gestrige Bekanntgabe der Kabel Deutschland AG, die auf Verlangen ihres Hauptaktionärs

Vodafone bekannt gab, ein vollständiges Delisting durchzuführen. Damit ist Kabel Deutschland neben

Celesio (Übernahme durch McKesson) das zweite sogar im MDAX notierte Unternehmen, welche von

der fehlenden Delisting Regulierung auf Kosten der Minderheitsaktionäre profitierten möchte. Es ist

nur eine Frage der Zeit, bis auch DAX-Unternehmen betroffen sind. Für die kanadische Potash Corp.

wäre der hier vorliegende Vorschlag eine gute Möglichkeit die Minderheitsaktionäre der K+S AG

unter Wert aus der Gesellschaft zu drängen, indem mit einem Delisting in Kombination mit einem

Übernahmeangebot gedroht wird.

Auch wenn der jetzige Vorschlag ungeeignet ist, einen angemessenen Minderheitenschutz zu

gewähren, da es das Erpressungspotential von Übernehmern/Hauptaktionären erhöht, sachwidrig

allein auf den Börsenkurs abstellt und das wichtige Spruchverfahren ausschließt (siehe Stellung-

nahme und Pressemitteilung Dreier Riedel), sollte es kein Problem sein, das Delisting kurzfristig

angemessen zu regeln.

Zum Delisting gehören nach unserer Auffassung zwingend:

1. Beschluss derjenigen, die vom Delisting betroffen sind, nämlich die Aktionäre in einer

Hauptversammlung.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 14/2015

SpruchZ 2015 Seite 296

2. Abfindungsangebot zum vollen Wert (Börsenkurs bildet hierbei vor dem Hintergrund des

Deinvestitiongedankens ausschließlich die Wertuntergrenze / dies sollte im Gesetz oder dessen

Begründung klargestellt werden, es ist abwegig davon auszugehen, dass der Börsenkurs den vollen

Wert eines Unternehmens widerspiegelt)

3. Prüfbarkeit der Abfindung im speziell dafür vorgesehenen Spruchverfahren mit inter omnes

Wirkung für alle Kleinaktionäre.

Für uns ist es unverständlich, warum es so schwer fällt, diese einfachen Grundsätze (die ja schon vom

BGH in Macrotron favorisiert und über mehrere Jahre erfolgreich praktiziert worden sind) gesetzlich

zu regeln. § 29 UmwG der dies bereits für das kalte Delisting (Verschmelzung börsennotierte auf

nicht börsennotierte AG) vorsieht, könnte hier durchaus (allerdings ohne explizite Einlegung eines

Widerspruches in der Hauptversammlung durch jeden Kleinaktionär) als Grundlage herangezogen

werden.

Für Rückfragen stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Peter Dreier

2. Stellungnahme an den Finanzausschuss

Bundestags-Drs. 18/5010 Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie; Öffentliche Anhörung im BT-Finanzausschuss am 7.9.15 (Thema: Delisting) Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit nehmen wir zum vorgenannten Änderungsantrag betreffend die Regelung des Rechts-

schutzes beim Delisting Stellung:

Es ist zu begrüßen, dass eine Schließung der massiven Rechtsschutzlücke, verursacht durch die

ersatzlose Aufgabe der sogenannten „Macrotron“-Rechtsprechung des BGH, kurzfristig in Angriff ge-

nommen wurde. Der eingebrachte Vorschlag ist jedoch aus mehreren Gründen nicht sachgerecht:

1. Börsenrechtliche Regelung ungenügend (Nr. 1)

Aus Gründen des effektiven Schutzes bedarf es eines Abfindungsangebotes zum vollen Wert sowie

eines gerichtlichen Spruchverfahrens zur Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung, so dass

der Vorschlag eines bloßen Verweises auf § 31 WpÜG dem Grunde nach unzureichend ist.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 14/2015

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Teilweise wird der Entscheidung des BVerfG zum Delisting (BVerf ZIP 2012, 1402) entnommen, dass

der Schutzbereich von Art. 14 GG durch ein Delisting generell unberührt bliebe. Dies ist falsch! Das

BVerfG hat es ausdrücklich offen gelassen, ob der Schutzbereich von Art. 14 GG berührt ist, wenn mit

dem Widerruf der Zulassung zum regulierten Mark regelmäßig ein Kursverfall eintritt, der die

wirtschaftliche Substanz des Aktieneigentums trifft, da ein solcher Effekt für den in der Entscheidung

betrachteten Zeitraum ab 2004 nicht belegbar war (BVerfG, AG 2012, 557, 561; Brellochs AG 2014,

633, 635).

Da sich nach der „Frosta“-Entscheidung des BGH ein Kursrückgang nach Delisting-Ankündigungen im

Regelfall bestätigt hat - wovon auch die Begründung des Gesetzesentwurfs ausgeht -, muss deshalb

von einer Verletzung des Schutzbereichs von Art. 14 GG durch ein Delisting ausgegangen werden.

Deshalb bedarf es bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen einer durch das Spruchverfahren

überprüfbaren Abfindung zum vollen Wert.

Ausdrücklich hielt das BVerfG eine Gesamtanalogie zu den gesetzlichen Regelungen anderer

gesellschaftsrechtlicher Strukturmaßnahmen (§§ 305, 320b, 327b AktG, §§ 29, 207 UmwG) für

zulässig (BVerf ZIP 2012, 1402, 1406). Eine Regelung entsprechend § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Var. 2

UmwG (idF des Art. 1 des Zweiten Gesetzes zur nderung des wandlungsgesetzes, BGBl. I S. 542)

und der dort bereits vo Gesetzgeber in Anerkennung der „Macrotron“-Rechtsprechung des BGH

angeordneten Abfindungspflicht für das so genannte kalte Delisting (Verschmelzung auf nicht

börsennotierte Gesellschaft) wäre sachgerecht. Konsequent wäre eine ausdrückliche Regelung von

Hauptversammlungsbeschluss und Abfindungspflicht im Aktiengesetz.

2. Unannehmbare Ausnahmeregelung nach Übernahme (Nr. 2)

Die Ausnahmeregelung ist unannehmbar; sie basiert auf falschen Intentionen und verschlechtert den

Rechtsschutz der Aktionäre wesentlich, so dass die Gesamtregelung des Delisting sogar einen

Rückschritt zur derzeit geltenden gesetzlichen Lage darstellt, also den Rechtsschutz noch

verschlechtert statt verbessert.

Die Regelung erscheint als "Trojanisches Pferd" der Lobby der Hauptaktionäre bzw. Übernehmer.

Den Bietern ist es ein Dorn im Auge, dass andere Investoren nicht in die Übernahmeangebote

einreichen, sondern bei unangemessenen Angeboten sogar noch teilweise Aktien hinzuerwerben und

sich auf die aktien- und umwandlungsrechtlichen Schutzmechanismen verlassen. Das heißt, dass sie

auf eine spätere höhere Barabfindung im Rahmen einer Strukturmaßnahme setzen, welche auf Basis

des Ertragswertes, also des wahren Wertes des Unternehmensanteils ermittelt wird und bei welcher

der Börsendurchschnittskurs nur die verfassungsrechtliche Untergrenze der Abfindung darstellt.

Letzterem liegt der Gedanke der freien Desinvestitionsentscheidung zu Grunde, insbesondere weil im

Falle des Squeeze Out der Minderheitsaktionär vom Hauptaktionär gezwungen wird, seine Anteile

gegen seinen Willen zu einem vom Hauptaktionär festgesetzten Preis abzugeben. Das Korrektiv ist

das Spruchverfahren, mit welchem der Minderheitsaktionär die Abfindung gerichtlich überprüfen

lassen kann.

Hier ist zu bedenken, dass auch die großen Versorgungswerke, Rentenkassen, Versicherungen,

Unternehmensmitarbeiter etc. und die deutschen Anleger/Sparer Minderheitsaktionäre sind. Dem

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 14/2015

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Übernehmer eine leichtere oder billigere Übernahme zu ermöglichen, heißt, dass dies auf Kosten der

Minderheit geschieht! Das kann also nicht Ziel einer Delisting-Regelung sein.

Der Gesetzesentwurf führt zu einer wesentlichen Verschlechterung des Schutzes im Vergleich zum

Ist-Zustand. Die scheinbare Verbesserung des Anlegerschutzes durch obligatorisches Übernahme-

angebot beim Delisting wird durch die vorgeschlagene Ausnahme in Nr. 2 (vorangegangenes Über-

nahmeangebot) gerade für den wesentlichsten Fall des beabsichtigten Delisting bei vorhergehender

Übernahme der Schutz der Minderheitsaktionäre komplett ausgehebelt und ins Gegenteil verkehrt.

Die meisten Delisting werden nach Übernahmen bzw. Hauptaktionärswechseln stattfinden. Durch

eine vorgeschlagene Begründung der Ausnahmeregelung Nr.2 in Form der generell fehlenden

Schutzbedürftigkeit der Minderheit wird der Gesetzesentwurf, so er denn umgesetzt wird, dazu

führen, dass der bislang bestehende rudimentäre Schutz über die Börsenordnungen in Form der

Umsetzungsfristen von üblicherweise mindestens 6 Monaten beim Delisting nach Übernahme

komplett entfallen wird.

Durch die gesetzlich angeordnete fehlende Schutzbedürftigkeit können die Börsen auch keine

Fristenregelungen zum Aktionärsschutz mehr aufrechterhalten. Wird die fehlende Schutz-

bedürftigkeit nach Übernahmeangebot Gesetz, werden Börsen die Börsenordnungen deshalb

entsprechend anpassen, weil dann der Grund für eine Fristenregelung fehlt.

Zukünftig wird dann unmittelbar nach der Übernahme ein sofort wirksames abfindungsfreies

Delisting stattfinden, was dann für alle Aktionäre einer zu übernehmenden Gesellschaft den Druck

wesentlich erhöht, auch unangemessene Abfindungsangebote anzunehmen, welche lediglich die

Mindestanforderungen nach WpÜG erfüllen. Denn gerade institutionelle Anleger sind auf liquide

Anlagen angewiesen, weil sie ihre Anlagen selbst für eigene Kunden halten und bei akut drohendem

Delisting verkaufen müssen.

Insgesamt entsteht daher ein Zwang, ein Übernahmeangebot anzunehmen, um einer späteren

Schädigung durch eine Delisting-Bekanntmachung zu entgehen. Letztere wird dann zwingend zu

einem Kursrückgang führen.

Auch Pflichtangebote bei Überschreiten lediglich der 30%-Schwelle würden so zu einer absoluten

Schutzlosigkeit führen, was die Unausgewogenheit des Vorschlages exemplarisch zeigt. So werden

wegen Überschreitens der 30%-Grenze oft Pflichtübernahmeangebote unterbreitet, welche unter

dem jeweiligen Börsenkurs liegen (z.B. Übernahmeangebot KB Holding GmbH (Thiele) für Vossloh für

48,50€). Entsprechend erhalten die Übernehmer im Rahmen der Angebote auch nur wenige Aktien

angedient. Solchen Übernehmern dann zu ermöglichen, ein abfindungsfreies Delisting (bei ab

ca. 69% frei handelbaren Aktien) durchführen zu lassen, widerspricht jeglichem notwendigen An-

legerschutz. Dies ermöglicht nur das billige Einsammeln weiterer Aktien, ohne dass je ein ange-

messener Preis angeboten wurde (z.B. die KB Holding GmbH hat sich kurz nach dem

Übernahmeangebot weitere Aktien für 70 Euro gesichert: http://www.finance-magazin.de/strategie-

effizienz/ma/thiele-macht-ernst-bei-vossloh-uebernahme-1356959/). Nach dem Entwurf wären auch

in einem solchen evidenten Falle die Aktionäre beim späteren Delisting nicht schutzbedürftig.

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SpruchZ 2015 Seite 299

Ein gutes Beispiel für einen Übernahmefall ist auch DMG Mori Seiki AG. Hier war der japanische

Hauptaktionär DMG Mori Seiki Corp. mit ca. 24,3% beteiligt und hat ein vom Kapitalmarkt als

unangemessenes Angebot qualifiziertes freiwilliges Übernahmeangebot unterbreitet. Dieses wurde

zweimal nachgebessert( http://www.finance-magazin.de/strategie-effizienz/ma/dmg-mori-seiki-

erhoeht-uebernahmeangebot-fuer-gildemeister-1337889/). Ziel war nur, die HV-Mehrheit dauerhaft

zu erreichen, da die Kontrolle personell und über Kooperationen sowie über den gleichen

Firmennamen bereits abgesichert war. Auf Basis des vorgelegten Gesetzesvorschlages, hätte der

Übernehmer nur die 30% überschritten bzw. angestrebt und anschließend ein Delisting beschlossen

und die weiteren Aktien so billig eingesammelt.

Bestätigt wird die Annahme eines höheren Wertes der zu übernehmenden Aktien zudem oft durch

vom Vorstand der zu übernehmenden Gesellschaft eingeholten Bewertungen bzw. Fairness Opinions.

Zu verweisen ist auf den Fall der Übernahme MAN durch VW in 2011. Hier hatte der Vorstand von

MAN das VW-Übernahmeangebot als unzureichend und nicht angemessen qualifiziert.

Im aktuellen Fall des Übernahmeversuchs von Potash betreffend K+S hat der Vorstand den

angebotenen Preis als völlig unzureichend zurückgewiesen. Gelingt jetzt trotzdem ein feindlicher

Übernahmeversuch, kann dies keinesfalls bedeuten, dass die nicht annehmenden Aktionäre nicht

mehr schutzwürdig sind.

In den vorgenannten Fällen würde durch den Gesetzesvorschlag die fehlende Schutzbedürftigkeit der

Aktionäre konstatiert, weil sie ein zwar dem WpÜG entsprechendes Mindestangebot, welches aber

wirtschaftlich unangemessen war, ausgeschlagen haben. Aktionäre faktisch zu zwingen, ein an sich

freiwilliges Angebot annehmen zu müssen, um größere Schäden durch ein späteres Delisting zu

vermeiden, widerspräche auch der Intention des WpÜG.

Übernehmer wollen in der Regel 100% der Firma. Trotzdem bieten sie teilweise nicht die üblichen

Übernahmeprämien. Sie können sich z.B. mit den alten Hauptaktionären einigen, dass diese sich an

der neuen Muttergesellschaft oder am Bieter beteiligt werden und weiterhin am Erfolg der

übernommenen Firma partizipieren, was die Forderung einer üblichen Übernahmeprämie entfallen

lassen kann. Den verbliebenen Aktionären wird dann nur der Mindestpreis in Form des

Börsendurchschnittskurses geboten. Anschließend führen sie ein abfindungsfreies Delisting durch,

was dann wegen der durch den Gesetzesvorschlag angenommenen fehlenden Schutzbedürftigkeit

der verbliebenen Aktionäre sofort wirksam wird.

Dadurch geht der Schutz des Börsenkurses als verfassungsrechtliche Mindestabfindung für eine

spätere gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahme verloren; die Schutzvorschriften für

Strukturmaßnahmen werden daher entgegen der Begründung des Gesetzesentwurfs eindeutig

unterlaufen.

Bei späteren Strukturmaßnahmen errechnen die vom Übernehmer beauftragten Gutachter dann

noch einen unter dem alten Übernahmepreis liegenden Ertragswert und versuchen die verbliebenen

Aktionäre billig abzuspeisen.

Letztlich führt diese Situation zu einem gegenüber der heutigen Lage noch wesentlich erhöhten

Druck, jeglichen Übernahmepreis zu akzeptieren. Denn nach Delisting gilt für spätere Struktur-

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maßnahmen gerade nicht mehr ein Börsendurchschnittskurs als verfassungsrechtliche Mindest-

abfindung.

Komplett fehl geht die Annahme, Aktionäre, die das vorangegangene Übernahmeangebot nicht

angenommen haben oder danach Aktien erworben haben, seien in Bezug auf das spätere Delisting

nicht schutzwürdig, aber nicht nur hinsichtlich der vorgenannten Fallbespiele. Der bereits vor der

Übernahme investierte Aktionär wird so auch vollständig von den Marktentwicklungen, die parallel

zur Übernahme laufen, abgeschnitten; und dies nur auf Basis einer Absichtsbekundung eines

Hauptaktionärs bzw. Bieters. Dauert eine Übernahme z.B. 6 Monate ab Bekanntmachung der

Absicht, etwa wegen ausstehender kartellrechtlicher Genehmigungen, und wird innerhalb der

anschließenden 6 Monate ein abfindungsfreies Delisting beantragt, kann der Börsenkurs für dieses

volle Jahr nicht den Übernahmepreis überschreiten, vielmehr wird er nach Übernahme wesentlich

fallen in Befürchtung des angedrohten Delisting.

Verbessern sich parallel die Branchenaussichten oder wird eine Konjunkturkrise überwunden, wie

etwa in der Finanzkrise, sind die Minderheitsaktionäre von dieser Verbesserung komplett

abgeschnitten. Für das Übernahmeangebot musste sogar nur der Durchschnittskurs 3 Monate vor

der Übernahmeabsicht angeboten werden. In einem solch langen Zeitraum (15 Monate) können sich

die Ertragsaussichten einer Gesellschaft wesentlich ändern. Insoweit wäre - ohne die gesetzliche

Ausnahme - auch ein höherer Börsendurchschnittskurs bei einem späteren Delisting zu berück-

sichtigen, welcher durch die Ausnahmeregelung verhindert wird.

Es ist zu prognostizieren, dass in 99% der Strukturmaßnahmen nach Übernahmen dann der ver-

fassungsrechtliche Schutz durch den Börsendurchschnittskurs durch ein Delisting ausgehebelt

werden würde. Warum der deutsche Gesetzgeber es insbesondere Übernehmern ermöglichen soll,

die Übernahmen "billiger" auf Kosten des Rechts- und Vermögensschutzes der Minderheitsaktionäre

durchführen zu können, ist nicht nachvollziehbar.

Den Aktionär, welcher wegen des zu geringen Übernahmepreises erst investiert oder erst nach der

Übernahme die Aktie, etwa wegen der Branchenentwicklung, auf seine fehlende Schutzbedürftigkeit

zu verweisen ist nicht sachgerecht und zeigt ein interessengesteuertes Rechtsverständnis auf.

Anleger und Minderheitsaktionäre, welche Minderheitsrechte ausnutzen, werden als Störenfriede

empfunden. Entsprechend will an den Minderheitenschutz verringern, u „freie Bahn“ zu haben.

Man wünscht sich quasi eine Squeeze Out - Möglichkeit, auch ohne das gesetzliche Quorum erreicht

zu haben.

In jedem Übernahmeangebot sind in der Regel jede mögliche Strukturmaßnahme sowie das Delisting

nur als Optionen aufgelistet, ohne dass die Wahrscheinlichkeit der Realisierung absehbar wäre oder

sich der Übernehmer entsprechend bindet. Das Übernahmerecht beinhaltet nur einen Mindestschutz

in Form eines Mindestangebotes zum Börsendurchschnittskurs 3 Monate vor Bekanntmachung der

Absicht. Es hat mit einem späteren Delisting oder einer späteren Strukturmaßnahme rein gar nichts

zu tun.

Der Vorschlag selbst scheint beim Delisting davon auszugehen, dass dies eine vom Übernehmer bzw.

Hauptaktionär veranlasste Strukturmaßnahme - zur Erleichterung der kompletten Übernahme – sei,

obwohl es sich (derzeit) um eine Entscheidung des Vorstandes, nach diesseitiger Meinung aber um

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SpruchZ 2015 Seite 301

eine Entscheidung der Hauptversammlung handelt, weil hier primär das Verhältnis Mehr-

heitsaktionär-/Minderheitsaktionäre betroffen ist. Dann muss dies auch wie eine sonstige

Strukturmaßnahme behandelt werden, nämlich ein gerichtlich überprüfbares Abfindungsangebot

vorsehen.

Dr. Peter Dreier Toni Riedel

Rechtsanwalt Rechtsanwalt

Delisting-Fälle

Kabel Deutschland Holding AG: Weisung den Widerruf der Zulassung der Aktien zum Handel im regulären Markt zu beantragen (Delisting)

Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG

Unterföhring, 3. September 2015 - Der Vorstand der Kabel Deutschland Holding AG mit Sitz in

Unterföhring ("Gesellschaft"), ISIN DE000KD88880, hat heute eine Weisung des herrschenden

Unternehmens, der Vodafone Vierte Verwaltungs AG, erhalten, gegenüber der Frankfurter

Wertpapierbörse den Widerruf der Zulassung der Aktien der Gesellschaft zum Handel im regulierten

Markt sowie zum Handel im Teilbereich des regulierten Marktes mit weiteren Zu-

lassungsfolgepflichten (Prime Standard) zu beantragen (sogenanntes Delisting).

Nach Wirksamwerden der Entscheidung der Frankfurter Wertpapierbörse, die Zulassung der Aktien

der Gesellschaft zum Handel im regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse zu widerrufen,

werden die Aktien der Gesellschaft nicht mehr in einem regulierten Markt einer Börse im Inland oder

einem vergleichbaren Markt im Ausland gehandelt werden. Derzeit rechnet der Vorstand der

Gesellschaft damit, dass der Handel der Aktien der Gesellschaft in dem regulierten Markt der

Frankfurter Wertpapierbörse voraussichtlich spätestens sechs Monate nach Veröffentlichung der

Widerrufsentscheidung der Frankfurter Wertpapierbörse endet. Die Einbeziehung der Aktien der

Gesellschaft in den Freiverkehr der Börsen Hamburg und Hannover wird von dem Delisting nicht

unmittelbar betroffen.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 14/2015

SpruchZ 2015 Seite 302

Bemerkenswerte Befunde © Prof. Dr. Leonhard Knoll

Bemerkenswerte Befunde - Fall 5:

Marktrisikoprämie und Laufzeitprämie

Die Konsistenz oder Stimmigkeit der einzelnen Vorgehensweisen im Rahmen einer Bewertung war

bereits Gegenstand des letzten Falles. Heute soll ein zweites Beispiel für ein darauf beruhendes

Problem folgen, das wiederum die Marktrisikoprämie betrifft. Es sollte dem intuitiven Verständnis

eigentlich leicht zugänglich sein und ist von großer quantitativer Bedeutung, wird aber in den

Entscheidungen der Spruchkörper häufig nicht mit der nötigen Konsequenz behandelt, wie die

folgende Aufgabe zeigt.

In seiner Beschlussbegründung in einem Spruchverfahren führte ein Landgericht u.a. aus:

„Der … geforderte Ansatz der Zinsstrukturkurve bezogen auf börsennotierte Wertpapiere mit

einer Restlaufzeit von 10 Jahren, führt dagegen zu einem fehlerhaften Ergebnis, da dieser

gegen das Prinzip der Laufzeitäquivalenz verstoßen würde. Nach … bildet die zugrunde

gelegte Laufzeit der Alternativinvestition von 30 Jahren eher die im Rahmen der

Unternehmensbewertung angenommene „ewige Laufzeit“ ab.

Am Bewertungsstichtag hatte die folgende NSS-Zinsstruktur1 vorgelegen:

1 Dies ist die von der Bundesbank börsentäglich ermittelte Zinsstruktur, die vom IDW – allerdings unter

Verwendung einer unsachgemäßen Durchschnittsbildung – als Ausgangspunkt für die Ermittlung des einheitlichen Basiszinses angewendet wird. „NSS“ steht für Nelson/Siegel/Svensson, die geistigen Väter dieses Konstrukts. Nelson/Siegel haben den zugrundeliegenden Ansatz 1987 im Journal of Business präsentiert und Svensson hat ihn 1991 im Journal of Monetary Economics modifiziert, vgl. bspw. Kruschwitz/Husmann, Finanzierung und Investition, 7. Aufl. 2012, S. 168.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 14/2015

SpruchZ 2015 Seite 303

a) Was lässt sich sinnvoll zum Prinzip der Laufzeitäquivalenz aus allgemeiner Sicht sagen.

b) Das Landgericht legte als einheitlichen Basiszins 2,25% p.a. fest. Mit welcher Duration2

korrespondiert dies (Runden Sie auf eine ganze Jahreszahl!)? Benutzen Sie für Ihre Ant-

wort auch die obige Abbildung.

Das Landgericht legte die Marktrisikoprämie auf der Basis der damals aktuellen IDW-

Empfehlungen fest. Diese sind nicht zuletzt durch die sog. Stehle-Studie (vgl. WPg 2004, S.

906-927) beeinflusst, welche die historische Marktrisikoprämie über die durchschnittliche

Renditedifferenz zwischen einem deutschen Aktienindex (DAX oder CDAX) und dem REXP

bestimmt.

c) Welcher fundamentale Effekt wird hier übersehen? Quantifizieren Sie diesen Effekt auf

die Marktrisikoprämie unter Verwendung der obigen Abbildung auf 0,25 Prozentpunkte

genau für den vorliegenden Fall.

2 „Duration“ ist eine Kennzahl für die ittlere Kapitalbindungsdauer: Alle Zeitpunkte, zu denen aus eine

Finanztitel Zahlungen an die Anleger fließen, werden dabei zu einem gewichteten Durchschnitt verdichtet, wobei die Barwertanteile der einzelnen Zahlungen am Gesamtbarwert der Zahlungsreihe als Gewichte dienen; vgl. zum Hintergrund bspw. Kruschwitz/Schöbel, wisu 1986, S. 550 ff. und 603 ff.

-0,25

0,00

0,25

0,50

0,75

1,00

1,25

1,50

1,75

2,00

2,25

2,50

2,75

Sp

ot

Ra

te (

%)

T (Zero-Bond-Laufzeit)

NSS-Zinsstrukturkurve

Page 11: Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 14/2015

Spruchverfahren aktuell - Nr. 14/2015

SpruchZ 2015 Seite 304

Lösungen:

a) Die Forderung nach Laufzeitäquivalenz ist grundsätzlich vernünftig. Allerdings kann sie bei einem

einheitlichen Basiszins nur auf der Basis der Duration der Zahlungsströme und nicht auf der

Basis no ineller Restlaufzeiten angestrebt werden. Insofern ist der Verweis auf die „ewige

Laufzeit“ zu indest entsprechend zu relativieren.

b) Man geht von der Ordinate auf Höhe von 2,25% nach rechts, bis man auf die NSS-Kurve trifft,

und geht dann vertikal bis zur Abszisse nach unten, wo man den entsprechenden Duration-Wert

ablesen kann, weil bei Zero-Bonds die nominelle Restlaufzeit der Duration entspricht (vgl. die

Abbildung unten).

c) Die durchschnittliche nominelle Restlaufzeit der im REXP enthaltenen Wertpapiere beträgt

weniger als 6 Jahre, die durchschnittliche Duration rund 5 Jahre, also deutlich weniger als die in

b) ermittelte Laufzeit, welche für den Basiszins maßgeblich ist.

Zur Quantifizierung des Effekts geht man auf der Abszisse vom Wert 5 nach oben, bis man auf

die NSS-Kurve trifft, und geht dann horizontal nach links bis zur Ordinate nach unten, wo man

den entsprechenden Zins-Wert ablesen kann. Die Differenz zu den festlegten 2,25% quantifiziert

den Laufzeiteffekt, der vorliegend rund 1,75% beträgt (vgl. nochmals die Abbildung unten).

Abbildung zu den Aufgabenteilen b) und c):

-0,25

0,00

0,25

0,50

0,75

1,00

1,25

1,50

1,75

2,00

2,25

2,50

2,75

Spo

t R

ate

(%

)

T (Zero-Bond-Laufzeit)

NSS-Zinsstrukturkurve

Laufzeiteffekt

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 14/2015

SpruchZ 2015 Seite 305

Fazit:

Dass die Laufzeit des Anleiheinstruments für die

Ermittlung des Basiszinses und der Marktrisiko-

prämie gleich sein muss, erschien mir immer als

eine der am wenigsten zu kritisierenden Vorgaben

für die Bestimmung des Diskontierungszinses.

Leider sind die Konsequenzen dieser notwendigen

Laufzeitäquivalenz oft deutlich weniger klar als die

Vorgabe an sich – hoffentlich nicht mehr lange.

Zeitschrift und Dokumente auf http://de.slideshare.net/SpruchZ

Impressum

______________________

Zeitschrift

Spruchverfahren aktuell

(SpruchZ)

4. Jahrgang

ISSN 2195-7274

Herausgeber:

Interessengemeinschaft

Spruchverfahren (IG Spruch),

c/o Rechtsanwaltskanzlei

ARENDTS ANWÄLTE,

Perlacher Str. 68,

D - 82031 Grünwald

(bei München)

Bestellungen bitte an die E-Mail-

Adresse: [email protected]

Redaktion/Mitarbeiter: [email protected]

RA Martin Arendts, M.B.L.-HSG

(presserechtlich

verantwortlich), RA Dr. Peter

Dreier, RA/StB Dr. Theo

Schubert, M.C.L. Univ. Mich.

c/o ARENDTS ANWÄLTE, Perlacher Str. 68, D - 82031 Grünwald

© 2015 für eigene Beiträge bei den

Autoren.


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