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Spruchverfahren aktuell (SpruchZ) Nr. 2/2015

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 2/2015 SpruchZ 2015 Seite 17 Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting, Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten Nr. 2/2015 vom 14. Januar 2015 ISSN 2195-7274 Inhaltsübersicht Beitrag: Wackerbarth, Ein Akt richterlicher Willkür: Die Abschaffung des Übernahmerechts durch die Hintertür, S. 18 Rechtsprechung zu Spruchverfahren: Landgericht Düsseldorf spricht sich gegen rückwirkende Anwendung des IDW S1 2005 aus, S. 22 OLG München: Keine Heranziehung des Börsenkurses als Untergrenze bei nicht liquide gehandelten Aktien, S. 26 Laufende Spruchverfahren: Squeeze-out EPCOS AG, S. 30 Squeeze-out ANTERRA Vermögensverwaltungs-AG, S. 31 Abgeschlossene Spruchverfahren , S. 32 Die 2012 gegründete Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt und online verfügbar archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ ). Sie erscheint jeweils nach Bedarf. Der Bezug ist kostenlos. Für Bestellungen und Abbestellungen wenden Sie sich bitte an den Herausgeber: [email protected] Die Zeitschrift dient lediglich der Information über die aktuelle Rechtsentwicklung. Sie kann eine umfassende rechtsanwaltliche Beratung nicht ersetzen. Spruchverfahren aktuell
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Spruchverfahren aktuell - Nr. 2/2015

SpruchZ 2015 Seite 17

Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting,

Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten

Nr. 2/2015 vom 14. Januar 2015 ISSN 2195-7274

Inhaltsübersicht

Beitrag: Wackerbarth, Ein Akt richterlicher Willkür: Die Abschaffung des Übernahmerechts durch die Hintertür, S. 18 Rechtsprechung zu Spruchverfahren:

Landgericht Düsseldorf spricht sich gegen rückwirkende Anwendung des IDW S1 2005 aus, S. 22 OLG München: Keine Heranziehung des Börsenkurses als Untergrenze bei nicht liquide gehandelten Aktien, S. 26 Laufende Spruchverfahren: Squeeze-out EPCOS AG, S. 30 Squeeze-out ANTERRA Vermögensverwaltungs-AG, S. 31 Abgeschlossene Spruchverfahren, S. 32

Die 2012 gegründete Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt

und online verfügbar archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ). Sie erscheint jeweils

nach Bedarf. Der Bezug ist kostenlos. Für Bestellungen und Abbestellungen wenden Sie sich bitte an

den Herausgeber: [email protected]

Die Zeitschrift dient lediglich der Information über die aktuelle Rechtsentwicklung. Sie kann eine umfassende

rechtsanwaltliche Beratung nicht ersetzen.

Spruchverfahren aktuell

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 2/2015

SpruchZ 2015 Seite 18

Beitrag

Ein Akt richterlicher Willkür: Die Abschaffung des Übernahmerechts durch die Hintertür

Ein Kommentar zum Beschluss des II. Zivilsenats des BGH vom 29. April 2014 - II ZR 262/13 und zu dem Urteil des II. Zivilsenats vom 29. Juli 2014 - II ZR 353/12

von Prof. Dr. Ulrich Wackerbarth1

Der zweite Zivilsenat des Bundesgerichtshofs urteilt seit jeher unternehmensfreundlich und

privilegiert Groß- und Mehrheitsaktionäre gegenüber Kleinanlegern. Damit trägt er dazu bei, dass in

Deutschland kaum jemand Aktien kauft. Nun aber hat er es eindeutig übertrieben und in mehreren

Entscheidungen die zentralen Regeln des deutschen Übernahmerechts bei Paketgeschäften praktisch

abgeschafft.

1. Pflichtangebot und Vorerwerbsregel

Nach dem Wertpapiererwerbs und Übernahmegesetz (WpÜG) muss der Käufer eines Aktienpakets

den übrigen Aktionären einer Gesellschaft ein Angebot zum Abkauf ihrer Aktien machen, wenn er

mehr als 30% der Stimmrechte erworben hat (sog. Pflichtangebot). Und er muss dafür mindestens

den (höchsten) Betrag je Aktie zahlen, den er in einem Zeitfenster von sechs Monaten vor dem

Angebot gezahlt hat (sog. Vorerwerbsregel). Damit sollen letztlich die übrigen Aktionäre mit dem

Verkäufer des Aktienpakets gleichgestellt werden. Diese Regel war im Gesetzgebungsverfahren lange

umstritten, ist aber nun einmal Gesetz geworden. Genau diesen zentralen Regeln hat der BGH jetzt

alle Zähne gezogen.

2. Abschaffung der Sanktionen eines unterlassenen Pflichtangebots

Zunächst hat er im vergangenen Jahr in der BKN-Entscheidung2 die vom Gesetzgeber zur Absicherung

der Angebotspflicht in das Gesetz eingefügten Zahlungsansprüche (§ 38 WpÜG) den Aktionären mit

einer hanebüchenen und gesetzeswortlautwidrigen Begründung aus der Hand geschlagen.3. Übrig

blieb neben behördlichen Maßnahmen noch eine einzige Sanktion: Der Rechtsverlust nach § 59

1 Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht und Rechtsvergleichung der

Fernuniversität Hagen. Der Beitrag erschien zuerst auf dem Corporate BLawG http://blog.fernuni-hagen.de/blawg 2 BGH, Urteil des II. Zivilsenats vom 11.6.2013 - II ZR 80/12, NZG 2013, 939.

3 Näher http://blog.fernuni-hagen.de/blawg/2013/08/22/no-rights-of-private-action-basta (unter 2.).

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WpÜG, wodurch der Kontrollinhaber, wenn er seiner Angebotspflicht nicht nachkommt, sämtliche

Rechte aus den von ihm gehaltenen Aktien verliert. Die Aktionäre sollten also spätere Haupt-

versammlungs-Entscheidungen anfechten können, die auf den Stimmen des neuen Kontrollinhabers

beruhen. Ein Angebot haben sie dann aber noch immer nicht in den Händen.4

Aber mit dieser dysfunktionalen Sanktion noch nicht genug, es kommt noch besser. Als nun bei einer

Gesellschaft tatsächlich eine Anfechtungsklage gegen einen Dividendenbeschluss erhoben wurde,

weil ein Großaktionär angeblich ein Pflichtangebot unterlassen hatte, hat der BGH im April 20145

dieses Ansinnen mit der Begründung zurückgewiesen, die Hauptversammlung entscheide gar nicht

darüber, ob der Großaktionär (auch) eine Dividende erhalte (sondern nur über den Gesamtbetrag

der Dividende). Zu einer Überprüfung der Angebotspflicht nach dem WpÜG kam es in diesem Fall

dann nicht, weil auch ohne die Stimmen des fraglichen Aktionärs eine Dividende beschlossen worden

wäre. Damit ist auch die letzte privatrechtliche Sanktion gegen ein unterlassenes Pflichtangebot

praktisch beseitigt. Der Kontrollinhaber kann sich beruhigt zurücklehnen, denn es ist –jedenfalls bei

nicht ganz offensichtlichen Verstößen – praktisch ausgeschlossen, dass der Vorstand ihm die

Dividende verweigert. Eine Anfechtung kann trotz der Anordnung des vollständigen Rechtsverlustes

in § 59 WpÜG6 erst dann erfolgreich sein, wenn es auf die Stimmen des Großaktionärs tatsächlich

ankommt.

3. Abschaffung der Mindestpreisregel

Und schließlich hat der zweite Senat Ende Juli 2014 auch die Vorerwerbsregel in seiner Entscheidung

zur Postbankübernahme7 praktisch abgeschafft. Er ermöglicht, was nach dem Gesetz gerade

untersagt ist: Dass nämlich der Käufer dem Paketaktionär seine Anteile auch oberhalb von 30%

abkauft, ohne den übrigen Aktionären der Zielgesellschaft den gleichen Preis zahlen zu müssen. Dazu

ist nach der Entscheidung lediglich erforderlich, dass zunächst ein beliebiger Preis vereinbart wird,

sagen wir 10 Euro/Aktie, jedoch die Abwicklung dieses Geschäfts um etwas mehr als eineinhalb Jahre

aufgeschoben wird. Nach einem halben Jahr kann der Käufer den übrigen Aktionären ein

Übernahmeangebot zu einem Preis von z.B. 6 Euro machen. Auch wenn angesichts des Preises nur

ganz wenige Aktien verkauft werden, genügt das, um sich aller weiteren Pflichten aus dem WpÜG zu

entledigen. Nach einem weiteren Jahr kann der Paketverkauf dann vollzogen werden. Ergebnis: Der

Paketverkäufer streicht die Kontrollprämie allein ein. Der Gesetzgeber hat das nicht gewollt, er

wollte derartigen Umgehungen ausdrücklich vorbeugen. Ihm ist hier also kein Vorwurf zu machen, es

sind allein die Richter des zweiten Senats, die dies verantworten.

4 Siehe http://blog.fernuni-hagen.de/blawg/2013/08/22/no-rights-of-private-action-basta (unter 2. c).

5 BGH, Beschluss des II. Zivilsenats vom 29.4.2014 - II ZR 262/13, DStR 2014, 2470.

6 § 59 WpÜG lautet: „Rechte aus Aktien, die dem Bieter, mit ihm gemeinsam handelnden Personen oder deren Tochterunternehmen gehören oder aus denen ihm, mit ihm gemeinsam handelnden Personen oder deren Tochterunternehmen Stimmrechte gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 zugerechnet werden, bestehen nicht für die Zeit, für welche die Pflichten nach § 35 Abs. 1 oder 2 nicht erfüllt werden. Dies gilt nicht für Ansprüche nach § 58 Abs. 4 des Aktiengesetzes und § 271 des Aktiengesetzes, wenn die Veröffentlichung oder das Angebot nach § 35 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1 nicht vorsätzlich unterlassen wurde und nachgeholt worden ist.“ 7 BGH, Urteil des II. Zivilsenats vom 29.7.2014 - II ZR 353/12, NZG 2014, 985.

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4. Erwartbare Reaktionen in der Literatur

Nunmehr gibt es erste Reaktionen auf das Urteil, die allesamt entweder von Unverständnis oder

einseitiger Interessenbindung zeugen. Zunächst zur interessegeleiteten Schreiberei: Drei Autoren

geben unumwunden zu, dass der BGH die aufgezeigte Umgehungsmöglichkeit geschaffen hat,

begrüßen dies indessen — als Anwälte von Großkanzleien nicht weiter verwunderlich:

Paschos, DB 2014, 2276, 2277 (und fast wortgleich Krause, AG 2014, 833, 836) meint:

“Damit ist klar, dass Aktionäre der Zielgesellschaft regelmäßig nicht an einem im Rahmen einer Option vereinbarten Premium partizipieren, sofern die Optionsvereinbarungen sechs Monate vor einem Übernahmeangebot abgeschlossen und erst ein Jahr nach Beendigung des Angebots i.S.v. § 23 Abs. 1 Sa tz 1 Nr. 2 WpÜG vollzogen wird.”

Diese Worte am Ende des Beitrags stehen für eine beliebte Haltung von Unternehmensvertretern:

“Ich kann mit jeder anlegerschützenden Regel gut leben, solange sie nicht für mich gilt. Denn ich

weiß, wie ich sie umgehen kann.”

Von Falkenhausen NZG 2014, 1368, 1369 meint zur Begründung, die Pflichtangebotsregelung sei ja

auch ein “problematisches Institut” (mit anderen Worten: wenn die gesetzliche Regelung non placet,

darf der Richter sie beseitigen). Im Weiteren legt er dar, warum die börsliche Bewertung das einzig

Wahre sei (und übergeht damit das Gesetz, das eben nicht nur den Börsenkurs, sondern auch die

Bewertung der Aktie durch ein Paketgeschäft als mindestpreisbestimmend ansieht). Seine Worte am

Schluss beweisen vor diesem Hintergrund – entgegen ihrer Absicht -, dass hier das WpÜG umgangen

und nicht etwa vermieden wurde.

“Deswegen ist es nicht missbräuchlich, wenn eine Transaktionsstruktur gewählt wurde, die es der Deutschen Bank erlaubte, ein Übernahmeangebot zu einem Preis zu vermeiden, der durch die Finanzkrise obsolet geworden war”

Drei andere Autoren nehmen das Gesetz nicht zur Kenntnis:

Löhdefink/Jaspers ZIP 2014, 2261, 2269, meinen, der Gesetzgeber habe sich nun einmal

“dafür entschieden, nur solche Preise für berücksichtigungsfähig zu erachten, deren Festlegung in den durch § 31 Abs. 1, 4 und 5 WpÜG (ggf. i.V. m. § 4 WpÜG-AngVO) bestimmten Zeitraum fallen.”

Das ist nachweisbar falsch: Erfolgte die Preisfestlegung zu einem beliebigen Zeitpunkt vor dem

Beginn des Referenzzeitraums, liegt der Erwerb des Eigentums an den Aktien jedoch innerhalb des

Referenzzeitraums, ist die beliebig lang (!) zurückliegende Festlegung nach Wortlaut des Gesetzes

und allgemeiner Meinung ganz klar preisbestimmend.

Witt DStR 2014, 2132, 2134 meint (wie letztlich der BGH selbst in Rn 31 des Urteils),

“Denn würden § 31 Abs. 6 S. 1 WpÜG, § 4 S. 2 WpÜG-AngVO die zeitliche Streckung von der (schuldrechtlichen) Vereinbarung bis zu deren Vollzug erfassen, auch wenn beide Rechtsakte

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nicht innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Referenzzeitraums lägen, so wäre der Referenzzeitraum Makulatur.”

Auch hier zeigt das bereits zu Löhdefink/Jaspers genannte Gegenbeispiel, dass der Autor die

Funktionsweise der Vorerwerbsregel nicht zur Kenntnis genommen hat. Das Gesetz erfasst schon in

seinem Standardanwendungsfall den aus Vereinbarung und Vollzug bestehenden Erwerb, erst Recht

muss das im Rahmen einer Umgehungsverhinderungsvorschrift gelten. Hinzu kommt: Liegen

Vereinbarung und Vollzug vor oder nach dem Referenzzeitraum, so liegt kein relevanter Vorerwerb

vor. Warum also wird der Referenzzeitraum angeblich Makulatur, wenn man ihn auf Umgehungs-

gestaltungen wie die im Postbank-Fall anwendete? Eine Antwort auf diese Frage bleibt der Autor

schuldig.

5. Fazit

Der bekannte us-amerikanische Rechtswissenschaftler Mark Roe hat einmal gesagt: “wheeler-dealers

run rings around the civil judge”,8 was sinngemäß bedeutet: Mauschel-Geschäftemacher stecken den

kontinentaleuropäischen Richter in den Sack und holen ihn wieder heraus, ohne dass er es merkt. Ich

habe das noch 2005 in einem Aufsatz für eine Übertreibung gehalten. Mittlerweile bin ich ebenfalls

der Auffassung, dass der II. Senat des BGH vollkommen überfordert ist, wenn es um Fragen des

Anlegerschutzes, erst Recht um Fragen des Übernahmerechts geht. Angesichts der Stellungnahmen

zur Postbankentscheidung habe ich nun auch eine klare Vorstellung davon, wen Roe mit den

“wheeler-dealers” gemeint hat.

8 Mark Roe, Institutional Foundations for Securities Markets in the West, 2003, S. 4, im Internet unter zu finden

unter http://www2000.wzb.eu/alt/ism/conf/conf03/papers/roe.pdf

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Rechtsprechung zu Spruchverfahren

Landgericht Düsseldorf spricht sich gegen rückwirkende Anwendung des IDW S1 2005 aus von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Das OLG Düsseldorf hat kürzlich - wie berichtet (SpruchZ 2014, 20) - den Bundesgerichtshof (BGH)

mit Beschluss vom 28. August 2014 um Klärung der zwischen den Oberlandesgerichten umstrittenen

Rechtsfrage gebeten, ob eine Bewertungsmethode (hier der IDW S1 2005) rückwirkend anzuwenden

ist. Das LG Düsseldorf hat mit sich dem kurz danach ergangenen Beschluss vom 3. September 2014,

Az. 33 O 55/07 (AktE), noch einmal nachdrücklich gegen eine rückwirkende Anwendung des IDW S1

2005 bezüglich eines lange zuvor, hier am 22. August 2001 mit der Mannesmann AG

abgeschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags ausgesprochen (zu diesem

Verfahren vgl. SpruchZ 2014, 21 f.). Vielmehr sei der IDW-Standard anzuwenden, der im Zeitpunkt

der Unternehmensentscheidung gegolten habe.

Bezüglich des Halbeinkünfteverfahrens sei die Anwendung des IDW S 1 in der Fassung 2005 nicht

geboten, da bereits die Fassung 2000 diesem Verfahren Rechnung trage. Wesentlicher Unterschied

zwischen den Versionen 2000 und 2005 sei die Neuorientierung bei der Ermittlung des

Kapitalisierungszinssatzes (Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes nicht mehr aus einer

risikoadjustierten Alternativanlage in festverzinsliche Wertpapiere, sondern anhand einer Anlage in

ein Aktienportfolio). Die Inkonsistenzen des IDW S 1 2000 seien nicht zu korrigieren. Hierzu merkt

das Gericht an, dass es wenig Sinn mache, „eine wissenschaftliche Unsicherheit durch eine andere

neue Unsicherheit“ zu ersetzen.

Das LG Düsseldorf führt hierzu aus (Zwischenüberschriften und Hervorhebungen durch den Autor):

„b) Die Kammer hält, worauf sie bereits in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich

hingewiesen hat, die Anwendung des IDW S1 (2000) welcher am Stichtag galt, für

sachgerecht.

aa) Der in der Rechtsprechung und der Literatur und vom Sachverständigen vertretenen Auffassung, insbesondere in Ansehung des Halbeinkünfteverfahrens sei die Anwendung des IDW S 1 in der Fassung 2005 geboten, wird von der Kammer in nunmehr ständiger Rechtsprechung nicht geteilt. Auch das OLG Düsseldorf hat in nunmehr ständiger Rechtsprechung entschieden, dass für die Bewertung in Spruchverfahren im Regelfall der IDW-Standard anzuwenden ist, der im Zeitpunkt der Unternehmensentscheidung gegolten hat.

Es ist im Hinblick auf das Stichtagprinzip und der Rechtssicherheit praktisch ausgeschlossen - gerade bei über Jahre laufenden Spruchverfahren - einen im Zeitpunkt der Entscheidung im Vergleich zum Ende der Unternehmensmaßnahme abgeänderten Bewertungsstandard

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rückwirkend anzuwenden (vgl. dazu ausführlich Oberlandesgericht Düsseldorf - I-26 W 2/11 [AktE] - Beschluss vom 21. Dezember 2011, - I-26 W 3/11 [AktE] - Beschluss vom 21. Dezember 2011; - I-26 W 11/11 [AktE] - Beschluss vom 4. Juli 2011; Landgericht Düsseldorf - 33 O 128/06 [AktE] - Beschluss vom 11. Januar 2012; 33 O 133/07 [AktE] und 33 O 137/07 [AktE] - Beschlüsse vom 11. Januar 2012; 33 O 126/06 [AktE] - Beschluss vom 29. August 2012 jeweils m.w.N.) IDW S1 2000 trägt dem Halbeinkünfteverfahren bereits Rechnung Darüber hinaus ist zu beachten, dass dem in der Literatur und der Rechtsprechung ständig wiederholten Argument, dass in dem Standard IDW S 1 (2000) die Gesetzesänderung bezüglich des Halbeinkünfteverfahrens noch nicht berücksichtigt wurde, entgegen zu treten ist. Aus dem Anhang des IDW S 1 (2000) folgt, dass in dieser Fassung des IDW S 1 dem Steuersenkungsgesetz, dem der Bundesrat am 14. Juli 2000 zugestimmt und mit dem das Halbeinkünfteverfahren ab dem 1. Januar 2001 eingeführt wurde, bereits Rechnung getragen wurde. Dies bedeutet wiederum, mit der Einführung des IDW S 1 (2005) ist nicht dem Halbeinkünfteverfahren Rechnung getragen worden sondern der Erkenntnis, dass die Unternehmenswerte zu hoch sein sollen und mit rund 25% niedriger angesetzt werden sollten. Dies Ansicht mag zutreffen oder nicht, führt aber dazu, dass sich die nachträgliche Anwendung des IDW S 1 (2005) auf Fälle, deren Bewertungsstichtage vor der Bekanntgabe des IDW S 1 (2005) liegen, so dass auch der Vertragsprüfer diesen Standard nicht anwenden konnte, verbietet. Vorliegend lag zum Bewertungsstichtag, der IDW S 1 in der Fassung vor, die vom Hauptfachausschuss des IDW am 28. Juni 2001 (IDW S 1 2000) verabschiedet worden war. Am 18. Oktober 2005 wurde der IDW S 1 2005 verabschiedet. Danach hat es bei dem Bewertungsstichtag gültigen Standard zu verbleiben. Diese Erwägungen werden insoweit und im Grundsatz auch vom Oberlandesgericht Frankfurt (OLG Frankfurt - 21 W 15/11 - Beschluss vom 28. März 2014- Wella) geteilt (vgl. OLG Frankfurt a.a.O. Wella Rdnr. 32 bis 45 zitiert nach Juris), wenn es danach auch Ausnahmen zulassen will. Für die Anwendung dieser Ausnahmen sieht die erkennende Kammer jedoch keine rechtliche Grundlage.

bb) Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt diese Ausnahme dann zulässt, wenn der neuere Standard mit einem in Wissenschaft und Praxis anerkannten und dem Gericht nachvollziehbaren echten Erkenntnisfortschritt verbunden ist (OLG Frankfurt Wella Rdnr. 47 zitiert nach Juris), vermag dem die Kammer ebenso wie der Auffassung des Sachverständigen X. aus Rechtsgründen nicht zu folgen. Soweit der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 30. Januar 2013 ausführlich dargelegt hat, dass, wenn schon nicht der IDW S 1 2005 angewendet wird, der IDW S 1 2000 zumindest so angewendet werden muss, dass das Halbeinkünfteverfahren - ergänzend zu den im IDW S 1 festgelegten Regeln - konsistent abgebildet wird, ist dies praktisch nichts anderes als eine Umsetzung der vom Oberlandesgericht Frankfurt vertretenen Rechtsauffassung nur in eine "wissenschaftlich exakt ausformulierte rechnerische Form) Der Sachverständige Dipl. Kfm. X. hat ausführlich und zunächst nachvollziehbar dargestellt, dass sich die Inkonsistenz insbesondere daraus ergibt, dass gemäß der Regelungen im IDW S1 2000 (IDW S1 2000, Tz. 99) hinsichtlich der persönlichen Besteuerung zwar eine Alternativanlage in eine risikofreie Anlage, die einer vollen Besteuerung unterliegt, unterstellt wird, jedoch der zur Berücksichtigung der Unsicherheit der finanziellen Überschüsse erforderliche Risikozuschlag vor persönlichen Steuern üblicherweise auf Grundlage von Aktienrenditen abgeleitet wurde (IDW S1 2000, Tz. 94-98), die mit Einführung des

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Halbeinkünfteverfahrens aber keiner vollständigen persönlichen Besteuerung unterliegen. Des Weiteren wird im IDW S1 2000 (IDW S1 2000, Tz. 44) eine empirisch nicht beobachtbare und unter Geltung des Halbeinkünfteverfahrens steuerlich oftmals nicht vorteilhafte Vollausschüttung unterstellt (Wagner et. al., Weiterentwicklung der Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen, WPg 2004, S. 894; Jonas, Ausschüttungsverhalten und Betafaktor deutscher Aktiengesellschaften, FB 2006, S. 482 f.; WP Handbuch, Bd. II, 2002, A Tz. 120). Dies war dann auch Veranlassung, dass der HFA des IDW am 9. Dezember 2004 den Entwurf und am 18. Oktober 2005 die Neufassung des IDW S1 (IDW S1 2005) verabschiedet hat.

Die erkennende Kammer verkennt nicht, dass mit der Hinwendung vom Standard IDW S 1 2000 zum Standard IDW S 1 2005 ein in der Fachliteratur und der Praxis anerkannter Paradigmenwechsel verbunden war (OLG Frankfurt Wella Rdnr. 50 zitiert nach Juris). Neuorientierung bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes als wesentlicher Unterschied zwischen den Versionen 2000 und 2005 Entscheidender Unterschied der Standards ist, wie auch in dem vorliegenden Verfahren der Sachverständige X. ausgeführt hat, die Neuorientierung bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes, die durch die Abkehr des Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren veranlasst war. Hiernach beruht die Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes nicht mehr auf der Überlegung einer risikoadjustierten Alternativanlage in festverzinsliche Wertpapiere. Vielmehr wird nunmehr die Anlage in ein Aktienportfolio angenommen. Gleichzeitig erfolgt die technische Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes unter Anwendung des Tax CAPM und nicht mehr auf der Basis des Standard CAPM. Zudem beinhaltet der neue Standard maßgeblich eine Abkehr von der Vollausschüttungsannahme (zitiert von OLG Frankfurt Wella Rdnr. 51 zitiert nach Juris). Die Einführung des Halbeinkünfteverfahrens alleine vermag aber die Qualifizierung einen Paradigmenwechsel und damit eine Änderung des anzuwendenden Standards in einem laufenden Spruchverfahren nicht zu begründen.

Bereits der IDW S 1 2000 hat, wie bereits ausgeführt wurde, dieses Halbeinkünfteverfahren berücksichtigt (so auch OLG Frankfurt Wella Rdnr. 57 zitiert nach Juris). Auch bezüglich der Wahl der Alternativanlage liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz der Steueräquivalenz vor. Auch wenn bei Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens ein Kapitalsteuersatz von 17,5 % unterstellt wird, bei der Alternativanlage hingegen ein Steuersatz von 35 % zu Grunde gelegt wird, zwingt dies nicht zu einer Anwendung des IDW S 1 2005. Eine identische Höhe der Besteuerung ist nicht erforderlich, entscheidend ist nur die zutreffende steuerliche Einordnung. Die steuerliche Einordnung der im Standard IDW S1 2000 unterstellten Alternativanlage, nämlich ein risikoäquivalentes Wertpapier, ist aber zutreffend erfolgt, weil Anleihen auch im Rahmen des Halbeinkünfteverfahrens mit 35 % besteuert wurden (so auch OLG Frankfurt Wella Rdnr. 59 zitiert nach Juris). Entscheidend für die Annahme eines Paradigmenwechsels können damit lediglich die Wahl der optimalen Alternativanlage und die Annahme der Vollausschüttung sein. Keine Korrektur von „Inkonsistenzen“ Diese beiden Einzelaspekte vermögen aber im Ergebnis die aus den vorgenannten Argumenten nicht gebotene Änderung des Bewertungsstandards in einem laufenden

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Spruchverfahren auch nicht zu rechtfertigen. Auch die vom Sachverständigen X. herausgearbeiteten Inkonsistenzen des IDW S 1 2000 sind nicht zu korrigieren. Ansonsten gelangt man praktisch zu einer Anwendung des IDW S 1 2005, wie es vom Oberlandesgericht Frankfurt tatsächlich angenommen wurde. Rechnerisch würden sich die Werte, wie der Sachverständige auch dargestellt hat, nicht mehr wesentlich unterscheiden. Die wirtschaftswissenschaftlich möglicherweise gebotene konsistente Anwendung des IDW S 1 2000, also über dem in diesem Regelwerk festgelegten Berechnungsgrundlagen hinaus würde zu einer von der oben dargestellten Rechtsprechung - aus Rechtsgründen - verworfenen Anwendung eines zum Stichtag nicht geltenden Regelwerkes führen, wie es auch das Oberlandesgericht Frankfurt angenommen hat. Für den Aktionär würden damit alle Nachteile - auch unter Berücksichtigung länger dauernder Spruchverfahren - eintreten, die gerade durch die reine Anwendung des zum Bewertungsstichtag geltenden Regelwerkes vermieden werden sollen.

Ob man die Anwendung des IDW S 1 2005, der im Vergleich zur "unbereinigten" Anwendung des IDW S 1 2000 zu rund 25% geringeren Unternehmenswerten führt, mit der - aus den dargestellten Rechtsgründen nicht zutreffenden - Übergangsregel des IDW S 1 2005 (Fußnote 1 des IDW S1 2005) begründet oder zum praktisch gleichen Ergebnis mit einer im Regelwerk des IDW S 1 2000 nicht vorgesehen Berechnungsmethode kommt, mag sie im Hinblick auf das zu berücksichtigende Steuerrecht und die tatsächlichen Verhältnisse auch konsistent sein, ist im Ergebnis unerheblich. Es wird immer eine Methode angewendet, die nicht der Bewertungspraxis zum Stichtag entspricht. Der Sinn des Spruchverfahrens ist es jedoch zu überprüfen, ob die zum Stichtag geltende Bewertungsmethode, die, richtig angewandt, auch eine Vergleichbarkeit der Unternehmenswerte zu einem bestimmten Stichtag ermöglicht, tatsächlich durch das Unternehmen und den Vertragsprüfer auch unter Berücksichtigung der Einwände der Aktionäre dem in der Wissenschaft und der Rechtsprechung - zumindest auch - anerkannten Regelwerk zum Bewertungsstichtag entspricht. Ändert man aber das Regelwerk, sei es durch eine Änderung des Textes, sei es durch eine praktische Änderung und/oder konsistentere Methode der tatsächlichen Anwendung der Regeln im Hinblick auf die tatsächlichen rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse, sei es - wie das Oberlandesgericht Frankfurt mit dem in der Rechtsordnung nicht vorgesehen Begriff und der Rechtfertigung "Paradigmenwechsel"- wird im Spruchverfahren nicht mehr eine Überprüfung der angewandten Regeln zum Stichtag vorgenommen, sondern eine Neubewertung mit neuen, am Stichtag nicht bekannten, nicht allgemeingültigen und akzeptierten Methoden und Regeln. Dieses ist aber, wie in den zitierten Entscheidungen ausführlich dargestellt, gerade nicht Sinn und Zweck des Spruchverfahrens. Insbesondere auch wegen des von den Antragsgegnern aber auch vom Oberlandesgericht Frankfurt (OLG Frankfurt Wella Rdnr. 60 zitiert nach Juris) hervorgehobenen Grundsatzes "Bewerten heißt Vergleichen" (Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmens-bewertung, 1983 S. 123f - zitiert nach Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 29. Oktober 2013 Seite 9) muss es bei der Anwendung des IDW S 1 2000 auch in der möglicherweise inkonsistenten Anwendung verbleiben. Vergleichbar sind Unternehmen zu einem Bewertungsstichtag nur, wenn sie nach der gleichen Methode, also auch identischen Grundparametern verglichen werden. Wenn - wie vorliegend - sich während eines länger andauerndes Spruchverfahren die wissenschaftliche Erkenntnisse zu einzelnen Bewertungs-parametern ändern, aber diese neueren Erkenntnisse nunmehr auf diese noch nicht abgeschlossenen Bewertungsverfahren angewendet werden, wird gerade dieser Grundsatz des "Vergleichens" aufgehoben ja geradezu umgedreht. Die Bewertungen von Unternehmen zu einem Stichtag sind gerade nicht mehr vergleichbar, sie werden vielmehr abhängig gemacht von der Konsistenz oder Inkonsistenzen der Meinungsbildung in der

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betriebswirtschaftlichen Wissenschaft und dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung zu einem Bewertungsfall. Das auch der IDW S 1 2005 zahlreichen Einwendungen ausgesetzt ist, zeigt das Oberlandesgericht Frankfurt ausführlich auf (vgl. OLG Frankfurt Wella Rdnr. 63 zitiert nach Juris). Ob diese Argumente in der allerletzten Konsequenz wirtschaftswissen-schaftlich tragen oder nicht, kann und muss die Kammer nicht beantworten. Sie zeigen aber auf, dass ein stark kritisiertes Bewertungsmodell (IDW S 1 2000) durch ein ebenfalls erheblichen Einwendungen ausgesetztes Modell (IDW S 1 2005) ausgetauscht werden soll bzw. ab dem Jahre 2005 auch ersetzt worden ist.

Letztlich drängt sich der Eindruck auf, dass der IDW S 1 2005 die Folge der von interessierter Seite verbreiteten Ansicht ist, mit der konsequenten Anwendung des IDW S 1 2000 würden zu hohe Unternehmenswerte errechnet (vgl. dazu auch OLG Frankfurt Wella Rdnr. 67 zitiert nach Wella). Dies mag - aus der Sicht der Unternehmen - so sein oder - aus der Sicht der Minderheitsaktionäre - auch nicht. Der IDW S 1 2005 mag sich in der Praxis und Wissenschaft auch durchgesetzt haben, was die den Minderheitsaktionären zugewandte Wissenschaft natürlich durchgehend bestreitet, dies alles rechtfertigt es jedoch nicht - in einem laufenden Spruchverfahren - den Standard zu wechseln und eine wissenschaftliche Unsicherheit durch eine andere neue Unsicherheit zu ersetzten.“

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OLG München: Keine Heranziehung des Börsenkurses als Untergrenze bei nicht liquide gehandelten Aktien

OLG München, Beschluss vom 17. Juli 2014, Az. 31 Wx 407/13 – Allgäuer Alpenwasser AG 2014, 714 = NZG 2014, 1230 = WM 2014, 2373 = ZIP 2014, 1589 I. Instanz: LG München I, Beschluss vom 9. August 2013, Az. 5 HK O 1275/12

Leitsatz: Bei nur im Freiverkehr gehandelten Aktien kann der Börsenkurs jedenfalls dann nicht als

Untergrenze der Abfindung herangezogen werden, wenn bei der Preisfindung wesentliche

wertrelevante Informationen nicht berücksichtigt werden, so dass die Börsenpreise nicht

aussagekräftig sind und nicht den Verkehrswert widerspiegeln, d.h. nicht verlässlich ein

typisierter Preis abgeleitet werden kann, zu dem ein Minderheitsaktionär die Aktie hätte

verkaufen können.

Die Entscheidung betrifft das Spruchverfahren zum Squeeze-out bei der Allgäuer Alpenwasser AG, in

dem das LG München I eine Erhöhung der Barabfindung abgelehnt hatte. Das Landgericht hatte

argumentiert, dass es auf den Börsenkurs es nicht ankommen könne, da ein Handel nur an 20 von 66

Tagen stattgefunden habe. Auch seien die Aktien nur im Freiverkehr der Bayerischen Börse München

gehandelt worden, siehe http://spruchverfahren.blogspot.de/2013/08/squeeze-out-bei-allgauer-

alpenwasser-ag.html.

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 2/2015

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Das OLG München bestätigt diese Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Börsenkurs als

Untergrenze heranzuziehen ist. Es hat daher die von mehreren Antragstellern eingelegten

Beschwerden zurückgewiesen.

Nach Ansicht des OLG muss bei Freiverkehrswerten überprüft werden, ob die Börsenkurse

aussagekräftig sind und tatsächlich den Verkehrswert widerspiegeln (Hervorhebungen und

Zwischenüberschriften durch die Redaktion):

„1. Das Landgericht hat zu Recht den Börsenkurs nicht zur Bemessung der Barabfindung herangezogen. Es hat in den drei Monaten vor Ankündigung des Ausschlusses der Minderheitsaktionäre weder ein hinreichend liquider Handel mit den Aktien der Gesellschaft stattgefunden noch haben sich wesentliche wertrelevante Umstände signifikant im Kurs der Aktie niedergeschlagen.

Grundsatz bei börsennotierten Aktien: Börsenkurs als Untergrenze a) Die nach § 327b AktG zu gewährende Barabfindung darf - ebenso wie bei anderen Strukturmaßnahmen - nicht unter dem Verkehrswert liegen, der bei börsennotierten Unternehmen nicht ohne Rücksicht auf den Börsenkurs festgesetzt werden kann. Regelmäßig ist der Börsenkurs der Aktie mit dem Verkehrswert identisch, so dass im Spruchverfahren in der Regel keine Barabfindung festgesetzt werden kann, die niedriger ist als der Börsenkurs. Ausnahme: Börsenkurs spiegelt nicht den Verkehrswert wider Das Gebot, bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung den Börsenkurs zu berücksichtigen, bedeutet jedoch nicht, dass er stets allein maßgeblich sein müsse. Art. 14 Abs. 1 GG fordert keine Entschädigung zum Börsenkurs, sondern zum „wahren“ Wert der Beteiligung am Unternehmen, mindestens aber zum Verkehrswert. Eine Unterschreitung des Börsenkurses kommt deshalb dann in Betracht, wenn dieser ausnahmsweise nicht den Verkehrswert der Aktie widerspiegelt. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn eine Marktenge besteht. Denn dann ist ungewiss, ob der Minderheitsaktionär seine Aktien tatsächlich zum Börsenkurs hätte verkaufen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.4.1999, NJW 1999, 3769/3772 zu § 320b AktG).

Offen gelassen für Notierung im Freiverkehr b) Es kann dahinstehen, ob allein die Notierung im Freiverkehr bereits die Heranziehung des Börsenkurses für die Bemessung der Barabfindung ausschließt (so Spindler/Stilz/Veil AktG 2. Aufl. 2010 § 305 Rn. 57; a.A. Emmerich/Habersack Aktien-und GmbH-Konzernrecht 7. Aufl. 2013 § 305 Rn. 46a). Die Publizitäts- und Transparenzvorschriften des WpHG gelten für den Freiverkehr (§ 48 BörsG) nicht, so dass die Veröffentlichung und Auswertung kursrelevanter Informationen für die in diesem Börsensegment gehandelten Aktien nicht in gleichem Umfang gewährleistet ist wie für die im regulierten Markt (§§ 32 BörsG) zugelassenen Aktien. Ob schon deshalb bei allen im Freiverkehr gehandelten Aktien grundsätzlich von mangelnder Informationseffizienz bei der Preisfindung ausgegangen werden muss, erscheint allerdings fraglich. Im Hinblick auf die unterschiedliche Ausgestaltung des Freiverkehrs und des regulierten Marktes ist aber bei Aktien, die nur im Freiverkehr gehandelt werden, die eingehende Prüfung erforderlich, ob preisrelevante Informationen in die Kursbildung eingeflossen sind. Zudem ist ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, ob so liquider Börsenhandel stattgefunden hat, dass die dabei erzielten Börsenpreise auch den Verkehrswert widerspiegeln (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.3.2008, AG 2008, 498/501;

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KölnKommAktG/Riegger/Gayk 3. Aufl. 2013 Anh. § 11 SpruchG Rn. 76). Diese müssen in dem Sinne aussagekräftig sein, dass aus ihnen als Folge der Marktbewertung der Aktie verlässlich ein typisierter Preis abgeleitet werden kann, zu dem ein Minderheitsaktionär die Aktie am Stichtag hypothetisch hätte verkaufen können (OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.2.2008, AG 2008, 783/785). Hier keine effiziente Verarbeitung unternehmenswertbezogener Informationen bei der Preisfindung c) Hier sind bei der Preisfindung für die Aktie der Gesellschaft im Freiverkehr ersichtlich wertrelevante Informationen nicht in signifikantem Umfang eingeflossen. Wie das Landgericht bereits hervorgehoben hat, waren selbst nach der Mitteilung des Vorstands über den Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals keine deutlichen Kursreaktionen zu verzeichnen. Dasselbe gilt für weitere Ereignisse, die für die Bewertung des Unternehmens und der Anteile von erheblicher Bedeutung sind, wie die Kapitalherabsetzung und die Ausgabe neuer Aktien. Das belegt, dass es jedenfalls hinsichtlich der Aktien der Gesellschaft an einer effizienten Verarbeitung unternehmenswertbezogener Informationen bei der Preisfindung gefehlt hat.

Anders als die Antragsteller zu 39 und 43 meinen, ist auch keine „angemessene Reagibilität“ auf die Einladung zur Hauptversammlung Anfang Oktober 2011 mit Bekanntgabe der Barabfindung zu verzeichnen. Die Einladung zur Hauptversammlung ist am 4.10.2011 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht worden. Im Zeitraum von 5.10. und bis 17.10. sind Kurse ausgewiesen zwischen 2,2 € und 1,85 €, in dem Zeitraum vom 18.10. bis 31.10. zwischen 2 € und 1,78 €. Selbst Anfang November bis zur Hauptversammlung bewegt sich der Kurs im Wesentlichen zwischen 1,78 € und 1,425 €. Zu dem vom Antragsteller zu 29 herausgestellten Kurs von 1,1 € zeitnah zur Hauptversammlung (am 14.11. und am 15. und 16. 11.) hat kein Handel stattgefunden (vgl. Anlage A 9 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 2.6.2012).

Indizien für Marktenge d) Hinzu kommt, dass in dem Zeitraum von drei Monaten vor Ankündigung des Ausschlusses der Minderheitsaktionäre die Aktien der Gesellschaft nur an 20 von 66 Börsentagen Aktien der Gesellschaft tatsächlich gehandelt wurden. An fünf Tagen davon betrug die Kursänderung mehr als 5 %. Im Anwendungsbereich der WpÜG-Angebotsverordnung, die nur bei einer Börsennotierung, nicht aber im Freiverkehr gilt, könnte folglich nach § 5 Abs. 4 WpÜG-AngebotsVO ein relevanter Durchschnittskurs nicht gebildet werden. Das kann als Indiz für Marktenge angesehen werden (vgl. GroßkommentarAktG/Fleischer 4. Aufl. 2007 § 327b Rn. 17; Schmidt/Lutter AktG 2. Aufl. 2010 § 305 Rn. 102; Spindler/Stilz/Veil AktG AktG 2. Aufl. 2010 § 305 Rn. 63; MünchKommAktG/Grunewald 3. Aufl. 2010 § 327b Rn. 10). Über längere Zeiträume - etwa zwischen 13.7. und 27.7. - fand überhaupt kein Handel statt, nachdem Ende Juni und Anfang Juli an vier Tagen geringe Stückzahlen gehandelt worden waren. Auch im Mai hat über Wochen praktisch kein Handel stattgefunden; vom 11.5. bis 26.5. sind - außer am 23.5. - keine Aktien der Gesellschaft gehandelt worden.

Es ist insbesondere auch nicht ersichtlich, dass über längere Zeiträume hinweg Geldkurse - d.h. Nachfrage nach Aktien der Gesellschaft - vorhanden gewesen wären. Die Behauptung des Antragstellers zu 29, es seien „in der gesamten relevanten Zeitspanne über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg“ (Schriftsatz vom 20.9.2013, S. 2) bzw. „nach hiesiger Erinnerung in dem gesamten maßgeblichen Referenzzeitraum“ (Schriftsatz vom 9.1.2014, S. 4) Geldkurse gestellt worden, wird durch die Übersicht über die Börsenumsätze der Aktie der

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Gesellschaft (Anlage 8 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 2.6.2012) nicht bestätigt. Diese weist als Zusätze zum Kurs lediglich die Kürzel „B“ (Brief) am 4.5., „TB“ (Taxe-Brief) vom 18.5. bis einschließlich 23.5. sowie „L“ für den 29.6. und „H“ für den 4.7.2011 auf. Weitere Ermittlungen zu der ersichtlich ins Blaue hinein aufgestellten Behauptung sind nicht veranlasst, zumal es schon für die durch Angebot und Nachfrage zustande gekommenen Kurse an einem hinreichenden Bezug zum Verkehrswert des Unternehmens fehlt.

e) Aufgrund der gesamten Umstände kann hier nicht angenommen werden, dass die Minderheitsaktionäre im Rahmen eines liquiden Handels eine Deinvestition zu einem den Verkehrswert widerspiegelnden Börsenkurs hätten vornehmen können. Es mag sein, dass einzelne Aktionäre mehr oder minder zufällig im Börsenhandel für ihre Aktie einen Preis hätten erzielen können, der den Abfindungsbetrag überschreitet. Darauf kommt es für die gerichtliche Bestimmung der Barabfindung aber nicht an. Dass im Freiverkehr der Börse München derzeit 489 deutsche Aktien gehandelt werden und keine „bananen-republikanischen Verhältnisse“ herrschen, wie die Antragsteller zu 39 und 43 hervorheben, ändert nichts daran, dass es hinsichtlich der Aktie der Gesellschaft sowohl an hinreichender Liquidität gefehlt hat als auch an einer Berücksichtigung wertrelevanter Informationen bei der Preisfindung.

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Spruchverfahren

Squeeze-out bei der EPCOS AG: LG München I lehnt Erhöhung der Barabfindung ab

In dem Spruchverfahren zu dem auf der Hauptversammlung am 20. Mai 2009 beschlossenen

Ausschluss der Minderheitsaktionäre bei der EPCOS AG, München, hat das Landgericht (LG) München

I mit Beschluss vom 19. Dezember 2014 eine Erhöhung des von der Antragsgegnerin

festgelegten Barabfindungsbetrags abgelehnt. Nach der Entscheidung hat die Antragsgegnerin die

Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu tragen.

Nach Überzeugung des LG München I lag der nach der Ertragswertmethode ermittelte

Unternehmenswert nicht höher als der zu Festsetzung des Barabfindungsbetrags herangezogene

durchschnittliche Börsenkurs drei Monate vor Bekanntgabe des Übertragungsverlangens. Nach

diesem Börsenkurs ergibt sich eine Marktkapitalisierung der EPCOS AG von fast EUR 1,21 Mrd.

Nach Ansicht des Gerichts waren die Planannahmen der Gesellschaft nicht zu korrigieren. Der Ansatz

eines Basiszinssatzes von 4 % vor Steuern sei ebenfalls nicht nach unten zu korrigieren. Der

Risikozuschlag war bei der EPCOS AG mit Werten zwischen 4,95 % und maximal 5,4 % anzusetzen.

Dabei geht das Landgericht von einer aus einer Peer Group abgeleiteten unverschuldeten Beta-

Faktor von 1,1 aus (nach sog. Relevern zwischen 1,1 und 1,2). Nach Auffassung des Gerichts muss der

in der Ewigen Rente mit 1,75 % angesetzte Wachstumsabschlag nicht erhöht werden.

Gegen den Beschluss kann innerhalb von einem Monat ab Zustellung Beschwerde eingelegt werden.

LG München I, Beschluss vom 19. Dezember 2014, Az. 5 HK O 20316/09 NEXBTL - Neue Exklusive Bio Toys Lüllemann - GmbH u.a. ./. TDK Corporation 120 Antragsteller gemeinsamer Vertreter: RA Dr. Wolfgang Hahn, 90431 Nürnberg Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin, TDK Corporation: Rechtsanwälte Linklaters LLP, 40212 Düsseldorf

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Spruchverfahren Squeeze-out ANTERRA Vermögensverwaltungs-AG: Sachverständige kommt zu deutlich höherem Unternehmenswert - Anhebung um fast 40 Prozent

In dem Spruchverfahren zu dem am 29. August 2011 beschlossenen Squeeze-out der

Minderheitsaktionäre bei der ANTERRA Vermögensverwaltungs-AG hatte das LG Frankfurt am Main

mit Beschluss vom 5. Februar 2013 (Az. 3-05 O 87/11) Frau Dr. Anke Nestler, c/o VALNES Corporate

Finance GmbH, 60313 Frankfurt am Main, zur Sachverständigen bestimmt, siehe

http://spruchverfahren.blogspot.de/2013/02/beweisbeschluss-im-spruchverfahren.html.

In dem nunmehr vorgelegten Sachverständigengutachten vom 18. Dezember 2014 kommt Frau Dr.

Nestler zu einem deutlich höheren Barabfindungsbetrag als von der Antragsgegnerin festgelegt. Die

LEI ANTERRA Germany Holding GmbH hatte EUR 3,23 als nach ihrer Ansicht angemessenen Betrag je

ANTERRA-Aktie festgelegt (zunächst sogar nur EUR 3,15). Die Sachverständige kommt dagegen auf

einen Unternehmenswert von EUR 14,512 Mio. und somit einen angemessenen Barabfindungsbetrag

in Höhe von EUR 4,33 je Aktie, was einer Anhebung um fast 37,5 % entspricht (sofern das Gericht

diesen Feststellungen folgt).

Hinsichtlich dieses Wertes geht die Sachverständige von einem geordneten Abwicklungszenario aus.

Dieser liege deutlich über dem "simulierten Fortführungswert". Der alternativ ermittelte, noch

einmal deutlich höhere NAV-Wert (EUR 6,64 bei Szenario I und EUR 5,85 bei Szenario II) ist nach

Ansicht von Frau Dr. Nestler nicht aussagekräftig, da die Gesellschaft zum Stichtag v.a. durch

Pensionen und hohe Verwaltungskosten belastet sei. Der sog. NAV-Abschlag spiegele diese Risiken

nicht ausreichend wider.

LG Frankfurt am Main, Az. 3-05 O 87/11 44 Antragsteller gemeinsamer Vertreter: Rechtsanwalt Dr. Häfele, 60597 Frankfurt am Main Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin LEI ANTERRA Germany Holding GmbH: Allen & Overy LLP, Hamburg

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Abgeschlossene Spruchverfahren

Gewinnabführungsvertrag mit der Aachener und Münchener Lebensversicherung AG

http://spruchverfahren.blogspot.de/2015/01/abschluss-des-spruchverfahrens-zu-dem.html

Eingliederung der BM Bäckermühlen AG

http://spruchverfahren.blogspot.de/2015/01/abschluss-des-spruchverfahrens-zur.html

Verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out bei der INFO AG

http://spruchverfahren.blogspot.de/2015/01/spruchverfahren-zum-verschmelzungsrecht.html

Squeeze-out bei der Kempinski AG

http://spruchverfahren.blogspot.de/2015/01/abschluss-des-spruchverfahrens-zum.html

Gewinnabführungsvertrag mit der Mainova AG

http://spruchverfahren.blogspot.de/2014/12/rechtskraftige-entscheidung-im.html

Squeeze-out bei der Rapunzel Naturkost AG

http://spruchverfahren.blogspot.de/2015/01/abschluss-des-spruchverfahrens-zum_7.html

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Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e. V.: Anlegerschutz wird ausgehöhlt - Wie das vereinfachte Delisting Anleger benachteiligt

Aus der Pressemitteilung der SdK vom 22. Dezember 2014 zum Erscheinen des Schwarzbuchs Börse

2014:

Vereinfachte Delistings auf Kosten der Anleger

Die SdK hatte bereits im Schwarzbuch Börse 2013 auf den negativen Einfluss hingewiesen, den ein

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVG) vom 11.7.2012 (1 BvR 3142/07 sowie 1569/08) auf

die Rechte von Aktionären im Hinblick auf den Segmentwechsel von Unternehmen in den Freiverkehr

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 2/2015

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sowie im Hinblick auf das komplette Delisting haben werde. Das BVG hatte damals festgestellt, dass

die Börsennotiz einer Aktie nicht dem Eigentumsschutz gemäß Artikel 14 des Grundgesetzes

unterliegt. Auf dieses Urteil hatte sich der Bundesgerichtshof bezogen, als er im Oktober 2013 in

einem Beschluss die eigene, so genannte Macrotron-Rechtsprechung vom 25.11.2002 aufhob.

Auf Grundlage dieser früheren Rechtsprechung war der Rückzug einer börsennotierten Gesellschaft

aus dem amtlichen Handel und dem Regulierten Markt in Form eines regulären Delistings an eine

Zustimmung durch die Hauptversammlung und die Abgabe eines Barabfindungsangebots an die

Aktionäre gekoppelt. Die neue Rechtsprechung erleichtert nicht nur Unternehmen den Wechsel in

den Freiverkehr mit seinen geringeren Transparenzanforderungen, sondern auch das Delisting ohne

Barabfindungsangebot. Die Tendenz im Börsenjahr 2014 untermauert die Befürchtungen der SdK: 25

Firmen beantragten ein vollständiges Delisting, das bis Mitte Dezember bereits von 13 Gesellschaften

vollzogen wurde. 23 weitere Unternehmen vollzogen den Wechsel vom Regulierten Markt in den

Freiverkehr, bei acht weiteren wird dieser Schritt noch bis zum Jahresende oder dann 2015 erfolgen.

Zwar haben einige Teilbereiche des Freiverkehrs wie der Entry Standard oder das Segment m:access

an der Börse München höhere Transparenzstandards zum Schutz der Anleger. Dazu zählen etwa die

Ad-hoc-Pflicht und die Vorlage von Zwischenberichten. Tatsache aber bleibt, dass sich die meisten

Betrugsfälle im Freiverkehr abspielen. Die SdK hält daher die Einschätzung der Gerichte, die von einer

gleichwertigen Transparenz in den Premiumsegmenten des Freiverkehrs mit dem Regulierten Markt

ausgehen, für nicht nachvollziehbar. Als einzigen Lichtblick in der aktuellen Diskussion sieht sie die

überarbeitete Regulierung des Marktmissbrauchsrechts (Market Abuse Regulation, MAR). Diese sieht

vor, dass auch für im Freiverkehr gelistete Unternehmen spätestens 2016 zur Veröffentlichung von

Ad-Hoc-Meldungen sowie von Wertpapiergeschäften des Managements (Director's Dealings)

verpflichtet werden, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind.

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Das Schwarzbuch Börse 2014 (Bestandteil des Magazins "AnlegerLand 2015") kann bei der SdK

bestellt oder heruntergeladen werden:

http://www.anlegerplus.de/meta/abo-2/sonderausgabe-anlegerland/

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Spruchverfahren aktuell - Nr. 2/2015

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Zeitschrift und Dokumente auf http://de.slideshare.net/SpruchZ

Impressum

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Zeitschrift

Spruchverfahren aktuell

(SpruchZ)

4. Jahrgang

ISSN 2195-7274

Herausgeber:

Interessengemeinschaft

Spruchverfahren (IG Spruch),

c/o Rechtsanwaltskanzlei

ARENDTS ANWÄLTE,

Perlacher Str. 68,

D - 82031 Grünwald

(bei München)

Bestellungen bitte an die E-Mail-

Adresse: [email protected]

Redaktion/Mitarbeiter: [email protected]

RA Martin Arendts, M.B.L.-HSG

(presserechtlich

verantwortlich), RA Dr. Peter

Dreier, RA/StB Dr. Theo

Schubert, M.C.L. Univ. Mich., RA

Clemens Schmautzer

c/o ARENDTS ANWÄLTE, Perlacher Str. 68, D - 82031 Grünwald

© 2015 für eigene Beiträge bei den

Autoren.


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