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Shakespeare

Date post: 09-Jan-2017
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K L E I N E B I B L I O T H E K D E S W I S S E N S

LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K U L T U R K U N D L I C H E H E F T E

O T T O Z I E R E R

POLIZEIAKTE

Shakespeare Das Rätsel um den Dichter

des „Hamlet"

V E R L A G S E B A S T I A N L U X

M U R N A U - M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • Ö L T E N

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1. K a p i t e l

Vorsicht, Majestät!

An einem kalten Tage des Januars 1598 bewegte sich Seine Lordschaft, Herr William Oecil, Baron von Burleigh, Kanzler und Großschatzmeister der Britannischen Majestät, durch die feierlich stillen Gänge des Westminsterpalastes. In einer Fensternische standen leise plaudernd die Grafen Shrewsbury und Kent und blickten dem greisen Kanzler entgegen, der mit tappenden Schritten, gestützt auf den Arm seines Sohnes Robert, die Fenstergalerie daherkam. Sie hatten Seine Lord­schaft seit Jahren nicht mehr gesehen •—ein königlicher Befehl hatte sie auf diplomatische Reisen geschickt; — nun, da sie den mächtigen Mann wiedersahen, verstummte ihr Geplauder, Schrecken verschlug ihnen den Atem: ohne seinen Begleiter hätten sie Herrn Cecil kaum wiedererkannt! Alt und gebrech­lich war er geworden, das Antlitz eingefallen und wie ein welker Apfel voller Runzeln, die Schultern schoben sich ge­beugt voraus, die knochigen, verdorrten Finger der rechten Hand umklammerten haltsuchend den Krückstock, die Beine knickten bei jedem Schritte ein und schleppten sich nur mit Mühe einher. Es war ein Bild des Jammers, die Spiegelung menschlicher Vergänglichkeit. . .

Und doch: noch immer bewahrte diese gebrechliche Gestalt den unverlierbaren Schein geistiger Größe und höfischer Er- 1 Ziehung: In den umrunzelten Augen leuchtete ungebrochen die 1

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alte Kraft, die ihn an die Spitze des Staatsschiffes empor­getragen, die ihn, vor einem Menschenalter bereits, zum ersten Staatsmann Englands erhoben hatte. Das wache, fast kalt­schimmernde Licht der Augen konnte auch heute noch fürchten machen. Es war nicht gut, in den Bannkreis solcher Blicke zu geraten, sie waren noch immer wie Pfeile, die bis in die Ab­gründe des Herzens stießen.

Die beiden Grafen traten schnell ein Schrittlein in den Raum der Fensternische zurück. Sie schauten eiligst an sich herunter, prüften ein wenig ängstlich, ob ihre Kleidung ohne Tadel sei. Sie kannten zur Genüge die Strenge seiner Lordschaft, die selbst in der geringsten Nachlässigkeit des äußeren Verhaltens eine Kränkung höfischer Verpflichtung und eine Verletzung der Ehrfurcht dem Throne gegenüber sah, dem man in Treue bis zum letzten Atemzuge verpflichtet war. Er selber, der schon vom Tode angerührte Greis, gab noch immer ein Beispiel da­für, daß nicht einmal die Hinfälligkeit des Leibes Grund sein dürfe, die vorgeschriebene Sitte zu verletzen: die wallende Allongeperücke wies keinen Tadel auf, keines ihrer Härlein wagte es, seinen eigenen Weg zu gehen; das lange Staats­gewand, ein schwerer Biberpelz, fiel würdevoll in feierlichen Falten über den samtenen betreßten Rock und die vorschrifts­mäßig gestrafften Kniehosen.

Soeben näherte sich der Kanzler den Grafen. Tief und ehr­furchtsvoll beugten sie die Rücken und verhielten scheu den Atem. Erst als der Greis einige Schritte vorüber war, hoben sie die Köpfe und äugten ihm schweigend nach. Der Sohn des Alten, Herr Robert Cecil, wandte den Kopf und grüßte. Dann aber gab er sich wieder ganz der Sorge um seinen greisen Vater hin. Er hielt die Dokumentenmappe in der Linken, die Rechte stützte fest den Arm des Kanzlers. Hinter den beiden schritt der Geheimschreiber.

Jetzt standen die drei vor dem Privatkabinett Ihrer Majestät, der Königin Elisabeth, der Herrin von England. Seine Lord­schaft straffte sich; es war, als würfe er alle Last des Alters von seinen Schultern. Sein Krückstock klopfte auf die Diele. Dann öffneten sich die Flügeltüren, wie von geheimnisvoller Hand bewegt: Der Kanzler betrat mit seinem Sohn die Ge­mächer der Königin.

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„Er trug die rote SafEianmappe mit der Purpurkordel!" flüsterte Graf Kent.

„Diese Kordel ist manchem schon zu einem Strick um den Hals geworden", gab der andere zurück. Er sprach so leise, daß man ihn kaum verstand. Sie sagten kein Wort mehr; sie starrten durch das Fenster zum Firmament hinauf. Eisig kalter Himmel lag über England.

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In dem kleinen Zimmer saß die Königin in einem holz­geschnitzten Stuhl vorm prasselnden Kaminfeuer und starrt« in die Flammen. Eine schwere Pelzdecke hüllte sie ein.

Und während Lord Cecil sich verbeugte, bemerkte er, da£ Elisabeth trotz ihrer fünfundsechzig Jahre noch immer weil davon entfernt war, den Kampf der Frau gegen das unver­meidliche Alter aufzugeben. Sie trug ein Kleid in fast jugend­lichem Schnitt, das nach spanischer Art genäht war. Der Hals und die hochgesteckte Frisur trugen funkelnden Schmuck.

Elisabeth wies auf einen zweiten Lehnstuhl, der nahe derr ihrigen stand. Der Kanzler setzte sich und er unterdrückte nui mühsam ein Hüsteln, das ihm in die Kehle stieg. Sein Sohr nahm hinter der hohen Lehne Aufstellung; den Geheim­schreiber hatte man vor der Zimmertüre als Posten zurück­gelassen.

„Ich bin erstaunt, Cecil", begann Elisabeth mit tiefer, männ­lich klingender Stimme, „Sie bei mir zu sehen! Man sagte mir Sie seien leidend und hüteten das Bett. Sie sollten sich nichl solchen Ungelegenheiten unterziehen."

Der Alte nickte sinnend mit dem Kopf. Während er dk Brauen finster zusammenzog, erschien sein eingeschrumpftes Gesicht noch greisenhafter und noch verhutzelter als zuvor. I

„Majestät sehen mich von der Sorge um diesen Staat ge­trieben", sprach er mit harter und noch immer klarer Stimme]

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„Solange ich atme, werde ich bemüht sein, Euerer Majestät zu dienen."

„Mein guter Burleigh!" antwortete Elisabeth und blickte zum Fenster hin, Sie schien mit ihren Gedanken irgendwo anders zu weilen.

„Euere Majestät gestatten, daß ich mich kürzer fasse, als es die Gründlichkeit etwa gebieten würde, aber ich dränge rasch zum eigentlichen Gegenstand meines Anliegens."

Die Königin nickte gewährend, und Sir Robert, der bisher hinter dem Lehnstuhl gestanden hatte, reichte seinem Vater die Saffianmappe über die Lehne. Der alte Staatsmann schlug sie sogleich auf.

Elisabeths Neugierde erwachte; es war immerhin ungewöhn­lich, daß sich der kranke und nochbetagte Schatzkanzler an einem solch kalten Tag zu ihr begab. Sie hatte den Kanzler wohl drei Wochen nicht mehr gesehen. Welcher Anlaß führte ihn zu ihr? Da erhaschte ihr vorsichtig unter den Wimpern spähender Blick die Aufschrift des Aktenstücks, das in der ge­öffneten Mappe lag.

„Polizeiakte Shakespeare", las sie. Wer war Shakespeare? Der Name war ihr unbekannt.

Lord Cecil unterhielt eine Menge Spitzel und Polizeispione und wußte von jeher alle>Geschehnisse in London und ganz England; man konnte fast sagen, daß sie ihm bekannt waren, ehe sie sich ereignet hatten. Man durfte demnach sicherlich gespannt sein, welches Geheimnis er wieder aufgestöbert hatte.

Der Kanzler begann seine Ausführungen. Anfangs sprach er leise; aber bald erhitzte er sich und seine Stimme wurde kraft­voll, wie in seinen besten Tagen, da er im Haus der Lords ge­sprochen und der Metallklang seiner Stimme den Gegner er­schreckt hatte.

„Majestät! Es sei mir, jetzt da meine Dienste für Englands Krone zu Ende gehen, ein kurzer Rückblick auf die Begeben­heiten gestattet, die zu der nunmehrigen überragenden Stel­lung unseres Landes, zu seiner Seemacht und völligen Unab-

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hängigkeit der britannischen Krone geführt haben. Wir haben es nicht leicht gehabt, und unser Sieg über alle Feinde ist uns nicht blindlings in den Schoß gefallen. Als der tollkühne Christoph Columbus vor 100 Jahren Amerika entdeckte, lag unsere Insel wie« im Schlaf und überließ es den katholischen Spaniern, eine neue Welt voll märchenhaften Reichtums zu gewinnen. Spanien wuchs und wuchs, es schlug aus kriege­rischen Abenteuern, aus List und Gewalt goldene Fülle, wie sie die Welt bis dahin nicht gekannt. Es schmiedete ein Schwert und zückte dessen Spitze auch gegen uns. Spanien ist Eng­lands Feind!

Wir kämpften in diesen Jahrzehnten gegen den Widersacher im Innern. Wir haben uns vor zwei Menschenaltern Luthers Lehre zugewandt, wir schlössen uns der Reformation an und wurden für alle nordischen Völker der Hort des neuen Glau­bens. Aber viele unseres Volkes blieben der alten Lehre ver­schworen, und ein unerbittliches Ringen setzte ein. Weltweit ist heute dieser Kampf, und Ihr, meine erhabene Königin, seid die furchtlose Schirmerin des evangelischen Glaubens ge­worden. Euere Majestät gibt uns die Gewißheit des Sieges über die letzten in unserem Volke, die sich noch wehren. Aber wir dürfen unsere Gegner nicht unterschätzen. In ihrer Verzweif­lung greifen sie zu jedem Mittel, die Reformation in unserem Lande zu erschüttern und damit die Krone von Euerem könig­lichen Haupte zu reißen. Das päpstliche Rom ist ein zäher Gegner. Er kämpft um jede Bastion in diesem Land, die ihm noch verblieben ist; hinter Rom steht Spanien und die übrige katholische Welt."

Die Königin schien ungeduldig zu werden. Was der Kanzler erzählte, war jedem Kind im Lande bekannt. Was sollte also das Gerede!

Die Augen Seiner Lordschaft schlössen sich zu einem Schlitz zusammen. Er fühlte den Widerstand, den Elisabeth seinen Worten entgegensetzte. Aber ihm dünkte jede Silbe, die er sprach, wichtig. Er durfte nicht müde werden, immer wieder jenes Erdreich aufzureißen, aus dessen Dunkelheit die Feinde des evangelischen Englands und der Königskrone gefährlich aufwuchsen. Seine Stimme wurde hart:

„Schottland, Majestät! . . . Von dort aus spann Maria Stuart,

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die katholische, die sich einmal Königin nannte, ihr Netz, um Euch, meine edle Herrin, zu erwürgen. Gott war mit uns, er gab die Feindin in die Hand Eurer Majestät: Ihr frevlerisches Leben endete auf dem Schafott!"

„Cecil", sagte die Königin und zog die Stirn in düstere Falten, „rühren Sie nicht daran! Sie wissen, daß es ohne meinen Willen geschah. An diesem Blute bin ich un­schuldig . . ."

Der alte Kanzler verneigte sich ohne das geringste Zeichen einer Gemütsbewegung. Er kannte die Zusammenhänge wohl genauer. Aber es war seine Pflicht, die Meinung der Königin zu achten. Er holte tief Atem und fuhr fort:

„Majestät, nicht einmal zwei Jahre vergingen, ehe die Er­öffnung der kriegerischen Feindseligkeiten dem Tode Maria Stuarts folgte: Philipp von Spanien ließ seine große Armada auslaufen, um in England zu landen; aber Gott gab uns seinen Segen — und den Weltumsegler Francis Drake. Die Stürme und unsere Seehelden schlugen die spanische Übermacht; das glorreiche Jahr 1588 machte England zur Herrin der Meere. Militärische Gewalt wird Euere Majestät nicht mehr vom Throne stürzen können. Aber noch immer leben wie graue Ratten in den Kanälen die Feinde. Wer England und seine Königin liebt, muß diese versteckten Gegner aufstöbern und sie vernichten!"

Ein Hustenanfall unterbrach den greisen Kanzler. Die Königin selbst reichte ihm ein Glas. Tiefroter Portwein fun­kelte darin. Lord Cecil trank mit kleinen Schlucken.

„Ich bin es von Euerer Lordschaft gewohnt", lächelte Elisa­beth, „daß Sie kein Wort ohne tiefere Bedeutung sprechen. Weshalb also berichten Sie mir die Zusammenhänge längst überstandener Schwierigkeiten und halten zugleich eine Poli­zeiakte mit der Aufschrift .Shakespeare' in Ihrem Schoß? Ich nehme an, daß dies alles nur ein wortreiches Vorspiel zu einer polizeilichen Aktion war?"

Lord Cecil lächelte. Jetzt verstand er sich wieder mit seiner Königin. Dieses Spiel der Geister liebte er.

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„Majestät sind sehr scharfsinnig", nickte er. „Ich rief natür­lich nicht umsonst vergangene Ereignisse in Ihrem Gedächtnis wach. Aber die Königin von England begeht einen Fehler, wenn sie sagt: überstandene Schwierigkeiten! Wir stehen noch mitten im Kampf der Mächte! Ich stellte nur fest, daß die mili­tärischen Angriffe zu Ende sind, nicht aber, daß die Feind­schaft gegen die Krone erloschen sei. Vorsicht, Majestät! Der Feind ist mehr denn je am Werk!"

Elisabeth fuhr erschrocken hoch. Man hatte ihr soviel an Leid zugefügt während ihrer harten und gedemütigten Jugend, während ihrer einsamen Mädchenjahre und später als Ge­krönte, daß sie bereit war, überall Verrat und Verschwörung zu wittern. Sie wurde mit einem Schlage wieder eiskalte Königin.

„Sprechen Sie, Sir!" befahl sie.

Der Kanzler richtete sich auf. Wie wiedererwachte Kraft ferner Jugend, da er jederzeit zum Zweikampf bereit­gestanden, zuckte es über sein Gesicht. Nun klopfte sein knochiger Finger auf den Akt in der Saffianmappe.

„Der Feind, Majestät, kämpft mit veränderten Waffen! Er sitzt im Innern. Er schießt nicht mehr mit Kanonen, sondern mit Versen; er ficht nicht mehr mit Schwertern, aber mit Wor­ten — er erklärt nicht mehr Kriege —, doch er wühlt die Herzen und Geister auf!"

Der Alte reichte die Mappe seinem Sohne hinüber; ein zu­nehmender Hustenreiz machte es ihm im Augenblick fast un­möglich zu sprechen.

„Dieser mein Sohn Robert", sagte er leise, „wird der Königin von England zur Seite stehen, wenn ich nicht mehr bin. Er ist in die Geschäfte der Polizei eingeweiht und wird sich erlauben, Euerer Majestät den Fall Shakespeare vorzutragen."

Der junge Robert Cecil verbeugte sich tief, blickte kurz in die Akten und begann zu sprechen: „Der sorgfältigen Über­wachung der Polizei waren besonders in dem politisch bedeut­samen London, das mit seinen mehr als zweihunderttausend Einwohnern der Hexenkessel aller Verschwörungen war, in den letzten Jahren verschiedene seltsame Vorgänge aufge-

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fallen. Im meistbesuchten Theater Londons, drüben in South-wark, wurden seit drei oder vier Jahren Schauspiele und Tra­gödien aufgeführt, welche, wie die Theaterzettel zeigten, von einem gewissen William Shakespeare stammten. Das Theater selbst war ein Rundbau und trug nach der Atlasfigur mit dem vergoldeten Globus auf seiner Spitze den volkstümlichen Na­men ,Globe'."

„Aber Cecil!" warf die Königin an dieser Stelle lächerlich ein, „seit wann beschäftigen Sie sich mit Komödianten, diesem Bettlerpack, das öffentliche Gelder öffentlich einnimmt? Thea­terspieler, Narren, Jahrmarktschreier und Wunderdoktoren, Bärentreiber, Zigeuner und Wahrsager, das ist doch ungefähr dasselbe! Glauben Sie an Gefahren, die Unserem Throne von Versedrechslern und Komödianten drohen?"

Der Alte hob voll tiefem Ernst sein Antlitz der Königin ent­gegen. Er nickte seinem Sohne, fortzufahren.

„Es ist nicht so, daß sich die Britannische Majestät vor dem Schauspieler und Theaterdichter William Shakespeare zu fürchten hätte. Nein, nein, meine hohe Königin! Aber Wach­samkeit vor Abgründen, die ein Nebel deckt, durch den man noch nicht blicken kann, ist Pflicht all derer, die die Wege der Untertanen zum Throne zu überwachen haben. Majestät mögen dieses Bild recht verstehen: Um diesen Komödianten Shake­speare schwebt ein Geheimnis. Die Behörde schaut nicht in sein Herz. Es liegt ein Schleier darüber!"

Elisabeths Interesse wuchs sichtlich. Sie schaute den Spre­cher groß an und beugte sich vor.

Sir Robert gab mit sachlichen Worten das Ergebnis der bis­her gewonnenen Ermittlungen über den Schauspieler William Shakespeare wieder.

„Besagter Shakespeare ist'Anno 1564 zu Stratford als Sohn eines Ratsherren geboren. Er entlief nach dem Bankrott seiner Eltern mit einer Schauspielergruppe des Grafen Essex."

Es war, als ob bei der Nennung dieses Namens ein jähes Zucken über das Antlitz der Königin huschte.

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„Seit 1584", fuhr Sir Robert fort, „lebt Shakespeare als Sta­tist, Rollenschreiber und Dichter in London. Zuerst trat er bei den Blackfriars auf . . . Majestät kennen das Theater am alten Stadtwal l . . . der berühmte Burbadge war Direktor der ge­nannten Bühne."

Die Königin lehnte sich wieder zurück. Langweilte sie sich jetzt? Sir Robert sprach unbeirrt weiter. Seine Worte fielen ruhig, nüchtern: Längere Zeit habe man nichts mehr von den Komödianten gehört; vielleicht hatte die Pest sie aus der Stadt vertrieben.

„Aber mit einem Male — Anno 1595 — sind sie wieder da, sie gründen das größte Globetheater, und nun folgt ein Shake-spearisches Schauspiel dem anderen. Ganz London läuft zu Shakespeare. Heute ist dieser Mann aus Stratford bereits Mit­inhaber und zweiter Direktor am ,Ölobe'."

„Erfreulich für ihn", spöttelte Elisabeth, „aber ich sehe immer noch keine Politik in dem Spiel?"

Sir Robert ließ sich nicht beirren. Er sprach vom Inhalt dieser Werke. — Es waren zum Teil Königsdramen, Darstel­lungen der verflossenen Geschichte des großen Britannien. Zuerst nannte er mit fast gleichgültiger Stimme die Titel der harmlosen Werke: „Titus Andronicus", „Komödie der Irrun­gen", „Verlorene Liebesmüh" und auch das dreiteilige „Hein­rich VI."

Jetzt aber hob er die Stimme:

„Kennen Majestät die Dramen, die gespenstig um zwei Ge­stalten der Geschichte geistern: die Dramen ,Julius Cäsar', und .Richard II.'?"

Die beiden Namen fielen schwer in die Stille. Noch waren sie nicht verhallt, da sprang der alte Lord auf; er ballte die Fäuste, in leidenschaftlicher Erregung rief er:

„Aufruhr, Majestät! Versteckte Aufforderung zum Umsturz, vulkanisches Spiel mit dem Gedanken, Könige von ihren Thro­nen zu stoßen!"

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Elisabeth war aufs höchste erregt. Lord Cecil schaute die Königin wie drohend an, er deklamierte:

„Was muß der König nun? Sich unterwerfen? wohl! Der König wird es tun! Muß er entsetzt sein? Der König fügt sich drein! Muß er einbüßen den Namen König? Nun, in Gottes Namen."

„Woher sind diese bösen, schlechten Worte?!" fuhr die Köni­gin auf.

„Sie sind aus Shakespeares ,Richard II.', Majestät, Worte, die allabendlich im Globetheater in die Herzen eines beifallrasen­den Volkes geschleudert werden!"

Elisabeth besann sich und wurde wieder ganz die kühle Herrscherin:

„Mein treuer Cecil, Sie sehen Gespenster! Kehren Sie in die historische Wirklichkeit zurück: Ja, man hat Richard II. ge­stürzt; ei, warum sollte ein Dichter solch ein erregendes Ge­schehnis nicht der Nachwelt überliefern?"

„Majestät!" — der Alte atmete schwer — „Euere Meinung war auch die meine. Wer wollte schließlich einem Poeten ver­wehren, vergangene Ereignisse, und seien sie noch so düster, in lauterer Gesinnung in das Licht der Gegenwart zu heben, um das Böse als ein Böses aufzuzeigen und das Gute als er­strebenswert zu rühmen. Die Herzen zu erheben, ist die Auf­gabe des Dramenschreibers. Ja, Euere Meinung war die meine. Aber nun denke ich anders, große Königin! Der Name Shake­speare steht vor einem kürzlich aufgeführten Werk, das .Julius Cäsar' heißt. Und darin stehen die Worte:

, . . . O Verschwörung'

Schämst du dich, die verdächt'ge Stirn zu zeigen Bei Nacht, wo doch das Böse ist am freiesten, So wähl den Tag! Wo aber willst du ein Versteck Entdecken, dunkel genug um einzuhüllen Dein gräßlich Antlitz? Suche keins, Verschwörung! In Lächeln hüll es und in Freundlichkeit!"

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Die Königin schüttelte das Haupt.

„Wie meinen Sie das, Sir?" sprach sie betreten. „Bei Gott, was soll ich damit anfangen?"

Und dann fragte sie mit stockender Stimme:

„Wer ist dieser unheimliche Shakespeare?"

„Majestät! Man hat Gründe, anzunehmen, daß der Schau­spieler Shakespeare gar nicht der Poet der aufwühlenden Dramen und Tragödien ist, sondern ein Strohmann, hinter dem sich ein anderer verbirgt, eine hochgestellte und vielleicht auch sehr weitblickende Persönlichkeit. Und wir, Majestät •— das heißt die Polizei des Staates •— sind nicht die einzigen, die hier ein Geheimnis um den Schauspieler wittern. Soeben ist eine Nachlaßschrift des Dramatikers Robert Greene herausgekom­men, die den Titel trägt: ,Ein Groschenwert Witz erkauft mit einer Million Reue.' Und darin wendet sich Greene deutlich gegen Shakespeare, seinen Konkurrenten an der Bühne. Hört, was er schreibt: , . . . es sind Marionetten, die aus dem Munde der Schauspieler sprechen, Gaukler, die sich mit u n s e r e n Farben zieren, und er, dieser shake-speare, dieser Szenen-Erschütterer, gleicht einer Krähe, die sich mit fremden Federn schmückt . . . ' Majestät, ist das nicht deutlich genug?"

„Reden Sie weiter, Lord!" Die Königin sprach nur mühsam beherrscht.

„Nun denn, Greene wirft Shakespeare vor, er stelle sich vor fremde Werke und leihe einem Unbekannten seinen Namen. Jenem Unbekannten aber sagt er, er sei ein Gaukler, der sich mit u n s e r e n , das heißt: den echten Poetenfarben, ziere. Der Unbekannte gehört also einem anderen, vermutlich einem höheren Stande an. Wir haben festgestellt, daß die Bildung des genannten Shakespeare nicht über durchschnittliches Maß hinausgeht. Der aber diese Werke schrieb, beweist — wer könnte es leugnen — genialen Schwung und eine bis zur Stunde unerhörte Sprache. Was uns aber noch stärker bewegt, ist die Tatsache, daß dieser Shakespeare eine nur dem Eingeweihten vertraute Kenntnis unserer Königsgeschichte besitzt, ja, daß

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er um Geheimnisse des Adels und — der Krone weiß, die dem Volke bis zur Stunde unbekannt geblieben sind."

Lord Cecil hob die Stimme. Sie klang wie dunkler Warnruf:

„Majestät mögen das Wort aus ,Julius Cäsar' bedenken: , . . . in Lächeln hüll es und in Freundlichkeit!' "

Die Königin besann sich. Ein Verdacht stieg iri ihr auf: Graf Essex! Aber sie wußte von der Todfeindschaft zwischen dem Greis, der hier vor ihr stand, und ihrem engsten Freunde, dem jungen, strahlend-männlichen Grafen. Sie wußte auch um dessen Theaterleidenschaft, um seine Schauspielertruppe, deren Mitglied ja auch Shakespeare zuerst gewesen war. Aber all das schien ihr, je lebhafter das Bild des Grafen Essex vor ihre Augen trat, doch zu abwegig und zu kühn. Sie lächelte:

„Verfolgen Sie die Spur, Lord Cecil! Sir Robert mag den Polizeiakt Shakespeare führen."

Die Königin hatte sich wieder ganz in der Gewalt. Fast spöt­tisch kam es von ihren Lippen:

„War das alles, was Sie heute gegen Ihre Gesundheit sün­digen hieß?"

Der alte Staatsmann zog finster die Brauen zusammen; er schüttelte den Kopf. Er gab den Kampf nicht auf; er war hartnäckig und zäh. Er wußte: was er jetzt sagen würde, war ein Wagnis.

„Königin von England! Ich beschwöre Sie, Graf Essex nicht an die Spitze der Expedition gegen die irischen Aufwiegler zu stellen! Die Streitmacht eines großen Heeres in den Händen eines Mannes, in dessen Herz wir noch nicht blicken konnten, ist in Gefahr! Was wissen wir von ihm? Wir kennen nur sein Lächeln und seine Freundlichkeit!"

„Sie sollten zu Bett gehen, Sir!" sprach Elisabeth mit grau­samer Kühle und wandte ihre Augen ab. Ihre Faust war hart geballt.

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Die Uhr schlug viermal: Die Königin erwartete den schönen Essex zum Tee.

2 . K a p i t e l

Der Vermummte

Wenige Monate nach diesem Tag lag Wilhelm Lord Cecil, Baron of Burleigh, in der Gruft seiner Ahnen. Neben verschie­denen hohen Staatsämtern, einem riesigen Vermögen und tausend geheimen Notizen ließ er auch die Akte mit der Auf­schrift „Shakespeare" in den Händen seines Sohnes Robert.

Dieser setzte die Nachforschungen nach dem geheimnisvollen Verfasser der Shakespearischen Dramen unauffällig fort, und die zutage gekommenen Spuren wiesen verdächtig in Richtung auf den Günstling der Königin, den Grafen Essex.

Freilich war Sir Robert Cecil dank seiner reicheren Bekannt­schaft mit der Dichtung und ihren Fragen, vielleicht auch in­folge eines freieren Blickes, der nicht wie der des toten Vaters durch Haß verdunkelt war, zu dem Ergebnis gelangt, daß Graf Essex selbst kaum der geheimnisvolle Verfasser der dämonisch brodelnden Dramen sein könne. Dazu fehlten dem hochfahren­den Manne sowohl Stil wie Überlegenheit, Tiefe wie Ausdauer.

Aber seine Umgebung mußte man überwachen, dort hieß es weitersuchen.

-Da war zum Beispiel Francis Bacon, 38 Jahre alt, der zu Cambridge schon im 14. Lebensjahre studiert hatte, dann Rechtsanwalt wurde und es schließlich zum Königlichen Rat und Unterhausabgeordneten brachte. Dieser Mensch schien von einem wilden Ehrgeiz besessen. Er betrieb alle erdenklichen Wissenschaften und schrieb gelehrte Bücher naturwissen-

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schaftlichen und philosophischen Inhalts. Graf Essex hatte dem begabten und von hochfliegenden Plänen erfüllten Bacon seine sichtbare Gunst zugewandt, er unterstützte ihn mit Geld und Gnadenbeweisen, so daß es wohl denkbar erschien, in Bacon den Vermittler der in Verse gefaßten gefährlichen Ideen, wenn nicht gar den Schöpfer der Dramen selber, zu vermuten.

Da waren aus dem engsten Freundeskreise des Essex die beiden Grafen Southampton und Rutland, die man ständig in seiner Gesellschaft sah. Beide saßen fast jeden Abend im Globetheater, und man sagte, daß sie zugleich Freunde Shake­speares seien, diesen oft zur Tafel lüden und dabei reichlich aus seinen Schauspielen zitierten. Wo sollte man einhaken?

Inzwischen hatte der Günstling der Königin, Graf Essex, entgegen den Plänen der Cecils alles erreicht, was sich sein kriegerischer und politischer Ehrgeiz erhofft hatte: Die ver­liebte Elisabeth hatte ihm das Oberkommando gegen die auf­ständischen katholischen Irländer übertragen. Das erschwerte und verzögerte natürlich alle Erhebungen im Falle Shake­speare.

Kurz bevor das Heer zur Einschiffung abging, hatten Sir Roberts Nachforschungen doch noch einen Erfolg.

Einer seiner Spitzel, der tagaus, tagein den Palast des Gra­fen Essex beobachtete, sah eines Abends eine vermummte Ge­stalt aus einer Nebenpforte huschen und folgte ihr.

Der Unbekannte, der den Mantel bis an die Augen hinauf­gezogen trug, begab sich in einer Kutsche bis nach Southwark, in die Nähe des Globetheaters, wo diese Nacht keine Vorstel­lung stattfand. Dort entließ er den Wagen, blickte sich einige Male um und ging dann raschen Schrittes einer kleinen, schmutzigen Vorstadtkneipe zu, die nahe dem Themseufer lag. Dort tauchte er unter,

Der Spion, der ihm auf den Fersen gefolgt war, betrat in der Maske eines späten Nachtschwärmers wenige Augenblicke spä­ter gleichfalls die Schenke.

In vorgerückter Nachtstunde konnte er Lord Robert mit großer Genauigkeit berichten, was er dort wahrgenommen hatte.

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Der Mann aus dem Palais Essex hatte sich, schon bald, nachdem er die Kneipe betreten hatte, den Schauspieler Shakespeare herausrufen lassen, der dort in ziemlich übel­gemischter Gesellschaft weilte und hatte ihm, gedeckt durch den schwarzen Mantel, einen Gegenstand übergeben, der seiner Größe und Beschaffenheit nach gut eine Papierrolle sein konnte. Dann erst ließ er sich für einige Zeit in der dämmerigen und unsauberen Kneipe nieder, wo eine bunte Komödianten-, Matrosen- und Soldatengesellschaft beisammenhockte. Die Wirtin hörte auf den seltsamen Namen „Hurtig". Ein paar blasse, windschiefe Gesichter 'waren anwesend, die die eigen­tümlichen Namen „Schaal", „Warze" und „Schmächtig" trugen. Ein Mensch, der wie ein entsprungener Galgenvogel aussah, tanzte mit der Tochter der Wirtin, welche „Dortchen" hieß. Dieser bleiche Strolch nannte sich „Meister Schimmelig".

Am meisten aber war dem Agenten ein ungeheuer feister Mann von schäbiger Eleganz, aber großen Standesbewußtsein aufgefallen, der den besseren Kreisen zu entstammen schien und „Sir Falstaff" angeredet wurde. Dieser entsetzliche Sauf­aus stieß mit einem Fähnrich „Pistol" ein ums andere Mal an, während ihn die übrige Gesellschaft andauernd hänselte und über seine aufschneiderischen Erzählungen witzelte.

Der Vermummte aus dem Palais Essex saß mitten unter die­sem Gelichter. Als sich sein Mantel einmal auseinanderfaltete, erspähte der Spitzel eine vornehme, spitzenbesetzte Samtjacke und kurze, mit Seidenbändern verschnürte Kniehosen, wie sie der Adel trug.

Dem ganzen Aussehen nach — es war ein hochgewachsener, dunkelhaariger und großäugiger Mann mit auffallend hoher Stirne und schmalen, weißen Händen — mochte es vielleicht Graf Roger Rutland sein, aber leider gelang der Beweis nicht eindeutig, denn der Vermummte verschwand durch einen Zu­fall ganz plötzlich aus den Augen des Spions. Aus dessen Be­richt aber folgerte Sir Robert Cecil, der sich immer eingehen­der mit den Dramen Shakespeares beschäftigt hatte, daß in jener Spelunke am Themseufer die gesamte Gesellschaft aus dem Drama „Heinrich IV." versammelt war, die die gleichen Namen Hurtig und Schmächtig, Schaal und Warze, Dortchen

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und Falstaff trug. Der Agent hatte also entweder inmitten Shakespearischer Gestalten geweilt oder eine Schauspieler­gesellschaft getroffen, die diese Rollennamen aus Scherz ge­brauchte. —

Übrigens gingen sowohl Graf Southampton wie auch Graf Roger Rutland und Mister Francis Bacon mit ihrem Gönner Essex in das irische Abenteuer.

+

Es erwies sich im Laufe der Zeit, daß das Geheimnis der Shakespearischen Schauspiele doch wohl nicht von so hoher politischer, ja staatsfeindlicher Bedeutung war, wie es der alte haßerfüllte Kanzler geglaubt, und so betrieb der Sohn Robert die Eintragungen in die „Polizeiakte Shakespeare" mehr zu seiner eigenen Unterrichtung, zugleich aber auch aus Pietät gegenüber dem letzten Unternehmen des toten Vaters, das. um den Grafen Essex gekreist hatte. Das Netz, das seine Gegner über diesen Günstling der Königin zu werfen sich anschickten, zog sich unterdessen eng und enger zusammen.

Sir Robert wußte genau, daß die irische Expedition mit einem Mißerfolg und so mit einer Enttäuschung für die Königin enden müsse. Er konnte also ruhig abwarten, bis sich der hochfahrende Essex von selber die Schlinge um den Hals legte. . .

Wahrend der Abwesenheit der irischen Armee begab sich der Lord mit einigen Freunden in das Globetheater. Es war ein Rundbau, mit Balken gezimmert und mit Brettern verschalt; es stieg in der Art antiker Theater ringförmig auf. Robert Cecil wünschte diesen geheimnisumwitterten Shakespeare leibhaftig kennenzulernen. Ein neues Stück war angekündigt.

Man hatte Robert Cecil neugierig gemacht. Dieses neueste Shakespearische Stück müsse er sich anhören. Gewiß: allent­halben lobte man in London die Lustspiele „Was ihr wollt"

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oder „Der Widerspenstigen Zähmung", auch den „Kaufmann von Venedig" feierten die Leute überschwenglich. Aber dieses Stück, das man dem Lord rühmte, sollte so packend sein, daß es ganz London in Tränen und Entzücken versetzte. Der An­schlagzettel nannte das Werk „Romeo und Julia".

Wie es sich für Standespersonen schickte, betraten der Lord und seine Freunde das Theater erst bei begonnener Vorstel­lung, was den nicht geringen Unwillen der hingerissenen Zu­schauer erregte; aber gleich darauf waren die Herren selbst von den Worten Shakespeares gefangen.

Sie hatten eine Loge der rechten Kulisse gemietet, die ihnen einen vorzüglichen Blick auf die Bühne gewährte. Sie sahen soeben einen italienischen Balkon, der nur mit wenigen und schlichten Pinselstrichen angedeutet war. Einige Tücher und verschiebbare Pappflächen stellten wohl ein Schlafzimmer vor. Wirklich, die Bühneneinrichtung war höchst einfach, aber man sah darüber hinweg, weil das Spiel die Aufmerksamkeit gänz­lich auf sich zog. Soeben erklangen die innigen Worte Juliens:

„Komm, milde liebevolle Nacht, komm, gib Mir meinen Romeo! Und stirbt er einst, Nimm ihn, zerteil in kleine Sternchen ihn. Er wird des Himmels Antlitz so verschönern, Daß alle Welt sich in die Nacht verliebt!"

Und dann folgte Juliens sorgende Frage:

„O edler Romeo! Wenn du mich liebst, Sag's ohne Falsch!"

Man hörte Romeos Schwur:

„Ich schwöre, Fräulein, bei dem heil'gen Mond, Der silbern dieser Bäume Wipfel säumt . . . "

Erschreckt aber klang da die Antwort Juliens auf:

„O schwöre nicht beim Mond, dem wandelbaren, Der immerfort in seiner Scheibe wechselt, Damit nicht wandelbar dein Lieben sei!"

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Nach dieser Aufführung, deren Gewalt sich auch Lord Cecil nicht entziehen konnte, bedrängte ihn mehr als bisher der Ge­danke an den Mann, der diese göttliche Dichtung dem Himmel der Liebe entrissen haben mußte. Er besuchte von nun an alle Schauspiele, die Shakespeare geschrieben hatte, und wurde in kürzester Frist ein ehrfürchtiger Bewunderer jenes Genies, das in anscheinend spielerischer Leichtigkeit eine unerhörte Fülle sprühender Charaktere, lebensbunter Handlungen und erha­benen Geistes ausstreute.

Wer war dieser Zauberer, den manche auch Shaxper nann­ten, den „Speerschüttler"? Und wie seltsam, daß auch der ita­lienische Dichter Dante Alighieri einen Namen trug, der über­setzt in gleicher Weise „Speerschüttler" bedeutete!

Lord Robert kam zu keiner Klarheit. Wenn aber der beschei­dene Schauspieler Shakespeare, der im Schatten des größeren Schauspielers Burbadge lebte, nicht der geistige Vater solch tiefer Liebesinnigkeit, solch erschreckender Blitze und olym­pischer Gewitter sein mochte, wer war es dann?

Und der Lord begann, jener Spur zu folgen, die auf den jun­gen Grafen Roger Rutland hinwies. Die bewährten Polizei­organe Cecils gaben schon bald genaueste Antwort auf die Frage, wer dieser Rutland war.

Roger Rutland war 1576, also 12 Jahre nach Shakespeare, geboren, so daß er, falls er der geheimnisvolle Dichter war, die Rachetragödie „Titus Andronicus" mit 15 Jahren geschrieben haben mußte. Mit 15 Jahren ein solches Werk? Wenn man aber bedachte, daß z. B. Francis Bacon mit 14 Jahren die Universität Cambridge erfolgreich besucht hatte, so erschien solch eine frühe Reife nicht unmöglich. Aber noch aufregender war es, folgende Tatsachen zu erfahren:

1596 war der zwanzigjährige Roger Rutland nach Paris ge­reist. Nichts Aufregendes an sich! Aber eine Pariser Reise

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spielte auch in ein Drama Shakespeares hinein. Laertes hieß dort der junge Reisegeselle, dem der Vormund Polonio vor dem Abschied Worte väterlicher Sorge mit auf den Weg gab.

Polonio war — wie gesagt — der Vormund des Laertes. War es nicht eigentümlich, daß auch Graf Rutland einen Vormund hatte, als er nach Paris hinüberfuhr.

Und woher hätte der Schauspieler Shakespeare, der England nie verlassen hatte, die Kenntnisse der italienischen Verhält­nisse, der italienischen Stoffe, Landschaften und lokalen Be­gebenheiten gewinnen können, die in solcher Lebendigkeit und Fülle über das Dramenwerk zerstreut waren? Graf Rutland jedoch hatte sich lange in Italien umgesehen, in Mantua, wo „Romeo und Julia" spielte, in Venedig, wo „Shylock" und „Othello" zu Hause waren; in Rom, Mailand und Padua, wo er studiert und — ja sogar dies hatten die fleißigen Agenten Lord Roberts zutage gefördert — wo er der Gefährte der bei­den Dänen Rosenkranz und Güldenstern war, eben jener Leute, die im „Hamlet" wiederkehrten. Hier in Padua vollzog sich auch die Handlung des Lustspiels „Der Widerspenstigen Zähmung".

War das alles nicht Beweis genug? Sein Vater hatte also doch die Nase auf der rechten Spur gehabt, meinte Sir Robert. Wer konnte daran noch zweifeln: es steckte ein Geheimnis hinter dem Dichter Shakespeare. Worte, groß und weit — konnten sie von einem kleinen Komödianten stammen? Waren einem Bürgerlichen die geheimen Geschehnisse der Königs­geschichte bekannt, die in den sogenannten Königsdramen: „König Johann", „Richard II.", „Heinrich IV.", „Heinrich V.", „Heinrich VI.", „Richard III.", und „Heinrich VIII." schonungs­los enthüllt worden waren? Konnte einer, der England nie ver­lassen, die Fremde so sicher zeichnen, wie es in diesen Werken der Fall war?

Aus dem Palais Essex war der Vermummte gekommen. Lag hier der Schlüssel zu jenem Geheimnis, das Shakespeare hieß? —• Die Akte Shakespeare wurde immer verworrener. I

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3 . K a p i t e l

D i e Katastrophe

Während sich der Polizeichef und Staatssekretär Robert Cecil mit diesen mehr privaten Untersuchungen trug, vollzog sich mit jäher Wucht das tragische Geschick des Freundes­kreises um den Grafen Essex und dessen eigenes Los.

Der Irische Feldzug endete mit einem Skandal: Der hoch­mütige Essex hatte es gewagt, dem Führer der aufständischen Katholiken einen günstigen Waffenstillstand zu gewähren.

Darauf hatten seine zahlreichen Feinde am Hofe der altern­den und launischen Elisabeth nur gewartet. Da sie es zudem verstanden, die immer wache Eifersucht der Königin zu er­wecken, entsetzte diese den gestürzten Günstling seiner hohen Kommandostellen und entzog ihm ihre Gnade.

Zornschnaubend flog der Graf mit seinen Vertrauten auf einem Schnellsegler über die Irische See und stürmte nach Westminster-Hall.

Lord Cecil und seine Leute hatten gut vorgesorgt. Die Köni­gin weigerte sich, den Grafen zu empfangen. Essex fegte alle Widerstände hinweg und drang gegen den Befehl der Königin in ihr Privatgemach.

Es gab eine schreckliche Szene. Die rasende Königin vergaß sich so weit, dem Grafen, dem

hohen Ritter des Hosenbandordens und Großmeister der Ar­tillerie, einen Backenstreich zu-verabreichen — der heißblütige Lord griff an den Korb seines Degens.

Elisabeth erschrak vor dieser Drohung und rief angsterfüllt nach den Wachen.

Sir Robert Cecil war gleich zur Stelle. Es war ihm ein Ver­gnügen, den Wütenden in Haft zu nehmen.

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Die Getreuesten kamen sofort zusammen: Graf Southamp-ton, Graf Rutland und der brave Francis Bacon.

Es gab eine starke Partei, die bereit war, das schwankende Königtum der Tudors zu stürzen und dafür die katholischen Stuarts auf den Thron zu setzen. Und der spanische, der fran­zösische und sogar der Kaiserliche Hof zu Wien würden Geld geben, ja vielleicht sogar Flotten und Truppen schicken.

Lange genug hatten England und sein männlicher Adel die Willkürherrschaft einer Frau ertragen! Ein Ende damit!

So saßen sie in den Zimmern, des Essex beisammen und bauten grollend und rachedurstig eine neue Welt.

Am Abend, an dem die Verschwörung losbrechen sollte, ließ Graf Essex aus der Haft der Truppe des Globetheaters befeh­len, jenes Königsspiel aufzuführen, das von der Absetzung eines Tyrannen, von seiner Schmach und seinem Untergang handelte: „Richard II."

Die gleiche Nacht fand die Freunde des Grafen in allen Rängen und Logen des Theaters. Jedes Wort dieses Dramas wurde zu einer Dolchspitze gegen die herrische Königin. Sie rasten Beifall, als Burbage in der Rolle des Gaunt die Worte sprach:

„Doch da als Welt dir nur dies Land gehört, Ist es nicht mehr als Schand, es so zu schänden? Landwirt von England bis du nun, nicht König; Dein fürstlich Recht ist nun des Rechtes Sklav'."

Ach, diese jugendlichen Schwärmer und Trotzköpfe! Diese Gesellschaft blinder Brutusse!

Zwar rottete sich auf ihren Aufruf hin der Vorstadtmob zusammen; Matrosen, Arbeitslose und einige unzufriedene

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Bürgerliche zogen mit den Soldaten des Essex und gelangten bis ins Regierungsviertel, aber dann brach die Königsgarde aus allen Seitenstraßen auf die Überraschten ein, und alles endete mit der Gefangennahme der Verschwörer.

Denn längst hatte Lord Cecil Kenntnis von den Aufruhr­plänen, lange wartete die Staatspolizei der Königin, bis das Fieber reif zum Ausbruch wurde; und dann erst hatte die Re­gierung zugegriffen.

Graf Essex und seine Freunde wurden in die Verließe des Tower geworfen. Nur ein Mann aus dem Kreise der Freunde verstand es, inmitten des Unheils die Stufe des Erfolgs nach oben zu klettern: Francis Bacon, der Gelehrte und Wissen­schaftler.

Als Graf Essex trotz der Warnungen dieses Mannes auf der Durchführung der Verschwörung bestanden hatte, war Bacon für eine Weile aus London verschwunden. So kam es, daß man Francis Bacon nicht unter den Verhafteten fand. Als er zurückgekehrt war, erkannte er sogleich die günstige Gelegen­heit, Karriere zu machen, und beeilte sich, durch einen deut­lichen Frontwechsel seine ergebene Gesinnung gegenüber dem neuen Machthaber, Lord Robert Cecil, zu erweisen.

Er bot sich an, die Anklageschrift gegen Graf Essex zu ver­fassen und wurde Generalstaatsanwalt; im Prozeß gegen seinen früheren Freund und Wohltäter.

Die Köpfe von Essex, Southampton und Rutland saßen nur noch lose auf den Schultern.

4 . K a p i t e l

Wer ist Shakespeare?

Sir Robert hielt den Polizeiakt „Shakespeare" in den Hän­den. Noch war er nicht abgeschlossen.

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Ihm ging es nun darum, letzte Klarheit zu gewinnen. Wenn es nicht jener Schauspieler des Globetheaters war: welcher von den drei Männern um Essex war dann der Verfasser jener geistgewaltigen Dichtungen?

Zwei dieser Männer — Southampton und Rutland — saßen in den Kerkern, der dritte — Bacon — klagte sie an. Für jeden von ihnen sprach eine Reihe von Gründen, Verfasser der Shakespearischen Dichtungen zu sein.

Wenn Essex starb und seine Mitverschworenen mit ihm, so war das Geheimnis für immer begraben, es sei denn, daß Bacon die Schauspiele verfaßt hatte. Doch erschien es Sir Robert, als wäre dieser kühle, berechnende und glatte Gelehrte kaum jener hohen Steigerung seelischer Kräfte fähig, die aus so vie­len Szenen der Shakespearischen Dramenwelt flammten.

So blieben also Southampton und Rutland übrig, und von neuem keimte ein Zweifel in Sir Robert auf: wenn es doch dieser rätselhafte Shakespeare aus Stratfort war! Der Lord setzte eine unerwartete Haussuchung bei Shakespeare an. Im Hause eines so vielschaffenden Poeten mußten sich doch genug handgeschriebene Manuskripte, Entwürfe und Notizen finden lassen. Man hatte mühelos einen Vorwand, unter dem man die privaten und die Theaterräume Shakespeares durchstöbern konnte — aber das Ergebnis brachte Lord Robert um keinen Schritt weiter.

Alle Werke, die man in reichlicher Auswahl vorfand, waren Abschriften von f r e m d e r Hand. Der Schauspieler Shake- I speare hatte keine Originalhandschrift in seinem Besitz!

Da Lord Cecil nun glaubte, daß nur Southampton oder Rut­land als Dichter in Frage kommen könnten, er aber das dich- j terische Werk glühend bewunderte, fanden die beiden Gefan-genen Gnade in seinen Augen. Graf Essex wurde in jenen un- I seligen Jahre 1601 im Tower enthauptet, die beiden Freunde sollten ihr Leben als Gefangene beschließen.

Von diesem Tage an war auch das Leben der alten Königin zerbrochen. Sie hatte den 33jährigen Essex tief geliebt; daß Sie ihm trotzdem den Tod geben mußte, weil er sich nicht vor

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ihr demütigen und sie um Gnade bitten wollte, das traf sie mitten ins Herz.

Von nun an verbrachte sie ihre Tage tief bekümmert ein­geschlossen in ihrem Zimmer. Am 24. März 1603 starb sie, und der Sohn der überwundenen Feindin Maria Stuart folgte ihr. Er nannte sich König Jakob I.

Eine seiner ersten Regierungshandlungen war es, der Für­sprache Lord Cecils nachzugeben und Southampton und Rut­land aus dem Kerker zu befreien.

Bacon aber wurde Ritter und Königlicher Rat.

Etwas Seltsames ergab sich nun, eine Tatsache, die Sir Ro­bert sorgfältig in die Akte „Shakespeare" eintrug.

Der geheimnisvolle Dichter, der seit 1592 jedes Jahr zumin­dest zwei Werke herausgebracht hatte — war zwei volle Jahre, von 1601 bis 1603, gänzlich schweigsam geblieben.

Kein einziges neues Shakespeare-Schauspiel hatte das Licht der Welt erblickt.

Das aber waren genau die Jahre, während derer die beiden Grafen im Tower, von aller Welt abgeschnitten, gelebt hatten!

Lord Robert Cecil erwartete nun schon fast mit Gewißheit, daß nach der Befreiung der Grafen aus dem Tower der Strom der Dichtungen plötzlich wieder zu fließen beginnen werde. Und wirklich: Das Globetheater lebte wieder auf, es brachte eine Fülle von Uraufführungen.

Der Name des Schauspielers Shakespeare stand wie vordem auf den Theaterzetteln; es waren schwere, furchtbare Schick­salsdramen, die sich nunmehr der Seele des Dichters ent­rangen: „König Lear", „Macbeth" und das Schauspiel grau­sigsten Menschenhasses: „Timon von Athen".

Southampton oder Rutland? fragte sich Lord Cecil. — Oder doch vielleicht der Schauspieler des Globetheaters?

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Cecils Aufmerksamkeit wandte sich wieder einmal diesem Schauspieler zu. Wenn man bedachte, daß das Entgelt derzeit für ein Drama etwa sechs Pfund betrug und die Einnahmen des Globetheaters — soweit Shakespeares Anteil in Frage kam — kaum höher sein konnten, so war es sehr verwunderlich, daß der arme Komödiant — übrigens ganz im Gegensatz zu den meisten seiner Zunft — ein beachtliches Vermögen an­gehäuft hatte, ja, daß er zu alledem ein vornehmes Haus in seiner Heimatstadt besaß. Offen sprach er davon, er werde sich schon bald zur Ruhe setzen.

Wirklich zog sich Shakespeare — immer vom Interesse Lord Cecils verfolgt — in den folgenden Jahren 1604—1606 vom Globetheater zurück und lebte als Privatmann von seinen Ein­nahmen teils in Stratford, teils in London. Als wohlhabender und angesehener Mann hielt er sich aber auch später vom Theater immer mehr fern, und die jüngeren Kinder seiner •Muse sandte er nur noch durch Boten dem alten Globetheater zu. Lord Robert Cecil beobachtete aufmerksam und selber un­beachtet das immer noch geheimnisvolle Spiel des Shake­speare-Dichters. Die Akte mit der Aufschrift „Shakespeare" hatte er lange schon aus dem amtlichen Gang der Ermittlungen und politischen Verflechtungen gezogen und in private Ver­wahrung genommen. Er war alt geworden und füllte seine leeren Tage damit aus, hie und da in seinen Sammlungen zu suchen.

Von Zeit zu Zeit trug er auch der Polizeiakte Neuigkeiten zu, die ihm bemerkenswert dünkten. Eine aber, die er verzeich­nete, steigerte noch die Dunkelheit, die geheimnisvoll das Rätsel: „Shakespeare oder nicht?" umlagerte: Der Schauspieler Shakespeare brachte fünf Jahre nach seinem reifsten und auf­wühlendsten Werk, dem „Hamlet", ein Bändchen mit 124 So­netten heraus. Zur Überraschung der Leser stand als Wid­mung des Herausgebers — eines Buchhändlers Thomas Thorpe — zu lesen: „Dem einzigen Erzeuger dieser Sonette, Herrn W. H., wünscht alles Glück und die von unserem ewig leben­den Dichter verheißene Unsterblichkeit: T. T."

W.H.: das hieß weder Shakespeare, noch Rutland, noch Southampton. Aber auch der Inhalt wies auf einen geheimnis­umwitterten Mann.

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Im 72. Gedicht stand dieses unheimliche Wort:

„Mein Name werde mit dem Leib begraben . . ."

Lord Cecil grübelte über diesem neuen Rätsel: W. H. — Dann durchgeisterte noch einmal ein Gedanke Lord Cecils Kopf: W. EL! Konnten das nicht die Anfangsbuchstaben der Vornamen Lord Southamptons sein: Henry Wriothesly?

Doch er gab das Deuten auf — andere Merkmale wiesen auf Roger Rutland hin, und die Behauptungen des Schauspielers und jetzigen Privatmanns William Shakespeare immer wieder auf diesen Sohn des Ratsherrn in Stratford.

Rätsel über Rätsel: wer wollte sie lösen?!

5 . K a p i t e l

D i e Polizeiakte wird geschlossen

Der Mann mit den tausend Seelen — wie ihn ein Zeitgenosse nannte — wirkte weiter. Einzigartige Schauspiele, hinreißende Tragödien und scharfe Komödien, eine Welt voller Leben und voller Gestalten, unsterbliche Meisterwerke sprudelten aus diesem dunklen Quell — eine unübersehbare Folge.

Die Tage verrannen, das Leben verzehrte sich. Schon schrieb man das Jahr 1612.

Im Globetheater spielte man Shakespeares neuestes Werk: „Das Wintermärchen". Der alte Lord Cecil vernahm hier die nachdenklich gewordene Stimme seines großen und still ver­ehrten Dichters. Rief sie nicht auch ihm zu:

„Ein jeder frage, welche Rolle

Wir in dem weiten Raum der Zeit gespielt. . ."

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Page 31: Shakespeare

Auch als man den „Sturm" spielte, war Lord Cecil wieder unter den Gästen der Uraufführung. Die Handlung verlief auf einer Zauberinsel im fernen Meer. Der eigentliche Held des Stückes, der Zauberer Prospero, nimmt Abschied von einem schicksalsschweren, grausamen und doch so herrlichen Leben. Noch einmal beschwört der große Magier die Gestalten seiner Phantasie, noch einmal haucht er allen Freude, Trauer, Fröh­lichkeit und Leidenschaft ein, um sie dann wie Gespenster im Nebel verfließen zu lassen: Schatten sind alle Menschen, Schemen ihre Schicksale, vergängliches Spiel ist die Geschichte.

Die letzten Worte des „Sturm" sind ein Abschied vom ge­liebten Werk, von den Menschenschatten, von dieser vergäng­lichen, unvollkommenen Welt.

„Hin sind meine Zaubereien, Was von Kraft mir bleibt, ist mein, Das ist wenig!"

Shakespeare, der große Zauberer der Dichtkunst, der einer Menschheit unsterbliche Gestalten geschenkt hatte, zerbläst den bunten Wirbel seiner Geister:

„Das Fest ist nun zu Ende. Unsre Spieler, Wie ich euch sagte, waren Geister und Sind aufgelöst in Luft, in dünne Luft, Wie dieses Scheines lockrer Bau, so werden Die wolkenhohen Türme, die Paläste, Die hehren Tempel, selbst der große Ball, Ja, was daran nur teilhat, untergehn, Und wie dies leere Schaugepräng erblaßt, Spurlos verschwinden. Aus Stoff sind wir gemacht, Dem Stoff der Träume, und dies kleine Leben V/ar wie ein Schlaf "

Sir Robert begriff, was das bedeutete. Der Dichter, dieses leib- und geisthaft feste und doch nicht greifbare Wesen, war am Ende seines Weges angelangt. Er, der die Schatten der Toten aus ihren Grüften beschworen und für ein kurzes

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Page 32: Shakespeare

Bühnendasein wiederbelebt hatte, bereitete sich, nun selber ins Reich der Schatten hinabzusteigen.

Als Lord Cecil am 26. Juni 1612 die Nachricht erhielt, daß Roger Graf Rutland auf seinen Gütern verstorben sei, schloß er die einstige Polizeiakte „Shakespeare". Er schob ein Blatt ein und schrieb darauf die Worte aus „Cymbeline":

„Fürstenzorn macht dir nicht Not, Fürchte nicht Tyrannenstreich; Fürchte nicht um Kleid und Brot; Eich' und Bins' sind dir nun gleich. Ruhiges Verwesen hier, Ehre nach dem Tod sei dir!"

Wie erwartet, blieb der „Sturm" das letzte Werk, das als Verfasser den Namen „Shakespeare" trug. Keine Zeile kam mehr aus der Feder des Dichters, obschon der geheimnisvolle Mann im besten Alter — erst 48 Jahre zählend — geruhsam zu Stratford am Avon lebte und sich seines Vermögens er­freute.

Aber auch Graf Southampton lebte noch, er, der den Schau­spieler Shakespeare einmal verächtlich „seinen Sir John Fal-staff" genannt hatte; es lebte auch noch der gewandte, viel­begabte Francis Bacon, auf den auch einmal ein Schatten des Verdachtes, Shakespeare zu sein, gefallen war.

Bacon stieg auf der irdischen Rangleiter noch viele Stufen höher: Er wurde Viscount und endlich Lord Verulam, so daß er schließlich, außer dem Wissen seines ganzen Zeitalters, auch den umfangreichen Titel eines „Sir Francis Viscount of St. Albans und Lord of Verulam, Königlicher Kanzler und Großschatzmeister" angesammelt hatte.

Im Jahre 1616 starb, ziemlich vergessen von der großen Welt, der Schauspieler Shakespeare zu Stratford, nachdem er

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Page 33: Shakespeare

in seinem Testament eingehend über jedes Stück seines Haus­rats verfügt hatte. Von seinen Werken aber erwähnte der Mann aus Stratford keine Silbe. Man fand weder im Nachlaß, noch im Globetheater auch nur eine einzige Zeile aus dem großen Werk, das der Welt geschenkt worden war.

Warum hatte er seit 1612 geschwiegen?

Welches Geheimnis nahm er mit ins Grab? — War er trotz allem doch der Genius, nach dem wir forschen?

Die Nachwelt freute sich an den Schöpfungen, die Shake­speares Namen trugen. Man fand auch die „Polizeiakte Shake­speare" nicht mehr vor. Sir Robert Cecil hatte alle Unter­lagen und Ergebnisse, die doch keine letzte Aufklärung ge­bracht hatten, vernichtet. Er gedachte des Wortes aus dem 72. Sonett:

„My name be buried where my body is!" (Mein Name werde mit dem Leib begraben!) —

Den Nachgeborenen aber blieb das Werk.

Shakespeare — wer auch immer sich hinter diesem Namen verbarg •—• lebt heute wie gestern mitten unter einer ehr­fürchtig lauschenden Menschheit. Männer wie er haben keinen Namen, kein Gesicht, kein Schicksal — sie sind Stimmen, durch welche die Gottheit zu uns spricht.

Johnson — Zeitgenosse und Freund des Schauspielers William Shakespeare — windet dem Dichter — gleich welchen Namen er auch tragen mag — den Kranz:

„Nicht nur für unsre Zeit lebt er: er lebt für immer! Noch standen in der Jugend Morgenglanz Die Musen, als er wie Apollo kam, Und unser Ohr und Herz gefangennahm . . .

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Strahl dort, du Stern der Dichter, strahl hernieder, Erhebe die gesunkne Bühne wieder, Die trauernd wie die Nacht berg' ihr Gesicht, Blieb ihr nicht deiner Werke ew'ges Licht!"

Ober Shakespeares Leben und Werk isf mehr geschrieben worden als über jeden andern Dichter der Wel t l i te ra tur . I m vor l iegenden Lesebogen versucht O t t o Z i e r e r /

geb . 1909 in Bamberg, der Jugend in einer Erzählung ver­ständlich zu machen, warum die Gestalt Shakespeares so

rätselvol l geb l ieben ist.

Bild auf Umschlagseite 2: Das alte Shakespeare-Theater in London.

Umschlagges ta l tung : Kar lhe inz Dobsky

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Page 35: Shakespeare

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