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"SB II - Intermundia" (2012)

Date post: 04-Jun-2018
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    ei. Wei, egal, wohin man sah. Weie Bume,weie Straen, weie Felder, weie Huser, weie

    Grten. So langsam war ich der Farbe echt ber-drssig. Die gesamte viereinhalb stndige Fahrthatten wir schweigend verbracht und alles, was

    mir zum Zeitvertreib geblieben war, war die weie, schneebedeckteLandschaft.Ich hatte Katze das Fell gekrault und hatte mich wiederholt gefragt,ob sie in ihrem Hrigkeitsstatus berhaupt irgendetwas davon mitbe-kam. Ich htte sie natrlich aufwecken knnen, aber das htte Drybestimmt nicht fr gut befunden. Und dann hatte ich mich gefragt,

    warum, um Himmels Willen, mich das eigentlich nicht peripher tan-gierte? Ich meine, warum, in Dreiteufelsnamen, gab ich einenScheidreck dafr, wie er sich fhlte, wenn ich ihm doch so vollkom-men egal war? Ich vermutete, dass ich insgeheim doch noch irgend-wie hoffte, dass er es sich irgendwann anders berlegen und umkeh-ren wrde. Aber mit jeder Minute, die verstrich, schwanden dieChancen darauf. Und dennoch sa ich da, streichelte der schlafendenKatze ber den Rcken und schwieg vor mich hin. Ich hatte abgewo-gen, ihn zu fragen, wohin wir fuhren, doch irgendwie hatte ich dieBefrchtung, dass es dann endgltig wre, wenn ich es wusste.Wir bogen von einer greren Strae auf eine andere ebenfalls groeStrae ab. Die letzte grere Stadt hatten wir vor knapp einer halbenStunde verlassen und wir befanden uns mitten im Nirgendwo. Wlderund Felder, ansonsten einfach echt gar nichts. Diese Strae fuhrenwir dann nur knapp fnf Minuten entlang und bogen erneut ab. Daswar schon mal eine extrem willkommene Abwechslung: zwei Abbie-gungen in nur fnf Minuten. `St. Eskin`s Boarding-School stand aufeinem Schild. Eine Schule?, durchzuckte es mich. Jetzt echt? Erbringt mich zu einer Schule? Ein Internat dann auch noch! Es standansonsten nichts weiter auf dem Schild. Nur eine Art Wappen undder Name in geschwungenen Lettern. Es dauerte dann auch nichtmehr lange und da tauchten die ersten Trmchen und Erker vor unsauf. Es schien ein echt altes Gemuer zu sein und diese Annahmebesttigte sich, als wir noch nher kamen.Dry drosselte das Tempo, als wir in die unmittelbare Umgebung ka-men und mir kam kurz der Gedanke, wie lange die Fahrt wohl beinormalem, menschlichem Tempo gedauert htte. Sie kam mir jetzt

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    schon irre lang vor und irgendwie war ich ganz froh, gleich aussteigenund mir die Beine vertreten zu knnen.Wir passierten eine kleine Gruppe Jugendlicher. Schler der Schule

    wahrscheinlich. Die Mdchen und Jungen waren allesamt lter alsich, vier oder fnf Jahre und allesamt trugen sie Schuluniformen.Selbst die Wintermntel trugen das Schulemblem was auch immeres war, ich konnte es auf diese Entfernung und auf die Schnelle nuroberflchlich ausmachen. Ein Rechteck, gesumt von einem blauenBand mit einer Schleife oben drauf und unten einem Banner, auf demirgendwas Lateinisches stand. Das Rechteck war dann noch mal ge-teilt und oben waren, was aussah wie drei Flaggen und unten war einSegelschiff abgebildet so sah es jedenfalls aus. Die kleine Gruppe

    schenkte uns aber keinerlei Beachtung und wir hatten sie schnellhinter uns gelassen. Dry hielt weiter auf das Gebude zu, das sich vormeinen Augen immer mehr entfaltete und bald in seinen komplettenAusmaen vor uns lag. Hier und da waren noch mehr Schlerinnenund Schler und niemand von denen schien so jung zu sein wie ichund ich fragte mich, ob Dry sich sicher war, dass das hier das richtigeGebude war. Vielleicht gbe es noch irgendwo ein anderes mit Sch-lern, die dann auch so alt waren wie ich? Aber er schien sich ziemlichsicher zu sein in seiner Sache und brachte das Auto auf einem Park-platz, der fr Gste reserviert war, zum Stehen und stieg aus. Ermachte keinerlei Anzeichen mich aufzufordern, dass ich mit ihm kamund so stieg ich dann einfach ohne seine Aufforderung aus dem Wa-gen aus und streckte mich einmal. Ein Dreiergespann beugte michund fing dann ganz offensichtlich damit an, ber mich zu tuscheln.Na klasse,dachte ich nur und ignorierte die Drei. Dry war whrend-dessen auf einen schneebedeckten Gehweg getreten und befand sichauf dem Weg in Richtung des Gebudes. Ich schnappte mir meineTasche und Katze und setzte ihm nach. Er wartete noch nicht einmal,bis ich zu ihm aufgeschlossen hatte, sondern ging einfach zielstrebig

    weiter. Und ich wunderte mich doch ein wenig, dass er sein Temponicht zgelte, immerhin waren doch Leute hier, die ihm dabei zusa-hen. Aber auch die schienen sein anormales Tempo nicht weitermerkwrdig zu finden und unterhielten sich lieber ber mich. Ichhtte ohne Probleme in ihre Unterhaltung eintunen knnen, das Ge-hr dazu hatte ich allemal, aber im Moment wollte ich lieber wissen,was, zum Teufel, Dry eigentlich mit mir vorhatte. Als er bei einer Ein-gangspforte angekommen war, die locker mit der dieser Kathedrale

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    mithalten konnte, in der Askatil uns damals empfangen hatte, holteich ihn schlielich ein und wir betraten das Innere des riesigen, histo-rischen Gemuers gemeinsam.

    Es hatte Kirchenfenster, stellte ich fest. Ansonsten sah es aber nichtsonderlich wie ein Museum aus und anders als ich es erwartet hatte,war es sogar angenehm warm. Dry war zielstrebig weitergegangenund ich schloss wieder zu ihm auf. Er war in einen Korridor abgebo-gen, der links von der Eingangshalle abging und legte ein Tempo anden Mann, von dem ich dachte, dass er garantiert jede Sekunde ineinen Laufschritt verfallen wrde. Tat er natrlich nicht, aber so fhl-te es sich an. Von diesem breiten Flur bog er dann irgendwann ziels-trebig in einen kleineren Gang zu unserer rechten Seite ab und nach-

    dem ich auch hier im Inneren nur Schler gesehen hatte, die allesamtviel lter waren als ich an den Wnden hingen auch Fotos von ihnen machte ich mir langsam Gedanken, ob er sich nicht wirklich dochverirrt hatte.Dry, ich glaube, wir sind hier nicht richtig, meinte ich und riss mei-nen Blick von einem Foto los, auf dem eine Hockeymannschaft abge-bildet war allesamt junge Erwachsene.berlass das Sprechen mir, gab er harsch von sich und kam abruptvor einer Tr zum Stehen, an die er dann klopfte.Bitte? erklang eine Frauenstimme von der anderen Seite der Trher und ich las `Dir. Holly auf einem goldenen Schild neben der Tr.Dry trat ein und ich folgte ihm unaufgefordert. Hinter einem wuchti-gen, dunklen Schreibtisch, der trotz seiner Gre ein wenig verlorenin dem riesigen, hellen Raum schien, sa eine zierliche, rothaarigeFrau, die sich prompt erhob, als sie sah, wer da in den Raum eintrat.Mister Askin, singsangte sie in einer angenehmen Stimme und tratum ihren Schreibtisch herum auf uns zu.Askin?Direktorin Holly, grte Dry und deutete ein Nicken an.

    Die beiden reichten sich kurz die Hnde, dann wanderte der Blick derRothaarigen zu mir.15, hm? meinte sie und warf Dry einen merkwrdigen Blick zu.Ich hatte keinen Plan, wovon sie sprachen, doch auch auf meinenfragenden Blick hin, lieen sie sich nicht weiter darber aus. Vorerstjedenfalls nicht.

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    Sie ist klein und schmchtig fr ihr Alter, erklrte Dry und ichkonnte gerade noch verhindern, dass ich den Mund aufmachte, umihm zu widersprechen.

    Lara, meinte sie und streckte mir ihre Hand entgegen.Ich ffnete den Mund, um sie zu verbessern, aber der Blick und dasleichte Kopfschtteln, das Dry hinter ihrem Rcken tat, lie michmeinen Kommentar herunterschlucken und ich setzte stattdessen einLcheln auf und ergriff ihre Hand. Ihr Hndedruck war strker, alsich es von einer so zierlichen Frau erwartet htte.Und ich wre dir uerst dankbar, wenn du so etwas wie in Istrienhier nicht wiederholen wrdest, meinte sie mit einem merkwrdigenGesichtsausdruck, der fast an ein unterdrcktes Grinsen erinnerte.So

    etwas wie in Istrien?Und pltzlich ging mir ein Licht auf und ichlie ihre Hand abrupt los und starrte fragend zu Dry hinber, derimmer noch hinter ihr stand. Er nickte kaum merklich und besttigtemir meine Annahme. Du wirst wahrscheinlich Fragen haben, mein-te Mrs Holly, whrend sie zu ihrem Schreibtisch zurckging und sicheine Mappe zur Hand nahm.Ich wechselte schnell einen Blick mit Dry und wre ihm zu gern an dieGurgel gegangen. Warum, um alles in der Welt, hatte er mich nichteingeweiht? Ich meine, hallo, wir waren gerade fast fnf Stundenschweigend durch die Gegend gefahren! Da htte er mir doch we-nigstens mal was von meiner Namensnderung erzhlen knnen!Lara Askin Was fr ein bescheuerter Name ist das denn?! Und vorallem: Wozu? Also, ich meine, warum? Und warum, bitte schn, sollich 15 sein? Mein ueres Erscheinungsbild wird dieses Alter jetzt,dank dir, niemals erreichen knnen!Miss Askin? holte die Rektorin mich aus meiner eigenen Gedan-kenwelt wieder zurck ins Hier und Jetzt.Hm?Sie wechselte einen Blick mit Dry und hielt mir dann die Mappe ent-

    gegen, die sie in der Hand hielt.Hier, sie enthlt alle ntzlichen Informationen, die Grundregelndieser Einrichtung und ein paar Unterlagen, die du und dein Schpfernoch eben ausfllen mssen.Schpfer? Ja, genau genommen schon, aber nicht so, wie du denkst!Als ich keinerlei Anstalten machte, ihr die Mappe abzunehmen,machte Dry es mit einem Seufzer und lotste mich wieder aus demZimmer heraus. Drauen auf dem Flur lieen wir uns an einem Tisch

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    nieder, an dem zwei Sthle standen und ein paar Stifte in einem Ge-f fr das Ausfllen der Unterlagen bereit lagen.Lara Askin, zischte ich, whrend wir uns niederlieen.

    Unter diesem Namen wird er dich nicht finden und das ist alles, waszhlt und jetzt halt endlich deine verdammte Klappe.Er hat geflucht, stellte ich etwas irritiert fest, whrend er sich daranmachte, die Papiere durchzublttern. Er fischte die auszufllendenDokumente heraus und drckte den Rest dann mir in die Hand undmachte sich ans Ausfllen.

    Name: Lara AskinAlter: 15

    Transformationsdatum: 18. Mrz 2012Es war das Datum von gestern. Von meinem Blutrausch-Zug durchdie Stadt. Mein richtiges Geburtsdatum also das, wo ich wirklichzur Welt gekommen war, das, wo Dry mir sein Blut eingetrichtert undmich zu dem gemacht hatte, was ich war das war schon gut einenMonat her.

    Fhigkeiten: Beigenese, bermenschliche Sinne (Gehr,Sicht, Geruch), Energie-Schlucker

    Energie-Schlucker? Das ist die Bezeichnung dafr? Hrt sich ir-gendwie an, wie wie also, wie so ein Mllschlucker oder so was.Herzlichen Dank auch!Die Linien, die fr die Fhigkeiten vorgesehen waren, waren nur zueinem Drittel ausgefllt mit all meinen Talenten, doch Dry unter-schlug die restlichen Sachen einfach. Und ich fragte mich, warum erdie, auf die es doch eigentlich ankam, die, die alle so krass waren undmich besser machten als alle meiner Artgenossen, eben die, weshalb

    Askatil mich nicht gleich bei unserer ersten Begegnung einen Kopfkrzer gemacht hatte, warum er die da nicht mit auflistete. Die einzi-ge Erklrung, die mir einfiel, war, dass je schwammiger er mich hierzeichnete, desto schwieriger wrde es werden, mich anhand diesesLara-Askin-Charakters zu identifizieren. Wenn Askatil mich suchenwrde, dann wrde er nach jemandem suchen, der eben all die Fhig-keiten hatte, die da nicht mit auf dem Zettel standen. Weil die, dieDry da eben alle notiert hatte, das waren bis auch die Energie-

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    Schlucker-Sache eben alles Dinge, die auch auf jeden anderen be-liebigen Vampir zutreffen knnte. Doch das mit der Energie-Schlucker-Sache musste wohl mit drauf, da es sonst ja eh innerhalb

    weniger Stunden auffallen wrde, dass ich mich nun einmal nicht vonBlut ernhre.

    Transformator: D. Askin

    Na, wenigstens das `D stimmtEr fllte den Zettel dann weiter ausund schob ihn, als er fertig war, zu mir herber, gemeinsam mit demKuli. Ich setzte den Stift auf die Linie, auf der ich unterschreibenmusste und htte beinahe mit `Clara Mason unterschrieben, htte

    Dry mich nicht im letzten Augenblick gestoppt.Dry, was ist das hier fr eine Einrichtung hier? wollte ich wissen, alser sich erhob, um den Schrieb wieder zurck zur Rektorin zu bringen.Dein neues Zuhause, war alles, was er von sich gab, bevor er wiederim Zimmer der Mrs Holly verschwand und ich konnte nicht andersals da zu sitzen und auf die Tr zu starren, die er offen gelassen hatte.Miss Askin? ertnte die freundliche Stimme der Rektorin und icherhob mich und lugte vorsichtig ins Zimmer hinein. Bitte, fordertesie mich zum Eintreten auf. Sie schaute Dry immer noch so komischan, so, als htte sie Schwierigkeiten irgendwas, was auf dem Formularstand, das er ausgefllt hatte, zu glauben. Jeder neue Schler unse-rer Einrichtung wird in den ersten Wochen ein Berater zur Seite ge-stellt. In Ihrem Fall `Ihrem Fall? Mein Gott, ich bin erst 12! H-ren Sie auf mich zu siezen! Das ist doch lcherlich! Und wieso derpltzliche Wandel? Eben haben Sie mich noch mit `Du angespro-chen ist das Mister Gossamer. Er wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen,Ihren Stundeplan erlutern und fr alles Weitere zur Verfgung ste-hen.Sie streckte mir noch einmal die Hand entgegen und ich drckte sie

    wie in einer Art Trancezustand und ehe ich eigentlich richtig realisierthatte, was da gerade vor sich ging, hatte Dry sich auch schon von ihrund mir verabschiedet und ich stand mutterseelenallein auf dem Flurvor der mittlerweile verschlossenen Tr der Rektorin.

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    Hey, kam es pltzlich vom linken Ende des Flures her dem ande-ren Ende, dem, von dem Dry und ich nicht gekommen waren.Erst jetzt sah ich, dass dort eine Tr war, die nach Drauen fhrte.

    Ein Jemand kam gerade durch diese Tr hindurch und brachte eineFuhre kalter Luft mit rein, die nach Schnee roch. Das Licht, das mitder offenen Tr in den doch leicht dmmrigen Flur fiel, lie mich nureinen dunklen Schemen erkennen, der unweigerlich auf mich zu hielt.Erst, als die Tr so gut wie zu war und ich endlich etwas mehr erken-nen konnte, sah ich, dass der Jemand, so wie ich es anhand derStimme vermutet hatte, ein Mann war. Er war wohl in etwa so alt wiedie Rektorin was ihn so Mitte 30 machte, also in Menschenjahren.Er trug eine braune Wollmtze, eine braune Jacke, eine Sonnenbrille

    und helle Jeans und das Lcheln, das er mir zuwarf, und welches seinkantiges Gesicht erhellte, war freundlich und offen.Lara? erkundigte er sich, als er sich die Mtze vom Kopf nahm undeine Glatze freilegte.Was irgendwie witzig war, weil er zwar einen Dreitagebart, aber keineHaare auf dem Kopf hatte.Mister Gossamer? hakte ich nach und meine Stimme klang irgend-wie reichlich verloren.Ah, Chris. Bitte, meinte er, immer noch grinsend, und reichte mirdie Hand, nachdem er sich seines Handschuhs entledigt hatte. Erschien echt in Ordnung zu sein und irgendwie war ich echt erleichtert,dass man sich jetzt doch um mich kmmerte. Und wer ist das?Ich folgte seinem Blick und wurde mir erst jetzt wieder gewahr, dassich die schlafende Katze immer noch in meiner linken Hand hielt.Oh, stie ich hervor und nahm die Hrigkeit von ihr, Katze. Katzeist das.Wow, stie er sichtlich berrascht hervor, als sie vor seinen Augenwieder zum Leben erwachte. Vor dir muss ich mich in Acht nehmen,hm?

    Ich ffnete den Mund, um etwas zu sagen das hatte mich geradeganz schn getroffen. Ich wollte niemandem etwas antun! Aber ergrinste immer noch und hatte es offensichtlich nur als Scherz ge-meint. Und dann schoss mir durch den Kopf, dass ich wohl bessernicht einfach so mir nichts, dir nichts das von meiner Hrigkeitsf-higkeit htte preisgeben sollen.Aber egal Zu spt!Na komm, ich fhr dich ein bisschen rum, meinte er und legte mirdie Hand auf den Rcken, whrend er an mir vorbei ging und mich

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    mit seiner Bewegung umdrehte, so dass wir in die Richtung gingen,aus der ich vorhin gekommen war. Wenn du nichts dagegen hast,wrde ich gern erst einmal drinnen anfangen, gab er von sich und

    warf mir einen Blick zu, um sich zu versichern, ob das in Ordnung frmich war.Ja, ja klar, faselte ich und nickte berschwnglich.Super, freute er sich und fing an, sich seiner Jacke zu entledigen.Es ist echt arschkalt da drauen.Ja klar, wenn man nur ein T-Shirt anhat und sonst nichts,dachteich, als ich sah, dass er echt nur was Kurzrmliges unter seiner brau-nen Winterjacke trug. Auerdem fiel mir auch noch auf, dass er ir-gendwie fehl am Platze wirkte. Irgendwie schien er sehr viel besser an

    einen warmen Strand zu passen, mit Surfboard unter dem Arm. Unterseinem rechten Hemdsrmel lugte ein Tattoo hervor und um beideHandgelenke und um seinen Hals trug er lederne Bnder. Ein paarRinge zierten seine Hnde.Was ist? erkundigte er sich immer noch gut gelaunt, als er meinesBlickes gewahr wurde.Nichts-ich-sorry.Sorry? Wofr solltest du dich denn entschuldigen mssen?Ich AlsoNa, schie los, munterte er mich auf, whrend wir in der groenEingangshalle ankamen.Doch ehe ich etwas sagen konnte, kam eine Traube Mdchen an unsvorbei, die ihn mit Mister Gossamer begrten und ihn anlcheltenund teils sogar rot anliefen. Und ich fragte mich, wieso. Er grte sie immer noch grinsen, das schien wohl sein Markenzeichen zu seinund ohne ging es bei ihm wohl nicht und kannte sie alle beim Na-men. Doch lange aufhalten, tat er sich mit ihnen nicht. Nein, genaugenommen hielt er sich gar nicht mit ihnen auf. Er begrte sie zwar,machte ihnen ein paar Komplimente, wich mir aber die ganze Zeit

    ber nicht von der Seite und unterbrach auch seinen forschen Gangnicht. Wenn berhaupt, dann lief er kurz rckwrts weiter, drehtesich dann aber wieder um und fhrte mich durch die groe Eingangs-halle hindurch.So, also, fing er dann an und machte eine ausladende Geste, wie duunschwer erkennen kannst, ist das hier der Eingangsbereich. Zu un-serer linken geht es zu den Personalrumen, das war da, wo wirgerade hergekommen waren und da, die Treppe hoch, er deutete

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    auf eine riesige Treppe, die ich vorhin nicht gesehen hatte, da sienicht in den Raum hineinreichte, sondern mit der Wand abschloss,da geht es zur Bibliothek. War ja klar, jede gute Schule braucht eine

    Bibliothek. Und das war auch schon alles in diesem Gebude. Wiejetzt? Ich dachte wir wolltenDoch er hob kurz den Finger, als ichAnstalten machte, etwas zu sagen. Und ich verstummte. Aber AlleEinrichtungen sind durch teils oberirdische, teils ebenerdige, teilsunterirdische Gnge miteinander verbunden. Fr Regenwetter, weitdu.Aha, machte ich und wusste nicht, was ich sonst sagen sollte.Er hielt dann auf eine Nische neben der anderen Eingangstr amanderen Ende der Halle zu und somit gelangten wir in die Verbin-

    dungsgnge. Dieser hier, stellte ich schnell fest, brachte uns zu denSchlafrumen denen der Mdchen. Die Unterknfte der Jungenwaren auf der anderen Seite und durch einen anderen Gang zu errei-chen. Eigentlich, so erklrte er mir weiter, wird man immer zu zweituntergebracht, aber im Moment waren alle Zimmer ausgelastet undsomit war wrde ich ein Zimmer fr mich allein haben. Der Gangstieg ein bisschen an und mndete in einer Art Sitzflche. Auf jedenFall standen Sessel und Sofas und kleine Tische in einem doch ir-gendwie gemtlichen Wirrwarr da herum.Hey, Mdels, begrte er die paar Mdchen, die auf den Mbelnherumlungerten. Auch die schienen ihn zu kennen und wieder wur-den Worte ausgetauscht und dieses Mal beugte man mich. Und zwarso, dass mir anfing davon unwohl zu werden. Unser heutiger Neuzu-gang: Lara, stellte er mich vor und schob mich vor sich, so dass dieBlicke der allesamt lteren Mdchen auf mir lasteten. Sie nicktenzwar und hieen mich willkommen, doch so wirklich kaufte ich ihnenihre Freundlichkeit nicht ab. Seid nett zu ihr, meinte er noch, bevorwir dann endlich weiterzogen, sie ist erst 15.Wieso ist das jetzt so ein Ding? Dass ich erst `15 bin?

    Darf ich Sie mal was fragen? hakte ich nach, als er mich in Richtungder Treppe steuerte, die aus dem scheinbaren Sofa und Sessel-Chaoszu einem Stockwerk darber fhrte.Sicher, und du kannst mich gern duzen, das machen fast alle hier.Fast alle?, dachte ich, die ganzen Mdels da eben, haben Sie aber`Mister Gossamer genannt.Okay, murmelte ich, danke.Also?

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    Also, hm Ja, also Ich konnte mir nicht wirklich erklren, war-um es mir so schwer fiel, nachzufragen. Wahrscheinlich, weil es nochnicht einmal der Wahrheit entsprach. Wieso ist das so so also

    komisch, mir fiel kein besseres Wort ein, dass ich erst 15 bin?Er lachte kurz auf und erklomm die ersten paar Stufen, so dass er sichim Weitergehen ber die Schulter zu mir umwandte.Na, weil man hier doch eigentlich erst ab seinem vollendeten 16tenLebensjahr aufgenommen wird. Ja, hast du das denn nicht in deinenUnterlagen gelesen? meinte er spielerisch anklagend.Okay, deswegen also 15, schlussfolgerte ich, weil ich mit 12 hier aufkeinen Fall reingekommen wre. Aber was ist das fr eine Oh,durchzuckte es mich, als ich verstand.

    Sind die Sind die alle so wie ich? hakte ich nach.Vampire, meinst du? gab er von sich und nickte. Mh-mh. Kinderder Nacht. Untote, wie auch immer du uns nennen willst.Dann dann sind Sie bist du auch einer?Na, was denkst du denn? grinste er und ich wusste erst nicht, wiegenau er das jetzt meinte.Also, ich meine, es htte ja auch sein knnen: Was denkst du denn?Gott bewahre, nein! Aber er lie fr den Bruchteil einer Sekunde sei-ne Maske ber sein Gesicht flimmern und ich konnte nicht anders, alsinne zu halten.Habe ich dich verschreckt? lachte er und fasste mich an der Schul-ter. Sorry, war nicht meine Absicht. Na, das muss aber alles nochreichlich neu sein fr dich.Na, wenn du mal wsstestAber ich gabnichts von mir. Na komm, Kken, meinte er grinsend und setztesich wieder in Bewegung.Ich folgte ihm und wir landeten im ersten Stock, der, genauso wie dieRume unten und in dem anderen Gebude, mit Stuck verziert waren.Und das reichlich! berall waren diese Verzierungen. Nicht nur ander Decke, sondern auch an den Tren und an den Wnden und

    einfach echt berall! Die Fenster glichen, genauso wie drben, Kir-chenfenstern, nur, dass das Glas nicht farbig, sondern lediglich weiwar. Muster und Abbildungen konnte man aber trotz alledem darinerkennen. Meistenteils waren es Blumen und Ranken, aber auch ir-gendwelche geometrischen Figuren.Chris war links in einen breiten Korridor abgebogen, whrend ich amFenster gestanden und es bewundert hatte. Ich meine, das Ding war

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    hher als ich gro war und breiter, als ich meine Arme spannen konn-te.Hey, Kken? Kommst du? Ich riss mich vom Anblick des Fensters

    los und schloss zu ihm auf. Er warf mir noch eines dieser fr ihn typi-schen Lcheln zu und wandte sich dann wieder um und ging weiter.Er kam vor der letzten Tr zu unserer rechten Seite zum Stehen undzauberte einen Schlssel aus seiner Hosentasche hervor. Madame,scherzte er und deutete eine Verbeugung an. Ich nahm ihm denSchlssel ab und war gerade dabei, ihn ins Schlsselloch zu stecken,als er sich wieder zu Wort meldete. Nicht, dass du es ntig httest.Was? hakte ich nach und hielt in der Bewegung inne, weil ich ihmnicht folgen konnte.

    Na, Dekonstruktion und so.Ach so, murmelte ich und wandte mich von ihm ab. Irgendwie wares mir peinlich, darber zu sprechen. Doch dann hielt ich kurz inne.Wo, zum Teufel, hat er all diese Informationen ber mich her? Ichmeine, ich habe meine Unterlagen doch eben erst bei der Rektorinabgegeben und da stand berhaupt nicht darber drin, dass ichSie-Du bist wie er!, stellte ich fest und er sah nur fragend zu mirhinab. Wie Caldin. Deswegen die Handschuhe.Er schien beeindruckt, dass ich seine Fhigkeit ohne fremde Hilfeherausgefunden hatte. Und ich konnte nicht anders, als ein schmu-ckes Grinsen auszusetzen. Doch dann ratterte mir pltzlich etwasanderes durch den Kopf: Was hat er alles gesehen, als ich ihm zurBegrung die Hand gegeben hatte?Was also was genau hast du alles? hrte ich mich fragen undin meiner Stimme klang ganz eindeutig Furcht drin mit.Deine Geheimnisse sind bei mir sicher, versprach er mir und mehr-te sich trotzdem nicht darber aus, was genau er jetzt eigentlich allesber mich wusste.Hatte er gesehen, dass ich erst 12 war? Dass ich vor Askatil auf der

    Flucht war? Dass ich gar nicht die war, fr die ich mich ausgab? Odernur, dass ich der De-/Rekonstruktion fhig war? Und der Hrigkeit?Und der Plasententia? `Geheimnis~se, rief ich mir ins Gedchtnis,er hat gesagt: Geheimnis~se. Also muss er mehr als nur eines davongesehen haben. Und dass ich Katze hrig machen kann, hat er vor-hin ja auch schon so mitbekommen. Man, verdammt, ich muss damitecht vorsichtiger sein!

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    Kein Grund zu Panik, Kken, riss er mich aus meinen Gedankenund strich mir beruhigend ber den Arm. Dass du ungefragt in Hu-ser eindringen kannst, interessiert hier niemanden, weil diese Ein-

    richtung hier eh fr uns geschaffen wurde und dass du Tiere deinemWillen unterwerfen kannst, ist auch nicht weiter schlimm.Tiere? Nein, nein, nicht nur Tiere, mein Guter. Aber mein Gesichtspiegelte die Erleichterung, die ich fhlte, nichtsdestotrotz wiederund er schien mir das abzunehmen. Also, dass ich wegen dem erleich-tert war, was er gerade gesagt hatte und nicht, weil seine Fhigkeitenwohl doch nicht in dem Mae ausgeprgt waren, wie es bei Caldin derFall war. Der htte nmlich garantiert alles anhand eines einzelnenHndedrucks ablesen knnen

    Also, ich kann das noch nicht, schlug ich die Brcke zu unseremeigentlichen Thema zurck und streckte den Schlssel ins Schlssel-loch. Er meinte nur, dass ich das vielleichtkann.Na, wie denn auch? So weit ich wei, bist du erst gestern transfor-miert worden. So weit ich wei?, durchzuckte es mich. Das klingtfast so, als wrde er doch was ahnen!Aber er ging dann nicht weiterauf diese Sache ein, sondern schenkte mir eines seiner Lcheln undmir wurde wieder wohler. Du hast mich vorhin schon vom Hockergehauen, als du diese Aktion mit deiner Katze gebracht hast.Echt? hakte ich nach und konnte nicht umhin, dass ich vor Scharmein wenig rot wurde.Ja, ich meine, hallo, du bist erst einen Tag alt und vollbringst schon`so was? Hut ab! Echt, Hut ab!Danke, murmelte ich und war froh, dass ich mich dem Schlsselwidmen und mir dabei meine Haare ins Gesicht fallen lassen konnte,so dass er nicht sah, wie ich noch roter wurde. Oh man, wenn duwsstest! Doch dann war die Tr auch schon offen und gab den Blickauf das Zimmer dahin frei.Und? Gefllt es dir? erkundigte er sich, nachdem wir eingetreten

    waren.Gefallen? Bitte, ich `liebe es! schwrmte ich.Es war grer als ich es erwartete hatte, hatte eine ausladende Sitzni-sche im Fenster, das aussah, als wrde es zu einem kleinen Turmgehren und war wei gehalten, mit hellen Holzmbeln darin. ZweiHimmelbetten standen darin, die, obwohl sie selbst auch gro waren,nicht zu viel Platz einnahmen.

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    Ich habe mir mal die Freiheit genommen, fr dein Tierchen vorzu-sorgen, meinte er und deutete auf eine Katzentoilette und Fress- undWassernapf in der rechten Ecke des Zimmers.

    Cool, danke.Immer wieder gern.Woher wusstest du, dass ichIch habe da so meine Wege, meinte er geheimnisvoll Ich meine,Hndedruck hin oder her, aber wie, bitte schn, hat er das mit demKatzenzeugs so schnell in die Wege leiten knnen? und schicktesich an zu gehen.Hey, wo willst du hin? hakte ich schnell nach. Ich dachte, du fhrstmich rum?

    Ach so, meinte er ein wenig perplex und hielt in der Bewegung inne,ich dachte, du mchtest dich vielleicht erst einmal einrichten. Unddann geht die Besichtigungstour spter weiter.Oh, nuschelte ich. Okay.Also, wir knnen auch jetztNein, ist super so, unterbrach ich ihn und warf ihm ein Lcheln zu.Gut, meinte er und fischte den Handschuh wieder aus seiner Ja-ckentasche, dann komme ich in so etwa einer Stunde zurck.Okay.Er schenkte mir noch eines seiner Grinsen, schlpfte dann wieder inseine Jacke und seine Handschuh und lie mich allein. Katze hatte essich bereits auf dem rechten der beiden Himmelbetten bequem ge-macht und ich setzte mich zu ihr, nachdem ich all meinen Kram acht-los auf den Boden vor das Bett geworfen hatte. Es war ruhig abge-sehen von den paar kreischenden und lachenden Jugendlichen vormeinem Fenster, deren Gegrle aber dann auch schnell wieder ver-schwand, als sie so nehme ich jedenfalls an zu ihren nchstenUnterrichtsstunden in den Klassenrumen verschwanden. So, wie essich anhrte, tobte da drauen gerade eine Schneeballschlacht. Doch

    die Fenster waren gut isoliert und so drangen die Gerusche nur ge-dmpft an meine Ohren. Katze stupste mir erneut gegen die Handund forderte mich zum Streicheln auf und irgendwie, whrend ich soallein da sa, kam einfach alles hoch und ich konnte die Trnen nichtzurckhalten. Ich fhlte mich verlassen, in Stich gelassen. Ja, gerade-zu ausgesetzt. Und ich konnte, auf Teufel komm raus, nicht nachvoll-ziehen, weshalb Dry und Bran mich hier her abgeschoben hatten. Ichhatte Mist gebaut, das konnte ich ja nachvollziehen, aber das lsst

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    sich doch alles wieder einrenken. Irgendwie. Bis jetzt haben wir dochauch immer irgendwie eine Lsung gefunden. Und ich hasste es, dassich fr etwas bestraft wurde, zu dem ich genau genommen noch nicht

    einmal etwas konnte. Ich meine, es war ja wohl nicht meine Schuld,dass das alles passiert war!Aber es war nun mal passiert und daran konnte ich nichts mehr n-dern. Alles, was ich jetzt noch machen konnte, war das, was man vonmir erwartete: Untertauchen, so dass Askatil mich nicht finden konn-te. Aber htten wir das nicht gemeinsam gekonnt? Also, ich meine,Dry und Bran und ich gemeinsam? Wir htten ja irgendwohin aus-wandern knnen. Oder einfach irgendwo anders hinziehen knnen.Fr eine Weile. Oder Dry htte auch einfach hier bleiben knnen. Mit

    mir. Er htte sicherlich auch hier irgendwo Arbeit gefunden. Ich mei-ne, bei den Zeugnissen, die er hat. Immerhin gab es bis jetzt nochkeinen einzigen Fall, den er verloren hatte. Er war ein Star-Anwalt!Da htte er es doch sicher leicht gehabt, hier in der Gegend was zufinden! Und wenn nicht er, dann Bran. Hier gab es doch bestimmtauch irgendwo eine Universitt in der Nhe, an die er htte gehenknnen.Und warum eigentlich hier? Also, ich meine diese Schule hier? EineVampir-Schule. Ich dachte, es gbe keine Kinder-Vampire! Naja,wenn man bedenkt, dass die alle eben schon 16 sind oder noch lter,dann kann man sie ja fast schon nicht mehr als `Kind bezeichnen.`Junger Erwachsener eben. Wahrscheinlich machte das den Unter-schied. Diese paar Jahre. Diese vier, verdammten, lcherlichen Jahre.Ich meine, danach wird dann irgendwann sowieso kein Hahn mehrkrhen, wenn ich erst mal die ersten hundert Jahre hinter mich ge-bracht hab!Ja,meldete sich mein Verstand zu Wort, nur, dass du fralle Ewigkeit das kleine 12-jhrige Mdchen bleiben wirst! Und wie-der rauschte die nchste Trnenwelle ber mich hinweg und begrubmich unter sich. Katze nahm Reiaus. Wahrscheinlich waren es zu

    viele Trnen. Wie vor gefhlten Ewigkeiten in Istrien hatte sie an-fangs noch versucht, mir die Trnen vom Gesicht zu lecken, aber nunsah sie sich wohl einem unmglichen Unterfangen gegenber und gabvon Vornherein auf. Ich legte mich auf die Seite und rollte mich zu-sammen. Womit habe ich das denn bitte schn alles verdient? Waskann ich denn dazu? Und je mehr ich heulte, desto aussichtsloser undbedauernswerter schien meine Lage. Und je trber meine Lageschien, desto mehr heulte ich.

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    Kken?Ein Klopfen an der Tr lie mich zusammenzucken und ich schrecktehoch. Was, zum Teufel, macht der denn schon wieder hier? Ich rieb

    mir die Trnen vom Gesicht und meinte mit reichlich belegter Stim-me: Ja?Kann ich reinkommen?h ja Moment!Ich erhob mich schnell und versuchte vergeblich mich prsentabel zumachen. Doch ich hatte Bedenken ihn so lange da drauen stehen zulassen. Was, wenn er es sich anders berlegte und wegging? Ich mei-ne, er war das erste menschliche Wesen Also, Wesen. Nicht men-schlich. Aber naja, egal das mir gut gesonnen war. Und das seit

    fast 24 Stunden!Alles okay bei dir? hakte er freundlich nach und wirkte besorgt, alsich ihm endlich die Tr ffnete.Ja, alles super, log ich und versuchte ein Lcheln, das mir misslang.Ich hatte nur noch gar nicht mit dir gerechnet.Mh, machte er nur und trat in mein Zimmer ein. Du kannst mirschon sagen, wenn was nicht stimmt, weit du.Da war es wieder, das Grinsen. Wenn auch in einer sehr, sehr schwa-chen Form. Doch ich machte trotzdem den Mund nicht auf. Warum,kann ich gar nicht genau sagen. Wahrscheinlich, weil ich noch nichteinmal wusste, wo ich berhaupt anfangen sollte. Dass ich erst 12war? Dass ich vor den anderen Jugendlichen da drauen Schiss hat-te? Dass ich nach Hause wollte? Und doch auch wieder nicht, weil ichim Moment einfach weder Dry, noch Bran sehen wollte? Und dochauch wieder nicht, weil sie nun mal meine Familie waren und sonstauch immer alles wieder gerade gerckt hatten? Und doch auch wie-der nicht, weil Dry mich hier einfach so abgeliefert hatte? Wie so einlebloses Paket, dem er sich endlich entledigt hatte.Und wohin jetzt? fragte ich stattdessen und hoffte instndig, dass er

    nicht doch nachhaken wrde, weil ich dann garantiert sofort wiederanfangen wrde zu heulen.Wo mchtest du denn anfangen?Wei nicht.Irgendwo, wo keine anderen Leute sind?Lieber drinnen oder lieber drauen?Eben da, wo wir den wenigsten begegnen.Mh, machte ich nur und zuckte mit den Schultern.

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    Na, wir sind ein wenig unentschlossen heute, mh? scherzte er undschlug mir im Vorbeigehen schalkhaft auf die Schulter. Na komm,Kken. Ich folgte ihm dann auch und schloss die Tr hinter uns. Er

    leitete mich die Treppe hinab und aus dem Wohnheim hinaus insFreie, so dass ich mir die Jacke, die er mitgenommen hatte, berzog.Wir mssen heute unbedingt noch zur Schneiderin, stellte er festund ich wusste erst nicht, was er meinte.Doch als wir dann eine Meute Schlerinnen sahen, die mehr oderweniger erfolglos versuchten die Tatsache, dass sie Schneeblle inihren Hnden hielten vor uns also, `ihm versteckt zu halten, dafiel mir wieder einmal die Bekleidung der jungen Erwachsenen auf:alles Uniformen, selbst die Mntel. Und irgendwie wurde ich die Be-

    frchtung nicht los, dass die in meiner Gre garantiert nichts aufLager hatten und ich fr die nchsten paar Tage erst einmal wie einbunter Hund durch die Gegend laufen wrde.Na klasse,dachte ichmissmutig, und noch ein Grund mehr, um das alles hier zu hassen.Da bin ich schon unter Meinesgleichen und kann noch nicht mal inder Masse untergehen, weil ich a) so viel jnger bin als alle anderenund b) noch nicht mal so angezogen sein kann wie die!Also, fing Chris langgedehnt an, als wir die Gruppe der kicherndenMdchen hinter uns gelassen hatten, da vorn, zu unserer linken Seiteliegt der Stall.Na super, ich kann nicht reitenUnd die Halle dorthinten, das sind die Sportpltze. Im Sommer findet das alles drauenstatt, aber jetztEr lie das so hngen.Was fr Sport gibt es denn hier? hakte ich nach und hoffte instn-dig, dass es irgendwas war, das ich konnte und bei dem ich nicht wie-der wie ein vollkommender Verlierer und Idiot da stand.Tennis, Na klasse Volleyball, Basketball, Na toll, das wird jaimmer besser!Ausdauertraining. So was in der Art.Und Stockkampf? hatte ich ber die Lippen gebracht, bevor ich es

    verhindern konnte.Stockkampf?Das schien ihn zu berrumpeln.Ja, das-das habe ich Also, das ist so ziemlich das einzige, was ichgut kann.Und da bertreibe ich noch nicht mal! Ich meine, wenn ich Askatil dadrin schlagen kann, dann muss das heien, dass ich das echt gutkann! Die Falten auf seiner Stirn legten sich, als er die berraschung

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    berwunden hatte. Und das Ganze schien ihm echt zu gefallen aufeine mysterisen Art und Weise.Wie bist du denn zum Stockkampf gekommen? hakte er nach. Das

    ist doch ziemlich wie soll ich sagen?... speziell.Das war nicht meine Idee, gab ich zu. Ein ein Und wie, zumTeufel, soll ich ihn jetzt nennen? ein Lehrer von mir hat mir das bei-gebracht.Ein Lehrer von dir? hakte er erstaunt nach.So was hnliches, ja.Mh-mh, machte ich nur.Ich meine, so im ganz weiten Sinne knnte man ihn ja so bezeichnen.Und wie lange machst du das schon? wollte er wissen, whrend wir

    ber die schneebedeckte Landschaft hinweg wanderten, der Sporthal-le entgegen.Seit nicht ganz zweieinhalb Tagen.Wei nicht. Schon eine ganze Weile.Bist du gut?Auch, wenn Eigenlob stinkt, aber: Ja, das kann man wohl so sagen.Ich hab es ein Mal geschafft, meinen Lehrer zu besiegen.Ich bin schon etwas eingerostet, aber wrdest du?Wrde ich was?Oh, entwich es mir, als ich verstand, was er wollte. Ja hmh,ja, okay klar-warum-nicht?Schn, freute er sich, als wir durch die eine Tr der Halle kamen,die in genau demselben Stil gebaut war, wie das Hauptgebude undzu frherer Zeit garantiert einmal fr etwas anderes gebraucht wurde.Ein Versammlungssaal, oder so was. Das Ding war riesig und dieenorme Eingangshalle vom Hauptgebude htte darin bestimmt fnfMal Platz gehabt. Eine Gruppe junger Leute spielte am anderen EndeBasketball angeleitet von einer jungen Frau. Also, sie war lter alsdie Jugendlichen, doch immer noch jung. Irgendwie. Vielleicht so um

    die Fnfundzwanzig. Also, in Menschenjahren, meine ich.Mit was habt ihr trainiert? fragte er, whrend er sich seiner Jackeund seinen Handschuhen entledigte und ich blickte zu ihm zurck.Bo.Seine eine Augenbraue flog anerkennend in die Hhe und er lie einleises Pfeifen ertnen. Ich versuchte ein Lcheln und zog meine Jackeebenfalls aus und entledigte mich meines Schals und meiner Mtze.Chris war unterdessen in einen kleinen Nebenraum gegangen und ich

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    hrte ihn dort whlen. Doch bevor ich mich in Bewegung setzenkonnte, sprte ich die ersten Blicke der Jugendlichen vom anderenEnde der Halle auf mir und schaute hoch. Ihre Blicke waren nicht

    wirklich feindselig, doch sonderlich freundlich sahen sie auch nichtaus. Neugierig, ja, aber nicht sonderlich offen und einladend. Esschien fast so, als wrden sie versuchen, mich einzuschtzen. So, alswogen sie ab, ob ich eine Bedrohung fr sie darstellte und ich fragtemich, was ich Ich meine, `ich! Ich kleiner 12-jhriger Kinder-Vampir! schon an Gefahr fr sie bieten konnte. Ich setzte ein L-cheln auf und winkte ihnen zu, aber sie taten es mir nicht gleich, son-dern starrten mich einfach nur weiter so bescheuert an und fingendann auch noch an, sich irgendetwas zuzuflstern. Naja, ob es jetzt

    wirklich geflstert war, wei ich nicht, auf diese Distanz konnte ichdas nicht sonderlich gut einschtzen, aber sie steckten auf jeden Fallihre Kpfe zusammen und besprachen irgendwas, whrend sie dieganze Zeit ihre Augen nicht von mir lassen konnten. Und erst eineErmahnung seitens der Mentorin machte, dass sie aufhrten und sichwieder dem Ballspiel zuwandten.Hey, kam Chris Stimme von irgendwo neben mir und ich konntegerade noch zufassen, als er mir einen Langstab zuwarf. So einen, wieich ihn bei Askatil schon in den Hnden gehalten hatte. SchnelleReflexe, lobte er und ich konnte nicht anders, als schon wieder rotanzulaufen.Ich wandte mich schnell ab und schleuderte den unbekannten Staberst einmal ein paar Mal durch die Luft, um ein Gefhl fr ihn zubekommen. Er sah zwar aus wie der, mit dem ich in Istrien trainierthatte, aber anfhlen, tat er sich irgendwie anders. Ich htte nichtgenau sagen knnen, was es war, vielleicht war er einfach nur nicht sogut ausbalanciert wie Askatils Bo/Bos/Boe keinen Plan, was dieMehrzahl von dem Teil ist. Doch richtig schlecht schien er nicht zusein und ich bekam schnell ein Gefhl fr ihn. Aus dem Augenwinkel

    nahm ich wahr, wie Chris es mir gleich tat. Also, nicht komplett. Ervollfhrte zwar auch einige Wirbel und Drehungen, doch seine Augenlasteten fast die gesamte Zeit auf mir und er war nur halbherzig beider Sache. Und dennoch erwischte ich ihn komplett unvorbereitet, alsich zu ihm herum schwang und den ersten Angriff ausfhrte. Er rea-gierte instinktiv und blockte den Schlag ab doch sein Gesichtsaus-druck, der war Gold wert!Nicht schlecht, musste er zugeben, nicht schlecht.

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    Er wich einen Schritt zurck und ich tat es ihm gleich, so dass wir unsin eine Ausgangsposition bringen konnten. Auf ein Kopfnicken hin,begannen wir dann mit einem fairen Kampf. Also, `fair in dem Sin-

    ne, als dass er wusste, dass ich gleich anfangen wrde. Doch ich lieihn in dem Glauben und schaute erst einmal, was er so auf Lager hat-te. Ich parierte ein paar seiner Hiebe, wich anderen aus und teilte ersteinmal nur gelegentlich selber aus. Ich stellte schnell fest, dass er eineganz andere Taktik als Askatil hatte. Bei Askatil hatte das ganze ei-nem Tanz geglichen. Brutal und teils viel zu schnell fr das menschli-che Auge, ja, aber tnzerisch und irgendwie rhythmisch und elegantnichtsdestotrotz. Chris kmpfte eher zackig, unrhythmisch und esdauerte einige Momente, bis ich irgendeine Struktur in seiner Vorge-

    hensweise erkannte. Doch als ich dann schlielich dahinter kam, dassgenau das sein Ding war, war es ein Leichtes fr mich, gegen ihn an-zugehen. Ich testete erst einmal aus, wie zgig er meine Hiebe parie-ren konnte. Dann experimentierte ich mit seiner Wendigkeit. Dannnoch mit seiner Genauigkeit. Und schlielich auch noch mit seinenInstinkten. Und hier, stellte ich schnell fest, war der Punkt, an dem esbei ihm hakte. Er war zwar schnell, wenn nicht sogar teils schnellerund vor allem strker als ich, doch sein Instinkt, den ich vorhin nochbewundert hatte, als ich den ersten Hieb auf ihn hatte kommen las-sen, hinkte meinem hinterher. Und das bei Weitem! Wenn ich einenSchlag andeutete und dann doch blitzschnell die Richtung vernderteund ihn von einer anderen Seite aus attackierte, dann konnte ich si-chergehen, dass ich ihn traf. Jedes Mal! Und nachdem ich das dannherausgefunden hatte und er sich, auf Teufel komm raus, nicht dage-gen wehren konnte, weil er, trotz seines enormen Tempos, einfachnichts dagegen machen konnte, war es ein Leichtes fr mich nach-dem ich noch ein paar Augenblicke mit ihm gespielt hatte ihn zuentwaffnen. Der Bo fiel scheppernd zu Boden und in das klirrendeGerusch mischte sich pltzlich auch noch ein anderes ein. Das von

    Applaus. Ich schaute auf und war berrascht, als ich feststellte, dassdas Basketballspiel ein jhes Ende gefunden hatte, da die gesamteMannschaft unserem Kampf zugesehen hatte. Die Mehrheit derGruppe inklusive Mentorin applaudierte uns und nur eine Hand-voll Schler starrte mich an, als wollten sie mich mit Blicken tten.Wow, stie Chris schweratmend hervor und ich riss meinen Blickvon den feindseligen Gesichtern weg. Das htte ich nicht erwartet.Hut ab, Kken, echt, Hut ab.

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    Er vollfhrte eine Verbeugung und ich musste lachen.Und Sie mssen Miss Askin sein.Die feste Stimme der Sportlehrerin drang zu uns herber, als sie sich

    aus der Gruppe herausschlte und zu uns herber kam.Lara, Miss Atherton, machte Chris uns bekannt, eine unsererSport-Mentorinnen hier.Sie reichte mir die Hand und ich wusste nicht, was ich, auer einemschchternen Hallo, sonst noch so zu ihr sagen sollte.Wie es scheint, haben Sie von einem Meister gelernt, meinte sie undihr Handgriff war so heftig, dass ich befrchtete, sie wollte mir dieKnochen brechen Was, genau genommen, ja eigentlich gar nichtweiter schlimm gewesen wre. Von wegen einfach wieder zusammen

    wachsen und so Wer war Ihr Mentor? Ich fand es immer nochirgendwie befremdlich, dass die mich alle Siezten. Mein Gott, ich warerst 12! Miss Askin? hakte sie nach und holte mich aus meinen ei-genen Gedanken wieder hervor.Ich Also Er hat seinen Namen nie erwhnt, log ich und hoffteinstndig, dass sie es mir abkaufte.Zu schade, meinte sie dann aber und warf mir noch ein Lcheln zu,ich htte mich zu gern einmal mit ihm getroffen.Dann kmpfen Sie auch?Super, noch ein Gegner! Vielleicht einer, der ein bisschen lngerStand hlt als Chris! Ich meine, das wre doch total cool, wenn ichdas weiter trainieren knnte. Weil irgendwann, irgendwann wirdAskatil mich garantiert hier finden und wenn ich ihm dann wenigs-tens etwas entgegen setzen kann, dann wre dasBedaure, gab sie kopfschttelnd von sich, aber vielleicht knnenSie es mir ja beibringen.I-Ich? stammelte ich.Wie soll ich denn bitte schn einer Lehrerin was beibringen? Ich binerst 12!

    Ja, wieso denn nicht? Talente wie Ihres sollten nicht vergeudet wer-den. Vielleicht knnten Sie ein eigenes Team grnden und andereSchlerinnen und Schler unterrichten?Sie schien echt angetan zu sein von mir, beziehungsweise meinem`Talent und ihrer Idee. Anders als die Gruppe vor allem die M-dels die mich schon die gesamte Zeit ber so hasserfllt angestarrthatte. Und diese Feindseligkeit wurde noch grer, als Chris, der

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    mittlerweile seinen Bo wieder aufgehoben hatte, seinen Arm um michlegte und mich einmal feste drckte.Na, das wre doch mal was, meinte er grinsend, unser Kken un-

    terweist seine Mitschler in einer Kampfart, die eigentlich lngst alsausgestorben galt, weil niemand sie mehr praktiziertAbgesehen von `ihm, gab ein junger blonder Mann zu bedenken,der rote Flecken in seinem hellen Gesicht hatte und ich wusste nichtrecht, ob es kam, weil ihm so warm war, oder aber, weil er so unterStress stand, weil er gerade den Mund aufmachte.Ihm? hakte ich nach.Oh man, murmelte Chris und drckte mich abermals, bevor er michloslie, du hast echt noch eine Menge zu lernen.

    Ja, ich nehme an, deswegen bin ich hier. Also, auch Meine ich.Lord Askatil, klrte mich eines der Mdchen dann auf, das michnicht so bescheuert angestarrt hatte und ich versteinerte geradezu inChris Arm.Kken? erkundigte er sich besorgt und beugte sich zu mir runter.I-ich ich habe Also, von `ihm habe ich schon mal was gehrt,wisperte ich.

    Nachdem wir dann die Sporthalle verlassen hatten, fhrte Chris michnoch zu den Stllen und den verschiedenen Schulgebuden. Es gabderer drei an der Zahl. Erst einmal war da natrlich das Personal-Gebude, das, in dem Dry mich abgeliefert hatte, dann eines fr dieLiteratur das war das, was am Nchsten an der Bibliothek gelegenwar und dann noch eines fr alles Mathematisch-Naturwissenschaftliche. Und ich fragte mich, wie, um alles in derWelt, all diese riesigen Gebude gefllt werden sollten. Ich meine, soviele Vampire gibt es doch gar nicht! Doch als Chris mich durch einen

    der zwielichtigen Gnge des Literatur-Komplexes leitete, hrte ichaus jedem Raum, den wir passierten, leises und teils auch lauteres Gemurmel. Er bog um eine Ecke und ich folgte ihm. Unsere Schrittehallten irgendwie ziemlich laut in den leeren Gngen wider.Du, Chris?Mh? machte er und passte seine Stimme meiner gedmpften an.Wohin genau gehen wir denn jetzt gerade?Zu Mrs Brooks. Das ist deine Englischmentorin.

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    Ah machte ich und war immer noch nicht wirklich schlauer.Doch dann verlangsamte er sein Tempo und kam vor einer Tr zuunserer linken Seite zum Stehen. Er klopfte zwar an, wartete aber

    nicht auf eine Antwort, sondern ffnete sie sofort und lie mich hin-durchtreten.Ah, Miss Askin, strahlte mich eine Frau mittleren Alters mit langen,glatten braunen Haaren an und kam um einen Schreibtisch herumauf mich zu.Mrs Brooks.Es klang wie eine Frage, doch sie reichte mir trotzdem immer nochfreundlich lchelnd die Hand.Danke, es wird nicht lange dauern, wandte sie sich dann an meinen

    Begleiter und Chris nickte nur einmal und machte dann die Tr wie-der hinter sich zu.Ich sah ihm noch hinterher, doch ehe ich etwas sagen oder aber tunkonnte, hatte Mrs Brooks sich auch schon wieder zu Wort gemeldet.Und? Wie gefllt es Ihnen hier?Man, ich werde nie darber hinweg kommen, dass die mich hier alleSiezten!h gut Also, ich meine I-Ich habe noch nicht so richtig vielgesehen und ich habe auch noch keinen kennengelernt. Also so rich-tig. Meine ich.Dann eilt Ihnen Ihr Ruf wohl voraus.Mein Ruf?Was Sie dort in der Sporthalle vollbracht haben, das...Ach so, ja, das, unterbrach ich sie und drohte schon wieder rot an-zulaufen.Und das bei Ihrer Gre, meinte sie und es hrte sich so an, alswrde sie damit andeuten wollen, dass ich doch etwas klein geratenwar.Was ja auch stimmt, wenn man annimmt, dass ich angeblich 15 sein

    soll.Miss Askin, gab sie dann von sich und der Unterhaltungston in ih-rer Stimme war verschwunden, ich wrde mir gern ein Bild davonmachen, wo genau Sie literarisch und akademisch stehen. Sie langtehinter sich und nahm einen kleinen Stapel Bltter zur Hand. Wennich richtig unterrichtet worden bin, dann werden Sie heute noch nichtam Unterricht teilnehmen, ist das richtig? Keinen Plan. Ich zuckte

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    mit den Schultern. Gut, dann bitte ich Sie mir diese Bltter ausgeflltzurckzugeben. Bis heute Abend.Na klasse

    Okay, murmelte ich nur und nahm ihr die Bltter ab. Und hwo?Sie knnen sie mir heute Abend in der Speisehalle zurckgeben oderaber sie hier in meinem Postfach hinterlegen.Sie deutete auf eine Art Schublade, die in der Wand eingelassen warund in die man eben so Zeugs reintun konnte also, von Drauenauf dem Flur, meine ich.Ist gut, gab ich nur von mir und wandte mich zum Gehen um, als siemich zurckrief.

    Es wird Ihnen hier gefallen, da bin ich mir ganz sicher.Sie strahlte mich wieder so an wie am Anfang und ich hoffte instn-dig, dass das der Fall werden wrde, doch was genau ich nun von alldiesen komischen Schlern, beziehungsweise ihrem komischen Ver-halten, halten sollte, das wusste ich nicht. Chris hatte sich auf einemStuhl gegenber der Tr niedergelassen `hingefletzt traf es wohlschon eher und erhob sich, als ich wieder aus dem Zimmer kam.Oh, entwich es ihm, na, das ging ja schnell.Und was jetzt? meinte ich nur.Jetzt ist gleich Mittagszeit.Ja Und?,dachte ich und trottete hinter ihm her, als er sich wiederin Bewegung setzte. Er hielt auf ein viertes Gebude zu, das ich bisjetzt noch nicht gesehen hatte und schon von Weitem roch ich Essen-dfte.Ist das der Speisesaal?Mh-mh, bejahte er meine Frage.Wozu braucht man eine Kantine? Ich meine, wir sind doch hier allesVampire Es standen schon eine Menge Leute vor dem Eingang undals wir auf das Gebude zuhielten und man erkannte, wer da kam,

    fingen einerseits diese bescheuerten Blicke und Tuscheleien wiederan das mit meinem Sieg ber Chris hatte sich wohl echt schon he-rumgesprochen andererseits reagierten einige der Mdchen aberwieder so komisch auf Chris und was vorher wie Erstaunen ber mei-ne Stockkampf-Talente ausgesehen hatte, wurde zu irgendetwas an-derem, negativen, sobald ihr Blick auf Chris fiel. Doch als er genaudiese Mdchen dann begrte, dann strahlten sie pltzlich bis berbeide Ohren und von diesem negativen was-auch-immer-es-gewesen-

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    war war nichts mehr zu sehen. Manchmal reichte auch nur eines sei-ner Grinsen dafr aus. Und wenn ihr Blick dann wieder auf mich fiel,dann war er wieder da, dieser Ausdruck des was-auch-immer-es-

    gewesen-war.Mach dir nichts draus, wisperte Chris, whrend er mir die Hand aufden Rcken legte und mich durch eine der Tren schob.Woraus soll ich mir nichts machen?Er stoppte kurz und starrte mich so komisch an, doch als ich denMund aufmachte, um ihn zu fragen, was denn los sei, warf er mireines seiner dieses Mal eher traurigen Grinsen zu und meinte:Na, komm.Er leitete mich zu einem dieser Essensausgabestnde und erklrte mir

    noch kurz, wie das alles funktionierte und verabschiedete sich dannvon mir.Was? Aber ich dachteNa, die Besichtigungstour ist beendet, erklrte er mir.Ja, schon, aber ich dachte, dass duIch habe noch was zu erledigen, sorry.Und damit lie er mich dann mit meinem vollbepackten Tablett alleindort stehen und ich hatte keinen blassen Schimmer, wohin mit mir.Pltzlich war mir das alles viel zu viel.Zu viele Leute.Zu viele Gerusche.Zu viele unterschiedliche Gerche.Eine Woge der belkeit kam ber mich und es kostete mich einigesan berwindung, nicht sofort die Flucht zu ergreifen. Aber ich dachtemir, dass, wenn ich das ganze Zeugs auf dem Tablett jetzt schon ein-mal hatte, dann knnte ich mich auch irgendwo damit niederlassen.Irgendwo, wo nicht ganz so viel Trubel war. Irgendwo, wo MeinZimmer, schoss es mir durch den Kopf. Und so hielt ich mit dem Tab-lett in den Hnden auf eine der Tren zu und wollte gerade ins Freie

    treten, als eine tiefe, etwas gebrechliche Stimme hinter mir mich zumAnhalten aufforderte.Und wo wollen wir mit dem Tablett hin, junges Frulein?Ich wandte mich um und sah mich einem weiteren Mentoren gegen-ber. Der hier war alt und klein, kleiner als alle Schler zwar immernoch grer als ich, aber immerhin und er hatte eine Glatze. Aberfrhliche Augen, in denen sich irgendwie ein wenig Schalk widerspie-gelte.

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    Ich h also, ichAber Mister Slinsky, das ist doch die Landstrae, die schon mit demStock umgehen kann.

    Der betuchte, alte Herr wandte sich an den jungen Mann, der dasgesagt hatte und ich sah, dass es der Blonde mit den roten Flecken imGesicht aus der Sporthalle war.Der Alte schnalzte mit der Zunge und meinte nur: Master Eftort, ichmuss doch sehr bitten.Doch der Blonde mit den Flecken im Gesicht grinste nur einmal frechund zog dann weiter.Er meinte das nicht so, sprach der Alte dann weiter und war einenSchritt zu mir herangetreten.

    hm, sorry, was?Er musterte mich so komisch. So, wie Chris das eben auch schon ge-tan hatte, als ich scheinbar irgendwas nicht richtig verstanden hatteund setzte dann ein Lcheln auf und leitete mich in den groen Es-sensaal zurck.Nicht der Rede wert, Kindchen, nicht der Rede wert. Und mit demTablett knnen Sie diese Einrichtung hier leider nicht verlassen.Oh, ach so, okay.Er schob mich sachte noch ein paar Meter weiter in die Menge zu-rck, verabschiedete sich dann mit einem Kopfnicken und ich standwieder mutterseelenallein dort. Dieses Mal scannte ich die Masse undfand schlielich wonach ich suchte: Ein leerer Tisch am Rande desSaales, an den ich mich zurckziehen konnte. Ich kmpfte mich durchdie Menge und lie mich schwerfllig nieder und gerade als ich michmeiner Jacke entledigt hatte, sah ich, wie zwei junge Frauen auf mei-nen Tisch zuhielten. Ich legte ein Lcheln auf und wollte sie geradewillkommen heien, als sie sich scheinbar darber bewusst wurden,wer da am Tisch sa und sie nderten ruckartig die Richtung. Auchgut. Dann eben nicht Nachdem ich dann auch noch meinen Schal

    von meinem Hals gewickelt hatte, widmete ich mich meinem Tablett.Ich hatte mir Salat genommen und Spaghetti. Ersteres war okay, dochzweiteres war schon mehr kalt als lauwarm und irgendwie war mirder Appetit eh vergangen. Oder eher gesagt: Ich hatte eigentlich vonAnfang an gar keinen gehabt. Ich nahm mir noch eine Gabel voll Salatund klaterte mich dann wieder an.HEY,LANDSTRAE! krakelte ein Schler an dem Tisch hinter mir, alsich aufstand um zu gehen.

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    ABRUMEN MUSST DU SCHON SELBER, LANDSTRAE, mischte sich einanderer Schler mit ein und deutete auf mein Tablett, das ich auf demTisch hatte stehen lassen.

    Lass sie, John, rief ein blondes Mdchen ber zwei Tische hinwegdem jungen Mann zu, der mich als letztes gesprochen hatte.Und nachdem sie ihm noch einen halb flehenden, halb mahnendenBlick zugeworfen hatte, lie er sich wieder nieder. Ich konnte immernoch nicht ganz nachvollziehen, was genau das mit der `Landstraesollte, aber eines war jetzt sicher: Es war auf jeden Fall keine Nettig-keit! Ich zog es dann vor, niemanden aus der Gruppe mehr anzuse-hen, sondern mir nur noch schnell das Tablett zu schnappen undabzuhauen.

    Auf meinem Zimmer angekommen, schleuderte ich meine Jacke,meinen Schal und meine Mtze zu den anderen Sachen auf dem Bo-den und kramte die Zettel hervor, die ich von Mrs Brooks bekommenhatte. Mir war eigentlich so berhaupt gar nicht nach Hausaufgabenzu Mute, doch andererseits dachte ich mir, dass es doch vielleicht vonVorteil wre, wenn ich einen guten ersten Eindruck hinterlassen wr-de. Also setzte ich mich an meinen Schreibtisch Katze auf meinemScho und wurde mir prompt der Tatsache bewusst, dass ich garnichts zum Schreiben hatte. Weder Stifte, noch Blatt Papier. Doch alsich dann die Schubladen des Schreibtisches aufzog, fand ich da allesfein suberlich geordnet vor. Und in einem der Schrnke fand icheinen Stapel Bcher, der ganz nach Schulbchern aussah. Ich zwangmich, nicht in den ganzen Sachen herumzublttern, sondern mich aufdie Aufgaben von Mrs Brooks zu konzentrieren. Ich hatte eigentlicherwartet, dass da so ein Grammatik-Zeugs dran kam, wie wir es imMoment in der Schule durchgenommen hatten, aber nein, nichts mitGrammatik, was schon mal ganz cool war. Stattdessen aber ein Ge-dicht, das ich analysieren sollte Wie, zum Teufel, analysiert manGedichte? und vier Bltter zum Thema `Amerikanischer Traum,

    die ich lesen und anschlieend darber einen argumentativen Aufsatzschreiben sollte. Was auch immer das ist Das Gedicht war eines vonShakespeare Nicht, dass ich das so erkannt htte. Es stand obendrauf. und ich war anfangs ganz froh, dass ich den Namen wenigs-tens kannte und damit etwas anfangen konnte. In der Schule httenwir bald mit `Viel Lrm um Nichts angefangen Aber dieses Ge-dicht war mir fremd und mehr, als dass es um jemanden ging, der

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    schn ist und den ein anderer Jemand mit dem Sommer verglich,verstand ich einfach nicht. Also schrieb ich das hin.

    Analyse vom Gedicht: In dem Gedicht von Shakespearegeht es um zwei Personen und die eine vergleicht die an-dere mit dem schnen Sommer, der manchmal auchnicht so schn ist.

    So, erste Aufgabe erledigt undNaja, irgendwie sah das ein bisschendrftig aus, fand ich. Also las ich das Gedicht noch mal.

    Und dann steht da noch, dass die Person, die so schn ist

    wie der Sommer, nicht hsslich wird, weil sie immer soschn bleiben wird. Auerdem ist nur die erste Linie eineFrage und die anderen sind alles Aussagestze. Es istnicht modern, sondern in alter Sprache geschrieben unddeswegen ein bisschen schwer zu verstehen.

    So, fand ich, sah das Ganze schon ein bisschen besser aus. Und somachte ich mich an die Bltter zum `Amerikanischen Traum, dieauch noch ein bisschen was von einer Salatschssel und einemSchmelztiegel also, einem Topf, in dem alles irgendwie zusammen-geschmolzen wird beinhalteten. Und jetzt sollte ich einen Aufsatzzum Thema `USA: Gelungene Integration? schreiben. Aber ganzehrlich, was, zum Teufel, wusste ich von Amerika? Und was, zumHenker, meinte Mrs Brooks mit `Argumentation? Doch ich gabdennoch mein Bestes.

    USA: Gelungene Integration? In den USA leben eineMenge Einwanderer und manche von denen gehrenrichtig in die USA, weil sie da richtig angekommen sind

    und nicht mehr so leben, wie sie das vorher gemacht ha-ben, in dem Land, aus dem sie weggegangen sind. Undwenn das so ist, dann heit das, dass sie in das amerika-nische Leben eingeschmolzen sind.Aber manche andere Einwanderer, die mgen ihr Leben,so wie sie es vorher gefhrt haben, bevor sie rberge-kommen sind. Sie wollen das nicht einfach so aufgeben.Und deshalb leben sie immer noch so, wie `zu Hause

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    und sind nicht richtig in Amerika angekommen. Undweil es davon nicht nur einen gibt, sondern viele, sindeben viele kleine `Stcke da, die sich nicht richtig in die

    USA eingliedern und dann sieht das wie bei dem `Salat-schssel-Bild aus, weil die Einwanderer nicht mit zuder amerikanischen Masse gehren.

    Dafr, dass ich eigentlich keinen Plan hatte, was Mrs Brooks von mirwollte, fand ich das schon ganz gut so. Ich meine, wenn dieser Aufsatzetwas mit Argumenten zu tun haben sollte, dann hatte ich da aucfjeden Fall welche mit drin und und das fand ich ganz schlau ichhatte mich auf nichts festgelegt! Weil, wenn sie jetzt nachher oder

    morgen irgendwas fragen wrde, und ich dann feststellen wrde, dassentweder das eine richtig ist oder aber doch das andere, dann konnteich mich immer wieder aus der Misere ziehen, weil ich mich ja nichtfestgelegt hatte. Und: Ich hatte ja ber beide Seiten etwas geschrie-ben, so kann ich dann eben wirklich einfach sagen, dass ich das ent-weder so sehe wie mit dem `Salatschssel -Bild, oder aber so wie mitdiesem `Schmelztopf. Ich las noch mal alles durch und verbesserteein paar Rechtschreibfehler und begab mich dann auf den Weg zu-rck zum Literatur-Komplex. Auf dem Weg dorthin kam ich an einerMenge von Leuten vorbei, es war wohl gerade Pause oder Schlussoder dergleichen, und mir folgten Blicke der unterschiedlichsten Art.Manche waren nach wie vor erstaunt wahrscheinlich wegen desStockkampfes anderen aber waren wieder einmal genauso feindse-lig wie sonst auch und nicht nur einmal hrte ich das Wort Land-strae auf was auch immer das anspielen sollte. Flachland warauch noch mit dabei und Bgelbrett. Aber ich hatte anderes zu tun,als mir den Kopf darber zu zerbrechen und so bahnte ich mir einfachmeinen Weg durch, beziehungsweise an, den Schlern vorbei undkam so keine zehn Minuten spter bei Mrs Brooks Raum an und legte

    die Papiere in den dafr vorgesehenen Postkasten. Auch hier schienes, obwohl der Unterricht allem Anschein nach wirklich zu Ende war,vor Schlern nur so zu wimmeln und ich machte, dass ich wieder ausdem Gebude raus kam.HEY, FLACHLAND! schrien mir eine Horde von Jungs entgegen undehe ich mich versah, hatten sie angefangen, mich mit Schneebllen zubombardieren.

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    Ich wei nicht warum, aber irgendwie kam es mir aus irgendeinemGrund nicht in den Sinn, sie einfach mit den Augen zu fixieren undsie zur Hrigkeit zu zwingen. Dann htte das Spektakel sicherlich ein

    jhes Ende gefunden. Aber nein, stattdessen versuchte ich hinter denanderen Leuten, die da herumstanden, Schutz zu suchen. Doch diewollten natrlich nicht als lebendige Schutzschilder dienen undmachten, dass sie wegkamen. Als nchsten Schritt versuchte ich vonden jungen Mnnern davon zu laufen, aber die standen mir in Schnel-ligkeit in nichts nach und so schnell ich auch rannte, sie klebten miran den Fersen.Na, Landstrae, was wrdest du jetzt fr einen Stock in deinen Hn-den geben, mh? feixte der eine junge Mann, als sie mich eingeholt

    und mich umringt hatten.Ich wrde dir meinen anbieten, aber kam es von einem anderenund sie fingen an zu lachen und noch dichter an mich heran zu kom-men.JUNGS, zerschnitt Chris Stimme das Gelchter und die jungen Mn-ner stoben auseinander. Alles okay? versicherte er sich, nachdem erden Schlern noch einen letzten Blick zugeworfen hatte und beugtesich besorgt zu mir herunter und hielt mich an der Schulter fest.Wahrscheinlich war es nur so eine Art Begrungsritual, murmelteich und versuchte mir den Schnee von der Kleidung zu klopfen.Und wieder sprte ich seinen komischen Blick auf mir und sah, als ichaufschaute, diesen merkwrdigen Ausdruck auf seinem Gesicht. So,als wrde ich irgendwas nicht verstehen knnen.Was? wollte ich wissen.Ach, nichts, meinte er wegwerfend und animierte mich zum Gehen.Los, Kken, wir mssen noch zur Schneiderin.Er brachte mich ins Angestellten-Quartier, vorbei an der Bchereiund was mich dort im Zimmer der Schneiderin erwartete, war gewissnicht das, was ich erwartet hatte. Das Ganze grenzte an ein kleines

    Verkaufsldchen mit Stndern und Regalen voll von Kleidung alle-samt schwarz, rot oder aber wei und einem halben Dutzend dieserStoffpuppen, die als Modelle herhielten und dann noch eine ganzeWand voll mit aufgewickelten Stoffbahnen.Miss Askin, begrte mich eine alte Frau, die mich irgendwie anden alten Mann aus dem Speisesaal erinnerte, nur, dass sie noch Haa-re auf dem Kopf hatte, ich hatte Sie schon erwartet. Sie warf Chriskurz einen Blick zu, als wolle sie ihn rgen, weil er mich schon lngst

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    htte herbringen sollen. Doch dann sah sie wieder zu mir zurck undmusterte mich, indem sie ein paar Schritte zurcktrat. Ich befrchte,wir haben nichts in Ihrer Gre, Schtzchen.

    Und somit schwand dann auch die allerletzte Hoffnung auf eine Mg-lichkeit jetzt gleich hier und jetzt wenigstens anhand der Kleidung einbisschen in der Schlermasse untergehen zu knnen.Ist nicht schlimm, murmelte ich.Die Alte schenkte mir noch ein Lcheln und ging an einen Arbeits-tisch, von dem sie eines dieser Mabnder und etwas zum Schreibenholte. Und whrend sie mich abma ich musste mich auf einenHocker stellen, weil sie sich sonst die ganze Zeit ber htte bckenmssen laberte sie die ganze Zeit etwas davon, wie winzig und jung

    ich sei. Davon, dass sie noch nie eine so jungaussehende 15jhige zuGesicht bekommen htte. Und ob das mit der Schmchtigkeit denn inmeiner Familie lge? Chris hatte derweil an der Wand neben der Trgelehnt und uns beobachtet und es schien, als ratterte etwas in sei-nem Kopf, doch was genau er jetzt dachte, das konnte ich mir nichtzusammenreimen.Was? hakte ich schlielich nach. Was ist denn?Nichts, meinte er und verzog kurz den Mund, bevor er wieder einesseiner Grinsen aufsetzte und sich aus seiner schiefen Position lste.Hast du die Sachen fr Mrs Brooks schon fertig?Jep.Gut, meinte er und er klang irgendwie, als sei er gar nicht richtig beider Sache.Chris?Mh? machte er und schaute fragend zu mir auf.Was genau meinten ach nichts, ist egal.Nein, komm, sag schon. Spuck`s aus, forderte er mich auf, whrender auf mich zutrat.Nein, ist nicht wichtig.

    Lara, ich kann dir...Mister Gossamer, mischte sich die Schneiderin ein, weil er ihr imWeg stand und er zog sich wieder zurck.Nicht, ohne mich mit Blicken zu durchlchern, allerdings.Wann kriege ich meinen Stundenplan? schlug ich einfach schnellein anderes Thema an.

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    Wenn du mir sagst, was los ist, meinte er freundlich, jedoch ohne zulcheln, whrend er wieder die Arme unter der Brust verschrnkteund sich gegen die Wand lehnte.

    Das ist Erpressung.Mh.So, verkndete die Schneiderin, fertig.Sie rollte ihr Maband wieder auf und ich sprang von dem Hockerrunter.Weit du, wenn du mir meinen Stundenplan nicht gibst, dann ist dasauch gut, gab ich berechnend von mir, whrend ich mir meine Jackewieder anzog, die vom tauenden Schnee ein wenig klamm gewordenwar. Weil dann wei ich ja gar nicht, wo ich berhaupt hin muss und

    dann habe ich morgen frei.Daraufhin musste er lachen und die Anspannung, die eben noch inseinem Krper gesteckt hatte, lste sich.Das denkst aber auch nur du, Kken, frohlockte er und hielt mir dieTr auf, so dass wir gehen konnten.Es war mir gar nicht so lange vorgekommen, aber als wir wieder insFreie traten, da war bereits die Abenddmmerung eingetreten undder Schnee schien orange-rot zu leuchten in der untergehenden Son-ne.Ach, stie Chris entzckt hervor und sein Atem erzeugte kleineWlkchen vor seinem Mund, ist das nicht schn?Schn unnatrlich, meinte ich. Es ist Mitte Mrz, da sollte eigent-lich gar nicht mehr so viel Schnee liegen.Na, widersprach er mir, rein theoretisch kann es noch bis in denApril hinein schneien.Ja, aber nicht so viel.Nicht so viel? Kken, das ist gar nichts! 1834, da hatten wir hier fast2,5 Meter!Schnee? hakte ich unglubig nach und war stehen geblieben.

    Nein, Schokolade. Natrlich Schnee, was denkst du denn? meinte erund ging weiter.1834, ist das, als du? hakte ich nach einem Moment der Stillenach.Ja.Weit du, wer?Mh-mh, machte er und schttelte den Kopf. Ich wei noch nichteinmal, ob es eine Frau war oder ein Mann.

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    Ja, aber hat dich denn niemand eingewiesen? Ich meine, du musstdochNein, unterbrach er mich leise und dann flatterte pltzlich das fr

    ihn typische Grinsen wieder ber sein Gesicht und seine Stimmewurde krftiger. Irgendwann hat man den Dreh dann aber raus.

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    ie Tr wurde ruckartig geffnet und Chris flog gerade-zu ins Zimmer. Ich hatte noch nicht geschlafen, oder

    dergleichen, aber meinen Pyjama hatte ich bereits anund eigentlich hatte ich auch nicht damit gerechnet,jetzt noch von jemandem Besuch zu bekommen. Es war bereits kurzvor 10 und um 10 war Nachtruhe.Er hatte angefangen, irgendwas von sich zu geben und ich hatte denAnfang verpasst, weil ich so perplex war, dass er einfach so und ohnezu klopfen in mein Zimmer herein gestrmt war. Doch eines konnteich ganz deutlich erkennen: Er war sauer. Argumentation ist ein Witz! warf er mir gerade an den Kopf, als

    ich einschaltete.Nicht, dass er extrem laut geworden wre, aber seine Stimmlage undseine Krpersprache reichten auch so aus, um mich in Alarmbereit-schaft zu versetzten. Was sollte ich denn getan haben, dass er pltz-lich so sauer auf mich war? Gott, du schreibst wie ein kleines Kind!Er wedelte kurz mit ein paar Zetteln herum, die er in den Hndenhielt. Es waren die, die ich fr Mrs Brooks geschrieben hatte. Ich binecht enttuscht von dir, Lara, gab er von sich und knallte mir diePapiere mit seiner behandschuhten Hand auf den Schreibtisch. Sol-che Scherze erlaubt man sich hier nicht.Damit ging er die Tr ein wenig klangvoller hinter sich schlieend,als es ntig gewesen wre und ich sackte auch der Bettkante zu-sammen. Gott, du schreibst wie ein kleines Kind, hallte seine An-schuldigung durch meinen Kopf.Ja, liegt wohl daran, dass ich einesbin.Ich hatte mein Bestes gegeben, was wollten sie denn noch? Wo-her sollte ich denn wissen, wie man das alles macht, wenn niemand esmir bis jetzt beigebracht hatte? Erst, als ich mir gedankenverloren mitder Hand ber die Wangen strich, wurde mir bewusst, dass ich schonwieder am Heulen war. Nach all der Flennerei in den vergangenen

    paar Stunden musste mein Gesicht echt nicht mehr all zu gut ausse-hen Aber was sollte ich denn machen? Ich konnte nun mal nichtzaubern. Und mir das alles alleine beibringen, konnte ich auch nicht.Wie denn auch? Und irgendwie hasste ich alles. Dry und Bran undAskatil, wegen dem das alles eigentlich erst in die Wege geleitet wur-de und dieses Internat hier und die Schler darin und Chris auch,weil er wegen etwas sauer auf mich war, was noch nicht einmal meinFehler gewesen war. Und irgendwie war ich froh, dass Katze wenigs-

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    tens da war, um mir eine gleichbleibende Variable meines Lebensliefern zu knnen. Auch, wenn ihr gutgelauntes Geschnurre mir gera-de gewaltig auf den Geist ging.

    Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als ich am nchsten Morgenaufwachte. Mir war nicht sonderlich danach zumute, mich zumFrhstck in die Halle zu begeben. Ich hatte keinen Hunger und son-derlich erpicht darauf, all die bescheuerten lteren Schler wiederzu-sehen und all ihre Blicke und Tuscheleien zu ertragen, war ich auchnicht. Ich duschte erst einmal ausgiebig und zog mir dann etwasDunkles an, so dass ich von den Farben her wenigstens nicht so sehrauffallen wrde immerhin hatte ich ja meine Schuluniform immernoch nicht. Abgesehen davon, dass ich der Begegnung mit meinenMitschlern mulmig entgegen sah, war mir auch noch unwohl, weilich dem ganzen Stoff der Unterrichtsstunden garantiert nicht ge-wachsen war.Nicht, wenn der so aussieht wie dieses Zeugs von MrsBrooks gestern!Doch nachdem Chris mir gestern, zusammen mit denUnterlagen von Mrs Brook, meinen Stundenplan hatte zukommenlassen, konnte ich die Ausrede, dass ich nun mal keine Ahnung hatte,wo ich eigentlich hingehen sollte, nicht mehr hervor bringen.Es waren noch gut dreiig Minuten bis Stundenanfang und die Gngein dem Literatur-Komplex waren noch so gut wie leer. Und wenn ichmeinen Blick einfach gesenkt hielt und die anderen Schler nichtansah, dann hrten sie auch schnell damit auf, sich einen Spa ausmir zu machen. In den ersten beiden Stunden hatte ich Geschichte was zwar nicht wirklich unter `Literatur fiel, aber trotzdem in die-sem Gebude unterrichtet wurde. Meinen Raum hatte ich bald gefun-den und ich stellte fest, dass ich die Erste war. Die Tr war noch ver-riegelt, so lie ich mich auf den Boden nieder und kramte mein Ge-

    schichtsbuch aus meinem Rucksack hervor. Es war das erste Mal,dass ich eines der Bcher aufschlug und ich war erst etwas perplex,als ich feststellte, dass diese Geschichte nichts mit der zu tun hatte,die man mich in meiner eigentlichen Schule gelehrt hatte. Diese hierbehandelte die Historie unserer Art was ja eigentlich vollkommenverstndlich war, doch trotzdem schockierte es mich erst einmal.Hey, sprach mich jemand freundlich an und ich schaute vom Buchhoch.

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    Ein blondes Mdchen mit blauen Augen und Pfirsichhaut stand vormir und ich glaube, es war die, die gestern im Speisesaal diesen ande-ren jungen Mann John, so hie er, glaube ich zur Raison gerufen

    hatte, als er mich `Landstrae genannt hatte.Hey, meinte ich zgerlich und klappte das Buch zu.Ich bin Angela, sagte sie und ein Lcheln erschien auf ihrem Ge-sicht.Lara.Wei ich, wei ich doch. Sie grinste immer noch frhlich undfreundlich und setzte sich, als ich aufstehen wollte, zu mir. Du bistwinzig, stellte sie amsiert, aber dennoch freundlich, fest. Wie altbist du?

    Zw- fing ich an und korrigierte mich gerade noch rechtzeitig, -eiTage.Sie lachte.Nein, ich meine, wie alt. Also, in Menschenjahren.Ach so ja also, da bin 15.Sie beugte mich kurz und stellte dann fest: Du siehst echt viel jn-ger aus. Du kommst aus Istrien? schlug sie dann schnell ein anderesThema an und ich sah sie nur fragend an. Du warst in den Nachrich-ten.Ach so, ja, das Nein, nein eigentlich bin ich von hier. Also, nichtSchottland. Aus London. Also, da in der Nhe.Cool, freute sie sich, ich auch. Woher genau?Angela, Landstrae, begrte uns der Blonde mit den roten Fleckenim Gesicht und unser Gesprch kam zu einem jhen Ende.Daniel, mahnte Angela, lass das, ja, das ist nicht nett.Ich starrte nur zwischen den Beiden hin und her und konnte immernoch nicht nachvollziehen, was genau er eigentlich meinte. Doch eheich nachfragen konnte, gesellten sich immer mehr Leute zu uns undehe ich mich versah, befanden wir uns auch schon im Klassenzimmer.

    Es war riesig. Mit einer gewlbten Decke und ein paar steinernenSulen hier und da. Und obwohl es nur aus Stein bestand und soenorme Ausmaen hatte, war es trotzdem angenehm warm. Angelanahm mich mit zu einem der hinteren Tische und bot mir einen Platzneben sich an. Ein anderes Mdchen mit roten, langen Haaren undgrn-blauen lie sich zu Angelas Linken nieder und sie stellte sie mirals Molly vor. Alle um uns herum redeten und mir wurden, Gott seiDank, nur wenige blde Blicke zugeworfen und es schien auch kaum

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    einer mehr ber mich zu sprechen. Molly und Angela versuchtenmich in ihr Gesprch mit einzubeziehen, was ich echt nett von ihnenfand. Doch dann kamen smtliche Gesprche pltzlich zu einem j-

    hen Ende und die Schler lieen sich fast alle gleichzeitig auf ihreSthle nieder. Ich setzte mich dann auch, was zur Folge hatte, dassich nichts mehr sehen konnte. Ich sa in der zweitletzten Reihe vonhinten und die Tische, an denen man je zu dritt sa, waren alle ininsgesamt vier Reihen, hintereinander angeordnet.Morgen, kam es pltzlich rechts von mir und whrend die Schlerin einem Chor Guten Morgen, Mister Slinsky von sich gaben, stellteich fest, dass der gutgelaunte alte Herr von gestern aus dem Speise-saal mein Geschichtsmentor war.

    Er ging reichlich zgig fr sein hohes Alter nach vorn und setzte sichvollkommen selbstverstndlich auf das Lehrerpult, berschlug dieBeine und lchelte die gesamte Meute an. Doch mehr als den oberenTeil seiner Glatze und den Anfang seines grauen Haarkranzes konnteich nicht sehen, selbst, wenn ich mich aus meiner Reihe heraus lehnteund statt geradeaus nach vorn zu schauen, lieber den Gang entlangguckte.Ladies and Gentlemen, gab er frhlich von sich und seine alte, filig-rane Stimme trug im gesamten Raum, wie Sie vielleicht schon mit-bekommen haben, haben wir einen Neuzugang. Lara Askin.Ich sah zwar nicht, wie, bzw. ob, er auf mich zeigte, aber die gesamteSchlerschaft wandte sich zu mir um und prompt fingen die Tusche-lein wieder an. Manche lchelten auch nur spttisch, aber das reichteaus, um fr mich zu denken: `Scheie, man, wo ist das nchsteLoch? und dabei hatte ich noch nicht einmal irgendwas getan! Esgengte nur, dass der Alte da vorne mich als Neuzugang vorstellte.Aber nun weiter im Text, hatte er weitergesprochen und die meistenSchler wandten sich auch, Gott sei Dank, gleich wieder nach vorneum. In Anbetracht der Tatsache, dass Miss Askin wohl noch nicht

    vollstndig in die Materie eingeweiht ist, sollten wir, denke ich,Grundlegendes wiederholen.Ein missmutiges Grummeln ging durch die Bnke, das Mister Slinskymit einem Herrschaften, Herrschaften, bitte, ich bin berzeugt da-von, dass auch Sie davon noch einiges mitnehmen oder aber zumin-dest wieder auffrischen knnen quittierte.

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    Miss Askin, wandte er sich pltzlich an mich, mir ist zu Ohren ge-kommen, dass Sie schon ein ganz klein wenig ber unseren ltestenBescheid wissen?

    Unseren ltesten? Mister Slinsky war von dem Tisch herunter ge-hopst sorry, aber anders kann man es nun echt nicht nennen undschlenderte auf mich zu.Unseren ltesten? wandte ich mich flsternder Weise an Angela.Lord Askatil, wisperte sie zurck und ich hoffte, dass die anderennicht sehen konnte, was dieser Name bei mir auslste.hm, ja ja, wei ich,Eine ganze Menge sogar!Ein Bisschen.Der Alte legte den Kopf ein wenig schief und munterte mich so zumWeitersprechen auf.

    Aska-Lord Askatil, verbesserte ich mich, als ich merkte, wie dieanderen darauf reagierten, dass ich ihm bei seinem bloen Vornamennannte, ist 4367 Jahre alt und hat seine Jugend in Pietas Iulia ver-bracht. Das ist in Istrien. Er kann ungefragt in Huser eindringen.Und in Kpfe auch. Und er kann machen, dass er anderen wehtut,ohne sie zu berhren oder berhaupt anwesend zu sein. Und seineStimme klingt, als wrde jeder Ton seine Stimmbnder zerreien.So? lchelte Mister Slinsky amsiert und begab sich wieder in Rich-tung seines Pultes zurck, ber Letzteres bin ich noch nicht unter-richtet worden, aber der Rest stimmt so weit.Doch, stimmt, gab ich mir recht, und seine Haare riechen nachSommer und er kann mir, ohne mich anzufassen, die Wirbelsulebrechen. Und im Stockkampf ist er auch ganz gut. Ja, mischte sichein anderer Teil von mir mit ein, aber ich bin besser.Wer kann dem noch etwas hinzufgen? stellte er seine Frage in denRaum und sofort schossen einige Hnde in die Hhe.Wie kommt es, dass du schon so viel ber ihn weit? wisperte Ange-la mir ins Ohr.Weil ich bis vor ein paar Tagen noch bei ihm gelebt habe? Und es am

    eigenen Leibe erfahren habe? Oder aber mit ansehen musste? Dochich zuckte nur mit den Schultern.Wei nicht, muss ich irgendwo aufgeschnappt haMiss Askin? ertnte Mister Slinskys Stimme pltzlich und ichschaute auf. Ich wrde es sehr begren, wenn Sie aufpassten.Er lchelte zwar, aber wirklich nett gemeint war es nicht. Ich murmel-te ein sorry und folgte seinem Blick, als dieser zu einem Schler inder ersten Reihe zurckging, der gerade weitere Informationen be-

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    zglich Askatil von sich gab. Ich hrte dann auch den Rest der Stundezu meistenteils und las die Texte aus dem Buch, die wir lesensollten und stellte fest, dass es nichts Neues ber Askatil zum Lernen

    gab.Die nchste Doppelstunde hatten wir dann Englisch bei Mrs Brooksund sie schien von meinen schriftlichen Ausarbeiten von gestern ge-nauso wenig angetan zu sein wie Chris. Sie sprach zwar nicht mehrunter vier Augen mit mir, doch ihr Blick sprach ganze Bnde. Sie lieuns in Kleingruppen zusammenarbeiten die andern hatten auch soeinen argumentativen Aufsatz ber den Amerikanischen Traum ge-schrieben und wir sollten die Aufstze der anderen gegenlesen,verbessern, Feedback geben und anschlieend den Besten aussuchen

    und den dann vor der gesamten Gruppe vortragen. Angela war sonett, mich wieder mit in ihre Gruppe zu nehmen und so arbeitete ichmit ihr, Molly und noch zwei Jungen zusammen: einem Afro-Amerikaner namens Gregor und Phillip, einem jungen Mann mitlngeren, leicht welligen blonden Haaren. Und als der Name Phillipfiel, musste ich an meinen Nutrimer denken und ich fragte, was derjetzt wohl gerade eigentlich machte. Nachdem ich dann zwei der Auf-stze der anderen gelesen hatte, bekam ich den Dreh so langsam raus,aber man die Dinger waren gut. Ich meine, sehr gut! So wrde ichnie schreiben knnen!Miss Askin, wo ist Ihr Aufsatz? hakte Mrs Brooks nach, als sie aufihrem Rundgang zu unserer Gruppe kam und feststellte, dass wirzwar fnf Leute waren, aber nur vier Schriften im Umlauf waren.Ich glaube, der ist falsch, wisperte ich und wagte es irgendwie nicht,sie anzusehen.Dann knnen Ihre Mitschler Ihnen beim Korrigieren helfen.Ja, aber setzte ich an und schaute doch zu ihr auf.Doch ihr Blick sprach, wie gesagt, ganze Bnde und ich verstummte.Arbeitsverweigerung?

    Nein, es ist nur ichDoch sie wandte sich um und ging.Du solltest dich nicht mit `der anlegen, Lara, riet Molly mir, echt.Mit der ist nicht gut Kirschen essen.Na super, jetzt hat sich zwar das gelegt, dass meine Mitschler michauf dem Kieker haben, aber dafr fangen jetzt die Lehrer anAber ich kann das wirklich nicht. Der ist nicht gut, gab ich von mirund sah hilfesuchend zu Angela hinber.

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    Na, so schlecht kann er nicht sein, war es Phillip, der mich aufmun-terte. Zeig mal her.Also kramte ich meinen Aufsatz hervor, unter den Mrs Brook in roter

    Tinte `Wollen Sie mich zum Narren halten? geschrieben hatte.Oh, entwich es Phillip dann aber doch, als er einen Blick daraufwarf und ihn berflog.Siehst du, ich habe es doch gesagt. Ich kann das nicht.Ja, aber du musst das doch mal in der Schule gehabt haben, mischteMolly sich mit ein und ich schttelte den Kopf.Ihr habt nie Aufstze geschrieben? hakte Gregor unglubig nach.Ja, doch, schon, aber nicht so einen.Und so langsam fragte ich mich, wozu, um alles in der Welt, ich das

    eigentlich knnen musste?Hier, fing Angela an und bltterte in ihrer Mappe, bis sie gefundenhatte, was sie suchte. Das Blatt zeigte so eine Art Schaubild mit Erkl-rungen, wie genau man einen argumentativen Aufsatz aufbaut undschreibt. Ja klasse, htte ich das vorher gehabt, dann htte ich dasvielleicht auch gekonnt. Ich kopier es dir und dannNein, ist schon okay, unterbrach ich sie, ich habe ein photographi-sches Gedchtnis.Gregor pfiff leise und auch die anderen schienen berrascht zu sein.Na, das erleichtert natrlich so einiges, meinte Phillip.Was kannst du sonst noch so? wollte Gregor wissen und irgendwietat es gut, dass sie jetzt so mit mir sprachen und mich nicht mehr nurals `Landstrae oder sonstiges abstempelten was auch immer dasheien sollte. Ich versuchte die Erinnerung an das Blatt aus meinemHirn hervorzukramen, das Dry gestern ausgefllt hatte, weil ichnichts sagen wollte, das da nicht auch drauf stand.Ich kann ein bisschen Sententia und ich bin ein EnerMiss Askin, donnerte Mrs Brooks mahnende Stimme durch dengesamten Klassenraum und aller man Augen lasteten pltzlich auf

    mir. Das sieht nicht so aus, als wren Sie bei der Sache.Ich merkte, wie ich rot anlief und ich zog es vor, gen Boden zu schau-en und nichts von mir zu geben. Innerhalb der nchsten paar Sekun-den hrte ich, wie die Schler um uns herum wieder zu ihren Grup-penarbeiten zurckkehrten und ein Gemurmel sich wieder in demRaum ausbreitete.Sorry, meinte Phillip, ich htte nicht fragen sollen.Nein, ist schon okay.

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    Dann erzhlst du es uns einfach nachher weiMiss Bekner, kam es pltzlich von Mrs Brooks, die, ohne, dass wires mitbekommen hatten, direkt hinter Angela getreten war. Auf ein

    Wort. Nach der Stunde. Alle fnf.Ja, Mrs Brooks, antworteten wir alle leise und wie aus einem Mun-de.Fr den Rest der Stunde arbeiteten wir dann auch so mit, wie sie eserwartete und hielten mit privaten Gesprchen an uns. Doch das hieltsie nicht davon ab, uns am Ende der Stunde zu sich zu zitieren. Siewartete noch, bis die restlichen Schler den Raum verlassen hattenund wandte sich dann an uns die wir versammelt um ihr Pult stan-den.

    Wie sie vielleicht wissen, dulde ich ein solches Verhalten in meinemUnterricht nicht. Sie machte eine Pause und wir schwiegen undschauten nur bedrppelt gen Fuboden. Doch mehr schien sie auchgar nicht zu wollen. Ich war drauf und dran, sie allesamt nachsitzenzu lassenEin Ruck ging durch Angela hindurch, die direkt neben mir stand,und sie schaute entsetzt auf. Und ehe ich mich versah, war ich auchschon in ihren Kopf eingedrungen. Sie war eine Musterschlerin,stellte ich fest, und hatte nur Einsen und Zweien. Noch nie in ihremganzen Leben bzw. jetziger Existenz hatte sie jemals nachsitzenmssen. Und dann war da ja noch die Tatsache, dass das Nachsitzennicht alleine von Statten ging. Nein, eine Notiz wrde in unsere Aktegemacht werden und das konnte sie auf keinen Fall gebrauchen. Undich fragte mich, wer, um Himmels Willen, denn Einsicht in die Aktennehmen sollte? Ich meine, ist ja nicht so, als htten wir Eltern, diedaran interessiert wren! Naja, ich schon, ich habe `Eltern imweitesten Sinne des Wortes aber die anderen? Ich meine, diehaben doch eigentlich ihre Familien in dem Moment verlassen ms-sen, in dem sie transformiert wurden. Oder nicht? Also, wer, bitte

    schn, sollte daran Interesse haben, diese Akten einzusehen? Ob-wohl Ich meine, Dry hat mich hier angemeldet. Und er hat sich alsmein Transformator angegeben. Vielleicht mssen wir denen Re-chenschaft ablegen. Denen, die uns transformiert haben. Vielleichtsind die jetzt sozusagen, die Erziehungsberechtigten von den ganzenLeuten hier. Bei mir hat sich ja nicht wirklich viel verndert. Ichhabe auch schon vorher bei Dry und Bran gelebt.

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    Bitte, Mrs Brooks, versuchte es Angela, es wird nicht wieder vor-kommen. Das versichern wir Ihnen.In Ihrem Fall bin ich mir dessen sicher, Miss Bekner, gab sie fast

    schon vershnlich von sich, doch dann flog ihr Blick zu mir herber.Doch Sie, Miss Askin Das grenzt fast schon an Rekord. Sie sindnoch nicht einmal komplette 24 Stunden hier und schon jetzt drohtIhnen die erste Strafmanahme.Bitte, wisperte ich und kmpfte gegen die aufsteigenden Trnen an,es tut mir leid, ehrlich. Ich Es Es wird nicht wieder vorkommen.Das verspreche ich.Das will ich hoffen, meinte sie mit Nachdruck und entlie uns dann.Und Und jetzt? hakte ich nach, als wir im Eiltempo aus dem Ge-

    budekomplex rannten, um noch ansatzweise pnktlich zu unsererFhigkeiten-III-Stunde zu kommen, die im mathematisch-naturwissenschaftlichen Gebude stattfand. Ich meine, mssen wirjetzt nachsitzen, oder nicht?Nein, rief Gregor ber das Gerusch unserer Schritte hinweg. Nochmal mit einem blauen Auge davon gekommen.Molly und Gregor lachten, doch Angela und mir war irgendwie nichtnach Lachen zu Mute. Nicht nur, dass ich das alles einfach nicht ver-stand, weil ich es noch nie gehabt habe, nein, jetzt waren Mrs Brooks und vor allem Chris auch noch sauer auf mich. Und ich konntenoch nicht einmal was dazu! Und jetzt, wo ich scheinbar endlichFreunde oder so etwas hnliches gefunden hatte Naja, auf je-den Fall waren sie mir gut gesonnen daLARA!LOS!NUN MACH MAL HIN! rief Angela mir zu.Die anderen waren schon etliche Meter vor mir und ich hing hinter-her. Aber ich konnte langsam echt nicht mehr. Wir rannten in einemmrderischen Tempo und sie waren, wahrscheinlich dank unserervier Jahren Altersunterschied, einfach sehr viel schneller als ich. Ob-wohl, vielleicht sind sie auch schon 17, wer wei das schon? Ich mei-

    ne, die Schule ist fr Leute ab 16, was ja nicht unbedingt heienmuss, dassLARA! drngte nun auch Gregor.Ich kann nicht mehr, keuchte ich und wollte mein Tempo verrin-gern.JA,DAS SEHEN WIR! LOS JETZT! kam es von Phillip und er ergriff micham Arm und zerrte mich weiter.

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    Ich wusste nicht, was mit mir los war, e


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