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REPORT DER DEUTSCHEN VEREINIGUNG FÜR POLITISCHE...

Date post: 28-Dec-2019
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REPORT DER DEUTSCHEN VEREINIGUNG FÜR POLITISCHE BILDUNG POLIS 2015 Zeitung Vom politischen Umgang mit PEGIDA als Bildungsaufgabe Fachbeiträge Harald Müller Hundert Jahre später: Gibt es ein Weltkriegsrisiko? Hans-Joachim Reeb Sicherheit in der politischen Bildung Klaus-Peter Hufer Friedensbewegung, Friedensinitiativen und Friedenspädagogik: Was ist aus ihnen geworden? Christof Starke, Markus Wutzler Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten Didaktische Werkstatt Dirk Lange, Moritz Peter Haarmann Jugendoffiziere an Schulen DVPB aktuell „Politische Bildung für die Demokratie“ – DVPB veröffentlicht Positionspapier Schwerpunkt Friedenspädagogik 1 7,40 (D)/7,61 (A)/11,40 CHF Wochen Schau Verlag Ungleichheiten in der Demokratie 13. Bundeskongress Politische Bildung 19.-21.03.2015 Uni-Campus Duisburg cover_POLIS_1-15.indd 1 13.02.2015 11:02:27
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REPORT DER DEUTSCHEN VEREINIGUNGFÜR POLITISCHE BILDUNG

POLIS 2015

ZeitungVom politischen Umgang mit PEGIDA als Bildungsaufgabe

FachbeiträgeHarald Müller Hundert Jahre später: Gibt es ein Weltkriegsrisiko?

Hans-Joachim ReebSicherheit in der politischen Bildung

Klaus-Peter HuferFriedensbewegung, Friedensinitiativen und Friedenspädagogik: Was ist aus ihnen geworden?

Christof Starke, Markus Wutzler Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten

Didaktische WerkstattDirk Lange, Moritz Peter HaarmannJugendoffiziere an Schulen DVPB aktuell„Politische Bildung für die Demokratie“ – DVPB veröffentlicht Positionspapier

SchwerpunktFriedenspädagogik

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Schau

Verlag

Ungleichheiten in der Demokratie

13. Bundeskongress Politische Bildung

19.-21.03.2015 Uni-Campus Duisburg

cover_POLIS_1-15.indd 1 13.02.2015 11:02:27

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„Ungleichheiten in der Demokratie“Der 13. Bundeskongress Politische Bildung .............. 4

Zeitung Vom politischen Umgang mit PEGIDA als Bildungsaufgabe .......................................................... 6

Friedenspädagogik

Fachbeiträge Harald MüllerHundert Jahre später: Gibt es ein Weltkriegsrisiko?.. 9

Hans-Joachim Reeb Sicherheit in der politischen Bildung ........................ 13

Klaus-Peter HuferFriedensbewegung, Friedensinitiativen und Friedenspädagogik: Was ist aus ihnen geworden? .... 16

Christof Starke und Markus WutzlerWer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Einblicke in die Praxis aktueller Friedensbildung ........ 19

Didaktische Dirk Lange und Moritz Peter HaarmannWerkstatt Politische Bildung oder politische

Öffentlichkeitsarbeit? Zur Kritik des Einsatzes von Jugendoffizieren an allgemeinbildenden Schulen .. 22

Wollen wir Schulen als Rekrutierungsfeld der Bundeswehr? (Thomas Schmidt) ................................ 25

DVPB aktuell ImpulsVerabschiedung des Positionspapiers der DVPB ........ 26

Aufruf für Erhalt einer politisch-ökonomischen Grundbildung .............................................................. 27

Berichte

Sachsen-Anhalt: Die „Ukraine-Krise“ als Konfliktanalyse ............................................................ 28

Bayern: Jahrestagung des Landesverbandes in Tutzing .................................................................... 28

Thüringen: Historische Regierungsbildung Thema der „Jenaer Gespräche“ ................................ 29

Bremen: Bremer Gespräche ........................................ 29

Brandenburg: Neuer Rahmenlehrplan für die Jahrgänge 1–10...................................................... 30

Niedersachsen: Notwendigkeit einer Landeszentrale für politische Bildung ........................ 30

Nordrhein-Westfalen: Wirtschaftslehre/Politik am Berufskolleg: Ausschreibungsverhalten der Schulleitungen ...................................................... 32

Schleswig-Holstein: Lehrerfortbildungsseminar ........ 32

–: Landesverband fordert Ausbau der FachlehrerInnenausbildung ........................................ 32

Magazin Rezensionen ................................................................ 33Vorschau/Impressum .................................................. 34

POLISReport der Deutschen Vereinigungfür Politische Bildung

Editorial

Im vergangenen Jahr wurde in unzähligenPublikationen, Tagungen, Ausstellungenund Veranstaltungen aller Art des Aus-bruchs des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914gedacht. In diesem Jahr erinnern wir unsan das Ende des Zweiten Weltkrieges vor70 Jahren. Aber nicht nur diese beiden Ge-denkjahre sondern auch die vielen aktuel-len Gefahren für den Weltfrieden bietenAnlass, über die Bedeutung der Frie-denspädagogik im Rahmen der politischenBildung nachzudenken. Deshalb haben wirHarald Müller gebeten, eine grundlegen-de Einschätzung der Sicherheitslage hun-dert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg vor-zunehmen. Er gelangt in seiner Analyse zuerstaunlichen Ähnlichkeiten zwischen derweltpolitischen Lage von 1914 und 2015.Hans-Joachim Reeb erläutert, weshalb Si-cherheit ein zentraler Gegenstand der po-litischen Bildung sein sollte. Die Bilanz,die Klaus-Peter Hufer nach 30 Jahren Frie-densbewegung und Friedenpädagogikzieht, gibt eher Anlass zur Beunruhigung.Umso erfreulicher ist der Einblick in ihrelebendige friedenspädagogische Arbeit,den uns Christof Starke und Markus Wutz-

ler vom Friedenskreis Halle e.V. gewähren.Schließlich beschäftigen sich Dirk Lange

und Moritz Peter Haarmann mit dem nichtunproblematischen Einsatz von Jugendof-fizieren der Bundeswehr in allgemeinbil-denden Schulen. Soldaten seien keine po-litischen Bildner, und die Bundeswehr habekeinen politischen Bildungsauftrag, lautetihr eindeutiges Resümee.

Bitte beachten Sie, liebe POLIS-Lese-rinnen und -Leser, unseren Hinweis aufden 13. Bundeskongress Politische Bil-dung (S. 4/5). Der Kongress steht in die-sem Jahr unter dem Titel „Ungleichheitenin der Demokratie“ und findet vom 19. bis21. März in Duisburg statt. Über Ihre Teil-nahme würden wir uns sehr freuen.

Die Redaktion

Heft 1/2015

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„Ungleichheiten in der Demokratie“

Der 13. Bundeskongress Politische BildungStrukturelle Ungleichheiten bei denindividuellen Möglichkeiten aufgesellschaftlicher Teilhabe, Ein-kommenserzielung und Selbstver-wirklichung berühren die Grund-feste der Demokratie und gefähr-den den sozialen Frieden. Der 13.Bundeskongress greift die in Wis-senschaft, Politik, Medien und Zi-vilgesellschaft geführte Diskussi-on über wachsende soziale Klüfteauf nationaler, europäischer undglobaler Ebene auf und bietet einumfangreiches Angebot, diesenThemenkomplex in seiner Bedeu-tung für die Politische Bildung zuerschließen. Dabei werden sowohl„klassische“ Fragestellungen wieDiskriminierung und soziale Un-gleichheit diskutiert, als auch neue-re Themen, wie z.B. Big Data oderNeuro-Enhancement aufgegriffen.

Die DVPB freut sich, ihren Mit-gliedern gemeinsam mit ihren Part-nern bpb (Bundeszentrale für po-litische Bildung) und bap (Bun-desausschuss Politische Bildung)ein attraktives Programmangebotbieten zu können.

Im Rahmen dieser Doppelseitesoll übersichtlich über den geplan-ten Verlauf des Bundeskongressessowie das zum Redaktionsschlussfeststehende Angebot informiertwerden. Weitergehende Informa-tionen bietet der Internetauftritt derbpb (http://www.bpb.de/veranstal-tungen/bundeskongress).

Thematische Ausrichtungder Sektionen Freitag, 20. März (9:30 – 11:00 Uhr, paralleleDurchführung): Sektionen 1–7

1. Arm und Reich – Soziale

Ungleichheit

Studien über soziale Ungleichheitdokumentieren regelmäßig, dass inkaum einer anderen Demokratie diesoziale Herkunft so stark über dengesellschaftlichen Status und dasEinkommen eines Menschen ent-scheidet, wie in Deutschland. Dasssich die zunehmende Kluft zwischenArm und Reich nicht in Protestender strukturell Benachteiligten ent-lädt, überrascht viele Experten. Statt-dessen scheinen sich gerade die amstärksten vom sozialen Abstieg Be-troffenen aus dem gesellschaftlichenund politischen Leben zurückzu-ziehen. Wie lässt sich diese Ent-wicklung erklären? Stellt eine sin-kende Wahlbeteiligung eine Gefahr

für die Demokratie dar? Welche Ent-wicklungen lassen sich in anderenLändern beobachten? Prof. Dr. Steffen Mau (UniversitätBremen / Bremen InternationalGraduate School of Social Scien-ces), Dr. Oliver Nachtwey (TUDarmstadt), Dr. Judith Niehues (In-stitut der deutschen WirtschaftKöln), Dr. Brigitte Weiffen (Uni-versität São Paulo, Brasilien); Mo-deration: Michael Hirz (Phoenix)

2. Europa zwischen Inklusion

und Exklusion

Die Europäische Union und ihreMitgliedsstaaten stehen unter demAnspruch von Demokratie, Achtungder Menschenrechte und der Durch-setzung von Freiheit, Gleichheit undToleranz. Aber wird „Europa“ die-sem Selbstbild gerecht? WelchenWeg wird Europa zwischen Inklu-sion und Exklusion einschlagen?Gefährdet ein zunehmendes Un-gleichgewicht zwischen den EU-Staaten die politische Gemeinschaft?Welche Möglichkeiten solidarischen

Handelns, z.B. im Bereich der Ge-werkschaften, gibt es, und welcheKonkurrenzstrukturen stehen dementgegen? Wie kann es gelingen, aufeuropäischer Ebene eine Debatte an-zustoßen, die sich mit den ideellenGrundlagen Europas befasst? Andreas Botsch (Deutscher Ge-werkschaftsbund), Janis A. Emman -ouilidis (European Policy Centre,Brüssel; angefragt), Dr. UlrikeGuérot („The European Demo cra -cy Lab“, eusg – European Schoolof Governance), Dr. Monika Lüke(Integrationsbeauftragte des Lan-des Berlin); Moderation: UlrikeWinkelmann (Deutschlandfunk)

3. Die Entwicklung der Städte

Früher galten Städte häufig als Or-te der Hoffnung auf ein besseres Le-ben. Heute scheinen sie jedoch im-mer öfter durch Stagnation, Vertie-fung sozialer Spaltung und Aus gren- zung geprägt. Gleichzeitig bil dendiese Geburtsorte von Demo kra tieauch weiterhin Zentren von gesell-schaftlicher Partizipation und Brenn-

punkte politischer Organisation.Welche Entwicklung steht den Städ-ten bevor? Tragen sie zur Vertiefungsozialer Spaltung bei oder fü hrensie die Menschen wieder nä her zu-sammen? An welchen Stellschrau -ben gilt es zu drehen, wenn manStädte zu lebendigen, vielfältigenund sozial inklusiven Räumen ent-wickeln will? Welche Beispiele vor-bildhafter Stadtentwicklung gibt es? Prof. Dr. Benjamin Barber (Uni-versity of Maryland, USA), Dr. Re-gina Bittner (Bauhaus Kolleg Des-sau), Uli Hellweg (IBA HamburgGmbH), Prof. Dr. Michael Voigt-länder (Institut der deutschen Wirt-schaft Köln)

4. Exklusion und Inklusion

Obwohl antidemokratisch, ist dieasymmetrische Verteilung von An-erkennung, Ressourcen oder Chan-cen nach Kriterien wie Herkunft, so-zialem Status, Geschlecht oder se-xueller Orientierung weit verbreitet.Welche Erkenntnisse haben wir übermehrdimensionale Diskriminierung

Die drei Veranstaltungstage im Überblick

Donnerstag, 19. März

Gebläsehalle im Landschaftspark Duisburg Nord, Emscherstraße 71, 47137 Duisburg

ab 15:00 Uhr Registrierung

ab 16:00 Uhr Führung über das Veranstaltungsgelände (optional)18:00 Uhr Eröffnung durch die Veranstalter, Grußworte von Bundesminister Thomas de Maizière

und Staatssekretär Bernd Neuendorf (Ministerium für Familie, Kinder, Jugend und Sportin Nordrhein-Westfalen)

18:30 Uhr Keynote von Prof. Dr. Benjamin Barber (University of Maryland, USA): Wie viel Un-gleichheit verträgt die Demokratie?

19:15 Uhr Diskussion unter Beteiligung des Publikums über Anwälte des Publikums, Moderation:Asli Sevindim (Journalistin)

19:45 Uhr Empfang

Freitag, 20. März

Universität Duisburg Essen, Campusgelände Duisburg, Lotharstraße 55-65, 47057 Duisburg

9:00 Uhr Eröffnung

9:30 Uhr Sektionen 1–7 (parallele Durchführung) 11:30 Uhr Workshops (Angebot lag zu Redaktionsschluss noch nicht vor)13:00 Uhr Mittagspause14.30 Uhr Workshops

16:30 Uhr Pause17.00 Uhr Delegiertenversammlung der DVPB

19:30 Uhr Preisverleihungen (u.a. Walter-Jacobsen-Preis der DVPB)

Samstag, 21. März

Universität Duisburg Essen, Campusgelände Duisburg, Lotharstraße 55-65, 47057 Duisburg

9:00 Uhr Sektionen 8-12 (parallele Durchführung)11:45 Uhr Workshops (Angebot lag zu Redaktionsschluss noch nicht vor)13:30 Uhr Abschluss-Plenum

14:00 Uhr Imbiss

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13. Bundeskongress

Samstag, 21. März (9:00 – 11:30 Uhr, paralleleDurchführung): Sektionen 8–12

8. Soziale Ungleichheit – Was

kann die Gesellschaft leisten?

Als Besser- bzw. Schlechterstel-lungen zwischen Menschen stehensoziale Ungleichheiten abseits dererwünschten Pluralität demokrati-scher Gesellschaften. Welcher ge-sellschaftlicher Wandlungsprozes-se bedarf es, um zu verhindern, dasssubjektive Merkmale und Orien-tierungen soziale Benachteiligun-gen nach sich ziehen? Was mussauf gesellschaftlicher Ebene ge-schehen, um gegenseitige Aner-kennung zu fördern? Welche zivil-gesellschaftlichen Akteure be-schäftigen sich mit der Frage nachder Gestaltung von Heterogenität?Welche Diskurse müssen geführtwerden? Prof. Dr. Heinz Bude (UniversitätKassel, Vorstand der Deutschen Ge-sellschaft für Soziologie), Prof. Dr.Ute Klammer (Universität Duis-burg-Essen), Dr. Brigitte Weiffen(Universität São Paulo, Brasilien)

9. Politik neu denken?

Vor dem Hintergrund zunehmen-der sozialer Ungleichheit wird dasSelbstverständnis der Demokratieauf eine harte Probe gestellt. Da-bei scheint der Aufstieg unkon-ventioneller Partizipationsformendie Abkopplung von Menschen mitsozialen Status nicht abzusch-

wächen, sondern zu verstärken.Muss sich die Politik daher grund-legend neu ausrichten oder erlebenwir gar einen Wandel des Politi-schen, mit dem demokratische Wer-te an Bedeutung einbüßen könn-ten? Wie kann sich Politik auf diezunehmende Heterogenität von Ge-sellschaft einstellen? Welche Her-ausforderungen ergeben sich in die-sem Zusammenhang aus der vor-anschreitenden Digitalisierung mitihrem Potenzial asymmetrischeMachtverteilungen noch zu poten-zieren?Evgeny Morozov (Publizist; ange-fragt), Prof. Dr. Peter Niesen (Uni-versität Hamburg; angefragt), Dr.Armina Omerika (Goethe-Univer-sität Frankfurt), Philipp Riederle(digital native; angefragt); Mode-ration: Ulrike Winkelmann(Deutsch landfunk)

10. Wie politisch ist die politische

Bildung?

Der dritte Leitsatz des Beutelsba-cher Konsenses lautet: Die Politi-sche Bildung qualifiziert den Ler-nenden dazu, eine politische Situa-tion auf seine eigene Interessenlagezu analysieren, sowie nach Mittelnund Wegen zu suchen, die vorge-fundene politische Lage im Sinneseiner Interessen zu beeinflussen.Kommen Politische Bildner anSchule und außerschulischen Bil-dungseinrichtungen diesem Bil-dungsauftrag in ausreichendemMaße nach? Bedarf die PolitischeBildung einer Politisierung? Wie

kann den ersten beiden Grundsät-zen von Beutelsbach – dem Indok-trinationsverbot und dem Kontro-versitätsgebot – vor dem Hinter-grund des dritten Grundsatzesentsprochen werden? Sollten Poli-tische Bildner die Lernenden dabeiunterstützen, in politische Aktion zukommen? Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer (Uni-versität Duisburg-Essen), Prof. Dr.Waltraud Meints-Stender (Hoch-schule Niederrhein), Prof. Dr. Rein-hold Hedtke (Universität Bielefeld),Prof. Dr. Sibylle Reinhardt (Mar-tin-Luther-Universität Halle-Wit-tenberg)

11. Globale Gerechtigkeit –

Post-Wachstumsökonomie

Auf dem Erdgipfel 1992 in Rio deJaneiro wurde Nachhaltigkeit alsnormatives, internationales Leit-prinzip der Staatengemeinschaftanerkannt und in der Agenda 21 alsGrundprinzip verankert. Einigkeitbesteht darin, dass sich eineweltwei te nachhaltige Entwicklungnur durch einen Mentalitätswandelin den Bevölkerungen erreichenlässt, wes halb die UN die Jahre2005 bis 2014 zur UN-Dekade Bil-dung für nachhaltige Entwicklungausgerufen hatte. Ist das eine rea-listische Vorstellung? Lassen sichauf diese Weise Konsumbedürf-nisse reduzie ren, oder widersprichtdas „Verzicht leis ten“ der Natur desMenschen, die eher nach immer -wäh rendem Wachs tum strebt? Wel-che Rolle spie len Bildungsmaß-

nahmen bei dem Versuch das Wohl-standsgefälle zwischen der Nord-und Südhalbkugel auszugleichen?Welche Ergebnisse hat die UN-De-kade erzielt? Michael Braungart (AcademicChair for Cradle to Cradle Inno-vaton & Quality, Rotterdam /School of Management (RSM), Uni-versity of Twente), Prof. Dr. Dr. h.c.Karl-Heinz Paqué (Otto-von-Gue-ricke-Universität Magdeburg; an-gefragt), Dr. Eugen Pissarskoi (In-stitut für ökologische Wirtschafts-forschung), N.N.

12. Neuere Entwicklung des

Kapitalismus (Krise des

Kapitalismus)

Das Auseinanderdriften der Ein-kommen in kapitalistischen Wirt-schaftsordnungen gilt als Triebfe-der gesellschaftlicher Instabilität.Zuletzt hat das Buch von ThomasPiketty die kritische Debatte überungleiche Vermögensverteilungenangeheizt. Auf der anderen Seitegibt es Meinungen, wonach die po-sitiven Wirkungen des Kapitalis-mus unterschätzt würden. Gehenalso Kapitalismus und DemokratieHand in Hand oder bedroht der Ka-pitalismus die Demokratie?“Jens Berger (Journalist und Autor;angefragt), Prof. Dr. Dr. GiacomoCorneo (FU Berlin), Dr. Friederi-ke Habermann (Wirtschaftswis-senschaftlerin, Historikerin und Po-litikwissenschaftlerin), Dr. RainerHank (FAZ; angefragt)

und Intersektionalität? Inwiefern sindindividuelle und strukturelle Dis-kriminierung miteinander verfloch-ten? Welche Rolle spielt die „Öko-nomisierung sozialer Beziehungen“,wie sie beispielsweise im Zusam-menhang mit der Gruppenbezoge-nen Menschen feind lich keit be-schrieben wird? Unter welchen Um-ständen sind Empowerment-Maß- nahmen zu empfehlen und wo sindGrenzen? Wel che Erfahrungen gibtes aus Empowerment-Trainings, diefür die Politische Bildung genutztwerden können? Prof. Dr. Stephan Bundschuh(Hoch schule Koblenz), Prof. Dr.Stefan Liebig (Universität Biele-feld), Christine Lüders (Leiterinder Antidiskriminierungsstelle desBundes), Prof. Dr. Anne Wald-schmidt (Universität zu Köln)

5. „Leistungskörper“ für die

Leistungsgesellschaft? Der

getunte Mensch

Neuro Enhancement beschreibt dasbewusste Eingreifen in den che-mischen Haushalt des Gehirns, mit

dem Ziel, eine konkrete Leis -tungssteigerung zu verursachen.Die philosophische Denkschule derTranshumanisten trachtet generelldanach, den menschlichen Körperdurch Wissenschaft und Technolo-gie zu verbessern. Ist der mensch-liche Körper also fundamental feh-lerhaft und sollte optimiert werden?Welche Folgen hat der Wille zumperfekten Menschen auf den Um-gang mit behinderten Menschen?Führt diese Entwicklung zu einerKörperklassengesellschaft, in deres zu einer Teilung unserer Ge-sellschaft in „normale Menschen“und „Menschen 2.0“ kommt? Stefan Greiner (Cyborgs e.V.), Prof.Dr. Isabella Heuser (Charité Ber-lin; angefragt), Dr. Wiebke Röge-ner-Schwarz (TU Dortmund), Prof.Stephan Schleim (Universität Gro-ningen, Niederlande)

6. Wandel der Arbeitswelt

Schon heute ist klar: Die durch dieneuen Informations- und Kommu-nikationstechnologien (insbesonde-re das Internet) eingeläutete „digi-

tale Revolution“ markiert den tief-greifendsten Wandel der Arbeits-welt seit der Industrialisierung. DieGesellschaft wird sich vor diesenHintergründen zahlreiche Fragenstellen müssen: Welchen Wert hatArbeit? Wie kann darauf reagiertwerden, dass viele Arbeitsplätze von„Geringqualifizierten“ überflüssigwerden? Kann das Menschenrechtauf Arbeit unter den neuen Bedin-gungen der digitalisierten Welt ei-ne Renaissance erfahren? Was kannPolitische Bildung tun, um den sichvollziehenden Wandel der Arbeits-welt kritisch zu begleiten? Tim Cole (deutsch-amerikanischerPublizist, Kolumnist und Autor),Sabria David (Slow Media Insti-tut), Prof. Dr. Klaus Dörre (Frie-drich Schiller Universität Jena),Dr. Constanze Kurz (Chaos Com-puter Club e.V.; angefragt)

7. Technologischer Fortschritt,

Datenmonopole und das

Internet der Dinge

Im beginnenden 21. Jahrhundert ver-laufen der technologische Fortschritt

und die Entwicklung des Internetsungeheuer rasant. Die gesellschaft-lichen Konsequenzen dieser „digi-talen Revolution“ liegen allerdingsweithin im Dunkeln. Wo führt eshin, wenn unsere täglichen Ent-scheidungen und Bedürfnisse in Al-gorithmen überführt werden und ei-nige wenige Internetkonzerne dabeiriesige Datenmonopole aufbauen?Welche Folgen hat das Informati-onsungleichgewicht zwischen ein-zelnem Bürger und den privaten undstaatlichern Datensammlern für dieDemokratie? Welche Chancen bie-tet die Digitalisierung für die de-mokratische Partizi pation, welchefür die Über - win dung von sozialenBenach tei ligungen? Dr. Christoph Kucklick (Autor von„Die granulare Gesellschaft“), Ev-geny Morozov (Publizist; ange-fragt), Rena Tangens (Digitalcou-rage e.V.), N.N.; Moderation: Prof.Dr. Christian Schicha (Media -design Hochschule Düsseldorf)

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Dresden/Berlin. In Politik und politi-scher Bildung gibt es zum Jahresbeginn2015 deutliche Auffassungsunterschiede,wie man mit den rechtspopulistischenWutbürgern umgehen soll, die sich hin-ter den Organisatoren von Pegida, Legi-da, Dügida etc. scharen. Als die eine Re-aktionsmöglichkeit erscheint es, den Mit-läufern, die angeblich ahnungslos hinterteilweise rechtsextremen Rattenfängernherlaufen, zuzuhören und moderativ denDialog mit ihnen zu suchen. Der sächsi-sche Ministerpräsident Stanislaw Tillichund der Vizekanzler Siegmar Gabriel ten-dieren wohl zu dieser Position. Sie neh-men an Dialogveranstaltungen auch mitPegida-Anhängern in Dresden teil undwollen die diffusen Aversionen gegen Po-litik und Politiker insgesamt ernst neh-men und die Protes tierenden auf dieseWeise für die inhaltliche Auseinander-setzung zurückgewinnen.

Und dann gibt es die anderen, die al-len Pegida-Anhängern eine Verletzungder Grundwerte der BundesrepublikDeutschland vorhalten, wenn sie frem-denfeindliche und entwürdigende Paro-len („Die Kameltreiber sollen in derWüs te bleiben.“, „Lügenpresse“) pro-pagieren. Zehntausende Anti-Pegida-De -monstranten sind dieser Auffassung undwohl auch Bundekanzlerin Angela Mer-kel, wenn sie in ihrer Neujahrsanspra-che von 31.12. sagt: „Heute rufen man-che montags wieder Wir sind das Volk.

Aber tatsächlich meinen sie: Ihr gehörtnicht dazu – wegen Eurer Hautfarbe oderEurer Religion. Deshalb sage ich allen,die auf solche Demonstrationen gehen:Folgen Sie denen nicht, die dazu aufru-fen! Denn zu oft sind Vorurteile, ist Käl-te, ja, sogar Hass in deren Herzen!“ Miteiner Gegen-Demonstran tin in Dresdenmöchte man in diesem Sinne Pegida vor-halten: „Wenn ihr das Volk wärt, dannwäre ich Flüchtling.“ Oder wie es derehemalige Vorsitzende des AuswärtigenAusschusses des Bundestages RuprechtPolenz (CDU) formuliert hat: „Pegidaernst nehmen, heißt Pegida bekämpfen.“

Beide Haltungen sind legitim. Dennsowohl den Wutschnaubenden die Wer-te und Prinzipien eines demokratischenund toleranten Gemeinwesens unerbitt-lich aufzeigen, als auch sich der kontro-versen Diskussion mit ihnen stellen,gehören zum notwendigen Repertoire po-litischer Aufklärung. Aber diese Kom-munikation mit den rechtspopulistischverführten Mitläufern muss immer kon-trovers angelegt sein. Dass der Direktorder Sächsischen Landeszentrale für poli-tische Bildung Klaus Richter am 19. Ja-nuar für den Pegida-Vorstand in seinenRäumen eine Pressekonferenz veranstal-tet hat, geht eindeutig über die Hand-lungsmöglichkeiten verantwortbarer po-litischer Bildung hinaus. Dem notorischenRechtradikalen Lutz Bachmann die Mi-krophone zu organisieren, hat nichts mitkritischem Dialog zu tun. Es ist Beihilfezur Volksverführung. Thomas Krüger, derPräsident der Bundeszentrale für politi-sche Bildung hat Recht, wenn er sagt:„Das überschreitet eine rote Linie“.

PEGIDA ist ja die Abkürzung für „Pa-triotische Europäer gegen die Islamisie-rung des Abendlandes“. Auf einem Pla-kat einer Anti-Pegida-Demonstration ir-gendwo in Deutschland stand dagegenhintersinnig: „Das B in Pegida steht fürBildung.“ Dieser Spruch verweist auf dasprekäre Verhältnis von Wutgefühlen undVerstandesbildung. Deshalb muss manauch untersuchen, ob bislang in sächsi-schen Schulen genug politische Bil-dungsarbeit geleistet wird. Die Professo-rin für Politikdidaktik an der Uni Dres-den Anja Besand meint: „PolitischeBil dung kommt in Sachsen jedoch zukurz.“ Und die Konrad Adenauer-Stif-tung stellte jüngst in einer Analyse vonStundentafeln fest, dass Sachsen im Län-dervergleich die unrühmliche Schlussla-terne hält. Politische Aufklärung und Bil-dung brauchen eben nicht nur Beharr-lichkeit, Standfestigkeit, Sachlichkeit,fachliche und pädagogische Qualität, son-dern politische Bildung braucht auch Zeitzum Lernen.

v. Olberg

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ZE

ITU

NG Kommentar:

Vom politischen Umgang mit PEGIDA als Bildungsaufgabe

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Projekt „Was postest Du? Politische Bildung mit jungenMuslimen online“

Berlin. Der Mord an Marwa El-Sherbi-ni im Juli 2009 in einem Dresdener Ge-richtssaal war ein einschneidendes Er-eignis für viele junge Muslime inDeutschland. Es dauerte mehrere Tage,bis überregionale TV- oder Printmedienausführlich über den Mordfall berichte-ten. Unter jungen Muslimen wurde derMord dagegen bereits wenige Stundennach der Tat intensiv diskutiert und aufmögliche Folgen für den Alltag von Mus-limen in Deutschland befragt.

Die Wahrnehmung, dass das Problemdes Rassismus in der deutschen Öffent-lichkeit kaum zur Kenntnis genommenwird, bestärkt bei vielen Jugendlichen dieSorge über eine zunehmend islamfeind-liche Stimmung in der Gesellschaft – waseinige dazu bewegt, sich auf eine musli-mische Identität zurückzuziehen. Im In-ternet instrumentalisieren salafistischePrediger entsprechende Erfahrungen undwerben damit um junge Leser.

Konzeptioneller Ansatz

Die Debatten unter jungen Muslimenüber den Mordfall in Dresden illustrie-ren die wachsende Bedeutung von On-line-Medien als Feld einer politischenBildungsarbeit, die unmittelbar an denLebenswelten junger Muslime anknüpftund aktuelle Themen aufgreift.

Projektmitarbeiter Götz Nordbruch er-läutert: „Das Pilotprojekt greift die Be-deutung von Sozialen Netzwerken, Web-foren und Content-Sharing-Plattformenfür die Meinungsbildung auf und über-trägt diese auf die politische Bildungsar-beit mit jungen Muslimen. Im Mittelpunktsteht die online geführte Auseinander-setzung mit den Interessen, Sorgen undOrientierungen von muslimisch soziali-sierten Jugendlichen in Deutschland. Diepädagogische Bildungsarbeit wird dabeiim Sinne eines Peer-Education-Ansatzesvon jungen muslimischen Teamern ge-leistet, die sich in sozialen Netzwerkenals Gesprächspartner in Diskussionen un-ter jungen Muslimen/Mi gran ten einbrin-gen und mit Informationen, Denkanstößenund Verweisen auf Hilfs angebote zu Wort

melden. Um eine inhaltlich kompetenteund methodisch effektive Arbeit durchdie jungen Teamer zu ermöglichen, wur-den die Teamer umfassend auf entspre-chende Dialoge und Auseinandersetzun-gen vorbereitet.“

Grundlage dieses Konzeptes sind dielangjährigen Erfahrungen, die der Ver-ein ufuq.de (ufuq bedeutet auf Arabischund Türkisch „Horizont“) und das De-partment Soziale Arbeit der Hochschu-le für Angewandte Wissenschaften Ham-burg in der politischen Bildungsarbeitmit jungen Muslimen und Migranten ge-sammelt haben.

Zielsetzung und Vorgehen

Ziel der Interventionen der Teamer ist es,Sachinformationen anzubieten, alterna-tive Perspektiven, Sichtweisen und Mei-nungen aufzuzeigen, Denkanstöße zu ge-ben und auf Anlaufstellen zu verweisen,bei denen Jugendliche konkrete Hilfenund Unterstützung erhalten können. Mög-lich sind hieran anschließend gezielte In-terventionen mit dem Ziel einer Deradi-kalisierung von Jugendlichen, die sichmit extremen Positionen zu Wort melden.

Die Wortmeldungen der Teamer er-folgen als persönliche Stellungnahmen,werden aber zugleich für die Jugendli-chen deutlich erkennbar als Aktivitätenim Rahmen der Projektarbeit kenntlichgemacht. Insofern geht es ausdrücklichnicht um eine anonyme Einflussnahmeauf Diskussionen unter Jugendlichen,sondern um ein transparentes Angebotder politischen Bildung.

Für die Arbeit, die wesentlich auf ei-ne Übertragung von sozialpädagogischenAnsätzen des Online-Streetwork in diepolitische Bildung mit jungen Muslimenabzielt, ist zunächst eine 2-jährige Lauf-zeit bis März 2016 geplant. Dabei wer-den zunächst acht Teamer geschult.

Angestrebt ist eine systematische Do-kumentation der Projektergebnisse, die ei-ne Nutzung der Erfahrungen auch durchandere Träger der Bildungsarbeit möglichmachen. Das Projekt wird von der Robert-Bosch-Stiftung gefördert. Der Verein „Ju-gendkultur, Medien & politische Bildungin der Einwanderungsgesellschaft“ ist imInternet erreichbar unter: http://ufuq.de/.

ufuq / vO

7polis 1/2015

Zeitung

Neue Professur für Didaktik derSozialwissenschaften an der Universität Münster

Münster. Die SozialwissenschaftlerinProf. Dr. Andrea Szukala übernimmt An-fang 2015 die im Institut für Soziologieder Westfälischen Wilhelms-UniversitätMünster (WWU) zusätzlich und auf Dau-er eingerichtete Hochschullehrerstelle fürdie Fachdidaktik Sozialwissenschaften.Ziel ist es, die praxis- und forschungs-nahe Lehrerausbildung in diesem Bereichdeutlich zu verstärken. Prof. Andrea Szu-kala vertrat das Fach bisher an der Uni-versität Siegen.

Andrea Szukala wird ihren Arbeits-schwerpunkt „Forschendes Lernen“ inMünster ausbauen So einigte sie sich mitdem Münsteraner Erziehungswissen-schaftler Prof. Wolfgang Sander, dass sieseinen in 25 Jahren aufgebauten und er-folgreich etablierten Arbeitsverbund „For-schen mit GrafStat“ übernehmen und fort-führen wird. Zum Themenfeld „Erinne-rungskultur – Flucht, Vertreibung undAnkommen in der Fremde“ sollen ge-meinsam mit der Bundeszentrale für po-litischer Bildung fachdidaktisch aufbe-reitete Unterrichtsprojekte entwickeltwerden, die Ereignisse, Erlebnisse undEinstellungen junger Menschen u.a. auchzu aktuellen Flüchtlingsschicksalen auf-arbeiten.

Pressestelle der Universität Münster

Prof. Dr. Andrea Szukala hat in Bonn, Paris und Köln studiert, als Studienrätinam Berufskolleg gearbeitet und zuletzt

Überzeugungen von jungen Politik-Lehrer/innen erforscht.

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Regierung in Frankreich setzt„Staatsbürgerkunde“ auf denLehrplan der Schulen

Paris. Die Terroranschläge vom Januarführen zu ersten Änderungen in Frank-reichs Schulsystem: In dem Land, wotraditionell Staat und Religion strikt ge-trennt werden, kommen nun die Welt-religionen auf den Lehrplan.

Wie Frankreichs Erziehungsministe-rin Najat Vallaud-Belkacem am 21. Ja-nuar in Paris sagte, gibt esvom nächsten SchuljahrStaatsbürgerkunde (en -seignement moral et civi-que) mit einer Wochen-stunde pro Jahrgangsstufe.Ziel des von der erstenGrundschulklasse bis zumletzten Gymnasialjahr ge-lehrten Prüfungsfachs sol-len Frankreichs weltlichesStaatsverständnis und dasgleichberechtigte Neben-einander der zur Privat -sphäre gehörenden Reli-gionen sein.

Staatschef FrançoisHollande hatte am Vortagbereits die Richtung gewie-sen: „Dass die Religionenan der weltlich ausgerichteten Schule kei-nen Platz haben, heißt nicht, dass dieSchüler keinen weltlich ausgerichtetenUnterricht über religiöse Fakten habensollen.“ Und natürlich geht es auch dar-um, nach den Terroranschlägen den Ein-fluss islamistischer Fanatiker einzudäm-men, die mit Verweis auf die Religion zurGewalt aufrufen.

Hintergrund ist, was der frühere Er-ziehungsminister Luc Ferry „die Fakten“genannt hat: Zu ihnen zählt er, dassSchüler in von hohem Einwanderungs-anteil geprägten Vorstädten des Landeszu Dutzenden den Unterricht verließen,als der Lehrer zu einer Schweigeminutefür die Opfer der Anschläge aufrief, oderdass in sozialen Netzwerken der die Na-tion einende Slogan „Ich bin Charlie“ inder Variante „Ich bin Kouachi“ zu einerHuldigung an die Terroristen Chérif undSaid Kouachi verkommen ist. 200 sol-cher Vorkommnisse haben die französi-schen Behörden gezählt. Für PhilippeTournier, den Generalsekretär des Ver-bands der Schulleiter, geht es darum, zu

verhindern, dass sich „ein Teil der Jugendvom französischen Staat lossagt“.

Die Stimmung ist so aufgeheizt, dasses auch zu Auseinandersetzungen zwi-schen Schülern kommt. „Le Figaro“schreibt, dass eine Gruppe von Jugendli-chen von einer Berufsschule in Senlis aufSchüler des benachbarten Gymnasiumsmit dem Kampfschrei „Wir legen nochmehr Charlie Hebdos um“ zustürmte unddiese zu verprügeln versuchte. „Mit einpaar Unterrichtsstunden mehr in Staats-

bürgerkunde wird diesen Zwischenfällennicht beizukommen sein“, sagte der frühe-re Bildungsminister Jack Lang.

Nach den Worten von Najat Vallaud-Belkacem sollen „bis Juli die ersten 1000Fachkräfte eine zweitägige Fortbildungzum Thema Weltlichkeit, Moral und Bür-gersinn“ absolvieren. Neben „religiösenFakten“ soll auch der kritische Umgangmit den Medien auf dem Lehrplan ste-hen. Ziel ist es, die Kritikfähigkeit desSchülers zu schärfen und nicht alles, wasihm zumal im Internet zu Glaubensfra-gen geboten wird, für bare Münze zu neh-men.

Die aktuelle Erziehungsministerin gehtdavon aus, dass sich die einmal wöchent-lich erteilte Staatsbürgerkunde im Laufeines Schülerlebens auf rund 300 Unter-richtsstunden addiert. Jährlicher Höhe-punkt soll der 9. Dezember sein, der Jah-restag des 1905 in Kraft getretenen Ge-setzes zur Trennung von Staat und Kirche.„Tag der Weltlichkeit“ soll er künftigheißen.

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Berliner und BrandenburgerSchüler/innen bekommen neueUnterrichtsfächer

Berlin. Kinder und Jugendliche in denbeiden Bundesländern Berlin und Bran-denburg müssen sich auf Änderungeneinstellen – und haben bald neue Schul-fächer. Vom Schuljahr 2016/17 an sol-len die Schüler nach einem neuen erst-mals in beiden Bundesländern gelten-den Rahmenlehrplan unterrichtet werden,dessen Entwurf Ende November von denBildungsministerien beider Länder ver-öffentlicht wurde. Die Kinder bekom-men auch ein neues Schulfach: In denJahrgangsstufen 5/6 wird aus Geschich-te, Geografie und Politische Bildungkünftig Gesellschaftswissenschaften.

Zu den wichtigen Neuerungen gehört,dass Sprach- und Medienbildung in je-dem Unterrichtsfach stattfinden. Fä cher -übergreifend sind zwölf Themenfelderfestgelegt, die alle Pädagogen in ihrenFachunterricht einbeziehen sollen. Da-zu gehören etwa Demokratieerziehung,Europabildung, Berufs- und Studienori-entierung, interkulturelle Bildung oderVerbraucherbildung.

Die Berliner Morgenpost berichtet,dass der Rahmenlehrplan erstmals fürdie Klassenstufen eins bis zehn sowiefür Kinder mit dem FörderschwerpunktLernen gilt. Das soll sicherstellen, dassalle Schüler auf einer gemeinsamenGrundlage lernen und noch individuel-ler gefördert werden können. Berlins Bil-dungssenatorin Sandra Scheeres (SPD)spricht von einem Plan, der Dopplungenvon Themen verhindern und so zur „Ent-schlackung“ der Curricula beitragen soll.

Zwei Jahre lang haben 140 Fachleu-te, an dem neuen Rahmenplan gearbei-tet. Seit Ende November ist er auch imInternet einsehbar (www.bildungsser-ver.berlin-brandenburg.de/anhoerungs-portal.html). Hier findet man die Ent-wurfsfassungen der Lehrpläne, gutachter -li che Stellungnahmen und die Mög lich-keit zur Teilnahme an einer online-Be-fragung. Bis 27. März kann jeder seineMeinung äußern. Siehe auch die Stel-lungnahme des DVPB-Landesverban-des Brandenburg zum Rahmenplan Po-litische Bildung in diesem POLIS-Heftunter der Rubrik DVPB-aktuell.

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Zeitung

Frankreichs 37jährige Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem, selbst Einwandererkind aus Marokko,

verkündet, dass über 250 Millionen Euro in mehr Ethik-unterricht und Staatsbürgerkunde investiert werden.

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Der 1. Weltkrieg begann, als die Dyna-mik europäischer Konflikte die Resteder Instrumente friedlichen Konflikt -managements hinwegfegte, die fast 100Jahre zuvor das Europäische Konzert in-stalliert hatte. Der heutige Forschungs-stand hat die Deutung Fritz Fischers undseiner Schule (Fischer 1977) – Haupt-schuld des Deutschen Reiches – hinter-fragt und durch eine ausgewogenere Er-klärung ersetzt (Williamson 1914). Heu-te, da das Gespenst der Großmachtkon-flikte wieder auftaucht, drängt sich dieFrage auf: Könnte „1914“ wieder ge-schehen?

1914: Mächte, Interessen, Grauzonen

Großbritannien, Österreich-Ungarn undDeutschland waren 1914 in der euro -

päischen Arena territorial zufriedenge-stellt, während Frankreich (Elsass-Lo-thringen), Russland (Bosporus und Darda-nellen) und Serbien (Bosnien-Herzego-wina und Voivodina) Ambitionen hegten.Freilich hatte Deutschland revisionisti-sche Wünsche in Afrika, wollte als Welt-macht mit Großbritannien gleichziehen.Österreich glaubte, zur Wahrung seinesStatus Serbien zurechtstutzen zu müssen.Deutsche Weltmachtträume schlugen sichin der Flottenrüstung nieder, die zum Rüs -tungswettlauf mit den Briten führte. Die-sen Wettlauf hatte Deutschland noch vorKriegsbeginn verloren, aber Berlin hat-te Großbritannien in eine Entente mitRussland und Frankreich getrieben. Da-zu trug bei, dass London das Verhältnismit Russland entspannen wollte, das fürdas britische Empire die größte Bedro-hung darstellte. Damit konnte Groß -britannien seine Rolle als Zünglein an derWaage der kontinentalen Machtbalancenicht spielen. Deutschlands Angewie-sensein auf den einzigen BündnispartnerÖsterreich verleitete Berlin zur bedin-gungslosen Unterstützung Wiens auf demBalkan (Rasler/Rhompson 2014; Clark2013: Kap 3, 5).

Die kleinen Balkanstaaten warenschwach im Vergleich zu den Großmäch-ten. Und auch die stärkste Großmachtauf dem Balkan, Österreich-Ungarn, warihren Konkurrenten unterlegen. Diesedoppelte Schwäche konstituierte eine re-gionale Grauzone – die Zugehörigkei-ten waren nicht klar, Allianzbeziehun-gen wechselten. Dadurch bestanden An-reize für harte Machtrivalität.

Feindbilder und Ängste

Die Regierungen misstrauten Partnernund Rivalen. Wien hatte Angst, Berlinkönne desertieren. Deutschland undÖsterreich waren überzeugt, dass Russ -land die Doppelmonarchie als Groß-macht beseitigen wollte. Deutschlandfürchtete die französischen Absichten

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Hundert Jahre später: Gibt es ein Weltkriegsrisiko?

von Harald Müller

Harald Müller ist Professor für Internationale Beziehungen an derGoethe-Universität Frankfurt a.M. sowiegeschäftsführendes Vorstandsmitgliedder Hessischen Stiftung Friedens- undKonfliktforschung (HSFK).

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Fachbeitrag

längerte die Wehrpflicht von zwei aufdrei Jahre. Deutschland erhöhte dieKampfstärke seiner Feldartillerie. Russ -land erhielt französische Kredite für ho-he Investitionen in seine kriegswichti-gen Eisenbahnlinien. Großbritannienverstärkte die Truppen für sein konti-nentales Engagement. Österreich ver-suchte, Schritt mit dem Wachstum derserbischen, montenegrinischen undrumänischen Streitkräfte zu halten, dievon französischen Krediten und Waf-fenlieferungen profitierten. Und derWettlauf zur See setzte sich fort (Ste-venson 1996).

Am kritischsten war die Steigerungdes Mobilisierungstempos. Dieser Schrittspiegelte und steigerte zugleich die Furcht,die entscheidenden Stunden zu spät zukommen. Diese Ängste und die Pläne fürdie Mobilisierung und den Aufmarschsperrten die Akteure in die Zwangsjackeirreversibler Aktionen. Entscheidend wardann der völlige Mangel an Flexibilitätim Schlieffen-Plan: Mit dem Beginn derdeutschen Mobilisierung war der Kriegbesiegelt (Lebow 2008: 355-9).

Die Lage heute: Asien und Europa

Mächte, Interessen

Heute bahnt sich eine Vierer-Konstella-tion an: USA, China, Russland und Indi-en. Die EU hat das materielle Potentialfür Augenhöhe, ihre konföderale Verfas-sung macht es indes unmöglich, das Po-tential zu realisieren. Die vier Mächte sindin einer Wechselbeziehung von Rivalitätund Partnerschaft, Konflikt und Koope-ration verbunden. Sie kulminiert in Asi-en, während Europa einen Nebenschau-platz darstellt, in dem die amerikanisch-russische Gegnerschaft dominiert.

Die USA werden ihre hegemonialePosition noch behalten. Ihre politischeElite ist am Status Quo orientiert, aberauch Hegemone, die um jeden Preis ih-re Führungsstellung erhalten wollen,können revisionistisch agieren, wie derVersuch der Bush-Administration zeigt,den Mittleren Osten gewaltsam umzu-krempeln.

China ist für die USA die größte Her-ausforderung. Das Wirtschaftswachs-tum hat den kommunistischen Erben des

auf Elsass-Lothringen und die britischeEntschlossenheit, Berlins weltpolitischenAufstieg zu vereiteln. London glaubte,Deutschland wolle Europa seinen Wil-len aufzwingen, während Frankreichdeutsche Vernichtungswünsche gegendie Grande Nation vermutete. Alle Ak-teure schrieben den anderen die schlech-testen Absichten zu. Als die Sarajevo-Morde die europäischen Spannungenauf die Spitze getrieben hatten, wirktedas wechselseitige Misstrauen als Es-kalationstreiber.

Militärstrategien, Präemptionsreize

Das europäische Militär glaubte an dieÜberlegenheit der Offensive. Sie ver-sprach den frühen Sieg und das Ver-meiden eines Dauerkriegs, war gut fürden Kampfgeist und die Einheit der Na-tion und entsprach der herrschenden so-zialdarwinistischen Ideologie. Deutsch-land hielt am Schlieffen-Plan fest, ei-nem Umgehungsmarsch um dieVer teidigungspositionen Frankreichsherum bis zur Vernichtung der franzö-sischen Armee im Pariser Kessel. Dazuwar die Verletzung der luxemburgischenund belgischen Neutralität nötig mit demRisiko, den britischen Kriegseintritt zuprovozieren. Frankreich plante die to-tale Attacke in Lothringen und im El-sass, und Russland hatte Frankreich ei-ne frühe Offensive versprochen, umdeutsche Kräfte zu binden. Österreichhatte den russischen Angriff währendseines eigenen gegen Serbien zu ge-wärtigen. Die britischen „Expeditions-kräfte“ würden die französische Offen-sive unterstützen. Diese strategische Ori-entierung schuf Anreize für einenErstschlag. Die Initiative dem Feind zuüberlassen konnte die Niederlage be-deuten. Deshalb war frühe Mobilisie-rung nötig, und einmal in Angriff ge-nommen ließ sich der Prozess nicht mehrstoppen (Van Evera 1991).

Rüstungswettläufe

Militarisierte Krisen in den Vorkriegs-jahren (Marokko, Bosnien, Libyen, Bal-kankriege) motivierten stärkere Rüs -tungsanstrengungen. Frankreich ver-

„Reichs der Mitte“ neues Selbstbewusst -sein verliehen. Es vermischt sich mitdem Wunsch nach Anerkennung, der ausalten Minderwertigkeitskomplexen re-sultiert: Das „Jahrhundert der Demüti-gung“ bleibt im kollektiven Gedächtnisvirulent und wird von der Frustrationüber „amerikanische Arroganz“ wachgehalten (Yunzhu 2010). ChinesischeTerritorialansprüche gegen sieben Nach-barn und Taiwan sorgen zudem für re-gionale Spannungen.

Russland grenzt an viele Konfliktzo-nen der Welt. Das Kernwaffenarsenal unddie Energieressourcen machen Russ landzu einem weltpolitischen Faktor. Russ -lands Elite sieht Amerika als Gegner, undder Traum von Weltmachtgröße verführtzu revisionistischen Schachzügen wie inMoldavien, Georgien und der Ukraine.

Das schwächste Quartettmitglied istdas defensiv orientierte Indien. Neu Del-hi unterhält gute Beziehungen zu Russ -land und den USA, rivalisiert aber mitChina. Indien genügt sein territorialerStatus Quo. Aber seine Elite strebt nacheiner größeren weltpolitischen Rolle.

Kleinere Akteure können, wie 1914Serbien, die Großmachtkonflikte ver-schärfen. Japan behauptet seinen Besitzder Senkaku-Inseln gegen China undstrebt mit wachsendem Nationalismusnach einer stärkeren militärischen Rolle.Pakistan wirkt negativ auf die indisch-chinesischen Beziehungen. Seine innereInstabilität und nukleare Bewaffnung tra-gen Unberechenbarkeit in die weitere Re-gion, ebenso wie die ungewisse Zukunftund periodische Aggressivität des Kern-waffenbesitzers Nordkorea. Selbst dasdemokratische und wirtschaftlich erfol-greiche Taiwan hat das Zündholz an derLunte: Eine Unabhängigkeitserklärungkönnte einen militärischen Konflikt zwi-schen China und den USA auslösen. DieWeltführungsrivalen China und die USAhaben keine territorialen Konflikte, den-noch ist ihre Beziehung risikoreich: DieUSA sind Schutzmacht für die Adressa-ten chinesischer Gebietsansprüche (Foot/Walter 2011; Elleman/Kotkin/ Schofield2012).

Territoriale Dispute im Karakorumund im Himalaya trennen China und In-dien. In jahrelangen Verhandlungenkonnte Indien seinen Vorschlag, es beimStatus Quo zu belassen, nicht durchset-zen. Indiens Gastfreundschaft für den

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Fachbeitrag

Dalai Lama und Chinas Freundschaftmit Pakistan beeinträchtigen die prekä-re Beziehung (Gilby/Heinbotham 2012).

Die russisch-amerikanische Bezie-hung spielt in Ostasien keine Rolle. MitChina unterhält Russland eine „strate-gische Partnerschaft“, um die amerika-nische Hegemonie zu konterkarieren.Aber auch dieses Duo ist nicht harmo-nisch: traditionelles Misstrauen und rus-sische Besorgnisse über die chinesischeMigration nach Ostsibirien verhindernjede Herzlichkeit.

Rüstungswettläufe, Strategien,Präemptionsreize

Die amerikanische Überlegenheitsdok-trin und die russischen und chinesischenWünsche nach der Fähigkeit zur weiträu-migen Machtprojektion treiben die all-seitigen Rüstungsanstrengungen. DasStreben nach starker Präsenz auf hoherSee heizt die Dynamik an.

Die beunruhigendste Rüstungsdyna-mik verbindet US-Maßnahmen zumSchutz Taiwans mit chinesischen An-strengungen, die Fähigkeit zur Erobe-rung der Insel zu entwickeln. Dazu mussChina die US-Präsenz in der Straße vonTaiwan verhindern, die USA müssen die-se Präsenz erzwingen können. China be-sorgt sich Kampfmittel (Anti-Satelliten-Waffen, Methoden des Cyberangriffsund Mittelstreckenraketen), um ameri-kanische Luftwaffenstützpunkte in Ja-pan und anrückende US-Flugzeugträgervor ihrem Eintreffen in taiwanesischenGewässern anzugreifen. Die USA er-werben Fähigkeiten gegen Waffenstel-lungen in China bis tief ins chinesischeTerritorium. Die jeweiligen Waffensys -teme versprechen nur Erfolg, wenn siein einem Erstschlag eingesetzt werden.Zwei miteinander verknüpfte Strate gienmit präemptiven Anreizen unterminie-ren die strategische Stabilität und erin-nern fatal an 1914 (Goldstein 2013).

Der militärische Wettbewerb zwi-schen China und Indien findet zu Lan-de und zur See statt. Die Inder be-schweren sich über die Verstärkung chi-nesischer Grenztruppen und reagierenmit eigenen Verstärkungen. Der Bau dertranstibetischen Eisenbahn in China ge-mahnt an den Eisenbahnwettlauf vor1914. Die Seestreitkräfte beider Seitenwachsen Jahr für Jahr. Indien versucht,

die chinesische „Perlenkette“ maritimerStützpunkte in Birma, Sri Lanka und Pa-kistan durch einen Großstützpunkt aufder Inselgruppe der Andamanen zu kon-tern, von wo aus sich der chinesischeZugang zum Ozean durch die Straße vonMalakka sperren ließe. Indien baut außer-dem die Zusammenarbeit seiner Mari-ne mit Ländern der ASEAN und mit Ja-pan, Australien und den USA aus (Nir-mala Devi/Subramanyam Raju 2012).

Ideologien

Vor dem 1. Weltkrieg hingen die Elitenaller Großmächte dem Sozialdarwinis-mus an. Heute gibt es keine einheitlicheund doch spaltende Ideologie, dafür prägtdie Aversion des Westens – v.a. der USA– gegen die nichtdemokratischen Herr-schaftssysteme Chinas und Russlandsdie wechselseitige Wahrnehmung. DieAlliierten der USA teilen deren Präfe-renzen, schreiben aber den Nichtdemo-kratien nicht in gleichem Maße Aggres-sivität zu (Geis/Müller/Schörnig 2013).Russland und China weisen zurück, wassie als Einmischung in ihre Innenpolitikansehen. Ihre ideologischen Positionensind eher defensiv (obwohl Russland be-

ginnt, mit europäischen Rechtsextremenzu kooperieren).

Die europäischen Querelen

Angestoßen durch die NATO-Erweite-rung, haben sich die amerikanisch-rus-sischen Beziehungen – damit auch dierussisch-westeuropäischen –von einerSicherheitskooperation zu einer wach-senden geostrategischen Konkurrenzzwischen einem starken Amerika und ei-nem schwachen, seine vermeintlichenInteressen erbittert vertretenden Russ -land entwickelt. Osteuropa, der Kauka-sus und Zentralasien sind Felder dieserRivalität. Russland sucht die An -ziehungs kraft des Westens durch wirt -schaftliche Pressionen und militärischenZwang zu parieren. Sein „hybriderKrieg“ kombiniert psychologische Mit-tel, Cyberattacken, ökonomischen Druck,Einflussagenten und verdeckte militäri-sche Aktionen durch Geheimdienstper-sonal und Spezialkräfte.

Demgegenüber hält die NATO de-monstrativ an einer defensiven Strate-gie fest, die auf die Sicherung der ost-europäischen Bündnispartner mit be-grenzten Mitteln abzielt. Sie wird aber

Das Beinhaus von Douaumont (franz. Ossuaire de Douaumont) ist eine französische nationale Grabstätte für die Gebeine der Gefallenen, die nach der Schlacht um Verdun(Februar bis Dezember 1916) nicht identifiziert werden konnten. Das Beinhaus befindetsich auf dem Gebiet der ehemaligen Ortschaft Fleury-devant-Douaumont. In ihm werden die Gebeine von über 130.000 nicht identifizierten französischen und deutschen Soldaten aufbewahrt. Vor dem Beinhaus ist ein Friedhof mit mehr als 16.000 Gräbern französischer Soldaten.

Foto: A_Lein/fotolia.de

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Fachbeitrag

von der US-Strategie ergänzt, die überweit überlegene konventionelle Kampf-mittel verfügt und von Russland als be-drohlich qualifiziert wird.

2015 ist nicht 1914, aber …

Unverkennbar gibt es Ähnlichkeiten zwi-schen der Lage von 1914 und 2015. Wirfinden heute ebenso revisionistischeMächte wie 1914, deren Revisionismusallerdings, verglichen mit der Zeit vordem 1. Weltkrieg, gedämpft erscheint.Vor allem die maritimen Streitigkeitenschaffen „Grauzonen“ undefinierter, weilumstrittener Zugehörigkeit und reizenzu konfliktverschärfenden Zugriffen, dieGegenwehr provozieren.

Die Rüstungsdynamik hat wieder be-gonnen – v.a. zwischen dem Hegemonund der größten aufstrebenden Macht.Offensive und präemptive militärischePläne spielen ihre Rolle. Die Konfron-tation zwischen demokratischen undnichtdemokratischen Mächten verstärktFeindbilder und erschwert Verständi-gung. Freilich ist die Welt (noch?) nichtin zwei antagonistische Blöcke gespal-ten, wir haben es mit mehreren bilate-ralen Konflikten zu tun, die aufeinandereinwirken. Alle bilateralen BeziehungenChinas mit anderen Mächten sind kon-flikthaltig. Das Pulverfass von 2015 magbesser abgedeckt erscheinen, aber esbleibt ein Pulverfass.

In Ostasien kann eine Konfrontationder chinesischen und japanischen Mari-ne, in der Taiwanstraße die Unabhän-gigkeitserklärung durch Nationalisten inTaipeh, in Südostasien können anhal-tende Scharmützel zwischen den Chi-nesen und philippinischen Streitkräftendie amerikanische Schutzmacht auf denPlan rufen und zum direkten Konfliktzwischen China und den USA führen.Jede Konfrontation wird zu höchstenAlarmstufen für die Streitkräfte derganzen Region führen. Damit entstehenneue Risiken für Fehlwahrnehmungenund Eskalationen, die auch den indischen

Subkontinent in den Strudel ziehen kön-nen.

Im Vergleich dazu erscheinen die eu-ropäischen Verhältnisse beherrschbar.Hier steht ein reiches institutionelles In-strumentarium zur Krisenbewältigungzur Verfügung, namentlich im Rahmender Organisation für Sicherheit und Zu-sammenarbeit in Europa. Dass diese In-strumente brachliegen, weckt unange-nehme Erinnerungen an 1914, als dieMächte im entscheidenden Augenblickdas diplomatische Werkzeug des „Eu-ropäischen Konzerts“ links liegen ließen– mit bekannten Folgen. Dennoch hilftdie Erfahrung im Umgang mit den Kri-sen des Kalten Krieges im europäischenTheater auch noch in der Gegenwart.Schließlich sind ein gewaltiger Unter-schied zu 1914 ebenso wie zu den ein-zelnen Konfliktherden Asiens die äußerstungleichen Machtverhältnisse in Euro-pa: Russland hat gegen die Allianz desWes tens keine Chance und wird seinerRisikopolitik daher selbst Grenzen zie-hen. Europäische Zögerlichkeit blockiertallzu nassforsche amerikanische Ideen.

Die europäischen Konfliktfronten unddie asiatischen Krisenherde sind nichtin einem einzigen Komplex verbundenwie die europäischen Konflikte von1914. Das Überspringen des Funkensvon einer Ecke der Welt zur anderen er-scheint unplausibel. Das einzige Pro-blem dabei ist der nukleare Faktor. Manmuss sich vor der Illusion hüten, nu-kleare Abschreckung unterscheide un-sere Welt von Grund auf von der desfrühen 20. Jahrhunderts. Kernwaffen mö-gen den Führungen zur Vorsicht raten,in einer ernsten Krise aber werden sieselbst zum Risikofaktor einer unvor-stellbaren Eskalation. Die „großen Vier“(plus Pakistan) liegen bereits in einemnuklearen Rüstungswettlauf gegenein-ander (Cimbala 2011). Wenn aber dernukleare Funke in einer schweren Kri-se zündet, wird jeder regionale Konfliktglobal (Ganuly/Thompson 2011).

Literatur

Cimbala, S.J.: Arms for uncertainty: Nucle-ar weapons in US and Russian securitypolicy, Farnham 2013.

Clark, C.: Die Schlafwandler. Wie Europain den Ersten Weltkrieg zog, München2013.

Elleman, B.A./Kotkin, S./Schofield, C.H.(Hg.): Beijing’s power and China’s bor-ders: Twenty neighbors in Asia, Armonk, New York 2012.

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Fischer, F.: Griff nach der Weltmacht: dieKriegszielpolitik des kaiserlichenDeutschland 1914-1918, Kronberg/Taunus 1977.

Foot, R./Walter, A.: China, the United Sta-tes, and global order, Cambridge 2011.

Ganguly, S./Thompson, W.R.: Asian rival-ries: Conflict, escalation, and limitati-ons on two-level games, Stanford, CA2011.

Geis, A./Müller, H./Schörnig, N.:‘Liberaldemocracies as militant ‘forces for thegood’: a comparative perspective’. In:Geis, A./Müller, H./Schörnig, N. (Hg.):The militant face of democracy: Libe-ral forces for good, Cambridge 2013,S. 307-344.

Gilboy, G.J./Heginbotham, E.: Chinese andIndian Strategic Behavior. Growing Power and Alarm, Cambridge 2012.

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Lebow, R.N.: A Cultural Theory of Inter-national Relations, Cambridge 2008.

Nirmala Devi, T./Subramanyam Raju, A.:India and Southeast Asia: Strategicconvergence in the twenty-first century, New Delhi 2012.

Rasler, K./Thompson, W.R: ‘Strategic rival-ries and complex causality in 1914’. In:Levy, J.S./Vasquez, J.A./Clark, C.: DieSchlafwandler, München 2013, Kap. 3, 5.

Stevenson, D.: Armaments and the coming of war: Europe, 1904-1914,Oxford 1996.

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Yunzhu, Y.: ‘China’s Perspective on Nucle-ar Deterrence’, Air and Space PowerJournal 24/1, 2010.

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Nachdenken über Sicherheit in Zeiten des Unfriedens

Frieden ist ein hohes gesellschaftlichesGut, das deshalb dem Individuumpädagogisch näher gebracht werden soll-te, auch und gerade angesichts einer un-friedlichen Welt. Sicherheit wird dem-gegenüber häufig in einer negativen Kon-notation in ein Spannungsverhältnis zumFrieden gestellt, zumindest gilt das Stre-ben nach Sicherheit als eigennützig unddamit konfliktfördernd.

Dabei ist Sicherheit ein Wert, der imGegensatz zum Frieden nicht absolut ge-setzt werden kann, sondern immer in Re-lation zur Sicherheit anderer Indivi duen,Gruppen oder Gemeinschaften gestelltwerden muss, d.h. stets aus zu handeln istund damit Kompromis se erfordert.

Aktuell steht diese Thematik im Zu-sammenhang mit einer ethisch und po-

litisch geführten Debatte um die Ver-antwortung für Menschen, die unter derZerstörungs- und Vertreibungspolitik ter-roristischer Organisationen mit einemradikalen Politikverständnis leiden. Einfriedfertiges Denken und Handeln ist indiesem komplexen Konflikt kaum er-kennbar, denn die real vor Ort spürbareGewalt wird uns alltäglich medial nähergebracht. Gleichzeitig sehen wir „vorunserer Haustür“ die Folgen dieser Gräu-el, wenn Flüchtlinge und Verfolgte ausSyrien und dem Irak von uns Schutz undHilfe erhoffen.

Damit ist die politische Bildung an-gesprochen, denn sie ist der pädagogi-sche Bereich, in dem dieses Thema be-handelt und diskutiert werden kann so-wie ggf. zum konkreten Handeln anregt.

Grundzüge einer (politischen) Sicherheitspädagogik

Sicherheit wird in sozialwissenschaftli-chen Studien als eine „neue Leit-währung“ der Gesellschaft beschrieben(Daase et. al. 2012, S.7). Der Begriff er-fährt einen Bedeutungszuwachs und stehtim Zusammenhang mit unterschiedli-chen Lebenssachverhalten. Zumindestist Sicherheit ein öffentliches Thema undein gesellschaftliches Phänomen. Für diefolgende Analyse sind die begriffsana-lytischen Ebenen von Sicherheit, ihrethematischen Bezüge und der Diskurszur Erzielung einer „gerechten“, zu-mindest fairen Sicherheit(sordnung) zuunterscheiden.

Was ist Sicherheit?

Der Sicherheitsbegriff ist sehr viel-schichtig und komplex, so dass darinMissverständnisse vorprogrammiert sind.Sicherheit kann allgemein als das „Ge-gebensein von Werten in der Zukunft“,genauer als die „Gewissheit der Verläss -lichkeit des Schutzes oder der Gefahr-

losigkeit und den daraus resultierendenZustand der Sorglosigkeit“ (Kaufmann1973, S. 340, 344) verstanden werden.Im gesellschaftspolitischen Bezug gehtes um „Security“, also der Sicherheit,die aufgrund menschlicher Einflussfak-toren hergestellt oder gefährdet ist (Bonß2011, S. 44). Im philosophischen Kon-text findet sich mit „Certainty“ eine wei-tere Begriffsbedeutung, die die kogniti-ve Seite im Sinne einer Erkenntnis bezogenen Gewissheit aufgreift. Ent -sprechend dieser beiden Explikationensind auch die gesellschaftlichen und in-dividuellen Ansprüche sehr heterogen.

Im gesellschaftlichen Diskurs hat sichder Sicherheitsbegriff gewandelt, ver-schoben und inhaltlich ausgedehnt. Heu-te wird eine breite Palette an globalenund gesellschaftlichen Risiken diagno-stiziert. Diese reichen von Umweltge-fahren, Klimawandel, Finanzkrisen, IT-Angriffen, Armut, Hungerkatastrophen,Epidemien bis zu Terrorismus und Krieg.Sicherheit ist demnach eine Antwort aufdie charakteristischen Problemlagen derModerne (Kaufmann 2003, S. 74).

Die Multidimensionalität von Si-cherheit stellt sie als Wertsystem nebenanderen Werten wie Frieden, Freiheit,Gerechtigkeit, Wohlstand oder Nach-haltigkeit. Als gesellschaftliches Kon-strukt bringt sie unterschiedliche sozio-kulturelle Deutungen hervor. Damit va-riieren auch die historisch und kulturellvorgeprägten Sicherheitsgefühle und –wahrnehmungen. Durch diese Brille be-trachtet wird die Realität in unter-schiedlicher Weise konstruiert und weistdarauf hin, dass Sicherheit in und zwi-schen Gesellschaften ungleichmäßig ver-teilt ist. Für die Wahrnehmung von Si-cherheit und Unsicherheit, die Einschät -zung von Bedrohungen und Ge fahrenbei bestimmtem Handeln und die Zu-stimmung oder Ablehnung technischerInnovationen sind in erster Linie politi-sche und ökonomische Interessen, durchMedien angeregte öffentliche Debatten,das Vertrauen in Entscheidungsträgern

13

Sicherheit in der politischen Bildung

von Hans-Joachim Reeb

Dr. Hans-Joachim Reeb ist Lehrbeauf -tragter an der Helmut-Schmidt- Universität Hamburg und Mitglied imLandesvorstand der DVPB Niedersachsen

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Fachbeitrag

trachten und damit eine Versicherheit-lichung der Debatte auszulösen. Ver-kannt wird dabei, dass verschiedene Fa-cetten des Begriffs durchaus positiv be-setzt sind (z.B. soziale Sicherheit), d.h.der Sicherheitsbegriff letztendlich we-gen dieser Ambivalenz neutral zu dis-kutieren wäre.

Im engen Zusammenhang damit ste-hen die Streitthemen, die den Wert Si-cherheit im Spannungsfeld zu anderenWerten stellen. Prominente Beispielesind das Begriffspaar „Sicherheit undFrieden“ und der konstruierte Gegen-satz von „Sicherheit und Freiheit“. Wei-tere Spannungsfelder ließen sich in di-daktischer Absicht aufzeigen (Reeb2012).

Schließlich ergeben sich anregendeDebatten aus der Tatsache, dass Sicher-heit nicht absolut gesetzt werden kann,sondern immer in Relation steht, sowohlfür die gleiche Form von Sicherheit imVerhältnis der Akteure zueinander (derKlassiker: Sicherheitspolitik im Ost-West-Konflikt) als auch für verschiede-ne Formen von Sicherheit gegeneinan-der (z.B. mehr Sicherheit vor Atomkraftvs. Energieversorgungssicherheit vs. Si-cherheit vor Klimawandel).

Zur politischen Bildungsrelevanzvon Sicherheit

Aus der politischen Relevanz und Kon-troversität leiten sich schlüssig eine Bil-dungsrelevanz für den Politikunterrichtoder das politische Seminar ab.

Die oftmals emotional geführten De-batten um die richtige Sicherheit bzw.die Notwendigkeit von Sicherheits-maßnahmen überhaupt werden in derpolitischen Bildung auf rationaler Wei-se aufgegriffen. SchülerInnen und Bür-gerInnen, aber auch Sicherheitsexper-ten müssen sich auf der Grundlage um-fassender und objektiver Informationeneine eigene Meinung bilden können. Dieim staatlichen Raum zuweilen er-wünschte Erwartung, Sicherheitsmaß-nahmen müssten lediglich begründetwerden, um sie dann gesellschaftlich zuakzeptieren, greift demgegenüber zukurz.

Regelmäßig stehen die Sicherheits-themen in einem konkreten Interesse,sind im alltäglichen Nahbereich er-

sowie gesellschaftliche Werte und mo-ralische Vorstellungen von Relevanz(Gabbert 2010, S. 8).

Sicherheit ist des Weiteren einmensch liches Grundbedürfnis. Das In-dividuum entwickelt, beeinflusst durchdie Medien, spezifische Dispositionenhinsichtlich seiner Sicherheitswahrneh-mung heraus. Beispielsweise lassen sichZusammenhänge zwischen Bildungs-abschlüssen bzw. Informiertheit und Un-sicherheitsempfinden nachweisen oderes gibt unterschiedliche Präferenzen aufder demoskopischen „Sorgenskala“, dievom Zeitpunkt der Befragung und derIntensität der Medienberichterstattungabhängen (z.B. R+V 2014).

Insbesondere vom Staat erwartet derEinzelne sowohl eine Gewissheit überkünftige Gefahren und Risiken als aucheine Garantie, dass sich die unter-schiedlich wahrgenommenen Risikenbei ihm nicht auswirken werden. Eherwidersprüchlich zu dieser Vorstellungvon Machbarkeit fürchtet er gleichzei-tig einen weitreichenden Eingriff diesesStaates in seine eigenen Freiheits- undEntfaltungsrechte. Gleichzeitig zeigtsich eine Überforderung des Staates, Si-cherheit umfassend zu gewährleisten.Deshalb treten zunehmend auch priva-te Akteure auf diesem Feld auf und sug-gerieren das Bild einer Sicherheitsge-sellschaft (Reeb 2014).

Politische Relevanz von Sicherheit

Die politischen Themen von Sicherheitsind inhaltlich häufig problembehaftetund umstritten. Die Kontroversität vonSicherheit zeigt sich darüber hinaus ausverschiedenen Perspektiven.

Zunächst ist der Begriff und der po-litische Umgang mit ihm wie angedeu-tet selbst konfliktträchtig. In einer ehernegativen Deutung artikuliert sich eineAblehnung wegen der vermeintlichenAusprägungen und Folgen von Sicher-heit. So wird häufig ein genereller Ver-dacht geäußert, Sicherheit führe zu ei-nem spezifischen Gesellschaftsver-ständnis (Sicherheitsstaat). Zumindeststeht die Befürchtung im Raum, das Re-den über Sicherheit begünstige die Ten-denz, gesellschaftliche Sachverhalte aus -schließlich unter dieser Brille zu be-

kennbar oder werden durch Medienbe-richterstattung ins Bewusstsein gebracht.Ausgehend von dieser Interessenorien-tierung lässt sich dann auch eine Hand-lungsorientierung anregen. Dabei gehtes um dialogische Verfahren, d.h. Aus-handlungsprozesse über Sicherheit, umRisiken neu zu verteilen.

Das Individuum hat daher Anforde-rungen zu bewältigen, die sich über-sichtsartig wie folgt darstellen:

� Es muss befähigt werden, Unsicher-heit, Risiken und Gefahren gefühls-mäßig und kognitiv angemessenwahrnehmen zu können.

� Es sollte das Streben nach Sicher-heiten (Orientierungen, Sinn) richtigeinordnen können (gegen Ohn-machtsgefühle) und gleichzeitig Un-gewissheiten aushalten und damitumgehen können.

� Das müsste es als Aufklärung undGewährung von Freiheitsgraden(Spielräume, Optionen) künftigenHandelns verstehen (gegenüber ei-nem Determinismus).

� Dabei ist die eigene Sicherheit oderUnsicherheit richtig einzuschätzen:Bin ich betroffen? Welche Risikengehe ich ein? Wie weit kann ich michschützen?

� Die Sicherheitspolitik sollte richtigbeurteilen werden können: Wurdedarüber sachgerecht entschieden?Welche Nebenwirkungen treten aufoder sind nicht erkannt worden?

� Um daraufhin Sicherheitsfragen rich-tig entscheiden zu können: Soll manda was machen? Geht uns das etwasan? Was ist mir Sicherheit wert, wasmuss ich dafür aufgeben?

� Und um schließlich die Teilnahme anEntscheidungen und letztendlich denWillen zur Änderung zu entwickeln.

Ziele der Sicherheitspädagogik

Die Bewältigung dieser Anforderun-gen münden in einen Anspruch an Bil-dung, die die geistigen, kulturellen undlebenspraktischen Fähigkeiten des In-dividuums beinhaltet, um aufgrund vonSachkompetenz und Einsicht eine kri-tische Reflexion zu sich, zu anderenund zur Welt vornehmen zu können.Angestrebt wird eine umfassende Per-

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15polis 1/2015

Fachbeitrag

sönlichkeit, die sich unter anderem auf-geschlossen und tolerant entfaltet undbewusst Verantwortung für ihr Handelnübernimmt. Dementsprechend kann esförderlich für das Zusammenleben ineiner Gesellschaft sein, wenn sich auf-geklärte BürgerInnen zur Verbesserungdes Gemeinwesens beteiligen oder auf-grund ihrer interkulturellen Kompetenz,Toleranz und Offenheit miteinander um-gehen können. Eine entsprechende Bil-dung ermöglicht es den Menschen, anöffentlichen Debatten teilzunehmen undihre Ansprüche gegenüber dem Staatgeltend zu machen. Es entsteht einekonstruktive Streitkultur und die Be-fähigung zum gewaltfreien Umgang mitKonflikten.

Damit ergeben sich kognitive, affek-tive und soziale Kompetenzen, die zurBeschäftigung mit der Sicherheit beimIndividuum herauszubilden sind. Zu ent-wickeln sind ein rationales Sicherheits-empfinden, ein Sicherheitsverständnis,die Bereitschaft zu Sicherheitsdiskursensowie ein sicherheitsbewusstes Handelneinschließlich des Umgangs mit Unge-wissheiten. Diese Befähigungen könnennur im Zusammenwirken mit Medien-kompetenz, Partizipationskompetenz so-wie kommunikativer Kompetenz er-worben werden. Sie sind auf die kon-kreten individuellen, gesellschaftlichenund globalen Dimensionen von Sicher-heit zu beziehen (Reeb 2012).

Eine solche Bildung muss die Utopieeiner sichereren und gerechteren Ge-sellschaft vor Augen haben, um auf ei-ne ebenso gerechtere Welt abzuzielen.Die pädagogischen Absichten sind dem-nach emanzipatorisch. Den empirischenBefunden ist ein normativer Anspruchentgegen zu halten.

Themen und Methoden

Die Ziele zur Sicherheit lassen sich durchdie Aufbereitung von Inhalten in Pro-blemfeldern verfolgen. Diese könnenstrukturiert werden in theoretische, ge-sellschaftliche und internationale Bezü-ge. Die Thematisierung erfolgt inhalt-lich anhand konkreter Risiken, Bedro-hungen und Gefahren. Sicherheit wirddabei in einem Spannungsverhältnis zuRisikofeldern und zu anderen Werten ge-setzt (Reeb 2012).

Beispielsweise steht eine Problema-tisierung der terroristischen Gewalt imNahen Osten im Zusammenhang ver-schiedener sicherheitsrelevanter Aspek-te wie internationale und innere Sicher-heit, soziale Sicherheit oder Energie-versorgungssicherheit.

Fazit und Ausblick

Das Verhältnis zur Friedenspädagogikist daher nicht konträr, sondern eher kom-plementär. Während friedenspädagogi-sche Absichten sich am besten im prak-tischen Feld auswirken sollten, erhältder umfassendere Ansatz der Sicher-heitspädagogik in der politischen Bil-dung seinen Platz.

Die bisherigen Bemühungen umpädagogische Maßnahmen zur Sicher-heit reichen aber nicht aus, diese Kom-petenzen zur fördern. Eine Institutiona-lisierung von Sicherheit im Bildungssys -tem sollte Bildung als integralen undinterdisziplinären Lernprozess von all-gemeinen, politischen und beruflichenElementen verstehen, zum lebenslangenund selbstverantwortlichen Lernen an-regen sowie die Inhaltsbestimmung of-fen halten.

Eine Institutionalisierung der Sicher-heit als eine Spezialdisziplin in den Er-ziehungswissenschaften könnte durchÖffnung der Friedenspädagogik für Fra-gestellungen zur Sicherheit sowie unterBerücksichtigung der pädagogischenPraxis in Sicherheitsinstitutionen ange-regt werden.

Hierbei eröffnen sich auch Fra-gestellungen für theorieorientierte undanwendungsbezogene Forschungsvor-ha-ben. Zu klären wäre die erziehungs-wissenschaftliche Verortung einer Si-cherheitspädagogik, die sich als kritischversteht, da sie den gesellschaftlichenUmgang mit Sicherheitsaspekten auf ih-re Interessenlagen hinterfragen will.

Von weiterem Erkenntnisinteressestünden die Interdependenzen derpädagogischen Bezüge von Sicherheitzwischen den Ebenen Individuum, Ge-sellschaft und Staatenwelt, d.h. führenpädagogische Maßnahmen zu einer si-chereren Gesellschaft und letztendlichzu einer sichereren Welt?

Damit sind auch solche internationalvergleichende Forschungsanliegen ver-

bunden, die den Einfluss des Grades anund der Qualität von Bildung auf dienäher zu konkretisierende Sicherheit ei-ner Gesellschaft untersuchen. Diese Er-kenntnisse könnten wertvolle Hinweisefür die sicherheitspolitischen Praxis lie-fern, die selbst wiederum Gegenstandder politischen Bildung ist.

Literatur

Bonß, W.: (Un-)Sicherheit in der Moder-ne. In: Zoche, P. et. al. (Hg.): Zivile Si-cherheit. Gesellschaftliche Dimensio-nen gegenwärtiger Sicherheitspoliti-ken, Bielefeld 2011, S. 43-69.

Daase, C./ Offermann, P./ Rauer, V. (Hg.):Sicherheitskultur. Soziale und politi-sche Praktiken der Gefahrenabwehr,Frankfurt/ New York 2012.

Gabbert, W.: Gefühltes Risiko. In: Unima-gazin. Zeitschrift der Leibniz Univer-sität Hannover, Nr. 3-4/2010, S. 6-8.

Grande, E.: Strukturwandel der Demokra-tie. Politische Bildung in der globali-sierten Mediengesellschaft. In: Hessi-sche Blätter für Volksbildung Nr. 172011, S. 42-50.

Kaufmann, F.-X., Sicherheit als soziologi-sches und sozial-politisches Problem.Untersuchungen zu einer Wertideehochdifferenzierter Gesellschaften,Stuttgart 1973.

Kaufmann, F.-X.: Sicherheit, Das Leitbildbeherrschbarer Komplexität. In: Lesse-nich, S. (Hg.): WohlfahrtstaatlicheGrundbegriffe. Historische und aktuel-le Diskurse, Frankfurt/M. New York2003, S. 73-104

Reeb, H.-J.: Auf dem Weg zur Sicherheits-gesellschaft – Neue Herausforderun-gen für Kommunikation und Pädago-gik, unter: www.bmvg.de (Ausgabe7/2014, Stand 27.06.2014).

Reeb, H.-J.: Die Rolle der Bildung für dieinternationale Sicherheit, in: Europäi-sche Sicherheit & Technik, Nr. 6/2014,S. 115-117.

Reeb, H.-J.: Krieg als Thema im Politikun-terricht der Sekundarstufe II. Der syri-sche Bürgerkrieg in der politischen Bil-dung, in: politische bildung Nr. 1/2014,S. 116-137.

Reeb, H.-J.: Sicherheit als zentraler Ge-genstand für die politische Bildung, in:Journal für politische Bildung, Nr.1/2012, S. 34-43.

R+V Versicherung: Die Ängste der Deutschen 2014, in:http://www.ruv.de/de/presse/r_v_info-center/studien/aengste-der-deut-schen.jsp (Aufruf 27.11.2014)

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Den Begriff „Frieden“ sucht man in ak-

tuellen Lexika und Handbüchern der Er-

wachsenenbildung vergebens. Das ist

nicht verwunderlich. Denn mehr als je-

der andere Bildungsbereich ist die Er-

wachsenenbildung – und hier ist der Teil-

bereich politische Erwachsenenbildung

gemeint – auf aktuelle Entwicklungen

und Diskussionen angewiesen. Daraus

schöpfen die pädagogischen Mitarbei-

ter/-innen die Themen, die sie in ihren

in der Regel halbjährlich erscheinenden

Programmen präsentieren. So wenig oder

so viel wie gesamtgesellschaftlich über

„Frieden“ nachgedacht und diskutiert

wird, so gering oder groß ist auch der

Themenanteil in den aktuellen Angebo-

ten der Volkshochschulen, kirchlichen,

gewerkschaftlichen oder sonstigen Bil-

dungseinrichtungen. Politische Er-

wachsenenbildner/-innen müssen in ih-

rer Arbeit hohe „seismographische“

Fähigkeiten aufweisen, sie müssen

Trends und Tendenzen aufspüren und in

ihre Programme übersetzen. Da kom-

men und gehen die Konjunkturen.

Friedensbewegung heute und damals

Die hohe Zeit der Friedensbewegung

hierzulande ist vorbei, trotz weltweiter

Konflikte und Kriege. Zu den Demon-

strationen der „Friedensbewegung 2014“

erschienen in den vergangenen Jahren

in den Großstädten nur noch knapp über

hundert Personen. Außerdem hat sich

das Gesicht der Bewegung kräftig ver-

ändert. In einem Blogbeitrag auf „Zeit

online“ ist zu lesen: „Nun beteiligen sich

Verschwörungstheoretiker, Antidemo-

kraten und Neonazis an den montägli-

chen Demos. … Die ursprünglich als

breites Zeichen für den Frieden gedachte

Bewegung droht langsam, aber sicher in

die rechte Ecke abzudriften. Was vie-

lerorts fehlt, ist die Abgrenzung gegen

rechtsextreme und antisemitische Strö-

mungen in den eigenen Reihen.“ (Sie-

ber 2014) Auch die tageszeitung (taz)

hat die gleiche Einschätzung: „Im In-

ternet und mit „Montagsdemos“ macht

eine neue Bewegung mobil. Verbreitet

werden rechte Phrasen und Ver-

schwörungstheorien.“ (Peter/Neumann

2014) Wird die Friedensbewegung von

„rechts“ gekapert?

Das war einmal, vor über 30 Jahren,

völlig anders. „Die Friedensdemonstra-

tion im Bonner Hofgarten am 22. Okto-

ber 1983 war eine von mehreren Veran-

staltungen der Friedensbewegung. Ziel

war die Verhinderung der Umsetzung

des NATO-Doppelbeschlusses. Etwa

150.000 Demonstranten bildeten eine

Menschenkette um das Regierungsvier-

tel. Etwa 500.000 Menschen bildeten ei-

nen Menschenstern, der die Botschafts-

gebäude der fünf Atommächte mitein-

ander verband. …. Weitere Veranstal-

tungen am selben Tage fanden in

Hamburg (etwa 400.000 Teilnehmer),

Berlin, Rom, Wien, Stockholm, London

und anderen Städten statt. In Baden-

Württemberg wurde eine Menschenket-

te von Stuttgart nach Neu-Ulm gebil-

det.“1

Das war auch die „hohe Zeit“ der Frie-

densthemen in den Institutionen und Ver-

anstaltungen der politischen Erwachse-

nenbildung.

Johan Galtung und die „strukturelle Gewalt“

In den Volkshochschulen wurde – in klas-

sischer „ausgewogener“ Weise – bei-

spielsweise auf Podien oder in Vor-

tragsreihen das Pro und Contra des NA-

TO-Doppelbeschlusses diskutiert. Je

nach weltanschaulicher oder politischer

Orientierung verfuhren die anderen, die

sogenannten freien Bildungsträger ähn-

lich oder aber positionierten sich auch

eindeutig. Es gab Kurse und Seminare

zur Friedenspädagogik und Friedens-

forschung. Johan Galtungs Theorie von

der „strukturellen Gewalt“ (Galtung

1975) durchzog nahezu alle Seminare

und Veranstaltungen. Denn immerhin

bot sie auch Gründe, um vom äußeren

Frieden auf den inneren zu schließen.

Und mit Galtungs Unterscheidung zwi-

schen „negativem“ und „positivem“ Frie-

den hatte man auch genügend Anknüp-

fungspunkte, um – ganz im Sinne

Galtungs – die mangelnde soziale Ge -

rech tigkeit hierzulande – als ein Krite-

rium für negativen Frieden – zum The-

ma zu machen. Jedenfalls war Galtungs

Definition von Gewalt fast schon so et-

16

Friedensbewegung, Friedensinitiativen und Friedenspädagogik: Was ist aus ihnengeworden?

von Klaus-Peter Hufer

Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer lehrt an derUniversität Duisburg-Essen, sein Arbeits-schwerpunkt ist die politische Erwachse-nenbildung

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17polis 1/2015

Fachbeitrag

� die Suche nach neuen, „weicheren“

Formen politischer Kultur,

� ganzheitliches Denken und Leben,

� Präsentation gegenkultureller Poli-

tik- und Lebensentwürfe.

� Skepsis gegenüber „Expertenwissen“.

Vor allem aber wurden Zweifel an den

herkömmlichen Institutionen laut, auch

an den Bildungseinrichtungen. Gerade

in deren politischer Bildung machte man

eine Reihe von „Defiziten“ aus2: die

Trennung von „Bildung und Leben“ und

die Distanz zu politischen Aktionen, die

politischen Abhängigkeiten der Er-

wachsenenbildungseinrichtungen, ihre

Bürokratie und ihre Tendenz zur Ver-

schulung. Daraus – so die Schlussfol-

gerung – konnte keine Gesellschafts-

veränderung erwachsen, keine struktu-

relle Gewalt beseitigt werden. Als

Konsequenz sind daraus alternative Bil-

dungseinrichtungen entstanden, darun-

ter auch etliche Friedensbildungswerke

was wie eine magische Formel, um das

Thema „Frieden“ multiperspektivisch

und mehrdimensional aufzubereiten. Zur

Erinnerung sei die Originalthese noch

einmal zitiert: „Gewalt liegt dann vor,

wenn Menschen so beeinflußt werden,

daß ihre aktuelle somatische und geis -

tige Verwirklichung geringer ist als ih-

re potentielle Verwirklichung.“ (Ebda.

S. 9)

Friedensbewegung als ein Teilder neuen sozialen Bewegungen

Demnach ist Frieden mehr als die Ab-

wesenheit von Krieg. Frieden entsteht,

wenn Gewalt, die aus den Strukturen

herauskommt, beseitigt wird. Damit war

auch die Brücke geschlagen zu einer an

vielen Themen orientierten „neuen so-

zialen Bewegung“, die ab Mitte der 70er

Jahre entstand: eine Umwelt-, Frauen-,

Dritte Welt-, Alternativ- und Friedens-

bewegung. Sie hatte vieles gemeinsam:

(Hufer/Unger 1990). Sie waren wie die

anderen alternativen Bildungswerke,

-zen tren und -läden die Gegenmodelle

zu den etablierten Einrichtungen. In ih-

nen sollte das gelebt und mit ihrer Ar-

beit das realisiert werden, was da nicht

möglich war: Selbstbestimmung der Mit-

arbeiter/-innen und der an den Veran-

staltungen Teilnehmenden, Parteinah-

me für den Frieden, d.h. Kritik an den

Ursachen, die ihn verhindern, gemein-

same Aktionen zur Beseitigung von Ge-

walt, direkte demokratische Einfluss -

nahme.

Friedensbildungswerke heute

Um ihren bildungspolitischen Einfluss

durchzusetzen, haben sich die ehemals

alternativen, heute „anderen“ Einrich-

tungen zusammengeschlossen. In Nord-

rhein-Westfalen beispielsweise gibt es

die „LAAW. Landesarbeitsgemeinschaft

für eine andere Weiterbildung e.V.“3 In

Am 10. Oktober 1981 demonstrierten im Bonner Hofgarten mehr als 300.000 Menschen gegen die atomare Aufrüstung.

Foto: By Bogaerts, Rob / Anefo [CC BY-SA 3.0 nl, via Wikimedia Commons

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18 polis 1/2015

Fachbeitrag

ihrem Selbstverständnis heißt es unter

Anderem: „Wir lassen uns leiten von

Mitmenschlichkeit, Gewaltfreiheit, So-

lidarität, Geschlechtergerechtigkeit, in-

terkulturellem Miteinander sowie öko-

logisch verantwortlichem Handeln.“

Die LAAW Nordrhein-Westfalen hat

zurzeit 44 Mitgliedseinrichtungen, aber

nur noch drei davon erklären in ihrem

Namen explizit, dass sie sich der Frie-

denserziehung und Friedensarbeit ver-

pflichtet fühlen. Geht man auf die je-

weiligen Homepages und schaut nach

ihren Arbeitsschwerpunkten, dann stellt

sich Irritation ein. Denn von „Frieden“,

gar Beseitigung von „struktureller Ge-

walt ist da keinerlei Rede:

� Institut für Friedenserziehung (IFF),

Bielefeld: „allge meine Weiterbildung,

Fremdsprachen, Bewerbungstrai-

nings, Tanzkurse, Integrationskurse,

Alphabetisierungskurse“

� Bildungswerk für Friedensarbeit

Bonn (BF-Bonn): „Deutsch als

Fremd-/Zweitsprache, Fremdspra-

chen, berufliche Orientierung & Qua-

lifizierung, Interkulturelle Bildung“

� Werkstatt Friedenserziehung Bonn:

„Eltern- & Familienbildung“

Damit scheinen auch die Einrichtungen,

die aus der ehemaligen Friedensbewe-

gung entstammen, den allgemeinen

Trend in der Erwachsenen-/Weiterbil-

dung mit zu vollziehen: Qualifizierung

statt Bildung, Funktionalität statt Kritik,

Anpassung statt Alternative (Dobischat/

Hufer 2014).

Die Themen bleiben aktuell

Aber die Themen und Notwendigkeiten,

sich mit „Frieden“ zu beschäftigen, sind

keineswegs erloschen. Auch wenn es den

Anschein hat, als seien die früheren Al-

ternativen nun zu Etablierten geworden,

sind die Konfliktfelder immer noch da:

� der alltägliche Rassismus,

� das Aufleben rechtsextremer und

rechtspopulistischer Bewegungen und

Parteien,

� der weltweite Fundamentalismus,

� die (zumindest spürbare zunehmen-

de) Gewalt im Alltag,

� die Trivialisierung und Verdummung

durch immer mehr werdende Medi-

en,

� die wachsende Kluft zwischen Arm

und Reich (national und weltweit),

� die ungehemmten Ströme des Fi-

nanzkapitals,

� die internen und intransparenten Re-

gelungen inter- und zwischennatio-

naler Abkommen,

� der Einfluss der Rüstungsindustrie,

� die Zunahme regionaler Kriege,

� die neuen Erscheinungsformen mi-

litärischer Auseinandersetzungen in

der Welt.

Diese Liste lässt sich problemlos fort-

setzen.

Aber die Bildungseinrichtungen

schweigen, beruhigen sich mit Semina-

ren der Selbstbehauptung und Selbstsi-

cherheit, mit Bewerbungstrainings und

Strategien der Selbstvermarktung. Das

alles ist nachzulesen in aktuellen VHS-

Programmen.

Es mag sein, dass Galtungs Theorie

der strukturellen Gewalt zu einer „kon-

zeptionellen Unschärfe“ (Friesters-Re-

ermann 2012, S. 67) geführt hat, wie in

einer neueren Publikation zu lesen ist:

„Dadurch verschwimmen die Konturen

der Friedenspädagogik sowie ihre Gren-

zen zu verwandten pädagogischen Ar-

beitsfeldern, wie z.B. der entwick-

lungspolitischen Bildung, des Globalen

Lernens, der Bildung für nachhaltigen

Entwicklung oder der interkulturellen

Bildung.“ (Ebda.)

Doch gibt es das wirklich: ein enges

konzeptionelles Feld „der“ Friedens -

pädagogik? Darüber nachzudenken kann

von akademischem Reiz sein. Aber hier-

zulande scheint die Friedensbewegung

zu zerstäuben bzw. wie eingangs gezeigt

in das Gegenteil von dem umzukippen,

was sie ursprünglich ausmachte. Das

müsste viel mehr beunruhigen.

Anmerkungen

1 Seite „Friedensdemonstration im Bon-ner Hofgarten 1983“. In: Wikipedia,Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungs-stand: 26. Oktober 2014, URL:http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Friedensdemonstration_im_Bon-ner_Hofgarten_1983&ol-did=135249314 (Letzter Aufruf25.01.2015)

2 Im Folgenden Beer 19823 Landesarbeitsgemeinschaft für eine

andere Weiterbildung NRW e.V.:http://www.laaw-nrw.de/4/ (Letzter

Aufruf: 25.01.2015)

Literatur

Beer, W.: Ökologische Aktion und ökolo-gisches Lernen. Erfahrungen und Mo-delle für die politische Bildung, Opladen 1982

Dobischat, R. / Hufer, K.-P. (Hg.): Weiter-bildung im Wandel. Programm undProfil auf Profitkurs. Schwalbach/Ts.2014

Friesters-Reermann N.: Friedenspädago-gik. In: Lang-Wojtasik, G. / Klemm, U.(Hg.): Handlexikon Globales Lernen.Münster und Ulm 2012, S. 65-69

Galtung, J.: Strukturelle Gewalt. Beiträgezur Friedens- und Konfliktforschung,Reinbek bei Hamburg 1975

Hufer, K.-P. / Unger, I.: Zwischen Abhän-gigkeit und Selbstbestimmung. Institu-tionalisierte und selbstorganisierte Er-wachsenenbildung in den siebzigerJahren, Opladen 1990

Peter, E. / Neumann, J.: Im Kampf gegendie Medien-Mafia. 16.04.2014. Onlineunter: http://www.taz.de/!136944/(Letzter Aufruf: 25.01.2015)

Sieber, R.: Reichsbürger, Neonazis undAntisemiten – Querfront kapert Frie-densdemonstrationen. 16.04.2014. In:Störungsmelder. Wir müssen reden.Über Nazis. Ein Blog. Online unter:http://blog.zeit.de/stoerungsmel-der/2014/04/16/reichsbuerger-neona-zis-und-antisemiten-querfront-kapert-friedensdemonstrationen_15687.(Letzter Aufruf: 25.01.2015)

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Friedensbildung ist, neben friedenspo-litischem Engagement und internatio-nalen Freiwilligendiensten / Friedens-diensten, eine der drei Säulen der Arbeitdes Friedenskreis Halle e.V.. In diesemArtikel stellen wir unser Verständnis da-von vor und gehen dabei auf drei The-menfelder bzw. Praxisbeispiele ein.

Für das, was wir seit fast 25 Jahrenim Bildungsbereich tun, verwenden wiraktuell den Begriff Friedensbildung.„Frieden“ meint dabei nicht nur die Ab-wesenheit von Krieg oder anderer phy-sischen Gewalt (negativer Friedensbe-griff), sondern explizit auch den Prozess,mehr soziale Gerechtigkeit und eine Kul-tur des Friedens zu fördern (prozessua-ler und positiver Friedensbegriff) (vgl.Berghof Foundation 2012, S. 29f.). Mit„Bildung“ meinen wir die Praxis des le-benslangen und ganzheitlichen Lernens(vgl. Bund für Soziale Verteidigung e.V.

2014, S. 9). Die Inhalte unserer Bil-dungsarbeit sind von den Grundkon-

zepten Frieden, Krieg/Gewalt und Kon-

flikt bestimmt (vgl. Gugel 2008, Gugelund Jäger 2007, sowie Frieters-Reer-mann 2005) und orientieren sich an un-seren fünf Leitthemen: aktive Gewalt-freiheit, konstruktive sowie zivile Kon-fliktbearbeitung, gelebte Demokratie,transkulturelle Vielfalt und globale Ge-rechtigkeit. In der Zielbestimmung derpädagogischen Arbeit gehört für uns dieFörderung sozialer Kompetenzen (z.B.individuelle Team- und Konfliktfähig-keit) ebenso dazu wie entsprechendeSachkompetenzen (z.B. Wissen um Es-kalationsmechanismen, Ursachen vonKrieg und Gewalt, Möglichkeiten derpersönlichen und gesellschaftlichen Kon-fliktbearbeitung) und Handlungskom-

petenzen (insb. die Fähigkeit und Moti-vation zu praktischem Handeln, das zur

Überwindung von Gewalt beiträgt unddie Verwirklichung von Menschenrech-ten fördert). Die Praxis unserer Frie-densbildung erstreckt sich von der Ele-mentarbildung, schulischer und außer-schulischer Jugendbildung über die Aus-und Fortbildung, Erwachsenenbildungbis zur Friedensförderung in Konflikt-und Krisengebieten.

Gewaltprävention und Konfliktbearbeitung auf persönlicher Ebene

Frieden beginnt im Kleinen, im Alltäg-lichen. Seit vielen Jahren qualifiziert da-her der Friedenskreis Halle e.V. Men-schen, die Konflikte gewaltfrei bearbei-ten möchten. Im außerschulischenBereich stehen dafür besonders die mehr-moduligen Fortbildungen „Konflikte be-arbeiten!“ und „Kreativ im Konflikt“1,bei denen Teilnehmende aus unter-schiedlichsten Berufsfeldern lernen,Konflikte im Arbeits- und Privatalltagzu erkennen, zu analysieren und kon-struktiv zu bearbeiten. Die Herange-hensweise ist dabei ganzheitlich – theo-retische Modelle werden ebenso einbe-zogen, wie erfahrungsbasierte Übungen,Selbstreflexion und Rollenspiele. VieleTeilnehmende können dadurch nicht nurWissen um Konflikte und Kommunika-tionstechniken erwerben, sondern mel-den regelmäßig zurück, dass sie selbst-sicherer agieren können und einen po-sitiveren Zugang zu Konfliktsituationengefunden haben. Manche tragen dieseKonfliktkompetenz in ihre bisherigenArbeitsfelder, andere nehmen den Kursals Grundbaustein für eine Weiterquali-fizierung (z.B. in Richtung Friedens-fachkraft, siehe unten).

Im schulischen Bereich arbeiten wirin Form von mehrtägigen Projekten mitSchulklassen oder qualifizieren Lehr-

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Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten

Einblicke in die Praxis aktueller Friedensbildung

von Christof Starke und Markus Wutzler

Christof Starke ist Dipl.-Pädagoge undGeschäftsführer des Friedenskreis Hallee.V.

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Markus Wutzler ist Dipl.-Psychologe undFriedensbildungsreferent beim Friedens-kreis Halle e.V.

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Fachbeitrag

CivilPowker – Ein Planspiel zu zivilem Engagement in internationalen Konflikten3

Täglich nehmen wir Meldungen und Be-richte aus den Konflikt- und Kriegsre-gionen der Welt wahr. Das Leid aus derFerne erreicht uns im gemütlichenWohnzimmer. Doch was kann man vonDeutschland aus angesichts internatio-naler Konflikte tun? Diese Frage nachden hiesigen Handlungsmöglichkeitensteht im Mittelpunkt des eintägigen Plan-spiels CivilPowker. Die Teilnehmendenschlüpfen dabei in Rollen aus Zivilge-sellschaft, Wirtschaft und (Partei-)Poli-tik, beschäftigen sich mit ihren ver-schiedenen Interessen und Werten, ler-nen Verflechtungen kennen undemp finden Einflussmöglichkeiten nach.Per Videosequenz im Tagesschau-Stilerreichen sie Nachrichten aus einem kon-kreten Krisenherd. Anschließend kön-nen sich die Akteure abstimmen, ob et-was und was zu tun sei. Das Spektrumund die Anzahl der möglichen Hand-lungsoptionen, mit denen „gepokert“wird, ist so breit wie hoch: Die Zivil-gesellschaft kann bspw. Großdemon-strationen organisieren, mit der Bevöl-kerung im Konfliktland Kontakt auf-nehmen oder Friedensfachkräfteentsenden. Allerdings können sie auchihren Alltag fortsetzen oder sich für ei-ne Verschärfung des Asylrechts einset-

kräfte weiter. Schulklassen lernen bei-spielsweise unter dem Motto „Kompe-tent im Konflikt“, Streit anzusprechenund zu erkennen, wo eine Eskalations-dynamik alle Beteiligten zu Verlierernmacht. Diese Projekttage sind meist ei-ne Komposition aus präventiven Ele-menten (Kommunikationsübungen),Vermittlung tagesaktueller Konflikte derSchüler_innen und kooperativen Teamü-bungen und Spielen, die – entsprechendausgewertet – die Atmosphäre der Grup-pe verbessern. Als Lernanker fungiertoft das Plakat „Tipps für einen gutenStreit“2, das in der Schule verbleibt. Inweiteren Projekten setzten sich dieSchüler_innen beispielsweise mit trans-kultureller Vielfalt auseinander, lernendie Lebensrealität von Flüchtlingen ken-nen oder üben Zivilcourage.

Zwar spielen bei all diesen Veran-staltungen zu Gewaltprävention undkonstruktiver Konfliktbearbeitung diegesellschaftlichen Rahmenbedingungeneine Rolle, thematisiert wird aber vor-rangig der gegenseitige Umgang im per-sönlichen Umfeld – sei es in Arbeit-steam, Familie oder Schulklasse. Diefolgenden Beispiele der Friedensbildungkonzentrieren sich hingegen speziell aufgesellschaftliche Zusammenhänge undKonflikte.

zen. Politiker_innen können z.B. nichtnur in Friedensvermittlungen diploma-tisch aktiv werden, sondern auch einenmilitärischen NATO-Eingriff unterstüt-zen. Und die Gruppe der Unterneh-mer_innen hat sowohl die Möglichkeit,Kapitalanlagen einfrieren zu lassen, alsauch Waffenlieferungen an oppositio-nelle Kräfte zu starten. Vieles kann nurmit Hilfe der Zustimmung bzw. Unter-stützung der anderen Gruppen umge-setzt werden – deshalb diskutieren diemeist jugendlichen Teilnehmenden undfeilschen um civil-, policy- oder eco-nomy-power-Punkte der Anderen. Wenndie Interessengruppen es schaffen, Hand-lungsoptionen auszuspielen, wird ansch-ließend mit den Teilnehmenden disku-tiert, ob ihr Vorgehen den Konflikt ehereskaliert oder eher deeskaliert. Inwie-fern und wie stark diese Wirkungtatsächlich eintritt, wird durch Auswür-feln simuliert, um der Komplexität glo-baler Zusammenhänge Genüge zu tun.Je nach Ergebnis fällt die nächste ein-gespielte Nachrichtensendung aus unddas Planspiel geht in eine weitere Run-de.

Ziel von CivilPowker ist es nicht, ei-ne Antwort zu liefern, was in einem Kon-flikt „richtiges“ Handeln sei. Sonderndie Teilnehmenden sollen sich der Brei-te von möglichen Handlungsoptionenbewusst werden, neue Instrumente ken-nen lernen und gesellschaftspolitischeZusammenhänge reflektieren. Beson-ders ist an CivilPowker zum einen, Ein-flussmöglichkeiten der Zivilgesellschafteinzubeziehen. Zum anderen wird einfriedenslogischer4 Blick auf Konfliktenahegelegt: Nicht etwa die versicher-heitlichte Perspektive, was eine Bedro-hung oder Gefahr für „uns“ selbst dar-stellen könnte und wie man diese ab-wehren sollte, sondern die Fragen, waseine gerechte Lösung des Konflikts be-fördert und was hingegen destruktivwirkt.

Friedensfachkräfte berichtenüber zivile Konfliktbearbeitungim Ausland

Wo CivilPowker ganz gezielt den Blickauf hiesige Handlungsoptionen richtet,so geben andere Formate anschaulichEinblick in konkrete Konfliktbearbei-Theaterpädagogische Übung in der Fortbildung „Kreativ im Konflikt“

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Fachbeitrag

tung im näheren oder ferneren Ausland.Dies geschieht durch aktive oder ehe-malige Friedensfachkräfte, also qualifi-zierte und erfahrene Fachleute, die in ei-nem Friedensfachdienst internationaltätig gewesen sind. Die Praxis, von dersie in Abendveranstaltungen, Schul-workshops oder mit Hilfe von Ausstel-lungen berichten, ist so breit wie ein-drücklich. Die Themen sind u.a.: Menschenrechtsbeobachtung in Krisen -herden, Arbeit mit erwerbslosen Ju-gendlichen in Kamerun, Kunstprojektezur Vergangenheitsbewältigung auf demBalkan, Qualifizierung afghanischerJournalistinnen oder der Rohstoffabbauals Konfliktursache auf den Philippinen.Eigen ist all den vorgestellten Projektender zivile Charakter. Sie sind getragendurch zivilgesellschaftliche Akteure, ar-beiten mit gewaltfreien und nicht-mi-litärischen Mitteln und sind an den all-gemeinen Menschenrechten orientiert(vgl. AGDF e.V., 2006, für einen ein-führenden Überblick). Damit werdendurch diese Veranstaltungen5 Alternati-ven einerseits zu militärischen Inter-ventionen und andererseits zu „Nichts -tun“ anschaulich aufgezeigt.

Fazit und Ausblick

Angesichts aktueller persönlicher, ge-sellschaftlicher und globaler Herausfor-derungen erfährt die Friedensbildungs-arbeit wachsende Bedeutung. In den letz-ten Jahren nehmen wir ein zunehmendesInteresse an unseren Angeboten wahr.Regional und bundesweit entwickelnsich neue Netzwerke und Kooperatio-nen. Theoretisch-konzeptionelle Dis-kussionen werden wieder intensiver ge-führt und neue methodisch Ansätze ent-wickelt. Strukturell und die Ressourcenbetreffend steht die Friedensbildung al-lerdings vor der Herausforderung, sichaus der überwiegend von befristeten Pro-jektförderungen abhängigen Arbeit hinzu einer echten Querschnittarbeit zur so-zialen Kompetenzentwicklung, frie-denspolitischen Bildung und Engagem-entförderung zu entwickeln.

Anmerkungen

1 Wir arbeiten dabei nach Standards desbundesweiten Qualifizierungsverbun-des der AGDF e.V.

2 Das Plakat kann online eingesehenund frei verwendet werden: www.frie-denskreis-halle.de/uebergeordnetpro-jekte/schulsozialarbeit/plakat-streit-tipps.html

3 Entwickelt wurde das Planspiel vomFriedenskreis Halle und dem Fränki-schen Bildungswerk für Friedensar-beit. Regionale Asprechpartner_innensind erreichbar unter: www.civilpo-wker.de

4 Zur Unterscheidung von Sicherheitslo-gik und Friedenslogik siehe Dossiervon Frey, Lammers, Birckenbach, Ja-berg, Schweitzer und Buro (2014).

5 Genaueres zu den Veranstaltungender entsprechenden Projekte „Enga-giert für Frieden und Entwicklung“ so-wie „zivil statt militärisch“ sind unterwww.friedenskreis-halle.de zu finden.Darüber hinaus informiert das bundes-weite Portal www.friedensbildung-schule.de über weitere Referent_in-nen und viele friedenspädagogischeMaterialien.

Literatur

AGDF – Aktionsgemeinschaft Dienst fürden Frieden e.V.: zivil statt militärisch– Erfahrungen mit ziviler, gewaltfreierKonfliktbearbeitung im Ausland. Bonn2006. Online verfügbar unter:http://friedensdienst.de/sites/default/files/zivilstattmilitaerisch_0.pdf

Berghof Foundation: Berghof Glossar zurKonflikttransformation – 20 Begriffefür Theorie und Praxis. Berlin 2012, S. 29f.

Bund für Soziale Verteidigung e.V.: Frie-densbildung als pädagogisches Kon-zept – Hintergrund- und Diskussions-papier. Minden 2014, S. 9.

Frieters-Reermann, N.: Frieden lernen.Friedens- und Konfliktpädagogik aussystemisch-konstruktivistischer Per-spektive, Köln 2005.

Frey, U., Lammers, C., Birckenbach, H.-M.,Jaberg, S., Schweitzer, C. und Buro, A.:Friedenslogik statt Sicherheitslogik –Theoretische Grundlagen und frie-denspolitische Realisierung, Wissen-schaft und Frieden – Dossier Nr. 75,Bonn 2014.

Gugel, G.: Was ist Friedenserziehung? In:Grasse, R., Gruber, B. und Gugel, G.(Hg.): Friedenspädagogik – Grundla-gen, Praxisansätze, Perspektiven.Hamburg 2008, S. 61–82.

Gugel, G. und Jäger, U.: Frieden gemein-sam üben. Didaktische Materialien fürFriedenserziehung und globales Ler-nen in der Schule. Tübingen, Berlin2007.

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Schüler_innen diskutieren im Planspiel CivilPowker über einen internationalen Krisenherd.

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Soldaten im Klassenzimmer

Seit Gründungsphase der Bundeswehrbesetzen die Jugendoffiziere eine wich-tige Funktion innerhalb der Armee: Sietragen ein politisch erwünschtes Bild derStreitkräfte in die Öffentlichkeit. Sie ar-beiten daran, der Bundeswehr und derVerteidigungs- und Sicherheitspolitikder Bundesregierung Akzeptanz inner-halb der Bevölkerung zu verschaffen.Dass Jugendoffiziere in der Bundeswehrals Bindeglieder zwischen Militär undGesellschaft installiert wurden, ist poli-tisch nachvollziehbar. Bereits die Grün-dung der Bundeswehr stieß als Akt der

westdeutschen Wiederbewaffnung aufgesellschaftlichen Widerstand und bot –ebenso wie die umstrittene Westinte-gration samt dem Eintritt in das nordat-lantische Militärbündnis – Anlass für ei-ne entsprechende Institutionalisierungvon Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sa-che. Bald darauf erschütterte die „Star-fighter-Affäre“ die Bundesrepublik – einzentrales Rüstungsprojekt der jungenBundeswehr geriet in Verruf. Für dienachfolgende Generation wurde der NA-TO-Doppelbeschluss zum Politikum.Heute unterliegen neben den regel-mäßigen politischen Konflikten um dieHöhe des Militäretats im Allgemeinen

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Politische Bildung oder politische Öffentlichkeitsarbeit? Zur Kritik des Einsatzes von Jugend -offizieren an allgemeinbildenden Schulen

von Dirk Lange und Moritz Peter Haarmann

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Dirk Lange, Professor für Didaktik derPolitischen Bildung an der Leibniz Universität Hannover. Er ist Bundes -vorsitzender der DVPB und Direktor desInstituts für Didaktik der Demokratie.

Moritz Peter Haarmann ist mit den Arbeitsschwerpunkten sozioökonomischeBildung und Demokratie-Lernen Wissen-schaftlicher Mitarbeiter am Arbeits -bereich AGORA Politische Bildung, Institut für Didaktik der Demokratie derUniversität Hannover.

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Didaktische Werkstatt

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oder um Sinn und Kosten für zentraleRüstungsprojekte im Speziellen insbe-sondere die Auslandseinsätze der Bun-deswehr einer kontroversen Diskussion.

Die interne Wertschätzung der Arbeitvon Jugendoffizieren ist in den letztenJahren noch einmal deutlich gestiegen.Denn mit Abschaffung der Wehrpflichtist die Bundeswehr stärker denn je aufdie Kontaktpflege zu jungen Menschenangewiesen. Nicht zuletzt vor diesemHintergrund scheint es aus der Perspek-tive der Bundeswehr schlüssig, Jugend-offiziere vermehrt an allgemeinbilden-den Schulen einzusetzen.

Inzwischen hat die Bundeswehr mitacht Landesregierungen Kooperations-vereinbarungen geschlossen, die den Zu-gang von Jugendoffizieren in die Schu-len erleichtern sollen.1 2013 haben Ju-gendoffiziere rund 4200 Veranstaltungenan Schulen durchgeführt und dabei et-wa 117 000 Schülerinnen und Schülererreicht.2 Die Arbeit der Jugendoffizie-re wird seitens der Bundeswehr als einwertvoller Beitrag zur Politischen Bil-dung in der Schule dargestellt. So heißtes in einem an das nordrhein-westfäli-sche Kultusministerium gerichteten Be-richt über die Umsetzung der mit demLand geschlossenen Kooperationsver-einbarung: „Jugendoffiziere sind vor al-lem im schulischen Bereich wichtigeTräger der Öffentlichkeitsarbeit der Bun-deswehr. Sie leisten ... einen wesentli-chen Beitrag zur politischen Bildung“.3

Aber kann die Bundeswehr tatsäch-lich beanspruchen, Politische Bildungan Schulen zu betreiben? Treten die Ju-gendoffiziere – wie u. a. mit dem jüng-sten Jahresbericht über ihre Arbeit be-ansprucht wird4 – als Politische Bildnerauf, die dem Beutelsbacher Konsens ver-pflichtet sind?

Jugendoffiziere sind keine Politischen Bildner

Zwar beschäftigt sich sowohl die Infor-mationsarbeit der Bundeswehr als auchder Politikunterricht der Schule mit Fra-gen der Sicherheits- und Friedenspolitik.Aber es besteht eine Diskrepanz zwischenguter Öffentlichkeitsarbeit von Jugend -offizieren und gutem Politik unterricht vonPolitischen Bildnern. Eine Gleichsetzungbzw. ein Verwischen der Grenzen zwi-

schen „Politischem Informieren“ und „Po-litischer Bildung“ ist inakzeptabel. Ju-gendoffiziere sind als Politischer Bildnerfür die staatliche Schule weder ausgebil-det noch beauftragt.

Der Beutelsbacher Konsens ist in denvergangenen vier Jahrzehnten so etwaswie ein Berufsethos für Politiklehrerin-nen und Politiklehrer geworden. Bereitssein erster Grundsatz – das Verbot einerIndoktrination der Lernenden („Über-wältigungsverbot“) – charakterisiert daspolitische Lernen in der Demokratie alseine Kontrastfolie zur politischen Er-ziehung in Diktaturen. Daher ist es rich-tig und wichtig, dass sich auch die Ju-gendoffiziere am Beutelsbacher Kon-sens orientieren.

Aber der Beutelsbacher Konsens dientnicht nur der durch das Überwältigungs-verbot umrissenen Abwehr totalitärer An-sprüche. Seine beiden weiteren Grundsät-ze – das Kontroversitätsgebot und dasGebot einer Qualifikation zur selbstbe-stimmten politischen Teilhabe – erforderneine sensiblere und umfassendere Inter-pretation: Demnach darf Politische Bil-dung im staatlichen Auftrag grundsätz-lich nicht interessengeleitet sein. Poli-tikunterricht an der Schule darf nicht zumZiel haben, Meinungen, Positionen oderStandpunkte zu vermitteln, die partiku-lar oder parteiisch sind und nur eine vonvielen möglichen Perspektiven repräsen-tieren, die zu einem Gegenstand einge-nommen werden können. Stattdessen solldas politische Lernen Schülerinnen undSchülern die Entdeckung und die demo-kratiekonforme Wahrnehmung ihrer spe-zifischen politischen Interessen eröffnen.Politische Bildung in diesem Sinne för-dert die Mündigkeit, die politische Selbst-bestimmungsfähigkeit von Jugendlichen.Sie befähigt zur Partizipation, ist aber keinInstrument in den politischen Auseinan-dersetzungen in der Demokratie. Politi-sche Bildner in der Schule dürfen des-halb keinen spezifischen politischen Auf-trag und kein spezifisches politischesInteresse verfolgen. Können Jugendoffi-ziere vor diesem Hintergrund beanspru-chen, in der Schule Politische Bildung imSinne des Beutelsbacher Konsens zu be-treiben?

In einer zentralen Dienstvorschrift derBundeswehr wird unter Bezugnahme aufdie „Informationsarbeit im Inland“ klar-gestellt, dass Jugendoffiziere „den Auf-

trag [haben], in der Öffentlichkeit zu mi-litärischen und sicherheitspolitischenGrundsatzfragen im Sinne der Sicher-heits- und Verteidigungspolitik der Bun-desrepublik Deutschland Stellung zu neh-men“.5 Es muss den zur Öffentlichkeits-arbeit abgestellten Soldaten folglich umdie Legitimation der Sicherheits- und Ver-teidigungspolitik der Bundesregierunggehen. Diese Dienstanweisung spiegeltein politisches Loyalitätsgebot wider, kei-nesfalls kann sie als interessensfreier Bil-dungsauftrag à la Beutelsbach interpre-tiert werden. Zum Auftrag der Jugendof-fiziere heißt es dann weiter, dass dieJugendoffiziere auf Einladung der Lehr-kräfte eine „Vermittlung der deutschenPosition in Fragen der Sicherheits- undVerteidigungspolitik“ unterstützen.6 Po-litische Bildung an der Schule ist aberkeinesfalls einer nationalen Position ver-pflichtet. Sie hat zur Aufgabe, auch in in-ternationalen Konflikten unterschiedli-che Interessen sichtbar zu machen undkontrovers zu erschließen.

Auch das in die Funktion des Jugen-doffiziers einweisende Handbuch bin-det die Soldaten bei der Wahrnehmungihres Amtes ausdrücklich an die politi-schen Positionierungen der ihnen über-geordneten Stellen. Dort heißt es: „Fürdie Arbeit müssen sie sich immer an po-litische Grundsatzaussagen, Analysenund Hintergrundinformationen aus denBereichen der Sicherheits- und Vertei-digungspolitik des BMVg, des SKA, ih-res LdI oder ihres StOffz ÖA halten. AlsOffizier der Bundeswehr sind sie Re-präsentant der Exekutive der Bundesre-publik Deutschland in der Öffentlich-keit“.7 Das schulische Wirken der Ju-gendoffiziere repräsentiert somit eineInformationsarbeit, die am Ende einerlangen Weisungskette steht und stets imSinne der jeweiligen Interessenlage derBundesregierung zu agieren hat. DieQualifikation zur Mündigkeit hingegen– das wäre Politische Bildung – zähltnicht zum Auftrag der Jugendoffiziere.Sie kann unter den skizzierten Rah-menbedingungen auch unmöglich wahr-genommen werden. Stattdessen orien-tieren sich Jugendoffiziere an einer Kon-zeption politischer Erziehung, diepartiellen Interessen dient. Dies wider-spricht den Grundsätzen des Beutelsba-cher Konsens. Folglich darf eine ent-sprechende politische Öffentlichkeits-

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Didaktische Werkstatt

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arbeit auch nicht unter das Etikett derPolitischen Bildung gestellt werden.

Die Arbeit der Jugendoffiziere wirdaus dem Etat für Öffentlichkeitsarbeitfinanziert. In einer Anlage zum aktuel-len Tätigkeitsbericht der Jugendoffizie-re wird hierzu festgestellt: „Gelder fürdie Öffentlichkeitsarbeit werden durchden Gesetzgeber ausschließlich mit derZweckbestimmung vergeben, ‚das Ver-ständnis für politische Maßnahmen zuerhöhen‘“8. Auch hieran wird deutlich,dass die Jugendoffiziere einem Infor-mations-, aber keinem Bildungsauftragnachgehen. Die für ihre Öffentlichkeits-arbeit bestimmten Finanzmittel dürfenausdrücklich nicht für Aufgaben einerunabhängigen politischen Bildungzweckentfremdet werden.

Neben der ihnen aufgetragenen poli-tischen Informationsarbeit sollen Ju-gendoffiziere jungen Menschen über „dieGrundlagen des (seit 1. Juli 2011 frei-willigen) Wehrdienstes“ informieren.Diesbezüglich wird beansprucht, dasses sich dabei um „keine Nachwuchs-werbung“ handele, da Jugendoffiziere„Interessenten und Bewerber an die dafürzuständigen Stellen der Karrierebera-tung“ verweisen würden.9

Mangelnde Legitimation vonEinstellungserhebungen

Bisher kaum problematisiert wird, dassJugendoffiziere ihre Schulbesuche dazunutzen, um die politischen Einstellun-gen von Schülerinnen und Schülern zuerheben. Dabei geht aus der Vorstellungdes Jahresberichts der Jugendoffiziere2012 durch den Presse- und Informati-onsstab des Bundesverteidigungsminis -teriums hervor, dass es sich bei derSammlung und Auswertung von ent-sprechenden Daten um eine zentrale Auf-gabe der Jugendoffiziere zu handelnscheint: „Der Bericht enthält ihre [ge-meint sind die Jugendoffiziere] Er-kenntnisse über Einstellungen von Ju-gendlichen zu Bundeswehr und zur Si-cherheitspolitik.“10 Quantitativ machtdie Darstellung der gesammelten Er-kenntnisse über die politischen Einstel-lungen von Jugendlichen etwa ein Drit-tel der für die Jahre 2012 und 2013 er-stellten Tätigkeitsberichte aus.

Auch die Darstellung der von den Ju-gendoffizieren an den Schulen gewon-nen Informationen über die politischenEinstellungen Jugendlicher dokumen-tiert, dass sich die Öffentlichkeitsarbeitder Bundeswehr nicht in die TraditionPolitischer Bildungsarbeit stellen kann.So wird im aktuellen Jahresbericht überdie Arbeit der Jugendoffiziere unter derRubrik „Politische Einstellungen Ju-gendlicher“ festgestellt, dass die Bun-deswehr von der Mehrheit der Jugendli-chen mit Kameradschaft und finanziel-ler Sicherheit assoziiert werde. Zu denAuslandseinsätzen folgt folgender Kom-mentar: „Kritischer stellt sich die Lageim Bereich der Auslandseinsätze dar. DieAufgaben im Rahmen internationalerKonfliktverhütung und Krisenbewälti-gung, einschließlich des Kampfes gegenden internationalen Terrorismus, werdenzum Teil zwar grundsätzlich anerkannt(tendenziell in Süddeutschland), jedochauch kritisch bewertet oder rundweg ab-gelehnt (tendenziell eher in Nord- undOstdeutschland). Häufig werden hierbeiBerechtigung und Sinnhaftigkeit vonAuslandseinsätzen generell hinterfragt“.11

Aus Warte der Politischen Bildunghandelt es sich bei einer kritisch-hinter-fragenden Haltung gegenüber politischenEntscheidungen freilich nicht um ein La-ster, sondern im Gegenteil um eine zufördernde Kompetenz. Der kritikfähigeBürger stellt ein zentrales Bildungszielder Politischen Bildung dar. Jugendoffi-ziere stehen mit ihrer Tätigkeit also nichtnur jenseits des Spektrums politischerBildungsarbeit – ihre an die Interessendes Bundesverteidigungsministeriumsgebundene politische Informationsarbeitkann die Ziele Politischer Bildung sogarkonterkarieren.

An anderer Stelle des aktuellen Jah-resberichts heißt es: „Das in der Ver-gangenheit besonders positive Bild, dassich die Jugendlichen von US-PräsidentObama gemacht hatten, ist inzwischenetwas verblasst. […] Das Ansehen derUSA unter den Jugendlichen ist interes-santerweise regional unterschiedlich. Eswurde in der ersten Jahreshälfte in Nord-deutschland als grundsätzlich gut be-schrieben, in Hessen herrschten Skepsisbis hin zu breiter Ablehnung vor“.12 ImFolgenden wird abermals deutlich, dassJugendoffiziere einen Auftrag der poli-tischen Erziehung erfüllen (und keine

Politische Bildung betreiben). So wirdausgeführt: „Vielfach gelang es nur un-ter Hinweis auf die historische Rolle derUSA im Kalten Krieg (...) grundsätzli-che Zustimmung zu der Bedeutung gut-er Beziehungen zu den USA in Gegen-wart und Zukunft zu erhalten“.13

Dass die Jugendoffiziere der Bun-deswehr offensichtlich systematisch Er-kenntnisse über die politische Gedan-kenwelt von Jugendlichen sammeln, mar-kiert einen eigenen Problembereich.Haben die betroffenen Kultusministeri-en ihr Einverständnis dafür gegeben, dassdie Bundeswehr Einstellungen von Schü-lerinnen und Schülerinnen erhebt? In denKooperationsvereinbarungen mit denBundesländern ist jedenfalls nichts dar-über zu lesen. Vor allem ist die Frage zustellen, ob die Schulleitungen, die Lehr-kräfte, die Eltern und die Jugendlichenvor den Schulbesuchen von den Jugen-doffizieren darüber aufgeklärt werden,dass entsprechende Daten gesammeltwerden (aus denen dann wiederum „Im-pulse für die Öffentlichkeitsarbeit derBundeswehr“ abgeleitet werden)14. Ma-chen Jugendoffiziere ihre Absicht, In-formationen über die politischen Inter-essen und Meinungen der Jugendlichenzu gewinnen, transparent? Wissen dieEltern darüber Bescheid und können siedie Datenerhebung im Vorfeld ablehnen?

Wenn für wissenschaftliche StudienEinstellungserhebungen an Schulendurchgeführt werden sollen, geht demzu Recht ein langer Antragsweg und einEinverständnisverfahren mit den Elternvoraus. Das ist das Minimum, das auchfür die Bundeswehr gelten muss. Es istnicht akzeptabel, dass Jugendoffizieredie Einladung in den Politikunterrichtdazu nutzen, um für die Bundeswehr ei-nen Lagebericht zum politischen Den-ken von Schülerinnen und Schülern zuerstellen. Kultusministerien – aber auchElternverbände – sollten die gegenwär-tige Praxis prüfen und regulieren.

Im Hinblick auf die Erfordernisse desBeutelsbacher Konsens – Überwälti-gungsverbot, Kontroversitätsgebot, Be-fähigung zur Interesse geleiteten Parti-zipation – bleibt festzuhalten, dass dasdurch die Jugendoffiziere vermittelteInformationsangebot der Bundeswehrkeine Politische Bildung darstellt.

Die Bundeswehr hat keinen schuli-schen Bildungsauftrag und sollte auch

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nicht versuchen, ihn durch Jugendoffi-ziere umzusetzen. Nur ausgebildete Po-litiklehrerinnen und Politiklehrer ga-rantieren eine Politische Bildung nachden Prinzipien des Beutelsbacher Kon-sens – auch zu Fragen der Verteidigungs-und der Sicherheitspolitik!

Anmerkungen

1 BMVg Presse- und InformationsstabReferatsleiter Internet, Öffentlichkeits-arbeit: Jahresbericht der Jugendoffi-ziere 2013, Berlin 10.06.2014, S. 3f.

2 Vgl. Anlage 2a zu BMVg Presse- undInformationsstab Referatsleiter Inter-net, Öffentlichkeitsarbeit: Jahresberichtder Jugendoffiziere 2013, Berlin 10. Ju-ni 2014 (Summe der „Gesamtzahl Ver-

anstaltungen Schüler und Studenten“;die auf Universität u. Hochschule bezo-genen Veranstaltungen wurden vonden Autoren herausgerechnet).

3 Bericht über die Umsetzung der Ko-operationsvereinbarung zwischendem Land Nordrhein-Westfalen undder Bundeswehr für das Schuljahr2012/ 2013. In: Deutscher Bundestag,Drucksache 17/14703 vom 05.09.2013,S. 33.

4 BMVg Presse- und InformationsstabReferatsleiter Internet, Öffentlichkeits-arbeit: Jahresbericht der Jugendoffi-ziere 2013, Berlin 10.06.2014, S. 3.

5 Zentrale Dienstvorschrift Informati-onsarbeit (TA-600/1), Presse- und In-formationsstab im BMVg, gültig seit01.04.2014, S. 25.

6 Ebd., S. 26.7 Streitkräfteamt: Handbuch: Der Ju gend -

offizier, Sankt Augustin 2007, S. 6.

8 Anlage 1 zu BMVg Presse- und Informa-tionsstab Referatsleiter Internet, Öf-fentlichkeitsarbeit: Jahresbericht der Ju-gendoffiziere 2013, Berlin 10.06.2014.

9 Ebd.10 BMVg Presse- und Informationsstab

Referatsleiter Internet, Öffentlichkeits-arbeit: Betreff: Jahresbericht der Ju-gendoffiziere 2012, Berlin 13.05.2013.

11 BMVg Presse- und InformationsstabReferatsleiter Internet, Öffentlichkeits-arbeit: Jahresbericht der Jugendoffi-ziere 2013, Berlin 10.06.2014, S. 14f.

12 BMVg Presse- und InformationsstabReferatsleiter Internet, Öffentlichkeits-arbeit – Jahresbericht der Jugend -offiziere 2013, Berlin 10.06.2014, S 17.

13 Ebd. 14 BMVg Presse- und Informationsstab

Referatsleiter Internet, Öffentlichkeits-arbeit: Betreff: Jahresbericht der Ju-gendoffiziere 2013, Berlin 10.06.2014.

Didaktische Werkstatt

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Wollen wir Schulen als Rekrutierungsfeld der Bundeswehr?Das Robert Blum Gymnasium in Berlin erhielt den Aachener Friedenspreis 2013

Wieso bekommen Schulen in Friedenszeiten einen Frie-denspreis? Ist ein Land denn überhaupt im Frieden, wennseine Armee in 12 Ländern im Einsatz ist, wenn Soldatentöten und getötet werden oder traumatisiert zurückkeh-ren? Ist ein Land im Frieden, wenn diese Armee vermehrtfür den Kriegsdienst wirbt: an Schulen, auf Jugendmes-sen, Berufsveranstaltungen, in Publikationen? Halten wires als Pädagog_innen für richtig, wenn jene an Minder-jährige verteilt werden und an Schüler_innen, die selberaus Kriegsregionen stammen? Passt dies zum Trainierengewaltloser Konfliktlösung in der Schule? Passt dies zumBildungsziel der Völkerverständigung und Friedenserzie-hung? Das sind Fragen, die unabhängig von der Einstel-lung zur Bundeswehr gestellt werden müssen.Die Ausgaben der Bundeswehr für Nachwuchswerbung wur-den in den letzten 14 Jahren auf 29 Millionen Euro fast ver-dreifacht. Die Möglichkeiten von Friedensgruppen, denSchüler_innen auch andere Positionen nahezubringen sindvor diesem Hintergrund verschwindend gering, weil es sichhierbei hauptsächlich um nebenamtlich Tätige handelt. Voneiner Ausgewogenheit kann hier also keine Rede sein! Meh-rere Schulen in Deutschland wollen sich deshalb diesemTrend entgegenstellen und haben sich gegen Bundeswehr-Werbung auf dem Schulgelände ausgesprochen. Dafür ha-ben stellvertretend zwei Schulen den Aachener Friedens-preis erhalten. Hierbei handelt es sich um unsere Schule,das Robert Blum Gymnasium in Berlin-Schöneberg und umdie Käthe-Kollwitz-Berufsschule in Offenbach. In Berlin hataußerdem die August-Sander-Berufsschule in Berlin-Fried-richshain ein Werbeverbot beschlossen.Zum historischen Datum, dem Antikriegstag am 1. Sep-tember, wurden Vertreter_innen aller Preisträger nach Aa-chen eingeladen. Darunter befand sich auch die Interna-tionale Schule, aus dem irakischen Kurdistan (Nordirak).Sie erhielt den Preis für das dort einmalige Konzept ihrerSchule, in der gemeinsames und gleichberechtigtes Ler-nen von Jungen und Mädchen, von unterschiedlichen Re-ligionen, Glaubensrichtungen und Volksgruppen tagtäg-lich gelebt wird. (…)

Wer steckt eigentlich hinter dem „Aachener Friedenspreis“?(…) Der Aachener Friedenspreis e.V. hat ca. 400 Mitglieder,darunter ca. 350 Einzelpersonen und etwa 50 Organisatio-nen: Unter anderem die Stadt Aachen, der regionale Deut-sche Gewerkschaftsbund, katholische Organisationen imBistum Aachen, der evangelische Kirchenkreis sowie zahl-reiche weitere kirchliche und politische Organisationen.

Die Presseberichterstattung, aber auch die Zuschriften anunsere Schule zeigen viel Zustimmung für unseren Be-schluss. Es gibt jedoch auch Kritik und Fragen. Das ist ineiner Demokratie normal. Z.B., ob nicht die Lehrfreiheitder einzelnen Lehrkraft dadurch eingeschränkt wird. Dassdies nicht mit dem Beschluss gemeint ist, sondern dass erappellativ zu verstehen ist, haben wir als Schule deutlichgemacht. Dieser Appell richtet sich gegen die Rekrutie-rung von Soldaten an der Schule, nicht gegen die Institu-tion. Es stimmt auch nicht, dass eine kontroverse Diskus-sion über die nationale Sicherheitspolitik verhindert wer-den soll. Diese Debatte muss geführt werden, aber auf derpolitischen Ebene und nicht mit Vertretern der operativenEbene, die auf Befehl eine bestimmte Sicherheitspolitikvertreten müssen! Befremdlich sind andererseits die Auf-geregtheiten und bösen Beschimpfungen. Gerade deshalbist die Verleihung des Friedenspreises eine wertvolle unddankenswerte Unterstützung der Schulen. Der Bürger-meister Björn Jansen hat in seiner Rede hervorgehoben,dass es wichtig ist, anzuecken und sich gegen den belli-zistischen Mainstream zu wenden. Nachvollziehbar, dassdies Interessen von Bundeswehrangehörigen (übrigensnicht allen!) oder der Rüstungslobby widerspricht. Wirmüssen aber dem daraus folgenden Druck standhaltenund dürfen uns nicht einschüchtern lassen, auch mit Blickauf die Jugendlichen. Ich halte es für sinnvoll, wenn an-dere Schulen breit darüber diskutieren, ähnliche Beschlüssezu fassen: in Gesamt- und Schulkonferenzen.

Thomas Schmidt (Lehrer am Robert Blum Gymnasium)Eine längere Fassung des Beitrags erschien bereits in der

Ausgabe 10/2013 der Berliner Lehrerzeitung.

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DVPB

aktuell

Impuls

Termine

Personen

Berichte

polis 1/2015

ImpulsVerabschiedung des Positionspapiers der DVPBMit ihrem Positionspapier „Politische Bildung für die Demokratie“ möchte die DVPB

in pointierter Form ihr Selbstverständnis als Interessenvertretung der Politischen Bil-

dung zum Ausdruck bringen (vgl. POLIS 3-2014, S. 26f. und POLIS 4-2014, S. 25f.).

Die sechzehn Thesen zur Politischen Bildung in Schule, Hochschule, JUgendarbeit

und Erwachsenenbildung wurden vom Bundesvorstand der DVPB in Abstimmung mit

dem Erweiterten Bundesvorstand erarbeitet und auf der letzten Sitzung des Bundes-

vorstandes als Grundsatzpapier der verbandspolitischen Arbeit verabschiedet.

Politische Bildung für die DemokratiePositionspapier der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (DVPB)

Notwendigkeit Politischer Bildung

1. Demokratie setzt die Politische Bil-dung aller voraus. Ohne PolitischeBildung achtet das demokratische Ge-meinwesen sich selbst gering und ge-fährdet seine Grundlagen.

2. Demokratische Werte, Normen und In-stitutionen bedürfen der fortlaufendenPraxis und der kritischen Reflexion vonAnspruch und Wirklichkeit durch mün-dige Bürgerinnen und Bürger.

3. Politische Bildung ist in einer De-mokratie gesellschaftliche Allge-meinbildung. Hierfür trägt der Staateine besondere Verantwortung.

Charakteristika Politischer Bildung

4. Als gesellschaftliche Allgemeinbil-dung ist Politische Bildung sozial-wissenschaftlich ausgerichtet, um po-litische, soziale, wirtschaftliche undkulturelle Zu sammenhänge ange-messen zu erfassen.

5. Politische Bildung orientiert sich anden Grundsätzen des „BeutelsbacherKonsens“: Überwältigungsverbot,Kon troversitätsprinzip und Befähi-gung zur interessengeleiteten Parti-zipation der Lernenden.

6. Die Befähigung des Einzelnen zu ei-ner reflektierten und selbstbestimm-ten Teilhabe am öffentlichen Lebenumfasst ethisch-moralisches Urteilenund politisches Handeln.

7. Politische Bildung ist Bildung zurKritik- und Konfliktfähigkeit.

8. Soziales und politisches Lernen sindzu unterscheiden und als Demokra-tiebildung zu verknüpfen.

9. Politische Bildung reflektiert die Vor-aussetzungen und Bedingungen vondemokratischer Beteiligung. Deshalborientiert sie sich am Prinzip derChancengleichheit.

Bildungspolitische Forderungen

10. Politische Bildung muss in allen Bil-dungsgängen verankert werden (all-gemein- und berufsbildende Schu-len, Hochschulen, Jugend- und Er-wachsenenbildung, Aus- und Wei ter- bil dung).

11. Die Förderung politischer Mündig-keit gehört zum Kern des Bildungs-auftrages aller Schulen.

12. Sozialwissenschaftliches Lernen be-darf eines integrierenden Kernfachesder Politischen Bildung, das durch-gängig mit mindestens zwei Wo-chenstunden unterrichtet wird.

13. Der mehrperspektivische Zugriff ver-langt sozialwissenschaftlich undfachdidaktisch ausgebildete Lehr-kräfte.

14. Hochschulen müssen die PolitischeBildung aller Studierenden und ins-besondere aller Lehramtsstudieren-den fördern. Studienseminare setzendies fort und bilden die Fachlehr-kräfte für Politische Bildung aus.

15. Durch die Jugend- und Erwachsenen -bildung wird Politische Bildung alslebenslanges Lernen unterstützt. Diezi vilgesellschaftlichen Träger müs-sen durch Projektförderung und in-stitutionelle Förderung abgesichertwerden.

16. Politische Bildung braucht eine in-stitutionalisierte fachdidaktische For-schung an den Hochschulen. Sie be -nö tigt ein unabhängiges, forschungs -orientiertes Institut für die Didaktikder Demokratie.

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DVPB aktuell

27polis 1/2015

Aufruf für den Erhalt derGrundlagen politisch-ökono-mischer Allgemeinbildung inBaden-Württemberg

Mit der Einführung eines Separat-fachs Wirtschaft macht die grün-rote Landesregierung derzeit bun-desweit Schlagzeilen. Zugleich

wird in Zusammenhang mit derUmstellung der Lehramtsstudi-engänge auf Bachelor/Master dasKombifach Politikwissenschaft/Wirtschaftswissenschaft in zwei se-parate Studienfächer aufgelöst. Als Sprecher der FachleiterInnender Staatlichen Seminare für Di-daktik und Lehrerbildung in Ba-

den-Württemberg haben PeterKrapf und Beate Thull (Thull istzugleich stellvertretende Vorsit-zende des DVPB-Partnerverbandes„Südwestdeutscher Lehrerverbandfür historische, politische und öko-nomische Bildung“) auf diese weit-reichende bildungspolitische Ent-scheidung reagiert. Der Bundes-

vorstand der DVPB unterstützt dienachfolgend abgedruckte Stellung -nahme und bittet die Leserinnenund Leser der POLIS ebenfalls umUnterstützung – z.B. durch Briefeoder E-Mails an Andreas Stoch(Kultusminister, SPD) und TheresaBauer (Wissenschaftsministerin,Bündnis 90/ Die Grünen).

Die Fachleiterinnen, Fachleiter undLehrbeauftragten für Gemein-schaftskunde und Wirtschaft an denStaatlichen Seminaren für Didaktikund Lehrerbildung Gymnasien inBaden-Württemberg wenden sichmit Nachdruck gegen die Entschei-dung, das Kombifach Politikwis-senschaft/Wirtschaftswissenschaftin zwei eigenständige Studienfächeraufzulösen. Begrün dung:

1. Gemeinschaftskunde hat in Ba-den-Württemberg Verfassungs-rang (Art. 21 Abs. 2 Landes-verfassung). Sie umfasst alsKern das Politische; das Politi-sche ohne Wirtschaft ist abersachlogisch nicht vorstellbarund vermittelbar. Der mündige Bürger ist per seauch Wirtschaftsbürger. Gemeinschaftskunde ohne Wirt-schaft würde ihren wesentlichdurch die Vernetzung von poli-

tischer und ökonomischer Bil-dung definierten Charakter ver-lieren – Verfassungsnorm undVerfassungswirklichkeit wärenmateriell nicht mehr im Ein-klang. Die Erfüllung des Bil-dungsauftrags, vor allem dasZiel Politischer Bildung, zummündigen Bürger zu erziehen,wäre dadurch in hohem Maßein Frage gestellt.

2. Wirtschaft ohne Politik ist mitdem Konzept des allgemeinbil-denden Gymnasiums nicht ver-einbar: Der mündige Wirt-schaftsbürger ist auch Bürger.Ökonomische Kategorien dür-fen nie die alleinige Basis vonWerturteilen sein. Politik undWirtschaft sind die beiden Sei-ten ein und derselben Medaille.

3. Ein eigenständiges Fach „Wirt-schaft, Berufs- und Studienori-entierung“ kann den dargeleg-ten Prinzipien nur entsprechen,

wenn der organisatorischenTrennung nicht auch noch eineinhaltliche folgt – genau dieswäre aber die Konsequenz derAuflösung des Kombifaches imBA/MA-Studium. Das hießedann, dass künftig in der Schu-le Gemeinschaftskunde vonLehrerinnen und Lehrern ohnewirtschafts-wissenschaftlichesStudium unterrichtet wird, Wirt-schaft von solchen ohne poli-tik-wissenschaftliches Studium.

4. Im Schulalltag droht die Mar-ginalisierung beider Fächer undaus schulorganisatorischenGründen die vermehrte Ertei-lung fachfremden Unterrichts.Das ist mit der Sicherung odergar Verbesserung der Qualitätvon Unterricht nicht vereinbar.

5. Noch vor Evaluierung des Kom-bifaches Politikwissenschaft /Wirtschaftswissenschaft wäreim zweiten Ausbildungsab-

schnitt, dem Referendariat,ebenfalls die Auflösung der be-stehenden Verbindung von Ge-meinschaftskunde und Wirt-schaft zu befürchten. Auch die-se ist aus den oben genanntenGründen weder inhaltlich lo-gisch noch organisatorisch sinn-voll.

Deshalb bitten wir Sie, sehr geehr-ter Herr Ministerpräsident Kret-schmann, sehr geehrte Frau Mini-sterin Bauer und sehr geehrter HerrMinister Stoch, nachdrücklich dar-um, ihre Entscheidung zu über-denken, und appellieren an die an-deren Adressaten, sich für die Bei-behaltung des Kombifaches Po litik- wissenschaft / Wirtschaftswissen-schaft, hilfsweise für eine obliga-torische Koppelung der beiden ei-genständigen Studienfächer einzu-setzen.

Forum Politikunterricht (Magazin desbayerischen Landesverbandes mit Be-richtsteilen für Sachsen und Thüringen)erscheint dreimal im Jahr. Ende März erscheint Heft 1-15 zum Thema „Einwanderungskontinent Europa – Bedrohung oder Chance?“ (vgl. den Bericht aus Bayern, S. 28). Einzelpreis z. Zt. 3,50 € pro Ausgabe zzgl.1,45 € Versand ([email protected])

Politisches Lernen (Organ der DVPB NRWe.V.) erscheint im Rahmen von zwei Doppelausgaben pro Jahr.Schwerpunkt von Heft 1-2/15: „Roma inDeutschland“ (erscheint im Juni). Jahresabonnement z. Zt. 16,00 € (Bestell-schein unter [email protected])

Politik Unterrichten (Zeitschrift des niedersächsischen Landesverbandes) erscheint mit zwei Ausgaben pro Jahr.Heft 2-14 zum Thema: „Bürgerinnen_insNetz gegangen!“. Einzelpreis z. Zt. 6,00 € pro Ausgabe inkl.Versand ([email protected])

Empfehlung: Neben der POLIS bietet die DVPB drei weitere interessante Fachzeitschriften rund um die Politische Bildung. Für Mitglieder des je-weiligen Landesverbandes ist der Bezugspreis im Jahresbeitrag des Landesverbandes enthalten.

Schwerpunktthema:

Wasser – Lebensgrundlage und Konfliktstoff

Aufsätze, Bücher, Nachrichten, Veranstaltungen u.a.m.

FORUM POLITIKUNTERRICHT

ISSN

0941 -

5874

3 1

4

Herausgegeben von der Deutschen Vereinigungfür Politische Bildung – Landesverband Bayern

Mit Beiträgen aus den Landesverbänden Sachsen und Thüringen

DEUTSCHE VEREINIGUNG FÜR POLITISCHE BILDUNG E.V.Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung Niedersachsen

1967 gegründet

Politik_____

_______unterrichten

DVPB

Heft 2/2014Jahrgang 29

22. Niedersächsischer Tag der Politischen Bildung

Bürger_innen ins Netz gegangen!

Donnerstag, 25. 9. 2014 Leibnizhaus Hannover

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sei. Hans Dietrich von Loeffel -holz, bis vor kurzem in der For -schungsabteilung des BAMF,stützte Burkerts Thesen. Er sagte,Europa sei bedingt durch Welt -wirt schaftskrise und Kriege inden letzten Jahren zum Einwan -der ungskontinent geworden. Da -bei verschieben sich die Wande -rungen innerhalb der EU auswirt schaftlichen Gründen inRichtung auf Deutschland.

Unterschiedliche Sicht -weisen auf die aktuelle Lage derFlücht linge in Bayern prägte dieDis kus sion zwischen dem imbayeri schen Sozialministeriumfür Mi gration und Integrationzustän di gen MinisterialdirektorMarkus Gruber, der Frak tions -vorsit zen den Margarete Bause(Bünd nis90/ Grüne) undMatthias Wein zierl vomBayerischen Flücht lings rat.

Dr. Michael Schröder, zweiter Landesvorsitzender

200 000. Carola Burkert vomInst itut für Arbeitsmarkt- und Be -rufs forschung (IAB) in Nürnbergzeigte mit ihren Daten, dassDeutschland mit seinem stabilenArbeitsmarkt und Fachkräfte be -darf in den letzten Jahren derFinanz- und Staatsschuldenkriseseit 2008 zum Zuwanderungs -mag net geworden ist. Sie betonte,dass der Missbrauch von Sozial -leistungen kein Massenphänomen

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DVPB aktuell

polis 1/2015

Die „Ukraine-Krise“ als Konfliktanalyse: Erste Erfahrungen aus derUnterrichtspraxis

Ein aktueller Konflikt, der vieleMen schen altersübergreifend inun serer Gesellschaft beschäftigt,ist die Ukraine-Krise. Der DVPB-Landesverband Sachsen-Anhaltund die Landeszentrale für poli ti -sche Bildung Sachsen-Anhalt hat-ten daher die Ukraine-Krise zumThema ihres Politik lehrer tages2014 gemacht (vgl. den Bei tragvon Annette Adam in der POLIS4/2014 auf Seite 28). In ei nemWork shop, der im Rahmen diesesPolitiklehrertages statt fand, hatteich den Entwurf der Kon flikt ana -lyse „Ukraine-Krise“ für den Un -terricht in der Sekun dar stufe I vor-gestellt. Die Fragen und Proble -me, die sich bei der Ent wick lungs -arbeit im Umgang mit dem Kon -tro ver si tätsprinzip, der didakti -schen Re duk tion und der Ak tuali -tät erga ben, habe ich im Auf satz„Die Ukraine-Krise als Herausfor -de rung für den Poli ti k unter richt.

Fra gen und Proble me aus der Un -ter richtsent wick lung am Beispieleiner Konflikt analyse“ erläutertund diskutiert. Dieser Auf satz istin der Zeit schrift Gesell schaft –Wirt schaft – Politik (GWP)1/2015 erschienen. Im De zember2014 er folg te dann der zwei tewich tige Schritt: die erst ma ligeEr probung in der Un ter richts -praxis.

Die erste Erprobung der Kon -flikt analyse fand im Sozialkunde -unterricht in einer Lerngruppe derFreien Schule Bildungs manu fak -tur in Halle (Saale) mit drei zehn-und vierzehnjährigen Schü lerIn -nen statt (fünf Doppel stun den).Die ersten Erfahrungen haben ge-zeigt, dass Jugendliche auch jen -seits der Sekundarstufe II ein ho -hes Kommunikations- und Orien -tierungsbedürfnis zur Ukraine-Kri se besitzen. Die Erschließungdes Konflikts nach den kategoria-len Leitfragen …� Was ist geschehen? Worum

geht es in dem Konflikt?Welche Konfliktparteien habenwelche Interessen?

Berichte

Sachsen-Anhalt� Welche Konfliktparteien haben

welche Möglichkeiten? Wiesind sie mit Blick auf denWeltfrieden und die Wirt schaftzu beurteilen?

� Welche Rolle spielt die Ge -schichte in dem Konflikt?

� Wie ist der Konflikt aus Sichtder betroffenen Menschen inder Region zu beurteilen?

� Welche Regelungen des Völ -ker rechts ermöglichen be -ziehungsweise beschränkendas Handeln der Konflikt -parteien? …

hat sich im Unterricht bewährt.Die Arbeit mit den entwickeltenTextmaterialien, die der Erschlie -ßung des Konflikts dienen, er wiessich allerdings als Heraus forde -rung für die Lernenden, weil sieeine hohe Faktendichte auf weisen.Bestandteil der entwi ckel ten Kon -fliktanalyse ist auch ein Kon fe -renz spiel, in dem die Aushandlungeiner möglichen Konfliktlösungzwischen den Kon fliktparteien si-muliert wird. Die Umsetzung desKonferenz spiels war bei der Er -pro bung gut gelungen; die Über -nahme der Rol len kann jedochauch mit Schwierigkeiten verbun-den sein. In der abschließendenGe nerali sie rung wurden die Schü -ler ge fragt, welche Eigenschaftenvon Menschen/Menschengruppen

zu Konflikten wie dem Ukraine-Kon flikt führen. In Kleingruppensind die Lernenden zu folgendenErgebnisse gekommen (Aus wahl):Machthunger, Denken in Feind -bildern, Bedrohungs ge füh le, Miss -trauen. Hieraus leiteten die Ler -nen den ab, dass es zur Ver hin de -rung und Lösung solcher Kon flik -te zunächst darauf an kä me, gegen-seitiges Vertrauen und Gesprächs -bereitschaft aufzubauen.

Die ersten Erfahrungen mit derKonfliktanalyse „Ukraine-Krise“lassen die Aussage zu, dass sie inder Sekundarstufe I ein setzbar ist.Sie ermöglicht den Lernenden ei-ne konkrete Durch dringung desKon flikts.

Der Text- und der Ma te rialteilder entwi ckel ten Kon flikt analysesowie ein ausführ li cher Erfah -rungs bericht befinden sich im„Didaktischen Koffer“ und sindüber die In ter net adresse http://www.zsb.uni-halle.de/archiv/didaktischer-koffer/ zu beziehen.Falls Sie als Leh rerIn die ent wi -ckelte Kon flikt analyse in IhremPolitikun ter richt ausprobieren,wäre ich Ihnen für eine Rückmel -dung (an [email protected]) sehr dankbar.

Christian Fischer, Landesverband

Jahrestagung desLandesverbandes in Tutzing:Migrationskontinent Europa– Bedrohung oder Chance?

Dass Deutschland faktisch einEin wanderungsland ist und Ein -wanderung braucht, davon istProf. Dr. Rita Süssmuth schonlänger überzeugt. Als Eröffnungs -rednerin der in Zusammenarbeitmit der Akademie für PolitischeBildung Tutzing und der Euro -päischen Akademie Bayern e.V.durchgeführten Jahrestagung desbayerischen Landesverbands sag-te die frühere Bundesministerinund Bundestagspräsidentin:„Wenn angesichts des gegenwär-tigen Einwanderungsdrucks deröffentliche Eindruck entsteht: ‚Essind zu viele‘, dann hat die Poli -tik ein zentrales Anliegen ver -säumt und ihre Aufgabe vernach-lässigt, den Bürgerinnen und

Bürgern die Lage zu erklären.Und wenn die Politik versagt,brauchen wir mehr denn je politi-sche Bildung.“ Sie konstatierte:„Es ist eine Chance, wenn wirdas Gefühl haben, wir schaffendas. Aber die gegenwärtige Lagewird zur Bedrohung, wenn wirdas Gefühl haben, wir schaffendas nicht." Süssmuth betonte,dass der Sozialstaat finanziellund die Gemeinschaft kulturellvon Zuwanderern profitieren.Laut der neuesten Bertelsmann-Studie zahlen sie 22 MilliardenEuro mehr in die Sozialsystemeein als sie herausnehmen.

Mit aktuellen Daten zur Situa -tion in Deutschland konnte derVizepräsident des Bundesamtesfür Migration und Flüchtlingen(BAMF), Michael Griesbeck,auf warten. Im vergangenen Jahrstieg die Zahl der Asylbewerberwegen des Syrienkriegs auf etwa

Bayern

Der bayerische Landesvorsitzende Prof. Dr. Armin Scherb mit der früheren Bundestagspräsidentin und Ministerin Prof. Dr. Rita Süssmuth Foto: Hannes S. Macher

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DVPB aktuell

polis 1/2015

diesem Punkt fand sie in MarioVoigt einen politisch Gleich -gesinnten, der den durch Schulenin freier Trägerschaft entste hen -den Wettbewerb lobte.

Im Anschluss betrachteteProf. Dr. Berkemeyer ThüringensPosition im Bundesweiten Bil -dungsvergleich. Laut dem durchihn erhobenen Chancenspiegelstehe Thüringen gut dar, müsseaber gerade im Hinblick aufregionale Disparitäten weitereAnstrengungen unternehmen, dieGemeinschaftsschulen auszubau-en, sowie die Kommunen in dieSchulnetzplanung enger einzu -binden.

Prof. Dr. Oppelland kommen-tierte die Wählerwanderung ver-beamteter Lehrer innerhalb derSPD und die ausbaufähige Ein -bindung des Lehrpersonals in dieGesetzgebung und bildungspoliti-sche Richtungsvorgaben.

Ein besonders strittigesThema stellte die Inklusion undErhaltung von Förderschulen dar.In diesem Zusammenhang regteProf. Dr. Berkemeyer die Ein -richtung eines expliziten Lehr -stuhls für Förderdiagnostik anden Thüringer Hochschulen an.

Nach etwa einer Stunde öffne-te Gesprächsleiter Debes die Dis -kussionsrunde für Fragen ausdem Publikum. Diese Mög lich -keit wurde sogleich wahrgenom-men, auch um Bereiche abseitsder Bildungspolitik anzu schnei -den. So wurde sich nach demMindestlohn für Praktikanten, so-wie der Stabilität der Rot-Rot-Grünen Koalition erkundigt.Auch kam das Streitthema In klu -sion erneut zum Tragen. Ab -schließend wurde das Thema derzukünftigen Lehrereinstellungangesprochen. Die mit der bis2020 drohenden Pensionie rungs -welle entstehenden finanziellenund personellen Belastungen stel-len für den Freistaat eine der zen-tralen bildungspolitischen He -raus forderungen der Zukunft dar.

In dieser Frage mit allen Dis -kussionsteilnehmern Einigkeitdemonstrierend, beendete MartinDebes nach zwei Stunden die„Jenaer Gespräch zur politischenBildung“.

Johannes Linkelmann,Landesverband

HistorischeRegierungsbildung imBundesland war Thema der„Jenaer Gespräche“

Einmal im Jahr laden der Landes -verband der DVPB Thüringenund seine Kooperationspartner,die Landeszentrale für PolitischeBildung, das ThILLM und dieProfessur für Didaktik der Politikan der Friedrich-Schiller-Univer -sität in Jena zu den „Jenaer Ge -sprächen zur Politischen Bil -dung“ ein. Traditionsgemäß fin -det diese Veranstaltung immer imNovember statt. Darauf nahmendie Koalitionsverhandlungennach der Landtagswahl in Thürin -gen 2014 keine Rücksicht. Folg -lich mussten das anvisierte The -ma „Nach der Regierungsbildung– Perspektiven für Thüringen un-ter rot-rot-grün“ und damit auchdie Jenaer Gespräche ein wenigauf sich warten lassen. Am 27.Januar war es endlich soweit undzahlreiche hundert Zuhörer folg-ten der Einladung des Landes -verbandes, seiner Koopera tions -partner und des Fördervereins desInstituts für Politikwissenschaftin den Hörsaal 5 der FSU Jena.

Dieses Jahr stellten sich nebenAnja Siegesmund vom Bündnis90/Die Grünen (Thüringer Minis -terin für Umwelt, Energie undNaturschutz), Dr. Mario Voigt(Mitglied der CDU-Landtags -fraktion), sowie Prof. Dr. TorstenOppenlland (Institut für Politik -wissenschaft) und Prof. Dr. NilsBerkemeyer (Institut für Erzie -hungswissenschaft) als Vertreterder FSU Jena den Fragen desPublikums und des ModeratorsMartin Debes, Leiter der Landes -redaktion der Thüringer Allge -meinen.

Das gerade für Thüringen äu -ßerst ereignisreiche Jahr 2014 boteine solche Themenvielfalt undGesprächsbedarf, dass der Fokusder Diskussion schon im Vorfeldauf die Hochschul- und Bil dungs -politik beschränkt wer denmusste.

Zu Beginn der Debatte beton-te Anja Siegesmund die Bedeu -tung der verbesserten finanziellenUnterstützung der freien Schulenin Thüringen, ein Kernthema,über welchem die Koalitions ver -handlungen seitens der Grünenhätten scheitern können. In

Thüringen

sei sie dafür geeignet, Theorie inPraxis zu überführen.

Klassischerweise folgt jedeDorfgründung einer festgelegtenDramaturgie. Die Fixpunkte dieserDramaturgie sind (1.) das Ent de -cken, (2.) das Systematisieren und(3.) das Anwenden. Dabei gehörtzu jeder dieser drei Phasen einefun damentale Veränderung derLehrendenrolle, denn Leh re rinnenund Lehrer werden durch sie zu„Coachs“, „Beratenden“, „Grün -dungsexperten“ sowie zu soge -nannten „Realitätswächtern“. Da -bei ist nach Petrik insbesondere inder ersten dieser drei Phasen einüberaus offener Lernprozess zu in-itiieren, der aber – gerade deshalb– auch besondere He raus forde -rungen an Lehrkräfte bereithalte.So sei es vor allem dort relevant,dass sie eine sokratische Leh ren -denrolle einnähmen, mithin einer-seits provozierten („Stechfliege“),sich aber ande rerseits auch zu -rückhielten („Heb amme“), umLernende selbst sprechen undneue Ge dan ken allein durch dasHinterfragen des von ihnen bereitsGesagten aufkommen zu lassen.Wichtig sei, dass Provokation undZu rück halten nicht als Pole ver -standen werden dürfen, die gewis-sermaßen ein Oszillieren zwischenihnen erlaubten, sondern stattdes-sen als zwei exklusive Optionen.

Um den Anwesenden dieSchwie rigkeiten zu verdeut li chen,sich in die sokratische Lehren den -rolle hineinzufinden und anknüp-fend daran die an diese Rolle ge -bundenen Regeln einzuhalten, ludAndreas Petrik schließlich zu ei -ner gemeinsamen Bearbeitung ei-nes Situations bei spiels aus einemtranskribierten Unterrichts mit -schnitt während einer Dorf grün -dung ein. Dabei zeigte der Aus -tausch unter- und miteinandernicht nur, wie unterschiedlich derUmgang mit be stimmten Unter -richtssituationen ist, sondern auch,was das tat säch lich sokratische ander Leh ren denrolle darstellt.

Mit der anwendungsbezoge nenDiskussion, die auf die Work shop -phase folgte, fand ein rundum ge-lungenes Bremer Ge spräch zurPolitischen Bildung seinen ge büh -renden Abschluss. Wir dankenProf. Dr. Andreas Petrik für seinenerhellenden Beitrag sowie allenTeilnehme rinnen und Teilnehmernfür ihr Interesse und die intensiveDis kus sion.

Der Landesvorstand

Dorfgründungsmodell im Mittelpunkt der Bremer Gespräche zurPolitischen Bildung

Zum nunmehr dritten Mal lud derDVPB-Landesverband Bremenam 15. Januar 2015 zu den Bre -mer Gesprächen zur PolitischenBildung ein. Für Vortrag und ge -meinsamen Austausch im Kultu -rsaal der Arbeitnehmerkammerkonnte Prof. Dr. Andreas Petrik(Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) gewonnen werden.Im Fokus des Gesprächs standdie von Petrik begründete „Ge ne -ti sche Politikdidaktik in Theorieund Praxis“.

Für das vor allem aus der schu -lischen Praxis stammende Publi -kum legte Andreas Petrik adressa-tengerecht den Schwer punkt sei -nes Vortrags auf die Rolle vonLehrenden. Anlass für dieseSchwer punktsetzung gaben aller-dings auch seine Beob ach tungenin dem vom ihm gelei te ten, aktu-ellen Forschungsprojekt zumDorf gründungsmodell in der Poli -tischen Bildung. Die Dorf grün -dung als Lehr-Lern-Arran ge mentfolge, so Petrik, dem Wie derent -de ckungsgedanken des gene ti -schen Lernens und grenze sich da-mit bewusst vom rein darlegendenLernen ab. Ursprüng lich als Insel -spiel angelegt (Na tur zustand),stelle das Dorf, so Petrik weiter,gewissermaßen eine „Abkür -zungs strategie für Ex pedition inungeregelte politische Ursprungs -situationen“ dar. Ins bes on dere sol-le die Dorf grün dung dabei helfen,Schülerinnen und Schülern Staat -lichkeit in ihrer Genese zu ver -deut lichen. Nicht zuletzt deshalb

Bremen

Vorstellung derDorfgründungs simulationdurch Prof. Dr. Andreas Petrik

Foto: Landesverband

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DVPB aktuell

polis 1/2015

Zur Diskussion: NeuerRahmenlehrplan für dieJahrgänge 1-10 in Berlin und Brandenburg

Ende November 2014 veröffent -lichte das Landesinstitut für Schu -le und Medien Berlin-Bran den -burg die Anhörfassung des neuenRahmenlehrplans für die Jahr -gangs stufen 1-10. Dabei geht esum nicht weniger, als um die cur-ricularen Grundlagen für eine in-klusive Regelschule in beidenBun desländern. Bis zum27.03.2015 können sich Interes -sierte über ein Online-Portal ander Diskussion beteiligen. DieDVPB Brandenburg ruft Fach kol -legInnen dazu auf, Stellung zurAnhörfassung zu beziehen. DerLandesverband selbst kommt zufolgender Einschätzung:

Wir begrüßen, dass ein ge -mein samer Bildungs- undErziehungsauftrag für die Grund -schule und die Sekundarstufe Ifür Brandenburg und Berlin for -muliert und danach gefragt wird,auf welche gegenwärtigen undzukünftigen Herausforderungenin einer zunehmend komplexer,dynamischer, globaler, verletzli-cher werdenden Welt unsereHeranwachsenden vorbereitetwerden sollen.

Der Verweis auf die Quer -schnitts aufgaben aller Fächer (TeilB des Rahmenlehrplans) kannSchulen ermuntern, ein gemeinsa-mes Bildungs- und Er ziehungs -konzept zu entwickeln, das Fach -unterricht, überfachliche Anliegenund Öffnung der Schule vereint.Der Bildungswert der zwölf über-greifenden Themen wird im Rah -men der kultusministeriellen Dar -stellung aber regelmäßig nur an -geschnitten – so wird bei spiels -wei se die Demo kratieerziehungnicht in ihrem Charakter als Men -schen rechts bildung deutlich. Ent -sprechend unterkomplex dar ge -stellt erscheinen die zwölf The -men bereiche in ihrer Auswahl teil-weise willkürlich.

Gegenüber der Situation inden Jahrgängen 7–10, in denendie Politische Bildung als eigen-ständiges Fach erhalten bleibt,geht sie in den Grundschul klas -sen 5 und 6 im Fächerverbundmit Geschichte und Erdkunde un-ter der Fachbezeichnung Gesell -schaftswissenschaften auf. Nurwenn diese Entscheidung dazuführt, dass endlich genügend qua-

lifizierte FachlehrerInnen für denUnterricht in Gesellschafts wis -sen schaften (Jg. 5–6) eingestelltwerden, kann das die Situationder Politischen Bildung im Pri -marbereich verbessern. Fach -fremd erteilter Unterricht zählt inbeiden Bundesländern sowohl imPrimar- als auch im Sekun dar stu -fenbereich zu den Haupt pro ble -men bei der Vermittlung Poli ti -scher Bildung. Unbedingt zu for-dern ist, dass das Unterrichtsfachder Politischen Bildung künftigdurchgängig mit mindestens einerWochenstunde von Fachlehr kräf -ten unterrichtet wird.

In allen Fachlehrplänen wer -den die fachspezifischen Kom pe -tenzen sowie Inhalte und Themendargestellt. Das Kompetenz mo dellin den Fächern Gesell schafts wis -senschaften und Poli tische Bil -dung lehnt sich an das Modell derGPJE an und ist jetzt von Klasse1–10 einheitlich. Es werden fach-spezifische Regel standards nachaufsteigenden Niveaustufen A–Hentwickelt, die aber bezüglich derKriterien, Stringenz, Plausibilitätund Prak tikabilität zu diskutierensind, insbesondere bzgl. der Min -dest standards für die PolitischeBil dung. Über welche politischenKompetenzen auf welchem Ni -veau sollen Heranwachsende ver-fügen, um sukzessive in ihre Bür -ger/innenrolle hineinwachsen zukönnen?

Es bleibt spannend, über dieschulisch vermittelte PolitischeBildung in Brandenburg und Ber -lin zu diskutieren. Wir befürwor -ten die Forderung der Ge schichts -lehrerverbände beider Län der, denRahmenlehrplan in allen seinenTeilen, insbesondere die Fach lehr -pläne Gesellschafts wissen schaf -ten, Geschichte sowie PolitischeBildung gründlich konzeptionellzu überarbeiten. Zu gleich sind dieBedingungen für eine erfolgreicheImplementation der Rahmen lehr -pläne zu beraten und zu gestalten,wie z. B. die Si cherung der Aus-,Fort- und Wei terbildung der Leh -rerInnen, das Vorhandensein vonentsprechenden Schulbüchern undUnter richts materialien, die Verrin -ge rung fachfremden Unterrichtssowie die Sicherung der Unter -richts versorgung für alle Fächer.Alle Beteiligten wären gut bera -ten, dies nicht unter Zeitdruck zutun.

Dr. Rosemarie Naumann, zweite Landesvorsitzende

Brandenburg

Bewusstsein derNotwendigkeit einerLandeszentrale für Politische Bildung wächst

Das Kultusministerium desLandes hat im Dezember 2014das Referat 23 für Politische Bil -dung, Medienbildung, Bildungfür nachhaltige Entwicklung undMobilität personell aufgestocktund so die Arbeit des Referatsdeutlich aufgewertet. Der Lan -des verband der DVPB Nieder -sachsen begrüßt die Entschei -dung der Landesregierung aus -drück lich, da sie damit ihrem ei-genen Anspruch die PolitischeBildung im Land wieder zu stär-ken, deutlich gerechter wird alszuletzt. Gleichwohl befürchtenwir, dass die Landesregierung ih-re Absicht, eine neue Landes zen -trale für Politische Bildung ein -zurichten, mit dem Hinweis aufdie Aufwertung der PolitischenBildung im Kultusministerium,nicht weiter verfolgt. Dies wäreein Irrweg. Sowohl aus den Re -gie rungsparteien (und anderen),als auch aus der Zivilgesellschaftund vor allem aus den Schulenund den Einrichtungen der Poli -tischen Bildung im Land hörenwir weiterhin die dringende For -derung nach einer neuen Landes -zentrale. Wir werden nicht müde,diese Forderung vorzutragen.

Der Vorsitzende Markus W.Behne brachten diesen Punkt –

mit deutlicher Zustimmung so -wohl aus dem Publikum als auchvon der Seiter der Organisatoren– auch in seinem Vortrag auf derTagung „Europäische Idee in derKrise? Extremismus, Populismusund die Potenziale europäischerBindekraft“ am 28. Januar in derUniversität Göttingen, vor. DerVortrag war in einer Gruppe mitder Überschrift: „PolitischeBildung zu Europa – Umgang mitExtremismus im Klassenzimmer“untergebracht. Daniel Köhler –ehemaliger Mitarbeiter von„Exit“ und heute freier Referent –zeigt auf, welche Formen vonRechtsextremismus Lehrerinnenund Lehrern begegnen können.Dr. Rico Behrens – TechnischeUniversität Dresden – präsentier-te Ergebnisse seiner empirischenStudien mit Lehrenden ausSachsen, die mit rechtsextremisti-schen Schülerinnen und Schülernim Unterricht umgehen mussten.Markus W. Behne unterstrich inseinem Vortrag den Auftrag derSchulen, die freiheitliche demo -kratische Grundordnung zu ver -mitteln. Und – mit den Grund -prinzipien des BeutelsbacherKonsenses – dies schließt dieWerteordnung nicht nur desGrundgesetzes, sondern auch diedes EU-Vertrags (Art.2 und 3EUV) mit ein.

Der Landesvorstand

Niedersachsen

Zur Anhör -fassung desRahmenlehrplanssind noch biszum 27.03.2015Rückmeldungenmöglich.

Link zum Anhörungsportal: http://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/anhoerungsportal.html

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POLIS gibt es in drei Ländern: Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wir informieren Sie hier über diese Zeitschriften,

um Brücken über die Grenzen zu bauen. Sie fi nden einen kurzen Informationstext, die Themenplanung für 2015, die aktuel-

len Bezugsbedingungen und Ansprechpartner sowie die entsprechende Homepage.

POLIS – Zeitschriften zur politischen Bildungin Deutschland, Österreich und der Schweiz

POLIS thematisiert aktuelle Fragen der

politischen Bildung und richtet sich an

Lehrpersonen und interessierte Fachkrei-

se der politischen Bildung. Hintergrund-

berichte, Interviews und Porträts zu einem

Schwerpunktthema vermitteln Zugänge zur

politischen Bildung und bieten Anregun-

gen, diese verstärkt zum Gegenstand des

Unterrichts zu machen.

Themenplan

2010: Menschenrechtsbildung –

Bildung und Menschenrechte

2011: Wahlen – eine Castingshow?

Jugend, Medien und Demokratie

2012: Politische Bildung am Ball

2013: Revolte der Jugend?

Zwischen Anpassung und Aufstand

2014: Verstrickt und zugenäht. Politische

Perspektiven auf die Modewelt

2015: Unter uns. Ungleichheiten und

Diskriminierungen in der Gesellschaft

Redaktion

Vera Sperisen: [email protected]

Bezugsbedingungen

1 x jährlich

gratis, ausserh. d. Schweiz für 5,– CHF

Pädagogische Hochschule FHNW,

Zentrum Pol. Bildung u. Geschichtsdidaktik,

www.fhnw.ch/ph/pbgd

Zentrum für Demokratie Aarau, www.zdaarau.ch

Blumenhalde, Küttigerstrasse 21, 5000 Aarau,

Schweiz, [email protected]

Die POLIS ist der Report der Deutschen

Vereinigung für Politische Bildung (DVPB).

Im Charakter eines Magazins informiert die

POLIS mit Fachbeiträgen zu ausgewählten

Schwerpunkten. Berichte aus der aktuellen

Szene, Interviews und Werkstattbeiträge

runden das Heft ab.

Themenplan 2015

Heft 1: Friedenspädagogik

Heft 2: Politische Bildung durch

politische Aktion?

Heft 3: Ungleichheiten in der

Demokratie – Nachlese zum

13. Bundeskongress

Politische Bildung

Heft 4: 50 Jahre DVPB

Redaktion

Dr. Martina Tschirner:

[email protected]

Bezugsbedingungen

4 Hefte jährlich

Abonnement: 24,80 € zzgl. Versand

Einzelheft: 7,40 € zzgl. Versandkosten

[email protected]

Wochenschau Verlag, Adolf-Damaschke-

Str. 10, 65824 Schwalbach/Ts.

www.wochenschau-verlag.de

Deutschland

Schweiz

polis aktuell ist die Zeitschrift für Lehr-

kräfte von Zentrum polis – Politik Lernen in

der Schule. In den Ausgaben werden aus-

gewählte Themen der politischen Bildung

für den Unterricht aufbereitet – mit Fachbei-

trägen, einem methodischdidaktischen Teil

sowie weiterführenden Tipps.

Themenplan 2015Heft 1: Sprache und Politik

Heft 2: Pop und Politik

Heft 3: Demokratiequalität

Heft 4: Pfl ichtmodul Politische Bildung

Heft 5: Demokratie und Menschenrechte

Redaktion

Dr. Patricia Hladschik:

[email protected]

Bezugsbedingungen

5 Hefte jährlich

Abonnement: 12,50 € inkl. Versand

Einzelheft: 3,50 € zzgl. Versandkosten

[email protected]

Zentrum polis – Politik Lernen in der Schule

Helferstorferstraße 5, 1010 Wien

www.politik-lernen.at

Österreich

Politische Bildung outdoor

2014Nr. 2polis aktuell

o Methoden und Tools

o Politische Bildung findet Stadt

o Gedenkstätten und Denkmäler

o Graffiti in der Politischen Bildung

Unser Europa – Mitbestimmen und Mitgestalten

2014Nr. 4polis aktuell

o Europa in der Politischen Bildung

o Über das Europäische Parlament

o Motivation, zur Wahl zu gehen

o Übungen für den Unterricht

o Link- und Materialientipps

o Der Europarat

Medien und Krieg

2014Nr. 6polis aktuell

o Krieg und Medien – eine Verschränkung: I. Weltkrieg, II. Weltkrieg, Vietnamkrieg, Irak-Krieg

o Filme über den Krieg und die Macht der Bilder

o Kriegsberichterstattung – zwischen Verantwortung und Risiko

o Unterrichtsbeispiele, Link- und Literaturtipps

Schulische Bubenarbeit

2014Nr. 8polis aktuell

o Mannsbilder und Männlichkeiten

o Bubenarbeit

o Schulische Bubenarbeit

o Übungen und Stundenbilder

o Literatur, Materialien, Links

Kinderrechte sind Menschenrechte

2014Nr. 11polis aktuell

o Die Rechte von Kindern und Jugendlichen

o Die UN-Kinderrechtskonvention

o Die Umsetzung der Kinderrechte in Österreich

o Die Weltbewegung der arbeitenden Kinder

o Unterrichtsideen, Materialien, Linktipps

Landgrabbing

2014Nr.12polis aktuell

o Ursachen, Folgen, Dimensionen

o Das Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität

o Agrartreibstoffe

o Agrarpolitik(en)

o Lebensstile und Handlungsmöglichkeiten

o Unterrichtsbeispiele

o Materialien-, Link- und Filmtipps

Nr. 6

2

013

Das Magazin für Politische BildungDas Magazin für Politische Bildung

Unter uns.Ungleichheiten und Diskriminierungen in der Gesellschaft.

Nr. 8

2

015

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32

DVPB aktuell

polis 1/2015

Lehrerfortbildungsseminar

zum Thema: „Zukunft des

Sozialstaats – Urteilsbildung

am Beispiel eines Halbjahres -

themas der Oberstufe an

Gym nasien und

Gemeinschafts schulen“

(in Kooperation mit dem Ins ti tutfür Qualitätsent wick lung anSchulen Schleswig-Holstein,Moderation: Prof. Dr. AndreasLutter u. Andreas Groh) am 16.Juni 2015 (09.00 – 17.00 Uhr) in24613 Aukrug, Bildungs- undTagungszentrum Tannenfelde.

Landesvorstand drängt auf Ausbau derFachlehrerInnenausbildungin Flensburg

Am 29. Januar 2015 fand ein Ge -spräch mit Staatssekretär RolfFischer über die Pläne der Lan -des regierung zur Reform der Leh -rerausbildung nach dem Wech selin der Leitung des Ministeriums(von Fr. Wende zu Fr. Alheit) statt.

Geplant ist u.a. der Ausbau desFaches Wirtschaft/Politik an derUniversität Flensburg auch für dasLehramt an der Oberstufe vonGymnasien und Gemein schafts -schulen (vgl. POLIS 2/14). DieDVPB begrüßt die Stärkung desFachs an den Uni versitäten: Wirt -schaft/Politik ist ein Erfolgs mo -dell in Schles wig-Holstein unddarüber hinaus. Das Land „expor-tiert“ zahlreiche Fach lehrkräfte inandere Bundes länder.

Der Vorstand machte deutlich:In Flensburg muss die notwendigepersonelle und sachliche Min dest -ausstattung für einen Stu dien gangfür das Lehramt an der Oberstufedurch Ausbau des Fa ches geschaf-fen werden. Dazu gehört einquan titativ ausreichendes undfachlich differenziertes Lehr an ge -bot auf forschungs nahem Level

(wis sen schafts pro pädeutischerAn spruch der Ober stufe). Das er-fordert mindestens je eine for -schungsfähig ausge stat tete Pro -fessur für Wirt schafts wissen -schaft, Politik wis senschaft undFachdidaktik mit Mitarbei ter stel -len und vollem Lehr an ge bot fürden WiPol-Stu dien gang. Der Vor -stand hält die vom Minis teriumangekündigte Ergänzung der bei-den vorhan de nen Pro fes suren umeine Junior professur für Politik -wissenschaft für unzu rei chendund bezweifelt, dass dies den An -forderungen von KMK und Ak -kre ditie rungs agen turen genügenwird.

Eng verbunden mit der fachli-chen und personellen Ausstattungder Lehrangebote an den Univer -sitäten sind die Probleme beimWechsel zwischen Universitäten,insbesondere zwischen Flensburgund Kiel. Hier bedarf es einerrechtzeitigen Koordinierung, umden Wechsel unter zumutbarenAuflagen zu ermöglichen. DieDVPB bietet dem Ministerium ih-re Expertise an.

Eine weitere Baustelle sehenwir im Bereich Berufsschulen.Hier fehlt ein eigenständiger fach-spezifischer Studiengang fürLehr kräfte des ja auch dort ange-botenen allgemein bildendenFachs Wirtschaft/Politik. Geradein den Berufsschulen ergibt sicheine Gelegenheit, politisch-öko -nomische Bildung an Jugendlichemit unterschiedlichem Bildungs -hin tergrund heranzutragen. DasMinisterium greift die Bitte auf,sich für die Zulassung von Wirt -schaft/Politik als Wahlfach fürHandels- und Gewerbelehrkräfteeinzusetzen.

Staatssekretär Fischer regte an,das Gespräch im Herbst desJahres fortzusetzen.

Prof. Dr. Klaus-Peter Kruber,erster Landesvorsitzender

Schleswig-Holstein

Wirtschaftslehre/Politik amBerufskolleg:Ausschreibungsverhaltender Schulleitungenverantwortlich für fachfremden Unterricht?

Am 4. September 2014 hat dasReferat „Politische Bildung amBerufskolleg“ der DVPB Nord -rhein-Westfalen e.V. mit Vertre -tern des Ministeriums für Schuleund Weiterbildung (MSW),Herrn Wehrhöfer und HerrnStiller, und des Ministeriums fürInnovation, Wissenschaft undForschung (MIWF), Herrn Dr.Cursiefen, über die Situation desUnterrichtsfachs Wirt schafts -lehre/Politik bzw. Politik an denBerufskollegs in Nordrhein-Westfalen diskutiert (zur Kritikder DVPB NRW an der Situationder Politiklehrer Innenausbildungan Berufskollegs: POLIS 3-2014,S. 28). Im mehr als zweistün di -gen Gespräch wurde die hoheBedeutung der Politischen Bil -dung an Berufskollegs von allenGesprächsteilnehmern betont.

Zunächst erfolgte eine Situa -tionsbeschreibung: An den 379Berufskollegs im Bundeslandsind derzeit 733 Lehrkräfte mitFakultas tätig. Im Durchschnittsind nur jeweils zwei Fach lehr -kräfte an jedem Berufskolleg tä -tig, wobei zu beachten ist, dassdiese auch noch mindestens einzweites Unterrichtsfach erteilen.Angesichts von etwas mehr als537.000 Schülerinnen und Schü -lern, die in Voll- und Teilzeit dasBerufskolleg besuchen, wird dieProblematik des hohen Anteilsfachfremden Unterrichts deutlich.Eine Besserung der Situation istderzeit nicht in Sicht, im Ver -gleich zum vergangenen Jahr hatsich an einzelnen Universitätensogar die Situation verschlech -tert. So haben an der Universitätzu Köln in diesem Winter semes -ter 2014/15 nur 6 Studierende mitdem BA-Lehramtsstudium Poli -tik für das Berufskolleg begon -nen, gegenüber 20 Studierendenim vorangegangenen Winter se -mester 2013/14.

Eine weitere Forderung be -steht darin, dass das Schulminis -terium die Bezirksregierungenund die Schulleitungen dringendauffordert, Stellen für das Lehr -amt Wirtschaftslehre/Politik bzw.Politik auszuschreiben. Die ge -gen wärtige Ausschreibungspraxis

– es werden vornehmlich Stellenfür die beruflichen und naturwis-senschaftlichen Unterrichtsfächerausgeschrieben – bedarf einerKorrektur, um einen fachgerech-ten Unterricht auch in der poli -tisch-ökonomischen Bildung zusichern. Hier kann sich das MSWnicht auf das Prinzip der Auto -nomie der Schulen zurückziehen,da eine Fehlsteuerung vorliegt.

Mit Besorgnis nimmt dieDVPB NRW zur Kenntnis, dassdurch die Vorschläge derTenorth-Kommission die Politi -sche Bildung und auch allge -mein bildende Unterrichtsfächernoch weiter aus den Bildungs -plänen verdrängt werden. DerVorschlag der Tenorth-Kommis -sion, zukünftig das Studium fürdas Berufsschullehramt nur inVerbindung mit einer beruflichenFachrichtung zu ermöglichen,um, so die Begründung, das Pro -fil der Berufsschule zu stärken,beinhaltet eine Vielzahl von Fall -stricken. Wir gehen davon aus,dass dadurch die Anzahl der Stu -dierenden für das Berufs schul -lehramt zurückgehen wird, waszu einer Verschärfung des Leh -rermangels an Berufskollegs ins-gesamt und des fachfremd erteil-ten Unterrichts im Fach Wirt -schaftslehre/Politik im Beson de -ren führen wird. Wir befürchten,dass so ein Status der allgemein-bildenden Unterrichtsfächer alszweitrangig festgeschrieben wür-de, was sich perspektivisch nega-tiv auf die Stundenkontingenteauswirken dürfte. Damit würdenfür Berufsschüler, die sich ineinem biografischen Um bruchs -prozess befinden, Räume zur ge-sellschaftlichen, sozialen und po-litischen Reflexion und Orien -tierung beruflichen Handelns be-schnitten. Die herkunftsbedingteBildungsbenachteiligung vielerBerufsschuler/-innen im Hinblickauf das Wissen über Politik unddie Entwicklung eines positivenSelbstkonzepts als politischerBür ger würde verfestigt.

Das Berufskolleg ist die Schul - form, die einen erheblichen Bei -trag leistet, die Strukturen sozialerUngleichheit im deutschen Bil -dungssystem abzubauen. DieseEr rungenschaft ist in Gefahr.

Prof. Dr. Bettina Zurstrassen,Rainer Schiffers, Sven Brehmer;

Fachgruppe Berufskolleg derDVPB Nordrhein-Westfalen e.V.

Nordrhein-Westfalen

Staatssekretär Rolf Fischer (SPD) mit dem Landesvorstand Foto: Landesverband

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33polis 1/2015

Sich im Umgang mitrechtsextremen Lernendenbewähren

Rico Behrens: Solange die sichim Klassenzimmer anständigbenehmen. Politiklehrer/innenund ihr Umgang mit rechtsex-tremer Jugendkultur in derSchule. Schwalbach:/Ts.:Wochenschau-Verlag 2014,256 S., 29,80 Euro

In seiner Dissertation widmet sichRico Behrens einem Bereich, derzugleich vielfältig thematisiertund mit Erwartungen konfrontiertund bislang doch überraschendunerforscht geblieben ist. Es gehtum die Handlungsstrategien vonPolitiklehrerinnen und -lehrern imUmgang mit rechtsextremen Ju -gend lichen in der Schule.

Zwei zentrale Fragestellungenleiten die empirische Untersu -chung (vgl. S. 42). Welche sub jek -tiven Theorien von Politikleh re -r/innen spielen für den Umgangmit dem Phänomen rechtsextre merJugendkultur eine Rolle? Wel cheHandlungsstrategien nutzen Poli -tik lehrer/innen in der Aus einan der -setzung mit dem Phä nomen rechts-extremer Jugend kul tur?

Dem Forschungsstil der Groun -ded Theory entsprechend werdenaus einer intensiven und auf Re -kon struktion der Tiefen strukturenausgerichteten Inter pre tation derInterviews sukzessive Kategoriengebildet. Ziel ist dabei die Ent -wick lung einer ge genstandsbe zo -ge nen Theorie, die im Materialver ankert ist. Lese rinnen und Le -ser werden dabei in besondererWei se am Interpreta tionsprozessbeteiligt, indem Rico Behrens sei-nen Analyse-Drei schritt durchgän-

gig und überaus gut verständlichdokumentiert.

Das sehr gut nachvollziehbareErgebnis der Analyse sind vier ver-schiedene Muster, die jeweils ei -nen spezifischen Zusammen hangzwischen der Professions orien tie -rung, der Wahrnehmung des Phä -nomens ‚rechtsextreme Jugend kul -tur‘ und der konkreten Handlungs -strategie repräsentieren und dieRico Behrens auf die folgendengriffigen Formeln ge bracht hat: 1. „Auseinandersetzung vermei-

den – Sicherheit gewinnen“(vgl. S. 70-98).

2. „Auseinandersetzung suchen –klare Fronten schaffen“ (vgl.S. 99-115).

3. „Auseinandersetzung eingehen– Mehrheiten organisieren“(vgl. S. 115-135)

4. „Auseinandersetzung kalkulie-ren – Einfluss gewinnen“ (vgl.S. 136-154).

Als Dreh- und Angelpunkt derHand lungsweisen der Lehrendenrekonstruiert Rico Behrens dasBe streben um individuelle Be -wäh rung: „Individuelle Bewäh -rung beschreibt im Kontext dieserArbeit einen Prozess und Zustandzu gleich. Bewährung bedeutet,den Nachweis über eigen stän di -ges und erfolgreiches pädago gi -sches Han deln und Arbeiten füh -ren zu können“ (S. 160).

Die Arbeit wird abgerundetdurch Handlungsanregungen für ei-ne gelingende Auseinander set zung,die in drei Richtungen wei sen. Ers -tens: Politiklehrerinnen und -lehrerbrauchen differenziertere und aktu-ellere Kenntnis der In halte, Aus -drucksformen und Stra tegien derrechten Szenen. Zweitens: Wenneine heraus for dernde Situation ge-geben ist, müssen Lehrerinnen undLehrer zu gleich versuchen, die Be -zie hung zu den Jugendlichen auf -recht zu erhalten und auf schul in -terne und externe Unterstützungs -ressourcen zurückzugreifen. Drit -tens ist es angesichts der zentralenBedeutung des Empfindens indivi-dueller Be währung ratsam, auf„supervisori sche Unterstüt zungs -systeme“ (S. 229) zurückzugreifen,um subjektive Theorien zu reflek -tieren und weiter zu entwickeln.

Die Dissertation ist sehr gut les-bar und gibt sowohl tiefe Ein blickein den Forschungsprozess, als auchweit reichende Hinweise für diePraxis.

Marie Winckler (Marburg)

1914 bis in die Gegenwart:Politisch (Ge)Denken

Manfred Quentmeier, MartinStupperich, Rolf Wernstedt(Hrsg.): Krieg und Frieden1914-2014. Beiträge für denGeschichts- und Politik -unterricht. Schwalbach / Ts.:Wochenschau-Verlag 2014,346 S., 39,80 Euro

Warum erinnern wir Geschichte?Das Gedenkjahr 2014 hat an vielenStellen vor Augen geführt, dassErinnerungskultur ein ele men tarerBestandteil der poli ti schen Kulturist. Nicht zuletzt die gegenwärtige„Ukraine-Krise“ zeigt, dass eineverantwor tungs volle politische Ge -staltung von Gegenwart und Zu -kunft einer kritisch-problemorien-tierten Aus einandersetzung mit derVer gan gen heit bedarf – der Wertvon Geschichte erschließt sichmaß geblich über gegenwärtige undkünftige Herausforderungen. DieseDoppelfunktion historisch-politi -schen Lernens bildet das eigent li -che Kernthema des rezen siertenSammelbandes und spie gelt sichauch im Titel „Krieg und Frieden1914-2014“ wider.

Wer einen entsprechenden An -spruch an die fachwissen schaft lichund fachdidaktische Ausein ander -setzung mit der „Urkata stro phe“des 20. Jahrhunderts (George F.Kennan) stellt, be kommt mit die -sem fast zwanzig Einzelbeiträgeumfassenden Ge meinschaftswerkvon Historikern und Politologen,Fach didaktikern und Fachlehr kräf -ten beider Diszi plinen sowie Ver -tre tern der Frie dens- und Konflikt -for schung, der Museumspädagogikund der Ge denkstättenarbeit vieleImpulse und Reflexionshilfen fürdie praktische Bildungsarbeit ge -boten:

Einleitend entfaltet RolfWern stedt das breite Panoramaphilosophischer (und pseudo -philoso phi scher!) Argumenta tio -nen, die seit der Aufklärung überKrieg im All gemeinen undschließ lich über den Ersten Welt -krieg im Be sonderen geführtwur den (S. 9-27). Der an schlie -ßende erste Hauptteil des Bandesumfasst geschichtswissenschaft-liche Bei träge über die un mittel -baren Wir kungen des ErstenWelt krie ges, wobei auf dessenkon trover se Deu tung und Sinn -ge bung in der ‚Weimarer Repu -blik‘ fokussiert wird (S. 31-115:„Erster Welt krieg und früheNach kriegs zeit“).

Ganz im Sinne der Förderungei ner europäischen BürgerIn nen -gesellschaft erfahren im Folgen denBeispiele und Möglichkeiten von

MA

GA

ZIN

RezensionenNeue Literatur – kurz vorgestellt

polis_1_15_033-034_033_034_2.qxd 13.02.2015 13:14 Seite 33

Page 33: REPORT DER DEUTSCHEN VEREINIGUNG FÜR POLITISCHE …dvpb.de/wp-content/uploads/2016/09/1-2015_Gesamt.pdfVorschau/Impressum ..... 34 POLIS Report der Deutschen Vereinigung für Politische

34

Magazin

polis 1/2015

transnationaler historisch-politi -scher Bildungsarbeit eine be son de -re Berücksichtigung: Der zweiteThementeil „Der Erste Welt kriegim Geschichts unter richt“ (S. 117-254) widmet sich schwerpunkt mä -ßig einem entsprechenden Zugang.Im nachfolgenden dritten Ab -schnitt werden ausgehend von ak-tuellen geopoli ti schen Herausfor -de rungen „Per spek tiven für einefriedliche Welt“ beleuchtet (S.255-310). Wäh rend die Lektüreder von Die ter Senghaas skizzier-ten „Lehr stü cke für Friedens ge -stal tung“ (S. 257-267) und der vonUlrich Schne ckener beleuchteten„Per spek tiven und Szenarien füreine künftige Weltfriedens ord -nung“ (S. 280-294) das thema ti -sche Spek trum einer historisch re-flektierten Friedens- und Kon flikt -pädagogik veranschaulicht, wid -men sich Julia Harfensteller („DasFriedens ver ständnis der UNO imWandel“, S. 268-279) und Bern -hard Rinke („Aus lands einsätze derBundes wehr zwi schen Bündnis -ver pflich tungen und einer außen -politischen Kultur der Zurück hal -tung“, S. 295-310) Aspekten, dieunmittelbare Bezü ge zu den Lehr -plänen der Unter richtsfächer derPolitischen Bil dung aufweisen.

Im abschließenden vierten Teilwerden zwei Vorschläge unter -brei tet, Friedens- und Konflikt pä -da go gik angemessen in die Po li ti -sche Jugend- und Erwachse nen -bildung zu integrieren. Wäh rend

Uli Jäger friedenspädagogischeLern räume in Schule und Erwach -senen bil dung umreißt und Bei -spie le gelungener Praxis vor stellt(S. 333-343), unternimmt Man -fred Quentmeier in diesem Zu -sam men hang nicht weniger, alsdas inhaltliche Profil eines so zial -wissen schaft lich inte grie ren denKern fachs der Poli ti schen Bil -dung zu bestimmen und auf dieserFolie eine Verortung der Themen -kom ple xe „Krieg und Frieden“ zuleis ten (S. 313-332).

Festzuhalten ist: Wer Unter -richt im sozial- oder geistes wis -sen schaft lichen Lernfeld ver ant -wortet, erhält mit dem Sam mel -band viel fältige wissenschaftlicheund di dak tische Zugänge zumThe men komplex „Krieg und Frie -den“. Das für Theoretiker undPrak tiker gleichermaßen geeigne-te Werk verkörpert den blei ben -den Wert einer gleich namigenTagung, die anlässlich des Ge -denkjahres 2014 vom VolksbundDeutsche Kriegsgräber vorsorgeinitiiert und im Februar letztenJahres (in Kooperation mit demKultusministerium und dem Lan -desinstitut für schulische Qua li -tätsentwicklung NLQ) gemein sammit dem niedersächsischen Lan -desverband der DVPB und demNiedersächsischen Ge schichts - lehrerverband (NGLV) vor bereitetund durchgeführt wurde.

Moritz Peter Haarmann

POLIS 2/2015

Politische Bildung durch

politische Aktion?

(erscheint am 1.7.2015)

POLIS 3/2015

Nachlese zum Bundeskongress

2015

(erscheint am 1.10.2015)

POLIS 4/2015

50 Jahre DVPB

(erscheint am 22.12.2015)

POLIS 1/2016

Cyber-Politik

(erscheint am 1.4.2016)

VORSCHAU

Liebe Leserinnen und Leser,haben Sie Wünsche und Vorschläge für zukünftige Heftthemen?Unten finden Sie die Planung für die kommenden Hefte. WollenSie selbst einen Beitrag schreiben? Reizt es Sie, auf einen bereitserschie nenen Beitrag zu antworten? Oder: Möchten Sie einfachnur Ihre Kritik an einem veröffentlichten Artikel übermit teln? In jedem Fall: Schreiben Sie an die Redak tion: 36100 Petersberg, Igelstück 5a, [email protected].

POLISReport der Deutschen Vereinigung für Politische BildungHerausgegeben von der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung durch den Bundesvorsitzenden Prof. Dr. Dirk Lange(www.dvpb.de) 18. Jahrgang 2014

Leitende RedakteurinDr. Martina TschirnerIgelstück 5a36100 PetersbergTel.: 0661 9621133

VerlagWochenschau VerlagDr. Kurt Debus GmbHAdolf-Damaschke-Straße 1065824 Schwalbach/Ts.www.wochenschau-verlag.de

RedaktionDr. Martina Tschirner (V.i.S.d.P.)Prof. Dr. Tim EngartnerProf. Dr. Klaus-Peter HuferProf. Dr. Dirk LangeHans-Joachim von OlbergProf. Dr. Bernd OverwienProf. Dr. Armin ScherbMoritz Peter Haarmann

Verantwortlich für diese Ausgabe ist die gesamte Redaktion

Verantwortlich für die DVPB aktuellMoritz Peter Haarmann

HerstellungSusanne Albrecht, Opladen

BuchbesprechungenUnverlangt eingesandte Rezensionsexemplare können nicht zurückgesandt werden.

AbonnentenbetreuungTel.: 06196 860-65Fax: 06196 [email protected]

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Beilagen-/BeihefterhinweisDer Abonnementausgabe liegen zwei Prospekte desWochenschau Verlages bei: Neuheiten 2015 und Fachbücher und Materialien

ISSN: 1433-3120, Bestell-Nr.: po1_15

Bildnachweise für die Fotos in den Beiträgen:

S. 7: Wolfgang Sander (Münster); S. 8: Botschaft der französischenRepublik in der Bundesrepublik Deutschland; S. 20-21: FriedenskreisHalles e.V.

ERRATA Polis 4/2014 (S. 8), Beitrag von Birgit Weber, Abbildung2: Hier hat uns der technische Tabellentransfer in der Produktioneinen Streich gespielt. Die Angaben zum Gymnasium Sek. II müs-sten im Falle von Niedersachsen, Hes sen und Nordrhein-West -falen korrekterweise um eine Zelle nach rechts verschoben wer-den, während in diesen Ländern die Angaben zum Gym na sium(Sek. I) und zusätzlich die Angaben zum Gymnasium (Sek. II) inSachsen und Schleswig-Holstein jeweils mittig unter den beidenFach kulturen der jeweiligen Schulform zu zentrieren wären. Daskorrigierte Schaubild ist abrufbar auf der Homepage von BirgitWeber unter http://www.hf.uni-koeln.de/34753.

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