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REIFEGRADMODELLE: ROUTENPLANER FÜR DIE …...großen Konzern mit globaler Software - entwicklung...

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5/2009 REIFEGRADMODELLE: ROUTENPLANER FÜR DIE SOFTWAREENTWICKLUNG menhang zwischen Reife, Verhalten und Ergebnissen ist uralt und hat viele Reli- gionen und Denksysteme – beispielsweise den Buddhismus – beeinflusst. Sie wurde daher auch zur Bewertung der Reife von Software- und IT-Organisationen einge- setzt. In Abbildung 1 ist links das Raster von fünf Reifegraden zu sehen, wie sie im CMMI zur Anwendung kommen; die Reifegrade bauen aufeinander auf. In der Mitte ist dargestellt, wie sich die Ergebnisse – beispielsweise der Liefertermin im Projekt oder die erreichte Qualität – im Vergleich zu den ursprünglichen Zusagen verhalten. Rechts ist beschrieben, was diese höhere Prozessreife auszeichnet: Dabei handelt es sich nicht um einzelne Fähigkeiten, sondern um deren integrierte Kombination. Beispielsweise hilft gutes Anforderungs- management der Projektkontrolle. Um nochmals die Analogie zur mensch- lichen Entwicklung zu bemühen: Nicht das Lesen oder Schreiben als einzelne Fähig- keiten lassen uns reif wirken, sondern deren Kombination mit anderen technischen und sozialen Kompetenzen. Offensichtlich ist ein unreifes Unternehmen (Reifegrad 1, unten in Abb. 1) nicht dazu in der Lage, sei- ne Zusagen und Erwartungen einzuhalten. Viele Unternehmen bewegen sich auf die- sem Niveau und können sich damit im welt- weiten Kostendruck zunehmend schwerer behaupten, denn eine höhere Prozessreife schafft verbesserte Performance. Das Dickicht der Standards Das CMMI und der zu Grunde liegende ISO-Standard 15504 werden heute weltweit Märkte und Kundenbedürfnisse ändern sich heute schneller als je zuvor und die Unternehmensergebnisse müssen ständig besser werden. In diesem Artikel wird gezeigt, wie Reifegradmodelle intelligent und zielorientiert eingesetzt werden, um die Entwicklungs- und Managementprozesse ständig zu optimieren. Dabei ist es wichtig, dass solche Modelle nicht als Bibel, sondern als „Routenplaner" zum Einsatz kommen – also flexibel und je nach Umgebung eine optimale Route emp- fehlen. Der Artikel liefert einen Überblick über Reifegradmodelle und deren prakti- sche Nutzung. Den Abschluss bildet ein konkreter Erfahrungsbericht aus der Informations- und Kommunikationstechnik-Industrie. genutzt, um die Leistungsfähigkeit der eige- nen Entwicklungs- und Lieferantenprozesse zu prüfen und zu verbessern. Ein Reife- gradmodell beschreibt als Referenzmodell, welche Forderungen an gute Prozesse zu stellen sind. Dabei geht es darum, die Prozessreife zu bewerten und zu verbessern. Aber was bedeuten eigentlich die Begriffe „Prozessreife” und „Reifegrad”? Unsere Fähigkeit, gute Ergebnisse zu lie- fern, hängt von unserer Reife ab. Wir ken- nen das alle aus dem täglichen Leben, bei- spielsweise bei Kindern. Kleine Kinder tun sich schwer damit, bestimmte Dinge zu erle- digen. Man muss sie darauf hinweisen und erklären, wie es geht. Mit zunehmender Reife werden sie selbstständiger und kön- nen auch komplexe Aufgaben hervorragend erledigen. Reife hängt nicht primär mit dem Alter zusammen, sondern damit, wie man arbeitet und ob man bereit ist, ständig zu lernen und sich zu verbessern. Wie man arbeitet, wird als „Prozess” bezeichnet, und die Reife der eigenen Vorgehensweisen als „Prozessreife”, die mit dem „Reifegrad” gemessen wird. Die zielorientierte Ver- besserung einer Vorgehensweise heißt „Prozessverbesserung”. Diese Bereitschaft ist unterschiedlich aus- geprägt und verleitet uns dazu, manche Mitmenschen als „unreif” zu charakterisie- ren, wenn diese unzureichende Ergebnisse liefern oder wenn durch ihr Verhalten ver- meidbare Fehler entstehen. Dieser Zusam- Sie wollen verreisen und suchen den besten Weg, um Ihr Ziel zu erreichen. Was tun Sie? Sie geben Ihr Ziel in einen Routenplaner ein und erhalten eine Empfehlung für die beste Route. So erreichen Sie nicht nur Ihr Ziel verlässlich, sondern folgen auch einer erprobten Route. Genauso können Sie vorgehen, wenn Sie Ihren Entwicklungsbereich optimieren wol- len. Praxistaugliche und erprobte Reife- gradmodelle wie das CMMI (vgl. [Chr06]) können hier als Routenplaner dienen. Ein Routenplaner funktioniert aber nur, wenn Sie Ihr Ziel kennen: beispielsweise Effi- zienzsteigerung, mehr Transparenz in der Projektdurchführung, frühere Fehlerent- deckung oder bessere Schnittstellen zu den Kundenprozessen. Mit einem konkreten Ziel vor Augen lässt sich ein Reifegrad- modell zielorientiert anwenden. In der Regel gibt es verschiedene Routen zum Ziel, die von den Randbedingungen abhängen. Wenn Sie das „Gelände” noch nicht genau kennen, liefert das Reifegradmodell eine erprobte Route: So verknüpfen beispiels- weise die Inhalte von Reifegrad 3 gute Praktiken aus dem Engineering und Management mit dem Anspruch der konti- nuierlichen Verbesserung. Reifegradmodelle und Assessments Reifegradmodelle wie das CMMI (Capa- bility Maturity Model Integration) und SPICE (Software Process Improvement and Capability Determination) sowie darauf basierende Assessments wie SCAMPI (Standard CMMI Appraisal Method for Process Improvement) werden zunehmend fachartikel Dr. Christof Ebert (E-Mail: [email protected]) ist Geschäftsführer und Partner der Vector Consulting Services. Er unterstützt Unter- nehmen weltweit bei der Verbesserung der technischen Produktentwicklung sowie im Veränderungsmanagement, lehrt an der Universität Stuttgart und ist vom SEI als CMMI-Trainer autorisiert. der autor 1 ) Ich werde im Folgenden mit „CMMI" speziell das CMMI für die Entwicklung darstellen. „Assessment” subsumiert jede Art von Prozessbewertung, also auch die CMMI-spezifischen „SCAMPI-Appraisals".
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Page 1: REIFEGRADMODELLE: ROUTENPLANER FÜR DIE …...großen Konzern mit globaler Software - entwicklung (vgl. [Gla08]). Beispielsweise sind Planung und Projektverfolgung wesentliche Elemente

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REIFEGRADMODELLE:ROUTENPLANER FÜR DIESOFTWAREENTWICKLUNG

menhang zwischen Reife, Verhalten undErgebnissen ist uralt und hat viele Reli -gionen und Denksysteme – beispielsweiseden Buddhismus – beeinflusst. Sie wurdedaher auch zur Bewertung der Reife vonSoftware- und IT-Organisationen einge-setzt.

In Abbildung 1 ist links das Raster vonfünf Reifegraden zu sehen, wie sie imCMMI zur Anwendung kommen; dieReifegrade bauen aufeinander auf. In derMitte ist dargestellt, wie sich die Ergebnisse– beispielsweise der Liefertermin im Projektoder die erreichte Qualität – im Vergleichzu den ursprünglichen Zusagen verhalten.Rechts ist beschrieben, was diese höhereProzessreife auszeichnet: Dabei handelt essich nicht um einzelne Fähigkeiten, sondernum deren integrierte Kombination.Beispielsweise hilft gutes Anforderungs -management der Projektkontrolle.

Um nochmals die Analogie zur mensch-lichen Entwicklung zu bemühen: Nicht dasLesen oder Schreiben als einzelne Fähig -keiten lassen uns reif wirken, sondern derenKombination mit anderen technischen undsozialen Kompetenzen. Offensichtlich istein unreifes Unternehmen (Reifegrad 1,unten in Abb. 1) nicht dazu in der Lage, sei-ne Zusagen und Erwartungen einzuhalten.Viele Unternehmen bewegen sich auf die-sem Niveau und können sich damit im welt-weiten Kostendruck zunehmend schwererbehaupten, denn eine höhere Prozessreifeschafft verbesserte Perfor mance.

Das Dickicht der StandardsDas CMMI und der zu Grunde liegendeISO-Standard 15504 werden heute weltweit

Märkte und Kundenbedürfnisse ändern sich heute schneller als je zuvor und dieUnternehmensergebnisse müssen ständig besser werden. In diesem Artikel wirdgezeigt, wie Reifegradmodelle intelligent und zielorientiert eingesetzt werden, umdie Entwicklungs- und Managementprozesse ständig zu optimieren. Dabei ist eswichtig, dass solche Modelle nicht als Bibel, sondern als „Routenplaner" zumEinsatz kommen – also flexibel und je nach Umgebung eine optimale Route emp-fehlen. Der Artikel liefert einen Überblick über Reifegradmodelle und deren prakti-sche Nutzung. Den Abschluss bildet ein konkreter Erfahrungsbericht aus derInformations- und Kommuni kationstechnik-Industrie.

genutzt, um die Leistungsfähigkeit der eige-nen Entwicklungs- und Lieferantenprozessezu prüfen und zu verbessern. Ein Reife -gradmodell beschreibt als Referenzmodell,welche Forderungen an gute Prozesse zustellen sind. Dabei geht es darum, dieProzessreife zu bewerten und zu verbessern.Aber was bedeuten eigentlich die Begriffe„Prozessreife” und „Reifegrad”?

Unsere Fähigkeit, gute Ergebnisse zu lie-fern, hängt von unserer Reife ab. Wir ken-nen das alle aus dem täglichen Leben, bei-spielsweise bei Kindern. Kleine Kinder tunsich schwer damit, bestimmte Dinge zu erle-digen. Man muss sie darauf hinweisen underklären, wie es geht. Mit zunehmenderReife werden sie selbstständiger und kön-nen auch komplexe Aufgaben hervorragenderledigen. Reife hängt nicht primär mit demAlter zusammen, sondern damit, wie manarbeitet und ob man bereit ist, ständig zulernen und sich zu verbessern. Wie manarbeitet, wird als „Prozess” bezeichnet, unddie Reife der eigenen Vorgehensweisen als„Prozessreife”, die mit dem „Reifegrad”gemessen wird. Die zielorientierte Ver -besserung einer Vorgehensweise heißt„Prozessver bes serung”.

Diese Bereitschaft ist unterschiedlich aus-geprägt und verleitet uns dazu, mancheMitmenschen als „unreif” zu charakterisie-ren, wenn diese unzureichende Ergebnisseliefern oder wenn durch ihr Verhalten ver-meidbare Fehler entstehen. Dieser Zusam -

Sie wollen verreisen und suchen den bestenWeg, um Ihr Ziel zu erreichen. Was tun Sie?Sie geben Ihr Ziel in einen Routenplaner einund erhalten eine Empfehlung für die besteRoute. So erreichen Sie nicht nur Ihr Zielverlässlich, sondern folgen auch einererprobten Route.

Genauso können Sie vorgehen, wenn SieIhren Entwicklungsbereich optimieren wol-len. Praxistaugliche und erprobte Reife -gradmodelle wie das CMMI (vgl. [Chr06])können hier als Routenplaner dienen. EinRoutenplaner funktioniert aber nur, wennSie Ihr Ziel kennen: beispielsweise Effi -zienzsteigerung, mehr Transparenz in derProjektdurchführung, frühere Fehlerent -deckung oder bessere Schnittstellen zu denKundenprozessen. Mit einem konkretenZiel vor Augen lässt sich ein Reifegrad -modell zielorientiert anwenden. In derRegel gibt es verschiedene Routen zum Ziel,die von den Randbedingungen abhängen.Wenn Sie das „Gelände” noch nicht genaukennen, liefert das Reifegradmodell eineerprobte Route: So verknüpfen beispiels-weise die Inhalte von Reifegrad 3 gutePraktiken aus dem Engineering undManagement mit dem Anspruch der konti-nuierlichen Verbesserung.

Reifegradmodelle undAssessmentsReifegradmodelle wie das CMMI (Capa -bility Maturity Model Integration) undSPICE (Software Process Improvement andCapability Determination) sowie daraufbasierende Assessments wie SCAMPI(Standard CMMI Appraisal Method forProcess Improvement) werden zunehmend

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Dr. Christof Ebert

(E-Mail: [email protected])

ist Geschäftsführer und Partner der Vector

Consulting Services. Er unterstützt Unter -

nehmen weltweit bei der Verbesserung der

technischen Produktentwicklung sowie im

Veränderungsmanagement, lehrt an der

Universität Stuttgart und ist vom SEI als

CMMI-Trainer autorisiert.

der au tor

1) Ich werde im Folgenden mit „CMMI" speziell dasCMMI für die Entwicklung darstellen. „Assess ment”subsumiert jede Art von Prozessbewertung, also auchdie CMMI-spezifischen „SCAMPI-Appraisals".

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in vielen Unternehmen ganz unterschied-licher Größe eingesetzt (vgl. [Chr06]).Inzwischen gibt es gibt drei CMMI-Ausprägungen, nämlich für

■ Entwicklung

■ Beschaffung

■ Services

Ich werde mich in diesem Artikel auf dasCMMI für die Entwicklung (CMMI forDevelopment, CMMI-DEV) konzentrieren,da es weltweit bereits seit vielen Jahren imEinsatz ist und eine breite Basis vonErfahrungen verschiedener Branchen dazuvorliegen. Unternehmen aus Bereichen wieAutomobiltechnik, Luftfahrt und Medizin -tech nik fordern bereits heute von ihrenZulieferern, dass sie das CMMI einsetzenund damit einen bestimmten Reifegradnachweisen. Abbildung 2 zeigt die wach-sende Nutzung des CMMI in der Industrie.Weltweit setzen heute 1.000 Unternehmendas CMMI zur Prozessverbesserung ein,wobei die Zahlen in der Abbildung nur jenezeigen, die ihre Assessment-Resultate for-mal registrieren ließen. Das CMMI ist seitden achtziger Jahren an der CarnegieMellon University Pittsburgh entstanden..Dort wurde das Software EngineeringInstitute (SEI) gegründet, um die Qualitätund Verlässlichkeit der Softwareentwick -lung zu verbessern.

Die an der Entwicklung des CMMI betei-ligten Unternehmen haben erkannt, dass diealleinige Zusammenstellung von bewährtenVorgehensweisen keine Lösung verspricht.Man muss den gesamten Lebenszyklus –von der Konzeption bis hin zur Lieferung –betrachten und einzelne Elemente passge-nau dort optimieren, wo es wirtschaftlichenNutzen bringt. Diese Elemente, die sogenannten Prozessbereiche des CMMI, sindeinzeln einführbar, passen wie ein Puzzlezusammen und sind unabhängig von dereingesetzten Methodik, von der Größe undArt des Unternehmens und von den spezifi-

schen Anwendungen, IT-Systemen, Pro -dukten oder Lösungen, die entwickelt wer-den (vgl. [Bal08]). Die Anwendung desCMMI geht daher inzwischen weit über dieSoftwareentwicklung hinaus, wie beispiels-weise eher jüngere Ausprägungen wie dasCMMI für Services oder das CMMI fürAkquisition zeigen.

In den vergangenen Jahren hat die ISO(International Standardization Organiza -tion) viel Wert darauf gelegt, dass Standardszu Vorgehensmodellen, Qualitätsmanage -ment und Prozessbewertungen zusammen-passen. Das soll den Aufwand fürUnternehmen reduzieren, die verschiedenesolcher Standards anwenden, z. B. um einenSoftware-Lebenszyklus zu definieren, ihndann zu zertifizieren und schließlich auchgezielt zu verbessern. Der Ausgangs punktwar zunächst das prozessorientierteQualitätsmanagement auf Basis von ISO9001 („Standard for Quality ManagementSystems – Requirements”). Parallel zu denQualitätsmanagement-Standards wurdenverschiedene Standards abgestimmt, die aufLebenszyklus-Prozesse eingehen, z. B. ISO12207 („Standard for Software Life CycleProcesses”). Darauf aufbauend wurde ISO15504 („Standard for InformationTechnology – Software Process Assess -ment”) für Assessments und Modelle derProzessverbesserung geschaffen, umMethoden und Rahmen für Bewertungenund Verbesserungen von Prozessen zuschaffen. Dieser Dreiklang aus Lebens -zyklus, Qualitätsmanagement und Bewer -tung schafft Klarheit beim Entwickeln und

Abb. 1: Prozessfähigkeit und Reifegrade.

Abb. 2: Zunehmende Verbreitung von CMMI-Assessments und Reifegradmodellen.

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Unter nehmen aus verschiedensten Branchenund mit ganz unterschiedlicher Größe in dieWeiterentwicklung ein, sodass es weder ineinem Formalismus erstarrt noch demZeitgeist hinterher läuft, wie das bei„Hypes” und „Silver Bullets” häufig derFall ist. Beispielsweise wurde in der aktuel-len Fassung der Bereich Software-Akquisestark überarbeitet, da diese zunehmend Teilder regulären Entwicklung ist. Es spricht dieSprache seiner Benutzer und liefert aktuelleAnwendungsbeispiele.

Reifegradmodelle sind keine Vorgehens -modelle und maßen es sich daher auch nichtan, Prozesse „vorzuschreiben”. Damitunterliegen sie auch nicht den Einschrän -kungen von Vorgehensmodellen hinsicht-lich der Breite der Anwendbarkeit. Auf -grund der vielfältigen industriellenAnfor derungen an ein solches Referenz -modell war schon bei seiner Genese klar,dass es für ein kleines, agiles Unternehmengenauso anwendbar sein muss wie für einengroßen Konzern mit globaler Software -entwicklung (vgl. [Gla08]). Beispielsweisesind Planung und Projektverfolgungwesentliche Elemente agiler Vorgehens -weisen, wie XP oder Scrum, die auch imCMMI für gutes Projektmanagement gefor-

Das CMMI ist kompatibel zu ISO 15504und passt zu den erwähnten ISO-Standards,die die Software- und Systementwicklungbestimmen. Als Systematik von industrie-weit besten Praktiken unterstützt es dieUmsetzung branchenspezifischer Standards,wie beispielsweise ISO 26262 in derAutomobilindustrie, ITIL (vgl. [Pie08]) oderPRINCE (vgl. [GB07]) im IT-Bereich undTL 9000 (vgl. [QuE08]) in der Tele -kommunikationsindustrie. Das CMMIläuft konform zu berufs- und aufgabenspe-zifischen Anforderungen, wie das PMBOKdes Project Management Institute (vgl.[PMI08]). Es ist nicht auf die Software -technik beschränkt, sondern wurde für daskomplette Systems-Engineering auf einesehr viel breitere Anwendungsbasis gestellt.So wird es heute nicht nur in der IT, sondernauch in der Medizin- und Anl agentechniksowie im Flugzeug- und Automobilbaubreit eingesetzt.

Wie kommt es, dass das CMMI alsReferenz modell so breit nutzbar ist? DerHauptgrund ist sicherlich, dass es sich seitden Anfängen bei IBM über drei Dekadenentwickelt hat – und sich auch heute nochstetig kontrolliert weiterentwickelt. Dabeifließen immer die Erfahrungen von vielen

Umsetzen eigener Prozesse und vor allemauch weltweite Vergleichbarkeit zwischenUnternehmen, beispielsweise im Lieferan -ten management.

Abbildung 3 zeigt einige der relevantenStandards, die in der Softwareentwicklungund IT zum Einsatz kommen und die häufigBestandteil von Ausschreibungen sind. DieAbbildung beschreibt im oberen Teil dieZiele und Randbedingungen an Entwick -lungsprozesse. Im unteren Teil befinden sichStandards, die konkret zeigen, wie solcheVorgaben umgesetzt werden. Inter nationalverbindlichen ISO-Standards sind in dunkelgetönten Ovalen dargestellt. Die weißenOvale zeigen zusätzlich jene De-facto-Standards, die in der Praxis großeVerbreitung haben. Die Pfeile zeigen aufgegenseitige Einflüsse und Verwandt -schaftsbeziehungen zwischen denStandards. Reifegradmodelle und Modellezur Prozessverbesserung sind in der zweitenEbene von oben zu sehen. Man erkenntwesentliche „Vorfahren”, wie das Software-CMM oder Six Sigma, die das CMMI starkbeeinflusst haben. Und man sieht auch denengen Zusammenhang zwischen CMMIund SPICE, das im Auto mobil bereich teil-weise zur Anwendung kommt.

Abb. 3: Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den gebräuchlichen Standards und Modellen.

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dert werden. Es gilt daher also nicht derGegensatz „formal” versus „agil”, sonderneher „zielorientiert” versus „bürokratisch”.Abbildung 4 unterstreicht diese beidenDimensionen. Vertikal ist die Prozess -fähigkeit dargestellt und horizontal das zuGrunde liegende Paradigma der Entwick -lungsmethodik. Sowohl agile Prozesse alsauch geführte Prozesse liefern gute Projekt -ergebnisse, wenn sie verstanden sind undnicht ad-hoc oder bürokratisch umgesetztwerden.

Leider trifft man manchmal Unterneh -men, die sprichwörtlich das CMMI-Buchnehmen und versuchen, daraus direktProzesse zu kopieren oder abzuleiten. DieUrsachen dafür sind immer die gleichen:Das CMMI wird als Zertifikat und Ziel imSinne von „wir müssen bis Jahresende Level3 erreichen” missverstanden und in denUnternehmen fehlt das Verständnis für einzielorientiertes Verän derungsmanagement.In der Folge entstehen komplexe Prozess -landschaften, die praxisuntauglich sind undden Anschein erwecken, das CMMI schaffenur Zusatzaufwand und Formalismus. Dasist einerseits nachvollziehbar, werden dochhäufig Laien mit der Umsetzung betraut,aber auch gefährlich, denn solche „Verbes -serungsini tiativen” scheitern in aller Regelund die Mitarbeiter sind in der Folge demo-tiviert. Damit wird niemand glücklich undProduktivität und Kreativität werden einge-schränkt.

Die eigenen Vorgehensmodelle undProzesse – egal ob sie auf Basis von CMMIoder SPICE entwickelt, aus dem V-Modellabgeleitet, oder aus agilen Vorgehensweisenwie XP oder Scrum übernommen werden –müssen in die jeweilige Umgebung passen,ohne unnötigen Ballast oder Formalismus

zu erzeugen. Bei beiden muss die Balancezwischen Unterstützung und Führung ein-erseits und Einschränkung andererseitsstimmen – genauso wie ein Routenplanerauch dann den Kurs hält, wenn eine andereals die vorgeschlagene Route gewählt wird.

Verbesserungen umsetzen:eine FallstudieDas CMMI kann für reine Softwareanwen -dungen eingesetzt werden, aber auch fürkomplexe Systeme, wie sie im ICT-Bereich(Information and Communi ca tion Techno -logy) vorkommen. Der heute weit verbreite-te Begriff des „Lebenszyklus-Manage -ments” wurde in der Konzeption desCMMI bereits vorweg genommen. DieStärken des CMMI liegen vor allem in derumfassenden Behandlung der „frühenPhasen” des Lebenszyklus, beispielsweise inder Konzeption, Anforderungsentwicklungund Verfolgung von Anforderungen bis zurgelieferten Lösung (vgl. [Ebe08]). DasLieferantenmanagement nimmt im CMMIeine dominierende Rolle ein und unterstütztdamit die arbeitsteilige Entwicklung von

Das CMMI wurde in der hier betrachte-ten Fallstudie als Basis für ein weltweitesVerbesserungsprojekt mit allen Geschäfts -bereichen genutzt. Unser Klient setzte dasCMMI ein, weswegen ich dieses weit ver-breitete Modell hier betone. SPICE als alter-nativer Routenplaner mit vergleichbarer„Architektur” hätte genauso gut zumEinsatz kommen können, hat aber aufgrundseiner geringen Verbreitung nur unzurei-chende Benchmark-Daten.

Das betrachtete Unternehmen ist ein füh-render ICT-Systemlieferant mit Entwick -lungsteams in verschiedenen Ländern. DieStudie umfasst einige tausend Software -entwickler an verschiedenen Standortenweltweit. Die Herausforderungen in diesemGeschäft sind langlebige, verteilte Systeme,die aus Hardware- und Softwarekompo -nenten, oft von verschiedenen Herstellern,bestehen. Diese Systeme müssen eine sehrhohe Zuverlässigkeit besitzen, was nichtnur hohe Qualitäts- und Verfügbar -keitsanforderungen stellt, sondern auch eineeinfache und anhaltende Wartbarkeit vor-aussetzt. Das Lösungsgeschäft dominiertden ICT-Markt heute, sodass die Ent -wicklung einen stark systemischen und ser-viceorientierten Ansatz nutzt, um dieQualität von den Komponenten bis hin zurinstallierten Lösung und den verschieden-sten Serviceprodukten nachweisbar zugewährleisten. Ziel des Verbesserungs -projekts mit dem CMMI waren daher eineverbesserte Qualität sowie eine besserePlanbarkeit von kleinen Lösungsprojekten– bis hin zu großen Integrations- und Platt -formprojekten.

Abbildung 5 zeigt die wesentlichenVoraussetzungen, um nachhaltige Ver -besserungen zu erreichen. Wie eingangsbereits in der Analogie mit den Menschendargestellt, genügt es nicht, mechanischbestimmte Fähigkeiten, wie das Projekt -management oder das Requirements-Engineering, aufzubauen. Es geht darum,die Veränderungen zu integrieren undgezielt umzusetzen. Viele Unternehmenmachen den Fehler, relativ stur abzuhaken,was zu tun ist, ohne zu verstehen, dass zual-lererst die Mitarbeiter mitgenommen wer-den müssen. In dem hier beschriebenenProjekt war es eine unserer wesentlichenAufgaben, die nötigen Veränderungengezielt zu begleiten, denn ein gutes Verän -derungsmanagement ist für eine nachhaltigeVerbesserung ebenso wichtig wie dasBeherrschen der technischen Grundlagen.

Abb. 4: Zwei Dimensionen, ein Ziel.

DR. CHRISTOF EBERT

SEMINARE VON

Lösungen mit zunehmendem Integrations -charakter (vgl. [Bal08]). Gleichermaßen for-dert das CMMI solide Prozesse für jeglicheexterne Dienstleistungen und Komponen -ten, egal ob es sich um eine kundenspezifi-sche Softwarelösung handelt oder um eineOpen-Source-Komponente, die im Internetgefunden wird und im Produkt eingesetztwird.

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wesentliche Ziele konzentrieren. RaschesHandeln ist nötig, wo Projekte aus demRuder laufen, Anforderungen sich unkon-trolliert ändern, Fehler zu spät entdecktwerden oder Nacharbeit zu Ineffizienzführt. Nur mit einer systematischenSoftwareentwicklung und IT, die nach kla-ren Prozessen sowie Zielen und Abbruch -kriterien handelt und durch ein ganzheitli-ches Projekt-Controlling gesteuert wird,können die Hersteller den wachsendenHerausforderungen begegnen.

Praxiserfahrungen undErgebnisseDie Qualität der Produkte und Lösungenwird durch die Qualität der zu Grunde lie-genden Prozesse bestimmt. Dieses Leitmotivbrachte das betrachtete ICT-Unternehmendazu, sich mit dem CMMI auseinanderzu-setzen. Die Ziele waren dabei von Beginnan klar formuliert:

■ Effizienz: Das Reifegradmodell bringtbeste Praktiken aus verschiedenenIndustrien, die gezielt eingesetzt wer-den, um Nacharbeiten, Fehler undZykluszeiten zu reduzieren.

■ Motivation: Ingenieure sind dann krea-tiv und motiviert, wenn die Umgebungstimmt und diese sie durch optimierteProzesse mit passenden Werkzeugenunterstützt.

■ Standardisierung: Das CMMI dient alsReferenzmodell, um die entwicklungs-nahen Geschäftsprozesse weltweit aufeine Basis zu stellen.

Die individuelle Zielsetzung von Assess -ments und der Nutzung des Reife -gradmodells wird anhand der Geschäfts -ziele und Randbedingungen derUnt ernehmen angepasst. Dies ist eine Stärkevon Reifegradmodellen, da sie nicht sturvorgeben, einen Standard einzuhalten, son-dern an die betrieblichen Zielsetzungenangepasst werden können – und müssen.

Die Potenziale sind vielfältig und hängenvon der Priorisierung und Ausgestaltungdes Verbesserungsprojekts ab (vgl.[Ebe07]). Abbildung 6 zeigt den Einflusseines höheren Reifegrads auf dieVerlässlichkeit von Projektzielen, wie wirsie in einem Geschäftsbereich unseresKlienten gemessen haben. Die Kurven beru-hen auf Daten aus einigen hundert einzel-nen Projekten, die in verschiedenenProduktlinien durchgeführt wurden. Die

und Entwickler mit dem Verbesserungs -projekt vertraut gemacht wurden. Dabeiwar es wesentlich, das Training nicht nurauf die Entwicklung zu beschränken, son-dern auch den Verkauf und das Pro -duktmanagement miteinzubeziehen. EinigeVeränderungen, beispielsweise im Require -ments-Engineering, müssen aufgrund derbeteiligten Gruppen außerhalb der Ent -wicklung ansetzen. Aus den Pilot projektenkonnten wir effiziente Prozesse undVorgehensweisen ableiten, die weltweit ein-gesetzt werden. Bei spielsweise wurdenunterstützende Engineering-Werkzeuge aufBasis der Prozessziele ausgewählt und ein-geführt. Damit wurden die Kosten für dasVarianten management beträchtlich redu-ziert. Zudem wurde verhindert, dass dieneuen Prozesse ineffizient sind oder in derEntwicklung als unbrauchbar wahr genom-men werden.

Die Rezepte zur effektiven und zielorien-tierten Umsetzung von Verbesserungen sindbekannt und weit verbreitet. Das hat unserKlient anhand der Assessments und derAuseinandersetzung mit dem CMMI raschgelernt. Die Zutaten sind im Unternehmenüblicherweise ebenfalls vorhanden: Hervor -ragende Ingenieure und der Wille, sich zu ver-bessern. Wenn trotzdem schlechte Ergebnissegeliefert werden, ist dies fast immer ein – ver-meidbarer – Manage ment fehler.

Gerade in wirtschaftlich schwierigenZeiten muss sich die Entwicklung auf

Das heißt konkret:

■ Klare Zielvorgaben für das Ver -besserungsprojekt, die sich am Ge -schäftsnutzen orientieren

■ Legitimation und Sponsoring durch dasManagement

■ Ausreichende und geschulte Ressourcenfür die Umsetzung der Veränderung

■ Aktionen, die inkrementell umgesetztwerden und die sich am Bedarf imTagesgeschäft orientieren

■ Passende Infrastruktur, damit dieProzesse nicht zu Overheads führen

■ Veränderungsmanagement als übergrei-fende Vorgehensweise, um Mitarbeiterabzuholen und mitzunehmen

Zunächst wurden Erfahrungen aus anderenUnternehmen gezielt eingeholt und bewer-tet, um eine Grundlage mit Maßnahmen zuhaben, die in ähnlichen Situationen greifen.Das Geschäft geht vor, und ein solchesModell wird dann eingeführt, wenn mansich sicher ist, dass es funktioniert. Nachdieser Evaluierung liefen für ein Jahr ver-schiedene Pilotprojekte, in denenAssessments und das Reife gradmodell inder Praxis eingesetzt wurden, um konkreteVerbesserungen zu erreichen. Dabei ging esprimär darum, verlässliche Planungsdatenund Schätzungen zu erreichen. Gleichzeitigwurde ein unternehmensweites internesTraining aufgebaut, in dem Management

Abb. 5: Voraussetzungen für nachhaltige Verbesserungen.

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Daten sind auf der horizontalen Achse ent-lang des jeweiligen Reifegrads derProduktlinie abgetragen. Da verschiedeneProduktlinien beteiligt waren und die Datenaus einer längeren Periode stammen, kön-nen wir die Ergebnisse für alle Reifegradezwischen 1 und 5 darstellen. Oben wird dieZielerreichung hinsichtlich der Projekt -vorgaben dargestellt (Termineinhaltung undQualität), während unten die jeweiligeVerspätung bei der Lieferung dargestellt ist.Aus Marktsicht war ein Lieferkorridor vonca. vier Wochen am wirtschaftlichsten, umnicht eine unnötige Präzision zu erreichen,was zusätzliche Kosten verursacht hätte.

Klar ist, dass die Verbesserungsziele vonden jeweiligen Geschäftszielen abhängen.Bei unserem Klienten ging es um bessereTermintreue bei Kundenprojekten, bessereQualität bei der Auslieferung und um einekürzere Durchlaufzeit bei Kundenauf -trägen. Das Projekt zeigte deutlich, dass sichProzessverbesserungen in der Produktent -wicklung positiv auf das Geschäftsergebnisauswirken. Wir konnten einen statistischsignifikanten Zusammenhang zwischen ver-besserter Prozessfähigkeit und Qualitätsowie Liefertreue messen. Unsere Mitar -beiter merkten, dass aus der anfänglichwahrgenommenen Belastung eine verläss-lichere und produktivere Umgebung gewor-den war.

In einem Geschäftsbereich unseresKlienten ging es bei der CMMI-Umsetzungbeispielsweise primär darum, die Fehler imFeld zu verringern und damit eine erhöhteZuverlässigkeit der gelieferten Systeme zuerreichen. So wurde die Lieferqualität jähr-lich um mehr als 20 % verbessert – eineFolge des Einsatzes von qualitätssichernden

Maßnahmen und früher Fehlerentdeckung,wie sie durch das CMMI propagiert wer-den. In einem angrenzenden Geschäfts -bereich wurde die Zykluszeit innerhalb vonnur drei Jahren auf ein Drittel reduziert,was ohne eine solide Basis von Prozessenauf Reifegrad 3 nicht möglich gewesenwäre. Zunehmend werden Komponentenvon externen Lieferanten geliefert, wasohne solide und gut kommunizierte Ent -wick lungs prozesse mit klaren Schnittstellennicht möglich wäre.

Regelmäßige Assessments erlauben einkontinuierliches Benchmarking – sowohl imKonzern als auch mit anderen Unterneh -men. So konnten wir mit verschiedenenWettbewerbern Erfahrungen zu Produkt -linien austauschen und diese erfolgreichimplementieren.

Der Nutzen des CMMIWie viel CMMI reicht aus? Genügt Reife -grad 3 oder benötigt man Reifegrad 5? Wasist der Nutzen von Verbesserungen mit demCMMI? Mit solchen am Reifegrad orien-tierten Fragestellungen sollte man vorsichtigsein und sich eher fragen, welcheAnforderungen der Markt und die eigeneGeschäftsentwicklung stellen. Klar ist, dassProzesse einen gewissen Mindeststandardhinsichtlich Kommunikation und Nutz -barkeit erfüllen sollten, um überhauptgelebt werden zu können. Einen solchenMindeststandard liefert bereits der CMMI-Reifegrad 2. Wer darüber hinaus bereichs-und projektübergreifend Konsistenz undgezielte Verbesserungen fordert, wirdReifegrad 3 benötigen. Dokumentierte undtrainierte Prozesse, die sich am Stand derTechnik orientieren, sind nötig, woSystematik und nachweisbare Qualitätgefordert werden, wie das bei eingebetteterSoftware oder geschäftskritischer IT derFall ist. Beispielsweise orientieren sich dieProdukthaftung und das IT-Risikomanage -ment an solchen durch ISO-Standardsbestimmten Vorgehensweisen. Quantita -tives Management ist dort erforderlich, woProzessverbesserungen durch dieMitarbeiter vor Ort spontan erfolgen sollenund trotzdem in einen Gesamtkontext vonunternehmerischen Zielen passen (vgl.[Eic03], [Rei07]). Viele Unternehmen habenden Nutzen eines hohen Reifegrads erkanntund verfolgen ihn, um ihre Marktpositionzu verbessern – genau so, wie es Jack Welchin [Wel07] über die konzernweite Ein -führung von Six Sigma bei General Electric

(GE) beschrieben hat. Das Beispiel GEunterstreicht übrigens einen ganz wesent-lichen Punkt, den ich immer wieder beob-achte: Nachhaltige Verbesserungen benöti-gen Managementunterstützung. Ein„Klein-Klein"-Vorgehen, bei dem hier undda marginale Änderungen halbherzig einge-führt werden, schafft keine wirklichenVeränderungen.

Bringen Reifegradmodelle greifbareVorteile? Ist ihr Nutzen empirisch belegt?Diese Fragen werden für das CMMI auf-grund seiner weltweiten Verbreitung unddes breiten Einsatzes seit vielen Jahren wis-senschaftlich untersucht (vgl. z. B. [Ebe07],[Gal05], [Rei07], [Gib06]). Die Ergebnisselassen sich wie folgt zusammenfassen:

■ Bei richtiger Anwendung bringenCMMI-basierte Verbesserungsprojektemessbare und nachhaltige Erfolgebezüglich Termintreue, Kosten,Produktivität und Qualität.

■ Die erreichten Effekte hängen wesent-lich von der ursprünglichen Zielsetzungab und werden nicht automatischerreicht.

■ Nachhaltige Verbesserungen erfordernein gutes Veränderungsmanagement.

Offensichtlich ist das CMMI keine hinrei-chende Voraussetzung für den Unterneh -mens erfolg, denn es fokussiert vor allem dieEntwicklung. Mit einer falschen Strategieund unzureichender Führung werden aberauch solche Unternehmen am Markt schei-tern, deren Entwicklung optimal aufgestelltist.Nach meiner Erfahrung erhöhen sich dieErfolgschancen eines Unternehmens aberdeutlich, wenn die folgenden Regeln be -rück sichtigt werden:

Stellen Sie konkrete Verbesserungsziele –und nicht einen bestimmten Reifegrad – inden Mittelpunkt. Ein großer Fehler, den ichhäufig beobachte, besteht darin, dass das„Zertifikat” (das es formal als solches garnicht gibt) oder der Reifegrad zum alleini-gen Ziel werden. Sicherlich verführt dieeinfache Mess barkeit des Reifegrads ver-bunden mit der determinierten Vorgehens -weise zur Prozessverbesserung, dazu, sichein solches Ziel zu setzen. Dann versuchenManager allerdings nur noch, dieses eineZiel möglichst einfach und rasch zu errei-chen, ohne sich darüber Gedanken zumachen, ob die Änderungen nachhaltigsind und ob sie auch einen Nutzen über denReifegrad hinaus bringen.

Abb. 6: Der Nutzen eines verbessertenReifegrads (Fallstudie im Text).

Page 7: REIFEGRADMODELLE: ROUTENPLANER FÜR DIE …...großen Konzern mit globaler Software - entwicklung (vgl. [Gla08]). Beispielsweise sind Planung und Projektverfolgung wesentliche Elemente

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f achar t i ke l

Betten Sie das Verbesserungsprojektimmer in den unternehmerischen Kontextein. Assessments und Reifegradmodellesollten stets als Unterstützung undWerkzeug zur Erreichung der Geschäfts -ziele verstanden werden – und nicht alsSelbstzweck. Es nützt beispielsweise nichtviel, wenn die Entwicklung perfekt läuft,aber die falsche Produktstrategie verfolgtwird. Genauso wenig helfen agile Prozesse,um Flexibilität bei der Umsetzung vonAnforderungen und Änderungen zu errei-chen, wenn diese Flexibilität am Marktnicht honoriert wird (vgl. [Ebe08]). SetzenSie inkrementelle Verbesserungsziele, dieim Rahmen von drei bis sechs Monatengreifbare Erfolge bringen. Beziehen SieProduktmanage ment, Vertrieb oder Ein -kauf in Verbes serungsprojekte mit ein, umGeschäftsziele durchgängig zu erreichen.

AusblickMärkte und Kundenbedürfnisse ändern sichheute schneller als jemals zuvor. DieUnternehmensergebnisse müssen sich stän-dig verbessern. Begrenzte Ressourcen müs-sen optimal genutzt werden. Termine,Budgets und die vereinbarte Qualität müs-sen verlässlich eingehalten werden. DasProduktportfolio erneuert sich schnellerdenn je und verlangt nach darauf abge-stimmten, innovativen Prozessen – vomProduktmanagement bis hin zum Service.Ein zunehmender, weltweiter Wettbewerbs -druck und die rasche Kommodisierung von

Literatur

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[Wel07] J. Welch, Winning, Harper Collins,

2007

■ Setzen Sie klare Ziele auf Quartalsbasis. Vermeiden Sie zu viele parallele Initiativen.Erreichen Sie zuerst ein Ergebnis, dann das nächste.

■ Tun Sie, was Sie sagen. Ihre Mitarbeiter und Kollegen betrachten Ihr Verhalten genau.Sie müssen die Veränderung vorleben, die Sie im Unternehmen sehen wollen

■ Personalisieren Sie Änderungen. Führen Sie Änderungen immer als Projekt durch(d. h. Projektleiter, Zielvorgaben, Projekt-Controlling usw.). Wenn die Verbes -serungsziele nicht erreicht werden, muss das Konsequenzen nach sich ziehen.

■ Messen Sie frühzeitig und kontinuierlich. Steuern Sie gegen, bevor die Scorecard rotwird. Legen Sie den Schwerpunkt auf unmittelbare und nachhaltige Wirtschaftlichkeitbei Veränderungen. Sind die Projekte besser geworden? Setzen Sie Leistungs -kennzahlen und Kunden-Feedback ein.

■ Verbesserungen sind nicht umsonst. Abhängig von Geschwindigkeit und Umfangkosten Prozessverbesserungen 1 – 3 % des Entwicklungs-Budgets. Dieses Investmentsollte sich ab dem ersten Jahr auszahlen.

■ Seien Sie niemals zufrieden. Niemals. Wettbewerber wachsen gerade in der Software-und IT-Branche ständig nach. Bauen Sie Ihre Stärke im weltweiten Wettbewerb gezieltaus, um nicht selbst Opfer des ständigen Kostendrucks zu werden.

Kasten 1: Praktische Tipps für die wirkungsvolle und nachhaltige Nutzung vonReifegradmodellen.

Produkten, wenn sie einmal am Markt sind,erfordern eine gut synchronisierte weltweiteEntwicklung und Verteilung von Pro -dukten, Lösungen und Dienstleistungen. Sozeigen unsere Erfahrungen mit derUmsetzung von Effizienzverbesserung undKostenreduzierung, dass Unternehmen mitReifegrad 3 ihre Schwachstellen unmittel-bar erkennen und sie nachhaltig abstellenkönnen. Gerade in einer wirtschaftlichenKrise, wenn auch der Bereich derSoftwareentwicklung mit einem geringeremBudget auskommen muss, profitieren jeneUnternehmen, die über schlanke Prozesse,gut ausgebildete Mitarbeiter und kontinu-ierliche Verbesserungsprozesse verfügen.

Eine moderne Software- und Systement -wicklung ist ohne ständig optimierteProzesse nicht vorstellbar. Wir nutzenReifegradmodelle wie CMMI oder SPICE,um eine bessere Effizienz, eine kürzereDurchlaufzeit oder höhere Qualität zu errei-chen – gerade auch bei innovativen Pro -dukten, die eine hohe Kreativität in derEntwicklung erfordern. Dabei ist es wich-tig, dass Reifegradmodelle nicht als starreVorgabe für unflexible Prozesse missver-standen werden, sondern als Routenplanerzur Erreichung von Geschäftszielen dienen.Zusammen mit einer optimiertenWerkzeugunterstützung werden Prozesseals Hilfe begriffen und fördern dieKreativität, denn die Entwickler könnensich auf das Wesentliche konzentrieren: aufInnovation und Wertschöpfung. ■


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