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Raum · Zeit · Materie || Das metrische Kontinuum

Date post: 08-Dec-2016
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§ 10. Bericht iiber Nicht-Euklidische Geometrie. 71 rung der treibenden elektrischen Kraft proportional setzen kann; so wird das Ohmsche Gesetz verstandlich. Wird der Strom durch ein galvanisches Element oder einen Akkumulator erzeugt, so wird durch den sich abspielenden chemischen ProzeB zwischen Anfang und Ende der Drahtleitung eine konstante Potentialdifferenz auf- recht erhalten, die .elektromotorische Da die Vorgange, die sich in dem Stromerzeuger abspielen, offenbar nur von einer atomistischen Theorie verstanden werden konnen, ist es phanomenologisch am ein- fachsten, ihn durch einen Querschnitt im geschlossenen Leitungskreis zur Darstellung zu bringen, Qber den hiniiber das Potential einen Sprung erleidet, welcher gleich der elektromotorischen Kraft ist. Dieser kurze Uberblick iiber die Maxwellsche Theorie des stationaren Feldes wird uns fiir das Folgende geniigen. Auf Einzelheiten und konkrete Anwendungen konnen wir uns hier natiirlich nicht einlassen. II. Kapitel Das metrische Kontinuum. § 10. Bericht iiber Nicht-Euklidische Geometrie 1). Der Zweifel an der Euklidischen Geometrie scheint so alt zu sem wie diese selbst und ist keineswegs erst, wie das von unsern Philosophen meist angenommen wird, eine Ausgeburt moderner mathematischer Ryperkritik. Dieser Zweifel hat sich von jeher an das V. Postulat des Euklid gekniipft. Es besagt im wesentlichen, daB in einer Ebene, in der eine Gerade g und ein nicht auf ihr gelegener Punkt P gegeben sind, nur eine einzige Gerade existiert, welche durch P hindurchgeht und g nicht schneidet; sie hei.Bt die Parallele. Wahrend die iibrigen Axiome des Euklid ohne wei teres als evident zugestanden wurden, haben sich schon die altesten Erklarer bemiiht, diesen Satz auf Grund der iibrigen Axiome zu beweisen. Reute, wo wir wissen, daB das gesteckte Ziel nicht erreicht werden konnte, miissen wir in diesen Betrachtungen die ersten Anfange der .Nicht-Euklidischen« Geometrie erblicken, d. h. des Aufbaus eines geometrischen Systems, das zu seinen logischen Grundlagen die samtlichen Axiome des Euklid mit Ausnahme des Parallelenpostulats an- nimmt. Wir besitzen von Proklus (5. Jahrh. n. Chr.) einen Bericht iiber derartige Versuche. Proklus warnt darin ausdriicklich vor dem MiBbrauch, der mit Berufungen auf Evidenz getrieben werden kann, (man darf nicht mUde werden, diese Warnung zu wiederholen; man darf aber auch nicht miide werden, zu betonen, daB trotz ihres vielfachen MiBbrauchs die Evi- denz letzter Ankergrund aller Erkenntnis ist, auch der empirischen) und besteht auf der Moglichkeit, daB es >asymptotische Gerade« geben konne. Dazu mag man sich folgendes Bild machen. In einer Ebene sei eine feste Gerade g, ein nicht auf ihr gelegener Punkt P gegeben und eine © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1993 H. Weyl, Raum · Zeit · Materie
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Page 1: Raum · Zeit · Materie || Das metrische Kontinuum

§ 10. Bericht iiber Nicht-Euklidische Geometrie. 71

rung der treibenden elektrischen Kraft ~ proportional setzen kann; so wird das Ohmsche Gesetz verstandlich.

Wird der Strom durch ein galvanisches Element oder einen Akkumulator erzeugt, so wird durch den sich abspielenden chemischen ProzeB zwischen Anfang und Ende der Drahtleitung eine konstante Potentialdifferenz auf­recht erhalten, die .elektromotorische Kraft~. Da die Vorgange, die sich in dem Stromerzeuger abspielen, offenbar nur von einer atomistischen Theorie verstanden werden konnen, ist es phanomenologisch am ein­fachsten, ihn durch einen Querschnitt im geschlossenen Leitungskreis zur Darstellung zu bringen, Qber den hiniiber das Potential einen Sprung erleidet, welcher gleich der elektromotorischen Kraft ist.

Dieser kurze Uberblick iiber die Maxwellsche Theorie des stationaren Feldes wird uns fiir das Folgende geniigen. Auf Einzelheiten und konkrete Anwendungen konnen wir uns hier natiirlich nicht einlassen.

II. Kapitel

Das metrische Kontinuum.

§ 10. Bericht iiber Nicht-Euklidische Geometrie 1).

Der Zweifel an der Euklidischen Geometrie scheint so alt zu sem wie diese selbst und ist keineswegs erst, wie das von unsern Philosophen meist angenommen wird, eine Ausgeburt moderner mathematischer Ryperkritik. Dieser Zweifel hat sich von jeher an das V. Postulat des Euklid gekniipft. Es besagt im wesentlichen, daB in einer Ebene, in der eine Gerade g und ein nicht auf ihr gelegener Punkt P gegeben sind, nur eine einzige Gerade existiert, welche durch P hindurchgeht und g nicht schneidet; sie hei.Bt die Parallele. Wahrend die iibrigen Axiome des Euklid ohne wei teres als evident zugestanden wurden, haben sich schon die altesten Erklarer bemiiht, diesen Satz auf Grund der iibrigen Axiome zu beweisen. Reute, wo wir wissen, daB das gesteckte Ziel nicht erreicht werden konnte, miissen wir in diesen Betrachtungen die ersten Anfange der .Nicht-Euklidischen« Geometrie erblicken, d. h. des Aufbaus eines geometrischen Systems, das zu seinen logischen Grundlagen die samtlichen Axiome des Euklid mit Ausnahme des Parallelenpostulats an­nimmt. Wir besitzen von Proklus (5. Jahrh. n. Chr.) einen Bericht iiber derartige Versuche. Proklus warnt darin ausdriicklich vor dem MiBbrauch, der mit Berufungen auf Evidenz getrieben werden kann, (man darf nicht mUde werden, diese Warnung zu wiederholen; man darf aber auch nicht miide werden, zu betonen, daB trotz ihres vielfachen MiBbrauchs die Evi­denz letzter Ankergrund aller Erkenntnis ist, auch der empirischen) und besteht auf der Moglichkeit, daB es >asymptotische Gerade« geben konne.

Dazu mag man sich folgendes Bild machen. In einer Ebene sei eine feste Gerade g, ein nicht auf ihr gelegener Punkt P gegeben und eine

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1993H. Weyl, Raum · Zeit · Materie

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72 Das metrische Kontinuum.

durch P hindurchgehende, urn P drehbare Gerade s. In ihrer Ausgangs­lage moge sie etwa senkrecht auf g sein. Drehen wir jetzt s, so gleitet der Schnittpunkt von s und g auf g entlang, z. B. nach rechts hiniiber, und es tritt ein bestimmter Moment ein, wo dieser Schnittpunkt gerade

, , ~ s·~s·

',~ g-------------~'------,

Fig. 2

ins Unendliche entschwunden ist: dann hat s die Lage einer • asymptotischen« Geraden. Drehen wir weiter, so nimmt Euklid an, daB im selben Moment schon ein Schnittpunkt von links her auftritt. Proklus dagegen weist auf die Moglich-keit hin, daB man vielleicht erst durch einen gewissen Winkel weiter drehen

muB, ehe ein Schnittpunkt auf der linken Seite zustande kommt. Dann hatten wir zwei .asymptotische« Gerade, eine nach rechts s' und eine nach links s". Liegt die Gerade s durch P in dem Winkelraum zwischen s" und s' (bei der eben geschilderten Drehung), so schneidet sie g; liegt sie zwischel} s' und s", so schneidet sie nicht. - Eine nicht-schneidende muB mindestens existieren; das folgt aus den iibrigen Axiomen Euklids. Ich erinnere an eine aus dem ersten Elementarunterricht in der Geometrie

C" 'A' 0' g

vertraute ebene Pigur, bestehend aus der Ge­raden h und zwei Geraden g und g', die It in A und A' unter gleichen Winkeln schnei­den. g und i werden beide durch ihren Schnitt mit h in eine rechte und eine linke Balfte zeriegt. Batten nun g und i etwa einen auf

Fig. 3. der rechten Seite von h gelegenen Schnittpunkt S gemein, so wiirde sich, da (s. Fig. 3) BAA' B'

kongruent zu C' A' AC ist, auch auf der linken Seite ein solcher Schnitt­punkt S* ergeben; dies ist aber unmoglich, da durch zwei Punkte S lind S* nur eine einzige Gerade hindurchgeht.

Die Versuche, das Euklidische Postulat zu erweisen, setzen sich unter den Arabern und unter den abendlandischen Mathematikern des Mittel­alters fort. Wir nennen nur, sofort in die neuere Zeit hiniibyrspringend, die Namen der letzten bedeutendsten Vorlaufer der Nicht-Euklidischen Geometrie: den Jesuitenpater Saccheri (Beginn des IS. Jahrh.), die Mathe­matiker Lambert und Legendre. Saccheri weiB, daB die Frage der Giiltig­keit des Parallelenpostulats der andern aquivalent ist, ob die Winkelsumme im Dreieck gleich oder kleiner als I SOO ist. 1st si€ in einem Dreieck = 180°, so ist sie es in jedem, und es gilt die Euklidische Geometrie; ist sie in einem Dreieck < ISOo, so ist sie in jedem Dreieck < ISOo.

DaB sie > ISOo ausfallt, ist aus dem gleichen Grunde ausgeschlossen, aus dem eben gefolgert wurde, daB nicht alle Gerade durch P die feste Gerade g schneiden konnen. Lambert entdeckte, daB unter der Voraus­setzung einer Winkelsumme < I Soo in der Geometrie eine ausgezeichnete Lange existiert; es hiingt das eng mit der schon von Wallis gemachten

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§ 10. Bericht tiber Nieht-Euklidisehe Geometrie. 73

Bemerkung zusammen, daB es in der Nicht-Euklidischen Geometrie (ganz so wie in der Geometrie auf einer festen Kugel) keine ahnlichen Figuren verschiedener GroBe gibt: wenn es also so etwas gibt wie Gestalt un­abhangig von GroBe, so besteht die Euklidische Geometrie zu Recht. AuBerdem leitete Lambert eine Formel flir den Dreiecksinhalt her, aus welcher hervorgeht, daB dieser Inhalt in der Nicht-Euklidischen Geometrie nicht tiber alle Grenzen wachsen kann. Es scheint, daB sich durch die Untersuchungen dieser Manner allmahlich in weiteren Kreisen der Glaube an die Unbeweisbarkeit des Paralle1enpostulats Bahn gebrochen hat. Die Frage hat damals viele Gemiiter bewegt; d'Alembert bezeichnete es als einen Skandal der Geometrie, daB sie noch immer nicht zur Entscheidung gebracht sei. Die Autoritat Kants, dessen philosophisches System die Euklidische Geometrie als apriorische, den Gehalt der reinen Raum­anschauung in adaquaten Urteilen wiedergebende Erkenntnis in Anspruch nimmt, konnte den Zweifel nicht auf die Dauer unterdriicken.

Auch GauB ist urspriinglich noch darauf aus gewesen, das Paralle1en­axiom zu beweisen; doch hat er bald die Uberzeugung gewonnen, daB dies unmoglich sei, und hat die Prinzipien einer Nicht-Euklidischen Geometrie, in welcher jenes Axiom nicht erflillt ist, bis zu einem solchen Punkte entwicke1t, daB von da ab der weitere Ausbau mit der namlichen Leichti,gkeit vollzogen werden kann wie der 'der Euklidischen Geometrie. Er hat aber iiber seine Untersuchungen nichts bekannt gegeben; er flirchtete, _ wie er spater einmal in einem Privatbriefe schrieb, das »Ge­schrei der Booter«; -!lenn es gabe nur wenige, welche verstiinden, worauf es bei diesen Dingen eigentlich ankame. Unabhangig von Gau.3 ist Schweikart, ein Professor der Jurisprudenz, zu vollem Einblick in die Verhaltnisse der Nicht-Euklidischen Geometrie gelangt, wie aus einem knapp gehaltenen, an GauB gerichteten Notitzblatt hervorgeht. Er hielt es wie GauB flir keineswegs se1bstverstandlich und ausgemacht, daB in unserm wirklichen Raum die Euklidische Geometrie gilt. Sein Neffe Taurinus, den er zur Beschaftigung mit diesen Fragen anregte, war zwar im Gegensatz zu ihm ein Euklid-Glaubiger; ihm verdanken wir aber die Entdeckung, daB die Formeln der spharischen Trigonometrie auf einer

Kugel vom imaginaren Radius 11 - I reell sind und durch sie auf ana­lytischem Wege ein geometrisches System konstruiert ist, das den Axiomen des Euklid auBer dem V. Postulat, dies em aber nicht geniigt.

Vor der Offentlichkeit miissen sich in den Ruhm, Entdecker und Er­bauer der Nlcht-Euklidischen Geometrie zu sein, teilen der Russe Nikolaj Iwanowitsch Lobatschejskij(I793-18S6), Professor der Mathematik in Kasan, und der Ungar Johann Bolyai (1802-1860), Offizier der oster­reichischen Armee, Beide kamen mit ihren Ideen urn 1826 ins Reine; die Hauptschrift beider, die der Offentlichkeit mre Entdeckung mitteilte und eine Begriindung der neuen Geometrie im Stile Euklids darbot, stammt aus den Jahten 1830/31. Die Darstellung bei Bolyai ist besonders

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74 Das metrische Kontinuum.

durchsichtig dadurch, daB er die Entwicklung so weit als moglich fiihrt, ohne iiber die Giiltigkeit oder Ungiiltigkeit des V. Postulats eine Annahme zu machen, und erst am SchluB aus den Satzen dieser seiner "absoluten «

Geometrie, je nachdem ob man sich fiir oder wider Euklid entscheidet, die Theoreme der Euklidischen und der Nicht-Euklidischen Geometrie herleitet.

Wenn so auch das Gebaude errichtet war, so war es noch immer nicht definitiv sichergestellt, ob sich schlie13lich nicht doch einmal in der absoluten Geometrie das Parallelenaxiom als ein Folgesatz herausstellen wiirde; der strenge Beweis der Widerspruchslosigkeit der Nicht-Euklidischen Geometrie stand noch aus. Er ergab sich aber aus der Weiterentwicklung der Nicht-Euklidischen Geometrie fast wie von selbst. Der einfachste Weg zu diesem Beweis wurde freilich, wie das oft geschieht, nicht zuerst eingeschlagenj er ist erst von Klein um 1870 aufgefunden worden und beruht auf der Konstruktion eines Euklidischen Mode/ls ftir die Nicht­Euklidische Geometrie 2). Beschranken wir uns auf die Ebene! In einer Euklidischen Ebene mit den rechtwinkligen Koordinaten x, y zeichnen wir den Kreis U vom Radius I um den Koordinatenursprung. Fiihren wir homogene Koordinaten ein,

(so daB also die Lage eines Punktes durch das Verhaltnis von drei Zahlen x, : x2 : X3 charakterisiert ist) , so lautet die Gleichung des Kreises

-x~ -x: +x; = O.

Die auf der linken Seite stehende quadratische Form werde mit .Q (x) 'bezeichnet, die zugehorige symmetrische Bilinearform zweier Wertsysteme Xi, x~ mit .Q (xx'). Eine Abbildung, die jedem Punkt x einen Bildpunkt x' durch die linearen Formeln

zuordnet, heiJ3t bekanntlich eine Kollineation (die affinen Abbildungen sind spezielle Kollineationen). Sie filhrt jede Gerade Punkt ftir Punkt wieder in eine Gerade iiber und laJ3t das Doppelverhaltnis von 4 Punkten auf einer Geraden ungeandert. Wir stellen jetzt ein Lexikon auf, durch das die Begriffe der Euklidischen Geometrie in eine fremde Sprache, die »Niclit~Euklidische«, iibersetzt werden, deren Worte wir durch Anfilhrungs­striche kennzeichnen. Das Lexikon besteht nur aus drei Vokabeln.

»Punkt« heiJ3t jeder Punkt im Innern von U. »Geradec hei13t das innerhalb U verlaufende Stiick einer Geraden.

Unter den Kollineationen, we1che den Kleis U in sich iiberfilhren, gibt es zwei verschiedene Axten: so1che, we1che den Umlaufssinn auf U nicht andern, und so1che, we1che ihn in sein Gegenteil verkehren. Die

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§ 10. Bericht tiber Nicht-Euklidische Geometrie. 75

Kollineationen der ersten Art nennen wir »kongruente« Abbildungen und zwei aus »Punkten« bestehende Figuren »kongrucnt<, wenn sie durch eine solche Abbildung ineinander iibergeflihrt werden konnen. Flir diese »Punkte« und ~ Geraden« und flir dies en Begriff der »Kongruenz« gelten die samtlichen 8·1,_ -~_

Axiome Euklids mit Ausnahme des Parallelen­postulats. In Fig. 4 ist ein ganzes Biischel von »Geraden< durch den ,Punkt« gezeichnet, die alle die eine • Gerade« g nicht schneiden. Die Widerspruchslosigkeit der Nicht-Euklidischen Geometrie ist damit erwiesen; denn es sind Dinge und Beziehungen aufgewiesen, flir welche bei ge­eigneter Namengebung die samtlichen Satze jener Geometrie erflillt sind. - Die Ubertragung des Kleinschen Modells auf die raumliche Geometrie ist offenbar ohne weiteres moglich.

Fig. 4.

Wir wollen in diesem Modell noch die Nicht-Euklidische Entfernung zweier »Punkte«

bestimmen. Die Gerade AA' schneide den Kreis U in den beiden Punkten B I , B.. Die homogenen Koordinaten J!i jedes dieser beiden Punkte haben die Form

und das zugehorige chung n (y) = 0:

A )..'

Vi = AXi + A' xi, Parameterverhaltnis A: A' ergibt sich aus der Glei-

- Q(xx') ± V Q'(xx') - Q(x) ,Q(x') Q(x)

Das Doppelverhaltnis der VIer Punkte AA' BIB. ist daher

[AA'] = Q(xx') + V.Q2(XX') - ,Q(x)Q(x')

Q(xx') - V.Q'(xx') - Q(x)Q(x')

Diese von den beiden willklirlichen »Punkten« A, A' abhangige GroBe andert sich nicht bei einer .kongruenten< Abbildung. Sind A A' A" irgend drei, in der hingeschriebenen Reihenfolge auf einer »Geraden < ge1egene .Punkte«, so ist

Die GroBe [AA"J = [AA'] . [A' A"].

~lg[AA'] = AA' = r

hat also die Funktionaleigenschaft

AA' + A' A" = AA".

Da sie auBerdem flir .kongruente« Strecken AA' den gleichen Wert hat, ist sie als die Nicht-Euklidische Entfernung der beiden Punkte AA' an-

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Das metrische Kontinuum.

zusprechen. lndem WIr unter 19 den natUrlichen Logarithmus verstehen, erhalten wir in Einklang mit der Erkenntnis Lamberts eine absolute Fest­legung der MaReinheit. Die Definition Hillt sich einfacher so schreiben:

~ . Q(xx') ~ol r = ::-r::::====:::;'=:=;=

VQ(x). Q(x') (~of = Cosinus hyperbolicus.)

Diese MaBbestimmung ist unter Zugrundelegung eines beliebigen reellen oder imaginaren Kegelschnitts n (x) = 0 vor Klein bereits von Cayley als »projektive MaBbestimmung« aufgestellt worden 3); aber erst Klein er­kannte, daB sie fUr einen reellen Kegelschnitt zur Nicht-Euklidischen Geometrie fUhrt.

Man muB nicht wahnen, das Kleinsche Modell zeige, daB die Nicht­Euklidische Ebene endlich sei. Vielmehr kann ich, Nicht-Euklidisch ge­messen, auf einer • Geraden« dieselbe Strecke unendlich oft hintereinander abtragen; nur im Euklidischen Modell Ettklidisch gemessen, werden die Abstande dieser »aquidistanten« Punkte immer kleiner und kleiner. FUr die Nicht-Euklidische Ebene ist der Grenzkreis U das unerreichbare U nendlichferne.

Die Cayleysche MaBbestimmung flir einen imaginaren Kegelschnitt ftihrt auf die gewohnliche spharische Geometrie, wie sie auf einer Kugel im Euklidischen Raum Geltung hat. Die groBten Kreise treten darin an Stelle der geraden Linien, es muE aber jedes aus zwei sich diametral gegenUberliegenden Punkten bestehende Punktepaar als einzelner .Punktc betrachtet werden, damit sich zwei »Geraden« nur in einem "Punktec schneiden. Wir projizieren die Kugelpunkte durch geradlinige Strahlen yom Zentrum auf die in einem Kugelpunkte, dem SUdpol, gelegte Tan­gentenebene: in dieser Bildebene fallen alsdann je zwei diametral gegen­Uberliegende Punkte zusammen. Die Ebene mUssen wir aber wie in der pro­jektiven Geometrie mit einer unendlich fernen Geraden ausstatten, die das Bilel des Aquatorkreises ist. Wir nennen zwei Figuren in dieser Ebene jetzt .kongruentc, \Venn ihre durch die Zentralprojektion auf der Kugel entstehenden Bilder im gewohnlichen Euklidischen Sinne kongruent sind. Unter Anwendung dieses .Kongruenze-Begriffs gilt dann in der Ebene eine Nicht-Euklidische Geometrie, in der alle Axiome Euklids erfUllt sind mit Ausnahme des V. Postulats. An dessen Stelle tritt aber hier die Tatsache, daB je zwei Gerade ohne Ausnahme sich schneiden, und in Dbereinstimmung damit ist die Winkelsumme > 180°. Das scheint mit einem oben erwahnten Euklidischen Beweis in Widerspruch zu stehen. Die Antinomie lost sich dadurch, daB in der jetzigen, .spharischen« Geometrie die Gerade eine geschlossene Linie ist, wahrend Euklid, ohne es allerdings in den Axiomen auszusprechen, stillschweigend voraussetzt, daB sie eine offene Linie ist, namlich durch jeden ihrer Punkte in zwei Halften zerfallt. Nnr unter dieser Vorraussetzung ist der in seinem Be­weis gezogene SchluB zwingend, daB der auf der >rechtenc Seite gelegene

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§ II. Riemannsche Geometrie. 77

hypothetische Schnittpunkt S von dem auf der »linken" Seite gelegenen S* verschieden ist.

Wir benutzen im Raum ein Cartesisches Koordinatensystem XI X 2 X 3 '

des sen Nullpunkt im Kugelzentrum liegt, dessen X3 -Achse in die Verbindungs­linie Nord-Siidpol faUt und welchem als MaI3einheit der Kugelradius zu­grunde liegt. Sind XI' X 2 , X3 die Koordinaten irgend eines Kugelpunktes:

Q (x) _ x~ + x: + x~ = I,

X, X2 •

so sind -, - die erste und zweite Koordinate des Bildpunktes .in X3 X3

unserer Ebene X3 = I; X,: x2 : X3 ist also das Verhaltnis der homo­genen Koordinaten des Bildpunktes. Kongruente Abbildungen der Kugel sind lineare Transformationen, welche die quadratische Form .Q (x) in­variant lassen; die »kongruenten« Abbildungen der Ebene im Sinne unserer »spharischen" Geometrie sind also durch solche lineare Trans­formationen der homogenen Koordinaten gegeben, welche die Gleichung Q (x) = 0, die einen imaginaren Kegelschnitt bedeutet, in sich iiberfiihren. Damit ist unsere Behauptung betreffs des Zusammenhanges der spharischen Geometrie mit der Cayleyschen MaBbestimmung bewiesen. 1m Einklang damit lautet die Formel flir die Entfernung r zweier Punkte A, A' hier

Q(xx') (2) cos r = .~~=====;:c:

yQ(x) Q(x') Zugleich haben wir die Entdeckung des Taurinus bestatigt, da13 die Nicht­Euklidische Geometrie identisch ist mit der spharischen auf einer Kugel

vom Radius Y - I. Denn auf einer Kugel vom Radius a ist in' der r --

Gleichung (2) r zu ersetzen durch -; flir a = Y - I gebt die so mo-a . difizierte Gleichung (2) iiber in (I). DaB die Vorzeichen der quadrati­schen Form .Q in (I) andere sind als in (2), ist unwesentlich; dies besagt

lediglich, daB wir auf der Kugel vom Radius V-=-;: diejenigen Punkte als »reell« betrachten wollen, flir welche x,, X 2 rein imaginar sind und X3 reell.

Zwischen die Bolyai-Lobatschefskysche und die spharische Geometrie schiebt sich als Grenzfall die Euklidische ein. Lassen wir namlich einen reellen Kegelschnitt durch einen ausgearteten in einen imaginaren iiber­gehen, so verwandelt sich die mit der zugehorigen Cayleyschen MaBbe­stimmung ausgestattete Ebene von einer Bolyai-Lobatschefskyschen durch eine Euklidische hindurch in eine spharische.

§ II. Riemannsche Geometrie.

Die fiir uns vor allem bedeutsame Weiterentwicklung der Idee der Nicht-Euklidischen Geometrie durch Riemann kniipft an die Grundlagen der Infinitesimalgeometrie, insbesondere der Flachentheorie an, wie sie von GauB in seinen Disquisitiones circa superficies curvas gelegt worden sind.

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Das metrische Kontinuum.

Die urspritnglichste Eigenschajt des Raumes ist die, dajl seine Punkte eine dreidimensionale jJ£amzigfaltigkeit bilden. Was verstehen wir darunter? Wir sagen z. B., daB die Ellipsen (nach GroBe und Gestalt, d. h. wenn man kongruente Ellipsen als gleich, nicht-kongruente als verschieden be­trachtet) eine zweidimensionale Mannigfaltigkeit bilden, weil die einzelne Ellipse innerhalb dieser Gesamtheit durch zwei Zahlangaben, den Wert der halben groBen und kleinen Achse, festgelegt werden kann. Die Gleich­gewichtszustande eines idealen Gases, deren Verschiedenheit etwa durch die Unabhiingigen: Druck und Temperatur charakterisiert werde, bilden eine zweidimensionale Mannigfaltigkeit, ebenso die Punkte auf einer Kugel - oder die einfachen Tone nach 1ntensitat lmd Qualitat. Die Farben bilden gemiiJ3 der physiologischen Theorie, nach der die Farbwahrnehmung bestimmt ist durch die Kombination dreier chemischer Prozesse auf der Retina, des Schwarz-WeiB, Rot-Griin und Ge1b-Blau-Prozesses, deren jeder in einer bestimmten Richtung mit bestimmter 1ntensitat vor sich gehen kann, eine dreidimensionale Mannigfaltigkeit nach Qualitat und 1ntensitat, die Farbqualitaten jedoch nur eine zweidimensionale; es findet dies seine Bestatigung durch die bekannte Maxwellsche Konstruktion· des Farb­dreiecks. Die moglichen Lagen eines starren Korpers bilden eine sechs­dimensionale Mannigfaltigkeit, die moglichen Lagen eines mechanischen Systems von n Freiheitsgraden allgemein eine n-dimensicnale. Fur cine n-dimensionale Mannigjaltigkeit ist charakteristisch, daj1 man das einzelne Zit ihr gehOrige Element (in unsern Beispielen: die einzelnen Punkte oder Zustande, Farben oder Tone) lestlegen kann ·durch die Angabe der Zaltl­werte von n Groj1en, den »Koordinatenc, die stetige Funktionen innerhalb der Mannigfaltigkeit sind. Dabei ist aber nicht erforderlich, zu verlangen, daB die ganze Mannigfaltigkeit mit allen ihren Elementen umkehrbar­eindeutig und stetig in dieser Weise durch die Wertsysteme von n Koor­dinaten reprasentiert werde (z. B. ist das ausgeschlossen fUr die Kugel, 11 = 2), sondern es kommt nur darauf an, daB, wenn P ein be1iebiges Element der Mannigfaltigkeit ist, jedesmal eine gewisse Umgebung der Stelle P umkehrbar-eindeutig und stetig auf die Wertsysteme von n Koor­dinaten abgebildet werden kann. 1st Xi ein System von n Koordinaten, xi irgend ein anderes, so werden die Koordina~enwerte Xi und xi des­selben Elementes allgemein durch Relationen (3) Xt"=li(X~X:'·xi.) (i=l,z,·'.,n) miteinander verkniipft sein, die nach den xi auflosbar sind und in denen die. It" stetige Funktionen ihrer Argumente bedeuten. Solange wir von der Mannigfaltigkeit nichts weiter wissen, sind wir nicht imstande, irgend ein Koordinatensystem vor den andern auszuzeichnen. Zur analytischel\ Behandlung beliebiger stetiger Mannigfaltigkeiten wird also eine Theorie der 1nvarianz gegeniiber beliebigen Koordinatentransformationen (3) notig, wahrend wir uns im vorigen Kapitel zur Durchfiihrung der affinen Geo­metrie. auf die viel speziellere Theorie der 1nvarianz gegeniiber linearen Transformationen stiitzten.

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§ 11. Riemannsche Geometrie. 79

Die Infinitesimalgeometrie beschaftigt sich mit dem Studium von Kurven und FHichen im dreidimensionalen Euklidischen Raum, der auf die Cartesi­schen Koordinaten x, y, z bezogen werde. Eine Kurve ist allgemein eine eindimensionale Punktmannigfaltigkeit; ihre einzelnen Punkte ktinnen durch die Werte eines Parameters u voneinander unterschieden werden. Befindet sich der Kurvenpunkt u an der Raumstelle mit den Koordinaten xyz, so werden x, y, z bestimmte stetige Funktionen von u sein:

X=x(u), y =y{u), z = z(u),

und (4) ist die ~Parameterdarstellung« der Kurve. Deuten wir u als Zeit, so gibt (4) das Gesetz der Bewegung eines Punktes, welcher die gegebene Kurve durchlauft. Durch die Kurve selbst ist aber die Parameter­darstellung (4) nicht eindeutig bestimmt; vielmehr kann der Parameter u noch einer beliebigen stetigen Transformation unterworfen werden.

Eine zweidimensionale Punktmannigfaltigkeit heiSt Fldche; ihre Punkte konnen durch die Werte zweier Parameter U

" U 2 unterschieden werden,

und sie besitzt daher eine Parameterdarstellung der Art:

x = x(u, u.), z = z(u, u2 ).

Wieder konnen die Parameter U"

u. noch einer beliebigen stetigen Trans­formation unterworfen werden, ohne daJ3 die so dargestellte Flache sich andert. Wir wollen annehmen, daB die Funktionen in (5) nicht nur stetig, sondern auch stetig differentiierbar sind. Von dieser Darstellung (5) einer beliebigen Flache geht GauJ3 in seiner allgemeinen Theorie aus; die Para­meter u" U2 bezeichnet man daher als GauBsche (oder krummlinige) Koordinaten auf der Flache. - Ein Beispiel: Projizieren wir wie im vorigen Paragraphen die Punkte der Einheitskugel yom Zentrum (dem Nullpunkt des Koordinatensystems) auf die Tangentenebene z = I im Siidpol, nennen x y z die Koordinaten eines beliebigen Kugelpunktes und UI , u. die x- und y-Koordinate des Projektionspunktes in dieser Ebene, so ist

(6) x = uI

,1 • + 2' Y I + U , U 2

y = ,/ 2 2'

Y I + U I + U 2

z= VI + U~ + u~

Das ist eine Parameterdarstellung der Kugel; sie erfaBt jedoch nicht die ganze Kugel, sondern nur eine gewisse Umgebung des Siidpols, namlich die siidliche Halbkugel bis zum Aquator, aber mit AusschluB desselben. Eine andere Parameterdarstellung der Kugel, gleichfalls giiltig flir die ganze siidliche Halbkugel, erhalten wir, wenn wir den willkurlichen Kugelpunkt senkrecht auf die Aquatorebene projizieren und als GauJ3sche Koordinaten XI x. des Kugelpunktes die Cartesischen Koordinaten seines Spurpunktes verwenden; dann haben wir einfach

( 6') x = X,, Y = x. , z = Y I - X~ - x: .

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80 Das metrische Kontinuum.

Eine dritte Parameterdarstellung liefern die geographischen Koordinaten Lange und Breite.

In der Thermodynamik benutzen wir zur graphischen Darstellung eine Bildebene mit einem rechtwinkligen Koordinatenkreuz, in der wir den etwa durch Druck p und Temperatur :J gegebenen Zustand eines Gases reprasentieren durch einen Punkt mit den rechtwinkligen Koordinaten p, {}. Das gleiche Verfahren konnen wir hier anwenden: dem Punkt ul It. auf der Flache ordnen wir in einer »Bildebene< den Bildpunkt mit den recht­winkligen Koordinaten u,u. zu. Die·Formeln (5) stellen dann nicht nur die Flache, sondern gleichzeitig eine bestimmte stetige Abbildung dieser Flache auf die u, u. - Ebene dar. Beispiele solcher ebenen Abbildungen krummer FlachenstUcke sind jedermann in den geographischen Karten ge1aufig. Eine Kurve auf der Flache ist mathematisch gegeben durch eme Parameterdarstellung

(7) u,=u,(t), It = u (t) 2 .,

ein FlachenstUck durch ein »mathematisches Gebietc in den Variablen It,U.,

das mitte1s Ungleichungen zWIschen lt l , u. charakterisiert werden muB; graphisch gesprochen also: durch die Bildkurve, bzw. das Bildgebiet in der It,lt. - Ebene. Bedeckt man die Bildebene nach Art des Millimeter­papiers mit einem Koordinatennetz, so Ubertragt sich dieses vermoge der Abbildung auf die krumme Flache als ein aus kleinen paralle1ogram­matischen Maschen bestehendes Netz, das von den beiden Scharen von »Koordinatenlinien« U l = konst., bzw. u. = konst. gebildet wird. Wird dies Raster hinreichend fein genommen, so ermoglicht es einem Zeichner, jede in der Bildebene gegebene Figur auf die krumme Flache zu Uber­tragen.

Der Abstand ds zweier unendlichnaher Punkte auf. der Flache:

(u, , u2 ) und (u l + dUI , U. + du2 )

bestimmt sich aus ds' = dx' + dy· + dz',

wenn man darin ~x ~x

(8) dx = ->. - dUI + ->. - duo uUI uu.

und entsprechende AusdrUcke fUr dy, dz einsetzt. Es ergibt sich fUr ds' eine quadratische Differentialform

deren Koeffizienten

• ds' = 2 gikduiduk

t"~k=I

gik = ~~+~~+~~ ~Ui~Uk ~Ui~Uk ~Ui~Uk

im allgemeinen keine Konstante, sondern Funktionen von tt" 1t. sind. FUr die Parameterdarstellung (6) der Kugel findet man z. B.

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§ I I. Riemannsche Geometrie. 81

d ' (1 + u: + u:) (du: + du:) - (uI dU I + u. du.)' S = (I + u: + u:)" .

Fiir die Parameterdarstellung (6') hingegen finden wir, da aus der Kugel­gleichung

fiir ein Linienelement auf der Kugel die Beziehung

XI d X, + X. d x. + z d z = 0

folgt: (X dx -I- X dx)'

d • - d • + d 2 + d ' = dx' + d 2 + I I 2 2 S - X, X. Z I X. Z. ,

d. i.

(10')

Die beiden quadratischen Differentialformen (10), (10') gehen ineinander iiber durch diejenige Koordinatentransformation, welche den Zusammen­hang zwischen den beiden Gaul3schen Koordinatensystemen it, it" x, x. auf der Kugel vermittelt, namlich:

u, x, = ,

YI + u: + u: oder invers geschrieben:

Gaul3 erkannte, dal3 die metrische Fundamentalform bestimmend ist fiir die Geometrie auf der Fliiche. Kurvenlangen, Winkel und die Grol3e gegebener Gebiete auf der Flache hangen allein von ihr ab; die Geo­metrie auf zwei Flachen ist also dieselbe, wenn fiir sie bei geeigneter Parameterdarstellung die Koeffizienten gik der metrischen Fundamental­form iibereinstimmen. Beweis: Die Lange einer beliebigen durch (7) gegebenen Kurve auf der Flache wird geliefert durch das Integral

fds = fV ~g"k~: d~k. dt.

Fassen WIT einen bestimmten Punkt po = (u~, u~) auf der Flache ins Auge und benutzen fiir des sen unmittelbare Umgebung die relativen Koordinaten

u,' - u7 = dUi; X - XO = dx, y - yO = dy, z - ZO = dz,

so gilt um so genauer, je kleiner duo du., die Gleichung (8), in der die Werte der Ableitungen an der Stelle po zu nehmen' sind; wir sagen, sie gilt fiiI >unendlichkleinec Werte dux und du.. Fiigen wir die analogen Gleichungen fiir dy, dz hinzu, so driicken sie aus, da/3 die unmittelbare Umgebung von po eine Ebene ist und du" duo affine Koordinaten in

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Das metrische Kontinuum.

ihr*). Demnach konnen wir in der unmittelbaren Umgebung von po die Formeln der affinen Geometrie anwenden. Wir finden fiir den Winkel 0 zweier Linienelemente oder infinitesimaler Verschiebungen mit den Kompo­nenten dUll du2 , bzw. au., DU2 , wenn wir die zu (9) gehorige sym­metrische Bilinearform

bezeichnen:

~gi1.dUiaUk mit Q(do) ik

cos 0 = Q(do) . Y Q(dd) Q(oo) ,

und fiir den Flacheninhalt des unendlichkleinen Parallelogramms, das von diesen beiden Verschiebungen aufgespannt wird,

Yil du. ,ou. wenn g die Determinante der gik bedeutet. Der Inhalt eines krummen Flachenstiicks ist demnach gegeben durch das iiber das Bildgebiet zu erstreckende Integral

Damit ist die Gaul3sche Behauptung erwiesen. Die Werte der erhaltenen Ausdriicke sind natiirlich unabhangig von der Wahl der Parameter­darstellung; diese ihre Invarianz gegeniiber beliebigen Transformationen der Parameter kann analytisch ohne weiteres bestatigt werden. Alle geo­metrischen Verhaltnisse auf der Flache konnen wir im » Bilde c verfolgen; die Geometrie in der Bildebene fant mit der Geometrie auf der krummen Flache zusammen, wenn wir nur iibereinkommen, unter dem Abstand d s zweier unendlich naher Punkte nicht den durch die Pythagoreische Formel

ds' = du~ + du: gelieferten Wert zu verstehen, sondern (9).

Die Geometrie auf der Flache handelt von den inneren Mal3verhalt­nissen der Flache, die ihr unabhangig davon zukommen, in welcher Weise

*) Dabei machen wir die Voraussetzung, daL\ die zweireihigen Determinanten, we1che aus dem Koeffizientenschema dieser Gleichungen gebildet werden konnen,

3x 3y o. OUt i}u. ilUI ilx 3y ils ilu. 3110 3110

nicht alle drei verschwinden; diese Bedingung ist fUr die regulliren Punkte der Fliiche, in denen eine Tangentenebene existiert, erftillt. Die drei Determinanten sind dann und nur dann identisch 0, wenn die Flache in eine Kurve ausartet, namlich die Funktionen x, y, • von Uz und 110 in Wahrheit nur von einem Parameter, einer Funktion von u. und 110, abhangen.

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§ I I. Riemannscbe Geometrie.

sie in den Raum eingebettet ist; es sind diejenigen Beziehungen, welche durch Messm auf der Fliiche selbst festgestelit werden konnen. GauJ3 ging bei seinen flachentheoretischen Untersuchungen von der praktischen geodatischen Arbeit der Hannoverschen Landesvermessung aus. DaB die Erde keine Ebene ist, kann durch die Vermessung eines hinreichend groBen Stlicks der Erdoberflache selbst ermittelt werden; wenn auch das einzelne Dreieck des Triangulationsnetzes so klein genommen wird, daB an ibm die Abweichung von der Ebene nicht in Betracht falit, so konnten sich doch die einzelnen Dreiecke nicht in der Weise in der Ebene zu einem Netz zusammenschlieBen, wie sie es auf der Erdoberflache tun. Urn das noch etwas deutlicher darzutun, zeichne man auf einer Kugel vom Radius I

(der Erdkugel) einen Kreis f mit dem auf der Kugel gelegenen Mittel­punkt P; femer die Radien dieses Kreises, d. h. die von P ausstrahlenden Ulid an der Kreisperipherie endenden Bogen groBter Kreise auf der Kugel

(sie seien < ~). Durch Messen· auf der Kugel kann ich nun fest­

stelien: diese nach allen Richtungen ausgehenden Radien sind die Linien kleinster Lange, welche vom Punkte P zu der Kurve f flihren; sie haben aIle die gleiche Lange r; die Lange der geschlossenen Kurve fist = s. Lage nun eine Ebene vor, so folgte daraus, daB die »Radienc gerade Linien sind, die Kurve f also ein Kreis, und es miiBte s = 2 nr sein. Statt dessen aber fmdet sich, daB s kleiner ist, als es dieser Formel ent­spricht, namlich = 2 n sin r. Damit ist durch Messung auf der Kugel festgesteIlt, daB sie keine Ebene ist. Nebme ich hingegen ein Papier­blatt, auf das ich irgendwelche Figuren zeichne, und rolle es zusammen, so werde ich durch Ausmessen der Figuren auf dem zusammengerollten Blatt die gleichen Werte finden wie vorher, wenn das Zusammenrollen mit keinen Verzerrungen verbunden war: auf ihm gilt genau die gleiche Geometrie wie in der Ebene; durch seine geodatische Vermessung bin ich auJ3erstande, festzustellen, daB es gekrlimmt ist. So gilt allgemein auf zwei Fla.chen, die durch Verbiegung ohne Verzerrung auseinander hervorgehen., die gleiche Geometrie.

DaB auf der Kugel nicht die Geometrie der Ebene gilt, besagt, ana­lytisch ausgedrlickt: es ist unmoglich, die quadratische Differentialform (10) durch irgendeine Transformation

auf die Gestalt

u, = u, (.u~ u:) U2 = U2 (u~u:) . * - *( ) 1t2 - U 2 It, 112

zu bringen. Zwar wissen wir, daB es an jeder Stelle moglich ist, durch eine lineare Transformation der Differentiale

(II) (i= 1, 2)

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Das metrische Kontinuum.

dies zu erzielen; aber es ist ausgeschlossen, die Transformation der Differentiale dabei an jeder Stelle so zu wahlen, daB die Ausdrlicke (I I) fUr du;, du! tolale Differentiale werden.

Krummlinige Koordinaten werden nicht nur in der Flachentheorie, sondern auch zur Behandlung riiumlicher Probleme verwendet, namentlich in der mathematischen Physik, wo man haufig in die N otwendigkeit ver­setzt ist, sich mit dem Koordinatensystem vorgegebenen Korpern an­zupassen; ich erinnere an die Zylinder-, Kugel- und elliptischen Ko­ordinaten. Das Quadrat des Abstandes ds 2 zweier unendlich benachbarter Punkte im Raum wird bei Benutzung beliebiger Koordinaten X I X,X3 stets durch eine quadratische Differentialform

3

( 12) 2gikdx,-dX k i,k=r

ausgedrlickt. Glauben wir an die Euklidische Geometrie, so sind wir liberzeugt, daB jene Form sich '<lurch Transformation in eine so1che Gestalt liberfiihren laBt, daB ihre Koeffizienten Konstante werden.

Nach diesen Vorbereitungen sind wir imstande, die Riemannschen 1deen, die von ihm in seinem Habilitationsvortrag '-Uber die Hypothesen, we1che der Geometrie zugnmde liegen« 4) in vollendeter Form entwicke1t wurden, voll zu erfassen. Aus Kap. list zu ersehen, daB in einem vier­dimensionalen Euklidischen Raum auf einem dreidimensionalen linearen Punktgebilde die Euklidische Geometrie gilt; aber krumme dreidimensio­nale Raume, die im vierdimensionalen Raum ebensogut existieren wie krumme Flachen im dreidimensionalen, sind von anderer Art. 1st es nicht moglich, daB unser dreidimensionaler Anschauungsraum ein solcher gekrlimmter Raum ist? Freilich: er ist nicht eingebettet in einen vier­dimensionalen; aber es konnte sein, daB seine inneren MaBverhaltnisse so1che sind, wie sie in einem .ebenen« Raum nicht stattfinden konnen; es konnte sein, daB eine sorgfaltige geodatische Vermessung unseres Raumes in der gleichen Weise wie die geodatische Vermessung der Erd­oberfiache ergabe, daB er nicht eben ist. - Wir bleiben dabei, daB er eine dreidimensionale Mannigfaltigkeit ist; wir bleiben dabei, daB sich unendlichkleine Linienelemente unabhangig von ihrem Ort und ihrer Richtung messend miteinander vergleichen lassen und daB das Quadrat ihrer Lange, des Abstandes zweier unendlich benachbarter Punkte bei Be­nutzung beliebiger Koordinaten Xi durch eine quadratische Differential­form (I 2) gegeben wird. (Diese Voraussetzung hat in der Tat ailgemein ihren guten Sinn; denn da jede Transformation von einem auf ein anderes Koordinatensystem !ineare Transformationsforme1n fUr die Koordinaten­differentiale nach sich zieht, geht dabei eine quadratische Differentialform immer wieder in eine quadratische Differentialform liber.) Was wir aber nicht mehr voraussetzen, ist, daB sich diese Koordinaten insbesondere als- »lineare« Koordinaten so wahlen lassen, daB die Koeffizienten gik der Fundamentalform konstant werden.

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§ II. Riemannsche Geometrie. 85

Der Ubergang von der Euklidischen zur Riemannschen Geometrie beruht im Grunde auf dem gleichen Gedanken wie die Nahewirkungs­Physik. Durch die Beobachtung stellen wir z. B. fest (Ohmsches Gesetz), daB der in einem Leitungsdraht fiiel3ende Strom proportional ist zu der Potentialdifferenz am Anfang und Ende der Leitung. Aber wir sind tiber­zeugt, daB wir nicht in diesem auf einen langen Draht sich beziehenden Messungsergebnis das allgemein gtiltige exakte Naturgesetz vor uns haben, sondern dies€s aus jenem sich herleitet, indem wir das Ohmsche Gesetz, so wie es aus den Messungen abgelesen wird, auf ein unendlichkleines Drahtsttick anwenden. Dann kommen wir zu jener Formulierung (Kap. I, S. 70), die der Maxwellschen Theorie zugrunde gelegt wird. Aus dem Difierentialgesetz folgt rtickwarts auf mathematischem Wege unter Voraus­setzung uberall homogener Verhiiltnisse das Integralgesetz, das wir direkt durch die Beobachtung feststellen. Genau so hier: Die Grundtatsache der Euklidischen Geometrie ist, daB das Quadrat der Entfernung zweier Punkte eine quadratische Form der relativen Koordinaten der beiden Punkte ist (Pythagoreischer Lehrsatz). Sehen wir aber dieses Gesetz nur dann als streng giiltig an, wenn jene beiden Punkte unendlich benachbart sind, so kommen wir zur Riemannschen Geometrie; zugleich sind wir damit einer genaueren Festlegung des Koordinatenbegriffs iiberhoben, da das so gefaBte Pythagoreische Gesetz invariant ist gegeniiber beliebigen Trans­formationen. Es entspricht der Ubergang von der Euklidischen "Fernc­zur Riemannschen "Nahec-Geometrie demjenigen von der Fernwirkungs­zur Nahewirkungs-Physikj die Riemannsche Geometrie ist die dem Geiste der Kontinuitat gemaB formulierte Euklidische, sie nimmt aber durch diese Formulierung sogleich einen viel allgemeineren Charakter an. Die Euklidische Fern-Geometrie ist geschaffen fiir die Untersuchung der geraden Linie und der Ebene, an diesen Problemen hat sie sich orientiert; sobald man aber zur Infinitesimalgeometrie iibergeht, ist es das Nattirlichste und Verntinftigste, den infinitesimaleh Ansatz Riemanns zugrunde zu legen: es wird dadurch keine Komplikation bedingt, und man ist vor unsach­gemal3en, fern-geometrischen Uberlegungen geschtitzt. Auch im Riemann­schen Raum ist eine Flache als zweidimensionale Mannigfaltigkeit durch eine Parameterdarstellung x,. = x,-{u1 u.) gegeben; setzen wir die daraus sich ergebenden Differentiale

III die metrische Fundamentalform (I 2) des Riemannschen Raumes ein, so bekommen wir fUr das Quadrat des Abstandes zweier unendlich be­nachbarter Flachenpunkte eine quadratische Differentialform von du" dU2

(wie im Euklidischen Raum): die Metrik des dreidimensionalen Riemann­schen Raums tibertragt sich unmittelbar auf jede in ihm gelegene Flache und macht sie damit zu einem zweidimensionalen Riemannschen Raum. Wahrend also bei Euklid der Raum von vornherein von viel speziellerer

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86 Das metrische Kontinuum.

Natur angenommen ist als die in ihm moglichen Flachen, namlich als eben, hat bei Riemann der Raumbegriff gerade denjenigen Grad der Allgemeinheit, der notig ist, urn diese Diskrepanz vollig zurn Verschwin­den zu bringen. - Das Prinzip, die Welt aus ihrem Verhalten im Un­endlichkleinen zu verstehen, ist das treibende erkenntnistheoretische Motiv der Nahewirkungsphysik wie der Riemannschen Geometrie, ist aber auch das treibende Motiv in dem iibrigen, vor allem auf die komplexe Funk­tionentheorie gerichteten grandiosen Lebenswerk Riemanns. Reute er­scheint uns die Frage nach der Giiltigkeit des »V. Postulats«, von dem die historische Entwicklung, an die Euklidischen »Elemente« ankniipfend, ausgegangen ist, nur als ein bis zu einem gewissen Gradezufalliger An­satzpunkt. Die wahre Erkenntnis, zu der man sich erheben muJ3te, urn iiber den Euklidischen Standpunkt hinauszugelangen, glauben wir, ist uns von Riemann aufgedeckt worden.

Wir miissen uns noch davon iiberzeugen, daB die Bolyai-Lobatschefsky­sche Geometrie so gut wie die Euklidische und die spharische (auf die als eine Nicht-Euklidisobe Moglichkeit iibrigens erst Riemann hingewiesen hat) als spezielle Falle in der Riemannschen enthalten sind. In der Tat, benutzen wir als Koordinaten eines Punktes der Bolyai-Lobatschefskyschen Ebene die rechtwinkligen Koordinaten u, u. jenes Bildpunktes, der ihm in dem Kleinschen Modell entspricht, so ergibt sich flir den Abstand d s zweler unendlich benachbarter Punkte aus (J):

(13) _ ds. = (- 1 + u~ + u:) (du~ + du:) - (u.du, + U.dU.)2. (- I + u~ + u:)'

Der Vergleich mit (10) bestatigt wiederurn den Satz von Taurinus. Die metrische Fundamentalform des dreidimensionalen Nicht-Euklidischen Raurnes lautet genau entsprechend.

Wenn wir im Euklidischen Raum eine krumme Flache herstellen konnen, flir die bei Benutzung geeigneter GauBscher Koordinaten u. u. die Formel (13) giiltig ist, so besteht auf ihr die Bolyai-Lobatschefsky­

sche Geometrie. Solche Flachen kann man sich in der Tat verschaffen; die einfachste ist die Umdrehungsflache der Traktrix. Die Traktrix ist eine ebene Kurve von der neben­stehenden Gestalt, mit einer Spitze und einer Asymptote; sie ist geometrisch dadurch charakterisiert, daB die Tangente vom Beriihrungspunkt bis zurn Schnitt mit der Asymptote eine konstante Lange besitzt. Man lasse sie urn ihre Asym­ptote rotieren: auf der entstehenden Drehflache gilt die Nicht­Euklidische Geometrie. Dieses durch seine Anschaulichkeit

F· ausgezeichnete Euklidische Modell derselben ist zuerst von Ig·5-Beltrami angegeben 5). Es leidet freilich an gewissen Ubel-

standen; es ist erstens (in dieser anschaulichen Form) auf die zweidirnen­sionale Geometrie beschrankt, und zweitens realisiert jede der beiden Ralften der Umdrehungsflache, in welche sie durch ihre scharfe Kante

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§ J I. Riemannsche Geometrie. 8"" I

zerfallt, nur einen Teil der Nicht-Euklidischen Ebene. Von Hilbert wurde streng bewiesen, dat3 eine singularitatenfreie Flache im Euklidischen Raum, welche die !ganze Lobatschefskysche Ebene realisiert, nicht vor­hand en sein kann 6). Beide Ubelstande besitzt das elementargeometrische Kleinsche Modell nicht.

Bislang sind wir rein spekulativ vorgegangen und ganz in der Domane des Mathematikers geblieben. Ein anderes ist aber die Widerspruchs­losigkeit der Nicht-Euklidischen Geometrie, ein anderes die Frage, ob sie oder die Euklidische im wirklichen Raume Gitltigkeit besitzt. Schon Gaut3 hat zur Priifung dieser Frage das Dreieck Inselsberg, Brocken, Hoher Hagen (bei Gottingen) mit grol3er Sorgfalt gemessen, aber die Abweichung der Winkelsumme von 180 0 innerhalb der Fehlergrenzen gefunden. Loba­tschefsky schlot3 aus dem geringen Betrag der Fixsternparallaxen, dat3 die Abweiehung des wirklichen Raumes vom Euklidischen aut3erordentlich gering sein miisse. Auf philosophischer Seite ist der Standpunkt ver­treten worden, dat3 durch empirische Beobachtungen die Giiltigkeit oder Dngiiltigkeit der Euklidischen Geometrie nicht erwiesen werden konne. Dnd in der Tat mut3 zugestanden werden, dat3 bei allen solchen Beob­achtungen wesentlich physikalische Voraussetzungen, wie etwa die, dat3 die Lichtstrahlen gerade Linien sind, und dgl., eine Rolle spielen. Wir finden damit aber lediglich eine schon oben gemachte Bemerkung be­statigt, dat3 nur das Ganze von Geometrie und Physik einer empirischen Nachpriifung fahig ist. Entscheidende Experimente sind also erst dann moglich, wenn nicht nur die Geometrie, sondern auch die Physik im Euklidischen und im allgemeinen Riemannschen Raum entwickelt ist. Wir werden bald sehen, dat3 es auf sehr einfache und vollig willkiirlose Weise gelingt, beispielsweise die Gesetze des elektromagnetischen Feldes, die zunachst nur unter der Voraussetzung der Euklidischen Geometrie aufgestellt sind, auf den Riemannschen Raum zu iibertragen. 1st dies aber geschehen, so kann sehr wohl die Erfahrung dariiber entscheiden, ob der spezielle Euklidische Standpunkt aufrecht zu erhalten ist oder ob wir zu dem allgemeineren Riemannschen iibergehen miissen. Wir sehen aber, dat3 fUr uns an dem Punkte, an dem wir jetzt stehen, diese Frage noch nicht spruchreif ist.

Zum Schlut3 stellen wir noch einmal die Grundlagen der Riemann­schen Geometrie in geschlossener Formulierung und unter Abstreifung der speziellen Dimensionszahl n = 3 vor Augen.

Ein n-dimensionaler Riemannscher Raum ist eine n-dimensionale Mamzig­faltigkeit; aber nicht eine beliebige, sondern eine solche, der durch eine positiv­definite quadratische Differentialform eine MajJbestimmung aufgepriigt ist. Die Hauptgesetze, nach denen jene Form die Mal3grot3en festlegt, sind die folgenden (die Xi bedeuterr irgendwelche Koordinaten):

1. 1st g die Determinante der Koeffizienten der Fundamentalform, so ist die Grot3e irgend eines Raumstiicks gegeben durch das Integral

(14) !Vgdx1 dx2 • •• dx",

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88 Das metrische Kontinuum.

das zu erstrecken ist iiber dasjenige mathematische Gebiet der Varia bIen Xi,

welches dem Raumstiick entspricht. 2. Bedeutet Q(dcJ) die der quadratischen Fundamentalform entspre­

chende symmetrische Bilinearform zweier an derselben Stelle befindlichen Linienelemente d und cJ, das »skalare Produktc von d und cJ, so ist der von ihnen gebildete Winkel () zu berechnen aus

(IS) cos () = Q(dcJ} Y Q(dd). Q(<JcJ}

3. Eine in dem n-dimensionalen Raum R liegende m-dimensionale Mannigfaltigkeit· R", (I <: m < n) ist gegeben durch eine Parameterdar­stellung:

Xi=Xi(U,U" ••• u"') (i= 1,2, ••. , n),

we1che jedem Punkt {ul von R", den Ort (xl anweist, an welchem er sich in R befindet. Aus der metrischen Fundamentalform des Raumes entsteht durch Einsetzen der Differentiale

II x; II x; II Xi dx; = - du, + - dUll + ... + -- dUm

lIu, lIu" lIu", die metrische Fundamentalform dieser m-dimensionalen Mannigfaltigkeit; sie ist damit seIber ein Riemannscher m-dimensionaler Raum, und die Berechnung der Grof3e eines bellebigen Stiicks von ihr geschieht nach der auf sie iibertragenen Formel (141. So kann die Lange von Linien­stiicken (m = I), der Inhalt von Flachenstiicken (m = 2) usw. ermittelt werden.

.§ 12. Parallelverschiebung und Kriimmung.

Um die Riemannsche Geometrie weiter zu entwickeln, kehren wir zu­nachst zur Flachentheorie im Euklidischen Raum zuriick. Die zu be­trachtende Flache sei gegeben durch die Parameterdarstellung t -.-:.; t (x, x,,), welche jedem Flachenpunkt (x, x,,) als seinen Ort im Raum denjenigen Punkt P anweist, zu we1chem von einem fest im Raum angenommenen Anfangs--punkt 0 der Vektor OP = t hinfiihrt. In einem beliebigen Fllichenpunkt konstruieren wir die Tangentenebene, we1che aufgespannt wird von den beiden Vektoren

lit e =-

I II x, und

Die Fliichenvektoren im Punkte P sind legenen, von P ausgehenden Vektoren. eindeutig darstellen in der Form

lit e =-. " II x"

die in dieser Tangentialebene ge­Ein Flachenvektor latlt sich also

~ = ;'e, + S·e. ; s" S" sind seine kontravarianten Komponenten in dem benutzten Ko­ordinatensystem. Mit den Koordinaten (x, X,.), auf we1che die Flache bezogen ist, verkniipft sich so von seIber im Punkte P ein bestimmtes

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§ 12. Parallelverschiebung und Krummung.

Koordinatensystem C, e. flir den (zweidimensionalen) Vektorkorper in P, die lineare Mannigfaltigkeit der Flachenvektoren in P. Die kovarianten Komponenten (~ . ei) = gi hangen mit den kontravarianten zusammen durch die Gleichungen

gi = glkgk.

Wir verschieben den Flachenvektor ~ in P = (x, x.) parallel mit sich im Raum nach dem zu P unendlich benachbarten Flachenpunkt P' = (x, + dx" X. + dx2 ). Dadurch geht ein im allgemeinen die Flache nicht tangierender Vektor ~ in P' hervor; ihn konnen wir aber eindeutig spalten in eine die Flache tangierende und eine (unendlichkleine) zur Flache normale Komponente ~ = ~ + ~n' Mit Levi-Civita 7) kommen wir iiberein, von dem Flachenvektor 'i in P' zu sagen, daB er durch • Parallelver­scllieblt1lg auf der Fliichec aus dem Flachenvektor ~ in P hervorgeht. Die Bedeutung dieses Begriffs beruht vor allem auf den folgenden beiden Tatsachen:

1. Durch infinitesimale Parallelverschiebung auf der Fliiche erfahren weder die Liingen der Vektoren noch die JVinkel zwischen ihnen eine Anderung; sie bewirkt eine kongruente Verpfianzung des Vektorkorpers von P nach P'. Denn die am Flachenvektor ~ hervorgebrachte Anderung d~ ist laut Definition normal zur Flache; infolgedessen gilt flir das skalare Produkt irgend zweier Flachenvektoren ~ und t) in P:

d (~ • t)) = (d~ . t)) + (~ . dt)) = o.

II. Der ProzefJ lliingt nur ab von der metriscllen Fundamentalform der Fliiche; aus ihr allein kann von jedem durch seine Komponenten gl ge­gebenen Flachenvektor in P bestimmt werden, in welchen Vektor er durch Parallelverschiebung nach dem unendlich benachbarten Punkte P' iibergeht.

Beweis. Kennzeichnen wir Gurch Uberstreichen die tangentielle Kom­ponente eines Vektors im Flachenpunkte P, so ist die infinitesimale Par­allelverschiebung eines Vektors in P auf der Flache dadurch charakteri-

siert, daB er I) Flachenvektor bleibt und 2) d~ = 0 ist. Schreiben wir, urn die erste Tatsache auszunutzen, ~ = ~iei' so bekommen wir aus der zweiten:

( 16)

Darin bedeutet d gi die -Anderung der Komponente gi des Vektors bei Parallelverschiebung auf der Flache von P = (Xi) nach P' = (Xi + dXi), del aber den Unterschied des Vektors ei in den beiden zueinander unend­lich benachbarten Punkten P, P'. Es ist also, wenn wir die Ableitung nach Xl durch einen unten angehangten Index bezeichnen,

ei = Ii, Setzen wir

so ergibt (16):

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90 Das metrische Kontinuum.

tidgi = - gade" = - gata{tdx{t = - r~{t;"dxfi' ti,

1 dgl = - r~fig" (dx)fi I· Damit haben wir den ProzeB der Parallelverschiebung in eine Formel ge­faBt; sie lehrt, daB die Zuwiichse der Vektorkomponenten gi bei infinite­simaler Parallelverschiebung auf der Fliiche sowohl yom verschobenen Vektor (~,) als auch von der vorgenommenen Verschiebung mit den Kom-

ponenten (dX)i linear abhiingen; die dabei auftretenden Koeffizienten r~,~ genligen auBerdem der Symmetriebedingung

r~a = r~{t. Urn von einem Raumvektor a im Fliichenpunkt P die tangentielle

Komponente ii = aTe, + a'e.

zu finden, mlissen wir ausdrlicken, daB a - a normal zur Fliiche ist; das geschieht durch die beiden Gleichungen

(ii . ei) = (a . ei) (i = I, 2). Wir erhalten so

gii~ = (a . ei) .

Wenden wir diese Regel insbesondere auf den Vektor ta {t an und setzen

(ta{t· ti) = ri , a{t,

so bekommen WIr die Formeln

(18) giJ.r~{t = ri , ,,(3,

welche uns in den Stand setzen, die in (17) auftretenden Koeffizienten r~t1 aus der Flachengleichung t = t(xy x.) zu bereehnen. Urn zu zeigen, daB sie in Wahrheit nur von den gik abhiingen, differenti'iere man die De­finitionsgleichung

Ieh setze die Gleichungen darunter, welche aus ihr durch zyklisehe Ver­tauschung der drei Indizes ikl entstehen:

~gkl -",- = rk, Zi + rz, ki, UXi

Addiert man von diesen drei Gleiehungen die erste und dritte, subtrahiert die zweite, so zersWren sich rechts, weil die r symmetrisch sind in ihren beiden hinteren Indizes, aIle Terme bis auf die beiden

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§ 12. Parallelverschiebung und Kriimmung.

ri, kl + rio Ik = 2 ri, kl, und man bekommt

(20)

In der Literatur treten die durch (20) definierten GroBen meist unter der Christoffelschen Bezeichnung [~l], die daraus nach (18) entspringenden GroBen r~ I unter der Bezeichnung {k/J auf; sie heiBen Cilristo ffelsche Dreiindizes-Symbole. Nur gelegentlich werden wir uns hier dieser Klammer­symbole bedienen, da sie gegen unsere Konvention tiber Indexstellung verst6Ben.

Wir erwahnen noch eine dritte Eigenschaft unseres Begriffs. III. Zit einem vorgegebenen Punkt P auf der Flaclle gehort stets ein die

Umgebung von P bedeckendes Koordinatensystem (xx x.), fur welches die samtlichen Gro/Jen rrk in P verschwinden. In einem so1chen »geodatischen« Koordinatensystem gilt also flir' einen beliebigen Vektor in P bei Parallel­verschiebung auf der FHiche nach einem beliebigen zu P unendlich benach­barten Punkte p' die einfache Gleichung dgi = o. Auf geometrischem Wege erhalt man ein geodatisches Koordinatensystem in P am einfach­sten durch die folgende Konstruktion. Man zeichnet die Tangentenebene E der Flache in P und projiziert die Flache senkrecht auf E; flir eine ge­wisse Umgebung des Punktes P ist diese Projektion eine umkehrbar ein­deutige Korrespondenz zwischen Flache und Tangentenebene. In E ver­wenden wir ein rechtwinkliges Koordinatensystem Xx x. mit Pals Ursprung, und als Koordinaten eines be1iebigen Flachenpunktes fungieren die Ko­ordinaten Xx x. seines Spurpunktes in E. Urn sich von der geodatischen Natur dieser Flachenkoordinaten in P zu tiberzeugen, verwende man im Raum Cartesische Koordinaten, die in E mit Xx x. zusammenfallen. Die Parameterdarstellung der Flache lautet dann

X = xx, y = x. , . z = z (x, x.), ()'t .

und infolgedessen haben die Komponenten von tik = -,,~,,~ die Werte: uXiuXk

Xik = 0, Yik = 0,

1m Punkte P ist der Vektor tik also normal zur Flache, tik = 0 und damit auch rik = o. - Die Wahl eines geodatischen Koordinatensystems hat flir die Koeffizienten der metrischen Fundamentalform zur Folge, daB sie in dem betreffenden Punkte stationare Werte annehmen; denn die Glei-

()gik chungen r'k= 0 haben nach (19) zur Folge, daB die Ableitungen

()XI

versch winden. Levi-Civitas Erklarung setzt ohne weiteres in Evidenz, daB die Par­

allelverschiebung in der Flache unabhangig ist von dem auf der Flache verwendeten Koordinatensystem (x, x.); sie macht von einem solchen Ko­ordinatensystem tiberhaupt keinen Gebrauch. Darauf lehrt die Rechnung,

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Das metrische Kontinuum.

welche zu den Formeln (17), (18), (20) flibrt, daB dieser Begriff nur von der Metrik der Flache abbangt, nicht aber von der Art, wie sie in einen dreidimensionalen Euklidischen Raum eingebettet ist. Will man den Be­griff ganz von dem Euklidischen Einbettungsraum ablosen, so wird man ibn umgekehrt durch die Gleichungen (Ii), (18), (20), ohne Benutzung des Einbettungsraumes, definieren. Man hat dann die Aufgabe, zu zeigen, daB er eine invariante Bedeutung hat, d. h. daB diese Erklarung unab­hangig ist von dem verwendeten Koordinatensystem (XI X 2 ). Dies ge1ingt, wenn auch ein wenig muhsam, durch rechnerische Ausflihrung der Trans­formation von eimJll Koordinatensystem (XI X 2 ) auf ein beliebiges anderes. Aber auch dieses Vorgehen, das aus lauter Formeln statt Gedanken und Anschauungen besteht, ist offenbar wenig befriedigend; hinter den For­meln steht doch sicher ein einfacher und nattirlicher Begriff, den es ge­lingen muB so herauszuschalen, daB weder vom Einbettungsraum noch von einem speziellen Koordinatensystem Gebrauch gemacht wird. Bevor wir dies aber leisten konnen, mussen wir zunachst den Begriff des Vektors se1bst vom Einbettungsraum ablOsen.

Es handelt sich hier offenbar urn einen geometrischen Hilfsbegriff, der dazu eingeflihrt wird, urn die Tatsache zum Ausdruck zu bringen, daB die unendlichkleine Umgebung eines Punktes P in einer be1iebigen stetigen zweidimensionalen Mannigfaltigkeit als eben gelten kann, daB flir ein solches unendlichkleines Gebiet die affin-lineare Geometrie gilt; man er­setzt die Linienelemente in P durch die Vektoren, urn nicht bestandig mit unendlichkleinen GroBen operieren zu mussen. Unwesentlich ist es von diesem Standpunkt aus, daB die betrachtete Flache und ihre Tangenten­ebene in einen gemeinsamen dreidimensionalen Euklidischen Raum ein­gebettet sind; es hat flir uns z. B. keine Bedeutung, ob und wo sich Flache und Tangentenebene fern vom Beruhrungspunkte P sonst noch im Raume schneiden mogen. Die Tangentenebene ist ein mit einem Zentrum 0 versehener zweidimensionaler linearer Raum im Sinne von Kap. I; das Zentrum 0 fallt mit dem Flachenpunkt P zusammen, und die unendlich­kleine Umgebung von 0 in der Tangentialebene deckt sich mit der un­endlichkleinen Umgebung von P auf der Flacbe. Wir konnen lIns vor­stellen, daB wir die Tangentenebene von der Flache abheben und neb en sie legen; wir mussen dann nur das mit P ursprunglich in Deckung be­findliche Zentrum 0 der Tangentenebene auf ihr tnarkieren und die Be­ziehung oder Abbildung angeben, vermoge deren die unmittelbare Um­gebung von 0 in der Tangentenebene mit der Umgebung von P auf der Flache zur Koinzidenz gebracht wird; diese Abbildung ist eine affin. lineare. So kommen wir zu der folgenden, vom einbettenden Raum un­abhangigen Definition, die nicht an die Dimensionszahl 2 gebunden ist:

Der zUJIl.Punkte P einer gegebenen n-dimensionalm Mannigfaltigkeit ge­horige Vektorkorper (Vektorramn) ist eine n-dimensionale lineare Vektor­mannigjaltigkeit (oder, was das gleiche besagt, ein n-dimensionaler, mit einem Zentrum 0 versehener linearer Raum), worin die ltnmittelbare Umgebung

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§ 12. Parallelverschiebung und Kriimmung. 93

des Zentrullls 'l'Crmitte/s cineI' a/jin-linearm Bezie!lll1lg mit del' unmittelbaren Umgebung ZIOII P in del' Malllligjaltigkeit zlIr Koinzidenz gebracht ist; dabei deckt sidt 0 mit P. Auf Grund der Koinzidenz-Beziehung gehort zu jedem die Umgebung des Punktes P bedeckenden Koordinatensystem Xi

in der Mannigfaltigkeit ein bestimmtes lineares, aus n Vektoren bestehendes Koordinatenkreuz e, e2 ••• en des Vektorkorpers von solcher Beschaffenheit, daB ein beliebiges von P = (Xi) ausgehendes Linienelement, das nach dem Punkte P' = (Xi + dXi) fiihrt, koinzidiert mit dem infinitesimalen

Vektor Z dXi' ei im Vektorraum. Wir sagen kurz, das Koordinatensystem i

auf der Mannigfaltigkeit induziert ein Koordinatensystem im Vektorraum. Das alles ist noch unabhiingig davon, daB die Mannigfaltigkeit als eine Riemannsche Mannigfaltigkeit mit einer Metrik ausgestattet ist. Die Metrik im Punkte P Ubertragt sich eindeutig auf den Vektorraum in solcher Weise, daB die Koinzidenzbeziehung der unendlichkleinen Umgebungen von P bzw. 0 eine kongruC/lte Abbildung wird. Wenn gik(dx)i(dx)k die metri­sche Fundamentalform im Punkte P ist, ist gik gi1)k das skalare Produkt zweier Vektoren mit den Komponenten gi, 1ji im zugehorigen Vektorraum.

Um ferner zu der gewiinschten independenten Erklarung der infinite­simalen Parallel'.'erschiebung von Vektoren zu gelangen, welche formel­maBig durch die Gleichungen (17) und (19) definiert ist, haben wir uns zu fragen: 1) Was bedeutet es, daB dieser ProzeB, durch welchen der Vektorkorper in I' auf bestimmte Weise Ubergefiihrt wird in den zu P' gehOrigen Vektorkorper, sich durch eine Gleichung von der Gestalt (17) ausdriickt? d. h. daB die Anderungen d;i def Komponenten §i eines Vektors linear von ihm selbst und von der vorgenommenen Verschiebung

abhiingen, mit Koeffizienten r~~, die symmetrisch sind in a und fl. 2) Was bedeutet es, daB die Koeffizienten r durch die Relationen (19) mit den Koeffizienten gik der metrischen Fundamentalform verbunden sind? Die Antwort lautet 8) : I) ist nur ein anderer Ausdruck fiir die oben unter III. erwahnte Tatsache, daB es ein in P geodatisches Koordi­natensystem gibt; und 2) besagt, daB bei infinitesimaler Parallelverschie­bung die Lange der Vektoren ungeandert bleibt. Die Beweise dafiir werden wir spater, in § IS und in § I7, genau ausfiihren. Die Sachlage ist demnach die folgende. Wir haben a priori keinen AnlaE, irgendeinem Ko­ordinatensystem vor einem anderen den Vorzug zu geben. Zu jedem die Umgebung von P bedeckenden Koordinatensystem gehort ein moglicher Begriff del' Parallelversclziebltl1g des Vektorkorpers in P nach allen zu P nnendlich b~nachbarten Punkten P': Transport der Vektoren ohne Ande­rung ihrer Komponenten. Tragt unsere Mannigfaltigkeit als Riemannsche Mannigfaltigkeit eine MaBbestimmung, so wird durch die Metrik unter den eben erwahnten, an sich moglichen und miteinander konkurrierenden Begriffen von Parallelverschiebung ein einziger ausgezeichnet durch die Forderung, daB der ProzeE die Lange der Vektoren ungeandert lassen solI. rch betrachte diese Tatsache geradezu als die Crlmdtatsache del'

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94 Das metrische Kontinuum.

.lIlJinitesimalgeometrie. Die damit gewonnene independente ErkHirung laBt die prinzipielle Bedeutung unseres Begriffs. viel besser hervortreten als die ursprungliche, von Levi-Civita herruhrende, die sich des einbettenden Eukli­dischen Raums bedient; erst jetzt sehen wir, wie naturlich dieser Begriff gebildet ist und daB er mit vollem Recht den- Namen der infinitesimalen Parallelverschiebung verdient. - Eine Mannigfaltigkeit, deren Natur den ProzeB der infinitesimalen Parallelverschiebung (lInter den an sich mog­lichen) eindeutig determinieit, nenne ich eine affin zusammenhiingende Mannigfaltigkeit. Ein Riemannscher Raum ist also eine affin zusammen­hangende Mannigfaltigkeit. Wie es sich aber in der linearen Geometrie als zweckmiiBig erwies, die affine Geometrie selbstandig neben der metri­schen auszubilden, so werden wir auch in der Infinitesimalgeometrie die

2 allgemeinere Theorie der affin zusammenhangenden Mannigfaltigkeit der spe­zielleren des Riemannschen metrischen Raumes vorausschicken.

An den Begriff der infinitesimalen ParaHelverschiebung schlief3t sich so­gleich eine Reihe weiterer geometrischer Begriffe an; so vor aHem der der geraden (oder geodatischen) Linie. Darunter ist eine Linie zu verstehen, deren Richtung sich nicht andert, deren Tangente langs der Kurve von Punkt zu Punkt eine infinitesimale Parallelverschiebung erfahrt. Allgemeiner kann man einen im Punkte P gegebenen Vektor langs einer beliebigen yom Punkte P ausgehenden Kurve so verschieben, daf3 er von Punkt zu Punkt eine infinite­simale Parallelverschiebung erfahrt, und auf diese Weise den Vektor in P nach einem beliebigen Punkte P* der Mannigfaltigkeit durch Parallel­verschiebung ubertragen liings eines P mit P* verbindenden TFeges. Bier erhebt sich aber sofort die Frage: ist dieser ProzeB yom Wege un­abhangig? Gelangen wir, wenn wir denselben Vektor yom Punkte P auf zwei verschiedenen Wegen nach p* transportieren, beidemal in p* zu dem gleichen Endvektor? Die Frage ist offenbar der andem aquivalent: Kehrt ein VektQr, der langs einer geschlossenen Kurve so herumgefiihrt wird, daB er in jedem Augenblick eine infinitesimale ParaHelverschiebung erfahrt, zu seiner Ausgangslage zuruck oder nicht? Wir konnen statt des einzelnen Vektors auch den ganzen Vektorkorper betrachten. Nimmt ein sich be­liebig in der Mannigfaltigkeit bewegender Punkt P den zu ihm gehorigen' Vektorkorper :t;p bei der Bewegung so mit, daf3 er in jedem Augenblick eine infinitesimale Parallelverschiebung erfahrt, so wollen wir:t;p als KompaBkorper bezeichnen. Kehrt der Kompaf3korper, nachdem er eine geschlossene Reise vollendet hat, wieder zu seiner alten Lage zuruck? A priori steht fest, da die Parallelverschiebung eine kongruente.v erpflanzung des Vektor­korpers ist, daB die Anfangs- in' die Endlage an Ort und Stelle durch eine Drehung des Kompasses ubergefiihrt werden kann. Wir wollen hier sogleich an einem einfachen Beispiel zeigen J daB im allgemeinen in der Tat der KompaJ3korper nach Zurticklegung eines geschlossenen Weges nicht in seine Ausgangsstellung zuruckkehrt.

Auf der Kugel yom Radius a (im dreidimensionalen Euklidischen Raum) sind die GroBkreise die geodatischen Linien. Beim Fortschreiten

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§ 12. Parallelverschiebung und Kriimmung. 95

auf dem GroBkreis ist die Anderung dt des Tangentenvektors t von der Lange I normal zur Tangente t selber; denn aus (t· t) = I folgt (t· dt) = o. AuBerdem liegt dt in der durch den Kugelmittelpunkt gehenden Ebene, welche den GroBkIeis ausschneidet. Infolgedessen hat dt die Richtung der Kugelnormale; d. h. t erfahrt beim Fortschreiten langs der Kurve eine Parallelverschiebung auf der Flache. Wir betrachten ein aus GroBkIeisen bestehendes Dreieck ABC auf der Kugel und wollen die Drehung be­stimmen, welche der KompaBkorper erfahren hat, nachdem sein Zentrum den Umfang des Dreiecks durchlaufen hat. a, fJ, I' seien die AuBen­winkel des Dreiecks. Wir gehen etwa aus von einem V ektor ~ im Punkte A, der die Richtung der Seite A B besitzt; bei Parallelverschiebung langs AB bleibt er bestandig Tangente, weil AB geodatische Linie ist. 1m Endpunkt B angelangt, bildet er also mit der Seite B C den Winkel fJ. Wir nehmen einen Vektor ~ in B zu Hilfe, der in die Richtung der Seite B C weist. Bei Parallelverschiebung langs B C bleibt ~ bestandig Tangente und der Winkel zwi­schen ~ und ~ konstant; bei seiner Ankunft in C bildet ~ also mit der Seite B C noch irnmer den Winkel ,8, mit der Seite CA den

A Winkel fJ + r. Schieben wir ihn endlich von C nach A zuriick langs der Seite CA, Fig. 6. so erhalt sich dieser Winkel aus demselben Grunde wie bei der Verschiebung langs B C, und er kommt ill A mit einer Richtung an, die den Winkel

oder (a + fJ + 1') - 27e mit der Linie AB bildet. Urn diesen Winkel muB man die Endlage in A drehen, um sie wieder in die Anfangslage zuriickzufiihren; dabei ist der Drehsinn so gewahlt, daB die vollzogene Urnlaufung des geodatischen Dreiecks eine solche irn positiven Sinne ist. Der Winkel, um welchen ich den KompaBkorper in seiner Anfangslage in A drehen muB, urn ihn an Ort und Stelle in die Endlage iiberzufiihren, betragt also 27C - (a + fJ + 1'),

I d. i. = 2" mal dem FIacheninhalt des umfahrenen Dreiecks.

a Auf einer Flache, will sagen: in einer zweidirnensionalen Riernann­

schen Mannigfaltigkeit hangt der Winkel d w (G), um den sich der KompaB­korper gedreht hat, nachdem er die Berandung eines Gebietes G umfuhr, additiv VOIll Gebiete G ab; d. h. zerlegt man G irgendwie in zwei Teil­gebiete G, + G2 , so gilt

dw (G, + G2 ) = dw (GI ) + dw (G.).

Daraus geht hervor, daB sich d w (G) mit Hilfe emer gewissen Orts­funktion Kinder Form eines Integrals

(21) d trJ (G) = f Kdo

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96 Das metrische Kontinuum.

darstellen lassen muB; do bedeutet das FHichenelement, die Integration erstreckt sich tiber das Gebiet G. K' findet man an einer Stelle Pals Quotient aus dem unendlich kleinen Winkel d w, urn den sich der KompaB­korper gedreht hat, nachdem er ein an der Stelle P befindliches Flachen­element d (J umfuhr, und der GroBe d (J des umfahrenen Flachenelements 9). (In Wahrheit handelt es sich nattirlich um den Limes eines Quotienten; beim Grenztibergang zieht sich d a auf P zusammen. Es ist gleichgtiltig, welcher Drehsinn in Pals positiver fixiert wird, wenn wir nur das Element d a im selben Sinne umfahren, in welchem die Drehung positiv gerechnet wird.) Nach ihrer Definition muE sich die • Krtimmung c K offenbar aus den die infinitesimale Parallelverschiebung bestimmenden Koeffizienten r;k, den Christoffelschen Dreiindizes-Symbolen durch Differentiation berechnen lassen; in § 16 gehen wir darauf ausftihrlich ein. Diese Invariante der metrischen Fundamentalform - Kist ein mit dem metrischen Felde in­variant verkntipfter Skalar - ist zuerst von GauB entdeckt worden. Die Verallgemeinerung auf eine n-dimensionale Riemannsche Mannigfaltigkeit ergibt sich aus unseren Darlegungen ohne wei teres ; doch wird die analy­tische Darstellung komplizierter, weil in drei und mehr Dimensionen I) eine Drehung sich nicht mehr durch einen einzigen Drehwinkel kennzeichnen laBt und 2) in einem Punkte Flachenelemente von unendlich vielen ver­schiedenen Stellungen existieren.

Nach der oben am spharischen Dreieck durchgeftihrten Betrachtung ist die GauBsche Krtimmung K der Kugel vom Radius a an jeder

I Stelle = --z. Es ist wegen der Homogeneitat der Kugel von vornherein

a klnr, daB die Krtimmung tiber die ganze Kugel hin konstant sein muB. Nach der Formel (2 I) folgt daraus ftir jedes Gebiet G auf der Kugel:

I d w (G) = :i mal Flacheninhalt von G.

a

Es ist vielleicht eine ntitzliche Ubung, diese Beziehung elementar noch ftir andere einfach begrenzte Kugelgebiete zu bestatigen, z. B. flir eine Kugelkalotte. Hier kommt man sehr rasch durch Jolgende anschauliche Uberlegung zum Ziel. Wir konstruieren den Kegel, welcher die Kugel langs des die Kalotte begrenzenden Kreises (it berlihrt (in der figur ist links der Meridianschnitt gezeichnet). Nach der Erklarung von Levi­Civita kommt es auf das gleiche hinaus, ob wir den Vektorkorper durch ParalIelverschiebung langs (it auf der Kugel oder auf dem berlihrenden Kegel herumftihren. Den Kegel aber konnen wir ohne Anderung seiner MaBverhaltnisse und daher auch ohne Anderung seines affinen Zusammen­hangs auf die Ebene abwickeln, nachdem wir ihn langs einer Mantellinie aufgeschnitten haben. Nach der Abwicklung gewahren der Kreis (it und ein langs (it parallel verschobener Vektor ~ den Anblick, welch en der rechte Teil der Figur zeigt: der Vektor ~ bleibt parallel mit sich seIber in der Ebene. Bedenkt man nun, daB auf dem unzerschnittenen Kegel

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§ 12. Parallelverschiebung und Kriimmung. 97

die Tangente im Endpunkt B mit der Tangente im Anfangspunkt A zu­sammenfallt, so erkennt man, daB der in der Figur mit d «) bezeichnete

S

A Fig. 7.

Winkel derjenige ist, urn we1chen sich der Vektorkorper nach Ausflihrung der Parallelverschiebung langs (£ gedreht hat. Man berechnet daraus 50fort

d «) = 2 J( (I - cos a) = ~ mal dem FHicheninhalt der umfahrenen Kalotte. a 2

Die Art und Weise, wie GauB zuerst die Krummung in die Flachen­theorie eingeflihrt hat, weicht vollstandig von der hier gegebenen ab; sie benutzt den die Flache einbettenden dreidimensionalen Euklidischen Raum. Daruber mage man sich in den Lehrbuchern der Flachentheorie infor­mieren '0). Auch die von Riemann gefundene, nur mit den Ma.Bverhalt­nissen der Flache operierende geometrische Deutung, die er in seinem oben zitierten Habilitationsvortrag beschreibt, ist komplizierter und weniger naturlich. - Wir haben es hier mit der Theorie der kru~men Flachen im Euklidi5chen Raum nur insoweit zu tun, als wir aus ihr, dem Gang der historischen Entwicklung folgend, die independenten, eine Riemann­sche Mannigfaltigkeit betreffenden Begriffe herausdestillieren wollten. Nach­dem einmal diese independenten Begriffe gewonnen sind, wird man, systematisch vorgehend, die Theorie der einzelnen (nicht eingebetteten} Mannigfaltigkeit als das Einfachere und Grundlegende an den Anfang stellen, die Theorie der Raume geringerer Dimensionszahl aber, die in einen vorgegebenen Riemannschen oder Euklidischen Raum eingebettet sind, in zweite Linie rucken lassen. Der zweite Teil: Untersuchung zweier Mannigfaltigkeiten in· ihrer durch die Einbettung gestifteten Be­ziehung zueinander, liegt abseits unseres Weges ").

In der Riemannschen Geometrie ist, wie wir sahen, anders als in der Euklidischen, ein direkter Femvergleich von Vektoren, der Vektoren an zwei verschiedenen Orten des Raums, nicht moglich. An seine Stelle tritt vielmehr die Ubertragung durch infinitesimale Parallelverschiebung langs eines Weges. Immerhin konnen auch noch in der Riemannschen Geometrie

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Das metrische Kontinuum.

die Liingm von Vektoren, die sieh an verschiedenen Orten befinden, un­mittelbar miteinander verglichen werden; es ist dies die erste Grund­voraussetzung, welche Riemann macht, daB sieh zwei an derselben oder an versehiedenen Stellen befindliehe Linienelemente aneinander messen lassen. Hierin liegt offenbar eine Inkonsequenz; in einer reinen Nahe­geometrie kann die Moglichkeit eines solchen Fernvergleiehs ebensowenig flir die Vektorlangen, die Strecken zugestanden werden wie flir die Vektoren seIber. Es ist nur ein Prinzip zrilassig, das die Ubertragung einer MaB­streeke von einem Punkte naeh den unendlieh benachbarten ermoglicht. Man muB dann darauf gefaBt sein, daB die Obertragung derselben MaB­strecke in P auf zwei versehiedenen Wegen nach einem entfernten Punkte p* zu verschiedenen Endstreeken flihrt. Ieh glaube also, daB die Riemann­sehe Geometrie das Ideal einer reinen Infinitesimalgeometrie erst zur Halfte erreicht; es ist notig, dieses letzte ferngeometrisehe Element aus­zuseheiden, das ihr von ihrer Euklidischen Vergangenheit her noeh an­haftet Y2). - Eine andere Erweiterung tritt hinzu, die uns schon aus dem 1. Kapitel gelaufig ist: urn der Anwendung auf die vierdimensionale Welt willen, zu' der Raum und Zeit sich verbinden, miissen wir au-eh den Fall zulassen, daB die metrische Fundamentalform indefinit ist. Immer aber werden wir an der Voraussetzung festhalten, daB sie nieht-ausgeartet ist; und daB die Zahl ihrer positiven und ihrer negativen Dimensionen allerorten die gleiche ist. Die zweite Annahme folgt iibrigens aus der Stetigkeit der Koeffizienten gill der metrisehen Fundamentalform und dem Umstande, daB die Determinante der gill nirgendwo versehwindet.

§ 13. Die Homogeneitatsfrage. Das Wesenhaft-Absolute und das Veranderlich-Zufallige an der Raumstruktur.

Kein Zweifel: die Riemannsehe Geometrie, deren Plan wir eben in den Grundziigen entwarfen, verspricht eine mathematische Theorie von groBer Sehonheit zu werden. Aber kann man im Ernst erwarten, daB diese Theorie flir den wirklichen Raum in Betraeht kommt? Der Raum ist Fo!m der Erseheinungen und, sofern er das ist, notwendig homogen. Nun isr aber der allgemeine Riemannsche Raum keineswegs von homo­gener metrischer Strukturj sondern ein homogenes metrisches Feld be­sitzen allein die drei schon in § 10 angeflihrten Geometrien: die Eukli­dische, die sphiirische und die Bolyai-Lobatschefskysehe. Zur naheren Orientierung iiber diese Frage sehen wir ab von den beiden im letzten Absatz des vorigen Paragraphen eingeflihrten Verallgemeinerungen, halten uns also· an die eigentliche Riemannsche Geometrie, die auf einer positiv­definiten quadratischen Differentialform beruht, und fassen zunachst die niederste Dimensionszahl n = 2 ins Auge (der Fall n = I hat gar kein Interesse). Die Natur der Metrik im Punkte P ist flir alle Punkte P die gleiehe; denn welches auch die Stelle P sein moge, immer kann ich dureh Einflihrung eines geeigneten Koordinatensystems erreichen, daB die metrische Grundfonn in P die Gestalt besitzt: dx; + dx:. Ebenso

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§ 13. Die Homogeneitatsfrage. Das Wesenhaft-Absolute an der Raumstruktur. 99

ist der affine Zusammenhang von P mit den Punkten seiner Umgebung an allen Orten P von der gleichen Natur; denn wo auch der Punkt P liegen moge, immer konnen wir seine Umgebung mit einem solchen Koordinatensystem bedecken, daB fUr alle Vektoren (Si) in P bei Parallel­verschiebung nach den zu P unendlich benachbarten Punkten die Glei­chung d;i = 0 besteht. In beiderlei Hinsicht ist die Mannigfaltigkeit also a priori homogen. Die Metrik an einer Stelle ist bestimmt durch die Werte der gik, der affine Zusammenhang durch die Werte ihrer ersten Ableitungen daselbst; darum konnen wir auch sagen: es herrscht Homogeneitat auf der olen und der lIen Differentiationsstufe. Es herrscht hingegen keine Homogeneitat mehr auf der 2 1en Differentiationsstufe; die Kriemmung, die ihrerseits wieder durch Differentiation aus dem affinen Zusammenhang entspringt, wechselt im allgemeinen von Ort zu Ort auf der Flache. SoH aber die Mannigfaltigkeit metrisch homogen sein, soH es nicht moglich sein, irgendeine metrische Aussage tiber sie an einer Stelle zu machen, die nicht auch an jeder anderen gliltig ist, so muB die Krlimmung eine Konstante l sein. Eine zweidimensionale Riemannsche Mannigfaltigkeit von der konstanten Krlimmung l hat aber, wie man zeigen kann, stets die folgende metrische Fundamentalform (geeignete Wahl der Koordinaten x, x. vorausgesetzt):

(d 2+d .)+A(x,dx,+x.dx.)". XI x. I _ A (x~ + x:)

Das Ergebnis lal3t sich auf mehr Dimensionen libertragen. SoH das Gesetz, nach welchem ein Flachenelement die Drehung bestimmt, die der Kompal3-korper durch Umfahren des Flachenelements erleidet, soH dieses Gesetz unabhangig sein von Ort und SteHung des Flachenelements, so lautet die metrische Fundamentalform der n - dimensionalen Riemannschen Mannig· faltigkeit, bei geeigneter Wahl der Koordinaten, notwendig so:

(22) (dx dx)+ A(x,dx)" . , I -A(XX)

}, ist eine Konstante, (X, y) zur Abkiirzung geschrieben fUr XIYI + X.Y2 + ... + Xn.Yn. A = 0 liefert die Euklldische, A> 0 die spharische, i.. < 0

die Bolyaische Geometrie. Unter diesen Umstanden haben nicht nur die Linienelemente eine von Ort und Richtung unabhangige Existenz, sondern eine beliebige, endlich ausgedehnte Figur kann kongruent ohne Anderung ihrer MaBverhaltnisse an einen beliebigen Ort verpflanzt und in eine be­liebige Richtung gestellt werden. Damit kehren wir zu dem Begriff der kongruenten Abbildung zurlick, von dem unsere Betrachtungen tiber den Raum in § I ihren Ausgang nahmen. Es ist leicht, die Gruppe G'), aller kongruenten Abbildungen des Riemannschen Raumes mit der me­trischen Fundamentalform (22) anzugeben, das ist die Gruppe aHer Trans­forrnationen, we1che die Form (22) invariant lassen. Innerhalb der drei moglichen Fane ist der Euklidische dadurch charakterisiert, daB sich aus der Gruppe der kongruenten Abbildungen die Gruppe der Translationen

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100 Das metrische Kontinuum

mit den besonderen, in § I auseinandergesetzten Eigenschaften hera us­hebt. - Der eben formulierte » Homogeneitatssatz c wurde schon von Riemann in seinem Habilitationsvortrag ausgesprochen; er ist von Beltrami. Lipschitz, F. Schur eingehender begrlindet worden 1 3).

Von einem tieferen, gruppentheoretischen Gesichtspunkt aus hat Helm­holtz zuerst die Homogeneitatsfrage gestellt '4). Helmholtz setzt nicht die (;tiltigkeit des Pythagoreischen Lehrsatzes im Unendlichkleinen, ja nicht einmal die MeBbarkeit der Linienelemente voraus: er spricht allein von clem wahren (;rundbegriff der Geometrie, der Gruppe G der kongruenten Abbildungen des Raumes. Seine Orts-Homogeneitat drlickt sich darin aus, dar~ zu () eine Abbildung gehoren muB, weIche den Punkt P in einen beliebigen andern vorgegebenen Punkt .1'* liberftihrt. Die Gleich­artigkeit aller von einem Punkte P ausstrahlenden Richtungen kommt ferner darin zum Ausdruck, daB unter den kongruenten Abbildungen, weIche l' festlassen, eine soIche existiert, die eine von P ausgehende Richtung in eine beliebige andere vorgegebene verwandelt. Von den Richtungselementen oter und Iter Stufe (Punkt und Linienrichtung) kann man zu Richtungselementen hoherer Stufe (FHichenrichtung usw.) liber­gehen. Man kommt so zu der folgenden Formulierung des Homoge­neitatspostulats im ll-dimensionalen Raum: Es soll moglich sein, mit Hilfe einer zur Gruppe G gehOrigen Abbildung ein System 2' inzidenter R iclltungselemente der oten bis (n - I )ten Stufe in ein gleichartiges, be­liebig vorgegebenes System ~' liberzuftihren; aber die Identitat soIl unter den Abbildungen von G die einzige sein, weIche ein derartiges System 2' inzidenter Richtungselemente festlaBt. Es ist eine wunderbare gruppen­theoretische Tatsache, die von Helmholtz, strenger und allgemeiner von S, Lie bewiesen wurde 1 5), daB die einzigen dieser Bedingung genligenden Gruppen () die Gruppen G,. sind; d. h.: eine Gruppe von der geschil­derten Art laBt llotwendig eine gewisse positiv - definite ljuadratische nifferentialform d.\,' invariant; der Form ds' kann durch geeignete 'Vahl der Koordinaten die Gestalt (22) erteilt werden.

Damit scheint es, als ob aus der ganzen Flille der moglichen Geo­metrien, weIche (ler Riemannsche Begriff umfaBt, von vornherein nur die­jenigen in Betracht kamen, weIche durch die metrische Fundamentalform ( 2 2) definiert werden, alle librigen aber als bedeutungslos unbesehen fallen gelassen werden mlilHen. I.Wegen der unbestimmten Konstanten i. sind (larin drei vollstandig festgelegte individuelle Geometrien enthalten, ent­sprecl1end den Werten i. = 0, + I, - I.J Ja nach der Helmholtzschen Untersuchung scheint es sogar, als ob der Durchgang durch die all­gemeine Riemannsche Geometrie sich als ein Umweg erweist, der durch die Natur der Sache nicht gefordert ist. Riemann selbst dachte darliber anders; von einer ganz anderen Auffassung aus hat er seine allgemeine Infinitesimalgeometrie mit ihrem inhomogenen metrischen Felde entworfen. Die SchlnBworte seines Yortrags geben dariiber Auskunft. Sie konnten von seinen Zeitgenossen in ihrer Tragweite nicht verstanden werden und sind

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§ 13. Die Homogeneitatsfrage. Das Wesenhaft-Absolute an der Raumstruktur. 101

damals so gut wie ungehort verhallt (nur aus den Schriften von W. K. Clifford klingt uns ein einsames Echo entgegen). Erst heute, nachdem uns Einstein durch seine Gravitationstheorie die Augen geoffnet hat, sehen wir, was eigentlich dahinter steckt. Zu ihrem Verstandnis bemerke ich vorweg, da/3 Riemann dort den kontinuierlichen Mannigfaltigkeiten die diskreten, aus einzelnen isolierten Elementen bestehenden gegeniiberstellt. Das Maf3 eines jeden Teiles einer solchen Mannigfaltigkeit ist durch die Anzahl der zu ihm gehorigen Elemente gegeben. So tragt eine diskrete Mannigfaltig­keit zufolge des Anzahlbegriffs das Prinzip ihrer MaJ3bestimmung, wie Riemann sagt, a priori in sich. Nun zu Riemanns eigenen Worten:

»Die Frage iiber die Giiltigkeit der V oraussetzungen der Geometrie im Unendlichkleinen hangt zusammen mit der Frage nach dem innern Grunde der MaJ3verhaltnisse des Raumes. Bei dieser Frage, welche wohl noch zur Lehre vom Raum gerechnet werden darf, kommt die obige Bemerkung zur Anwendung, da/3 bei einer diskreten Mannigfaltigkeit das Prinzip der MaBverhaltnisse schon in dem Begriffe dieser Mannig­faltigkeit enthalten ist, bei einer stetigen aber anders woher hinzu­kommen muJ3. Es muB also entweder das dem Raume zugrunde liegende Wirkliche eine diskrete Mannigfaltigkeit bilden, oder der Grund der MaJ3verhaltnisse auBerhalb, in darauf wirkendm bindenden Kriiften, gesucht werden.

»Die Entscheidung dieser Fragen kann nur gefunden werden, indem man von der bisherigen durch die Erfahrung bewahrten Auffassung der Ers·cheinungen, wozu Newton den Grund gelegt, ausgeht und diese, durch Tatsachen, die sich aus ihr nicht erklaren lassen, getrieben, allmahlich umarbeitetj solche Untersuchungen, welche wie· die hier gefiihrte von allgemeinen Begriffen ausgehen, konnen nur dazu dienen, daB diese Arbeit nicht durch die Beschranktheit der Begriffe gehindert und der Fortschritt im Erkennen des Zusammenhangs der Dinge nicht durch iiber-lieferte Vorurteile gehemmt wird. .

.Es fiihrt dies hiniiber in das Gebiet einer anderen Wissenschaft, in das Gebiet der Physik, welches wohl die Natur der heutigen Veranlassung nicht zu betreten erlaubt.«

Sehen wir von der ersten Moglichkeit ab, es konnte »das dem Raume zugrunde liegende Wirkliche eine diskrete Mannigfaltigkeit bilden<­ob-schon wir es durchaus nicht abschworen wollen, heute im Angesicht der Quantentheorie weniger denn je, da/3 darin vielleicht einmal die endgiiltige Losung des Raumproblems gefunden werden kann -, so leugnet Riemann also, was bis dahin immer die Meinung gewesen war, daB die Metrik des Raumes von vornherein unabhangig von den physi­kalischen V organgen, deren Schauplatz er abgibt, festgelegt sei und das Reale in diesen metrischen Raum wie in eine fertige Mietskaserne ein­ziehe; er behauptet vieimehr, daft der Ratt1ll an sich nur tine formluse dreidimf1lsionale Mannigfaltigkeit ist und erst der den Raum erfiillende materiale Gehalt ilm gestaltet ltnd seille MajJverhiiltnisse bestimmt. Es

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102 Das metrische Kontinuum.

bleibt die Aufgabe, zu ermitteln, nach welchen Gesetzen dies geschieht: jedenfalls aber wird sich die metrische Fundamentalform im Laufe der Zeit andem, wie sich das Materiale in der Welt andert. Die Moglich­keit der Ortsversetzung eines Korpers ohne Anderung seiner Mal3verhiilt­nisse ist zuriickgewonnen, wenn der Korper das von ihm erzeugte metri­sche Felci (welches durch die metrische Fundamentalform dargestellt wird) bei der Bewegnng mitnimmt. Ein biegsames Blech, das sich einer ge­gebenen Flache vollkommen anschmiegt, kann im allgemeinen iiber die Flache hin nicht so bewegt werden, daB es bestandig in seiner ganzen Ausdehnung aufliegt; aber es gewinnt seine freie Beweglichkeit zuriick, wenn die Flache nicht festgehalten wird, sondem von dem Blech in seiner Bewegung mitgenommen wird. So auch hier, wo der metrische Raum an die Stelle der Flache tritt. Oder, urn ein anderes Bild zu gebrauchen: erne Masse, die unter dem Einflu8 eines von ihr selbst erzeugten Kraft­feldes eine Gleichgewichtsgestalt angenommen hat, miiJ3te sich deformieren, wenn man das Kraftfeld festhalten und die Masse an eine andere Stelle desselben schieben konnte; in Wahrheit aber behiilt sie bei (hinreichend langsamer) Bewegung ihre Gestalt, da sie das von ihr selbst erzeugte Kraftfeld mitflihrt.

1m Riemannschen Raum laJ3t sich an einer beliebigen Stelle P durch geeignete Koordinatenwahl der metrischen Fundamentalform die Euklidisch­Pythagoreische Gestalt

dx~ + dx: + ... + dX 2

erteilen; hierin gibt sich kund, daB die Metrik allerorten von der gleichen Nalur ist. Das Koordinatensystem aber, in welchem diese Normalform sich einstellt, ist, wie wir uns ausdriicken wollen, charakteristisch f1ir die Orienticrung der Metrik. Die Metriken in den verschiedenen Punkten unterscheiden sich nicht durch ihre Natur, sondern nur durch ihre Orien­tierung voneinander. Eines analogen Sprachgebrauchs bedienen wir uns in der ebenen Euklidischen Geometrie mit ihren Cartesischen Koordinaten­systemen, wenn wir sagen: Alle Quadrate sind von der gleichen Natur, da sich bei geeigneter Wahl der Cartesischen Koordinaten xy ein vor­gegebenes Quadrat stets durch diesclbcn Ungleichungen

(23) O~X<I, o<y~1

dastellen liil3t; sie unterscheiden sich jedoch durch ihre Orientierung: das Koordinatensystem, in welchem das Quadrat die N ormaldarstellung ( 2 3) besitzt, ist von Quadrat zu Quadrat ein anderes. Mit Hilfe dieser Unter­scheidung zwischen Natur und Oricnticrung konnen wir die neue Rie­mannsche Auffassung so schildem. Die Natur der Metrik kennzeichnet das apriorische Wesen des Raumes in metrischer Hinsicht; sie ist cinc, darum auch absolut bestimmt und nicht teilhabend an der unaufhebbaren Vagheit dessen, was eine veranderliche Stelle in einer kontinuierlichen Skala einnimmt. Nicht durch das Wesen des Raumes bestimmt, sondem a posteriori, d. h. zufiillig, an sich frei und beliebiger virtueller Verande-

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§ 13. Die Homogeneitatsfrage. Das Wesenhaft-Absolute an der Raumstruktur. 103

rungen fahig, ist die gegenseitige Orientierung der Metriken in den ver­schiedenen Punkten; in der Wirklichkeit steht sie in kausaler Abhangig­keit von der Materie und kann, teilhabend an der Vagheit der kontinuierlich veranderlichen GroBen, auf rationalem Wege niemall> exakt, sondem immer nur naherungsweise und auch niemals ohne Zuhilfenahme unmitte1barer anschaulicher Hinweise auf die Wirklichkeit festgelegt werden. Man sieht: die Riemannsche Auffassung leugnet nicht die Existenz eines apriorischen Elements in der Raumstruktur; nur die Grenze zwischen dem a priOl;,i und dem a posteriori ist verschoben. FUr den Physiker ergibt sich daraus die folgende Problemstellung: I) die Gesetze zu erforschen, nach denen das metrische Fe1d auf die Materie einwirkt (eine so1che Einwirkung ist sicher vorhanden; denn wir benutzen ja das physikalische Verhalten von starren Korpem und Lichtstrahlen, urn aus ihnen das metrische Fe1d ab­zulesen; also muB ihr Verhalten wesentlich durch das metrische Feld be­dingt sein); 2) zu prlifen, ob die an den Korpern beobachteten Erschei­nungen zufolge ihres unter I) festgestellten Zusammenhangs mit dem me­trischen Feld eine Veranderlichkeit des metrischen Feldes verraten: und wenn ja, die Naturgesetze aufzustellen, we1che die Veranderungen des metrischen Feldes in ihrer Abhangigkeit von der Materie regeln. Durch Ausflillung dieses Programms hat Einstein dem Riemannschen Gedanken zum Siege verholfen (ohne freilich direkt durch Riemann beeintluBt zu sein); seine neue fundamentale, liber Riemann hinausgehende physikalische Erkenntnis war die, daB sich in den Erscheinungen der Gravitation die Veriinderlichkeit des metrischen Feldes kundgiOt. Von dem durch Einstein gewonnenen Standpunkt rlickschauend aber erkennen wir, daB aus Rie­manns Gedanken eine gliltige Theorie erst entspringen konnte, nachdem die Zeit als vierte zu den drei Raumdimensionen in so1cher Weise hinzu­getreten war, wie es die sog. spezielle Relativitatstheorie lehrt. Der Ent­wicklung von Einsteins spezieller und allgemeiner Relativitatstheorie widmen wir das III. und IV. Kapite1 dieses Buchs. Aber auch fUr die mathe­matische Analyse entspringt aus der Riemannschen Auffassung ein neues Raumproblem. Solange die metrische Raumstruktur flir etwas Einmaliges, Absolutes galt; muBte man versuchen, diese eine~ dem wirklichen Raum eigentlimliche Struktur rational, aus prinzipiellen Forderungen heraus zu begreifen. Ich glaube, jeder wird zugeben, daB diese Aufgabe durch die Helmholtz-Liesche Theorie so gelOst ist, daB nichts zu wunschen ubrig bleibt. Stellen wir uns aber auf den Riemann-Einsteinschen Standpunkt, so kann natiirlich nicht mehr die Rede davon sein, das metrische Fe1d in seinem "zufalligen quantitativen Verlauf rational zn begreifen; nur flir die eine, allerorten gleiche Phythagoreische Natur der Metrik kann man sich diese Aufgabe noch stellen. Die Helmholtzsche Homogeneitatsforde­rung, die mit der alten Auffassung yom Wesen der Raummetrik steht und fallt, muB dann durch ein ganz anders geartetes Postulat ersetzt werden. Das neue Raumproblem, das sich hier erhebt, ist yom Verfasser formuliert und gelost worden; darliber solI am SchluB dieses Kapitels Bericht erstattet werden.

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104 Das metrische Kontinuum.

Die gedanklichen Grundlagen sind gelegt, und wir diirfen jetzt nicht Hinger saumen, mit dem systematischen Aufbau der »reinen Infinitesimalgeo­metriec zu beginnen 16), der sich naturgemiU3 in drei Stockwerken vollziehen wird:. vom jeder naheren Bestimmung baren Kontinuum iiber die affin zu­sammenhiingmde Mannigfaltigkeit zum metrischen .Raum. Diese Theorie, in der, wie ich glaube, eine groBe Gedankenentwicklung ihr Ziel erreicht und das Ergebnis derselben seine endgiiltige Gestalt gewonnen hat, ist eine wirkliche Geometrie, eine Lehre vom Raum setbSt, und nicht bloB wie die Geometrie des Euklid und fast alles, was sonst unter dem N amen Geometrie betrieben wird, eine Lehre von den im Raume moglichen Ge­bilden. Mit der Entwicklung der Geometrie lassen wir in unserer Dar­stellung die Entwicklung des Tensorkalkiils Hand in Hand gehen.

§ 14. Tensoren und Tensordichten in einer beUebigen Mannig­faltigkeit.

11-dilllfllSiollale Mannigfaltigkeit. Dem eben skizzierten Aufball gemaB setzen wir yom Rallme ~unachst nur voraus, daB er ein n-dimensionales Kontinuum ist. Er liU3t sich danach auf n Koordinaten x, x~ ... x,. be­ziehen, deren jede in jedem Punkt der Mannigfaltigkeit einen bestimmten Zahlwert besitzt; verschiedenen Punkten entsprechen verschiedene Wert­systeme der Koordinaten. 1st XI X • ••• Xn ein zweites System von Koordi­natf!n, so bestehen zwischen den x- und den x-Koordinaten desselben willkiirlichen Punktes Beziehungen

(i=I,z, ... ,n),

die durch gewisse Funktionen fi vermittelt werden; von ihnen setzen wir nicht nur voraus, daB sie stetig sind, sondern auch, daB sie stetige Ableitungen

i _ ~fi ak-~ UXk

besitzen, deren Determinante nicht verschwindet. Die letzte Bedingung ist notwendig und hinreichend, damit im Unendlichkleinen die affine Geo­metrie gilt, damit namlich zwischen den Koordinatendifferentialen in beiden Systemen umkehrbare lineare Beziehungen statthaben:

(25) dXi = 2a~dxk' k

Wir sind also in unserer Mannigfaltigkeit nicht imstande, gerade Linien von krummen zu unterscheiden, wohl aber besteht der Unterschied zwischen »glaiten« Kurven mit stetiger Tangente und solchen »unendlich krausenc Kurven ohne Tangente, wie sie zuerst Weierstra8 konstruiert hat. Den anschaulichen Sinn unserer V oraussetzung konnen wir demnach etwa dahin beschreiben, daB die Mannigfaltigkeit seiber nicht nur stetig, sondern auch "glatt« (nicht unendlich kraus) sein soIl. Die Existenz und Stetig­keit hoherer Ableitungen nehmen wir an, wo wir ihrer im Laufe der Untersuchung bediirfen. Auf jeden Fall hat also der Begriff der stetigen

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§ 14. Tensoren und Tensordichten in einer beliebigen Mannigfaltigkeit. 105

nnd stetig differentiierbaren Ortsfunktion, ev. auch der 2, 3, ... mal stetig differentiierbaren einen invarianten, vom Koordinatensystem unabhangigen Sinn; die Koordinaten seIber sind derartige Funktionen.

Begrijf des Tensors. Die relativen Koordinaten dXi eines zu dem Punkte P = (Xi) unendlich benachbarten Punktes p' = (Xi + dXi) sind die Komponenten eines Linienelemetltes in P oder einer injinitesimalen Ver-

....... schiebung P p' von P. Bei Ubergang zu einem anderen Koordinaten-

system gelten flir diese Komponenten die Formeln (25), in denen a~ die Werte der betreffenden Ableitungen im Punkte P bedeuten. Die infini­tesimalen Verschiebungen werden flir die Entwicklung des Tensorkalkiils die gleiche Rolle tibernehmen wie die Verschiebungen in Kap. 1. Es ist aber zu beachten, daB hier cine Verschiebung wesmtlich an dnen Punk! P gebunden ist, daB es keinen Sinn hat, von den infinitesimalen Verschie­bungen zweier verschiedener Punkte' zu sagen, sie seien gleich oder un­gleich. Man konnte ja freilich auf die Festsetzung verfallen, infinitesimale Verschiebungen zweier Punkte gleich zil nennen, wenn sie dieselben Kom­ponenten haben; aber aus dem Urn stand, daB die a~ in (25) keine Konstante sind, geht hervor, daB, wenn dies in einem Koordinatensystem der Fall ist, es in einem andern Koordinatensystem keineswegs zu' gelten braucht. Wir konnen demnach nur von der infinitesimalen Verschiebung eines Punktes, nicht aber wie in Kap. 1. des ganzen Raumes sprechen; infolge­des sen auch nicht von einem Vektoroder Tensor schlechthin, sondern von einem Vektor oder Tensor in einem PUllkte P. Ein Tensor in P ist eine vom Koordinatensystem, auf das man die Umgebung von P be­zieht, abhangige Linearform mehrerer Reihen von Variablen, wenn jene Abhangigkeit von folgender Art ist: die Ausdrlicke der Linearform in irgend zwei Koordinatensystemen X und x gehen ineinander tiber, wenn man gewisse der Variablenreihen (die mit oberen Indizes) kogredient, die andern (mit untern Indizesl kontragredient zu den Differentialen dXi trans­formiert, die ersteren also nach der Gleichnng

(26) ~,. = 2CC~§k, die zweiten nach ~i = 2a7sk. k k

Unter cc~ sind dabei die Werte dieser Ableitungen im Punkte P zu ver­stehen. Die Koeffizienten der Linearform heiBen die Komponenten des Tensors in dem betreffenden Koordinatensystem; sie sind kovariant in denjenigen Indizes, die zu den mit oberen Indizes behafteten Variablen gehoren, kontravariant in ,den iibrigen. - Die Moglichkeit des Tensor­begriffs bemht auf dem Umstande, daB der Ubergang von eineni zum andern Koordinatensystem flir die Differentiale in einer linearen Trans­formation sich ausdriickt. Es wird hier Gebrauch gemacht von dem iiber­aus fruchtbaren mathematischen Gedanken, ein Problem durch Riickgang aufs Unendlichkleine zu »linearisieren«. Die ganze Tensoralgebra, durch deren Operationen lediglich Tensoren im selbe1z Punkle P miteinander zu verkniipfen sind, kalln ietzt z'ollig ungeandert altS Kap. I. heriibergenommen

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106 Das metrische Kontinuum.

werdm. Auch hier wollen wir Tensoren I. Stufe Vektoren nennen; es gibt kontravariante und kovariante Vektoren. Wo das Wort Vektor ohne naheren Zusatz gebraucht wird, ist darunter stets ein kontravarianter Vektor zu verstehen; dem Umstande entsprechend, daB der Vektor im geome­trischen Sinne, Jessen Erklarung schon auf S. 92 gegeben wurde, sich unter diesen allgemeinen Begriff der Tensorrechnung subsumiert. Die dem Koordinatensystem entsprechenden geometrischen Einheitsvektoren in P werden mit ei bezeichnet. Aus ihnen laBt sich jeder Vektor ~ in P linear zusammensetzen; denn sind gi seine Komponenten, so gilt

~ = gIe, + g'e2+··· + ';"en •

Die Einheitsvektoren ei eines andern Koordinatensystems x gehen aus den ei nach den Gleichungen hervor

ei = 2a1ek. k

Die Moglichkeit des Ubergangs von kovarianten zu kontravarianten Kom­ponenten eines Tensors kommt natiirlich hier nicht in Frage. Je zwei (voneinander linear unabhangige) Linienelemente mit den Komponenten (dxY, (oxY spannen ein Fliichmelement auf mit den Komponenten

(dx)i (ox)~ - (dx)k (oxY = (.1 x)ik,

je drei solche Linienelemente ein dreidimensionales Raumelement, usf. 1n­variante Differentialformen, die von einem willkiirlichen Linienelement, bzw. Flachenelement, usw. in linearer Weise abhangen, sind .lineare Tensoren~ (= kovariante schiefsymmetrische Tensoren, siehe § 7). Die alte Festsetzung iiber das Fortlassen von Summenzeichen wird beibehalten.

Begriff der Kurve. 1st jedem Wert eines Parameters s ein Punkt P = P(s) in stetiger Weise zugeordnet, so ist, wenn wir s als Zeit deuten, damit eine »Bewegung« gegeben; wir wollen diesen Namen in Ermanglung eines andern Ausdrucks in rein mathematischem Sinne 'auch dann an­wenden, wenn wir uns einer solchen Deutung des Parameters s enthalten. Bei Benutzung emes bestimmten Koordinatensystems erhalten wir eine Darstellung (27) Xi = Xi(S) der Bewegung durch n stetige Funktionen Xi(S) , von denen wir annehmen, daB sie nichf nm stetig, sondern stetig differentiierbar sind. Beim Uber­gang yom Parameterwert s zu s + ds erfahrt der zugehorige Punkt P eine .infinitesimale Verschiebung mit den Komponenten dXi. Dividieren wir diesen Vektor in P durch d s, so erhalten wir die »Geschwindigkeit.,

einen Vektor in P mit den Komponenten ~i = 1/. Zugleich ist (27)

eine Parameterdarstellung der Bahnkurve der Bewegung. Zwei Bewegungen beschreiben dann und nm dann dieselbe Kurve, wenn die eine Bewegung aus der andern dadurch hervorgeht, daB man auf den Parameter seine Transformation ausiibt s = w (s), die durch eine stetige (und stetig diffe-

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§ 14. Tensoren und Tensordichten in einer beliebigen Mannigfaltigkeit. 107

rentiierbare) monotone Funktion ((J vermittelt wird. Fiir die Kurve sind in einem Punkte nieht die Gesehwindigkeitskomponenten seIber, sondern nur ihr (die Richtung der Kurve kennzeiehnendes) Verhaltnis ist bestimmt.

Tensoranalysis. Ein Tensorjeld gewisser Art ist in einem Raumgebiet gegeben, wenn jedem Punkt P dieses Gebiets ein Tensor der betreffenden Art in P zugeordnet ist. Relativ zu einem Koordinatensystem erseheinen die Komponenten des Tensorfeldes als bestimmte Funktionen der Koordi­naten des variablen »Aufpunktes« P; wir setzen sie als stetig und stetig differentiierbar voraus. Die in Kap. I, § 8 entwiekelte Tensoranalysis laSt sieh auf ein beliebiges Kontinuum nieht ungeandert iibertragen. Bei Konstruktion des allgemeinen Prozesses der Differentiation benutzten wir namlieh damals willkiirliehe kovariante und kontravariante VektorenJ deren Komponenten vom Orte unabhiingig waren. Diese Bedingung ist wohl gegeniiber linearen, nieht aber gegeniiber beliebigen Transformationen in­variant, da bei soIchen die a~ keine Konstante sind. In einer beliebigen Mannigfaltigkeit laSt sieh infolgedessen, wie wir jetzt zeigen wollen, nur die Analysis der linearen Tensorjelder begriinden. Aus einem Skalarfeld f entspringt aueh hier, unabhangig vom Koordinatensystem, dureh Diffe­rentiation ein lineares Tensorfeld I. Stufe mit den Komponenten

?Jj (28) ft· =-j

?JXi

aus einem linearen

aus einem soIchen

usf.

Tensorfeld I. Stufe ji ein soIches 2. Stufe:

jjk - ?J/k _ Vi. , - ?JXi ?JXk'

2. Stufe jik ein lineares Tensorfeld 3. Stufe:

jw = ?Jjkl + ?Jlu + ?Jjik ; ?JXi ·?JXk ?JXI

1st (p ein gegebenes Skalarfeld im Raum und bedeuten Xi und Xi irgend zwei Koordinatensysteme, so wird in dem einen und andern das Skalarfeld sieh dureh eine Funktion der Xi bzw. Xi darstellen:

rp = j{x, Xz ... X,,) = ](x, X2 ••• Xn) . Bilden wir den Zuwaehs von (p bei einer infmitesimalen Versehiebung des Argumentpunktes, so kommt

""V ,~i1j -drp =,.:;. ~ dXi =,.:;. -,:=:dXi. i uXz i uX,

Daraus geht hervor, daB "ilj die Komponenten eines kovarianten Tensor-uXj

feldes 1. Stufe bilden, das in einer von jedem Koordinatensystem un­abhangigen Weise aus dem Skalarfeld rp entspringt. Bier haben WIT

ein einfaehes Beispiel zum Begriff Vektorfeld; zugleieh zeigt sieh, daB die Operation »grad« invarianten. Charakter tragt nieht nur gegeniiber

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108 Das metrische Kontinuum.

linearen, sondern beliebigen Koordinatentransformationen, wie wir be­hauptet hatten.

Urn zu (29) zu gelangen, machen wir folgende Konstruktion. Yom Punkte P = Poo zieben wir die beiden Linienelemente mit den Kom­ponenten dXi und ~Xi, die zu den unendlich benachbarten Punkten P IO und POI ftihren. Wir verschieben (variieren) das Linienelement dx in irgend einer Weise so, daJ3 sein Anfangspunkt die Strecke POOPOI be-

:III--'>-

schreibt; in seiner Endlage sei es libergegangen in POI Pu ' Diesen Proze6 bezeichnen wir als die Verscbiebung~. Die Komponenten dXi mogen dabei die Zuwachse ~dXi empfangen haben. so daJ3

OdXi = {Xi(Pn ) - Xi(PoI )} - {Xi(P'o} - Xi(Poo )}

ist. Jetzt vertauschen wir d nnd~. Durch eine analoge Verschiebnng d des Linienelements ox an der Strecke POOPIO entlang, bei der es schlieB­

lllr--+

lich in die Lage PIO -P.I libergeht, erfahren die Komponenten desselben den Znwachs

dox; = {Xi(P.I) - Xi('p'o)} - {x;(POI } - Xi(Poo )}'

Darans folgt

DaIin nnd nur dann, wenn die beiden Punkte PI I' und P'I I zusammen­fallen, wenn also die beiden Linienelemente dx und ~x bei ihren Ver­schiebungen 0 bzw. d das gleiche unendlichkleine ,.Parallelogramm c liber­fahren - und so wollen wir den Proze!3 leiten -, gilt

(32) dox;-odxi=O.

1st nun ein kovariantes Vektorfeld mit den Komponenten Ii gegeben, so bilden wir die Anderung der Invariante d I = Ii dXi bei der Verschiebung 0:

Odj = ~jidx; + fi~dx;. Vertauschen wir d mit ~ und subtrahieren, so kommt

Llj = (do - ~d}1 = (dji~Xi - djidx;) + ji(ddx; - ddxi} ,

und wenn beide Verschiebungen das gleiche infinitesimale Parallelogramm durchfegen, insbesondere

(26}Llj=df;.~Xk-Ojidx;=(~/k _ ~ji) dX;OXk=~ (~/k _ ~ji)(dxJik. ~x; uXk 2 uX; uXk

T)."aut man diesem vielleicbt allzu gewagten Operieren mit unendlich­kleinen Gro!3en nicht, so ersetze man die Differentiale durch Differential­quotienten. Da sich ein unendlichkleines Flachenelement nur als Tell (oder genauer: als Limes des Teils) einer beliebig kleinen, aber endlich ausgedehnten Flache fassen la!3t, lantet die Ubedegung dann so. Es sei jedem Wertepaar zweier Parameter s, t (in einer gewissen Umgebung von s = 0, t = o) ein Punkt {st) unserer Mannigfaltigkeit zugeordnet; die Funktionen Xi = Xi(st), we1che diese (liber eine Flache sich verbreitende)

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9 14. Tensoren und Tensordicbten in einer beliebigen Mannigfaltigkeit. 109

.zweidimensionale Bewegung c in irgendeinem Koordinatensystem Xi dar­stellen, seien zweimal stetig differentiierbar. In jedem Punkte (s I) ge­horen dazu die beiden Geschwindigkeitsvektoren mit den Komponenten

dx; d dx,' d' d hI d . h f ds un dl' Wir konnen Ie Zuor nung so wa en, aB SIC iir

s = 0, 1=0 ein vorgeschriebener Punkt P = (00) ergibt und jene beiden Geschwindigkeitsvektoren in ihm mit zwei willkiirlich vorgegebenen Vektoren u", Vi zusammenfallen (es geniigt ja dazu, die Xi als lineare

Funktionen von s und t anzusetzen). d bedeute die Differentiation ~, d o aber d ( Dann ist

Durch

dXi d/=/; ds'

od/ = 'iJ./t' dx; dXk + /i d'Xi . 'iJXk ds dt . dlds

Vertanschung von 0 und d und nachfolgende Subtraktion

d/ = do./ _ ad./ = ('iJ/k _ 'iJ./i ) dx; dXk . 'iJxi hk ds dt

kommt

Indem wir s = 0, t = ° setzen, erhalten wir zum Punkte P die von zwei willkiirlichen Vektoren u, 21 daselbst abhangige Invariante

( 'iJ/k _ . 'iJ/i) uiv •. 'iJXi 'iJXk

Der Zusammenhang mit der infinitesimalen Betrachtung besteht darin, daB diese hier in strenger Form fUr die unendlichkleinen Parallelogramme durchgefUhrt wird, in welche die Flache Xi = Xi (st) durch die Koordi­natenlinien s = konst. und t = konst. zerlegt ist.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Stokesschen Satz. Das invariante lineare Differential ./idxi heiBt integrabel, wenn sein Integral langs jeder geschlossenen Kurve, der .Integralwirbel«, = ° ist (was, wie man weiB, nur fUr ein totales Differential der Fall ist). Man spanne in die geschlossene Kurve eine beliebige Flache ein, zu geben durch eine Parameterdarstellung Xi = Xi(st), und zerlege sie durch die Koordi­natenlinien in infinitesimale Parallelogramme. Der Wirbel urn die Be­grenzung der ganzen Flache laBt sich dann zuriickfiihren auf die einzelnen Wirbel urn diese kleinen Flachenmaschen herum, deren Wert fUr jede Masche durch unsern (mit dsdt zu multiplizierenden) Ausdruck (33') ge­liefert wird. So kommt eine differentiale Zerlegung des Integralwirbels zustande, uqd der Tensor (29) ist an jeder Stelle das MaB fUr die dort yorhandene »Wirbelstarke«.

Auf die gleiche Weise steigt man zur nachst hOheren Stufe (30) auf. Statt des infinitesimalen Parallelogramms wird man dabei ein durch drei Lini.enelemente d, 0, b aufgespanntes dreidimensionales Parallelepiped zu benutzen haben. Die Rechnung sei kurz angedeutet:

'iJ/ik (34) b (fikdxiOXk) = ~ dXiOXkbXt + '/ik(bdxi' OX .. + bOXk' dx;'.

UXI I

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110 Das metrische Kontinuum

\regen fki = - fik ist der zweite Summand rechts

134') =fik(bdx;. OXk - box;· dXk).

:\immt man III (34) die drei zyklischen Vertauschungen von --ti, 0, b vor und addiert, so zerstOren sich die aus (34') entspringenden 6 Glieder zu je :l.weien wegen der Symmetriebedingungen (~2).

Begriff de?' Tensordichte. 1st jm3 dx - ich schreibe kurz dx flir das lntegrationselement dX I dx • .. . dxn - eine Integralinvariante, so ist m3 eine GroBe, die yom Koordinatensystem in der Weise abhan/;1:, daB sie sich bei Ubergang zu einem andem Koordinatensystem mit dem a!>soluten Betrag der Funktionaldeterminante multipliziert. Fassen wir jenes In­tegral als MaB eines das Integrationsgebiet erflillenden Substanzquantums auf, so ist m3 dessen Dichte. Eine GroBe der beschriebenen Art moge deshalb als skalare Dichte bezeichnet werden. Das ist ein wichtiger Be­griff, der gleichberechtigt neben den des SkaIars tritt und sich durchaus nicht auf ihn reduzieren laBt. In einem analogen Sinne wie von einer skalaren konnen wir au_ch von einer tC1lsoriellen Dichte sprechen. Eine yom Koordinatensystem abhangige Linearform mehrerer Reihen von Vari­ahlen, die teils mit oberen teils mit unteren Indizes behaftet sind, ist cine Tensordichte illl Pnnkte P, wenn aus dem Ausdrnck dieser Linear­form in einem ersten Koordinatensystem ihr Ausdrnck in einem beliebigen anderen, dem iiberstrichenen Koordinatensystem durch Multiplikation mit dem absoluten Betrag der Funktionaldeterminante

d = abs.' a~ I nncI Transformation der Variablen nach dem alten Schema (26) hervor­geht. Der Gebrauch der Worte Komponenten, kovariant, kontravariant, symmetrisch, schiefsymmetrisch, Feld us\\'. wie bei Tensoren. Mit der Gegeniiberstellung der Tensoren und Tensordichten glaube ich den Unterschied zwischen Qllalltitiit und I1ttmsitiit, soweit er physikalische Bedeutung hat, in strenger Weise erfaBt zu haben: die Tensoren Si1Zd die bltl'llsitiits-; die Tmsordicllten die Quantitiitsgrojlm. Die gleiche ausge­:l.eichnete Rolle, welche unter den Tensoren die kovarianten schie(<;ym­metrischen spielen, kommt nnter den Tensordichten den kontravariantcn :>chiefsymmetrischen zu, die wir darum kurz als lillcare Tl'Ilsortiirh/1'1l bezeichnen wollen.

Algebra del' 7imsoniiclztm. Wie im Gebiet der Tensoren haben wir hier die folgenden Operationen:

1-. Addition von Tensordichten def gleichen Art, Multiplikation einer Tensordichte mit einer Zahl j

2. Verjiingnngj und 3. (nicht etwa Multiplikation zweier Tensordichten miteinander, son­

dem) Multiplikation eines Tensors mit einer Tensordichte. Denn durch Multiplikation zweier skalaren Dichten z. B. wiirde ja nicht wieder eine skalare Dichte entstehen, sondem eine GroBe, die sich beim Ubergang

Page 41: Raum · Zeit · Materie || Das metrische Kontinuum

§ 14. Tensoren und Tensordichten in einer beliebigen Mannigfaltigkeit. I 11

von einem zum anderen Koordinatensystem mit dem Quadrat der Funk­tionaldeterminante multipliziert. Multiplikation eines Tensors mit einer Tensordichte liefert aber stets eine Tensordichte (deren Stufenzahl gleich der Summe der Stufenzahlen der beiden Faktoren ist); so geht z. B. aus einem kontravarianten Vektor mit den Komponenten f und einer ko­varianten Tensordichte 'mit den Komponenten tuik in einer vom Koordi­natensystem unabhangigen Weise eine gemischte Tensordichte 3. Stufe mit den Komponenten f tukz hervor.

Die Analysis der Tensordichten laBt sich in einer beliebigen Mannig­faltigkeit nur flir lineare Felder begrtinden. Sie flihrt zu folgenden diver­genzartigen Prozessen:

~ tu ik • -- - tu' ~Xk - ,

Durch (35) wird aus einem linearen Tensordichte-Feld tu i der 1. Stufe ein skalares Dichtefeld tu erzeugt, durch (36) aus einem linearen Feld 2. Stufe (tuki = - tuik) ein solches der I. Stufe usf. Die Operationen sind vom Koordinatensystem unabhangig. Von einem Feld I. Stufe tu', das aus einem Feld 2. Stufe tu ik nach (36) entsteht, ist die Divergenz (35) = 0; analog flir die hoheren Stufen. Den Beweis der 1nvarianz von (35) erbringen wir durch folgende Betrachtung, die aus der Theorie der Be­wegung von kontinuierlich ausgebreiteten Massen bekannt ist.

1st §i ein gegebenes Vektorfeld, so wird durch

Xi = Xi + §i . 0 t

eine injinitesimale Verschiebung der Punkte unseres Kontinuums erklart, bei welcher der Punkt mit den Koordinaten Xi in den Punkt mit den Koordinaten Xi tibergeht; den konstanten infinitesimalen Faktor 0 t mag man als das Zeitelement deuten, wahrend dessen diese Deformation vor sich geht. Die Abweichung der Abbildungsdeterminante

A = ~ von list = 0 t • - . I ~-'I ~§i ~Xk ~Xi

Durch die Verrtickung gehe ein Teilstiick @ des Kontinuurns, dem bei der Darstellung durch die Koordinaten Xi das mathematische Gebiet I der Variablen Xi entspricht, in das unendlich wenig davon verschiedene Gebiet @ tiber. 1st 5 ein skalares Dichtefeld, das wir als Dichte einer das Kontinuum erflil1enden Substanz auffassen, so ist das in @ vor­handene Substanzquantum

fx5(x) dx,

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112 Das metriscbe Kontinuum.

das @ erfiillende Quantum aber

f~(x) ax .f~(x)Adx :E

wo III dem letzten Ausdruck flir die Argumente Xi von ~ die Werte (37) einz'ijsetzen sind. (Ich verschiebe hier das Volumen gegen die Substanz; man kann statt des sen natiirlich auch die Substanz durch das Volumen stromen lassen; dann ist ~ §i die Stromstarke.) Ftir den Zuwachs an Substanz, den das Gebiet @ durch die Verschie}:mng gewonnen hat, er­gibt sich das nach den Variablen Xi tiber I zu erstreckende Integral von

~(:X) . A - ~(x),

fUr den Integranden aber findet sich

( O§i O~) O(~§i) ~(x)(A - I) + {£I (x) - ~(x)} = ot ~OXi + OXi §i = ot.~.

Folglich wird durch die Formel

o (~~i) ._- = \V OXi

ein invarianter Zusamme'nhang hergestellt zwischen den beiden skalaren Dichtefeldern 9, \V und dem kontravarianten Vektorfeld mit den Kom­ponenten gi. Da sich nun jede Vektordichte \Vi in der Form ~gi dar­stellen lal3t - denn definiert man in einem bestimmten Koordinatensystem eine skalare Dichte ~ und ein Vektorfeld ; durch ~ = I, §i = \Vi, so gilt in jedem die Gleichung \Vi = ~gi -, ist der gewtinschte Beweis erbracht.

Wir sprechen im Anschlul3 an diese Uberlegung das spater oft zu benutzende Prinzip der partiellen Integration aus: Verschwinden die Funk­tionen \Vi am Rande eines Gebietes @, so ist das Integral

( oW' -o-·dx = o.

@ Xi

Denn dieses Integral, mit 0 t multipliziert, bedeutet die Anderung, welche

das ) Volumen. fdx jenes Gebiets bei einer infinitesimalen Deformation

erleidet, deren Komponenten = 0 t . \Vi sind. 1st des Divergenzprozesses (35) Invarianz erkannt, erheben wir uns

von da aus leicht zu den hoheren Stufen, zunachst zu (36). Wir nehmen ein kovariantes Vektorfeld if zu Hilfe, das aus einem Potential i ent-

springt: ii = ~oi , bilden die lineare Tensordichte r. Stufe \Vik ii und UXi

deren Divergenz o (\V iN ii) 0 \V iN

o =f,'-~-' Xk UXk

Die Bemerkung, dal3 die ii in einem Punkte P willktirlich vorgeschriebene Werte annehmen konnen, schlieBt den Beweis abo Auf gleiche Art er­steigen wir die 3. Stufe usf.

Page 43: Raum · Zeit · Materie || Das metrische Kontinuum

§ 15. Affin zusammenhangende Mannigfaltigkeit. 113

§ IS. Affin zusammenhangende Mannigfaltigkeit.

Begriff des afftnen Zusammenhangs. Der Punkt P einer Mannigfaltig­keit hangt mit seiner Umgebung affin zusammen, wenn von jedem Vektor in P feststeht, in weIchen Vektor in P' er durch Parallelverschiebutlg von P nach P' Ubergeht; dabei bedeutet p' einen beliebigen der zu P unendlich benachbarten Punkte. Von diesem Begriff verlangen wir nicht mehr und nicht weniger, als daB er alle diejenigen Eigenschaften besitzt, die ihm in der affinen Geometrie des Kap. I zukamen, d. h. wir postu­lieren: Es gibt citl Koordinatensystem (flir die Umgebung von P), bei dessen Benutzung die Komponenten eitles jed en Vektors in P durch infinite·· simale Parallelverschiebung nicht geiindert werden. Diese Forderung kenn­zeichnet das Wesen der Parallelverschiebung als einer Verpflanzung, von der wir mit Recht behaupten dUrfen, daB sie die Vektoren ungeiindert laSt. Ein soIches Koordinatensystem heiBt geodiitisch in P. Was folgt daraus flir ein beliebiges Koordinatensystem Xi? In ihm habe der Punkt P die Koordinaten xf, P' die Koordinaten xi + dXi, gt seien die Kompo­nenten eines beliebigen Vektors in P, ~i + d gi die Komponenten des aus ihm durch Parallelverschiebung nach P' hetvorgehenden Vektors. Da erstens durch die Parallelverschiebung von P nach P' die samtlichen Vektoren in P auf die samtlichen Vektoren in P' linear oder affin abge­bildet werden, muB d §i linear von den gi abhangen:

(3 8) d;i = _ dyi .. g ...

Zweitens ergibt sich aus der an die Spitze gestellten Forderung, daB die dy'~ Linearformen der Differentiale dXi sind:

(38') d/ .. = ri .. s (dx)',

deren Zahlkoeffizienten r, die >Komponenten des afftnen Zusammenhangs«, der Symmetriebedingung

(38") riST = Frs geniigen.

Urn dies zu beweisen, sei Xi ein in P geodatisches Koordinatensystem; es gelten Transformationsformeln (24), (25). Aus der geodatischen Natur des Koordinatensystems x.. folgt, daB bei Parallelverschiebung

ist. Fassen wir die ;i als Komponenten OXi eines Linienelements in P auf, so muB demnach

d i .r ~·fi.r--- i' r UX,. = ~- "'- ux,.dxs UXr uX,

sein (fiir die 2. Ableitungen sind natiirlich deren Werte an der Stelle P zu setzen: Daraus geht die Behauptung hervor, und zwar bestimmt sich die symmetrische Bilinearform

r;.r d ~2fi .r- .-- rsUx,. Xs aus ~_ ~_ ux,.dxs ux,.UXs

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JI4 Das metrische Kontinuum.

durch Transformation nach (25). - Die Konsequenzen sind damit voll­standig erschopft. Das will sagen: sind rirs beliebig vorgegebene Zahlen, welche der Symmetriebedingung (38") geniigen, und defmieren wir den affinen Zusammenhang durch (38), (38'), so gewinnen wir damit einen moglichen Begriff der Parallelverschiebung im Sinne von § 12. Es liefern namlich die Transformationsformeln

ein Koordinatensystem Xi, in welchem der so definierte ProzeB der Par­

allelverschiebung durch die Gleichungen d tl = 0 beschrieben wird. In der Tat wird in P:

Xi = 0, dXi = dx; (a~ = o~), Vii i ~ _ ~ =- = - r rs ; uXruXs

infolgedessen besteht in P die Beziehung (40), und wir brauchen unsere Uberlegungen nur riickwarts zu durchlaufen, urn daraus' auf die Forme1 (39)

oder dg; = 0 zu schlieBen. Der schon in § 12 versprochene Beweis, daB die Gleichungen (38), (38'), (38") mit der Existenz eines geodatischen Koordinatensystems gleichbedeutend sind, ist damit geliefert.

Die Forme1n, nach denen sich die Komponenten des affinen Zusammen­hangs r;,.s bei Obergang von einem zum andern Koordinatensystem trans­formieren, sind aus der obigen Betrachtung leicht zu entnehmen; wir werden aber von ihnen keinen Gebrauch zu machen haben. Jedenfalls sind die r nicht die Komponenten eines (in i kontra-, in r und s kovari­anten) Tensors im Punkte P; wohl besitzen sie diesen Charakter gegeniiber linearer, verlieren ihn jedoch gegeniiber einer be1iebigen Transformation. Denn in einem geodatischen Koordinatensystem verschwinden sie samtlich. Doch ist jede virtuelle Anderung des affinen Zusammenhangs [PrsJ, mag sie endlich oder unendlichklein &ein, ein Tensor. Denn es ist

der Unterschied der beiden Vektoren, welche durch die beiden Parallel­verschiebungen des Vektors ; von P nach P' entstehen.

Was unter Parallelverschiebung eines kovarianten Vektors ;i im Punkte P von dort nach dem unendlich benachbarten Punkte P' zu verstehen ist, ergibt sich eindeutig aus der Forderung, daB bei der simultanen Parallel­verschiebung dieseS Vektors g,. und eines be1iebigen kontravarianten I)i das invariante Produkt girl ungeandert bleibe:

daher

(4 1 )

d(S;l)i) = (dS;' I)i) + (;,.dl)") = (d~i - dY"i;,.) 1)' = 0,

dS; = ~ dY"i;,..

" Ein kontravariantes Vektorfeld Si werden wir im Punkte P stationar

nennen, wenn die Vektoren in den zu P unendlich benachbarten Punkten P'

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§ 15. Affin zusammenhiingende Mannigfaltigkeit. I IS

aus dem Vektor in P durch Parallelverschiebung hervorgehen, wenn also in P die totalen Differentialgleichungen

~. . l: ( ~ §i r' l: ) d,;' + dy'r':/ = 0 oder - + 'rs~r = 0 oXs

erftillt sind. Es gibt offenbar ein derartiges Vektorfeld, das im Punkte P selbst beliebig vorgeschriebene Komponenten besitzt (eine Bemerkung, von der bei einer spateren Konstruktion Gebrauch zu machen sein wird). Der gleiche Begriff 1st flir ein kovariantes Vektorfeld aufzustellen.

Wir beschaftigen uns fortan mit einer afjinen Mannigfaltigkeit; in zhr steht jeder Punkt P mit seiner Umgebung in afjinem Zusammenhang. Bei Benutzung eines bestimmten Koordinatensystems sind die Komponenten r' ... s

des affinen Zusammenhangs stetige Funktionen der Koordinaten Xi.

Durch geeignete Wahl des Koordinatensystems kann ich die rz"'s wohl an einer einzelnen Stelle P zum Verschwinden bringen; es ist aber im allgemeinen nicht moglich, das Gleiche simultan flir aIle Punkte der Mannigfaltigkeit zu erzielen. Es gibt keine Unterschiede unter den ver­schiedenen Punkten der Mannigfaltigkeit hinsichtlich der Natur ihres affinen Zusammenhangs mit der Umgebung; in dieser Hinsicht ist die Mannigfaltigkeit homogen. Auch gibt es keine verschiedenen, nach der Natur des tiberall in ihnen herrschenden affinen Zusammenhangs zu unter­scheidende Arten von Mannigfaltigkeiten. Die von uns an die Spitze gestellte Forderung latH eben nur eine bestimmte Natur des affinen Zu­sammenhangs zu.

Geodiitische Linie. Ftihrt ein Punkt bei seiner Bewegung einen (irgend­wie veranderlichen) Vektor mit, so erhalten wir zu jedem Wert des Zeit­parameters s nicht nur einen Punkt

P = (s) : Xi = Xi(S)

der Mannigfaltigkeit, sondern auBerdem einen Vektor in diesem Punkte mit den von s abhangigen Komponenten Vi = vi(s). Der Vektor bleibt im Momente s stationar, wenn

d'l/ . dX(1 --+ r'uRV"-- = 0 ds ,. ds

ist. (Hier atme auf, wem immer das Operieren mit Differentialen un­sympathisch ist; hier haben sie sich glticklich in Differentialquotienten verwandelt.) Bei beliebiger Mitflihrung des Vektors besteht die linke Seite Vi VO~(42) aus den Komponenten eines mit der Bewegung invariant verkntipften Vektors in (s), der angibt, in welchem MaBe sich der Vektor ,/ an dieser Stelle pro Zeiteinheit andert. Denn beim Ubergang yom Punkte P = (s) zu p' = (s + ds) geht der Vektor Vi in P tiber in den Vektor

. dv i

v' + ds ds

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I 16 Das metrische Kontinuum.

in P'. Verscbieben Wir aber Z,i ungeandert von P nach p', so erhalten wir dort

Der Unterschied wahrend der Zeit

Vi + d'vi = Vi - P"aflVadxfl.

dieser beiden Vektoren in .P', die ds, hat demnach die Komponenten

dvi ,. . dsds-d v'= V'ds.

Anderung von v

Verschwindet V fUr aile s, so gleitet der Vektor v bei der Bewegung mit dem Punkte P an der Bahnkurve entlang, ohne sich zu iindern.

Jede Bewegung fUhrt den Vektor .ihrer Geschwindigkeit mit sicb; fUr diesen besonderen Fall ist V der Vektor

Ui _ dui + P" a fl- d'x; + P" dx"dx,1. - ds ai~u U - ds' ail ds Ys'

dXi ui = ds

die Beschleunigung, welche die Anderung der Gescbwindigkeit pro Zeit­einheit miBt. Eine Bewegung, in deren Verlauf die Geschwindigkeit bestandig ungeandert bleibt, heiBt eine Translation; die Bahnkurve einer Translation, eine Kurve also, die ihre Richtung ungeandert beibehalt, eine gerade oder geodiitische Linie. Beruht doch gerade in dieser Eigen­schaft gemaB der translativen Auffassung (vergL Kap. I, § I) das Wesen der geraden Linie.

Die Analysis der Tensoren und Tensordichten laBt sich in einer affinen Mannigfaltigkeit ebenso einfach und voilstandig wie in der linearen Geo­metrie des Kap. I entwickeln. Sind beispielsweise f/ die in i kovarianten, in k kontravarianten Komponenten eines Tensorfeldes 2. Stufe, so nehmen wir im Punkte P zwei willkiirliche Vektoren, einen kontravarianten ; und einen kovarianten Y) zu Hilfe, bilden die Invariante

f~ §i ~k

und ihre Anderung bei einer unendlich kleinen Verriickung d des Argument­punktes P, bei welcher ; und Y) parallel mit sich verschoben werden. Es ist

also sind

f k of~· rr."k + rk."r it = ~Xl - ilJ r rlJ i

die in i I kovarianten, in k kontravarianten Komponenten eines Tensor­feldes 3. Stufe, das aus dem gegebenen Tensorfeld 2. Stufe in einer vom Koordinatensystem unabhangigen Weise entspringt. Charakteristisch sind hier die Zusatzglieder, welche die Komponenten des affinen Zusammenhangs enthalten und in denen wir spater mit Einstein den EinfluB des Gravitations­feldes erkennen werden. Nach der angegebenen Methode kann in jedem Fall der ProzeB der Differentiation an einem Tensor vollzogen werden.

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§ 16. Kriimmung.

Wie in der Tensoranalysis die Operation ,.grade als, die urspriingliche auf tritt, aus der alle iibrigen sich herieiten, so liegt der Analysis der Tensordichten die durch (35) erkllirte Operation ,.dive zugrunde. Sie fiihrt zunachst fiir die Tensordichten aller Stufen zu Prozessen ahnlichen Charakters. Will manz. B. die Divergenz einer gemischten Tensordichte IU: 2. Stufe bilden, so nimmt man ein in P stationares Vektorfeld ;i zu Hilfe und konstruiert von der Tensordichte gitu: die Divergenz:

i)(gitu:) = i) gr tu! + gii) tu: = §i (_ rriottu! + i)tu:). i)~ i)~ i)~ i)~

Diese GraBe ist eine skalare Dichte, und demnach, da die Komponenten eines in P stationiiren Vektorfeldes daselbst beliebige Werte annehmen kannen,

eine kovariante Tensordichte I. Stufe, die aus tu: in einer von jedem Koordinatensystem unabhiingigen Weise entspringt.

Aber man kann nicht nur durch Divergenzbildung einer Tensordichte zu einer solchen von einer urn I geringeren Stufenzahl herabsteigen, sondern auch durch Differentiation aus ihr eine Tensordichte bilden, deren Stufenzahl um I haher ist. Bedeutet s zuniichst eine skalare Dichte, so rufe man wiederum ein in P stationiires Vektorfeld gi zu Hilfe und bilde die Divergenz der Stromstarke ~ g; :

i)(egi ) = ~g"+ ji)g'"= (~_ r~,.e).gij i)x; i)x, i)Xi i)xi

dann erhiilt man in

:~ - ri;.e uXi

die Komponenten einer kovarianten Vektordichte. Um die Differentiation von der skalaren auf eine beliebige Tensordichte, z. B. die gemischte tu: von 2. Stufe· auszudehnen, bedient man sich in nun schon geliiufiger Weise zweier in P stationarer Vektorfelder §i und 'li, von denen dieses kovariant, jenes kontravariant ist, und differentiiert die skalare Dichte tu: §i 'lot. Verjiingung der durch Differentiation entsprungenen Tensordichte nach dem Differentiationsindex und einem kontravarianten fiihrt zur Divergenz zuriick.

§ 16. Kriimmung. Sind P und P* zwei durch eine Kurve verbundene Punkte, in deren

erstem ein Vektor gegeben ist, so kann man diesen parallel mit sich liings der Kurve von P nach P* schieben. Die Gleichungen (42) fiir die unbekannten Komponenten Vi des in bestiindiger Parallelverschiebung begriffenen Vektors gestatten niimlich bei gegebenen Anfangswerten von

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Das metrische Kontinuum.

Vi eine und nur eine Losung. Die so zustande kommende Vektor­iibertragung ist jedoch im allgemeinen nicht integrabel; d. h. der Vektor, zu dem man in P* ge1angt, ist abhangig von dem Verschiebungswege, auf dem die Ubertragung vollzogen wird. Nur in dem besonderen Fall, wo Integrabilitat stattfindet, hat es einen Sinn, von dem gleichen Vektor in zwei verschiedenen Punk ten P und P* zu sprechen; es sind darunter solche Vektoren zu verstehen, die durch Parallelverschiebung auseinander hervorgehen. Alsdann heiBe die Mannigfaltigkeit Euklidisch-affin. Erteilt man allen Punk ten einer derartigen Mannigfaltigkeit eine unendlichkIeine Verschiebung, jedoch so, daB die Verschiebung eines jeden durch den »gleichenc infinitesimalen Vektor dargestellt wird, so ist mit dem Raume eine infinitesimale Gesamt- Translation vorgenommen. Mit ihrer Hilfe lassen sich gemaB dem Gedankengang des Kap. I (wir verzichten hier darauf, den Beweis strenge durchzufiihren) besondere, »lineare« Koordi­natensysteme konstruieren, die dadurch ausgezeichnet sind, daB bei ihrer Benutzung gleiche Vektoren in verschiedenen Punkten gleiche Kompo­nenten besitzen. In eirl.em linearen Koordinatensystem verschwinden die Komponenten des affinen Zusammenhangs identisch. Je zwei solche Systeme hangen durch lineare Transformationsformeln zusammen. Die Mannigfaltigkeit ist ein affiner Raum im Sinne von Kap. I: die Integra­bilitiit der Vektoriibertragung ist diejenige inlinitesimaigeometrische Eigen­schaft, durclz weiche die »linearen« Riiume unter den 'affin zusammen­hiingenden ausgezeichnet sind.

Doch ist jetzt die Aufmerksamkeit auf den allgemeinen Fall zu lenken; da durfen wir nicht erwarten, daB ein Vektor, durch Paralle1verschiebung an einer geschlossenen Kurve herumgefiihrt, in seine Ausgangslage zuruck­kehrt. Wie beim Beweise des Stokesschen Satzes spannen wir in die geschlossene Kurve eine Flache ein und zerlegen sie durch die Para­meterlinien in unendlich kleine Parallelogramme. Die Anderung eines beliebigen Vektors beim Umfahren der Flache wird zuruckgefiihrt auf die Anderung beim Umfahren jedes solchen von zwei Linienelementen dxt und OXt in einem Punkte P aufgespannten infinitesimalen Paralle1o­gramms; sie gilt es jetzt zu bestimmen. Wir werden konstatieren, daB der Zuwachs dr. = (d gil, den dabei ein Vektor r. = (g'") erHthrt, aus r. durch eme lineare Abbildung, eine Matrix dF hervorgeht:

1st A F = 0, so ist die Mannigfaltigkeit an der Stelle P in der von unserm Flachenelement eingenommenen Flachenrichtung »eben c ; trifft dies fiir alle Elemente einer endlich ausgedehnten Flache zu, so kehrt jeder Vektor, der langs des Flachenrandes parallel verschoben wird, zu seiner Ausgangslage zuruck. - d F hangt linear von dem Flachenele­ment ab:

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§ 16. Kriimmung. I 19

Die hier auftretende Differentialform eharakterisiert die Kriimmung, die Abweiehung der Mannigfaltigkeit von der Ebenheit an der Stelle P in allen mogliehen Flaehenriehtungen; da ihre Koeffizienten keine Zahlen, sondern Matrizen sind, konnte von einem ,linearen Matrix-Tensor 2. Stuje« gesproehen werden, und es wiirde dadureh die GroBennatur der Kriim­mung in der Tat am besten bezeiehnet. Gehen wir aber von den Ma­trizen auf ihre Komponenten zuriiek - es seien F;"k die Komponenten von Fik oder aueh die Koeffizienten der Form

so ergibt sieh, wenn ei die zum Koordinatensystem gehorigen Einheits­vektoren in P sind, die Formel

Daraus geht hervor, daB F~ik die in ex kontra-, in flik kovarianten Kom­ponenten eines Tensors 4. Stuje sind. Ihr Ausdruek durch die Kom­ponenten r~s des affinen Zusammenhangs lautet:

" (~ r~k ~ r;;) r" rr r" rr) F~ik = ~x; - ~Xk + ( ri (lk - rk ~i ..

Sie erfilllen danach die Bedingungen der >schiefenc und der >zyklischen« Symmetrie:

(49) F~ki = - F~ik; F~ik + Fv,(l + Fk(li = o.

Das Versehwinden der Kriimmung ist das invariante Differentialgesetz, durch welches sieh die Euklidischen Raume unter den affinen 1m all­gemeinen Sinne der Infinitesimalgeometrie auszeichnen.

Zum Beweise der ausgesprochenen Behauptungen bedienen wir uns desselben Verfahrens der doppelten Durehfegung eines unendlichkleinen Parallelogramms, das wir auf S. 108 zur Herleitung des Wirbeltensors benutzten; wir verwenden die damaligen Bezeichnungen. 1m Punkte POD sei ein yektor ~ = ~(Poo) mit den Komponenten gi gegeben. 1m End­punkte Pzo des Linienelements dx bringen wir denjenigen Vektor ~(Pzo) an, der aus ihm durch Parallelverschiebung langs des Linienelementes hervorgeht; heiBen seine Komponenten gi + dgi, so ist also

d;" = - dr~~(1 = - r~ig(ldxi.

Bei der vorzunehmenden Verschiebung 0 des Linienelements dx (die keineswegs .eine Parallelv~rschiebung :zu sein braucht) bleibe der Vektor im Endpunkt immer durch die angegebene Bedingung an den Vektor im Anfangspunkt gebunden; dann erleiden die d g" bei der Verschiebung den Zuwaehs

Bleibt insbesondere der Vektor im Anfangspunkt des Linienelements wahrend der Verschiebung zu sich selbst parallel, so ist hier o;r durch

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120 Das metriscbe Kontinuum.

»+ - Or~ §~ zu ersetzen; in der Endlage POI Pll des Linienelements er-halten wir dann im Punkte POI denjenigen Vektor ~ (Po.), der aus ~(Poo) -durch Parallelverschiebung langs POOPOI hervorgeht, in PI! den Vektor ~(PII)' in welchen ~(POI) durch Parallelverschiebung langs po.Pn iiber­geht, und es ist

Od;a = ga(PJI) - g~(POI)} - {;a(P. o) - ga(Poo)}. -HeiSt der aus ~(P.o) durch Parallelverschiebung lli.ngs P,oPJI zustande kommende Vektor ~* (Pn ), so erhiilt man durch Vertauschung von d und o einen analogen Ausdruck fUr

dog" = {g~(PJI) - ga(PIO )} - {ga(Po.) - °ga(Poo )}·

Durch Subtraktion bildet man

dga = doga - odga

= _ {+ dr~kOXk- or:dr~ + r~idOXi}g(j - or~idxi + dr:Orp - r~iodxi

Hier zerstOren sich wegen doxj = OdXi die beiden hinteren Terme auf der rechten Seite, und es bleibt

dg"= -dF~ .g~;

dapei sind d ga die Komponenten eines Vektors d ~ in PI!' der Differenz der beiden Vektoren ~ und ~* im selben Punkte:

dg ix = ;~(Pll) - ga(PIl )·

Da im Limes PII mit P = ~o zusammenfallt, sind damit unsere Be­hauptungen erwiesen.

Die infinitesimale Uberlegung verwandelt sich in einen strengen Be-d

weis, sobald wir wie frtiher d und 0 im Sinne der Differentiationen ds

und : t deuten. Um die Schicksale des V ektors ~ bei dem infinitesi­

malen Schiebungsproze13 wiederzugeben , empfiehlt sich folgende Kon­struktion. Es sei jedem Wertepaar s, t nicht nur ein Punkt P = (st), sondem aul3erdem ein kovarianter Vektor mit den Komponenten li(st) in diesem Punkte zugeordnet; ist ;i ein beliebiger Vektor in P, so ver-

stehen wir unter d(fig') denjenigen Wert von d(ij}i) , der sich ergibt,

wenn §i beim Ubergang vom Punkte (st) zum Punkte (s + ds, t) unge­andert mitgenommen wird. d(fig'") ist selbst wieder ein Ausdruck von der Form fi;i, nur dal3 jetzt statt Ii andere Funktionen Ii von s und t stehen. Wir konnen deshalb auf ihn von neuem den gleichen Proze13 oder den analogen 0 anwenden. Tun wir das letztere, wiederholen den ganzen Vorgang in umgekehrter Reihenfolge und subtrahieren, so be­kommen wir zunachst

OdVigi) = odfi ° gi + d/log; + ofid;i + fjOd;i

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§ 17. Der metrische Raum. 121

und darauf wegen d'f; d'f;

odf; = dtds = dsdt = dOfi:

dV;;/) = (do - od) Vi;') = fid ;i.

Dabei ist d;i genau der oben gefundene Ausdruck. Die erhaltene In­variante lautet im Punkte P = (00)

F~;kfa;~ uiVk ;

sie bangt von einem willkiirlichen kovarianten Vektor mit den Komponenten fi daselbst ab und von drei kontravarianten;, u, Vj die .F;ik sind demnach die Komponenten eines Tensors 4. Stufe.

§ 17. Der metrische Raum.

Begriff der metrischen Mannigfaltigkeit. Eine Mannigfaltigkeit tragt im Punkte Peine MajJbestimmung, wenn die Linienelemente in P sich ihrer Lange nach vergleichen lassen; wir nehmen dabei im Unendlichkleinen die Giiltigkeit der Pythagoreisch-Euklidischen Gesetze an. Es bestimmt dann jeder Vektor ,; in Peine Strecke; und es gibt eine nicht-ausgeartete quadratische Form ,;2 (mit einer bestimmten Anzahl p positiver und einer bestimmten Anzahl q negativer Dimensionen, p + q = n), derart, dajJ zwei Vektoren ,; und ~ dann und nur dann dieselbe Strecke bestimmen, wenn t 2 = ~ 2

ist. Durch diese Forderung ist die quadratische Form nur bis auf einen von 0 verschiedenen Proportionalitatsfaktor bestimmt. Indem man ihn festlegt, wird die Mannigfaltigkeit im Punkte P geeicht. Die Zahl ,;2 nennen wir alsdann die Malilzahl des Vektors ,; oder, da sie nur von der durch 1i bestimmten Strecke abbangt, die MajJzahll dieser Strecke. Ungleiche Strecken haben verschiedene Mal3zahlen; die Strecken in einem Punkte P bilden daher eine eindimen­sionale Gesamtheit. Ersetzen wir die Eichung durch eine andere, so geht die neue MaBzahl I aus der altefl. I durch Multiplikation mit einem von der Strecke unabhangigen konstanten Faktor A. =F 0 hervor: T = AI. Die Verbaltnisse zwischen den MaBzahlen der Strecken sind von der Eichung unabbangig. Wie also die Charakterisierung eines Vektors in P durch ein System von Zahlen (seine Komponenten) von der Wahl eines Koordi­natensystems abbangt, so ist die Festlegung einer Strecke durch eine Zahl von der Eichung abbangig; und }Vie die Komponenten eines Vektors beim Ubergang zu einem andern Koordinatensystem eine lineare homo gene Transformation erleiden, so auch die Mal3zahl einer willkiirlichen Strecke bei »Umeichen c. - Zwei Vektoren ,; und ~ in P, fUr weIche die zu ,; 2

gehorige symmetrische Bilinearform 1i. t} verschwindet, nennen wir zu­einander senkrecht; diese Wechselbeziehung wird von dem Eichfaktor nicht beeinfluBt. DaB die Form 1i 2 definit sei, ist fUr alIe unsere mathe­matischen Entwicklungen gleichgiiltig; doch moge man im folgenden in erster Linie immer an diesen Fall denken. Urn die Zahl der positiven und

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122 Das metrische Kontinuum.

der negativen Dimensionen auszudrlicken, sagen wir kurz, die Mannigfaltig­keit sei in dem betreffenden Punkte (p + q)-dimensional. 1st p ::f: q, wie wir weiterhin annehmen wollen, so muB das EichverhaItnis A positiv sein, damit die Anzahlen p und q erhalten bleiben (und sich nicht miteinander vcrtauschen). Nach Wahl eines bestimmten Koordinatensystems und Fest­legung des Eichfaktors sei flir jeden Vektor ~ (mit den Komponenten gil:

(50)

Wir nehmen jetz! an, unsere Mannigjaltigkeit trage in jedem Punkte tine Majibestimmung; die Anzahlen p und q sollen allerorten die gleichen sein. Eichen wir sie liberall und legen in sie ein System von n Koordi­naten Xi hinein - das muB geschehen, urn alle vorkommenden GroBen durch Zahlen ausdrlicken zu konnen -, so sind die gik in (50) vollig bestimmte Funktionen der Koordinaten Xi; wir nehmen an, daB. sie stetig und stetig differentiierbar sind.

Damit eine Mannigfaltigkeit ein metrischer .Raum sei, genligt es nicht, daB sie in jedem Punkte eine MaBbestirnrnung trii.gt, sondem es muB auBerdem jeder Punkt mit seiner Umgebung metrisch zusammenhangen. Der Begriff des metrischen ist analog dem des affinen Zusammenhangs; wie dieser die Vektoren betrifft, so jener die Strecken. Ein Punkt P hii.ngt alsQ mit seiner Umgebung metrisch zusammen, wenn von jeder Strecke in P feststeht, we1che Strecke aus ihr durch kongruente Verpflanzung von P nach dem beliebigen zu P unendlich benachbarten Punkte P' hervor­geht. Die einzige Forderung, we1che wir an diesen Begriff stellen (zu­gleich die weitgehendste, die liberhaupt moglich ist) , ist diese: Die Um­gebung von P lii.Bt sich so eichen, daB die MaBzahl einer jeden Strecke in P durch kongruente Verpflanzung nach den. unendlich benachbarten Punkten keine Anderung erleideti. Die Eichung heiBt dann geodii.tisch in P. - 1st aber die Mannigfaltigkeit irgendwie geeicht, ist ferner I die MaBzahl einer be1iebigen Strecke im Punkte P, I + d I die MaBzahl !ler aus ihr durch kongruente Verpflanzung nach dem unendlich nahen Punkte P' entstehenden Strecke in P', so gilt notwendig eine Gleichung

(51) dl = -ldlp,

wo der infinitesimale Faktor dip von der verpflanzten Strecke unabhii.ngig ist; denn jene Verpflanzung bewirkt eine ii.hnliche Abbildung der Streck en in P auf die Strecken in P'. dcp entspricht den dr~ der Vektorver­schiebungs-Formel (38). Wird die Eichung gemii.B der Formel 7 = J.l in P und den Punkten seiner Umgebung abgeii.ndert (das Eichverhii.ltnis )" ist eine positive Ortsfunktion), so kommt statt dessen

- - _ d~

dl = -ldrp, wo (52) dcp = dcp - T

ist. Die notwendige und hinreichende Bedingung damr, da13 sich drp, durch geeignete Wahl von ).~ im Punkte P identisch mit Bezug auf die

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§ 17. Der metrische Raum. 123 ......

infinitesimale Verschiebung P p' = (dx/) zu Null machen laSt, ist offenbar die, daB d IfJ eine lineare Differentialform ist:

(5 If) dlfJ = rpi(dxY. Mit (51), (5 If) sind die Konsequenzen der an die Spitze gestellten Forderung erschopft. - (In der Tat: die (pi sind im Punkte P bestimmte Zahlen. Hat P die Koordinaten Xi = 0, so braucht man nur etwa 19 A. gleich der linearen Funktion ~PiXi zu nehmen, um zu erzie1en, daB dort d(j; = 0 wird.) -Aile Punkte der Mannigfaltigkeit gleichen einander vollstandig hinsichtlich der in ihnen herrschenden MaBbestimmung und der Natur ihres metrischen Zusammenhangs mit der Umgebung. Doch gibt es, je nachdem n gerade

d . n n + I h O d A . h o er ungerade 1st, - + I, bzw. -- versc Ie ene rten metnsc er 2 2

Mannigfaltigkeiten, die sich durcR den Tragheitsindex der metrischen Fundamentalform voneinander unterscheiden. Die eine Art, die wir hier vorzugsweise im Auge haben, entspricht dem Falle p = n, q = 0 (oder p = 0, q --:- n); daneben sind die Falle moglich: p = n - I, q = I (oder P=I, q=n-I);p=n-2, q=2 (oderp=2, q=n-2); usw.

Wir fassen zusammen. Die Metrik einer Mannigfaltigkeit wird re­lativ zu einem Bezugssystem (= Koordinatensystem + Eichung) charakte­risiert durch zwei Fundamentaljormen, eine quadratische Differentialjorm Q =2gik(dx)i(dx)" ulld eine limare dp = 2rpi(dx)'"; sie verhalten sich

ik i invariant bei Ubergang zu einem neuen Koordinatensystem; bei Abanderung der Eichung nimmt die erste einen Faktor A. an, der eine positive stetig­differentiierbare Ortsfunktion ist, die zweite vermindert sich um das Diffe­rential von 19). In alle GroBen oder Beziehungen, welche metrische Ver­haltnisse analytisch darstellen, mUssen demnach die Funktionen gik, Pi in solcher Weise eingehen, daJ3 Invarianz stattfindet I. gegenUber beliebiger Koordinatentransformation (»Koordinaten-Invarianz«) und 2. gegenUber der Ersetzung von gik, Pi durch

A. ~ik,

letzteres, was fUr eine positive Funktion der Koordinaten A. auch sem mag (»Eich-Invarianz«).

Wie wir in § 16 die Anderung eines Vektors bestimmten, der, sich selbst parallel bleibend, ein unendlichkleines, von den Linienelementen dXi, OXi oaufgespanntes 'Parallelogramm umfahrt, so haben wir hier die Anderung Lil der MaBzahl I einer Strecke bei dem analogen ProzeB zu berechnen und finden dafUr aus d I = - I d cp :

odl = - oldlfJ -lodlfJ = lopdp -lodp, also

(53) dl=dol-odl=-ldp, wo

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124 Das metrische Kontinuum.

ist. Der lineare Tensor 2. Stufe mit den Komponenten jik kann demnach in Analogie zu der in § 16 herge1eiteten »VektorkrUmmungc des affmen Raums als »StreckenkrUmmungc des metrischen Raums bezeichnet werden. Die Gleichung (52) bestatigt analytisch, daB er von der Eichllng unab­hangig ist j er geniigt den invarianten Gleichungen

?ljkl + ?ljN + ?ljik = o. ?l Xi '~Xk ?lXt

Sein Versellwinden ist die notwmdige und Izz"nreichende Bedingung dajur, dajJ sich jede Strecke von ihrem Ursprungsort in einer vom Wege unab­hangigm Weise naell allm Punkten des Raumes verpjlanzen liijJt. Dies ist der von Riemann allein ins Auge gefaBte Fall; ist der metrische Raum ein Riemannsche,=, so hat es einen Sinn, von der gleichen Strecke in den verschiedenen Punkten des Raumes zu sprechen, die Mannigfaltigkeit laBt sich so eichen (. Normaleichung c ), daB d rp identisch verschwindet. (In der Tat folgt aus jik = 0, daB d <p ein totales Differential, Differential einer Funktion 19 A. ist; durch Dmeichen mitte1s des Eichverhaltnisses A. laBt sich dann drp iiberall zu Null machen.) Bei Normaleichung ist im Riemannschen Raum die metrische Fundamentalfor~ Q bis auf einen willkiirlichen konstantm Faktor bestimmt, den man durch einmalige Wahl einer Streckeneinheit (gleichgiiltig an welcher Stelle, das Normalmeter laBt sich iiberallhin transportieren) festlegen kann.

Ajfiner Zusammenhang eines lllet,.ischen Raums. Dnd nun kommen wir zu jener Tatsache, ich habe sie schon oben die Grundtatsache der lnfinitesimalgeometrie genannt, welche den Aufbau der Geometrie zu einem wunderbar harmonischen AbschluB bringt. In einem metrischen Raume laBt sich der Begriff der infinitesimalen Paralle1verschiebung auf eine und nur eine Weise so fassen, daB er auBer unserer friiheren Forderung noch ,die erftillt: bei Parallelverschiebung eines Vektors soil au.h die durch ihn bestz"mmte Strecke ungeandert bleiben. Das der metrischen Geometrie zu­grundeliegende Prinzip der infinitesimalen Strecken- oder Liingmuber­tragung bringt also ohne weiteres ein solches der Richtungsubertragung mit slch; ein metrischer R aum tragt von Natur einen ajfinen Zusammf1l­hang.

Beweis: . Wir legen ein Bezugssystem zugrunde. Bei allen GroBen ai, die (vielleicht neben anderen) einen oberen Index, i, tragen, definieren wir das Herunterziehen des Index durch die Gleichungen

aj =2gijal j

und den umgekehrten' ProzeB des Heraufziehens durch die dazu inversen Gleichungen. SolI der Vektor ;i im Punkte P = (Xi) durch die zu er­klarende Paralle1verschiebung nach P' = (Xi + dXi) in den Vektor ;i + dgi

in P' iibergehen:

dg i = - d"/k;k, d''lk = r'h-(dxt,

Page 55: Raum · Zeit · Materie || Das metrische Kontinuum

§ 17. Der metrische Raum.

so mul3 dabei flir die Mal3zahl

1= gik§i§k

nach der aufgestellten Forderung die Gleichung gelten

dl= -Idlp, und das ergibt

2 §id gi + gi;k dgik = - (gik §"§k) d P .

Der erste Term links ist

= - 2;i;kdy'k = - 2;i;kdYik = - §i§k(dYik + d"/ki);

also kommt

oder

12 5

Nehmen wir in dieser Gleichung mit den Indizes ikr die drei zyklischen Vertauschungen vor, addieren die beiden letzten und subtrahieren davon die erste, so ergibt sich unter BerUcksichtigung des Umstandes, daB die r in ihren beiden hinteren Indizes symmetrisch sein mUssen, das Resultat

) r I ("c)gir "c)gkr "c)gik) I ( ) (55 r,ik -="2 -, - + -,~ --, +"2 girpk + gkr Pi - gikpr , uXk uXi uXr

und daraus bestimmen sich die rrik gemaB der Gleichung

(56)

Diese Komponenten des affinen Zusammenhangs aber erflillen alle auf­gestellten Forderungen. Mit dem durch sie gegebenen affinen Zusammen­hang ist der metrische Raum »von Natur. ausgestattet; und es Ubertragt sich dadurch auf ihn die ganze Analysis der Tensoren und Tensordichten samt allen frUher entwickelten Begriffen wie geodatische Linie, Krlim­mung usw. Verschwindet die Krlimmung identisch, so ist der Raum ein metrisch-Euididischer im Sinne des Kap. I. Damit haben wir nun auch das zweite in § 12 gegebene Versprechen eingelOst; die Forme1n (Ig) oder allgemeiner (54), zeigten wir, sind der Ausdruck daflir, daB die Paralle1-verschiebung der Vektoren langentreu ist.

Zusiitze. I) Flir die» Vektorkrummung c haben wir hier noch eine wichtige additive Zerlegung herzuleiten, durch welche die Streckenkrlimmung als ein in ihr enthaltener Bestandteil nachgewiesen wird. Das ist ja nur natlirlich, da die Vektorlibertragung automatisch die StreckenUbertragung mitvoll­zieht. Mit dem Ubetgang des Vektors (gil in (§i + d gil beim Umfahren eines Flachenelements erleidet seine MaBzahl 1= (gi§') die Anderung:

(53) dl= -Idlp.

Indem wir den Ubergang an Ort und Stelle vollziehen, finden wir

d I = d (gik gl §k) = gil< d ;" . §k + gik §i . d §" = 2 g,. d ;i;

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126 Das metrische Kontinuum.

und die Gleichung (53) liefert dann folgendes Ergebnis: setzt man fUr den Vektor ~ = (gi):

d~ = *d~-~.~d(p,

so erscheint d ~ in eine zu ~ senkrechte und eine zu ~ parallele Kom­ponente * d~ bzw. - ~ . ~d (P zerspalten. Damit geht eine analoge Zer­legung des Kriimmungstensors Hand in Hand:

F~ik = * ~ik + fo~fik. Hier wird man den ersten Bestandteil * F als »Richtungskriimmung. be­zeichnen; sie ist erklart durch

* d~ = - ~* F;ik ea ;(1(dX)ik.

DaB * d ~ senkrecht zu ! ist, spricht sich in der F ormel aus:

* Fa,~t"k ga g(1 = * F a(1t"k ga g(1 = o.

Das System der Zahlen * Fa(iik ist also nicht bloB in bezug auf i und k, sondern auch in dem Indexpaar a, tJ schiefsymmetrisch. Daraus folgt noch, daB insbesondere

ist. 2) Wahlt man Koordinatensystem und Eichung in der Umgebung

eines Punktes P so, daB sie in P geodatisch sind, dann gilt dort rpt" = 0,

rr ik = 0 oder, was nach (54) und (55) auf dasselbe hinauskommt,

?Jgik rpi= 0, - = 0:

?Jxr

die Linearform drp verschwindet in P und die Koeffizienten der quadra­tischen Fundamentalform werden stationar; mit andern Worten, es treten im Punkte P diejenigen Verhaltnisse ein, die sich im Euklidischen Raum durch ein einziges Bezugssytem simultan fUr aIle Punkte erreichen' lassen. Es ergibt sich daraus noch folgende explizite Erklarung der Parallelver­schiebung eines Vektors im metrischen Raum: Ein geodatisches Bezugs­system in .P erkennt man daran, daB relativ zu ihm die rpi in P ver­schwinden und die gik stationare Werte annehmen. Ein Vektor wird yom Punkte P nach dem unendlichen benachbarten p' parallel mit sich ver­schoben, indem man seine Komponenten in einem zu P gehorigen geo­diitischen Bezugssystem ungeandert la.6t. (Es gibt stets geodatische Bezugs­systeme; die Willkiir in der Wahl eines solchen hat auf den Begriff der Parallelverschiebung keinen Einflu.6.)

3) Da bei einer Translation Xt" = Xi (s) der Geschwindigkeitsvektor dXt"

u' - Ts parallel mit sich fortwandert, gilt fiir sie in der metrischen

Geometrie: d(Ui 1/) (. .) ---+ ut"u'j (CPiU' = O.

ds

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§ 17. Der metrische Raum. 12 7

Raben in einem Moment die ui solche Werte, daB UiUi = 0 ist (ein Fall, der eintretell kann, wenn die quadratische Fundamelltalform Q indefillit ist), so bleibt diese Gleichung wabrend der ganzen Translation erhalten; die Bahn einer derartigen Translation bezeichnen wir als geodatische Nullinie. Die geodatischen Nullinien andern sich, wie eine kurze Rechnung zeigt, nicht, wenn man, die MaEbestimmung in jedem Punkte festhaltend, den metrischen Zusammenhang der Mannigfaltigkeit irgendwie andert.

4) Durch die beiden von uns an der Riemannschen Geometrie vor­genommenen Erweiterungen (metrische Grundform ~icht positiv-definit, Streckenubertragung nicht integrabel) ist die Moglichkeit einer mit detl MaEgroli3en von Linien-, Flachen- und Raumstucken operierenden MaB­geometrie verloren gegangen. Der indefinite Charakter der metrischen Grundform macht namlich die am SchluB von § J I unter 2. angegebene Formel (IS) flir die Winkelmessung unbrauchbar, und auBerdem fiillt das unter 3. benutzte Prinzip dahin, daB eine in unsern metrischen Raum ein­gebettete Mannigfaltigkeit Btl, von geringerer Dimensionszlj.hl wiederum ein metrischer Raum ist; denn die durch Einsetzen erhaltene quadratische Grundform .von Rm kann stellenweise oder ubetall auf B". eine ausge­artete Form werden. Die Nicht-Integrabilitat der Streckenubertragung aber zerstOrt die a. a. O. unter 1. definierte Volummessung, da das In­tegral (14) nicht eichinvariant ist. Fur diesen Verlust, der dem Geometer schmerzlich genug sein mag) werden wir aber in Kap. IV entschadigt werden: an Stelle der MaBgeometrie tritt die Feldphysik, an Stelle des Volumens die Integralinvariante der »Wirkungsgroli3e«.

Tensorkalkul. Zum Begriffe des Tensors gehort es, daE seine Kom­ponenten nur vom Koordinatensystem, nicht von der Eichung abhangig sind. In ubertragenem und' erweitertem Sinne· wollen wir aber von einem Tensor auch dann sprechen, wenn eine von Koordinatensystem und Eichung abhangige Linearform vorliegt, die sich beim Ubergang von einem zum andern Koordinatensystem in der alten Weise transformiert, bei Abande­rung der Eichung aber den Faktor A! annimmt (J.. = EichverhaItnis) j wir sagen dann, er sei vom Gewichte e. So sind die gik die Komponenten eines symmetrischen kovarianten Tensors 2. Stufe vom Gewichte 1. Wo von Tensoren ohne naheren Zusatz die Rede ist, versteht es sich von selbst, daB diejelligen vom Gewichte 0 gemeint sind. Die in der Tensor­analysis besprochenen Beziehungen sind von Eichung und Koordinaten­system unabhangige Relationen zwischen Tensoren und Tensordichten in diesem eigentlichen Sinne. Den erweiterten Tensorbegriff wie auch den analogen der Tensordichte vom Gewichte e sehen wir nur als ein'en Rilfsbegriff an, den wir lediglich um seiner rechn~rischen Bequemlich­keit willen einftihren. Diese Bequemlichkeit aber beruht darauf, daB I) erst in diesem erweiterten Reich das ~ Jonglieren mit Indizes« moglich ist: durch Rerabziehen eines kontravarianten Index an den Komponenten eines Tensors vom Gewichte e entstehen die hinsichtlich dieses Index kovari­anten Komponenten eines Tensors vom Gewichte e + I; und umgekehrt.

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128 Das metrische Kontinuum.

2) Es bedeute g die Determinante der gik, noch mit dem Vorzeichen + oder - versehen, je nachdem die Anzahl q der negativen Dimensionen gerade oder ungerade ist, und vi die positive Wurzel aus' dieser positiven Zahl g;

dann entsteht aus jedem Tensor durch Multiplikation mit vi cine Tensor­dichte, deren Gewicht um ~ hOher ist; aus einem Tensor yom Gewichte - ~ insbesondere eine Tensordichte im eigentlichen Sinne. Der Beweis be-

ruht auf der sofort einleuchtenden Tatsache, daB vi selber eine skalare

Dichte yom Gewichte ~ ist. Die Multiplikation' mit Vg deuten wir stets dadurch an, daB wir den zur Bezeichnung einer GroBe verwendett:P. la­teinischen Buchstaben in den entsprechenden deutschen verwandeln. -Da in der Riemannschen Geometrie durch Normaleichung die quadratische Fundamentalform Q vollstandig bestimmt ist (von dem willktirlichen kon­stanten Faktor braucht nicht weiter die Rede zu sein), fallt hier der Unterschied des Gewichts von Tensoren hinweg; da sich dann jede GroBe, die durch einen Tensor darstellbar ist, auch durch d,iejenige Tensordichte

reprasentieren laBt, die aus ihm durch Multiplikation mit Vi entspringt, verwischt sich dort der Unterschied zwis'chen Tensoren lmd Tensor­dichten (ebenso wie de~ zwischen kovariant und kontravariant). Daher ist es verstandlich, wenn lange Zeit das Eigenrecht der Tensordichten neben den Tensoren nicht zur Geltung gekommen ist.

§ 18. Beispiele zur Tensorrechnung. Kiirzeste Linien im Riemannschen Raum.

Der Tensorrechnung ];}edienen wir uns in der Geometrie hauptsachlich zum internen Gebrauch, d. h. zur Herstellung von Feldern, die invariant aus der Metrik seIber entspringen. Daftir ein paar Beispiele, die spater von groBer Wichtigkeit werden! Aus dem Krtimmungstensor erMlt man durch Verjtingung zunachst

Die zugehOrige Form ~fik (d xJik gibt an, wie sich das Volumen V eines Parellelepjpeds in P beim Herumfahren urn das Flachenelement mit den Komponenten (d xyk andert:

d V= - V·~jik(dx"'k.

(Unt~r Volumen ist hier die Determinante der Komponenten der n Vek­toren zu verstehen, welche das Parallelepiped aufspannen.) 1m metrischen

Raum ist nach S. 12 6, wie sich tibrigens von selbst versteht, j,"k =~. jik, 2

im Riemannschen fik = o. Eine andere Art der Verjtingung liefert den Tensor 2. Stufe

Page 59: Raum · Zeit · Materie || Das metrische Kontinuum

§ 18. Beispiele zur Tensorrechnung. Kiirzeste Linien im Riemannschen Raum. 12 9

Durch abermalige Verjiingung erhalt man in

F=gikPik

einen Skalar vom Eichgewichte - I. In einem Gebiet, in welchem P =1= 0, etwa F> 0 ist, kann man daher durch die Gleichung P = const. eine Langeneinheit festsetzen: man miSt die Strecken in P mit Hilfe des ~ Kriimmungsradius« der Mannigfaltigkeit in P. Das ist merkwiirdig, da es in einem gewissen Gegensatz steht zu der urspriinglichen Auffassung der Langeniibertragung im allgemeinen metrischen Raum, nach welcher ein direkter Fernvergleich von Langen nicht moglich sein solI; man be­achte aber, !laB das hier erwahnte LangenmaS abhiingig ist von den Kriimmungsverhaltnissen der Mannigfaltigkeit. (1m Grunde ist die Existenz einer solchen ausgezeichneten einheitlichen Eichung ebensowenig ver­wunderlich wie die Moglichkeit, in einem Riemannschen Raum gewisse auf Grund der Metrik ausgezeichnete Koordinatensysteme einzufiihren.) Das mit dieser Langeneinheit gemessene ~ Volumen« wird durch das in­variante Integral

(58) JV g' P"dx dargestellt.

1m vierdimensionalen Raum ist die aus der Streckenkriimmung Ii" entspringende lineare Tensordichte

fik = -Vg.fk vom Gewichte 0 und daher (59) 1 = f/ik fik die einfachste skalare Dichte im eigentlichen Sinne, die sich aus seinem metrischen Felde bilden laSt, Jldx die einfachste Integralinvariante. Aus fik konnen wir noch durch Divergenzbildung die Stromstarke (Vektordichte)

erzeugen.

~fik 0

~Xk = i'

1m Riemannschen Raum trett!n, wenn wir die Normaleichung verwenden (CPi = 0), die gik aIs die einzigen FundamentalgroThen auf. Indem wir hier die Christoffelschen Dreiindizes-Symbole verwenden, notieren wir ffir splUere Rechnungen die folgenden Formeln

(60) ~aYi_{ir}=o, V g aXi r

(60') I (aVi·gik) {rs} ~/_ ~ + 0 grs = 0 , r g UXk Z

(60") I a(Yi.gik)+{,r} k+{'r} . {lr} ok -= gr gr' - g' = o. V g (jXI i k r

Sie gelten, weil Vi eine skaIare, vi· gik eine Tensordichte ist und daher nach den Regeln der Tensordichten-AnaIysis die mit -Vi multiplizierten linken Seiten dieser Gleichungen ebenfalls Tensordichten sind. Benutzen wir aber ein im Punkte P geo-

dlitisches Koordinatensystem (a[ik = 0), so wird alles zu Null; folglich gelten die UXr I

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130 Das metrische Kontinuum,

Gleichungen wegen ihres invarianten Charakters auch in jedem andem Koordinaten­system, Ferner ist

(61) dV g I 'L --= = .. g'''' dgik ' Vg

Denn das totale Differential einer Determinante von n2 (unabhiingig veranderlichen) Elementen gik ist = Gik dgik , wo Gik die zum Element gik gehorige Unterdetermi-

nante bedeutet, - 1st tik (= tki) irgendeiu symmetrisches System von Zahlen, so ist stets (62) Denn aus

folgt gij dgjk = - gjk dgij'

Multipliziert man diese Gleichungen mit t~ (die Bezeichnung ist nicht millzuverstehen, da

tik = gkltil = gkltli = t/), so ergibt sich die Behauptung. Insbesondere kann man statt (61) auch schreiben

(61') dg d 'k -=-gik g' • g Die kovarianten Kriel11111ungsko11lponenten Ra{Uk geniigen im Riemannschen Raum,

in welch em wir den Buchstaben R statt F verwenden, den Symmetriebedingungen:

Ra(Jki = -R(t(Jik' R(Jaik = -Ra(Jik'

Ra(Jik+Raik(J + Rak(Ji = 0,

(denn die ~Streckenkriimmungc verschwindet). Es ist leicht zu zeigen, daLI aus ihnen noch die weitere folgtI7)

Rika(J = Ra(Jik •

Diese Bedingungen zusammen lehren nach einer Bemerkung auf S. 51, daLI der Kriimmungstensor vollstandig charakterisiert werden kann durch die von einem will­kiirlichen Flachenelement (LI x),'k abhangige quadratische Form

i Ra(Jjk (LI x)a(J (LI x)"k.

Dividiert man sie durch das Quadrat der GroJ),e des Flachenelements, so hangt der Quotient nur von dem Verhaltnis der (LI x)ik, d. i. der Stellung des Flachenelements ab; diese Zahl nennt Riemann die Kriimmung des Raumes an der Stelle P in der betreffenden Flachenrichtung. Sie hat eine einfache geometrische Bedeutung. Wir betrachten die Drehung, welche der KompaLIkorper beim Umfahren des Flachen­elements LI 11 mit dem Komponenten (LI x)ik erleidet, lediglich in der Ebene des U11l­jalzrmen Ele11lmts. D, h. wir fassen die zweidimensionale ~Ebene< E des KompaJ),­korpers ins Auge, die aus allen in der Ebene von LI 11 gelegenen Vektoren ~ besteht; erleidet ein solcher Vektor ~ durch Parallelverschiebung um Llq herum die Anderung LI'i., so zerspalten wir LI~ in eine zu E gehorige und eine zu E normale Komponente: LI~ = LIt + Lln~ und abstrahieren weiter von der letzteren. Der Ubergang 'i.~~+LI~ ist eine infinitesimale Drehung der Ebene E. Bedeutet LI w ihren Drehwinkel, so ist die Riemannsche Kriimmung gleich dem Quotienten aus LI w und der GroJ),e des Flachenelements LI 11. - In der Einsteinschen Gravitationstheorie wird der verjiingte Tensor 2. Stufe (62)

Page 61: Raum · Zeit · Materie || Das metrische Kontinuum

§ 18. Beispiele zur Tensorrechnung. Kiirzeste Linien im Riemannschen Raum. I 3 I

der im Riemannschen Raum symmetrisch ist, von Wichtigkeit; seine Komponenten lauten

R. =_iI {ik} __ ~ (ir}+{ik} {rS}_{ir} {kS}. ,'k iI xr r iI x'k l r r S s r Nur der zweite Term auf der rechten Seite llillt hier die Symmetrie in bezug auf i und' k nicht unmittelbar erkennen; er ist aber nach (60)

I il2(lg~ ="2 i1xiilXk •

Der Kriimmungskalar F des allgemeinen metrischen Raumes mit den heiden Fundn­mentalformen

gik (dxl'" (dx)k, rpi(dx)i

driickt sich durch den Kriimmungskalar R des Riemannschen Raumes mit den Grund-formen

g'N: (dx)i (dx)k, 0

folgendermaLIen aus (man muB die einfache Rechnung Schritt flir Schritt durchfiihren):

F=R-(1Z- I)~i1(V'irpi)_ (n-I)(n-z) (rp.rp'J. 'Jig ilxi 4 t

Die allgemeine Tensoranalysis ist bereits in der Euklidischen Geo­metrie von gro8em Nutzen, wenn man Rechnungen nicht in einem Car­tesischen oder affinen, sondern in einem krummlinigen Koordinatensystem durchzufiihren hat, wie das in der mathematischen Physik haufig der Fall ist. Um diese Verwendung des Tensorkalkiils zu illustrieren, wollen wir die Grundgleichungen iiir das elektrostatische Feld und das Magnetjeld stationiirer Strome hier in allgemeinm krummlinigm Koordinaten hinschreiben.

Es seien zunachst Ei die Komponenten der elektrischen Feldstarke in einem Cartesischen Koordinatensystem; indem man die von der Wahl des Cartesischen Koordinatensystems Xl X~X3 unabhangige quadratische und linear,e Differentialform

ds'" = dx~ + dx: + dx~, bzw. EI dXI + E ... dxz + E3dx3

auf beliebige krummlinige (wiederum mit Xi bezeichnete) Koordinaten transformiert, mogen sie iibergehen in

ds 2 = gikdxidxk und Eidxi.

Dann sind Ei in jedem Koordinatensystem die Komponenten desselben kovarianten Vektorfeldes. Aus ihm bilden wir eine Vektordichte mit den Komponenten

(g = Igikl)·

Das Potential cp transformieren wir als einen Skalar auf die neuen Ko­ordinaten; die Dichte fl der Elektrizitat aber definieren wir durch die Festsetzung, daB die in irgendeinem Raumstiick enthaltene elektrische

Ladung =J~dXldx ... dx3 sei; dann ist fl kein Skalar, sondern eine ska­lare Dichte. Die Gesetze lauten:

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13 2 Das metrische Kontinuum.

(65) \

Ei = _ ~, bzw. i\ Ek _ i\ Ei = O. i\Xi OXi OXk '

O~i -=(?; OXi

und ®7 = Ei~k - ~d:®, wo ® = Ei~i, sind die Komponenten einer gemischten Tensordichte 2. Stufe, der Span­nung. - Zum Beweise geniigt die Bemerkung, daB diese Gleichungen, so wie wir sie hingeschrieben haben, absolut invarianten Charakter be­sitzen, fUr ein Cartesisches Koordinatensystem aber in die friiher auf­gestellten Grundgleichungen iibergehen.

Das Magnetfeld stationarer Strome hatten wir in den Cartesischen Koordinatensystemen durch eine invariante schiefsymmetrische Bilinear­form Hikdxioxk charakterisiert. Indem wir sie auf beliebige krumrnlinige Koordinaten transformieren, erhalten wir in Hik die gegeniiber beliebigen Koordinatentransformationen kovarianten Komponenten eines linearen Ten­sorfeldes 2. Stufe, des »Magnetfeldes«. Ahnlich ermitteln wir die Kom­ponenten 'Pi des Vektorpotentials, als eines kovarianten Vektorfeldes, in einem beliebigen krummlinigen Koordinatensystem. AuBerdem fUhren wir eine lineare Tensordichte 2. Stufe ein durch die Gleichungen

Die Gesetze lauten dann

9,'k _ i\ (/'k _ 0 'Pi , - OXi OXk'

(66)

Sl sind die Komponenten einer Vektordichte, der :oelektrischen Strom­starke«; die Spannungen ®: haben den gleichen Invarianzcharakter wie im elektrischen Felde. - Man spezialisiere diese Formeln z. B. fUr den Fall der Kugel- und Zylinderkoordinaten; das ist ohne weitere Rech­nungen moglich, sobald man den Ausdruck von ds', des Abstandsquadrats zweier Nachbarpunkte, in jenen Koordinaten besitzt, den man durch eine einfache infinitesimal-geometrische Betrachtung gewinnt.

Von groBerer prinzipieller Wichtigkeit ist aber dies, daB wir in (65) und (66) die Grundg~setze des stationaren elektromagnetischen Feldes bereit" haben fiir den Fall, daB wir aus irgendwelchen Griinden genotigt waren, die Euklidische Geometrie fUr den physikalischen Raum aufzugeben und durch eine Riemannsche Geometrie mit anderer metrischer Fundamental­form zu ersetzen. Denn auch unter solchen allgemeineren geometrischen Verhiiltnissen stellen unsere Gleichungen wegen ihrer invarianten Natur »objektive«, von jedem Koordinatensystem unabhangige Aussagen iiber den gesetzmaBigen Zusammenhang zwischen Ladung, Strom und Feld dar.

Page 63: Raum · Zeit · Materie || Das metrische Kontinuum

§ 18. Beispiele zur Tensorrechnung. Kiirzeste Linien im Riemannschen Raum. 133

Da8 sie die natiirliche Ubertragung der im Euklidischen Raum giiltigen Gesetze des stationiiren elektromagnetischen Feldes sind, dariiber ist kein Zweifel moglich; ja, es ist geradezu wunderbar, wie einfach und zwanglos diese Ubertragung sich aus dem allgemeinen Tensorkalkiil ergibt. Die Frage, ob der Raum Euklidisch ist oder nicht, ist vollig irrelevant fiir die Gesetze des elektromagnetischen Feldes. Die >Euklidizitat< driickt sich in allgemein-invarianter Form durch Differentialgleichungen 2. Ordnung fUr die gil, aus (Verschwinden der Kriimmung), in diese Gesetze gehen aber nur die gik und deren 1. Ableitungen ein. - Eine derartig einfache Uber­tragung ist aber, wohlgemerkt, nur fUr die Nahewirkungsgesetze moglich. Die Herleitung der dem Coulombs chen und dem Biot-Savartschen ent­sprechenden Femwirkungsgesetze aus diesen Nahewirkungsgesetzen ist eine rein mathematische Aufgabe, die im wesentlichen auf Folgendes hinaus­kommt: An die Stelle der gewohnlichen Potentialgleichung LIp = 0 tritt in der Riemannschen Geometrie als ihre invariante Verallgemeinerung -siehe (65) - die Gleichung

-()- (Yi. gil< ()q» = 0; ()Xi ()Xk

d. i. eine lineare Differentialgleichung 2. Ordnung, deren Koeffizienten aber keine Konstanten mehr sind. Von ihr ist die an einer beliebig vor­gegebenen Stelle unendlich werdende > Grundlosungc zu ermitteln, welche

der Grundlosung ~ der Potentialgleichung entspricht; deren Bestimmung r .

ist ein schwieriges mathematisches Problem, das in der Theorie der par­tiellen linearen Differentialgleichungen 2. Ordnung behandelt wird. Die­selbe Aufgabe stellt sich auch schon bei Beschrankung auf den Euklidi­schen Raum ein, wenn man statt der Vorgange im leeren Raum die i~

einem inhomogenen Medium (z. B. in einem Medium mit ortlich verander­licher Dielektrizitatskonstante) zu untersuchen hat. - Die Ubertragung der elektromagnetischen Gesetze auf einen metrischen, nicht-Riemannschen Raum ist, wie sich zpater zeigen wird, ohne Interesse, wei! das metrische Feld eines solchen Raumes das elektromagnetische schon mitenthalt.

Kurzeste Linie im Riemannschen Raum. 1m metrischen Raum gilt fUr zwei Vektoren S'·, r/ bei Parallelverschiebung

d(Si1j') + (S,·r/) dp = 0,

im Riemannschen fant das zweite Glied weg. Daraus folgt, da.8 sich im Riemannschen Raum die Parallelverschiebung eines kontravarianten Vektors S, in den GroBen Si = gik;k genau so ausdriickt wie die Parallel­verschiebung eines kovarianten Vektors in seinen Komponenten ;i:

d;i- {i;}dxaS~ = 0 oder d;i-[i;]dxa;~= o.

Fiir eine Translation gilt dernnach

( . dXi k) u' = Ts I Ui = gil< u j

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134 Das metrische Kontinuum.

denn es ist - Gl. (19)

[ia] + [ifJ] = ~ga($ fJ a ~Xi

und daher flir irgendein symmetrisches System von Zahlen ta($:

(68) .!. ~ga($ • tafl = [ia] t"l~ = ria} t~ 2 ~ Xl {J fJ ,,'

Da die MaBzahl des Geschwindigkeitsvektors wahrend der Translation ungeandert bleibt, gilt

dXi dXk . glk - -- = Ui u' = konst.

ds ds

Setzen wir die metrische Fundamentalform der Einfachheit halber als positiv-definit voraus, so kommt jeder Kurve Xi = Xi (s) [a <::::: s <::::: b] eme (von der Parameterdarstellung unabhangige) Lange zu:

a

(Q _ . dx; dXk) - gzk ds ds .

Benutzt man die Bogenlange selbst als Parameter, so wird Q = I. Die Gleichung (69) sagt aus, daB eine Translation ihre Bahnkurve, die geo­datische Linie, mit konstanter Geschwindigkeit durchlauft, daB namlich der Zeitparameter s der Bogenlange proportional ist. Die geodatische Linie besitzt im Riemannschen Raum nicht nur die Differentialeigenschaft, ihre Richtung unverandert beizubehalten, sondern auch die Integraleigen­schaft, daji jedes Stuck ~on ihr kurzeste Verbindungslinie seines Anfangs­und Endpunktes ist. Doch ist diese Aussage nicht ganz wortlich zu ver­stehen, sondern in demselben Sinne, wie wir etwa in der Mechanik sagen, daB im Gleichgewicht die potentielle Energie ein Minimum ist, oder von einer Funktion f(xy) zweier Variablen sagen, sie habe dort ein Minimum, wo ihr Differential

df = ~f dx + ~f dy ~x ~y

identisch in dx, dy verschwindet; wahrend es in Wahrheit heiBen muB, da13 sie dort einen »stationaren« Wert annimmt, der sowohl ein Minimum wie ein Maximum wie auch ein »Sattelwert« sein kann. Die geodatische Linie ist nicht notwendig eine Kurve kiirzester, wohl aber eine Kurve statioitarer Lange. Auf der Kugeloberflache z. B. sind die groBten Kreise die geodatischen Linien; nehmen wir auf einem so1chen Kreis zwei Punkte A und B an, so ist der kleinere der beiden Bogen A B zwar in der Tat kiirzeste Verbindungslinie von A und B; aber auch der andere Bogen ist eine geodatische Verbindungslinie von A und B, er hat nicht kiirzeste, sondern stationare Lange. - Wir benutzen diese Ge1egenheit, urn m strenger Form das Prinzip der unendlichkleinen Variation darzulegen.

Page 65: Raum · Zeit · Materie || Das metrische Kontinuum

§ 18. Beispiele zur Tensorrechnung. Klirzeste Linien im Riemannschen Raum, 135

Gegeben sei eine beliebige Kurve in Parameterdarstellung Xi = Xi(S), (a <:: S <:: b)

die »Ausgangskurvec • Urn sie mit Nachbarkurven zu vergleichen, be­trachten wir femer eine beliebige einparametrige Kurvenschar

Xi = Xi(S; 8) (a <:: S <:: b) .

Der Parameter 8 variiert in einem Intervall urn 8 = 0; Xi(S; 8) sollen Funktionen sein, die sich fUr e = 0 auf Xi(S) reduzieren. Da aIle Kurven der Schar den gleichen Anfangspunkt mit dem gleichen Endpunkt ver­binden sollen, sind xi(a; 8) und xi(b; 8) unabhangig von e. Die Lange einer so1chen Kurve ist gegeben durch

c L(8) jYQds.

a

Wir nehmen noch an, daB S fUr die Ausgangskurve die Bogenlange be-

d . Q . f . . h k' dXi f eutet, somit = lIst iir 8 = 0. DIe RIC tungs omponenten ds iir

die Ausgangskurve 8 = ° mogen mit ui bezeichnet werden. Wir setzen femer

8' (dXi) = Sirs) = OX,-; d8 '=0

das si.nd die Komponenten der »unendlich kleinen« Verschiebung, durch we1che die Ausgangskurve in die einem unendlich kleinen Wert von 8

entsprechende >variiertec Nachbarkurve iibergeht; sie verschwinden an den Enden.

8. (dL) = oL d8 '=0

ist die zugehOrige Variation der Lange. oL = ° ist die Bedingung da­fUr, daB die Ausgangskurve in der Kurvenschar stationare Lange besitzt. Wenden wir das Zeichen 0 Q im gleichen Sinne an, so ist

6 0 6

(70) oL = f 2Y~ ds = ~ jOQdS, a a

da fUr die Ausgangskurve Q = list. Es gilt

dQ = ?lgcrfl dXidxadxfI + z ,"Ie dXk d'Xi d8 ?lxi d8 ds ds g ds d8ds

und also (im zweiten Glied werden »Variationc und » Differentiation «, d. h. die Differentiationen nach 8 und s vertauscht)

..i ?lgcrfl fll::' k dSi uQ = -- u"u :0' + zgil.U -.

?lx; ds

Setzen wir dies in (70) ein und formen das zweite Glied durch eine partielle Integration urn unter BeriicksichtigurIg des Umstandes, daB die S" an den Enden des Integrationsintervalls verschwinden, so kommt

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Das metrische Kontinuum.

Die Bedingung 0 L = 0 ist demnach dann und nur dann flir jede be­liebige Kurvenschar erflillt, weI1n (67 1 gilt. In der Tat, ware fiir einen Wert s = So zwischen a und b einer dieser Ausdriicke, z. B. der erste (i = Il von 0 verschieden, etwa > 0, so kann man urn So ein so kleines Intervall abgrenzen, daB in ihm jener Ausdruck durchweg > 0 bleibt. Wahlt man fiir gI eine nicht-negative Funktion, welche auBerhalb dieses Intervalls verschwindet, aIle iibrigen g" aber = 0, so kommt ein Wider­spruch zu der Gleichung a L = 0 zustande.

Aus demBeweise geht noch hervor, daB eine Translation unter allen denjenigen Bewegungen, welche wahrend derselben Zeit a <: s <: b yom selben Anfangspunkt zum selben Endpunkt mhren, durch die Eigenschaft

b

ausgezeichnet ist, dem Integralj'Qds einen stationaren Wert zu erteilen. -a

Es wird manchen (trotz redlicher Bemiihungen des Verfassers urn anschauliche Klarheit) entsetzt haben, von welcher Sintflut von Formeln und Indizes hier der leitende Gedanke der Infinitesimalgeometrie iiber­schwemmt wurde. Es ist gewiB bedauerlich, daB wir uns urn das rein Formale so ausflihrlich bemiihen und ihm einen solchen Platz einraumen miissen; aber es laBt sich nicht vermeiden. Wie jeder Sprache und Schrift miihsam erlernen mu/3, ehe er sie mit Freiheit zum Ausdruck seiner Ge­danken gebrauchen kann, so ist auch hier der einzige Weg, den Druck der Formeln von sich abzuwalzen, der, das Werkzeug der Tensoranalysis so in seine Gewalt zu bringen, daB man sich durch das Formale unbe­hindert den wahrhaften Problemen zuwenden kann, die uns beschaftigen: Einsicht in das Wesen von Raum, Zeit und Materie zu gewinnen, sofern sie am Aufbau Ider objektiven Wirklichkeit beteiligt sind. Fiir den, der auf solche Ziele aus ist, miiBte es eigentlich heiBen: das Mathematische versteht sich immer von selbst. Bevor wir nun, nach langwierigen Vor­bereitungen und beendeter Ausriistung, die Fahrt antreten ins Land der physikalischen Erkenntnis, auf den Wegen, die das Genie Einsteins uns -gewiesen hat, wollen wir noch zu einer vertieften Auffassung der Raum­metrik vorzudringen suchen. Es handelt sich darum, die innere Notwen­digkeit und Einzigartigkeit der metrischen Struktur, wie sie im Pytha­goreischen Gesetz zum Ausdruck kommt, zu begreifen.

§ Ig. Gruppentheoretische Auffassung der Raummetrik. Wahrend die Natur des affinen Zusammenhangs uns keine Ratsel mehr

aufgibt - die an den Begriff der Parallelverschiebung gestellte Forderung auf S. I 13, welche sie als eine Art ungeiinderter Verpfianzung charakterisiert, bestimmt diese Natur vollig eindeutig -, haben wir hinsichtlich der Metrik noch keinen Standpunkt tiber der Erfahrung gewonnen. DaB sie

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§ 19. Gruppentheoretische Auffassung der Raummetrik. 137

gerade durch eine quadratische Differentialform beschrieben wird, war als Tatsache hingenommen, aber nicht verstanden. Schon Riemann wies darauf hin, daB als metrische Fundamentalform, zunachst mit demselben Recht, eine homogene Funktion 4. Ordnung der Differentiale oder aucb irgendeine anders gebaute Funktion erwartet werden konnte, die nicht einmal ration'al von den Differentialen abzuhangen braucbte. Aber selbst da diirfen wir noch nicht Halt machen. Das, was urspriinglicb und all­gemein die Metrik in einem Punkte P bestimmt, ist die Gruppe der Drehungen; die metrische Beschaffenheit der Mannigfaltigkeit im Punkte P ist bekannt, wenn man weiR, welche unter den linearen Abbildungen des Vektorkorpers (d. i. der Gesamtheit aller Vektoren) im Punkte P auf sich selbst kongruente Abbildungen sind. Es gibt so viele verschiedene Arten von MaBbestimmungen, als es wesentlich verschiedene Gruppen linearer Transformationen gibt (wobei wesentlich verschieden solche Gruppen sind, die sich nicht bloB durch die Wahl des Koordinatensystems von­einander unterscheiden). "Fiir die bisher allein untersuchte Pythagoreische Metrik besteht die Gruppe der Drehungen aus allen linearen Transfor­mationen, welche die quadratische Fundamentalform in sich iiberfiihren, Aber an sich brauchte die Drehungsgruppe iiberhaupt keine Invariante (d. i. eine, von einem einzigen willkiirlichen Vektor abhiingige Funktion, die bei allen Drehungen ungeandert bleibt) zu besitzen.

Oberlegen wir uns, welche Forderungen wir natiirlicherweise an den Begriff der Drehung zu stellen haben! In einem einzelnen Punkte konnen, solange die Mannigfaltigkeit noch keine MaBbestimmung tragt, nur die n-dimensionalen Parallelepipede ihrer GroBe nach miteinander verglichen werden. Sind ai(i = I, 2, .,., n) beliebige Vektoren, die sich aus den zugrunde gelegten Einheitsvektoren ei nach den Gleichungen

ai = a; ek bestimmen, so ist die Determinante der a7, welche nach GraBmann zweck­maBig mit [al 02 ••• an]

[e. ea ••• en] bezeichnet wird, definitionsgemaR das Volumen des von den n Vektoren ai aufgespannten Parallelepipeds. Bei Wahl eines andern Systems von Ein­heitsvektoren ei multiplizieren sich alle Volumina mit einem gemeinsamen konstanten Faktor, wie aus dem »Multiplikationssatz der Determinanten c

[0Ia2 ··· an] [0,02 '" a,,] [ele •... en] [el e2 ••• en] = [el e2 ••• en]' [el e2 ••• en]

hervorgeht; die V olumina sind also nach Wahl einer MaReinheit eindeutig und unabhiingig yom Koordinatensystem bestimmt. Eine Drehung mujJ offenbar, da sie den Vektorkorper »nicht veriindernc soli, eine volumtreue Abbildung sein. Die Drehung, durch welche der Vektor ~ = (gi) all­gemein iibergeht in ~ = (gi), werde dargestellt durch die Gleichungen

ei = a; ek oder g; = a~gk.

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138 Das metrische Kontinuum.

Die Determinante der Drehungsmatrix (a~) wird dann gleich I ausfallen.­Betrifft diese Forderung die einzelne Drehung, so haben wir von ihrer Gesamtheit zu verlangen, daB sie eine Gruppe bilden. Es handelt sich dabei urn eine kontinuierliche Gruppe, d. h. die Drehungen sind die Ele­mente einer mehrdimensionalen stetigen Mannigfaltigkeit.

Gehen wir in der Darstellung einer linearen Vektorabbildung durch ihre Matrix A = (a~) von einem Koordinatensystem (ei) zu einem andern (ei) tiber vermoge der Gleichungen

(71)

so verwande1t sich A in VAV-I (V-I bedeutet die Inverse zu V, VV-I und V-I V sind gleich der Identitat E). In eine gegebene Matrixgruppe & kann also jede so1che Gruppe durch geeignete Abanderung des Koordinaten­systems Ubergefiihrt werden, we1che aus & dadurch entsteht, daB man auf jede Matrix G von & die Operation UGU-I anwendet (mit demselben U filr aIle G); von einer derartigen Gruppe U&V-I wollen wir sagen, sie sei von der gleichen Art wie &, oder sie unterscheide sich von & nur durch ihre Orientierung. 1st & die Gruppe der Drehungsmatrizen in P nnd V&U-I identisch mit & (keineswegs braucht dabei jedes einze1ne G durch die Operation UG U-I wieder in G Uberzugehen, sondern es ist nur gefordert, daB mit G immer auch VGU-I zu & gehort), so drtickt sich die Metrik in zwei Koordinatensystemen (7I), die durch U ausein­ander hervorgehen, in der gleichen Weise aus; U ist eine Abbildung des Vektorkorpers auf sich se1bst, we1che alle metrischen Beziehungen unge­andert laBt. Das ist der Begriff der iihnlichen Abbildung. & ist in der Gruppe &* der ahnlichen Abbildungen als Untergruppe enthalten.

Von der Metrik im einzelnen Punkte kommen wir jetzt zum »metrischen Zusammenhangc • Der metrische Zusammenhang des Punktes Po mit seiner unmittelbaren Umgebung ist bekannt, wenn man weiB, wann eine lineare Abbildung des Vektorkorpers -in Po = (xn auf den Vektorkorper in irgend­einem unendlich benachbarten Punkte P = (x7 + d Xi) eine kongruente Verpjlanzung ist. Wird die Gruppeneigenschaft auch auf den metrischen Zusammenhang ausgedehnt, so liegen in ihr die folgenden Forderungen:

I) FUr die kongruenten Verpflanzungen von Po nach emem besti1ll11lten zu Po unendlich benachbarten Punkte P: aIle diese Verpflanzungen A ent­stehen aus einer von ihnen, A o, indem wir dem Ao eine beliebige Dre­hung Go in Po voraufgehen lassen: A = Ao Go, wo Go die Drehungs­gruppe &0 in Po durchlauft. Betrachten wir femer den zum Zentrum Po gehorigen Vektorkorper in zwei zueinander kongruenten Lagen, so werden diese durch diese1be kongruente Verpflanzung Ao in zwei kongruente Lagen in P Ubergehen; daher ist die Drehungsgruppe & in P gleich Ao &oAo -I. - Aus dem metrischen Zusammenhang ergibt sich also, daB die Drehungsgruppe in P sich von der in Po nur durch die Orien­tierungunterscheidet. Und wenn wir stetig vom Punkte Po zu irgend­einem Punkte der Mannigfaltigkeit Ubergehen, so erkennen wir daraus

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§ 19. Gruppentheoretische Auffassung der Raummetrik. 139

weiter, daB die Drehungsgruppen in allen Punkten der Mannigfaltigkeit von der gleichen Art sind; in dieser Hinsicht herrscht also Homogenitat.

2) Flir den metrischen Zusammenhang von Po mit allm Punkten seiner unmittelbaren Umgebung: nimmt man hintereinander eine infinitesimale kongruente Verpflanzung des Vektorkorpers durch die Verschiebung dXi vor [d. h. vom Punkte Po = (xf) nach der Stelle P = (x7 + dXi)] und eine zweite solche Verpflanzung durch die Verschiebung dXi, so mu13 eine durch die resultierende Verschiebung dx; + OX; bewirkte infinitesimale kongruente Verpflanzung zustande kommen. - Eine kongruente Verpflan­zung ist infinitesimal, wenn die A.nderungen dgi der Komponenten gi eines beliebigen Vektors von der gleichen GroBenordnung unendlich klein sind wie die Komponenten dx; der vorgenommenen Verschiebung des Zentrums. 1st also

dgl = 8'.I ALg" " eme beliebige infinitesimale kongruente Verpflanzung m Richtung der

ersten Koordinatenachse, nach dem Punkte (x~ + 8, X~, . . ., X~), und haben AL, ... , A~" eine analoge Bedeutung flir die zweite bis nte Ko­ordinatenachse (8 ist eine infinitesimale Konstante), so liefert die Formel

(72) dgi = .I A~rgk (dxt kr

ein ,. System infinitesimaler kongruenter Verpflanzungen c nach den samt­lichen Punkten der Umgebung von p".

Endlich erinnere ich daran, daB nach § 12 zu jedem Koordinaten­system ein 'moglicher Begriff der infinitesimalen Parallelverschiebung ge­hort, ein mogliches System von Parallelverschiebungen des Vektorkorpers in Po nach allen zu Po unendlich benachbarten Punkten.

Was wir bisher ausgeflihrt haben, war eine bloBe Begriffsanalyse, Ex­plikation dessen, was in den Begriffen Metrik, melrischer Zusa1Jl1Jlmhang und Parallelversclliebung als solchen liegt 18). Ich komme jetzt zum ltsyn­thetischenc Teil im Kantischen Sinne. Unter den verschiedenen Arten metrischer Raume wollen wir durch innere einfache Eigenschaften die eine kennzeichnen, zu welcher nach Pythagoras-Riemann der wirkliche Raum gehort. Die mit dem Ort sich nicht verandernde Art der Drehungs­gruppe charakterisiert das metrische Wesen des Raumes. Durch das Wesen des Raumes nicht bestimmt ist aber der metrische Zusammenhang von Punkt zu Punkt *) und damit die gegenseitige Orientierung der Drehungsgruppen in den verschied~nen Punkten der Mannigfaltigkeit. Dieser ist vielmehr abhangig von der materiellen Erflillung, an sich also frei und beliebiger virtueller Ver­anderungen fahig. Unsere erste Forderung lautet geradezu (Postulat der Freiheit):

I. Das Wesen des Rau11les liijit jeden 11loglichen metrischen Zusa11l11len­hang zu; in dem Sinne, daB bei gegebener Drehungsgruppe in Po immer noch ein solcher metrischer Zusammenhang von Po mit den Punkten P

*) Obschon auch er, wie sich hemach zeigen wird, iiberall von der gleichen Art ist.

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Das metrische Kontinuum.

seiner Umgebung moglich ist, bei welchem die Formel (72) ein System kongruenter Verpfianzungen nach diesen Nachbarpunkten darstellt bei be­lie big vorgegebenen Zahlen Air.

Die zweite, tiber die bloBe Begriffsanalyse hinausgehende Forderung, welche wir aufstellen, betrifft die Beziehung, welche zwischen kongruenter Verpfianzung und Parallelverschiebung besteht; sie ist identisch mit jenem Sachverhalt, den wir oben als Fundamentalsatz der Infinitesimalgeometrie ausgesprochen hatten, und besagt: Welche quantitative Bestimmtheit auch der nach I. an sich freie metrische Zusammenh,ang haben mag - wenn er einmal fixiert ist, gibt es unter den moglichen Systemen von Parallel­verschiebungen ein einziges, welches zugleich ein System kongruenter Verp.flan­zungen ist. Unter den infinitesimalen kongruenten Verpfianzungen des Vektorkorpers in Po nach einem beliebigen Nachbarpunkte P ist also eine ausgezeichnet, die Translation, welche mit der Identitat zusammenfallt, wenn P = Po ist. Wir drticken diese Forderung auch. kurz so aus:

II. Der metri,sche Zusammenhang bestimmt eindeutz'g den affinen. Unsere Forderungen enthalten gewisse invariante, vom Koordinaten­

system unabhangige Aussagen tiber das System der infinitesimalen Dre-: hungen im Punkte Po. Zu beweisen ist, daB aus ihnen die Existenz einer nichtausgearteten quadratischen Form folgt, welche bei den infinitesimalen Drehungen ungeandert bleibt. Tatsachlich ist es mir gelungen, den Be­weis fUr diesen gruppentheoretischen Satz zu erbringen; ich erblicke in seiner Gtiltigkeit eine Bestatigung der hier vertretenen Gedankeneinstellung zum Raumproblem durch die Logik. Die Wiedergabe des sehr kompli-

3 zierten Beweises wtirde uns aber hier viel zu weit fUhren 1 9).

Ich mache lieber zum SchluB noch auf zwei Punkte aufmerksam. Erstens: es steht mit dem Axiom I, wie wir sahen, keineswegs im Wider­spruch, daB nach II nicht nur die Metrik, sondern auch der metrische Zusammenhang an jeder Stelle von der gleichen Art ist - namlich von der einfachsten, die tiberhaupt denkmoglich ist: zu jedem Punkt gibt es ein geodatisches Koordinatensystem derart, daB der Transport aller Vek­toren daselbst mit ungeanderten Komponenten an eine Nachbarstelle stets eine kongruentt;, Verpfianzung ist. Zweitens: trifft unsere Analyse das Rich­tige, so wird der ausgezeichnete Charakter der Pythagoreischen Metrik erst dadurch verstandlich, daB wir uns die Orientierung, die quantitative Bestimmtheit und Zusammenkntipfung der Metriken in den verschiedenen Punkten als frei veriinderlich denken und nicht von vornherein jene be­sondere Verkntipfung als starr gegeben annehmen, welche fUr die Eukli­disclie Ferngeometrie charakteristisch ist. »Naturc und »Orientierung< trennen sich dabei so, daB die Pi und die gik frei veranderlich sind unter der einen Einschrankung, daB die quadratische Form mit den Koeffi­zienten gik llicht-ausgeartet ist und den durch die Natur des Raumes vor­geschriebenen Tragheitsindex besitzt.

Die im II. Kap. angestellten Untersuchungen tiber den Raum schein en mir ein gutes Beispiel fUr die von der phanomenologischen Philosophie

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§ 20. Das Galileische Relativitiitsprinzip.

(Husserl) angestrebte Wesensanalyse zu sein; ein Beispiel, das typisch ist flir solche Fiille, wo es sich urn nicht-immanente Wesen handelt. Wir sehen da an der historischen Entwicklung des Raumproblems, wie schwer es uns in der Wirklichkeit befangenen Menschen wird, das Entscheidende zu treffen. Eine lange mathematische Entwicklung, die groBe Entfaltung der geometrischen Studien von Euklid bis Riemann, die physikalische Dnrch­dringnng der Natnr und ihrer Gesetze seit Galilei mit all ihren immer erneuerten AnstOJ3en aus der Empirie, endlich das Genie einzelner groBer Geister - Newton, GauJ3, Riemann, Einstein - war erforderlich, urn uns von den auJ3erlichen, zuHilligen, nicht wesenhaften Merkmalen loszu­reiBen, an denen wir sonst hangen geblieben waren. Freilich: ist einmal der wahre Standpunkt gewonnen, so geht der Vernunft ein Licht auf, und sie erkennt und anerkennt das ihr aus-sich-selbst-Verstandliche; den­noch hatte sie (wenn sie natlirlich auch in der ganzen Entwicklung des Problems immer :tdabei ware) nicht die Kraft, es mit einem Schlage zu dnrchschauen. Das muB der Ungeduld der Philosophen entgegengehalten werden, die da glauben, auf Grund eines einzigen Aktes exemplarischer Vergegenwartigung das Wesen adaquat beschreiben zu konnen; sie haben prinzipiell recht, menschlich aber so unrecht. Das Beispiel des Raumes' ist zugleich sehr lehrreich flir diejenige Frage der Phanomenologie, die mir die eigentlich entscheidende zu sein scheint: imvieweit die Abgrenzung der dem BewuJ3tsein aufgehenden Wesenheiten eine dem Reich des Ge­gebenen selbst eigentlimliche Struktur zum Ausdruck bringt und inwieweit an ihr bloBe Konvention beteiligt ist.

III. Kapitel

Relativitat von Raum und Zeit.

§ 20. Das Galileische Relativitatsprinzip.

Schon in der Einleitung ist besprochen worden, in welcher Weise wir mittels einer Uhr die Zeit messen und nach Wahl eines beliebigen Anfangspunktes in der Zeit und einer Zeiteinheit jeden Zeitpunkt dnrch eine Zahl t charakterisieren konnen. Aber in der Verbindung von Raum und Zeit liegen neue schwierige Probleme, welche den Gegenstand der Relativitatstheorie bilden; ihre Losung, eine der groBten Taten der mensch­lichen Geistesgeschichte, knlipft sich vor allem an die Namen Kopernikus und Einstein I).

Flir die Zeit konnen willkiirlich angenommen werden: der Anfangs­punkt der Zeitrechnung und die Zeiteinheit. Andert man den einen oder die andere ab, so andert sich die Zeitkoordinate t eines beliebigen Zeit­punktes nach der Transformationsformel

(I) t = t' + a; bzw. t = at' (a und a Konstante, a> 0).


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