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Qualitätsstandards in der Jugendwohlfahrt Österreich aus ...¶ffler.pdf · 29 QFD – Quality...

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Hubert Löffler, Dachverband Österreichischer Jugendwohlfahrtseinrichtungen (DÖJ), GF der IfS- Familienarbeit Vorarlberg (e-mail: [email protected] ) Referat bei der 17. Arbeitstagung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (IAGJ) vom 10.-15. Oktober 2010 in Pörtschach (Kärnten) Qualitätsstandards in der Jugendwohlfahrt Österreich aus Sicht der freien Träger Freiheit, Zwang oder Mitverantwortung der Beteiligten Teil I: Einleitung Ich möchte den Rapp eines 17-jährigen Burschen einer Jugendhilfeeinrichtung in Vorarlberg an den Beginn meiner Ausführungen stellen. Er schrieb den Text in einer ausweglosen Zeit ohne Perspektive und präsentierte ihn bei einer Weihnachtsfeier der Wohngemeinschaft. Kaum war ich geboren, hab ich schon verloren ich kam zur Welt mit schlechten Karten ohne Geld hatte niemals etwas zu erwarten so ein Schmerz in meiner Brust vor lauter Frust mein Herz ist wund wie die Pfoten eines streunenden Hunds mir ist kalt, ich hab keinen Halt Das Leben ist ein Bumerang es kommt zurück und dann fängt es wieder von vorne an wie es begann Das Leben ist ein Bumerang Das ist eine typische Stimmung bzw. Situation eines Jugendhilfe-Klienten. Zum Verhalten der Jugendlichen in dieser Gruppe befragt, äußerte sich die sozialpädagogische Betreuerin so: Es wird geklaut, gelogen, Schule geschwänzt, Regeln missachtet; sie sind abgängig, gewaltbereit oder auch gewalttätig, wollen sich von den „blöden Betreuern“ sicher nichts sagen lassen, schließlich ist das ihr Leben und das geht niemanden was an…hat sich ja bis jetzt auch keiner darum gekümmert…!“ In diesem schwierigen Kontext findet die Arbeit in der Jugendhilfe häufig statt.
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Hubert Löffler, Dachverband Österreichischer Jugendwohlfahrtseinrichtungen (DÖJ), GF der IfS-Familienarbeit Vorarlberg (e-mail: [email protected] )

Referat bei der 17. Arbeitstagung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe

(IAGJ) vom 10.-15. Oktober 2010 in Pörtschach (Kärnten)

Qualitätsstandards in der Jugendwohlfahrt Österreich aus Sicht der

freien Träger

Freiheit, Zwang oder Mitverantwortung der Beteiligten

Teil I:

Einleitung Ich möchte den Rapp eines 17-jährigen Burschen einer Jugendhilfeeinrichtung in Vorarlberg an den Beginn meiner Ausführungen stellen. Er schrieb den Text in einer ausweglosen Zeit ohne Perspektive und präsentierte ihn bei einer Weihnachtsfeier der Wohngemeinschaft. Kaum war ich geboren, hab ich schon verloren ich kam zur Welt mit schlechten Karten – ohne Geld hatte niemals etwas zu erwarten … so ein Schmerz in meiner Brust vor lauter Frust mein Herz ist wund wie die Pfoten eines streunenden Hunds mir ist kalt, ich hab keinen Halt Das Leben ist ein Bumerang es kommt zurück und dann fängt es wieder von vorne an wie es begann Das Leben ist ein Bumerang Das ist eine typische Stimmung bzw. Situation eines Jugendhilfe-Klienten. Zum Verhalten der Jugendlichen in dieser Gruppe befragt, äußerte sich die sozialpädagogische Betreuerin so: „Es wird geklaut, gelogen, Schule geschwänzt, Regeln missachtet; sie sind abgängig, gewaltbereit oder auch gewalttätig, wollen sich von den „blöden Betreuern“ sicher nichts sagen lassen, schließlich ist das ihr Leben und das geht niemanden was an…hat sich ja bis jetzt auch keiner darum gekümmert…!“ In diesem schwierigen Kontext findet die Arbeit in der Jugendhilfe häufig statt.

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Ich stelle dieses Bild aus der Praxis bewusst an den Beginn meiner Ausführungen, um allzu theoretische Ansprüche, die an Qualität in unserem Berufsfeld gesetzt werden, zu relativieren. Die Arbeitsqualität im der Jugendhilfe hängt nicht nur von den Rahmenbedingungen und der Ausbildung der MitarbeiterInnen ab, sondern ganz wesentlich – einige sagen sogar zum überwiegenenden Teil - von der Persönlichkeit und der Fähigkeit zur Beziehungsgestaltung der MitarbeiterInnen: Bereiche, die nur schwer in Qualitätsstandards beschrieben und noch weniger kontrolliert werden können. Trotzdem: Es ist sinnvoll, über jenen Teil - den beschreibbaren und kognitiv gestaltbaren - nachzudenken und zu berichten. Ich will nur, dass der Blick hinter die Kulissen methodischer Arbeit während meines Referates aufrecht bleibt, wodurch die theoretischen Ansprüche an unsere Tätigkeit immer schon relativiert werden.

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Die zunehmende Bedeutung der Qualität in Jugendhilfebereich Der Jugendhilfebereich ist – dies gilt vermutlich für alle hier vertretenen Länder - in einem kontinuierlichen Umgestaltungsprozess: Denn er muss sich laufend den wandelnden gesellschaftlichen, gesetzlichen und ökonomischen Bedingungen anpassen. Einige Beispiele für den Wandel:

Das soziale und gesellschaftliche Umfeld, in dem die Jugendhilfe heute stattfindet, ist komplizierter geworden, die Anforderungen sind spürbar angewachsen z.B.

o wegen der beachtliche kulturellen Diversität (Migration) o durch die neuen Formen von Armut o durch die strukturelle Arbeitslosigkeit o durch die kontinuierlich steigende Zahl von Ehescheidungen o durch eine allseits spürbare Verunsicherung, was denn nun ein

„richtiger“ Erziehungsstil in der heutigen Zeit sei o durch die tendenzielle Überforderung von Eltern und Kindern in einer

Welt, die mehr Selbstständigkeit einfordert o durch den Anstieg von psychischen Erkrankungen bei Eltern und

Kindern

Auch von innen her ist die Qualität im Jugendhilfebereich wichtiger geworden

o weil sich der Jugendhilfebereich – wie der gesamte Sozialbereich - zunehmend professionalisiert. Die Jugendhilfe muss sich daher auch vermehrt der Diskussion über die Qualität ihrer Praxis stellen!

o Ein andere Grund für das hohe Gewicht der Qualität in der Jugendhilfe: In kaum einem anderen Handlungsfeld muss man biografisch so weitreichende Entscheidungen für die KlientInnen, die Kinder und Jugendlichen treffen. Deshalb wird es zu Recht als professionelle Pflicht gesehen, diese folgenschweren Entscheidungen auf eine solide fachliche Basis zu stellen.

o Und darüber hinaus spielen auch die restriktive Budgetansätze

insbesondere seit der Finanzkrise eine Rolle: Die Sparmaßnahmen haben die Qualitätsdiskussion besonders angeheizt, und zwar mit der Frage: „Was ist die beste Qualität bei geringsten Kosten?“

Auf diesen letzten Aspekt bezieht sich z.B. die deutsche Bundesarbeitsgruppe für „Qualität in der Profession Soziale Arbeit“, wenn sie wörtlich schreiben:

„Die Einführung von Qualitätsentwicklungssystemen hat mehr mit den weltweiten politischen und ökonomischen Interessen an möglichst geringen sozialen Kosten zu tun als mit der Güte von sozialer Arbeit. Nicht zuletzt ist die laufende Qualitätsdiskussion ein Ergebnis eines immer stärker werdenden Einflusses der Wirtschaft auf die Politik und ein Zurückgehen des Einflusses des Sozialen. Die Ursachen liegen in der dramatischen Veränderung, die mit

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der Konstruktion der Globalisierung einhergehen und zu einer weltweiten Verschlechterung der sozialen Situation vieler Menschen und dem wachsenden Auseinanderklaffen der Schere zwischen Armut und Reichtum führen“

Ich weiß zwar nicht genau, welche Motive das Thema Qualitätsstandards bei unserer Veranstaltung auf die Tagesordnung gebracht haben, aber - Sie sehen - das Thema liegt durchaus im Trend. Die Qualität der Jugendhilfearbeit zu betrachten, zu beschreiben und über Austausch und Vernetzung weiter zu entwickeln ist sicher ein – wenn nicht ohnehin das zentrale Anliegen solcher Treffen, wie wir sie hier haben.

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Die Qualität sozialer Dienstleistungen allgemein Ich möchte nun noch einige allgemeine Bemerkungen zur Qualitätsdiskussion im Sozialbereich machen: Das Thema rund um Instrumente und Methoden der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung im sozialen Bereich wird in der Literatur breit aber auch sehr kontrovers diskutiert. Die Meinungen gehen von der absoluten Ablehnung der Qualitätsmessung in der Sozialarbeit bis hin zur Übernahme von z.B. der ISO-Normenreihe. Von der EQUAL Entwicklungspartnerschaft mit dem Namen „DONAU – QUALITY IN INCLUSION“, ein Projekt der Fachhochschule St. Pölten1 wurde diese Qualitätsdiskussion ausführlich berichtet und zusammenfassend dargestellt. Man kann davon ausgehen, dass Qualität von den Akteuren im Jugendhilfebereich immer schon als wichtig angesehen wurde: Schlüsselbegriffe dazu sind: Supervision, Intervision, Evaluation. Und es gibt eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Qualitätsdiskussion in der Jugendhilfe: Zuerst gab es hauptsächlich die

selbstevaluierte Fallreflexion,

dann kamen dokumentierte, empirische Erfassungen von Ergebnissen der Einzelfallarbeit dazu

und inzwischen gibt es immer häufiger Qualitätsmanagementsysteme, die auf die gesamte Organisation bezogen sind.

Die Qualitätsmanagementsysteme befassen sich mit:

o Organisations- und Kommunikationsstrukturen, o mit den Zielen und Aufgaben, o mit den Arbeitsbedingungen und Arbeitsprozessen, o und mit Außenkontakten und Kooperationsbezügen

Es gibt mittlerweile eine solche Fülle unterschiedlichster Qualitätsmanagement-Angebote auf dem Markt, dass es selbst für Insider schwierig geworden ist, sich darin zurechtzufinden. Donau - Quality in Inclusion führt in ihrem Inhaltsverzeichnis folgende 43 Systeme an: lesen Sie selbst! 1 Instrumente/Methoden 1 AQUA-(FUD/FED) 2 Balanced Scorecard (BSC) oder auch Balanced Score Card. 3 Benchmarking 4 Berufsregister 1 Prof. (FH) Dr. Tom Schmid, SFS Wien,Mag.a (FH) Martina Meusburger, FH St. Pölten: „Instrumente

und Methoden der Qualitätssicherung/-entwicklung und ihre Relevanz in sozialen Dienstleistungsbetrieben (2006)

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5 Best Practice 6 Beschwerdemanagement 7 Citizen Charter 8 (CIT) Critical-Incident-Technik 9 DIN EN ISO 9000 ff + Zertifizierung 10 EFQM – European Foundation of Quality Management + Qualitätspreis 11 Evaluation 12 Führung durch Zielvereinbahrung 13 GMB-Verfahren „Haisch-Modell“ 14 KES-R – Kindergarten- Einschätzskala 15 Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) + Kainzen 16 Konzept QUI 17 Konzept Selbstbewertung des Qualitätsmanagements in der Jugendhilfe (SQ-J) 18 Kronberger Kreis, das Qualitätskonzept 19 Leitfaden zur Entwicklung von Qualitätsstandards für soziale Dienste Berlin 20 LEWO – Modell (LEbensqualität WOhnen) 21 Lörracher Qualitätskonzept für die Krankenhaussozialarbeit 22 MAL – Münchner Analyse- und Lernsystem 23 MBNQA – Malcom Baldrige National Quality Award 24 „Münchner Modell“ 25 Neue Steuerung 26 New Public Management/Neue Steuerungsmodelle 27 Performance + Quality Compass 28 QAP – Qualität als Prozess 29 QFD – Quality Function Deployment – House of Quality 30 Qualität als Aushandlungsprozess 31 Qualitäts-Chek – PQ-Sys plus + Paritätisches Gütesiegel 32 Qualitäts-Management-Informationssystem (Q-MIS) 33 Service Assessment (Orientierung EFQM, kurz: Serv. As) – Servicequalität 34 Silent/Mystery Shopper 35 Speyrer Qualitätswettbewerb für öffentliche Verwaltung 36 Stakeholder Management 37 SYLQUE – Modell (System der Leistungsbeschreibung, Qualitätsbeschreibung, Qualitätsprüfung als Grundlage für ein Qualitätsmanagement 38 TQM – Total Quality Management 39 TVM – Total Value Management 40 Vergleich: DIN EN ISO 9000 ff und EFQM 41 WANJA-Instrumentarium zur Qualitätsentwicklung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit 42 „Wege zur Qualität“ 43 Das 2Q-System (Qualität und Qualifizierung) Auch wenn mehrere dieser Ansatze bestimmt Nützliches für die Praxis der Jugendhilfe gebracht haben und weiter bringen werden, so bleibt bei vielen PraktikerInnen, mit denen ich darüber geredet habe, und bei mir selbst doch ein gewisser Vorbehalt bestehen: Ich werde zeigen, dass die Qualität im Jugendhilfebereich sehr komplex ist, noch viel komplexer als in manchen anderen sozialen Arbeitsfeldern.

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Die soziale Dienstleistung allgemein funktioniert schon deutlich anders als die industrielle Herstellung eines Produktes, von wo die Qualitätsmanagementsysteme ihren Ausgang nahmen. Produkte, die man lagern, verschicken und wenn sie nicht mehr gebraucht werden oder bei der Produktion Fehler aufgetreten sind, dann einfach weg werfen kann. Natürlich hat man das Qualitätsmanagement inzwischen an den Bereich von Dienstleistungen angepasst. Aber hat man dabei auch an folgende Dienstleitungen gedacht? Ich zitiere eine SozialarbeiterIn aus Wien (aus Konrad Hofer: „Aus dem sozialpädagogischen Berufsalltag“) „Ich bin auch für Jugendliche verantwortlich, die alleine in einer eigenen Wohnung leben, weil sie in Wohngruppen von Heimen oder Wohngemeinschaften nicht integriert werden können. Immer, wenn es irgendwelche Delikte gibt, bin ich als Sozialarbeiterin involviert. Oft geht es dabei ums Geld. Der Jugendliche hat z.B. die Arbeit verloren und er braucht Kleidung. Meist haben die jungen Männer und Frauen mehrere Probleme, das sind: Suchtgift, Gewalt, die Frauen werden schwanger, kriegen Kinder, dann stellt sich die Frage: wie wird das mit der Betreuung der Kleinkinder funktionieren? Wie wird das gehen? Finanziell ist es ja meist relativ eng für diese Jugendlichen. Alle diese Themen kommen auf Dich zu, und wenn Du zu viel hast von diesen Problemen, dann geht das irgendwann nicht mehr.“ In der Sozialarbeit allgemein und im täglichen Geschäft der Jugendhilfearbeit erst recht geht es immer um Menschen und Beziehungen. Beziehungsarbeit ist einer der wichtigsten Bestandteile der Dienstleistung. Jede Beschreibung und Definition von Beziehungsarbeit ist in Gefahr, zum Artefakt zu werden: weil die vielen Nuancen und Bedingungen erfolgreicher Beziehungsarbeit kaum beschrieben werden können. Eine Reduzierung auf ein paar allgemein gültige Kriterien wird der Komplexität der menschlichen Persönlichkeit und der Komplexität des Alltags z.B. in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung nicht gerecht. Zumindest gibt es auf der Ebene der Beziehungsgestaltung Qualitätskriterien, die nicht messbar sind wie z.B. Verbindlichkeit, Engagement und Verantwortungsbewusstsein von MitarbeiterInnen. Auch der Umgang mit vielen Unsicherheiten ist ein Wesensmerkmal dieses Feldes. Wer weiß schon, wie sich ein Kind entwickeln wird, wie es auf ein Angebot reagieren wird und was es daraus macht? Oder wie die Eltern sich entwickeln werden? „Wird“ z.B. „der dritte Drogenentwöhnungsversuch nun von Erfolg gekrönt sein und soll man das Kind diesem Risiko aussetzten oder gleich fremd unterbringen?“ Und es gilt grundsätzlich: das Gelingen von sozialer Arbeit hängt auch vom Wollen und Mitmachen des Gegenübers ab. Jede noch so hoch professionelle und qualifizierte Arbeit kann grundsätzlich auch misslingen und auch Unzufriedenheit bei der sog. „KundIn“ nach sich ziehen - gerade weil sie qualifiziert durchgeführt wurde. Es ist auch nicht das Ziel und die Aufgabe der Jugendhilfe-Arbeit, „KundInnen“ zu binden, so wie es häufig der KundInnenfokus in der Qualitätsmanagement-Debatte von Dienstleistungen angestrebt wird. Und es wird noch komplizierter mit der Qualität bei sozialen Dienstleistungen:

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Es gibt ja nicht nur die KundInnen. Und nicht nur ihre Bewertung spielt eine Rolle. Da gibt es ja auch noch die AuftraggeberInnen: auch die Zufriedenheit der AuftraggeberInnen spielt für die Definition der Qualität eine Rolle. Und auch die Zufriedenheit derjenigen, die diese Leistung professionell erbringen – nämlich der MitarbeiterInnen - entscheidet darüber, ob und in welchem Umfang einer Dienstleistung Qualität attestiert wird. Denn Qualitätsstandards sind – und darüber herrscht weitgehend Konsens in der Qualitätsdiskussion - das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses und sind nicht ohne wechselseitige Verständigung zumindest dieser drei Beteiligten möglich:

der KlientInnen,

der Träger mit ihren MitarbeiterInnen

und der öffentlichen AuftraggeberInnen. Dieser hohen Komplexität des Begriffes „Qualitätsstandards“ sollten wir uns bewusst bleiben, wenn wir über Qualitätsstandards in der Jugendhilfe reden.

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Die speziellen Anforderungen an Qualität im Jugendhilfebereich Für die Qualität im Jugendhilfebereich gibt es zusätzliche und ganz spezielle Anforderungen: Es gibt eine Reihe von Merkmalen, die für viele Tätigkeiten im Jugendhilfebereich charakteristisch sind und die eine Qualitätsdefinition noch schwieriger machen:

Unfreiwilligkeit: sowohl im stationären als auch im ambulanten Dienstleistungsbereichen der Jugendhilfe ist die Inanspruchnahme der Hilfe durch die KlientInnen häufig nicht freiwillig bzw. nur scheinfreiwillig. Von daher kann z.B. die Qualität nur sehr bedingt mit der Kundenzufriedenheit in Beziehung gebracht werden.

Fremdbestimmte Problemkonstruktionen: Die MelderIn (z.B. Schule/getrennter Elternteil), die Jugendhilfe-MitarbeiterIn und die Klientin haben häufig unterschiedliche Problemdefinitionen, unterschiedliche Zieldefinitionen und unterschiedliche Lösungsressourcen. An welchen Definitionen soll sich eine Qualitätsbeurteilung orientieren?

Schicht- und Machtgefälle zwischen Mitarbeitenden und KlientInnen: KlientInnen und DienstleisterInnen kommen häufig aus unterschiedlichen „Kulturen“. Die KlientInnen erwarten von Einrichtungen, die für sie zur privilegierten Welt gehören– bis zum Beweis des Gegenteils – erst einmal nichts oder eher nur Ungemach: Was ist Qualität, wenn vom sog. „Kunden“ gar nichts erwartet wird?

Widersprüchliche Rollen/Funktionen: die jeweiligen Rollen (z.B. Beratung und Wächteramt) wechseln z.T. innerhalb des gleichen Settings und sind nicht immer klar bestimmbar und bedingen unterschiedliches Handeln - ja sich sogar widersprechendes.

Settingerschwernis: z.B. wenn Interventionen im Herkunftsmilieu der KlientInnen stattfinden: Der äußere Rahmen für qualitätsvolles Arbeiten ist in der Wohnung der KlientIn nicht direkt beeinflussbar. (Ich denke öfters an einen meiner ersten Hausbesuche im Montafon: Während des Gespräches mit den Familien lief regelmäßig der Fernsehapparat, es kamen diverse Besucher und eines Abends stieß eine Kuh aus dem gegenüberliegenden Stall die Zimmertüre auf und stand im Wohnzimmer.

Für diese Charakteristika der Dienstleistungen in der Jugendwohlfahrt müssen spezielle Qualitätsdefinitionen überhaupt erst erarbeitet bzw. noch deutlich verfeinert werden.

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Zusammenfassung Teil I: Die Frage nach den richtigen Qualitätsstandards für die Dienstleistungen der Jugendhilfe erscheint trotz vieler vorhandener Qualitätsmanagementsysteme für soziale Dienstleistungen im allgemeinen noch keineswegs beantwortet. Selbst wenn wir uns einer Beantwortung nähern, müssen wir uns bewusst bleiben, dass die Antworten keine objektiven endgültigen Standards sein werden, sondern jeweils nur den aktuellen Aushandlungsprozess zwischen den beteiligen Akteuren, nämlich dem Dreieck Auftraggeber – freie Träger – KlientInnen auf dem Hintergrund der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse darstellen werden. Daraus ergibt sich die Aufforderung, diesen Aushandlungsprozess laufend voranzutreiben. Und alle drei beteiligten Akteure in diesen Prozess intensiv mit einzubinden. Zwischen zwei der Akteure - nämlich den freien Trägern und den KlientInnen - ist diese Aushandlung in einem beispielgebenden Prozess bezüglich der „Fremdunterbringung von Kindern“ in Quality 4 Children in den letzten Jahren durchgezogen worden (Ich werde später noch auf Qu4Ch zurückkommen). Aber was sagen die Jugendhilfe-Auftraggeber (Länder, Bundesländer) dazu? Sie sind zumindest in Österreich noch nicht am Aushandlungstisch. Qu4Ch hat auch Standards für die Jugendämter bei Fremdunterbringung festgelegt. Zwischen zwei anderen Akteuren, - nämlich den Auftraggebern und den freien Trägern – gibt es einen geschichtlich gewachsenen Aushandlungsprozess, der sich im bestehenden Regelwerk der der österreichischen Jugendhilfe niedergeschlagen hat. Einen, zwischen allen drei Akteuren gemeinsamen Aushandlungsprozess gibt es meines Erachtens überhaupt noch nicht. Überleitung zu Teil II: Im folgenden 2. Teil meines Referates möchte ich auf die konkreten Aushandlungsprozesse zwischen Auftraggebern und freien Trägern in Bezug auf Qualitätsstandards in Österreich zu sprechen kommen. Es sind dies Prozesse, die im Rahmen von Bundes-Gesetzgebungen aus Sicht der freien Träger relativ einseitig von den öffentlichen Auftraggebern festgelegt werden. Einseitig, d.h. nicht wirklich als Aushandlungsprozess mit den beiden anderen Beteiligten: den Trägern und den KlientInnen. Denn bereits beim „Streit“ innerhalb ihres eigenen Bereiches (zwischen Bund und Ländern) gehen die Anliegen der anderen Beteiligten fast vollständig verloren. Zu den Aushandlungsprozessen gehören insbesondere die Erstellung der Jugendhilfegesetzte der Länder sowie deren Verordnungen und Richtlinien und die Rahmen- und Leistungsverträge, die zwischen einzelnen freien Trägern und den Ländern errichtet werden.

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Teil II:

Aushandlungsprozesse für Qualitätsstandards in Österreich

Die Auftraggeber bestimmen in mehr oder weniger praktizierter Einbeziehung der freien Träger über die Qualitätsstandards in der Jugendhilfe entlang zweier Schienen, die eng miteinander verflochten sind.

Über Gesetze, Verordnungen, Richtlinien, Rahmenverträge etc.

Über Finanzierung bzw. Leistungsentgelte 1. Was also bestimmen 1. die Auftraggeber mit Hilfe von Gesetzen,

Verordnungen, Rahmenverträgen in Bezug auf die Qualität der Dienstleistungen:

Es gibt eine Reihe von Bundesgesetzen, die sich direkt oder indirekt auf die Jugendhilfetätigkeiten beziehen. Das wichtigste ist das

o Österreichische Jugendwohlfahrtsgesetz 1989 (Bundesgrundsatzgesetz): es regelt die Ziele, Aufgaben und das Leistungsspektrum der Jugendwohlfahrt in den wesentlichen Grundzügen

Wie sehr die freien Träger bei der Novellierung dieses Gesetztes 1989 mit einbezogen waren, entzieht sich meiner Kenntnis. Es wurden zumindest auch Träger eingeladen, eine Stellungnahme zum Entwurf abzugeben. Jedenfalls gab es damals noch keinen Dachverband der Einrichtungen. Bei der Erstellung des neuen Gesetzes wurden wir als Dachverband DÖJ in die vorbereitenden Arbeitsgruppen und zur Stellungnahme des 1. Entwurfes erfreulicherweise eingeladen. Zur Stellungnahme des 2. und 3. abgeänderten Entwurfes wurden wir und andere Träger allerdings nicht mehr eingeladen, obwohl – oder gerade weil – wesentliche Forderungen von uns inzwischen herausgestrichen wurden. Da das neue Gesetz nur wenige Chancen auf baldige Realisierung hat, gehe ich also vom bestehenden Bundesgesetz aus dem Jahre 1989 aus. Hier die wenigen Bestimmungen des Österreichischen Jugendwohlfahrtsgesetzes zur Qualität: Die eine Bestimmung sagt, dass es ausgebildete und geeignete Fachkräfte braucht und dass für Fortbildung und Supervision vorzusorgen ist. Die andere sagt, dass allgemein anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse einfließen müssen. Im § 7 wird geregelt, dass die gesellschaftlichen Entwicklungen und die Ergebnisse der Forschung zu berücksichtigen sind. Und dass man sich auch um die Einleitung entsprechender Forschungen zu bemühen habe.

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und im § 8 speziell zu den freien Trägern heißt es: dass freie Jugendwohlfahrtsträger dann herangezogen werden sollen, wenn sie das Wohl eines Minderjährigen besser und wirtschaftlicher als der öffentliche Träger gewährleisten. Stationäre Unterbringung beim freien Träger ist an ausreichende Anzahl von Fachkräften, geeignete Räumlichkeiten und wirtschaftliche Voraussetzungen für eine entsprechende Betreuung gebunden. Soviel und nicht mehr im Österreichischen Jugendwohlfahrtsgesetz des Bundes. Die Festlegung von Qualitätsstandards ist also nicht viel mehr als eine Aufzählung von wenigen Selbstverständlichkeiten.

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Die Ausführungsgesetze der Länder zur Jugendhilfe, die dieses Grundsatzgesetz konkretisieren sollen, sind in Bezug auf die Qualitätsdefinitionen unterschiedlich. Ich nehme an, dass auch bei der Erstellung der Ländergesetze die freien Träger in sehr unterschiedlichem Ausmaß mitbeteiligt wurden. Da aber auch in den Ländern erst in den letzten 10 Jahren und nur vereinzelt Dachorganisationen bzw. Plattformen freier Träger existieren – und da freie Träger früher überhaupt mit wenigen Ausnahmen eine untergeordnete Rolle spielten - dürfte eine solche Einbeziehung früher nicht systematisch erfolgt sein. Der stationären Bereich (= „volle Erziehung“) z.B. wird in allen Bundesländern im Wesentlichen an folgende Kriterien geknüpft: 1. ein allgemein anerkanntes wissenschaftliches sozialpädagogisches Betreuungskonzept 2. qualifizierte Fachkräfte für die Leitung sowie für die Betreuung der Minderjährigen in ausreichender Zahl 3. Räumlichkeiten, die für die Erfüllung des Zweckes nach Lage, baulicher Ausstattung und Einrichtung geeignet sind und 4. wirtschaftliche Voraussetzungen, um eine Betreuung der Minderjährigen im Sinne der Jugendhilfe zu gewähren Die Ausführungsgesetze können ihrerseits durch allgemeine Verordnungen oder durch Richtlinien oder konkrete Rahmenvereinbarungen mit einzelnen Trägern näher konkretisiert werden. Ich beschränke ich mich auf 4 Beispiele:

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Beispiel Salzburg:

In Salzburg wird der stationäre Bereich der Jugendhilfe auf dem Verordnungsweg relativ klar geregelt und zwar durch die

o Salzburger Kinder- und Jugendwohlfahrtsordnung 1992, welche die Ziele, Aufgaben und das Leistungsspektrum der Salzburger Jugendwohlfahrt regelt und die

o Jugendwohlfahrts-Wohnformen-Verordnung, welche Bestimmungen enthält

über die Lage und die Ausstattung der Einrichtung, über die an das Personal zu stellenden Anforderungen, und die nähere Regelungen darüber enthält, welche Berechnungsgrundlagen bei der Festsetzung von Tagsätzen heranzuziehen sind. Für Sozialpädagogische Wohneinrichtungen ist z.B. dort geregelt, welche Ziele sie zu verfolgen haben, welche Leistungen sie bereit zu stellen haben, welche Altersgruppen sie in den verschiedenen Wohnformen betreuen dürfen, welchen Betreuungsschlüssel sie haben müssen etc.

Das Land Salzburg kontrolliert diese Qualität bei den freien Trägern. Es wird z.B. überprüft, ob die Arbeit dem Konzept entspricht, ob die Arbeit den wissenschaftlichen Standards entspricht, wie Qualitätssicherung erfolgt. Dazu wurde z.B. ein Fragebogen entwickelt, der die wesentlichen Merkmale einer guten Qualität abbilden soll: Folgende Kriterien einer guten Qualität wurden unter anderen festgelegt: Es braucht z.B.

ein konstantes Beziehungsangebot mit den Minderjährigen ist ein Erziehungsplan zu vereinbaren der Dienstplan ist beziehungsfreundlich zu gestalten Partizipation in der Erziehung ist wesentlich Der Umgang mit Geld muss gelernt werden Sexualität darf kein Tabuthema sein Intimsphäre und Würde müssen gewahrt bleiben usw.

Mit Hilfe eines detaillierten Fragebogens wird unter anderem die Einhaltung dieser Standards kontrolliert.

Der Fragebogen, richtet sich nicht nur an die Leitung der Einrichtung, sondern auch an die Jugendlichen und Kinder selbst: Der einzige mir in Österreich bekannte Ansatz, bei dem die Betroffenen wenigstens bei der Beurteilung der Qualität – wenn auch nicht bei der Erstellung der Qualitätskriterien – miteinbezogen werden. Die Qualitätsstandards werden also im Bundesland Salzburg im Verhältnis zu anderen Bundesländern von Seiten der Auftraggeber relativ konkret definiert. Über die Gestaltung dieses Prozesses und wie sehr die freien Träger hier mitreden konnten, wissen wir vom Dachverband aus wenig. Es ist uns nur aufgefallen, dass der Beitritt zum Dachverband mit Ängsten einzelner Einrichtungen einherging, ob ein solcher Beitritt ihrem Auftraggeber auch gefallen werde.

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Beispiel Vorarlberg:

In Vorarlberg werden im Ausführungsgesetz des Landes die Standards des Bundesgesetzes nur geringfügig erweitert: In den Grundsätzen für die Durchführung von Maßnahmen heißt es unter anderem

dass auf die Sprachzugehörigkeit des Minderjährigen und auf sein Religionsbekenntnis Bedacht zu nehmen ist,

dass die grundlegende Bedeutung der Familie für die Entfaltung des Minderjährigen zu beachten ist

dass die Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten und den Minderjährigen anzustreben ist. Nach Möglichkeit sind deren Wünsche zu berücksichtigen.

dass das gesellschaftliche Umfeld mit ein zu beziehen ist und wichtige soziale Beziehungen zu erhalten, zu stärken oder neu zu schaffen sind.

Die Sozialpolitik des Landes Vorarlberg ist schon immer sehr stark am Subsidiaritätsprinzip orientiert. Soziale Dienste wurden vorzüglich bei freien Trägern angesiedelt und das Personal im öffentlichen Dienst wurde entsprechend gering gehalten. So gab es im Jugendwohlfahrtbereich z.B. nie PsychologInnen im Landesdienst und auch keine SozialarbeiterInnen auf Landesebene, nur auf Bezirksebene. Die Sozialarbeitsstellen in den Jugendämtern sind knapp bemessen. Den freien Trägern wurden aber nicht nur viele Aufgaben zugeteilt, es wurde ihnen auch ein großer Gestaltungsspielraum bei ihren Aufgaben und relativ großzügige Budgetmittel zugestanden. Und es wird auch eine enge Kooperation zwischen den Behörden und den freien Trägern gepflegt. Im Jugendhilfebereich z.B. wurden die Unterstützung der Erziehung nicht nur zur Gänze schon vor 25 Jahren an freie Träger übergeben. Mit der Übergabe der Aufgabe wurde den Trägern auch ein so hoher Gestaltungsspielraum eingeräumt, wie er in keinem anderen Bundesland üblich ist: Die Falldauer, die Stundenzahl pro Fall, die gesetzten Interventionen, die Profession der BeraterIn und vieles mehr geht in die Verantwortung des freien Trägers über. Solange sich der freie Träger nicht selbst wieder an die BH wendet, bleibt die weitere Fallverantwortung beim freien Träger bis er sie wieder zurückgibt oder den Fall abschließt. Natürlich sind auch Rahmenbedingungen vereinbart wie z.B. dass freie Träger so und so viele Fälle pro Jahr übernehmen müssen, dass sie bis zu jener Tangente Stunden verrechnen dürfen, dass Maßnahmenänderungen (z.B. von Unterstützung zu vollen Erziehung ) nur durch die Jugendhilfe erfolgen können, welche Berufsqualifikationen wir verwenden dürfen, welche Mindestberichtspflichten bestehen usw. Die Qualitätsentwicklung und die Qualitätssicherung ist aber primär eine Aufgabe des freien Trägers. Aufgaben zu übernehmen mit entsprechendem Gestaltungsspielraum führte in Vorarlberg dazu, dass von den freien Trägern der Jugendhilfe auch mehr Mitverantwortung übernommen wurde, wie ich dies am konkreten Beispiel im Teil III erläutern werde.

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Beispiel Kärnten

Im Kärntner Landesgesetz zur Jugendwohlfahrt werden überhaupt keine zusätzlichen Qualitätserfordernisse definiert. Es gibt eine 20 Jahre alte Leistungsbeschreibung, in der Betreuungsformen und Leistungskategorien bestimmt werden, aber keinerlei Qualitätsstandards definiert werden. Eine sog. Normkostenabrechnung regelt formal die Tag- und Stundensätze. Diese können einerseits über diverse Zusatzposten wie z.B. für therapeutische Leistungen, Gesundheitsbehelfe etc. ergänzt werden, aber andererseits scheinbar doch wieder zwischen den einzelnen Trägern und dem Land individuell verhandelt und anders als in der Richtlinie vorgesehen festgesetzt werden: so schwanken dann tatsächlich die Tagsätze z.B. für betreutes Wohnen zwischen 57,- und 118,- €. Als einzige Qualitätsfestlegung durch den Auftraggeber Kärnten fungiert das eingereichte Konzept der jeweiligen Einrichtung. Die Kooperation zwischen Land und freien Trägern scheint jedoch gering zu sein. Die Situation für die privaten Träger ist im Moment besonders prekär, weil z.B. jede Maßnahme der vollen Erziehung, also Zuweisung zu einer stationären Unterbringung bei einem freien Träger direkt über den Tisch des zuständigen Landesrates gehen muss, was unerträglich lange Wartezeiten verursacht. Außerdem wird die Entscheidung monitär anstatt fachlich bestimmt. Alleine die rechtliche Möglichkeit, die Leistungen an die freien Träger erst drei Monate im Nachhinein zu bezahlen, - womit offen gedroht wird - gibt dem Auftraggeber „Land“ ein hohes Druckpotential. Manche Einrichtungen müssten zusperren, wenn dies umgesetzt würde. Der Aushandlungsprozess in Bezug auf Qualitätsstandards in der Jugendhilfe scheint, sofern er überhaupt früher konstruktiv stattgefunden hat, zur Zeit jedenfalls in einer Sackgasse.

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Beispiel Steiermark

In der Steiermark werden im Landesjugendwohlfahrtsgesetz ausführlichere Qualitätserfordernisse für die öffentliche und private Jugendhilfe festgelegt Die Landesregierung selbst verpflichtet sich, alle 5 Jahre einen Landesjugendwohlfahrtsplan zu erstellen. Dieser hat die gesellschaftlichen Entwicklungen, Bevölkerungsentwicklungen aber auch geschlechtsspezifische Bedürfnisse zu berücksichtigen. Außerdem hat sie eine Leistungs- und Entgeltverordnung zu erlassen, die auch Maßnahmen der Qualitätssicherung und des Controllings enthalten müssen. Ein besonders detailliert ausgeführtes Qualitätskonzept wurde in der Steiermark vom Magistrat der Stadt Graz erarbeitet und ist bei uns unter dem „Grazer Qualitätskatalog“ bekannt. Es orientiert sich am Qualitätskonzept des Kronberger Kreises: Im Grazer Qualitätskatalog werden 19 Programm- und Prozessqualitäten formuliert:

Die ersten Qualitätsstandards sprechen die Öffnung der Zugänge im Vorfeld der Hilfe, frühe Hilfen, den Umgang mit Fremdmeldern und die Arbeit mit unfreiwilligen KlientInnen an.

Dann werden das Fall- und Unterstützungsmanagement, Beratung, Hilfen in Krisensituationen und der Kinderschutz thematisiert. Qualitätsstandards finden sich auch zu Hilfen bei Trennung und Scheidung, Mobilen Hilfen zur Erziehung, Hilfen zur Erziehung außerhalb der Herkunftsfamilie, zur Arbeit mit Pflegefamilien und zur Adoptionsvermittlung.

Die letzen Standards des Qualitätskatalogs beziehen sich auf Sachverständigungsgutachten und Stellungnahmen, Aufgaben im Bereich Vormundschaft und Sachwalterschaft, Hilfen für unbegleitete ausländische Minderjährige, die Zusammenarbeit der Fachkräfte, Öffentlichkeitsarbeit und schließlich die Qualitätsförderung und Qualitätssicherung.

Im steirischen Landes-Jugendwohlfahrtsgesetz werden klare Qualitätsanforderungen an die öffentliche Jugendwohlfahrt gestellt wie z.B. das Erstellen eines speziellen Jugendwohlfahrtsplanes und das Erlassen einer Leistungs- und Entgeltordnung mit Maßnahmen der Qualitätssicherung und des Controllings. Diese Klarheit mag auch dazu geführt haben, dass es einen landesweiten Dachverband der Jugendwohlfahrtsträger gibt und einen Jugendwohlfahrtsbeirat. Dieser ist wichtiger und anerkannter Partner des Landes in Qualitätsfragen der Jugendwohlfahrt. In der Hauptstadt Graz wurde ein eigener, ausführlicher und lesenswerter Qualitätskatlog für die Jugendhilfe erstellt.

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Beispiel Oberösterreich

Oberösterreich hat seit 2 Jahren eine Richtlinie zur leistungs- und qualitätsorientierten Steuerung im Bereich der Erziehungshilfen. Schon in der Einleitung wird die Problematik von Qualitätsstandards direkt beim Namen genannt: „Denn wer Anforderungen an die Qualität festlegt, trifft indirekt auch Entscheidungen über Ressourcen, sodass die Ebene der Träger und der Bezirksverwaltungs-behörden stets mitberücksichtigt werden müssen. Die Aufgabenstellung (dieser Richtlinien) lautet daher, dass

Leistungen kundengerecht und in bestimmter Qualität angeboten werden und gleichzeitig berücksichtigt wird, dass

die finanziellen Ressourcen begrenzt sind und

Steuermittel wirtschaftlich eingesetzt werden müssen.“ Auf Grund der Fassung von Qualitätsstandards in Richtlinien, die rechtlich natürlich weniger bindend sind als Gesetze, Verordnungen und Verträge, ist es möglich, sehr vielleicht sogar zu sehr ins Detail zu gehen. In den Leitprinzipien wird eine wirkungsorientierte Evaluation eingefordert. Es müssen geschlechtsspezifische Entwicklungen bei den Kindern gefördert und klischeehafte Entwicklungen abgelehnt werden. Die Evaluierung hat im Dialog zwischen freiem Träger und Land unter Einbeziehung der Minderjährigen und Erziehungsberechtigten zu erfolgen. Das Qualitätsmanagement hat als aktiver Prozess zu erfolgen. Die Fachaufsicht wird grundsätzlich unangemeldet in Form von Lokalaugenscheinen durch Expertinnen der OÖ Landesregierung durchgeführt Bei den Standards im Personalbereich werden nicht nur das sozialpädagogische Fachpersonal sondern auch das Leitungspersonal, das hauswirtschaftliche Personal, das ergänzende Personal sowie das sonstige Fachpersonal genauer definiert. So ist z.B. festgelegt, dass die HaushälterIn in einem zeitlich begrenzten Umfang auch die Beaufsichtigung der Minderjährigen übernehmen kann. Es wird auch festgelegt, dass das sozialpädagogische Personal in einem Anstellungsverhältnis beim Träger stehen muss und mindestens 30 Wochenstunden betragen muss. Für Teambesprechungen sind pro Woche und Minderjährigen 20 Minuten zu kalkulieren. Die Standards für die Dokumentation legen z.B. eine Aufbewahrungsdauer von 30 Jahren für Kind- und evaluierungsrelevante Daten vor. Zu dokumentieren sind der Hilfeplan, die Betreuungsvereinbarung, die sozialpädagogische Anamnese, der Erziehungsplan, die Verlaufsgespräche, der Verlaufsbericht, Tagesjournal, Tagesbericht, Teamprotokolle, Besondere Vorkommnisse und Abschlussbericht. Für jede dieser Dokumentationen ist festgelegt, was, warum, wie und von wem zu dokumentieren ist. Diese Richtlinien wurden in Kooperation mit den Trägern erarbeitet. Im Moment ist man daran, denselben Prozess für die ambulanten Bereiche durchzuführen. Es kann von einem konstruktiven Aushandlungsprozess zwischen den beiden Partnern Auftraggeber und freie Träger ausgegangen werden. Dass eine derartige Konkretisierung und Detaillierung von Qualitätsmerkmalen jedoch eine besondere Motivation zur weiteren Mitgestaltung oder zur kreativen Neugestaltungen abgibt,

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bezweifle ich. Es dürfte eher die Verwaltungstendenzen als die Gestaltungstendenzen fördern. Beim Gestalten muss man gegen die Regelungen schwimmen, beim Verwalten kann man mit ihnen schwimmen! Es wird sehr davon abhängen, wie flexibel man in der Auslegung dieser Richtlinien in der Praxis ist und ob sie eher eine Behinderung als eine Förderung der Mitverantwortungsübernahme darstellen.

Ich fasse zusammen, wie in Österreich durch Gesetze, Verordnungen, und Rahmenverträge die Qualitätsstandards festgelegt werden: In Österreich sind die Qualitätsstandards, die den freien Trägern von den Auftraggebern Land über Gesetze und Verordnungen und Richtlinien auferlegt bzw. mit ihnen ausgehandelt sind, sehr unterschiedlich: während in einzelnen Bundesländern kaum gesetzliche Bestimmungen existieren, gehen diese in anderen sogar sehr ins Detail. Während in einzelnen Bundesländern die Mitbestimmungsräume bei Qualitätsstandards kaum gegeben sind, sind sie in anderen durchaus da. Während in einzelnen Bundesländern hohe Verantwortung an freie Träger übergeben wird, bleibt in anderen die Verantwortung ganz bei der Behörde. Ein indirekter, aber sehr wirksamer Einfluss auf die Qualitätsstandards geht von den finanziellen Rahmenbedingungen aus. Die Qualitätsbegrenzung über die Finanzierung und Leistungsentgelte Dass Qualitätsstandards eng an den Preis gekoppelt bzw. mit Kosten verknüpft sind, ist allen klar. Man denke nur an den Personalschlüssel bei stationärer Unterbringung. Personalknappheit kann die besten Qualitätsbemühungen zu Nichte machen. Nicht nur die wichtigen Personalressourcen, auch die Fortbildungsgelder, genug Zeit für die Leitung (Overhead), ein gutes Dokumentationssystem, geeignete Räumlichkeiten, Qualifizierungsmaßnahmen für die Organisation im Sinne eines Qualitätsmanagementsystems kosten Geld. Zur Bedeutung der Personalressourcen für die Qualität wieder ein kurzer Blick in die Praxis durch einen Sozialpädagogen: „Ein Jahr habe ich in der privaten Einrichtung gearbeitet, die besonders schwierige Kinder und Jugendliche zugeteilt bekommen hat. Dennoch musste ich auch dort allein mit 8 Kindern in der WG zurechtkommen. In meinem Team gab es ständig einen Personalwechsel, sodass ich mich über Wochen nur mit einem zweiten Kollegen bei den Diensten abwechseln konnte. Aber natürlich geht das nicht lange gut, denn wenn Du jeden zweiten Tag Dienst machst, kannst Du Dich nicht erholen. Obwohl wir nach einem Jahr wieder komplett gewesen sind, habe ich gespürt, dass es nicht mehr geht. Ich bin ungerecht den Kindern gegenüber geworden, war gereizt, wurde gleich laut, wenn ich mit ihnen geredet habe, das sind alles alarmierende Signale. So weit kommt es, wenn man nur zu zweit arbeitet, denn dann fällt auch die Supervision und das Teamgespräch flach und dann kannst du nicht mehr.“ Tag- und Stundensätze sind in Österreich bundesweit ohnehin nicht, aber auch innerhalb der einzelnen Bundesländer nur in zweien, nämlich in der Steiermark und

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in Salzburg, auf dem Verordnungsweg einheitlich festgesetzt. Denn der Leistungsaustausch zwischen Land und freien Träger ist privatrechtlicher Natur. Es gibt Rechtsgutachten, dass eine solche Festlegung gesetzeswidrig ist: In diesem Gutachten heißt es: „In grundrechtlicher Hinsicht stellen die auf das Entgelt bezogene Bescheid- und Verordnungsregelungen sowie Aufsichtsregelungen der Salzburger Ausführungsgesetzgebung Eingriffe in die verfassungsrechtlich gewährleistete Autonomie dar. … Eine derartige zwingende Verknüpfung privatwirtschaftlicher Maßnahmen mit hoheitlichen Maßnahmen ist – mit den Worten des Verfassungsgerichtshofes – vom System der Bundesverfassung nicht vorgesehen.“ (Raschauer) In den 7 anderen Bundesländern sind die Tag- und Stundensätze eine Frage der Verhandlungen der einzelnen Träger mit dem jeweiligen Auftraggeber Land. Die Ergebnisse dieser Verhandlungen werden von den Trägern teilweise auch geheim gehalten. Unterschiedlich ist alsdann auch der Umfang der Leistungen, die mit den Sätzen abgedeckt werden müssen. Manchmal gibt es für bestimmte Teilleistungen zusätzliche Entgelte. Und die Tag- und Stundensätze sind wiederum mit Personalschlüsseln, die wiederum zwischen einzelnen Bundesländern um 100% variieren können, im stationären Bereich bzw. mit zu bewältigenden Fallzahlen im ambulanten Bereich gekoppelt. Spätestens da wird es mit der Vergleichbarkeit und Transparenz der Leistungsentgelte zwischen den Trägern schon innerhalb eines Bundeslandes und erst recht zwischen den Bundesländern äußerst schwierig. Und das gilt dann auch für einen Vergleich der Qualitäten. Wenn man davon ausgeht, dass den Einrichtungen eine hohe Qualität ihrer Dienstleistungen grundsätzlich am Herzen liegt, dann ist es doch eine Frage der Stunden- und Tagsätze sowie der Personalschlüssel, welche Qualitätsstandards bei einem Träger tatsächlich umsetzbar sind. Über die Stundensätze, Personalschlüssel und KlientInnenzahlen werden also massive Grenzen für die Qualitätsstandards festgelegt. Der Aushandlungsprozess dieser Kennzahlen ist ein Aushandlungsprozess von Qualitätsstandards ohne als solcher deklariert zu sein. Die besten direkt ausgehandelten inhaltlichen Qualitätsstandards nützen nichts, wenn sie nicht durch das Budget abgedeckt sind. Der privatrechtliche Charakter dieses Aushandlungsprozesses führt zu einer hohen Intransparenz. Die Inhomogenität mit weitgehender Intransparenz dieser Kennzahlen behindert daher die Qualitätsdiskussion. Es ist nämlich wenig motivierend, über Qualitäten zu reden, die auf Grund der Kostensätze dann doch nicht einlösbar sind. Auch umgekehrt üben festgelegte Qualitätsstandards einen Druck auf diese Kennzahlen bzw. deren Finanzierung aus – Eine Angst, die aus dem zitierten Einleitungstext zu den oberösterreichischen Richtlinien deutlich zu entnehmen ist. Inhaltlich festgelegte Qualitätsstandards könnten die Leistungserbringer veranlassen, höhere Sätze zu verlangen. Besser hat man keine Standards, dann kann man auch nicht so leicht zur Kasse gebeten werden. Da nimmt man es sogar in Kauf, dass man ohne Standards die Qualität kaum kontrollieren kann.

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Der Jugendhilfe stehen glücklicherweise auch externe - national und international entwickelte - Qualitätsstandards zur Verfügung, bei denen sie Anleihen für die Weiterentwicklung ihrer Qualität nehmen kann. Auf zwei von diesen, die für stationäre Dienste entwickelt wurden - werde ich nun etwas genauer eingehen: Quality4children (2007) Quality4children hat es sich europaweit zur Aufgabe macht, qualitative Standards für die Fremdunterbringung von Kindern zu erarbeiten. Das Besondere: Dieser Prozess geschah unter systematischer Beteiligung der betroffenen Kinder und Eltern! Er wird von den drei internationalen Kinderbetreuungs-Organisationen FICE, IFCO und SOS-Kinderdörfer geleitet. Dieses Projekt, welches in 32 europäischen Ländern durchgeführt wird, basiert auf den UN-Kinderrechtskonventionen. Die 18 Kriterien beziehen sich auf die vier Phasen der Betreuung:

Entscheidungsfindung, Aufnahme, Betreuung und Betreuungsabschluss

Von den 18 Qualitätsstandards betreffen die folgenden 12 die freien Träger:

Standard 6 Der Betreuungsprozess während der Fremdunterbringung folgt einem individuellen Betreuungsplan

Standard 7 Die Unterbringung des Kindes berücksichtigt seine Bedürfnisse, seine Lebenssituation und sein ursprüngliches soziales Umfeld

Standard 8 Das Kind bleibt mit seiner Herkunftsfamilie in Kontakt

Standard 9 Die BetreuerInnen sind qualifiziert und haben adäquate Arbeitsbedingungen

Standard 10 Die Beziehung des/der Betreuer(s)/in zu dem Kind basiert auf Verständnis und Respekt

Standard 11 Das Kind wird befähigt, Entscheidungen aktiv mitzutreffen, die direkten Einfluss auf sein Leben haben

Standard 12 Das Kind wird in angemessenen Lebensverhältnissen betreut

Standard 13 Kinder mit speziellen Bedürfnissen werden adäquat betreut

Standard 14 Das Kind/der/die junge Erwachsene wird kontinuierlich auf ein selbstständiges Leben vorbereitet

Standard 15 Der Verselbständigungsprozess wird sorgfältig geplant und durchgeführt

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Standard 16 Die Kommunikation im Verselbständigungsprozess wird auf verständliche und angemessene Weise geführt

Standard 17 Das Kind/der/die junge Erwachsene wird befähigt, sich am Verselbständigungsprozess aktiv zu beteiligen

Standard 18 Nachbetreuung, kontinuierliche Unterstützung und Kontaktmöglichkeiten werden sichergestellt Zum letzten Punkt: Das heißt, dass auch die Ressourcen, die für die Nachbetreuung und kontinuierliche Unterstützung nötig sind, gewährleistet werden und dass sicher gestellt ist, dass das Kind die Möglichkeit hat, den Kontakt mit früheren BetreuerInnen und dem während der Fremdunterbringung relevanten emotionalen Netzwerk aufrechtzuerhalten. Gerade in diesem letzten Punkt sieht man wiederum, wie die Qualität von den finanziellen Ressourcen abhängig ist . Denn ab 18 Jahren gibt es hierzulande kaum noch finanzielle Leistungsabgeltung durch die öffentliche Hand.

Eine andere - Österreichische Initiative - wurde von der Fachhochschule St. Pölten 2007 gestartet: Quality in Inclusion Dieses Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, Qualitätskriterien und Standards in der Sozialarbeit im allgemeinen und in der Jugendhilfearbeit im besonderen zu erarbeiten. Dabei sind die Träger und die Behörden konkret mit einbezogen. Man wollte es den Auftraggebern erleichtern, qualitätsvolle Entscheidungen in Bezug auf Fremdunterbringungen zu treffen. Es gab eine Analyse des Gesamtprozesses von Fremdunterbringungen in Wohngemeinschaften und Heimen in Kooperation mit der behördlichen Jugendhilfe und Trägerorganisationen. Auch die Sichtweise der betroffenen Kinder und Jugendlichen selbst wurde mit einbezogen. Aufbauend auf diesem Wissen ist ein Leitfaden entwickelt worden, der die Einschätzung der Qualität von Fremdunterbringungen erleichtern soll. Bi diesen Bemühungen um Qualität im stationären Jugendhilfebereich wurde deutlich: Es werden als grundlegende Standards definiert:

ein schlüssiges Konzept regelmäßige Konzeptreflexionen verschriftlichte Prozessbeschreibungen regelmäßige Organisation von Fachtagungen Personalentwicklungsplan Multiprofessionaliät der Teams Angebotsvielfalt

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Zusätzlich wurden Fragen definiert, die zur Beurteilung der Qualität von Fremdunterbringung bei freien Trägern herangezogen werden könnten: Aus der Beantwortung der Fragen sollen sich mögliche Kriterien ergeben, nach denen sich künftige Beauftragungen und Tagsätze richten könnten. Denkbar ist z.B., Tagsätze zu erhöhen, wenn die Einrichtung im Zuge der Fremdunterbringung nachweist, dass die oben genannten Faktoren zutreffen. So könnten Anreize geschaffen werden, auch schwierige Fälle zu behalten und die fachliche Qualität kontinuierlich zu pflegen.

Übernimmt die Einrichtung selbst Verantwortung? z.B.: Werden Kinder nur selten von ihr ausgeschlossen; nimmt sie von sich aus Kontakt zu Verwandten des Kindes und zu anderen Bezugspersonen auf?

Ist das Unterstützungsangebot konstant, auch in Phasen des Konflikts?

Existiert ein System der Prozesskontrolle? z.B. Monitoring, Evaluation

Unternimmt die Einrichtung Anstrengungen zur Qualitätsentwicklung? z.B. Selbstüberprüfung anhand des Leitfadens

Hat die Einrichtung und haben die Kinder/Jugendlichen vielfältige Beziehungen zum Gemeinwesen?

Unterstützt die Einrichtung rechtzeitig die Verselbständigung von Jugendlichen bzw. die Sorge der Angehörigen um die Kinder/Jugendlichen?

Hält die Einrichtung auch über die Phase der vollen Erziehung hinaus Kontakt mit ihren ehemaligen Kindern / Jugendlichen?

Zusammenfassung Teil II In Österreich gibt es große regionale Unterschiede sowohl im Ergebnis als auch in den Prozessen, in denen Qualitätsstandards zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und den freien Trägern der Jugendhilfe ausgehandelt werden. Diese Unterschiede sind vermutlich schon in unterschiedlichen politischen Grundverständnissen begründet: Während die einen öffentlichen Stellen die Aufgaben der Jugendhilfe weitgehend selbst in die Hand nehmen und in der Hand behalten wollen und freie Träger nur mit großem Zögern heranziehen, wollen die anderen möglichst wenig selbst in der Hand behalten und freien Trägern möglichst viel Mitverantwortung zuteilen. Ein Beispiel für ersteres ist Wien, ein Beispiel für letzteres ist Vorarlberg. Da diese Grundausrichtung sich von Wahl zu Wahl ändern kann, gibt das in einigen Bundesländern einen Zickzackkurs, der auch auf die Qualitätsdiskussion in der Jugendhilfe durchschlägt. Schon in der Auffassung, wie viel in der Bundesgesetzgebung und wie viel in den Länder-Ausführungsgesetzen an qualitätsrelevanten Regelungen für Jugendhilfe festgeschrieben werden soll, scheiden sich die beiden „Philosophien“.

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Die Diskrepanz zwischen diesen beiden Bestrebungen wird insbesondere in letzter Zeit stark überlagert durch budgetäre Grabenkämpfe, in denen die Verantwortung für Qualitätsmaßnahmen und damit für ihre Finanzierung zwischen Bund und Ländern hin und hergeschoben wird. Nach dem Motto: „Wer anschafft, muss auch zahlen!“ oder auf die Qualität in der Jugendhilfe herunter gebrochen: „Wer Qualitäten will, muss auch dafür bezahlen!“ bzw. umgekehrt: „Wer keine Qualitäten will, kommt billiger!“ In diesem Sinn hat die Bundesregierung viele Qualitätsforderungen des geplanten neuen Gesetzes zurückgenommen, als die Länder den Konsultationsmechanismus einforderten, d.h. eine Regelung über die Kostenaufteilung verlangten. Der aktuelle Stand über die Qualitätsstandards in der österreichischen Jugendhilfe ist also der, dass einzelne Bundesländer kaum landesweite Qualitätsstandards definiert haben, andere sogar sehr detaillierte. Und dass zwei Bundesländer allgemein geregelte Kennzahlen für Leistungssätze haben, andere nur individuelle. Und dass einzelne Bundesländer die freien Träger stark in die Verantwortung mit einbinden, andere nur marginal. Auch der Aushandlungsprozess der Qualitätsstandards gestaltet sich in einem Spektrum zwischen Diktat, Laizefair-Stil und Partnerschaftlichkeit. Nach dem Motto „Geld regiert die Welt“ legen Grenzen für die Entwicklung und das Halten von Qualitätsstandards die finanziellen Ressourcen fest. So haben am ehesten große Einrichtungen wie Soziale Initiative, Pro Juventute, Jugend am Werk, Institut für Sozialdienste Vorarlberg etc. für sich selbst qualitative Standards in der Jugendhilfe definiert. Sie verfügen auch über zusätzliche Mittel durch Fundraising und/oder verfügen auf Grund breiter Geschäftsfelder über eine größere finanzielle Flexibilität. Das soll allerdings nicht heißen, dass kleinere Jugendhilfe-Einrichtungen nicht auch qualitativ hervorragend arbeiten können. Vielleicht erfüllen sie gerade ob ihrer unbürokratischen und persönlichen Struktur und des größeren Engagements die Anforderungen an die Qualität besser als große Einrichtungen, auch wenn sie ihre Standards nicht in aufwändigen Qualitätsentwicklungsprozessen verschriftlicht haben. Ich denke da z.B. an eine Wohngemeinschaft im Burgenland, in dem ein junges Ehepaar 15 Jugendamtskinder in einem familiären Setting nun schon über 10 Jahre ein Zuhause bietet, das auf Grund meiner Erfahrungen manche Kinder in ihren Familien nicht haben. Bevor ich nun zwei Einrichtungen der Jugendhilfe als praktische Beispiele vorstelle, möchte ich mit einer kritischen Analyse des Salzburger Universitätsprofessors Nicolaus Dimmel aus dem Bereich Politikwissenschaft und Rechtssoziologie den 2. Teil abschließen: Unter dem Titel „Riskante Informalität“ schreibt er über das österreichische Wohlfahrts-System: „…dass soziale Dienstleistungen in Österreich schwach institutionell verankert und im Kontext der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung nur rudimentär verrechtlicht sind. Diese opake, undurchsichtige vielfach in sich widersprüchliche Rechtssituation sozialer Dienstleistungsunternehmen bildet eine Voraussetzung für die spezifische Funktions- und Leistungsschwäche der sozialen Dienste vor allem in Hinblick auf deren Bestands- und Qualitätssicherung. … Es wird zu diskutieren sein, ob

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qualitätsbezogene Standards der Erbringung sozialer Dienste (etwa in Hinblick auf Personal, Zeitaufwand, Professionalität) einfachgesetzlich verankert werden können. … Gelegentlich ist auch die Rechtsposition der Erbringer sozialer Dienstleistungen gegenüber den öffentlichen Financiers äußerst schwach in Hinblick auf die Durchsetzung ihrer Leistungsinteressen, ihrer Planungssicherheit und mittelfristigen Bonität. Diese institutionelle Schwäche geht in besonderer Weise auf die marginale Positionierung Sozialer Dienste im rechtlich verankerten Leistungsspektrum der Wohlfahrt zurück. … Die Schieflage in der Verteilung von Machtpositionen im Wohlfahrtsdreieck (Financier, freier Träger, Klient) geht vor allem auf drei Kernsachverhalte des österreichischen Wohlfahrtsstaates zurück:

das Fehlen von Dachverbänden mit relevantem sozial- bzw. wohlfahrtsstaatlichem ‚voicing‘

die dünne Verrechtlichungsdecke sozialer Dienste als Leistungen im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung ohne individuellen Rechtsanspruch

die strukturelle, teilweise auch organisatorische …Nähe zwischen sozialpolitischen Eliten, politischen Parteien einerseits und den Eigentums- und Führungsverhältnissen in den großen Wohlfahrtsträgern andererseits“

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Als 3. Teil möchte ich beispielhaft zwei österreichische Jugendhilfe-Einrichtungen – eine ambulante und eine stationäre - im Hinblick auf ihr konkretes Qualitätsmanagement genauer vorstellen. Das eine Beispiel ist eine stationäre Einrichtung des SOS-Kinderdorfes in Wien und das andere die IfS-Familienarbeit in Vorarlberg – die ich als ihr Geschäftsführer besonders gut kenne.

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Teil III:

Zwei Beispiele für Qualitätsstandards Das integrierte SOS-Kinderdorf in der Stadt Wien, das im September 2006 eröffnet wurde.

Seit der Heimreform 2000 gab es in Wien bei den stationären Einrichtungen eine Öffnung für freie Träger. Mit Standort in der sozialpädagogischen Region II - Floridsdorf/Donaustadt wurde ein Modellprojekt eines neuen, urbanen SOS-Kinderdorfs für 40 bis 60 Kinder mit langfristiger Beheimatung sowie kurz- und mittelfristiger Betreuung organisiert. Es ist übrigens das erste neu gegründete Kinderdorf im Stammland Österreich seit 50 Jahren. Wiener Kinder sollten nicht in einem ländlichen Dorf angesiedelt werden, sondern in der vertrauten Umgebung der Großstadt aufwachsen. Sie leben wie tausende andere Kinder in einer Wohnsiedlung in der Stadt, gehen in die gleichen Kindergärten und Schulen wie die anderen Kinder, haben die gleichen Spielplätze, lernen die Gefahren und Chancen des Stadtlebens kennen, vom Verkehr angefangen bis zu den guten und weniger guten Angeboten an Beziehungen und Produkten. Sie müssen sich mit den Nachbarn und Behörden auseinandersetzen wie andere Kinder. Anstelle einer Konzentration der SOS-Angebote auf einem Standort, eben dem "Dorf", wird also eine volle urbane Integration gelebt. Die Kinder erfahren, dass es in ihrer Umgebung auch nicht nur heile Familien gibt, dass die Räume begrenzt sind, die Toleranz der anderen Menschen unvollkommen bis erbärmlich ist. Im Unterschied zu einem zweiten ähnlichen Modellprojekt des SOS-Kinderdorfes in Berlin, in dem mehr ambulante Dienste und Gemeinwesenarbeit in einem sozialen Brennpunkt mit 80% MigrantInnenanteil angeboten wird, wird in Wien wirklich eine normale urbane Familienstruktur für die betreuten Kinder zur Verfügung gestellt. Dazu wurden diverse Wohnungen in Wohnhausanlagen angemietet.

Es gibt 4 Wohn- bzw. Betreuungsformen:

SOS-Kinderdorffamilien und Kinderwohnen Kinderwohngruppen Jugendwohngruppen Betreutes Wohnen

Der Leiter sagte im Gespräch zu mir: „Wir sind ein Kinderdorf, aber wir haben kein Dorf“. Nun zu den Qualitätsstandards im SOS-Kinderdorf Wien: Der Fachbereich Pädagogik des SOS-Kinderdorfes erarbeitet gemeinsam mit den SOS-Einrichtungen Qualitätsstandards, die dann österreichweit gültig sind und deren Einhaltung regelmäßig von der Abteilung Qualitätsentwicklung überprüft wird. In der

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SOS-eigenen Forschungsabteilung „Sozialpädagogisches Institut“ wird vorwiegend Praxisforschung im Feld der Jugendwohlfahrt geleistet. SOS KDÖ hat ein QM- System, das auf ISO- 9000 und EFQM basiert und den Anforderungen der Organisation angepasst ist. Das Kinderdorf Wien ist nicht zertifiziert; es wird, wie alle Einrichtungen, im Rahmen der Standardbesuche (=interne Audits) alle 2 Jahre besucht; die Standardbesuche sind die Klammer zwischen Strategien der Organisation und spezifischen Entwicklungen vor Ort. Da SOS Kinderdorf maßgeblich bei der Entwicklung der Q4C-Standards beteiligt war, wurden die Q4C Standards auch in Bezug auf das SOS-Kinderdorf Wien überprüft und wo nötig und möglich angepasst. Es gibt einen Prozess und eine Vorlage dafür: nämlich für die Einarbeitung der Q4C Standards in die Standards der SOS-Kinderdörfer. In einzelnen Punkten sind die Q4C-Standards nicht anpassbar, weil ihre Implementierung vom Systempartner der öffentlichen Jugendwohlfahrt abhängig ist. Dies trifft z.B. auf den generellen Rechtsanspruch der Kinder zu, auf die Nachbetreuung (18+) oder auf die Jahresbefristung von Einzelverträgen, die es z.B. häufig nicht ermöglichen, Jugendlichen eine wirkliche Perspektive zu bieten. Einer der wesentlichsten Qualitätsstandards ist die Beziehungsgestaltung und die Sicherstellung der Kontinuität in der Beziehung. So gibt es in den SOS-Kinderdorf-Familien nur zwei Bezugspersonen, im Kinderwohnen (Familienwohngruppe) maximal vier und bei den Kinder- und Jugendwohngruppen maximal 7 Bezugspersonen. Auch die Arbeitszeiten werden unter dieser Hinsicht gestaltet. Einen qualitativen Schwerpunkt in der fachlichen Arbeit mit den Kindern bildet die Biographiearbeit, die nicht von den Betreuungspersonen selbst und nicht im eigenen Wohnraum durchgeführt wird. Bei der Zusammensetzung der SOS-Kinderdorf-Familien wird darauf geachtet, dass ein neues Kind immer das jüngste Mitglied der Familie ist – wie in einer biologischen Familie, in der das neue Kind immer das jüngste ist. Außerdem werden bevorzugt Geschwister aufgenommen. Eine Familie sollte nämlich nicht mehr als zwei Herkunftsfamilien haben, mit denen die SOS-Kinderdorf-Mütter/Väter kooperieren. Und man nimmt dort keine Kinder auf, die eine starke Bindung an das Herkunftssystem haben - diese Kinder finden Aufnahme im Kinderwohnen (besser: Familienwohngruppe - 4 BetreuerInnen, 6 Kinder) Dass von der öffentlichen Hand vorgegebene Qualitätsstandards für das Wohl der Kinder nicht nur förderlich, sondern sogar schädlich sein können, zeigt sich beim vorgegebenen Qualifizierungsbedarf für Mitarbeiterinnen durch das Wiener Jugendwohlfahrtsgesetz (Magistrat Wien). Das Fachpersonal in Einrichtungen der freien Träger muss eine nach Wiener JWR anerkannte sozialpädagogische Ausbildung aufweisen, obwohl sich die Praktiker weitgehend einig sind, dass neben

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der fachlichen Qualifizierung Persönlichkeitsmerkmale der MitarbeiterInnen wie Belastbarkeit, Beziehungsfähigkeit etc. mindestens ebenso wichtig sind wie eine sozialpädagogische Fachausbildung. Dass auch andere Fachausbildungen, wie z.B. die zur FamilienpädagogIn, Dipl.SozialarbeiterIn, usw. jene nötige Grundqualifizierung bieten könnten – wie dies übrigens in fast allen anderen Bundesländern so gesehen wird - , die in Kombination mit den entsprechenden Persönlichkeitsmerkmalen und vorhandener Praxis die bessere Lösung für die Kinder darstellen könnte als die einer „richtigen“ Fachausbildung in Kombination mit mäßigen Persönlichkeitsmerkmalen, wird durch solche Standards einfach ignoriert. Meiner Meinung nach wird hier ein berufsständischer Machtkampf auf dem Rücken der Kinder ausgetragen: und unter dem Label „Qualitätsstandard“ wird „Heimatschutz“ betrieben. Oder wie es ein Mitarbeiter einer stationären Einrichtung in einem anderen Gespräch formulierte: „Die sozialpädagogische Fachhochschule bildet hauptsächlich Häuptlinge aus. Aber es braucht nicht nur Häuptlinge in den Einrichtungen, ein paar Indianer brauchen wir auch noch!“ Und jeder Praktiker einer stationären Einrichtung weiß, wie wichtig gute HaushälterInnen und Haustechniker für die Entwicklung der Kinder sein können. Mit diesen letzten und mit allen meinen Ausführungen will ich auf keinen Fall den Wert und Sinn von Qualitätsstandards in der Jugendwohlfahrt generell in Frage stellen. Ich hoffe, dass dies auch nicht so ankam. Im Gegenteil: Ich wollte die Wichtigkeit der Qualität betonen, indem die negativen Ausuferungen einer überzogenen bzw. von der Praxis abgehobenen Qualitätsdiskussion aufgezeigt und am besten auch abgestellt werden.

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Beispiel für Qualitätsstandards im ambulanten Bereich: IfS-Familienarbeit gemn. GmbH JWF-Vorarlberg allgemein: Wie schon vorher angeführt, ist das Vorarlberger Jugendhilfesystem besonders subsidiär organisiert: Dienstleistungen sind zu großen Teilen an freie Träger ausgelagert. Diese werden mit relativ großen fachlichen Verantwortlichkeiten aber auch guten finanziellen Ressourcen ausgestattet. Umgekehrt übernehmen die freien Träger auch tatsächlich hohe Mitverantwortung, die selbst beim Einbringen finanzieller Ressourcen in das Jugendhilfesystem nicht Halt macht. Die Qualitätsstandards werden von den Einrichtungen selbst definiert und sind recht hoch: So führt z.B. die IfS-Sozialpädagogik, welche 2 Wohngemeinschaften, ein Jugendintensivprogramm, Ambulant betreutes Wohnen und Nachgehende Sozialarbeit bei Jugendlichen durchführt, seit Jahren eine jeweils externe Evaluation ihrer Einrichtungen durch die Uni Innsbruck durch. Es existieren überall Leitbilder, Qualitätshandbücher, Produktkataloge etc., selbst, wenn nur fachliche Konzepte von den Auftraggebern explizit verlangt werden. Der Gestaltungsspielraum im stationären Bereich der IfS-Sozialpädagogik ist z.B. so groß, dass die Einrichtung bis zu Fallkosten von 35.000,- € auch selbst entscheiden kann, in welchen ihrer Bereiche sie die volle Erziehung durchführt, d.h. ob ambulant betreutes Wohnen oder eine Wohngemeinschaft oder das Jugendintensivprogramm gerade zielführend ist. Das macht eine sehr individuelle und auf die aktuelle Situation zugeschnittene fachliche Betreuungsqualität möglich. Alle fachlichen Entscheidungen werden dokumentiert und die Aufwände sind natürlich transparent. Die Jugendämter in Vorarlberg übergeben alle Maßnahmen der Unterstützung an freie Träger. So erhält die IfS-Familienarbeit pro Jahr ca. 150 Familien neu zugewiesen, in die 20 MitarbeiterInnen auf Hausbesuch gehen, um die Gefährdung der Kinder zu reduzieren. Dazu stehen 19 fachliche Planposten und ein Budget von ca. 1,8 Mio € zur Verfügung. In der Rahmenvereinbarung mit dem Land Vorarlberg gibt es folgende qualitativen Auflagen: Die fachliche Verantwortung wird explizit an die IfS-Famlienarbeit übergeben. Die verwendbaren Berufsqualifikationen werden festgelegt. Transparenz bis hin zur Überprüfung der Dokumentation im Einzelfall wird eingefordert Qualitätsstandards werden über Leitbild, Konzepte und Produktbeschreibungen definiert.

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Die IfS-Familienarbeit hat ein allgemeines Konzept und ein für die Unterstützung der Erziehung spezialisiertes Fachkonzept erarbeitet.

es gibt z.B. 3 übergeordnete Arbeitsprinzipien:

Systemorientierung z.B: Veränderungen können angeregt aber nicht erzwungen

werden. (Eventuell beschränkt sich die fachliche Tätigkeit auf Kontrolle)

Lösungsorientierung z.B: Nach den fachlichen Regeln orientieren sich die Ziele

an den sog. „METER“- Kriterien: Messbarkeit, Einfachheit, Terminisiertheit, Erreichbarkeit und Relevanz.

Ergebnisorientierung z.B: Zieldefinitionen müssen dokumentiert werden, um

sie für eine Analyse der Ergebnisse zur Verfügung zu haben

z.B: das Detailkonzept „Unterstützung der Erziehung“, geht sehr viel stärker in

konkrete Bereiche der fachlichen Arbeit hinein. Denn Standards, die nicht methodisch konkretisiert werden, bleiben ein Werbespot!

So wird z.B. die Lösungsorientierung durch praktische Vorschläge detailliert, wie durch Fragen Ressourcen erforscht und aktiviert werden können

Direkt danach fragen: z.B.: „Was können Sie gut? Fritz, was

kann deine Mutter gut? Wenn jemand Kummer in der Familie hat, wer tröstet ihn dann?

Nach Ausnahmen bei Schwierigkeiten fragen: z.B.: Wann ist das für Sie kein Problem? Gab es eine Situation, in der sie dieses Problem in Ansätzen bewältigt haben? Was hat Ihnen damals geholfen?

Den Blickwinkel ändern: z.B.: Ihr Sohn hat Schwierigkeiten in der Schule: Wie schaffen Sie es, dass er trotzdem regelmäßig hingeht?

Von Selbstverständlichkeiten ausgehen: z.B.: Sie sind der Vater, was meinen Sie dazu? Sie sind die Mutter, sie können das!

Wunderfrage stellen: z.B.: Angenommen, Sie wachen morgen

früh auf und das Problem ist durch ein Wunder verschwunden: Woran würden Sie es zuerst merken?

Zirkuläres Fragen: z.B.: Was würde dein Freund sagen, wenn ich ihn fragte, wie Du das machen sollst?

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Nach den Gründen für die Nicht-Lösung fragen: z.B.: Was hat Sie im bisherigen Muster gefangen gehalten? Wodurch konnten Sie zuverlässig erreichen, dass das Problem nicht gelöst wurde? Wie könnten Sie die Lösung am wirkungsvollsten verhindern? Was ist an der Problemsituation gut und soll so bleiben?

Es gelten nicht nur die übergeordneten Arbeitsprinzipien für die Unterstützung der Erziehung, sondern folgende speziellen, die genau definiert sind: Zugangsorientierung (Ausgestaltung des Nachgehens!) Multiprofessionalität Umgang mit gewalttätigen KlientInnen

Die in Detailkonzept beschriebenen Qualitätsstandards werden als Produkt zu einer prozessbezogenen Leistungsbeschreibung verdichtet. Zwei Beispiele, eines zur Fallvergabe und eines zur Einstiegsphase der ambulanten Betreuung, um sich ein Bild zu machen, wie die Produktbeschreibung praktisch ausssiet.

Qualitätsstandards Kennzeichnende Handlungen Indikatoren

Fallvergabe: Der Fall wird auf Grund der Informationen im Abklärungsbogen der BH nach organisatorischen und fachlichen Kriterien von jener MitarbeiterIn übernommen, die die Unterstützung der Erziehung am besten leisten kann. Die den Fall übernehmende MitarbeiterIn meldet dies der zuweisenden BH-JWF-MitarbeiterIn.

Der Fall wurde im Fallteam vergeben und in der EDV-Dokumentation angemeldet. Die zuweisende BH-MitarbeiterIn ist informiert, wer den Fall übernimmt.

Einstiegsphase (ca. 3 Monate): Gefährdungsbereiche der zugewiesenen Kinder sowie die Ressourcen- und Motivationssituation der Bezugspersonen werden systematisch erkundet. Joining und beziehungsstiftende Aktivitäten werden von der IfS-FA-MitarbeiterIn gesetzt. Mit den Betroffenen werden Ziele erarbeitet und Prioritäten für Unterstützungsziele festgelegt. Methodische Überlegungen zur Zielerreichung werden angestellt. Der Unterstützungsplan wird im interdisziplinären Team überprüft. Sind mehrere HelferInnen involviert, übernimmt die

mehrere Kontakte zur Familie haben stattgefunden und sind in der KurzDoku des Falles festgehalten. Die Ergebnisse der Einstiegsphase werden im internen Erstbericht festgehalten. Eine Fallbesprechung im Fallteam hat stattgefunden und ist in der KurzDoku des Falles festgehalten. Die Aktivitäten der

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IfS-FA-MitarbeiterIn die Hilfe-Koordination. Die verschiedenen Funktionen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Beteiligten werden definiert. Kontaktaufnahmen mit Dritten und Kooperation mit anderen Facheinrichtungen durch die IfS-FA-MitarbeiterIn erfolgen nur in Absprache mit den Familien. Die Ergebnisse der Einstiegsphase werden in einem Internen Erstbericht zusammengefasst. Ein Auszug aus diesem Erstbericht (Vereinbarte Ziele, Arbeitsbeziehung der Erziehungsberechtigten, geschätzte Dauer) wird an die BH-JWF gesandt.

HelferInnenkoordination sind in der Kurzdoku des Falles festgehalten. Der Erstbericht ist in der Falldokumentation abgelegt und ein Auszug davon ist an die BH-JWF gesendet.

Im Folgenden möchte ich spezielle Merkmale des Qualitätsmanagements der IfS-Familienarbeit benennen, die auf dem System starker Mitverantwortung aber auch großer fachlicher Freiheit bei gleichzeitiger Transparenz beruhen, wie sie bei der Ausgestaltung der Jugendhilfedienste in Vorarlberg üblich sind. Sowohl die Freiheit der Einrichtung aber auch Mitverantwortung der Einrichtung werden bei der IfS-Familienarbeit ihrerseits wieder teilweise an ihre MitarbeiterInnen weitergegeben:

o in Form eines partizipativen Führungsstiles z.B: Im Einzelfall hat die fallführende MitarbeiterIn die Handlungshoheit.

Für die fachliche Entscheidung im Fall verzichtet die Leitung auf ein Weisungsrecht, fordert aber fachliche Begründungen für das Handeln ein. Es gab seit 20 Jahren mit dieser Vorgangsweise kein Problem, sehr wohl aber führte diese Regeleung zu intensiven fachlichen Auseinandersetzungen im Fallgeschehen. Das Bedürfnis, die Fallentscheidungen mit dem Team und der Leitung abzustimmen, ist sehr gewachsen

z.B: Bei der Neuanstellung von MitarbeiterInnen reiht das jeweilige Team einen Dreiervorschlag, den die Leitung ausgewählt hat. Fast immer wird die vom Team erstgereihte Person angestellt.

o Bei der Gestaltung der internen Kommunikation im Sinne von größtmöglicher Transparenz z.B: generelle gegenseitige Vertretbarkeit im Fall innerhalb eines

Teams und genereller Zugang zur Falldokumentation der anderen MitarbeiterInnen

z.B.: Die Arbeitsräume sind so gestaltet, dass sie viel „Zwischenkommunikation“ unter den MitarbeiterInnen und zur Leitung fördern: meist Doppelbesetzung eines Büros, zentraler Kommunikationsraum in der Nähe des Sekretariats, üblicherweise offene Türen in die Büros, keine vorschnellen Interventionen von Seiten der Leitung bei „Kaffegesprächen“, die sowieso meistens um KlientInnen gehen

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Z.B.: wöchentlich 2-Stunden Fallbesprechungen in kleinen Teams mit verpflichtenden Einbringungs-Terminen pro Fall

o in Form von Rekrutierung zusätzlicher Ressourcen:

z.B: Fundraising für zusätzliche Qualitätsangebote: Die IfS-Familienarbeit sieht es als ihre Mitgestaltungsaufgabe an, zusätzliche Geldmittel und Ressourcen zu erschließen, um die Qualität der Jugendhilfeleistung zu erhöhen. Die Haltung: „Wir machen, was uns bezahlt wird – der Rest ist uns egal!“ ist uns auf Grund der jahrelangen Kooperation mit dem Auftraggeber und des gegenseitigen Bemühens eher fremd: So wurde von der IfS-Familienarbeit ein Förderkreis „Netz für Kinder“

gegründet, dessen Ziel es ist, Spendengelder aufzutreiben, um Projekte zu finanzieren, die die Unterstützung der Erziehung ergänzen Sozialpädagogische Kindergruppen, EA Netz für Kinder: Das verfügbare Zeitkontingent pro zugewiesener Familie beträgt bei uns ca. 3 Wochenstunden, wobei darin alle direkten und indirekten Stunden (wie Fahrtzeit, Fallbesprechungen, Supervision, Dokumentation) enthalten sind. Das ist österreichweit das geringste Zeitbudget pro Familie. Diese Zeit muss vorwiegend für die Eltern eingesetzt werden, deren Erziehungsfähigkeit ja unterstützt werden soll. Die fehlende Zeit für die Arbeit mit den Kindern wird über Fundraising finanziert. Diese werden in sozialpädagogischen Gruppen, die an 25 Tagen im Jahr erlebnispädagogisch stattfinden, betreut. Außerdem ist eine Ehrenamtlichen-Organisation gegründet worden, durch die 50 HelferInnen unseren Kindern individuell Lernhilfe und Freizeitgestaltung anbieten. Beide Zusatzangebote sind für den Auftraggeber kostenlos. Für uns ist Fundraising (als Nebeneffekt) die beste Öffentlichkeitsarbeit. „Fundraising bedeutet wie bei einem Hund: Es muss regelmäßig ausgeführt werden, sonst wird es krank.“

Z.B: Synergien mit Projekten der Gesundheitsförderung: Durch zwei weitere Projekte, die über den Titel Gesundheitsförderung

finanziert werden, entsteht eine qualitative Aufwertung unserer Arbeit: Bei diesen Projekten wurden unsere Familien unter dem Aspekt Armut und soziale Ungleichheit als Zielgruppe für Gesundheitsförderungs-aktivitäten gewählt. Und die Aktivitäten werden von unseren MitarbeiterInnen selbst gesetzt. Dabei ging es um Förderung von Ernährung, Bewegung, Vorsorgeverhalten und soziale Integration, alles Aktivitäten, die auch unter unseren Auftrag von der Jugendhilfe subsumiert werden können. So können wir zusätzliche Ressourcen erhalten, die große Synergieeffekte für unsere angestammte Arbeit bedeuten.

Zum Abschluss noch einmal in die Praxis: einige wörtliche Rückmeldungen von den KlientInnen im anonymen Fragebogen, der nach Abschluss der Unterstützung ausgefüllt wird: Antworten auf die Frage: „Was hat Sie gestört oder gefreut?“

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Wir haben sehr viel gelernt, es waren Hände da, wo wir für uns Hilfe bekommen haben; wir sind jetzt wieder eine Familie; wir bedanken uns!

Gestört hat mich der Zeitdruck der Beratung - es sind meiner Meinung nach zu wenig Leute bei Euch beschäftigt!

Dass ich ein Lebensmittelpaket bekam, als wir kein Geld mehr hatten und es uns schlecht ging.

Einfühlsamkeit in die Situation; Kind ist stets im Mittelpunkt!

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Ich fasse meine Ausführungen zusammen: Qualitätsstandards in der Jugendhilfe sind das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen Auftraggeber (öffentliche JH), PraktikerIn (freier Träger) und Betroffenen (KlientInnen). Dieser Aushandlungsprozess fand in Österreich bisher nicht systematisch statt. Zwischen öffentlicher Hand und Freien Trägern ist der Fortschritt der Qualitätsdiskussion nach Bundesländern und Einrichtungen sehr unterschiedlich: er schwankt zwischen „nicht begonnen“ und „weit fortgeschritten“. Der Einbezug der KlientInnen in den Qualitätsstandardprozess hat meines Erachtens überhaupt nur in der Qu4Ch-Entwicklung für den stationären Bereich wirklich stattgefunden. In Österreich – und wahrscheinlich ist das in anderen Ländern nicht anders - wird die Entwicklung von Qualitätsstandards in der Jugendhilfe von dem Bestreben der verschiedenen Akteure behindert, dass ihnen keine zusätzlichen Kosten erwachsen sollen. Nach dem Motto, wer nicht bestellt, muss weniger bezahlen, schiebt der Bund das Einfordern von Qualitätsstandards auf die Länder ab. Die Bundesländer ihrerseits gehen unterschiedlich mit der heißen Kartoffel um: Einige Bundesländer lassen sie einfach fallen. Andere geben die heiße Kartoffel abgekühlt an die freien Träger weiter, indem sie deren fachlichen Konzepte im Einzelfall genehmigen, so lange nur der Preis stimmt. Und einige Bundesländer nahmen die heiße Kartoffel wirklich auf und setzten sich mit den freien Trägern an einen Tisch, um Qualitätsstandards in der Jugendhilfe zu beschreiben. Letzteres ist in den letzten Jahren zumindest in Oberösterreich, Steiermark, Salzburg geschehen. Wobei dies bisher für den Bereich der vollen Erziehung gilt, während der immer stärker werdende teilstationäre und ambulante Bereich qualitätsstandardmäßig noch weitgehend Brachland darstellt. Ich persönlich plädiere bei der Erarbeitung von Qualitätsstandards in der Jugendhilfe für einen Prozess, bei dem in der Aushandlung zwischen öffentlicher Hand und freiem Träger gemeinsame Verantwortung und gegenseitige Transparenz dominieren. Die gemeinsame Verantwortung lässt zwar Schwerpunkte in den Zuständigkeiten zu, setzt aber keine rigorosen Grenzen. Der Schwerpunkt des öffentlichen Trägers liegt bei der Sicherstellung der Finanzierung und bei einer aktiven Gestaltung des Subsidiaritätsprinzips: mit aktiver Gestaltung meine ich das proaktive Fördern von subsidiären Aktivitäten und nicht ein „Hände in den Schoß-Legen und Warten, was subsidiär passiert“ oder von Vornherein selber machen. Der Schwerpunkt des freien Trägers liegt bei der fachlichen Ausgestaltung der Dienstleistungen und damit auch beim Einbringen von Qualitätsmerkmalen in den Prozess. Damit er diesen Schwerpunkt setzen kann, braucht der freie Träger einen möglichst großen Gestaltungsspielraum. Dies fördert seine Kreativität und seine Motivation. Von beiden Seiten ist als Grundlage eines konstruktiven Prozesse hohe Transparenz und große Durchlässigkeit in der gemeinsamen Kommunikation gefordert. Der viel zitierte Satz „Vertrauen ist gut, Kontrolle aber besser!“ kann durch den Satz ersetzt werden: „Vertrauen ist gut, durch Transparenz wird es besser!“

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Auf dem Hintergrund von gemeinsamer Verantwortung mit Schwerpunktsetzung kann der Aushandlungsprozess der Qualitätsstandards dann wirklich die KlientInnen ins Zentrum stellen. Und noch besser, wenn auch noch Zukunftsmusik: die Betroffenen und Ex-Betroffenen sogar wirklich am Aushandlungsprozess beteiligen.


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