+ All Categories
Home > Documents > Präventionsorientierte ZahnMedizin unter den …...Präventionsorientierte ZahnMedizin unter den...

Präventionsorientierte ZahnMedizin unter den …...Präventionsorientierte ZahnMedizin unter den...

Date post: 18-Jan-2020
Category:
Upload: others
View: 9 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
26
LE I TF A D E N D E R B U N D E S Z A H N Ä R Z TE K A M M E R Präventionsorientierte ZahnMedizin unter den besonderen Aspekten des Alterns Baustein zum Gesamtkonzept „Prophylaxe ein Leben lang“
Transcript

L E I T F A D E N D E R B U N D E S Z A H N Ä R Z T E K A M M E RK A M M E R

PräventionsorientierteZahnMedizin unterden besonderenAspekten des Alterns

Baustein zum Gesamtkonzept „Prophylaxe ein Leben lang“

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 27

PräventionsorientierteZahnMedizin unterden besonderenAspekten des Alterns

L E I T F A D E N D E R B U N D E S Z A H N Ä R Z T E K A M M E R

Baustein zum Gesamtkonzept „Prophylaxe ein Leben lang“

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 1

Unter einem Leitfaden soll einwissenschaftlich begründeter undgleichzeitig praxisnaher Problem-aufriss verstanden werden, derdem berufstätigen Zahnarzt einesystematische Orientierungshilfezu ausgewählten Dienstleistungender Zahnarztpraxis geben möchte.

Ein Leitfaden kann dieser Orien-tierungsfunktion nur dann gerechtwerden, wenn bei dem Gebrauchdie jeweils spezifischen Voraus-setzungen der Praxis und die klini-schen Gegebenheiten des Patien-ten in angemessener Weise be-rücksichtigt werden.

Ein Leitfaden sollte regelmäßigauf seine Aktualität hin überprüftund fortgeschrieben werden.

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 2

3

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 05

1. Die aktuelle Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 07071.1 Die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 071.2 Die Entwicklung der Lebenssituation der Senioren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 071.3 Typisierung des älteren Menschen –

Altersbedingte Funktionseinschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 071.4 Die Mundgesundheit der älteren und alten Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 09

2. Die zahnmedizinische Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2.1 Alterserscheinungen des orofazialen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102.2 Behandlungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11Individuelle Belastbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.3 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13Chirurgische Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13Konservierende und parodontale Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13Festsitzender und abnehmbarer Zahnersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Mund- und Prothesenhygiene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Recall und Individualprophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16Ernährungslenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

2.4 Tipps zur Organisation der zahnärztlichen Versorgung älterer und alterPatienten in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18Praxiseinrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18Transparenz der Behandlungsschritte und -termine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18Patientengerechte Gesprächsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18Sensible Terminvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19Kostenvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.5 Zahnärztliche Versorgung in den Alten- und Pflegeheimen . . . . . . . . . . . . . . . 21

3. Die rechtliche Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

3.1 Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223.2 Verfügungen in Gesundheitsangelegenheiten und mutmaßlicher Wille

des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 3

Alte

rbi

s 05

05-

10 1

0-15

15-

20 2

0-25

25-3

0 30

-35

35-4

040

-45

45-5

0 5

0-55

55-

60 6

0-65

65-

70 7

0-75

75-

8080

-85

85-

90

Alte

rbi

s 05

05-

10 1

0-15

15-

20 2

0-25

25-3

0 30

-35

35-4

040

-45

45-5

0 5

0-55

55-

60 6

0-65

65-

70 7

0-75

75-

8080

-85

85-

90

90 +

Alte

rbi

s 05

05-

10 1

0-15

15-

20 2

0-25

25-3

0 30

-35

35-4

040

-45

45-5

0 5

0-55

55-

60 6

0-65

65-

70 7

0-75

75-

8080

-85

85-

90

90 +

4

Quelle: Statistisches Bundesamt

eine Million Einwohner

Deutsche LebensbäumeAltersschichtung in Stufen von je 5 Jahrgängen

Männer Frauen

1910 – Deutsches Reich64,9 Mio. Einwohner

1997 – Deutschlandjeweils Jahresbeginn –82,0 Mio. Einwohner

Männer Frauen

2040 – Prognose –68,8 Mio. Einwohner

Männer Frauen

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 4

5

Vorwort

Mit dem Leitfaden zur Zahn-, Mund- und Kiefer-heilkunde im Alter soll Zahnärzten, deren Mit-arbeitern und Kooperationspartnern in derAlterszahnmedizin eine Orientierungshilfe,Unterstützung, Hinweise und Tipps bei der zahn-ärztlichen Betreuung älterer und alter Menschengegeben werden. Auch diese nunmehr drittePublikation aus der Leitfadenreihe der Bundes-zahnärztekammer (BZÄK) basiert auf dem Kon-zept „Prophylaxe ein Leben lang“ (vgl. IDZ, 1995und 1998). Der demographische Wandel in derGesellschaft (verlängerte durchschnittlicheLebenserwartung, Verringerung des Anteils jün-gerer Menschen und damit der Bevölkerungs-zahl insgesamt infolge geringer Geburtenzah-len) wirkt sich komplex auf die praktischen undtheoretischen Anforderungen an den Zahnarztaus und hat natürlich auch Einfluss auf die zu-künftige zahnmedizinische Versorgung inDeutschland.

Die vorliegende Publikation beschreibt unterwissenschaftlich-zahnmedizinischen sowieunter pflegerischen Gesichtspunkten einige derwichtigsten Aspekte der präventionsorientier-ten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde bei älteren und alten Menschen:

• die medizinische und psychosoziale Situation älterer und alter Menschen,

• die Organisation der zahnärztlichen Versor-gung in der Praxis,

• die praktische Umsetzung der Behandlung,• die Organisation der Behandlung in Pflege-

heimen,• die rechtliche Situation bei der Behandlung

älterer und alter Menschen.

Eine präventive Versorgung sollte den gesamtenLebensbogen eines Menschen umfassen, des-halb ist von Bedeutung, dass auch alte Men-schen zahnmedizinisch präventionsorientiertbehandelt werden. Das wesentliche Ziel einerlebenslang begleitenden Prävention ist prioritärdie Absenkung des Zahnverlustrisikos. Dabeiwird dieses Risiko auf einen möglichst kurzenZeitraum am Ende des Lebens zusammenge-drängt. Diese „Kompression der Morbidität“führt zu einem erhöhten oralen und allgemei-nen Gesundheitszustand, zu Gesundheitsge-winnen und damit zu einer verbesserten subjek-tiven Lebensqualität der älteren Mitmenschen.In diesem Sinne soll der Leitfaden als systema-tische Orientierungshilfe wertvolle praktischeUnterstützung und Anregung bieten.

Der hier vorgelegte Leitfaden basiert auf Ausarbeitungen von PD Dr. Frauke Müller, Dr. Ina Nitschke, Frau Elisabeth Schulze-Entrup,Frau Ellen Wappenschmidt-Krommus, Dr. Jürgen Junge, Prof. Dr. Thomas Klie sowieProf. Dr. Helmut Stark. Der Ausschuss Präven-tive Zahnheilkunde der BZÄK hat die Entwürfedes Leitfadens diskutiert und überarbeitet. Die redaktionelle Bearbeitung lag bei Dr. Wolfgang Micheelis und Dr. Sebastian Ziller.Allen, die an diesem Leitfaden mitgearbeitethaben, gilt unser herzliches Dankeschön.

Dr. Jürgen JungeVorsitzender des ArbeitskreisesAlterszahnmedizin (bis 2001)

Dr. Dietmar OesterreichVorsitzender des AusschussesPräventive Zahnheilkunde,Vizepräsident der BZÄK

Dr. Lothar BergholzVorsitzender des ArbeitskreisesAlterszahnmedizin

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 5

6

25

33 35

24

45

53 52

1995 1999 2010 2020 2030 2040 2050

Altenquotient 65

Anzahl über 65-Jähriger auf 100 Personen im Alter zwischen 20-64 Jahren

Altenquotient aus der 9. Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (vgl. Stat. Bundesamt 2000)

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 6

7

1. Die aktuelle Situationdig in der eigenen Wohnung. Die Zahl alleinste-hender älterer Deutscher wird sich bis zum Jahr2030 von rund 7,8 Millionen auf voraussichtlich13,2 Millionen erhöhen. Auch wird der Anteilhilfs- und pflegebedürftiger älterer Menschen inden kommenden Jahren weiter zunehmen. Biszum Jahr 2030 wird die Zahl der Pflegebedürfti-gen, die zu Hause versorgt werden, voraussicht-lich von heute 1,2 Millionen auf ca. 1,6 Millionenansteigen.

Die Berliner Altersstudie zeigte, dass bei denüber 69-jährigen Senioren nur 8,4% in Senioren-einrichtungen lebten. Dieser Anteil sinkt bei den70- bis 84-Jährigen sogar auf 5,8% und steigterst bei den über 84-Jährigen auf 19% an.

1.3 Typisierung des älteren Menschen – altersbedingte Funktions-einschränkungen

Altersbedingte Veränderungen sind grundsätz-lich fortschreitend, irreversibel und bei allenMenschen vorkommend. Trotz zahlreicher unter-schiedlicher Definitionen des Alterungspro-zesses ist davon auszugehen, dass ab dem 35. Lebensjahr die Körperfunktionen um durch-schnittlich 1% pro Jahr nachlassen. Lebensstil,körperliche und soziale Aktivitäten, Gesund-heitsbewusstsein und eine positive Lebensein-stellung können wesentlichen Einfluss auf denAlterungsprozess nehmen. So kann das „biolo-gische“ Alter deutlich vom rein „kalendarischen“Alter abweichen. Die Gruppe der „alten Men-schen“ ist also sehr heterogen zusammenge-setzt. Es gibt nicht den typischen alten Men-schen. Allgemein wird als „Eintrittsalter“ in dieGruppe der Senioren der Beginn des Renten-alters, also zwischen dem 60. und 65. Lebens-

„DAS JAHRHUNDERT DER JUGEND ENTWICKELT SICH ZUM

JAHRHUNDERT DER SENIOREN.“ (LEHR, 1984)

1.1 Die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur

Nach dem Dritten Altenbericht des Bundes-ministeriums für Familie, Senioren, Frauen undJugend aus 2001, wird sich der Altersaufbau derBevölkerung zwischen 1950 und 2050 bei einernahezu identischen Bevölkerungszahl umge-kehrt haben: Im Jahre 2050 wird es mehr alsdoppelt so viele ältere (über 59-Jährige) wiejüngere (unter 20-Jährige) Menschen geben –die Bevölkerungspyramide steht auf dem Kopf!Die Zahl älterer Menschen wird von heute 18,4Millionen bis zum Jahre 2050 auf ca. 25,2 Mil-lionen und damit ihr Anteil an der Gesamtbe-völkerung von etwa 22% auf ca. 36% ansteigen.Im Jahr 2050 werden demnach 100 Menschenzwischen 20 und 64 Jahren 52 über 65-Jährigengegenüberstehen (s. Abb. 1). In den Voraus-berechnungen der Vereinten Nationen stehen inEuropa die Deutschen zusammen mit denItalienern (34,2%) mit dem Anteil der Älteren ander Gesamtbevölkerung an höchster Stelle.

1.2 Die Entwicklung der Lebenssituation der Senioren

Über 80% der Senioren befinden sich in einer„stabilen Lebensphase“ und leben selbststän-

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 7

8

1.4 Die Mundgesundheit der älteren und alten Menschen

Es gibt nur wenige repräsentative Daten, indenen die orale Gesundheit der älteren undalten Menschen Berücksichtigung findet. In derDritten Deutschen Mundgesundheitsstudie(DMS III, 1999) wurden für die BundesrepublikDeutschland erstmals Daten für die Altersgrup-pe von 65 bis 74 Jahren erhoben. Statistisch

jahr angenommen. Die offizielle Einteilung derWHO umfasst folgende Klassifizierungen:

20-49 Jahre Periode des biologischen Gleichgewichtes

50-59 Jahre alternder Mensch60-64 Jahre älterer Mensch65-74 Jahre wesentlicher Einschnitt

in der Regressionsphase75-89 Jahre alter Mensch90-99 Jahre sehr alter Mensch100-115 Jahre Langlebiger

Diese kalendarische Klassifizierung kann nureine grobe Orientierung sein. SchablonenhaftesVorgehen in der Betreuung alter Menschen istdaher nicht möglich und nicht wünschenswert.

„Alt sein“ ist nicht gleichbedeutend mit Krank-heit. Die geriatrische Beurteilung von Krankheitzeichnet sich vor allem durch eine multidimen-sionale und funktionelle Sichtweise aus. Dabeistehen sensorische und sensomotorische Funk-tionseinbußen (Sehschärfe, Gehör, Beweglich-keit), Hilfsbedürftigkeit bei Alltagsaktivitätenund die Komplexität multipler Krankheiten undmedikamentöser Behandlungen im Vordergrund.Die „instabile Lebensphase“ ist gekennzeichnetdurch Multimorbidität, die Chronifizierung vonKrankheiten und dem Verlust von Alltagskom-petenz.

Die sehr unterschiedliche Art und Weise, wieältere und alte Menschen Anteil an ihrer Umweltnehmen, wie sie Hilfsangebote wahrnehmenund in welchem Umfang diese von ihnen akzep-tiert werden, wirkt sich auf die Inanspruch-nahme zahnärztlicher Betreuung bzw. auf dieorale Situation aus. Auch für den älteren Men-schen trägt die Mundgesundheit zur Lebens-qualität bei. Eine gute Mundgesundheit ist auchals wesentlicher Bestandteil der Präventionchronischer Allgemeinerkrankungen anzusehen.

Altersbedingte Funktionseinschränkungen, die Mundgesundheitsprobleme hervorrufen können:

• Einschränkungen des Bewegungsvermö-gens

- Mobilität vermindert (Aufwand den Zahn-arzt aufzusuchen erhöht, evtl. Haus-besuch),

- Feinmotorik eingeschränkt (Mundhygiene schwerer durchführbar, „komplizierter“ Zahnersatz nicht indiziert)

• Einschränkungen der Hör- und Sehfähigkeit• Nachlassen des Geschmacks- und Geruchs-

sinns• Verringerte Tastempfindlichkeit• Verlangsamung kognitiver Fähigkeiten

Häufige Krankheiten, die zu Mundgesund-heitsproblemen führen können:

• Diabetes mellitus (Abbau von Abwehr-mechanismen, parodontale Destruktion)

• Herz-Kreislauf-Erkrankungen (verminderter Speichelfluss sowie z. T. Gingivahyper-plasie bei entsprechender Medikation)

• Schlaganfall (mangelnde Bewegungs-, Schluck- und Sprachfähigkeit, orale muskuläre Koordinationsfähigkeit mög-licherweise betroffen, unzureichende Mundhygienefähigkeit)

• Demenz/Morbus Alzheimer

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 8

9

fehlen diesen Senioren 21,5 Zähne. Die Zahn-losigkeit in dieser Altersgruppe beträgt 24,8%,sie steigt bei den 90-Jährigen der BerlinerAltersstudie bis auf 80% an. Fehlende Zähnesind zu 93% ersetzt, der quantitative protheti-sche Versorgungsgrad ist also hoch. Der DMFT-Wert bei den 65- bis 74-Jährigen beträgt 23,6und steigt bei den Berliner Hochbetagten aufbis zu 28 an. Naturgesunde Gebisse sind beilediglich 0,3% der untersuchten Senioren zwi-schen 65 und 74 Jahren vorhanden. Abnehm-barer Zahnersatz wurde bei 65% der teilbezahn-ten Senioren eingegliedert, über 10% tragenihre Prothesen länger als 15 Jahre. Ein Großteilder Senioren hat Beläge auf den Zähnen undden Prothesen. Die Entzündungen des Zahn-halteapparates sind etwas häufiger als bei denJüngeren, fast jeder Vierte weist Taschentiefenüber 6 mm auf. Die Daten belegen, dass die kli-nisch objektivierbaren Befunde im Alter zuneh-men. Dieser objektivierbaren Behandlungs-bedürftigkeit steht jedoch häufig eine subjekti-ve Zufriedenheit der Patienten mit ihrer Mund-gesundheit sowie ihrem Gebisszustand gegen-über.

Zu einer besonderen Risikogruppe gehören dieälteren und alten Menschen, die in Alten- undPflegeheimen wohnen. In zahlreichen Studienwurde festgestellt, dass der Gebisszustand vonHeimbewohnern ausgesprochen schlecht undein hoher Behandlungsbedarf objektivierbarwar. Derzeit existiert noch kein überregionaleszahnärztliches Betreuungskonzept für diePflegebedürftigen.

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 9

10

2. Die zahnmedizinische Versorgung

Die zahnärztliche Behandlung sowohl junger,als auch älterer Patienten setzt sich zum Ziel,eine fortschreitende Destruktion des orofazia-len Systems möglichst zu verlangsamen oder zuvermeiden und damit dem Patienten Lebens-qualität zu erhalten oder neu zu vermitteln.Unabhängig vom Alter sollten die Senioren indas Prophylaxe- und Präventionsprogramm derPraxis integriert werden.

Optimale Behandlungsbedingungen, d.h. gün-stige Lagerung des Patienten, optimale Aus-leuchtung der Mundhöhle sowie die gesamteBandbreite an zahnärztlichem Instrumentariumund Ausstattung, sind nur in der zahnärztlichenPraxis vorhanden. Die Behandlung des älterenund alten Patienten sollte daher möglichst inder Zahnarztpraxis stattfinden. Zur Behandlungpflegebedürftiger Patienten wäre es wünschens-wert, wenn auch Seniorenheime über ein eige-nes zahnärztliches Behandlungszimmer verfü-gen würden. Hausbesuche werden bei nichttransportfähigen, pflegebedürftigen Patientendurchgeführt. Unabhängig davon, ob der ältereMensch, der eine zahnmedizinische Versorgungbenötigt, Bewohner eines Senioren- oder Pflege-heimes ist, im „Betreuten Wohnen“ oder zuHause lebt, besteht das Recht auf freie Arzt-wahl.

2.1 Alterserscheinungen des orofazialen Systems

Wie der gesamte menschliche Organismus un-terliegt auch das orofaziale System irreversiblenund fortschreitenden Alterungserscheinungen.So kommt es zu einer generalisierten Atrophieder Muskulatur, die im Bereich des M. masse-ters eine Reduktion des Muskelquerschnittesvon bis zu 40% ausmachen kann. Entsprechend

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 10

11

verringert sich die Muskelkraft beim Kauen.Auch verliert die Muskulatur an „Feinkoordi-nation“, das heißt, die Bewegungen werdengröber, wie es z. B. auch an der Handschrift zuerkennen ist. Auch die Schleimhaut der zahnlo-sen Kieferkammabschnitte erfährt Altersverän-derungen: Sie verliert an Feuchtigkeit und Elas-tizität, was sie mechanisch geringer belastbarmacht. Die Zahnsubstanz ist im Alter durch Ab-rasion und Attrition gekennzeichnet, das Pulpen-kavum ist durch gebildetes Sekundärdentin ver-kleinert. Weiterhin sind die Kiefergelenke imAlter anfälliger für degenerative Erkrankungen,durch die Lockerung des Bandapparates unddie Abflachung der Gelenkgrube gewinnen siean Bewegungsspielraum. Oft wird eine Mund-trockenheit beobachtet, die jedoch meist aufdie Medikation von Antihypertonika oder Anti-depressiva zurückzuführen ist.

2.2 Behandlungsplanung

Um eine langanhaltende präventionsorientiertezahnmedizinische Versorgung sicherzustellen,sollte eine strukturierte Behandlungsplanungerfolgen. Hierbei sollten die Motivierbarkeit unddie individuelle Belastbarkeit des Patienten Be-rücksichtigung finden.

MotivationDie Inanspruchnahme einer zahnärztlichenBehandlung nimmt mit dem Alter und der Ver-ringerung der Zahnzahl deutlich ab. Deutlicherals bei allen anderen Patientengruppen zeigtsich bei den Senioren eine Diskrepanz zwischendem zahnmedizinisch objektivierbaren Behand-lungsbedarf und dessen subjektiver Einschät-zung. Der Eintritt ins Rentenalter bedeutet fürviele Menschen den Rückzug aus dem öffentli-chen Leben. Somit kann die Motivation zueinem „gepflegten Erscheinungsbild“ nachlas-sen. In diesen Fällen ist es besonders wichtig,die zahnmedizinische Notwendigkeit einer Be-handlung zu betonen und auf mögliche Auswir-kungen chronischer Entzündungszustände aufden allgemeinen Gesundheitszustand zu ver-weisen.

Individuelle BelastbarkeitDie Senioren stellen die heterogenste Patien-tengruppe in der zahnärztlichen Praxis dar.Neben den sehr unterschiedlichen zahnärztli-chen Befunden gibt es eine große Bandbreitevon Patientenwünschen, finanziellen Möglich-keiten, Belastbarkeit in der Therapie und derFähigkeit, die Mundhygiene selbstständig durch-zuführen. Der individuellen Belastbarkeit desälteren Patienten ist bereits im Planungsstadi-um Rechnung zu tragen. Größtenteils kann dieindividuelle Belastbarkeit bereits mit demersten Eindruck eingeschätzt werden, beispiels-weise auf dem Weg ins Sprechzimmer. Kann derPatient die Praxis selbstständig aufsuchen oderist er auf eine Begleitung angewiesen? WelchenEindruck hinterläßt sein Gang? Eine aufmerk-same Beobachtung und eine kompetente Ge-sprächsführung helfen, die individuelle Belast-barkeit, die unersetzlicher Bestandteil eineradäquaten Behandlungsplanung und Prognoseist, abzuschätzen.

Mögliche Befindlichkeitsstörungen im Alter, die im Umgang mit dem älteren und alten Patienten und der Behandlungsplanung berücksichtigt werden sollten:

• Differenz zwischen subjektiver Wahrneh-mung und objektivem Befund (hohe Zufriedenheit mit klinisch schlechtem Zahnersatz)

• Sichtweise der eigenen Situation (Einsam-keit, abnehmende soziale Kontakte)

• Akzentuierung von Persönlichkeitsmerk-malen (Sparsamkeit, Ängstlichkeit)

• Motivation zur Inanspruchnahme zahnärzt-licher Leistungen lässt nach (Aufwand-Nutzen-Relation verschiebt sich)

• Stellenwert des „gepflegten“ Äußeren ist mit Rückzug aus dem öffentlichen Leben vermindert

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 11

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 12

13

2.3 Therapie

Zahnmedizinische Therapien werden beim jün-geren und älteren Erwachsenen mit der grund-sätzlich gleichen Zielrichtung eingesetzt. Ab-weichungen oder andere Schwerpunkte erge-ben sich aus den kognitiven und funktionellenEinschränkungen im Alter. Erkrankungen derMundschleimhäute kommen bei zwei Drittel der65- bis 74-Jährigen vor und bedürfen dahereiner besonderen Aufmerksamkeit. Patientensollten intensiv darauf hingewiesen werden,dass eine regelmäßige Kontrolle notwendig ist,um rechtzeitig Therapiemaßnahmen einzulei-ten. Degenerative Erkrankungen im Rahmen vonMyoarthropathien können oft nur symptoma-tisch behandelt werden.

Grundsätzlich kann davon ausgegangen wer-den, dass der Zahnarzt durch regelmäßige In-spektion der Mundhöhle beim älteren und altenPatienten sehr gut in der Lage ist, beginnendeAllgemeinerkrankungen (z. B. Präkanzerosen)im Mundraum frühzeitig zu erkennen. Die zahn-ärztliche Betreuung umfasst nachfolgende,stichwortartig genannten Behandlungsschwer-punkte:

• Chirurgische Therapie,• Konservierende und parodontale

Therapie,• Prothetische Versorgung, insbesondere

Erweiterungen/Wiederherstellungen vor-handenen Zahnersatzes bzw. Ersatz insuf-fizient gewordener prothetischer Versor-gungen,

• Mund- und Prothesenhygiene,• Recall und Individualprophylaxe (Fluoridie-

rung, pharmakologisch wirksame Substan-zen wie z. B. Chlorhexidin),

• Ernährungslenkung.

Chirurgische TherapieDie Indikationsstellung zur chirurgischen Thera-pie ist beim älteren und alten Menschen nichtgrundsätzlich unterschiedlich zu beurteilen.Durch fortgeschrittenen Knochenabbau sowieAttachmentverlust stellt sich jedoch häufig die

Indikation zur umfangreichen Extraktionsthe-rapie. Es gilt zu bedenken, dass auch mittelfri-stig extraktionswürdige Zähne vorübergehendzum Halt einer Prothese beitragen können; derfunktionelle Reiz selbst einer verbleibendenZahnwurzel beugt der Alveolarkammatrophievor. Abhängig vom allgemeinen Gesundheits-zustand ist jedoch zu berücksichtigen, dasseine umfangreiche chirurgische Sanierung fürden Patienten eine erhebliche Belastung be-deuten kann. Demgegenüber sind „klare“ Ver-hältnisse im Hinblick auf eine noch weitere Ver-schlechterung des Allgemeinzustandes als pro-gnostisch günstige und präventive Maßnahmeanzusehen.

Grundsätzlich bestehen keine Bedenken, auchbeim alten Menschen Implantate zu setzen.Auch hier sind neben der Erhöhung der Lebens-qualität präventive, funktionelle sowie struk-turerhaltende Aspekte anzuführen.

Konservierende und parodontale Therapie Obwohl die konservierende und parodontaleTherapie beim älteren und alten Menschengrundsätzlich keine anderen Richtlinien erfor-dert, zeigt der „alte Zahn“ doch Altersverände-rungen, die bei der Therapie Berücksichtigungfinden sollten. Die Resistenz der Pulpa gegen-über traumatischen Reizen ist gemindert, auchsind mögliche Reparaturmechanismen des pul-palen Gewebes eingeschränkt. JahrzehntelangeAbrasion erschwert häufig die Verankerung pla-stischer Füllungsmaterialen. Im Zahnhalsbe-reich zeigen sich häufig keilförmige Defekte undWurzelkaries, deren konservative Therapie sichje nach Ausdehnung des Defektes besondersaufwendig gestaltet.

Die Prävalenzen von schweren, destruktivenParodontalerkrankungen bei Erwachsenen undSenioren imponieren mit hohen Werten:Schwere Parodontitiden liegen nach epidemio-logischen Studien (DMS III, 1999) bei 14% derErwachsenen und 24% der Senioren vor. Dem-entsprechend haben supra- und subgingivalePAR-Therapien bei älteren und alten Menscheneine hohe Bedeutung und ein wichtiges präven-tives Potenzial.

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 13

14

Festsitzender und abnehmbarer ZahnersatzDie Eingliederung von festsitzendem Zahner-satz ist beim alten und hochbetagten Patiententrotz grundsätzlich gleichbleibender Indikati-onsstellung nur eingeschränkt indiziert. Durchdie Degenerationserscheinungen des Pulpenge-webes ist die Resistenz gegenüber Schleiftrau-mata verringert, so dass vermehrt mit demVitalitätsverlust nach Überkronung zu rechnenist. Zudem erscheinen Pfeilerzähne im Alterhäufig elongiert, so dass bei ausgedehntenKronen der massive Substanzabtrag ein zusätz-liches Risiko darstellt. Sollte der ältere oder altePatient für präventive Mundhygienemaßnah-men wenig Verständnis zeigen, so ist aus karies-prophylaktischen Gründen die subgingivaleLage des Kronenrandes zu akzeptieren.

Besonders schwierig stellt sich die Entschei-dung dar, ab welchem Zeitpunkt einer abnehm-baren im Gegensatz zu einer festsitzenden Ver-sorgung der Vorrang zu geben ist. Neben derparodontalen Langzeitprognose, der Qualitätder Zahnhartsubstanz sowie der individuellen Adaptationsfähigkeit spielen hier die allgemei-ne Gesundheit und die Erwartungshaltung desPatienten eine entscheidende Rolle. Präventionim Alter bedeutet daher, eine möglichst funkti-onelle Rehabilitation anzustreben, bei welcherdurch Optimierung der Belastungsverhältnisseder langfristige Erhalt der knöchernen und parodontalen Strukturen, der Zahnhartsubstanzsowie der vertikalen Dimension oberste Priori-tät genießen sollte.

Mund- und ProthesenhygieneDie Mund- und Prothesenhygiene ist bei vielenälteren Menschen unzureichend. Aufgrund ab-nehmender Sehkraft, reduzierten Geruchssinnssowie verminderter oraler Perzeptionsfähigkeitsind ältere Menschen häufig nicht mehr in derLage, Beläge zu erkennen. Die mit zunehmen-dem Alter abnehmende manuelle Geschicklich-keit macht es dem älteren Patienten oftmalsunmöglich, Zähne und Zahnersatz ausreichendzu reinigen; manche zahnärztliche Restauratio-nen erschweren konstruktionsbedingt eine wir-kungsvolle Mundhygiene. Mundhygienemaß-nahmen treten bei „vordringlicheren“ Erkran-

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 14

15

kungen und Gebrechen häufig in den Hinter-grund.

Prinzipiell sollte dem älteren und alten Patien-ten auch bei stark reduziertem Zahnbestand dieTeilnahme an einem Individualprophylaxepro-gramm der Praxis angeboten werden, dabeisollten die empfohlenen Hygienemaßnahmenauf die kognitiven und manuellen Fähigkeitendes Patienten abgestimmt werden. Anleitungenzur Mund- und Prothesenhygiene können demPatienten als Merkblatt mitgegeben werden.Hinweise auf besondere Hilfsmittel wie z. B.elektrische Zahnbürsten, Zahnseide, Zahnzwi-schenraumbürsten und Prothesenbürsten dürfen dabei nicht fehlen. Die Griffe der Zahn-bzw. Prothesenbürsten sollten insbesondere beimanuell behinderten Patienten individuell ge-staltet sein. Die Bundeszahnärztekammer gibtzu dieser Thematik ein „Handbuch der Mund-hygiene bei älteren Menschen“ mit Hinweisenfür das Pflegepersonal zur Mundgesundheit undzum Umgang mit Zahnersatz sowie dessenPflege heraus.

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 15

Recall und IndividualprophylaxeDie Eingliederung von Prothesen wird manch-mal dahingehend interpretiert, dass Patientenmeinen, nicht mehr zum Zahnarzt gehen zumüssen. Daher ist es notwendig allen Patientenzu vermitteln, dass Kontrollbesuche nicht aus-schließlich der Überprüfung der Passform derProthese gelten, sondern dass es auch darumgeht, den Gesundheitszustand der gesamtenMundhöhle einschließlich der Zähne zu unter-suchen. Die präventiven Gedanken der moder-nen Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde sind vie-len älteren Menschen fremd und im Gesprächschwerer nahezubringen als jungen Patienten.Einen älteren Menschen für die individuellePrävention mit einer professionellen Zahnreini-gung zur Vermeidung von Karies und Parodon-talerkrankungen zu gewinnen, verlangt nebenfachlichem Wissen ein hohes Maß an Einfüh-lungsvermögen und Höflichkeit, die Akzeptanzder „Weisheit“ des Alters, aber auch ein be-stimmtes Maß an innerer Überzeugtheit.

ErnährungslenkungDie Lebensqualität älterer und alter Menschenwird wesentlich von einer ausgewogenen, leichtverträglichen und schmackhaften Ernährungbestimmt. Eine gesunde und abwechslungsrei-che Ernährung wird um so schwieriger, je älterman wird und je mehr der Gesundheitszustandnachlässt. Gerade im höheren Alter treten häufi-ger Situationen auf, die das eigene Wohlbefin-den beeinträchtigen und sich über den Appetitauf die Ernährung auswirken. Es müssen alsoauch bei der Ernährung altersspezifische Ver-änderungen berücksichtigt werden. In direktemZusammenhang mit der Ernährung stehen alters-bedingte Veränderungen im Verdauungstrakt.Als Folge davon können Nahrungsmittelunver-träglichkeiten, Obstipation und Übelkeit häufi-ger auftreten. Ist das Kauen erschwert, verän-dert sich die Nahrungsauswahl und gastroin-testinale Störungen (Blähungen, Sodbrennen,Aufstoßen) treten häufiger auf. Hinzu kommenaltersbedingte Veränderungen wie herabgesetz-tes Geschmacks- und Durstempfinden und einmedikamentös bedingt verminderter Speichel-fluss.16

Das Problem der Ernährung älterer Menschenist in der zahnärztlichen Praxis nicht so einfachzu lösen. Die Motivation, die eigene Ernährungnicht zu vernachlässigen und sich die Freudeam Essen bis ins hohe Alter zu erhalten, dafürist ein Faktor im Besonderen zu nennen: derZustand der Zähne.

Empfehlungen für eine zahngesunde Ernährungim Alter wären:

Viel trinkenMindestens 2 Liter Flüssigkeit, eher mehr alsweniger, sollte der ältere und alte Mensch täg-lich konsumieren. Hierzu eignen sich Früchte-oder Kräutertee oder auch Mineralwasser. Milchist eigentlich kein Getränk, sondern ein Lebens-mittel und führt zur Schleimbildung im Rachen-raum. Milch, Buttermilch, Sauermilch, Kefir undMolke sind jedoch gute Calciumquellen. Frucht-säfte sollten mäßig und wenn, dann in verdünn-ter Form konsumiert werden. Fruchtnektare,Fruchtsaftgetränke und gesüßte Limonadensind hochverarbeitete Produkte, deren (ver-steckter) Zuckergehalt höher ist als der Frucht-anteil. Ein einfühlsames und aufklärendes Ge-spräch über die Bedeutung einer ausreichendenFlüssigkeitszufuhr kann helfen, die Trinkge-wohnheiten zu ändern.

Maßhalten mit allen gärfreudigen KohlenhydratenEs ist darauf hinzuweisen, möglichst keinezuckerhaltigen Süßungsmittel zu verwenden,wie z. B. Zucker, Fruchtzucker, Traubenzucker,Honig oder Sirup. Auf versteckte Zucker ist ebenfalls aufmerksam zu machen, in z. B. Mar-meladen, Obstkonserven, verpackten Süßigkei-ten, Medikamenten. „Süßes“ sollte den Haupt-mahlzeiten vorbehalten sein. Mit Zuckeraus-tauschstoffen hergestellten Süßwaren ist derVorzug zu geben. (z.B. Diabetikersüßwaren)und zuckerfreie Bonbons mit Anis, Fenchel undSalbei regen den Speichelfluss an.

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 16

Kaufreundliche SpeisenEmpfehlenswert sind Speisen, die einen leich-ten Kauanreiz bieten, z. B. zartes Gemüse, Salz-kartoffeln, weiches Obst, Hackfleisch sowieSpeisen, die in mundgerechte Stücke geschnit-ten sind. Sie benötigen weniger Kauarbeit undkönnen besser im Mund kontrolliert werden. Generell gilt: Saure Speisen verursachen star-ken Speichelfluss. Süße Speisen machen denSpeichel zäh. Alles, was nicht gekaut werdenmuss, entschwindet dem Bewusstsein schnellund vermittelt das Gefühl nicht gegessen zuhaben.

17

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 17

18

In der Praxis sollte überprüft werden, ob räum-lich die Möglichkeit besteht, Besprechungen ineinem gesonderten Beratungsraum stattfindenzu lassen. Der ältere Mensch sollte nicht gleichim ersten Gespräch mit zu vielen Informationenüberschüttet werden, es ist günstiger, dieseentsprechend seiner kognitiven Fähigkeiten auf-zubereiten. Ein Zuviel an Information verwirrtund kann Ängste verstärken mit der möglichenFolge, dass der Zahnarzt nicht mehr aufgesuchtwird. Besonders für ältere und alte Patienten,die allein, d.h. ohne familiäre Unterstützung,entscheiden, sollte ausreichend Zeit zumFormulieren der Beschwerden und Wünschevorgesehen werden. Abschnittsweise kann dazuaufgefordert werden, Fragen zu stellen. Schrift-liche Informationen, die vom Zahnarzt mündlichwiederholt werden, sind leichter verständlichund besser zu merken. Bei der Auswahl vonSchriftgröße und Papier sollte auf einen gutenKontrast geachtet werden. Terminzettel mit auf-gedruckter Werbung eignen sich für den älterenPatienten nicht. Der Inhalt der kommendenBehandlungssitzung sollte beim Verlassen derPraxis transparent sein.

Es ist sinnvoll, dem älteren und alten Men-schen beim Gespräch möglichst nahe zu sein,so dass Hör- und Sehfähigkeit optimal ausge-nutzt werden können. Vom Behandler und sei-nem Team sollte jedoch herausgefunden wer-den, ob der Patient Nähe und Berührung als

2.4 Tipps zur Organisation der zahnärztlichen Versorgung älterer und alter Patientenin der Praxis

PraxiseinrichtungJeder Zahnarzt sollte einmal seine Praxisräumemit kritischem Blick begehen, um sich möglicheHindernisse wie z. B. Bodenschwellen, Teppich-ränder oder Kabel vor Augen zu führen und dieausreichende Beleuchtung der Praxisräumesicherzustellen. Die Bestuhlung des Wartezim-mers sollte es den älteren und alten Patientenermöglichen, leicht aufzustehen. Eine „roll-stuhlgerechte“ Praxis benötigt zusätzlich einenebenerdigen Zugang bzw. einen Aufzug sowieausreichend Platz neben dem Behandlungs-stuhl und im sanitären Bereich.

Transparenz der Behandlungsschritte und -termineDie Informationen aus der zahnärztlichen Praxissollten für den älteren und alten Menschenübersichtlich strukturiert sein, wobei berück-sichtigt werden muss, dass einige Behand-lungsabläufe und die modernen Möglichkeitender Zahntechnik oft nicht bekannt sind. Hiersollte eine chronologische Darstellung der ent-sprechenden Behandlungsschritte vorbereitetsein. Die Praxis sollte von sich aus anbieten,dass eine dem Patienten vertraute Person beimGespräch anwesend sein kann. Das Gefühl,dass Behandlungsentscheidungen ehrlich,nach-vollziehbar und offen für Praxisfremde darge-stellt werden, verschafft dem älteren und altenMenschen ein hohes Sicherheitsgefühl. Ein Pa-tient, der sich sicher und wohl fühlt, ist wäh-rend einer langen Behandlung mit mehreren Ar-beitsschritten besser zu führen und wird langfri-stig zu den zufriedenen Patienten gehören.

Patientengerechte GesprächsführungZahnmedizinische Befunde und Behandlungs-pläne sollten in einer ruhigen, entspannten, jafast privaten Atmosphäre ohne Hintergrund-geräusche besprochen werden. Hintergrund-musik kann den älteren Menschen ablenkenund seine Konzentration reduzieren.

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 18

19

angenehm empfindet. Manche schwerhörigenMenschen haben gelernt, von den Lippen abzu-lesen, daher sollte beim Gespräch der Mund-schutz abgenommen und sich zum Gesprächs-partner hingewendet werden. Weniger laute, dafür klare und deutliche Aussprache, jedochohne die einzelnen Silben besonders zu beto-nen, erleichtern dem älteren Patienten dasZuhören.

Das Praxisteam sollte immer die gleichenNamen für die zahnmedizinischen Vorgänge, In-strumente, Geräte und Materialien verwenden,damit ältere und alte Menschen nicht durch ver-schiedene Namen verwirrt werden. Medizi-nische Fachbegriffe sollten möglichst nicht ver-wendet oder wenn nötig genau erklärt werden.Beobachtungen, welche dem Praxisteam dieKommunikation und auch den allgemeinenUmgang mit dem älteren Patienten erleichtern,können auch in der Karteikarte dokumentiertwerden.

Sensible TerminvergabeAuch wenn der ältere und alte Mensch in denAugen der Zahnarzthelferin immer Zeit hat, soll-te nach einem günstigen Termin gefragt werden.Kann der Patient die Praxis nur in Begleitungerreichen, ist der Termin entsprechend abzu-stimmen. Der Begleitperson sollte angebotenwerden, während der Wartezeit Erledigungendurchzuführen. Dadurch geht die Verantwortung

für den älteren Menschen vorübergehend andas Praxisteam über. Beim Abholen sollten An-gehörige oder Betreuer erfahren, welche Be-handlung stattgefunden hat und welche Pro-bleme im Rahmen der Behandlung zu Hauseauftreten könnten (z. B. Druckstellen durch dieProthese, leichte Schmerzen nach Wurzelkanal-behandlung, Nachblutungen). Das Engagementder Begleitperson für den älteren Menschen istim Beisein beider positiv hervorzuheben.

Bedingt durch die eingeschränkte Mobilität derälteren und alten Patienten empfiehlt es sich,umfangreiche Therapiemaßnahmen nicht in denWintermonaten durchzuführen, um die „glatte“Jahreszeit und damit die Sturzgefahr zu vermei-den.

KostenvereinbarungenNeben den offiziellen Kostenplänen, die für dieKrankenkasse erstellt werden, sollte der ältereund alte Patient ein kurzes Anschreiben erhal-ten, welches die Kosten, die der Patient selberzu tragen hat, zusammenfasst. Oft möchte derPatient, wie in alten Tagen, bei der Eingliede-rung den Betrag bar begleichen. Hierüber solltebereits im Vorfeld gesprochen werden, denndas Mitbringen einer höheren Bargeldsummebirgt für den Patienten ein unnötiges Risiko.

Bei Patienten, die nicht mehr in der Lage sind,für sich allein zu entscheiden, gilt es herauszu-finden, ob Angehörige als Ansprechpartner zurVerfügung stehen oder eine gerichtlich fest-gelegte Betreuung besteht. Besonders beiPatienten aus Senioreneinrichtungen, ist einevorhergehende Klärung zur Vermeidung vonRechtsstreitigkeiten erforderlich (siehe Kapitel„Die rechtliche Situation“).

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 19

20

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 20

2.5 Zahnärztliche Versorgung in den Alten- und Pflegeheimen

In Deutschland leben von den über 69-jährigenBürgern lediglich 8,4% in Einrichtungen der sta-tionären Altenhilfe. Hierbei überwiegt mit ca.85% der Anteil der Frauen. Der Hilfebedarf derSenioren hat in den letzten Jahren deutlich zu-genommen, insbesondere der Anteil der psy-chisch veränderten älteren und alten Menschenliegt heute bei 40 bis 50% der Bewohner. Ent-sprechend dem jeweiligen Grad der Pflegebe-dürftigkeit (Pflegestufe) erhält der Bewohnereines Senioren- oder Pflegeheimes die für ihnangemessene und adäquate Pflege. Auf derBasis einer Anamnese und der sich hierausableitenden Alltagskompetenz wird für jedenBewohner eine individuelle Pflegeplanung er-stellt und die hier vereinbarten Ziele und Maß-nahmen in der Pflege umgesetzt. Die Pflege inder stationären Altenhilfe orientiert sich in derRegel an Pflegetheorien und wissenschaftlichfundierten Pflegemodellen, in die auch dieMund- und Prothesenpflege integriert ist. So-fern beim Pflegebedürftigen ein Hilfe- undUnterstützungsbedarf besteht, wird dieserdurch Pflegekräfte unterstützt. Unter den Prä-missen der fördernden Pflege erfolgt grundsätz-lich vorrangig eine Anleitung zur Übernahmeder selbstständigen Verrichtung oder je nachBedarf und gesundheitlicher Beeinträchtigungeine teilweise bis völlige Übernahme.

Behandlungspflegerische Tätigkeiten dürfenvom Pflegepersonal nur auf ärztliche Verord-nung ausgeführt werden. Die Verordnungensind vom jeweiligen Arzt/Zahnarzt in der Pfle-gedokumentation zu dokumentieren und abzu-zeichnen. Die zahnmedizinische Versorgungkann nur durch den Zahnarzt erfolgen, der vomBewohner gewünscht ist. Zwischen Arzt undPflegepersonal besteht weder Weisungsrechtnoch Weisungsbefugnis. Der Arzt geht mit demBewohner ein Arzt-Patienten-Verhältnis imSinne des üblichen Behandlungsvertrages ein.Zwischen dem Bewohner und dem Altenheim-träger besteht ein Heimvertrag, welcher dieVerpflichtungen für die Übernahme bestimmterAufgaben regelt. Die Pflegequalität ist über diePflegefachkräfte der Einrichtung sicherzustel-len. Die medizinische Versorgung ist über denvom Bewohner gewählten Haus-, Fach- oderZahnarzt zu gewährleisten. Lediglich im Rahmenvon behandlungspflegerischen Tätigkeiten er-folgt auf der Grundlage der ärztlichen Verord-nung eine Delegierung ärztlicher Leistungen aufdas Fachpflegepersonal.

21

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 21

22

3.1 Betreuung

Für den Fall, dass ein älterer Mensch seine An-gelegenheiten krankheits- oder behinderungs-bedingt nicht mehr selbst regeln kann und auchkein Bevollmächtigter bestellt ist, der in derLage ist, seine Vollmacht pflichtgemäß auszu-üben, sieht unsere Rechtsordnung vor, dasseine gesetzliche Betreuung bestellt wird. Dergesetzliche Betreuer wird nicht automatisch füralle Angelegenheiten bestellt, sondern nur fürdie Angelegenheiten, für die ein Betreuungs-bedürfnis besteht. Reichen die Aufgabenkreise,für die ein gesetzlicher Betreuer bestellt wurde,nicht (mehr) aus, so kann bei Gericht eineErweiterung der Aufgabenkreise angeregt wer-den, wie überhaupt jeder Bürger auch die Ein-

3. Die rechtliche Situation

Das „dritte“ Lebensalter, das heißt die Jahrenach dem typischerweise vollzogenen Austrittaus der Erwerbstätigkeit, ist für viele „jungeAlte“ zu einer offenstehenden Lebensphase mitvielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten gewor-den. Gesundheit wird in dieser Lebensphase zueinem besonders wichtigen Gut.

Mit dem Alter sind selbstverständlich keinerleiRechtseinschränkungen verbunden, auch dannnicht, wenn Menschen im „vierten“, im „hohen“Alter, oftmals multimorbid erkrankt und mög-licherweise auch von Pflegebedürftigkeit betrof-fen sind. Ihnen bleiben grundsätzlich alle recht-lichen Kompetenzen, die Bürgern zustehen. Da-zu gehören die Rechts-, Einwilligungs-, Delikts-und Geschäftsfähigkeit.

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 22

23

richtung einer gesetzlichen Betreuung für einenanderen Bürger bei Gericht anregen kann. Dasgilt auch für Ärzte und Zahnärzte. Der gesetz-liche Betreuer wird zum rechtlichen Vertreterdes Betreuten. Er ist berechtigt, Rechtsgeschäf-te für den Betroffenen abzuschließen und Ent-scheidungen für ihn zu treffen. Allerdings führtdiese Einrichtung nicht – was viele denken –automatisch zur Geschäftsunfähigkeit des Be-treuten: Er bleibt grundsätzlich weiterhin in derLage, Rechtsgeschäfte abzuschließen, gegebe-nenfalls auch neben seinem gesetzlichen Be-treuer. Gesetzliche Betreuer erhalten für dieAusübung ihres Amtes eine „Bestallungsurkun-de“, aus der sich ihr Betreuerstatus und dieAufgabenkreise ergeben.

3.2 Verfügungen in Gesund-heitsangelegenheiten und mutmaßlicher Wille des Patienten

Gerade bei Menschen mit Demenz und anderenkognitiven Störungen können die Fähigkeiten,Entscheidungen für sich selbst zu treffen, einge-schränkt oder sogar entfallen sein. Die Einwilli-gungsfähigkeit entfällt. Mit Wegfall der Einwilli-gungsfähigkeit wird aber nicht der Wille desBetroffenen unmaßgeblich. Alle Beteiligten,auch Ärzte und Zahnärzte, sind dazu angehal-ten, in dieser Situation den sogenannten mut-maßlichen Willen zu ermitteln, das heisst her-auszufinden, wie der Patient in dieser Situationwohl entscheiden würde, wenn er entscheidenkönnte. Dafür ist es wichtig, sich mit den Ange-hörigen und anderen Personen des Vertrauensin Verbindung zu setzen. Es ist auch möglich,für diese Situation Vorsorge zu treffen und fürden Fall der Einwilligungsunfähigkeit in Formeiner Verfügung zu beachtender Wünsche undWillensäußerungen niederzulegen.In Verfügun-gen zu Gesundheitsangelegenheiten könnenauch allgemeine Wünsche niedergelegt werden,die sich darauf beziehen, dass bestimmte Heil-behandlungsmethoden nicht angewandt undandere bevorzugt werden. Auch ökonomischeAspekte können niedergelegt werden. Patien-

tenverfügungen und Verfügungen in Gesund-heitsangelegenheiten sind von den Bevoll-mächtigten und gesetzlichen Betreuern zu be-achten. Sie binden auch die behandelndenÄrzte, es sei denn, es bestehen konkrete An-haltspunkte dafür, dass der Patient an seinemniedergelegten Willen nicht mehr festhaltenmöchte. Patientenverfügungen und Verfügun-gen in Gesundheitsangelegenheiten solltenschriftlich niedergelegt werden. Sie sind inzwi-schen relativ verbreitet, beziehen sich jedochselten auf allgemeine Heilbehandlungsmaß-nahmen und nur sehr selten auf Situationen,die für die zahnmedizinische Behandlung vonBelang sind.

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 23

24

Herausgeber Bundeszahnärztekammer (BZÄK)Ausschuss Präventive Zahnheilkunde in Zusammenarbeitmit dem Arbeitskreis Alterszahnmedizin

Redaktionelle Bearbeitung Dr. Wolfgang Micheelis/IDZDr. Sebastian Ziller/BZÄK

Gesamtgestaltung Reiner Wolfgardt, KommunikationsdesignAkademisches Kunstmuseum, Antikensammlung der Universität Bonn

Berlin, November 2002

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 24

L E I T F A D E N D E R B U N D E S Z A H N Ä R Z T E K A M M E R

Leitlinien Alter A3 final 25.09.2006 15:44 Uhr Seite 26


Recommended