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PRÜFUNGSRICHTLINIEN FÜR UNIONSMARKEN …...Doppelte Identität und Verwechslungsgefahr –...

Date post: 24-Jan-2020
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Doppelte Identität und Verwechslungsgefahr Kennzeichnungskraft Prüfungsrichtlinien vor dem Amt, Teil C, Widerspruch Seite 1 FINALDRAFT VERSION 1.0 23/03/201601/02/2017 PRÜFUNGSRICHTLINIEN FÜR UNIONSMARKEN AMT DER EUROPÄISCHEN UNION FÜR GEISTIGES EIGENTUM (EUIPO) TEIL C WIDERSPRUCH ABSCHNITT 2 DOPPELTE IDENTITÄT UND VERWECHSLUNGSGEFAHR KAPITEL 5 KENNZEICHNUNGSKRAFT DER ÄLTEREN MARKE
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Doppelte Identität und Verwechslungsgefahr – Kennzeichnungskraft

Prüfungsrichtlinien vor dem Amt, Teil C, Widerspruch Seite 1 FINALDRAFT VERSION 1.0 23/03/201601/02/2017

PRÜFUNGSRICHTLINIEN FÜR UNIONSMARKEN

AMT DER EUROPÄISCHEN UNION

FÜR GEISTIGES EIGENTUM (EUIPO)

TEIL C

WIDERSPRUCH

ABSCHNITT 2

DOPPELTE IDENTITÄT UND VERWECHSLUNGSGEFAHR

KAPITEL 5

KENNZEICHNUNGSKRAFT DER ÄLTEREN MARKE

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Doppelte Identität und Verwechslungsgefahr – Kennzeichnungskraft

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Inhaltsverzeichnis

1 Allgemeine Bemerkungen ......................................................................... 3

2 Beurteilung der Kennzeichnungskraft der älteren Marke ...................... 4

2.1 Allgemeine Fragen ..................................................................................... 4

2.1.1 Kennzeichnungskraft ...................................................................................... 4

2.1.2 Originäre und erhöhte Kennzeichnungskraft .................................................. 7

2.1.3 Maßgebender Zeitpunkt ................................................................................. 7

2.1.4 Relevante Waren und Dienstleistungen ......................................................... 8

2.2 Prüfung originärer Kennzeichnungskraft der älteren Marke ................... 8

2.2.1 Allgemeine Grundsätze .................................................................................. 8

2.2.2 Auswirkungen der geringen Kennzeichnungskraft der älteren Marke ........... 9

2.2.3 Spezifische Themen ..................................................................................... 11 2.2.3.1 Marken in Form eines einzelnen Buchstabens, Zahlzeichen und

Kurzzeichen ............................................................................................... 11 2.2.3.2 Kollektivmarken ............................................................................................. 12

2.3 Prüfung erhöhter Kennzeichnungskraft ................................................. 13

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Doppelte Identität und Verwechslungsgefahr – Kennzeichnungskraft

Prüfungsrichtlinien vor dem Amt, Teil C, Widerspruch Seite 3 FINALDRAFT VERSION 1.0 23/03/201601/02/2017

1 Allgemeine Bemerkungen Der Europäische Gerichtshof (der „Gerichtshof“) hat in seinem Urteil vom 29/09/1998, C-39/97, Canon, EU:C:1998:442, § 18 und 24 befunden:

„[…] Marken, die, von Haus aus oder wegen ihrer Bekanntheit auf dem Markt, eine hohe Kennzeichnungskraft besitzen, [genießen] einen umfassenderen Schutz als die Marken, deren Kennzeichnungskraft geringer ist.

[…] die Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke, insbesondere ihre Bekanntheit, [ist] bei der Beurteilung zu berücksichtigen […], ob die Ähnlichkeit zwischen den durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen ausreicht, um eine Verwechslungsgefahr herbeizuführen.“

Es ist wichtig, zu unterscheidenDie Beurteilung der Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist besonders wichtig, wenn nur ein geringer Grad an Ähnlichkeit zwischen den Zeichen besteht, da in diesen Fällen „zu prüfen ist, ob dieser geringe Grad durch einen hohen Grad an Ähnlichkeit zwischen den Waren ausgeglichen werden kann“ (Urteile vom 11/06/2014, T-281/13, Metabiomax, EU:T:2014:440, § 57; und vom 13/05/2015, T-102/14, TPG POST/DP et al., EU:T:2015:279, § 67) und umgekehrt. Nach der Rechtsprechung ist zwischen dem Faktor zu unterscheiden, der in der Kennzeichnungskraft der älteren Marke besteht und der mit dem dieser zukommenden Schutz verknüpft ist, und der Kennzeichnungskraft des Bestandteils einer zusammengesetzten Marke, der in Verbindung mit der Eignung dieses Bestandteils steht, den von dieser Marke hervorgerufenen Gesamteindruck zu dominieren (Beschluss vom 27/04/2006, C-235/05 P, Flexi Air, EU:C:2006:271, § 43). „Wenn auch die Kennzeichnungskraft eines Bestandteils einer zusammengesetzten Marke bereits bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit zu prüfen ist [...], ist der Grad der Kennzeichnungskraft der älteren Marke einer der Gesichtspunkte, die im Rahmen der Gesamtbeurteilung der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen sind. Folglich ist im Stadium der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit der möglicherweise geringe Grad der Kennzeichnungskraft der älteren Marken nicht zu berücksichtigen“ (Urteile vom 23/01/2014, C-558/12 P, Western Gold/WeserGold et al., EU:T:2014:22, § 42-45; vom 25/03/2010, T-5/08 und T-7/08, Golden Eagle/Golden Eagle Deluxe, EU:T:2010:123, § 65; und vom 19/05/2010, T-243/08, EDUCA Memory game, EU:T:2010:210, § 27) (Hervorhebungen hinzugefügt). Daher unterscheidet das Amt zwischen (i) der Analyse der Kennzeichnungskraft der älteren Marke in ihrer Gesamtheit, die den dieser Marke gewährten Schutzumfang festlegt und einer der bei der Gesamtbeurteilung der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigenden Faktoren ist, und (ii) der Analyse der Kennzeichnungskraft eines Bestandteils der Marken beim Vergleich1. Während die Kennzeichnungskraft für die Bestandteile sowohl der älteren Marke als auch der angefochtenen Marke beurteilt werden muss, wird die Kennzeichnungskraft

1 Siehe Richtlinien, Teil C, Abschnitt 2, Doppelte Identität und Verwechslungsgefahr, Kapitel 3, Vergleich

von Zeichen.

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der Marke in ihrer Gesamtheit nur hinsichtlich der älteren Marke beurteilt2. Die Kennzeichnungskraft der angefochtenen Marke in ihrer Gesamtheit ist als solche für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr nicht relevant, wie genauer in Abschnitt 2.1.2 unten erläutert. Daher beziehen sich alle Bezugnahmen auf die Kennzeichnungskraft der Marke in ihrer Gesamtheit ausschließlich auf die ältere Marke. Die Bedeutung der Kennzeichnungskraft der älteren Marke in ihrer Gesamtheit kommt bei der umfassenden Beurteilung zum Tragen, weil der Gerichtshof befunden hat, dass es nicht angemessen ist, im Stadium der Beurteilung der Ähnlichkeit der Zeichen zu berücksichtigen, was ein geringer oder ein hoher Grad der Kennzeichnungskraft sein kann (Urteile vom 23/01/2014, C-558/12 P, Western Gold, EU:T:2012:1257, § 42-45; 25/03/2010, T-5/08 undT-7/08, GoldenEagle/Golden Eagle Deluxe, EU:T:2010:123, § 65; 19/05/2010, T-243/08, EDUCA Memory game, EU:T:2010:210, § 27).

2 Beurteilung der Kennzeichnungskraft der älteren Marke Das Urteil im Fall Canon verdeutlicht, dass (i) je kennzeichnungskräftiger die ältere Marke ist, desto größer die Verwechslungsgefahr sein wird und (ii) ältere Marken, diewegen ihrer Bekanntheit auf dem Markt eine hohe Kennzeichnungskraft besitzen, einen umfassenderen Schutz als Marken genießen, deren Kennzeichnungskraft geringer ist. Folglich bestimmt die Kennzeichnungskraft der älteren Marke in ihrer Gesamtheit die Stärke und den Umfang ihres Schutzes und muss für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr berücksichtigt werden (jedoch nicht für die Beurteilung der Ähnlichkeit zwischen den Marken – siehe „Western Gold“ u. a. oben angeführte Urteile)..

2.1 Allgemeine Fragen

2.1.1 Kennzeichnungskraft Der Gerichtshof hat Kennzeichnungskraft folgendermaßen definiert:

„Um die Kennzeichnungskraft einer Marke zu bestimmen und folglich zu beurteilen, ob sie eine erhöhte Kennzeichnungskraft besitzt, hat das vorlegende Gericht umfassend zu prüfen, ob die Marke geeignet ist, die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen worden ist, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und damit diese Waren oder Dienstleistungen von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden“ (Hervorhebung hinzugefügt).

(Urteil vom 22/06/1999, C-342/97, Lloyd Schuhfabrik EU:C:1999:323, § 22). Nicht zuletzt ist Kennzeichnungskraft eine Frage des Grades, und bei der Analyse der Kennzeichnungskraft gilt eine Gleitskala, bei der es einem Zeichen vollständig an Kennzeichnungskraft fehlen, es hohe Kennzeichnungskraft besitzen oder irgendwo dazwischen liegen kann.

2 Siehe auch Ziel 1 der Gemeinsamen Praxis, die im Rahmen des Europäischen Netzwerks für Marken

und Geschmacksmuster (ETMDN) vereinbart wurde, über die Auswirkungen von nicht unterscheidungs-kräftigen/schwachen Markenbestandteilen auf die Verwechslungsgefahr.

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Reputed Bekannt

Use > Recognition Benutzung > Wiedererkennung

Enhanced distinctiveness Erhöhte Kennzeichnungskraft

Use > Recognition Benutzung > Wiedererkennung

Arbitrary Beliebig

Allusive Anspielend

Descriptive Beschreibend

Generic Gattungsbegriff

KDRAK – Transport KDRAK – Transport

EARTH - Clothing EARTH – Bekleidung

MUNCHIES – Snacks MUNCHIES – Snacks

SCIENCE – Magazine SCIENCE – Magazin

CARGO – Trucks CARGO – Lastkraftwagen

Distinctiveness Kennzeichnungskraft

Registrable Eintragungsfähig

Ein Zeichen ist nicht kennzeichnungskräftig, wenn es ausschließlich diehinsichtlich der Waren oder Dienstleistungen selbst oder dieder Eigenschaften solcher Waren und Dienstleistungen (wie ihreihrer Qualität, ihren Wert, ihren Zweck, ihreihres Werts, ihres Zwecks, ihrer Herkunft usw.) beschreibtbeschreibend oder lobend ist und/oder wenn dessen Benutzung im Verkehr für solche Waren und Dienstleistungen üblich ist. Gleichermaßen wird es einem Zeichen, das ein Gattungsbegriff ist (wie eine übliche Form eines Containers oder eine gewöhnliche Farbe) an Kennzeichnungskraft mangeln. Für die Beurteilung der Kennzeichnungskraft gelten dieselben Regeln wie für die Prüfung auf absolute Eintragungshindernisse. Ein Zeichen kann möglicherweise nur einen geringen Grad der Kennzeichnungskraft besitzen, wenn es auf Eigenschaften der Waren und Dienstleistungen anspielt (aber nicht ausschließlich die Eigenschaften beschreibt). Wenn die Anspielung auf die Waren und Dienstleistungen hinreichend einfallsreich oder intelligent ist, beeinflusst die bloße Tatsache, dass auf die Eigenschaften der Waren angespielt wird, die Kennzeichnungskraft möglicherweise nicht wesentlich. Beispiel:

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„Billionaire“ in Verbindung mit Spieledienstleistungen spielt auf die Eigenschaften in einer Weise an, die die Kennzeichnungskraft beeinflusst, da impliziert wird, dass der Nutzer Milliardär (englisch: billionaire) werden kann.

„Billy O‘Naire“ wird im Englischen wie „billionaire“ ausgesprochen und würde in Form eines intelligenten Wortspiels mit irischen Namen in einer Weise auf Spieledienstleistungen anspielen, die die Kennzeichnungskraft nicht wesentlich beeinflusst. Es würde von einem „normalen“ Grad der Kennzeichnungskraft ausgegangen werden.

Ein Zeichen, das weder beschreibend noch anspielend ist, gilt als einen „normalen“ Grad der originären Kennzeichnungskraft besitzend., sofern keine Hinweise auf eine diesbezügliche Einschränkung vorliegen (beispielsweise aufgrund eines beschreibenden oder lobenden Charakters). Dies bedeutet, dass das fragliche Zeichen vollständig kennzeichnungskräftig ist und zwar in dem Sinne, dass dessen Fähigkeit, die Waren und Dienstleistungen, für die es eingetragen worden ist, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu identifizieren, in keiner Weise gemindert oder beeinträchtigt ist. Jeglicher höherer Grad der Kennzeichnungskraft der älteren Marke, wie er häufig vom Widersprechenden beansprucht wird, um den Schutzumfang zu erweitern, muss vom Inhaber durch Vorlage geeigneter Nachweise bewiesen werden (siehe Abschnitt 2.3 unten). Eine Marke besitzt nicht unbedingt allein dadurch einen höheren Grad der Kennzeichnungskraft, dass keine konzeptionelle Verknüpfung zu den jeweiligen Waren und Dienstleistungen vorliegt (Beschluss vom 16/05/2013, C-379/12 P, H/Eich, EU:C:2013:317, § 71). GleichermaßenAndererseits kann ein UM-Anmelder argumentieren, dass das ältere Zeichen geringe Kennzeichnungskraft besitzt. Eines der häufigsten Argumente, die von Anmeldern vorgebracht werden, ist, dass die ältere Marke oder einer ihrer Bestandteile geringe Kennzeichnungskraft hat, da es viele Marken gibt, die aus dem fraglichen Element bestehen oder dieses umfassen. Wenn dieses Argument vom Anmelder nur unter Bezugnahme auf Markeneintragungen vertreten wird, vertritt das Amt die Ansicht, dass die Existenz von verschiedenen Markeneintragungen nicht von Haus aus besonders eindeutig ist, da sie nicht zwingend die Situation auf dem Markt widerspiegelt. Mit anderen Worten kann nicht nur auf Grundlage von Registerdaten darauf geschlossen werden, dass alle diese Marken auch tatsächlich benutzt wurden. (Urteile vom 13/04/2011, T-358/09, Toro de piedra, EU:T:2011:174, § 35; und vom 08/03/2013, T-498/10, David Mayer, EU:T:2013:117, § 77-79). Daraus folgt, dass die eingereichten Nachweise zeigen müssen, dass Verbraucher der weitverbreiteten Benutzung der Marken ausgesetzt waren, die das fragliche Element umfassen, und sich daran gewöhnt haben, um zu beweisen, dass dieses Element eine geringe Kennzeichnungskraft hat. Bei der Beschäftigung mit der Kennzeichnungskraft der älteren Marke in ihrer Gesamtheit muss letztere immer derart betrachtet werden, als habe sie ein Mindestmaß an originärer Kennzeichnungskraft. Ältere Marken, ob Unionsmarken oder nationale Marken, genießen eine „Gültigkeitsvermutung“. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 24/05/2012, C-196/11, F1-Live, EU:C:2012:314, § 40-41, deutlich gemacht, dass „[...] die Gültigkeit nationaler Marken in einem Verfahren über einen Widerspruch gegen eine [Unionsmarkenanmeldung] nicht in Frage gestellt werden kann“. Der Gerichtshof fügte hinzu: „[...] ist festzustellen, dass die Bezeichnung eines

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Zeichens als beschreibend oder als Gattungsbegriff gleichbedeutend mit dem Verneinen seiner Unterscheidungskraft ist“3.

2.1.2 Originäre und erhöhte Kennzeichnungskraft Das Amt muss im ersten Schritt die allgemeine originäre Kennzeichnungskraft der

älteren Marke überprüfen (siehe Abschnitt 2.2 unten) und im zweiten Schritt – falls dies beansprucht wird und für das Ergebnis von Bedeutung ist – berücksichtigen, ob die ältere Marke als Folge der Benutzung, die der Widersprechende davon gemacht hat, erworbene erhöhte Kennzeichnungskraft besitzt (siehe Abschnitt 2.3 unten).

Der Grad der Kennzeichnungskraft des älteren Zeichens ist einer der Faktoren, der in der umfassenden Beurteilung zu berücksichtigen ist (Urteil vom 11/11/1997, C-251/95 Sabèl, EU:C:1997:528, § 23). Es handelt sich hier um eine Rechtsfrage, die vom Amt geprüft werden muss, auch wenn die Beteiligten sich dazu nicht äußern. Dagegen ist der Grad der erhöhten durch Benutzung des älteren Zeichens erworbenen Kennzeichnungskraft eine Rechts- und eine Tatsachenfrage, die das Amt nicht prüfen kann, solange der Widersprechende diese nicht beansprucht und fristgerecht begründet (siehe Richtlinien, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 1, Verfahrensfragen, Kapitel 4.2. Begründung). Die originäre Kennzeichnungskraft der angefochtenen Marke in ihrer Gesamtheit wird im Rahmen der Widerspruchsverfahren nicht geprüft, da der Schutzumfang der älteren Marke für die Zwecke der Verwechslungsgefahr maßgeblich ist. Gleichermaßen ist auch die erhöhte Kennzeichnungskraft des angefochtenen Zeichens irrelevant, weil Verwechslungsgefahr eher eine Betrachtung des Schutzumfangs der älteren Marke als eine Betrachtung des Schutzumfangs der Marke erfordert, die angemeldet wird. Wenn für eine ältere Marke anerkannt wird, dass sie wegen ihrer erhöhten Kennzeichnungskraft einen breiteren Schutzumfang genießt, ist die von der angemeldeten Marke erworbene Bekanntheit grundsätzlich irrelevant für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr (Urteil vom 03/09/2009, C-49807 P, La Española, EU:C:2013:302, § 84).

2.1.3 Maßgebender Zeitpunkt Die originäre Kennzeichnungskraft der älteren Marke/n sollte zum Zeitpunkt der Entscheidung beurteilt werden. Die originäre Kennzeichnungskraft der älteren Marke/n (wenn beansprucht) sollte (i) zum Zeitpunkt der Einreichung der angefochtenen UM-Anmeldung (oder zum Datum einer Priorität) und (ii) zum Zeitpunkt der Entscheidung bestehen.

3 Siehe auch Ziel 1 der Gemeinsamen Praxis, die im Rahmen des ETMDN vereinbart wurde, über die

Auswirkungen von nicht unterscheidungskräftigen/schwachen Markenbestandteilen auf die Verwechslungsgefahr.

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2.1.4 Relevante Waren und Dienstleistungen Die Beurteilung der originären Kennzeichnungskraft der älteren Marke wird nur für Waren oder Dienstleistungen vorgenommen, die als mit den angefochtenen Waren und Dienstleistungen identisch oder als ihnen ähnlich angesehen werden Die Beurteilung der erhöhten Kennzeichnungskraft der älteren Marke wird nur hinsichtlich der Waren oder Dienstleistungen vorgenommen, die von dem Zeichen geschützt werden, für das erhöhte Kennzeichnungskraft beansprucht wird. Darüber hinaus ist die Wahrnehmung durch die maßgeblichen Verkehrskreise für diese Waren und Dienstleistungen relevant (z. B. ob Fachpublikum betroffen ist oder nicht).

2.2 Prüfung originärer Kennzeichnungskraft der älteren Marke

2.2.1 Allgemeine Grundsätze Der erste Schritt bei der Prüfung der Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist die Prüfung ihrer originären Kennzeichnungskraft. Es gelten dieselben Regeln und Grundsätze wie bei der Prüfung der Kennzeichnungskraft von Bestandteilen in Bezug auf die maßgeblichen Verkehrskreise, den sprachlichen und kulturellen Hintergrund, das relevante geografische Gebiet, die betreffenden Waren und Dienstleistungen, usw. (siehe Kapitel 4 Absatz 3.2 dieses Abschnitts). In der Phase der Bestimmung der Kennzeichnungskraft der älteren Marke insgesamt wurde die Kennzeichnungskraft ihrer verschiedenen Bestandteile (oder ihres einzigen Bestandteils) bereits beim Vergleich der Zeichen festgestellt. Grundsätzlich gilt, dass wenn eine ältere Marke einen Bestandteil mit normaler Kennzeichnungskraft enthält, ist auch die originäre Kennzeichnungskraft einer solchen älteren Marke insgesamt normal. Dies gilt auch, wenn etwaige Bestandteile enthalten sind, die über keine Kennzeichnungskraft verfügen oder deren Kennzeichnungskraft schwach ist. Wenn der Bestandteil der älteren Marke mit der höchsten Kennzeichnungskraft nur einen geringen Grad der Kennzeichnungskraft aufweist, dann ist grundsätzlich die originäre Kennzeichnungskraft der Marke insgesamt höchstens gering. Wie oben erwähnt, wird für ältere eingetragene Marken angenommen, dass sie das Mindestmaß an originärer Kennzeichnungskraft besitzen4, selbst wenn die Nachweise zur Anfechtung dieser Annahme für überzeugend befunden werden. Wenn der Anmelder einer Unionsmarke beweist, dass er einen Antrag auf Löschung gegen die ältere eingetragene Marke eingereicht hat, dann kann es erforderlich sein, die anhängigen Widerspruchsverfahren bis zur Entscheidung über den genannten Antrags auszusetzen. Das Ergebnis der Prüfung der originären Kennzeichnungskraft der älteren Marke insgesamt wird eines der folgenden sein.

Die ältere Marke besitzt geringere als normale Kennzeichnungskraft, weil sie insgesamt anspielend (auf eine Weise, die die Kennzeichnungskraft wesentlich

4 Siehe Urteil vom 24/05/2012, C-196/11, F1-Live, EU:C:2012:314, in Absatz 2.1.1 oben zitiert.

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beeinflusst) oder lobend hinsichtlich der Eigenschaften der identischen oder ähnlichen Waren oder Dienstleistungen ist (oder weil sie anderweitig schwach ist). Wie oben dargelegt wird das Amt nicht schlussfolgern, dass eine ältere Marke in ihrer Gesamtheit beschreibend und/oder nicht kennzeichnungskräftig ist.

Die ältere Marke hat normale Kennzeichnungskraft, weil sie in ihrer Gesamtheit nicht beschreibend, anspielend (in einer die Kennzeichnungskraft beeinflussenden Weise) oder lobend (oder anderweitig nicht schwach ist) hinsichtlich der identischen oder ähnlichen Waren oder Dienstleistungen ist.

Es ist zu beachten, dass es gängige Praxis des Amtes ist, zu erwägen, dass, wenn die ältere Marke nicht beschreibend ist (oder nicht anderweitig nicht kennzeichnungskräftig ist), sie als nicht mehr als einen normalen Grad an originärer Kennzeichnungskraft besitzend angesehen wird. Wie oben angegeben, kann dieser Grad der Kennzeichnungskraft weiter erhöht werden, wenn geeignete Nachweise vorgelegt werden, aus denen hervorgeht, dass ein höherer Grad der Kennzeichnungskraft der älteren Marke durch Benutzung oder weil sie in hohem Maße originell, ungewöhnlich oder einzigartig ist, erworben wurde (26/03/2015, T-581/13, Royal County of Berkshire POLO CLUB (fig.) / BEVERLEY HILLS POLO CLUB et al., EU:T:2015:192, § 49, letzte Alternative). Es sei jedoch daran erinnert, dass eine Marke nicht notwendigerweise ein höheres Maß an Kennzeichnungskraft besitz, nur weil es keine konzeptuelle Verbindung mit den betreffenden Waren und Dienstleistungen gibt (UrteilBeschluss vom 16/05/2013, C-379/12 P, H/Eich, EU:C:2013:317, § 71).

2.2.2 Auswirkungen der geringen Kennzeichnungskraft der älteren Marke Wie oben in Abschnitt 2.1.1 erläutert, geht das Amt gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofes davon aus, dass die ältere Marke ein Mindestmaß an Kennzeichnungskraft besitzt. Die Feststellung, dass eine Marke geringe oder sogar sehr geringe (minimale) Kennzeichnungskraft aufweist, kann unterschiedliche Auswirkungen auf die Verwechslungsgefahr haben. Grundsätzlich spricht diese Feststellung gegen eine Verwechslungsgefahr. Sie ist jedoch gegen andere Faktoren abzuwägen, wie beispielsweise den Grad der Ähnlichkeit der Zeichen und der Waren oder Dienstleistungen sowie den Grad der Aufmerksamkeit und der fachlichen Kenntnisse des relevanten Publikums. Der Gerichtshof hat mehrfach unterstrichen, dass die Feststellung einer geringen Kennzeichnungskraft der älteren Marke nicht der Feststellung entgegensteht, dass Verwechslungsgefahr besteht. Die “Unterscheidungskraft der älteren Marke ist zwar bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen […], doch stellt sie nur einen der bei dieser Beurteilung zu berücksichtigenden Faktoren dar. Selbst wenn es also um eine ältere Marke mit schwacher Unterscheidungskraft geht, kann eine Gefahr von Verwechslungen, insbesondere wegen [eines hohen Grades an] Ähnlichkeit der Zeichen sowie der betroffenen Waren oder Dienstleistungen, gegeben sein“ (Urteil vom 13/12/2007, T-134/06, Pagesjaunes.com, EU:T:2007:387, § 70). Eine Verwechslungsgefahr wurde für ähnliche und identische Waren bestätigt, wenn sich die Marken lediglich im Hinblick auf die Stilisierung oder nicht kennzeichnungskräftige Bildelemente unterschieden und daher einen hohen Ähnlichkeitsgrad aufwiesen:

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Ältere Marke Angefochtenes Zeichen Rechtssache

iHotel T-19/12, EU:T:2013:242

Waren und Dienstleistungen: Klasse 43 und andere Klassen für Reise- und Hoteldienstleistungen Gebiet: EU Beurteilung: Die Marken sind sich in visueller Hinsicht hochgradig ähnlich sowie in klanglicher und begrifflicher Hinsicht identisch.

Ältere Marke Angefochtenes Zeichen Rechtssache

SHE

T-642/13, EU:T:2015:781

Waren und Dienstleistungen: Klasse 25 Gebiet: Deutschland Beurteilung: Die Marken sind sich in visueller und begrifflicher Hinsicht ähnlich sowie in phonetischer Hinsicht identisch. Die Feststellung der Verwechslungsgefahr wird durch das Argument, dass die ältere Wortmarke rein beschreibenden Charakter hat und somit geringe Kennzeichnungskraft aufweist, nicht in Frage gestellt. Die Tatsache, dass die betreffende Marke aus demselben Wortzeichen besteht wie die ältere Wortmarke und sich lediglich durch ein Bildelement ohne eine bestimmte Bedeutung von ihr unterscheidet, könnte als eine besondere Ausgestaltung der älteren Wortmarke aufgefasst werden (§ 73 und 77).

Andererseits wurde eine Verwechslungsgefahr selbst bei identischen Waren ausgeschlossen, wenn die Marken aufgrund der aus einem zusätzlichen, stark kennzeichnungskräftigen Element entstehenden Unterschiede geringe Ähnlichkeit aufwiesen:

Ältere Marke Angefochtenes Zeichen Rechtssache

POST TPG POST T-102/14

Waren und Dienstleistungen: Klasse 39 und andere Klassen für Postdienstleistungen Gebiet: Deutschland, EU Beurteilung: Die ältere Marke hat geringe Kennzeichnungskraft. Die durch die Hinzufügung des kennzeichnungskräftigen Elements „TPG“ entstehenden Unterschiede zwischen den Marken werden in , klanglicher und begrifflicher Hinsicht wahrgenommen (§ 61 und 68).

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Angefochtenes Zeichen Ältere Marke Rechtssache

F1H2O F1 T-55/13, EU:T:2015:309

Waren und Dienstleistungen: Klassen 9, 25, 38, 41 Gebiet: IT, UK und andereBeurteilung: Die Marken weisen geringe visuelle und klangliche Ähnlichkeit auf und sind sich in begrifflicher Hinsicht unähnlich. Das Element „F1“ ist in der Tat geeignet, in der Vorstellung des relevanten Publikums einen Zusammenhang zwischen diesen Waren und Dienstleistungen und dem Bereich des Motorsports herzustellen. Die Kennzeichnungskraft der älteren Wortmarken trägt nicht dazu bei, diesen Marken oder dem aus der alphanumerischen Kombination „F1“ bestehenden Element der angemeldeten Marke dominierenden Charakter oder selbstständige Kennzeichnungskraft zu verleihen, da die angemeldete Marke vom relevanten Publikum nicht in ihre Bestandteile zerlegt, sondern in ihrer Gesamtheit wahrgenommen würde (§ 45 und 50).

2.2.3 Spezifische Themen 2.2.23.1 Marken in Form eines einzelnen Buchstabens, Zahlzeichen und Kurzzeichen Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 09/09/2010 in der Rechtssache C- 265/09 P, α, EU:C:2010:508 festgehalten, dass die Unterscheidungskraft von Marken, die aus einem einzelnen Buchstaben bestehen, gemäß einer Untersuchung auf der Grundlage der Tatsachen mit Schwerpunkt auf den fraglichen Waren oder Dienstleistungen und den gleichen Kriterien wie für andere Wortmarken zu beurteilen ist (Randnummern 33 bis 39). Wenngleich sich dieses Urteil mit absoluten Eintragungshindernissen befasst, bleibt nach Ansicht des Amtes die Tatsache bestehen, dass der vom Gerichtshof festgelegte Grundsatz (d. h., die Anwendung des Kriteriums der Kennzeichnungskraft muss für alle Marken gleich sein) auch in Inter-Partes-Verfahren Anwendung findet, wenn es darum geht, die Kennzeichnungskraft von Marken, die aus einem einzelnen Buchstaben bestehen, zu bestimmen. Der Gerichtshof hat zwar anerkannt, dass es für Marken, die aus einem einzelnen Buchstaben bestehen, schwieriger sein kann, die Unterscheidungskraft zu bestimmen als für andere Wortmarken; er hat jedoch festgehalten, dass diese Schwierigkeiten es nicht rechtfertigen, besondere Kriterien aufzustellen, die die Anwendung des Kriteriums der Kennzeichnungskraft gemäß der Auslegung der Rechtsprechung ergänzen oder davon abweichen. Nach Ansicht des Amtes bedeutet diese Regelung, dass es bei der Feststellung der Kennzeichnungskraft einer älteren Marke nicht korrekt ist, sich auf Annahmen zu stützen, wie etwa Aussagen a priori, dass Verbraucher aufgrund der begrenzten Anzahl von Buchstaben nicht die Gewohnheit haben, einzelne Buchstaben als Marken wahrzunehmen, oder auf allgemeine Argumente wie solche in Bezug auf die Verfügbarkeit von Zeichen.

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Doppelte Identität und Verwechslungsgefahr – Kennzeichnungskraft

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Das Gericht hat seither in einer Reihe von Fällen bestätigt, das eine Marke, die einen einzelnen Buchstaben oder eine einzelne Ziffer enthält, in der Tat an sich Kennzeichnungskraft haben kann (Urteile vom 08/05/2012, T-101/11, G, EU:T:2012:223, § 50; 06/10/2011, T-176/10, Seven for all mankind, EU:T:2011:577, § 36; 05/11/2013, T-378/12, X, EU:T:2013:574, § 37-51). In seinem Urteil vom 10/05/2011 in der Rechtssache T-187/10, G, EU:T:2011:202, lehnte das Gericht die Argumente des Anmelders ab, demzufolge einzelne Buchstaben generell per se keine Kennzeichnungskraft haben und daher lediglich ihre grafische Wiedergabe geschützt sei (siehe § 38 und 49). Deshalb ist der Grad der originären Kennzeichnungskraft von eingetragenen älteren Marken, die aus einem einzelnen Buchstaben (oder einer einzelnen Zahl) bestehen und in Standardzeichen wiedergegeben sind, solange sie eine Gültigkeitsvermutung genießen, letztendlich mit Bezug auf die betroffenen Waren und/oder Dienstleistungen zu beurteilen. Wird entsprechend Anspruch erhoben, sollten die vom Widersprechenden vorgelegten Beweismittel berücksichtigt werden, die belegen, dass seine eingetragene, aus einem einzelnen Buchstaben bestehende Marke erhöhte Kennzeichnungskraft erlangt hat. Dieser Umstand könnte der älteren Marke einen umfassenderen Schutzumfang verleihen. Diese Erwägungen gelten sowohl für Marken, die aus einem einzelnen Buchstaben bzw. einer einzelnen Zahl bestehen und in Standardzeichen (d. h. Wortmarken) wiedergegeben sind, als auch für Marken, die aus einem einzelnen stilisierten Buchstaben bzw. einer einzelnen stilisierten Zahl bestehen. Wenn vom Widersprechenden erfolgreich nachgewiesen wurde, dass seine ältere Marke aufgrund intensiver Benutzung eine erhöhte Kennzeichnungskraft erlangt hat, muss die entsprechende Auswirkung auf das Endergebnis einer sorgfältigen Beurteilung unterzogen werden. Erstens kann die erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke, die nur einen Buchstaben oder eine Buchstabenkombination enthält oder daraus besteht die Feststellung einer Verwechslungsgefahr nicht rechtfertigen, wenn der visuelle Gesamteindruck der Zeichen so unterschiedlich ist, dass sie sicher unterschieden werden können. Wenn zweitens nachweislich eine aus einem Buchstaben bestehende Marke durch zusätzliche figurative Elemente speziell ausgestaltet oder begleitet wird , kommt der resultierende breitere Schutzumfang der Form, in der die Marke verwendet wurde, zugute und nicht dem einzelnen Buchstaben als solchem oder einer anderen speziell ausgestalteten Variation. Was Kurzzeichen betrifft, sind diese darüber hinaus im Einklang mit dem „α“-Urteil notwendigerweise nicht nur zu einem geringen Grad unterscheidungskräftig, es sei denn, eine Buchstabenkombination als solche ist an sich für die Waren und Dienstleistungen nicht unterscheidungskräftig (z. B. ‘S’ oder „XL“ für Waren in Klasse 25). Die gleichen Regeln gelten für Zahlwörter. 2.2.23.2 Kollektivmarken Handelt es bei der Marke, auf die sich ein Widerspruch stützt, um eine Kollektivmarke, ist deren originäre Kennzeichnungskraft in der üblichen Weise zu beurteilen. Die Marke kann einen geringen oder gar sehr geringen Grad der originären Kennzeichnungskraft besitzen, wenn sie sich auf die Art oder andere Eigenschaften der betreffenden Waren

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Doppelte Identität und Verwechslungsgefahr – Kennzeichnungskraft

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bezieht. Die Tatsache, dass die Marke eine Kollektivmarke ist, impliziert nicht, dass deren Schutzumfang breiter ist (Urteile vom 13/06/2012, T-534/10, Hellim, EU:T:2012:292, § 49-52; und vom 05/12/2012, T-143/11, F.F.R., EU:T:2012:645, § 61).

2.3 Prüfung erhöhter Kennzeichnungskraft Nach der obligatorischen Prüfung der originären Kennzeichnungskraft (siehe Abschnitt 2.1.3 oben) wird im zweiten Schritt geprüft – vorausgesetzt, der Widersprechende hat einen entsprechenden Anspruch geltend gemacht 5 –, ob die ältere Marke zum Zeitpunkt der Einreichung (oder zum Datum der Priorität) der angefochtenen UM-Anmeldung als Folge der Benutzung, die der Widersprechende davon gemacht hat, eine erhöhte Kennzeichnungskraft erworben hat. Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke muss immer berücksichtigt werden, wenn über Verwechslungsgefahr entschieden wird. Je stärker die Kennzeichnungskraft der älteren Marke, desto größer wird die Verwechslungsgefahr sein (Urteil vom 11/11/1997, C-251/95, Sabèl, EU:C:1997:528, § 24). Daher genießen Marken mit einer hohen Kennzeichnungskraft einen umfassenderen Schutz als Marken, deren Kennzeichnungskraft geringer ist (Urteil vom 29/09/1998, C-39/97, Canon, EU:C:1998:442, § 18). In der Praxis bedeutet das, dass die Tatsache, dass eine ältere Marke erhöhte Kennzeichnungskraft oder Bekanntheit genießt, ein Argument zugunsten der Feststellung von Verwechslungsgefahr ist. Erhöhte Kennzeichnungskraft verlangt Anerkennung der Marke durch das relevante Publikum. Die Anerkennung kann die Kennzeichnungskraft von Marken mit geringer oder keiner originären Kennzeichnungskraft oder solchen Marken, die originäre Kennzeichnungskraft besitzen, erhöhen.

Ältere Marke Angefochtenes Zeichen Rechtssache

CRISTAL

R 0037/2000-2

W&DLWaren und Dienstleistungen: Klasse 33 Gebiet: Frankreich Beurteilung der älteren Marke „CRISTAL“: Was die Behauptung betrifft, dass „Cristal“ ein beschreibendes Wort für die fraglichen Waren (Schaumweine mit kristallinem Charakter) ist, so kann die Kammer dies nicht akzeptieren. Einerseits handelt es sich um eine aussagekräftige Angabe, die den kristallinen Charakter von Weinen suggeriert, die aber in keiner Weise das Produkt beschreibt. Auf der anderen Seite ist [die Kammer] der Ansicht, dass eine hohe Kennzeichnungskraft der Marke CRISTAL auf dem französischen Markt nachgewiesen wurde (Randnummer 31).

Der Gerichtshof hat einige Richtlinien in Bezug auf die Bewertung der durch Benutzung der älteren Marke erworbenen Kennzeichnungskraft gegeben und eine nicht erschöpfende Liste von Faktoren bereitgestellt:

5 Siehe Richtlinien, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 1, Verfahrensfragen.

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Doppelte Identität und Verwechslungsgefahr – Kennzeichnungskraft

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„Bei dieser Beurteilung sind insbesondere die Eigenschaften zu berücksichtigen, die die Marke von Haus aus besitzt, einschließlich des Umstands, ob sie beschreibende Elemente in Bezug auf die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen worden ist, aufweist, des von der Marke gehaltenen Marktanteils, der Intensität, der geografischen Verbreitung und der Dauer der Benutzung dieser Marke, des Werbeaufwands des Unternehmens für die Marke, des Teils der beteiligten Verkehrskreise, der die Waren und Dienstleistungen aufgrund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennt, sowie der Erklärungen von Industrie- und Handelskammern oder von anderen Berufsverbänden.“

(Urteil vom 22/06/1999, C-342/97, Lloyd Schuhfabrik EU:C:1999:323, § 23.) Der Nachweis der erhöhten Kennzeichnungskraft, die durch Benutzung erworben wurde, muss sich sowohl auf (i) das relevante geografische Gebiet als auch auf (ii) die relevanten Waren und Dienstleistungen beziehen. Der Widersprechende kann erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke nur für einen Teil der eingetragenen Waren und Dienstleistungen geltend machen. Entsprechend den vorgelegten Nachweisen muss das Amt genau festlegen, für welche Waren und Dienstleistungen Kennzeichnungskraft erworben worden ist. Die Art, Faktoren, Nachweise und Beurteilung der erhöhenerhöhten Kennzeichnungskraft sind die gleichen wie bei Bekanntheit. Weitere Einzelheiten zu den erforderlichen Nachweisen und ihrer Beurteilung sind in den Richtlinien; Teil C, Widerspruch, Abschnitt 5, Bekannte Marken (Artikel 8 Absatz 5 UMV) enthalten. Allerdings verlangt die Feststellung der Bekanntheit, dass eine bestimmte Schwelle für die Anerkennung erreicht wird, während, wie oben dargelegt, die Schwelle für die Feststellung erhöhter Kennzeichnungskraft niedriger sein kann. Erhöhte Kennzeichnungskraft ist alles oberhalb der originären Kennzeichnungskraft.

Ältere Marke Angefochtenes Zeichen Rechtssache

EL COTO

T-332/04, EU:T:2008:69

W&DLWaren und Dienstleistungen: Klassen 33, 35, 39 Gebiet: EU Beurteilung der erhöhten Kennzeichnungskraft der Marke „EL COTO“: Die Beschwerdekammer

berücksichtigte die Marktkenntnis der älteren Marke „EL COTO“ und nahm eine ordnungsgemäße Beurteilung der Grundsätze der einschlägigen ständigen Rechtsprechung vor, um zu schlussfolgern, dass die ältere Marke „EL COTO“ eine hohe Kennzeichnungskraft besitzt; die Kammer gründete ihre Feststellung auf die folgenden Tatsachen: das vom Generalsekretär der Consejo Regulador de la Denominación de Origen Calificada „‚Rioja“, ausgestellte Zertifikat bescheinigt, dass der Inhaber seinen Wein, unter anderem, unter dem Markennamen „El Coto“ und „Coto de Imaz“ seit 1997 vertreibt und dass diese Marken in Spanien ‚eine signifikante Bekanntheit‘ genießen, zahlreiche Entscheidungen des Spanischen Patent- und Markenamtes, die anerkennen, dass die Marke „EL COTO“ in Spanien bekannt ist, ein Dokument über die Verkaufsentwicklung, das angibt, dass sie unter der Marke „El Coto“ in den Jahren 1995, 1996, 1997 bzw. 1998 339.852, 379.847, 435.857 und 464.080 Kisten à zwölf Weinflaschen verkauft haben (Randnummer 50).

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Doppelte Identität und Verwechslungsgefahr – Kennzeichnungskraft

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Nicht zuletzt kann sich der Erwerb der erhöhten Kennzeichnungskraft aus der Benutzung als Teil oder in Verbindung mit einer anderen eingetragenen Marke ergeben (Urteile vom 07/07/2005, C-353/03, Have a break, EU:C:2005:432, § 30-32; und07/09/2006, T-168/04, Aire Limpio, EU:T:2006:245, § 74). Das Ergebnis der Prüfung der erhöhten Kennzeichnungskraft ist eines der folgenden.:

Gibt es keinen Nachweis für erhöhte Kennzeichnungskraft in Bezug auf die relevanten Waren und Dienstleistungen oder das Gebiet, oder ist der Nachweis unzureichend, wird der Grad der Kennzeichnungskraft der älteren Marke deren originäre Kennzeichnungskraft (geringer als normal oder normal).

Gibt es einen Nachweis für erhöhte Kennzeichnungskraft in Bezug auf alle oder einige relevante Waren und Dienstleistungen und das Gebiet und ist der Nachweis ausreichend:

○ hat die ältere Marke eine geringere als normale originäre

Kennzeichnungskraft, kann die Marke/der Bestandteil einen normalen oder gar einen hohen Grad der Kennzeichnungskraft erworben haben, abhängig von den eingereichten Nachweisen6; oder

○ besitzt die ältere Marke normale originäre Kennzeichnungskraft, kann sie

erhöhte Kennzeichnungskraft erworben haben. Zudem muss darauf verwiesen werden, dass, obwohl eine Marke in ihrer Gesamtheit erhöhte Kennzeichnungskraft erworben haben kann, beschreibende Elemente existieren können, die eine geringere als normale Kennzeichnungskraft oder keine Kennzeichnungskraft haben. Zum Beispiel ändert die erhöhte Kennzeichnungskraft der Marke „Coca Cola“ in ihrer Gesamtheit nicht die Tatsache, dass das Element „Cola“ vollständig beschreibend für bestimmte Produkte bleibt.

6 Weitere Einzelheiten zu den erforderlichen Nachweisen und ihrer Beurteilung sind in den Richtlinien;

Teil C, Widerspruch, Abschnitt 5, Bekannte Marken (Artikel 8 Absatz 5 UMV) enthalten.


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