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Polytrauma und Mehrfachverletzungen

Date post: 07-Feb-2017
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Update Unfallchirurgie · Polytrauma und Mehrfachverletzungen 580 | Der Unfallchirurg 7 · 2014 Korrespondenzadresse Prof. Dr. Axel Ekkernkamp Unfallkrankenhaus Berlin Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Warener Str. 7 12683 Berlin E-Mail: [email protected] Interessenkonflikt. Der korrespondie- rende Autor gibt an, dass kein Interessen- konflikt besteht. PROMMTT-Studie – Zeitabhängige  Effekte hoher FFP:EK Konzentrationen Die Prospective, Observational, Multicenter, Major Trauma Transfusion (PROMMTT-Stu- die) wurde an 10 US-Amerikani- schen Level-I-Traumazentren durchgeführt. Wesentliches Ziel dieser Kohortenstudie war es, durch die Erfassung des FFP:EK Quotienten innerhalb enger Zeit- intervalle zu klären, ob der in vorangegangenen Untersuchun- gen beobachtete Überlebensvor- teil hoher Frischplasma (FFP)- Konzentrationen durch den Sur- vival-Bias bedingt wird oder einen unabhängigen prognosti- schen Wert besitzt. Eingeschlossen wurden primär in den Zentren aufgenommene Patienten > 16 Jahre, bei denen eine Trauma-Team-Aktivierung erfolgte und die mindestens ein Erythrozytenkonzentrat (EK) in den ersten 6 Stunden nach Auf- nahme erhielten (n=1.245 von insg. 34.362 Trauma-Aufnahmen über einen Zeitraum von 58 Wo- chen). In die Analysekohorte flossen nur diejenigen Patienten ein, welche min. 3 EK innerhalb von 24 h erhielten. Das innerhalb bestimmter Zeit- intervalle erreichte Verhältnis zwischen FFP und EK trug im multivariaten Cox-Modell (nach Adjustierung für Zentrumseffek- te, Patientencharakteristika und die Verletzungsschwere) bis 24 h signifikant und relevant zur Sen- kung des Sterberisikos bei. Nach 24 h wurde kein günstiger Effekt mehr auf die Überlebensprogno- se beobachtet. Kommentar: Die PROMMTT- Studie widerlegt den Survival Bias und unterstreicht die kausa- le und unabhängige Bedeutung hoher FFP:EK Quotienten (≥ 1:2) auf das Überleben. Diese Ver- hältnisse müssen frühzeitig (idealerweise innerhalb von 6 h, spätestens jedoch innerhalb von 24 h nach Aufnahme) erreicht werden. Massentransfusionspro- tokolle und die Bereitstellung aufgewärmter FFP gehören zu den zentralen Prozessprofilen eines Traumazentrums. Originalpublikation Or Holcomb JB, del Junco DJ, Fox EE et al (2013) The prospective, observational, multicenter, major trauma transfusion (PROMMTT) study: comparative effectiveness of a time-varying treatment with competing risks. JAMA Surg 148:127-136 Die Beiträge stammen aus dem Handbuch Orthopädie/Unfallchirur- gie 2014 und entsprechen den Semi- narunterlagen des 6. Ortho Trauma Update 2014 der medupdate GmbH. Unfallchirurg 2014 · 117:580–581 DOI 10.1007/s00113-014-2586-3 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Körperkühlung bei Schädel-Hirn-Verletzungen Originalpublikationen 1. Adelson PD, Wisniewski SR, Beca J et al (2013) Comparison of hypothermia and normothermia after severe traumatic brain inju- ry in children (Cool Kids): a phase 3, randomised controlled trial. Lancet Neurol 12:546-553 2. Georgiou AP, Manara AR (2013) Role of therapeutic hypothermia in improving outcome after traumatic brain injury: a systematic review. Br J Anaesth 110:357-367 Die Cool Kids-Studie war eine multizentrische, randomisierte, kontrollierte Untersuchung (15 Zentren in den USA, Neuseeland und Australien), welche Kinder und Heranwachsende bis zu einem Alter von 17 Jahren ein- schloss, um die Effektivität der therapeutischen Körperkühlung bei Schädel-Hirn-Verletzungen zu belegen. Patienten in der Interventions- gruppe wurden mittels Infusion von 4°C kalter NaCl-Lösung und Oberflächenkühlung auf eine Oberflächentemperatur von 32– 33°C für 48 h gekühlt und suk- zessive erwärmt (0,5–1,0°C je 12–24 h). Bei Patienten in der Kontroll- gruppe wurde Normothermie zwischen 36,5 und 37,5°C erzielt. Geplant war der Einschluss von 340 Patienten zum Nachweis einer Differenz von 10 % in der Gesamtsterblichkeit. Die Studie musste aufgrund von Sicherheits- bedenken noch vor der geplanten Zwischenauswertung aufgrund der Unmöglichkeit eines Über- legenheitsnachweises abgebro- chen werden. Die Sterblichkeit nach 3 Monaten betrug 6/39 (15  %) in der Hypothermie- und 2/38 (5 %) in der Normothermie- Gruppe. Die Risikodifferenz be- trug 10 % (95 % KI -3–24 %), das relative Risiko 2,9 (95 % KI 0,6– 13,6) zuungunsten der experi- mentellen Therapie. Die Mittel- wertdifferenz im Glasgow Out- come Scale (GOS) zwischen bei- den Therapieverfahren betrug 0,03 (95 % KI -11,64–16,90). Kommentar: Die Cool Kids-Stu- die trägt zur Evidenz bei, dass eine therapeutische Hypother- mie bei schweren Schädel-Hirn- Verletzungen nicht mit einer Ver- besserung der Überlebens- und neurologischen Prognose einher- geht.
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Page 1: Polytrauma und Mehrfachverletzungen

Update Unfallchirurgie · Polytrauma und Mehrfachverletzungen

580 |  Der Unfallchirurg 7 · 2014

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Axel EkkernkampUnfallkrankenhaus Berlin Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Warener Str. 7 12683 Berlin E-Mail: [email protected]

Interessenkonflikt. Der korrespondie-rende Autor gibt an, dass kein Interessen-konflikt besteht.

PROMMTT-Studie – Zeitabhängige Effekte hoher FFP:EK Konzentrationen

Die Prospective, Observational, Multicenter, Major Trauma Transfusion (PROMMTT-Stu-die) wurde an 10 US-Amerikani-schen Level-I-Traumazentren durchgeführt. Wesentliches Ziel dieser Kohortenstudie war es, durch die Erfassung des FFP:EK Quotienten innerhalb enger Zeit-intervalle zu klären, ob der in vorangegangenen Untersuchun-gen beobachtete Überlebensvor-teil hoher Frischplasma (FFP)-Konzentrationen durch den Sur-

vival-Bias bedingt wird oder einen unabhängigen prognosti-schen Wert besitzt. Eingeschlossen wurden primär in den Zentren aufgenommene Patienten > 16 Jahre, bei denen eine Trauma-Team-Aktivierung erfolgte und die mindestens ein Erythrozytenkonzentrat (EK) in den ersten 6 Stunden nach Auf-nahme erhielten (n=1.245 von insg. 34.362 Trauma-Aufnahmen über einen Zeitraum von 58 Wo-chen). In die Analysekohorte flossen nur diejenigen Patienten ein, welche min. 3 EK innerhalb von 24 h erhielten.Das innerhalb bestimmter Zeit-intervalle erreichte Verhältnis zwischen FFP und EK trug im multivariaten Cox-Modell (nach Adjustierung für Zentrumseffek-te, Patientencharakteristika und die Verletzungsschwere) bis 24 h signifikant und relevant zur Sen-kung des Sterberisikos bei. Nach

24 h wurde kein günstiger Effekt mehr auf die Überlebensprogno-se beobachtet.Kommentar: Die PROMMTT-Studie widerlegt den Survival Bias und unterstreicht die kausa-le und unabhängige Bedeutung hoher FFP:EK Quotienten (≥ 1:2) auf das Überleben. Diese Ver-hältnisse müssen frühzeitig (idealerweise innerhalb von 6 h, spätestens jedoch innerhalb von 24 h nach Aufnahme) erreicht werden. Massentransfusionspro-tokolle und die Bereitstellung aufgewärmter FFP gehören zu den zentralen Prozessprofilen eines Traumazentrums.

Originalpublikation

Or Holcomb JB, del Junco DJ, Fox EE et al (2013) The prospective, observational, multicenter, major trauma transfusion (PROMMTT) study: comparative effectiveness of a time-varying treatment with competing risks. JAMA Surg 148:127-136

Die Beiträge stammen aus dem Handbuch Orthopädie/Unfallchirur-gie 2014 und entsprechen den Semi-narunterlagen des 6. Ortho Trauma Update 2014 der medupdate GmbH.

Unfallchirurg 2014 · 117:580–581

DOI 10.1007/s00113-014-2586-3 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Körperkühlung bei Schädel-Hirn-Verletzungen

Originalpublikationen

1. Adelson PD, Wisniewski SR, Beca J et al (2013) Comparison of hypothermia and normothermia after severe traumatic brain inju-ry in children (Cool Kids): a phase 3, randomised controlled trial. Lancet Neurol 12:546-553

2. Georgiou AP, Manara AR (2013) Role of therapeutic hypothermia in improving outcome after traumatic brain injury: a systematic review. Br J Anaesth 110:357-367

Die Cool Kids-Studie war eine multizentrische, randomisierte, kontrollierte Untersuchung (15 Zentren in den USA, Neuseeland und Australien), welche Kinder und Heranwachsende bis zu einem Alter von 17 Jahren ein-schloss, um die Effektivität der therapeutischen Körperkühlung bei Schädel-Hirn-Verletzungen zu belegen. Patienten in der Interventions-gruppe wurden mittels Infusion von 4°C kalter NaCl-Lösung und Oberf lächenkühlung auf eine Oberflächentemperatur von 32–33°C für 48 h gekühlt und suk-

zessive erwärmt (0,5–1,0°C je 12–24 h).Bei Patienten in der Kontroll-gruppe wurde Normothermie zwischen 36,5 und 37,5°C erzielt. Geplant war der Einschluss von 340 Patienten zum Nachweis einer Differenz von 10 % in der Gesamtsterblichkeit. Die Studie musste aufgrund von Sicherheits-bedenken noch vor der geplanten Zwischenauswertung aufgrund der Unmöglichkeit eines Über-legenheitsnachweises abgebro-chen werden. Die Sterblichkeit nach 3 Monaten betrug 6/39 (15  %) in der Hypothermie- und

2/38 (5 %) in der Normothermie-Gruppe. Die Risikodifferenz be-trug 10 % (95 % KI -3–24 %), das relative Risiko 2,9 (95 % KI 0,6–13,6) zuungunsten der experi-mentellen Therapie. Die Mittel-wertdifferenz im Glasgow Out-come Scale (GOS) zwischen bei-den Therapieverfahren betrug 0,03 (95 % KI -11,64–16,90).Kommentar: Die Cool Kids-Stu-die trägt zur Evidenz bei, dass eine therapeutische Hypother-mie bei schweren Schädel-Hirn-Verletzungen nicht mit einer Ver-besserung der Überlebens- und neurologischen Prognose einher-geht.

Page 2: Polytrauma und Mehrfachverletzungen

Ticker

 ▶ Schwerverletzten- und Polytraumaversorgung

Die Neustrukturierung der Schwer-verletzten- und Polytraumaversor-gung in Deutschland i.S. der Zertifi-zierung von Traumazentren und -netzwerken erschien trotz der bis-her immer führenden Rolle in den Industrienationen allein aus ge-sundheitsökonomischer Sicht not-wendig. Die Optimierung und Sicherstellung einer hohen Struktur- und Prozessqualität wird messbar sein – ob sich diese aufgrund von Deckeneffekten (d.h., der Schwierig-keit, bei sehr guten bis exzellenten Behandlungsergebnissen noch merkliche Verbesserungen erreichen zu können) auch in der Ergebnis-qualität niederschlagen, müssen die nächsten Jahre zeigen.

Ruchholtz S et al (2013) Chirurg 84:730-738

 ▶ Nutzen der primären Ganzkörper-CT

Die 2009 publizierten Daten aus dem TraumaRegister® zeigten, dass die primäre Ganzkörper-CT die be-obachtete im Vergleich zur vorher-gesagten Sterblichkeit Schwerver-letzter senkt. Basierend auf dem Trauma and Injury Severity Score (TRISS) und der Revised Injury Se-verity Classification (RISC) lag die standardisierte Mortalitäts-Ratio (SMR) bei 0,75 (95 % KI 0,63–0,86) bzw. 0,87 (95 % KI 0,77–0,96). Die hieraus abgeleiteten Numbers nee-ded to Scan (NNS), d.h., die Zahl von Patienten, welche mittels Ganzkör-per-CT statt mit alternativen Diag-nose-Methoden evaluiert werden müssen, um einen zusätzlichen Trauma-bedingten Todesfall zu ver-meiden, betrugen 17 bzw. 32.

Huber-Wagner S et al (2009) Lancet 373:1455-1461

581Der Unfallchirurg 7 · 2014  | 

D Veranstaltungshinweis

Mainz, 27.-28.02.2015Ortho Trauma Update 20157. Orthopädie-Unfallchirurgie-Udpate-SeminarUnter der Schirmherrschaft der DGOU/DGSP

Einfluss der Ganzkörper-CT auf die Sterblichkeit bei Kreislaufinstabilität

In Rahmen einer aktuellen Ana-lyse von Daten des TraumaRegis-ters® bei hämodynamisch insta-bilen Patientinnen und Patienten konnte gezeigt werden, dass Schwerverletzte (definiert über einen Injury Severity Score [ISS] ≥ 16) mit Zeichen des Schocks (definiert über den systolischen Blutdruck bei Aufnahme < 110 mmHg) von der primären Ganz-

Originalpublikation

Huber-Wagner S, Biberthaler P, Haberle S et al (2013) Whole-Body CT in Haemodynamically Unstable Severely Injured Patients - A Retro-spective, Multicentre Study. PLoS One 8:e68880

Toll-Like-Rezeptor-Polymorphismen als Prognosemarker bei Schwerverletzten

Thompson et al. vom Harbor-view Medical Center, Seattle, USA, untersuchten in einer sehr großen Stichprobe von 1961 zwi-schen August 2003 und Dezem-ber 2005 behandelten Schwerver-letzten mit einem ISS ≥ 16, ob genetische Varianten von TLR 1 mit dem Outcome assoziiert sind. Speziell wurden die Kandi-daten-SNP TLR1–7202A/G und TLR11804G/T auf ihre prognos-tische Aussagekraft im Hinblick auf die Sterblichkeit, die Sterb-lichkeit bei Sepsis und gram-positiver Sepsis sowie die Inzi-

Originalpublikation

Thompson CM, Holden TD, Rona G et al (2014) Toll-like receptor 1 po-lymorphisms and associated out-comes in sepsis after traumatic in-jury: a candidate gene association study. Ann Surg 259:179-185

denz eines Lungenversagens (ARDS) und Nierenversagens hin überprüft. Bei 1.415 Patien-ten war die Genotypisierung mit-tels Routine-Labormethoden (u.a. TaqMan-Echtzeit-PCR und Auftrennung der Fragmente mit-tels Gelelektrophorese) möglich. Multivariate logistische Modelle wurden für die Adjustierung der Ergebnisse im Hinblick auf de-mografische Variablen und die Verletzungsschwere berechnet.Der TLR1–7202A/G Polymor-phismus war unabhängig mit der Sterblichkeit nach Polytrauma, aber auch der Sterblichkeit bei Sepsis und gram-positiver Sepsis assoziiert. Für TLR11804G/T ließ sich dieser Zusammenhang nur im Hinblick auf die Sterblichkeit bei Sepsis nachweisen. Beide Polymorphismen waren nicht mit dem Auftreten eines ARDS oder Nierenversagens assoziiert.

Kommentar: Die Studie aus dem Harborview Medical Center ver-deutlicht die Bedeutung moder-ner, mittlerweile verhältnismäßig einfach zu bestimmender mole-kularer Marker im Zusammen-spiel mit klassischen klinischen und laborchemischen Methoden zur Risikostratifizierung des Polytraumatisierten. Unterstri-chen werden muss, dass die erho-benen Daten, obwohl 2013 publi-ziert, bereits auf einer vor 10 Jah-ren rekrutierten Kohorte beru-hen. Sowohl die Messung der Exposition (also die Art der Ge-notypisierung), als auch die Defi-nition der Outcomes hat sich mittlerweile merklich geändert. Neben einer Bestätigung der Er-gebnisse (unter Berücksichtigung zusätzlicher Variablen) wird die besondere Schwierigkeit darin bestehen, auf der Basis der zu-sätzlichen Information indivi-dualisierte Entscheidungsprozes-se zu entwickeln, zu validieren und klinisch zu etablieren.

körper-CT i.S. einer besseren Überlebensprognose profitieren. Eingeschlossen wurden 16.719 von insg. 39.983 Patienten der Jahre 2002–2009. Neben der Re-duktion der beobachteten gegen-über der vorhergesagten Sterb-lichkeit konnte auch eine Reduk-tion der absoluten Sterblichkeit beobachtet werden.


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