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Politische Berichte Nr.5 / 1998

Date post: 01-Jan-2016
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Politisches Magazin
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Politische Berichte Politische Berichte – Zeitschrift für Sozialistische Politik Ausgabe Nr. 5 am 5. März 1998, Jahrgang 19, Preis 2.– DM 5 98 PROLETARIER ALLER LÄNDER VEREINIGT EUCH! PROLETARIER ALLER LÄNDER UND UNTERDRÜCKTE VÖLKER VEREINIGT EUCH ! Am Am 5. März: 5. März: Neue Neue Arbeits- Arbeits- losen- losen- proteste proteste S. 6 S. 6 Bundes Bundes - - weite weite Warn Warn - - streiks streiks der ÖTV der ÖTV S. 18 S. 18
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Page 1: Politische Berichte Nr.5 / 1998

Politische Berichte

Politische Berichte – Zeitschrift für Sozialistische Politik Ausgabe Nr. 5 am 5. März 1998, Jahrgang 19, Preis 2.– DM

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Page 2: Politische Berichte Nr.5 / 1998

2 AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT • PB 5/98

GEGEN LAUSCH-ANGRIFF: Die Europäische Präsi-dentenkonferenz der Anwaltsorga-nisationen – sie vertritt Anwaltsor-ganisationen aus 36 Ländern – hat ineiner in der letzten Woche verab-schiedeten Resolution „mit allem

Nachdruck“ gegen die geplante Geneh-migung von polizeilichen Lausch-angrif-fen auf Anwaltsbüros protestiert.Sie for-derte dazu auf, alles zu unterlassen, wasden freien Zugang sowie das persönlicheund absolut vertrauliche Gespräch desBürgers zu seinem Anwalt gefährdet odersogar beeinträchtigt. In der Resolutionheißt es weiter, Anwälte seien in beson-derer Weise legitimiert, für die Freiheitdes Bürgers im Staat zu kämpfen. AlleVersuche, das Gespräch zwischen Bürgerund Anwalt der Gefahr eines staatlichenMithörens auszusetzen, seien ein Eingriffin die Grundrechte des Bürgers.Die Hoff-nung, dadurch verbrecherische Organi-sationen zu identifizieren, habe sich inden Ländern, die derartige Abhörmaß-nahmen praktizierten, nicht erfüllt.

STREIT UM M.A.I.: Wegen zahlreichernoch ungeklärter Streitpunkte rechnetder für die Verhandlungen über das Ab-kommen zuständige OECD-DirektorRainer Geiger inzwischen nicht mehr da-mit, daß das Abkommen wie geplant En-de April unterzeichnet werden kann. Ermeint,erst Ende des Jahres könne das Ab-kommen perfekt sein. Als Hauptstreit-punkte unter den beteiligten Staaten undFirmen nennt er die Helms-Burton undD’Amato-Gesetze der USA, die fremdeFirmen mit Strafgeldern belegen wollen,wenn sie den US-Boykott gegen Kubanicht einhalten. Wenn hier keine politi-sche Lösung gefunden werde, könne dasganze Abkommen scheitern, fürchtet derOECD-Mann. Weitere Streitpunkte sinddie von mehreren der 29 an den Verhand-lungen beteiligten Staaten beantragten600 Ausnahmeklauseln im Abkommen.So fordert die französische Regierung ei-nen Schutz der französischen Filmindu-strie gegen die US-Konkurrenz.

TEURE VERBEAMTUNG: Die im öf-fentlichen Dienst wegen angeblicher„Kostenersparnis“ betriebene Welle derVerbeamtung von festen Angestellten(vor allem Länder und Kommunen wol-len so kurzfristig die Arbeitgeberbeiträ-ge zur Sozialversicherung sparen) führtzu Riesenverlusten der Sozialversiche-rungen. Zu diesem Ergebnis kommt eineStudie des Soziologen Peter Grottian ander FU Berlin.Wenn nur ein Zehntel mehrvollbeschäftigte Angestellte des Öffentli-chen Dienstes verbeamtet würden, soGrottian,betrage der jährliche Verlust fürdie Rentenversicherung 2,1 Mrd. DM, fürdie Krankenversicherung 1,7 Mrd. DM,für Arbeitslosenversicherung und Pfle-geversicherung 680 bzw. 274 Mio. DM.

ZEITARBEIT WUCHERT: Nach der imletzten April letzten Jahres in Kraft ge-

tretenen Änderung des Arbeitnehmerü-berlassungsgesetzes wuchert die Zeitar-beit. Damals hatte die Regierung u.a. diezulässige Einsatzdauer der Zeitarbeit-nehmer in einem Betrieb von neun aufzwölf Monate verlängert. In der Folgehätten die Zeitarbeitsfirmen 81.000 Per-sonen mehr einstellen können, berichtetder Verband – und unterschlägt damitwohlwissend, daß diese Einstellungenkeine Zunahme von Beschäftigung be-deuten, sondern lediglich eine drastischeVerschlechterung von vorher in Normal-arbeitsverhältnissen beschäftigten Per-sonen. Nun verlangt der Verband weitereLockerungen. Dann könnten seine Fir-men womöglich 100.000 weitere Einstel-lungen vornehmen, droht er.

WAFFENEXPORT BOOMT: Der deut-sche Export boomt – zum Beispiel der Ex-port von Waffen. Beim „deutsch-spani-schen Gipfeltreffen“ vergangene Wochein Madrid verkündete Spaniens Mini-sterpräsident Aznar,die spanische Armeewerde in den nächsten Jahgren 235 deut-sche Leopard II-Panzer kaufen, darunter219 Kampfpanzer und 16 Bergepanzer.Das Projekt, das grundsätzlich schon vordrei Jahren vereinbart worden war, sollnun im Jahr 2000 beginnen. Die Teile fürdie Panzer sollen aus der BRD kommenund dann in Spanien vom staatlichen Rü-stungsunternehmen SBB zusammenge-baut werden. Umfang des Waffendeals:3.8 Milliarden DM.

STAATSBÜRGERSCHAFTSRECHT:Die SPD-Bundestagsfraktion hat letzteWoche einen Antrag zur Reform desStaatsbürgerschaftsrechts in den Bun-destag eingebracht. Wenn ein Elternteilbereits in der BRD geboren ist und übereine Aufenthaltsgenehmigung verfügt,sollen hier geborene Kinder solcher El-tern künftig unverzüglich die deutscheStaatsbürgerschaft erhalten. Außerdemsollen Kinder, die schon länger als fünfJahre in der BRD leben und deren einerElternteil eine unbefristete Aufenthalt-serlaubnis besitzt, einen Einbürgerungs-anspruch erhalten,unabhängig davon,obsie evtl. nach der bisherigen Rechtslagenoch eine weitere Staatsangehörigkeithaben. Auch wenn dieser Antrag dieRechtlosigkeit der in der BRD lebendenAusländer kaum mildert und mit großerWahrscheinlichkeit keine Mehrheit imBundestag findet: Er hält wenigstens dasThema in der öffentlichen Diskussion.

WAS KOMMT DEMNÄCHST? DieThemen der Bundestagssitzungen in die-ser Woche hatten wir in der letzten Aus-gabe schon mitgeteilt. Am 25./26. Märztreffen Kohl, Jelzin und Chirac in Jeka-terinenburg in Rußland zu einem Drei-Staaten-Gipfel zusammen. Am 26. Märzgibt der Zentralbankrat der Bundesbanksein Votum zum Teilnehmerkreis beimEURO-Start ab, einen Tag später ent-scheidet das Bundeskabinett im Vorfeldder EU-Gipfelkonferenz darüber.

Politische Berichte Nr. 5/1998 – Inhalt__________________________________________

Aktuell aus Politik und WirtschaftAktuell in Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . 2Niedersachsen-Wahl: SchröderKanzlerkandidat . . . . . . . . . . . . . . . 3Die PDS zum Wahlausgang . . . . . . 3Am Aschermittwoch . . . . . . . . . . . . 4Politische Gefangene: Keine Wendein der Staatspolitik . . . . . . . . . . . . . 4Eva Juhnke wg. angeblicher PKK-Mitgliedschaft in türkischer Haft . 5Protest gegen Sozialhilfe-streichung für Flüchtlinge . . . . . . . 5Neue Arbeitslosenproteste am 5. März . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6Neuer Angriff auf die Bodenreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

AuslandsberichterstattungFrankreich: Front National unddie Arbeitslosenbewegung . . . . . . . 8Türkei: Angriffe auf Hadep . . . . . . 9Gegen Globalisierung: PeoplesGlobal Action . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Meldungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Regionales West und OstLokaler Widerstand . . . . . . . . . . . 12Agenda 21: Wohnumfeld armerMenschen wird verdichtet . . . . . . 13Sozialpolitische OppositionHamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Stuttgart: Stoppt Kita 2000! . . . . 15Frankfurt: Politiker laßt dasKürzen sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15In Berlin wachsen die Armutsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . 16O-Ton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16Kommunale Politik . . . . . . . . . . . 17

Aus Betrieben und GewerkschaftenWas war? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18Ersatzkassen: Warnstreiks . . . . . . 19CDU reißt sich neuen Senderunter den Nagel . . . . . . . . . . . . . . . 19Betriebsratswahlen 1998 . . . . . . . 19DGB-Konferenz Berlin-Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . .21Neue Dienstleistungsgewerk-schaft: Schwieriger Umbau . . . . . 21

Diskussion und DokumentationKomitee für Grundrechte zurIrak-Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22Aus der PDS-Programmdiskussion:Politik und Ideologie . . . . . . . . . . . 24Überlebende sowjetische NS-Opfer erinnern . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Letzte SeitenBesprechung: Kurdologie . . . . . . . 27

Termine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

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Page 3: Politische Berichte Nr.5 / 1998

Landtagswahl Niedersachsen 1998 und 1994 und Bundestagswahl 1994Ein Vergleich der Zweitstimmenergebnisse

Partei Landtag 1998 Landtag 1994 Bundestag 1994

abs. % abs. % abs. %

SPD 2.068.960 47,9 1.990.623 44,3 1.983.321 40,6CDU 1.550.523 35,9 1.547.610 36,4 1.971.664 41,3Grüne 304.254 7,0 314.364 7,4 336.087 7,1FDP 209.710 4,9 188.691 4,4 368.180 7,7PDS ./. ./. ./. ./. 46.731 1,0REP 118.730 2,8 159.026 3,7 57.988 1,2STATT 30.198 0,7 55.605 1,3 ./. ./.Linke Liste Nds. ./. ./. 8.176 0,2 ./. ./.DKP 8.681 0,2 ./. ./. ./. ./.ALLE 4.316.840 100 4.249.021 100 4.777.308 100

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PB 5/98 • AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT 3

Schröder hat mit der SPD das besteLandtagswahlergebnis seit 1947 erzieltund seine absolute Landtagsmehrheitausgebaut. Selbst wenn die FDP mit 4,9Prozent nicht wiederum an der 5-Pro-zent-Sperrklausel gescheitert wäre, hät-te die SPD mehr Stimmen erzielt alsCDU, Bündnis 90/Grüne und FDP zu-sammen. Bei einer mit fast 74% nahezugleich hohen Wahlbeteiligung wie 1994(der höchsten Beteiligung bei einerLandtagswahl der letzten Jahre,die nichtam Tag der Bundestagswahl stattfand)mobilisierte der designierte Kanzlerkan-didat Schröder und die nahezu vollstän-dig auf ihn orientierte Wahlkonzeptionder Niedersachsen-SPD 288.000 SPD-Wähler mehr als zur Landtagswahl 1994und sogar noch 130.000 mehr als zur Bun-destagswahl 1994 bei 81,8% Wahlbeteili-gung.

Nach Aussagen von Forschungsinsti-tuten am Abend der Wahl kam etwa dieHälfte der 288.000 mobilisierten SPD-Wähler von den Nichtwählern, über50.000 von den Grünen, etwa 30.000 vonder CDU, 22.000 von den Republikanern.Danach gelang der SPD durch Mobili-

sierung der sog. traditionellen Wähler-schichten (Arbeitnehmer, Facharbeiter)die größte Steigerung auf 57–58%,während aus dem Bereich der Arbeitslo-sen nach wie vor 52% die SPD wählten.

In einem von den Medien als inhalts-leer bezeichneten Wahlkampf setzte dieSPD hauptsächlich auf ihren Kanzler-kandidaten Schröder und Fähigkei-ten/Tätigkeiten wie „Bewegen“, „Len-ken“, „Sichern“, „Schützen“, „Entschei-den“. In der inszenierten Wahlkampfdra-maturgie der letzten Tage vor der Wahlwar klar, daß Schröder nicht 44,3% mi-nus weniger als 2% erreichen mußte,son-dern 45% plus x, um Kanzlerkandidatder SPD zu werden.

Mit dem von ihm initiierten Kauf desStahlbereichs der Preussag im GebietSalzgitter/Peine für etwa 1 Milliarde DMdurch das Land Niedersachsen und dieNorddeutsche Landesbank wenige Wo-chen vor der Wahl punktete Schröderdeutlich.Da tritt in den Hintergrund,daßdie Landesregierung in den nächsten 1bis 2 Jahren schon wieder verkaufen willund evtl. nur die berechtigten Sorgen derStahlwerker um ihren Arbeitsplatz be-

nutzte,um medienwirksam den „Ausver-kauf niedersächsischer Interessen an denösterreichischen Voest-Konzern zu ver-hindern“ und später in der Region Pla-kate „Wir wollen keine Österreicher wer-den“ aufzuhängen. Die SchröderscheWirtschaftspolitik hält (mit Ausnahmevon VW und der Nord-LB) an ihrer Pri-vatisierungspolitik fest, seien es Harz-wasserwerke, Lotto-Toto, Krankenhäu-ser usw. und hat wegen hoher Staatsver-schuldung sogar die Wirtschaftsförde-rung reduziert.

Auffällig an der SPD-Wahlkampf-führung war, daß sie trotz des bekanntenrechten Bundesratskurses Niedersach-sens in Asylfragen und beim Lauschan-griff und trotz des Schröder-Ausfalls vomFrühsommer 1997 („Kriminelle Auslän-der raus – und zwar schnell“) die innereSicherheit im Gegensatz zur HamburgerSPD nicht demagogisch zum Haupt-wahlkampfthema gemacht hat.

Die CDU und der Rechtsanwalt Chri-stian Wulff konnten zwar 3.000 Stimmenhinzugewinnen, verloren aber 0,5% derStimmenanteile und sanken auf 35,9%.Es gelang der CDU nicht, sich mit den

Niedersachsen-Wahl

Schröder Kanzlerkandidat mit absoluter LandtagsmehrheitDie Mobilisierung gegen die Kohl-Regierung ist gelungen, aber Schröders Politik der „neuen Mitte“ läßt eine andere Politik nur schwer erkennen

Das Ergebnis der Landtagswahl zeigt,daß die Stimmung „Kohl muß weg“

im Lande weit verbreitet istund deshalb mehrheitlich aufden SPD-Politiker gesetztwurde, dem am ehesten zugetraut wird,einen Regierungswechsel herbeizu-führen. Gerhard Schröder steht abernicht für eine alternative Politik zur neo-konservativen Modernisierung. Er ist –noch deutlicher als Lafontaine – ein

Kanzlerkandidat,der auch für eine SPD-geführte Große Koalition steht.

Bis zur Bundestagswahl wird es Auf-gabe der PDS sein, den WählerInnen undWählern in Ost und West deutlich zu ma-chen, daß zu einem Politikwechsel mehrgehört als ein Austausch der Regierun-gen. Dafür ist der Stachel PDS ebenso

wichtig wie eine stärkere außerparla-mentarische Bewegung.

Die Ergebnisse der PDS-Direktkandidaturen in 11Wahlkreisen Niedersachsens

stimmen optimistisch, weil die PDSdurchweg – so um ein Drittel – ihr Bun-destagswahlergebnis von 1994 verbes-sern konnte.

(Hans-Henning Adler, Landesvorsit-zender, 2.3.98)

Erststimmen für die PDS

In elf Wahlkreisen trat die PDS zu denLandtagswahlen mit Direktkandidatenan. Hier die Ergebnisse:

Wahlkreis . Ergebnis in Prozent100 (Wilhelmshaven) 1,2 Prozent82 (Bissendorf): 0,8 Prozent78 (Oldenburg-Land): 1,2 Prozent

77 (Delmenhorst): 1,2 Prozent75 (Oldenburg Nord): 2,0 Prozent74 (Oldenburg Süd): 2,6 Prozent25 (Holzminden): 1,2 Prozent24 (Einbeck): 0,6 Prozent22 (Göttingen Land): 1,3 Prozent21 (Göttingen): 2,5 Prozent20 (Hann.Münden): 1,4 Prozent

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Die PDS Niedersachsen zum Wahlausgang

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4 AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT • PB 5/98

Politische Gefangene

Keine Wende in derStaatspolitikHelmut Pohl, zu lebenslanger Freiheitsstra-fe verurteilter Gefangener aus der RAF, istnach 14 Jahren ununterbrochener und ins-gesamt 22 Jahren Haft aus dem Gefängnisentlassen worden. Christian Klar soll frühe-rens im Jahr 2008 – nach dann 26 JahrenHaft – einen Antrag auf vorzeitige Entlassungstellen dürfen.

Pohls Gesundheitszustand machte eineOperation an der Wirbelsäule unabding-bar. Die Operation verzögerte sichzunächst um eine Woche, bevor die Kran-kenkasse entschied, die Finanzierung zutragen, ist dann jedoch erfolgt und, so-weit jetzt schon zu beurteilen, gut ver-laufen. Helmut Pohl ist mittlerweile ausdem Krankenhaus entlassen. Allerdingsmuß er länger als erwartet unter medizi-nischer Kontrolle bleiben, bevor er eineReha-Klinik kommt; die nächsten siebenbis acht Wochen bleibt er bei seiner Fa-milie und kann sich so viel und so frei,wie es sein Zustand erlaubt, bewegen. Ober nach der Reha-Maßnahme zurück insGefängnis muß, ist zur Zeit offen. Er hatvor Jahresfrist einen Antrag auf Begna-digung gestellt, den der Bundespräsidentnoch nicht entschieden hat.

In scheinbarem Gegensatz zur – bishernur zeitweiligen – Entlassung HelmutPohls steht eine andere Meldung von En-de letzter Woche: Das OberlandesgerichtStuttgart schloß sich dem Votum der Bun-desanwaltschaft an und legte fest, daßChristian Klar, zu fünfmal lebenslangplus 15 Jahren verurteilt und seit 1982 in-haftiert, frühestens nach einer Haftzeitvon 26 Jahren, also im Jahr 2008, einenAntrag auf „vorzeitige“ bedingte Entlas-sung stellen kann. Angesichts der Isola-tionshaft,der Christian Klar mehr als einJahrzehnt in ihrer schärfsten Ausprä-gung unterworfen war und die gerade ge-gen ihn bis heute nicht aufgehoben ist,kommt der Urteilsspruch des OLG demVersuch gleich, die Todesstrafe auf Ratenzu vollstrecken.

Die beiden Meldungen können als wi-dersprüchliche Tendenzen im Staatsap-parat gelesen werden, was den Umgangmit den politischen Gefangenen betrifft.Sie können aber auch als Demonstrationverstanden werden, keinen der verblie-benen Gefangenen aus der RAF aus demGefängnis entlassen zu wollen, es seidenn todkrank.

Wie berichtet, haben die Bündnisgrü-nen im Bundestag eine Initiative zur Ab-schaffung der in den 70er und 80er Jah-ren geschaffenen Sondergesetze in Ar-beit. Es ist zu hoffen, daß diese Initiativenicht über der Neuwahl des Bundestagessteckenbleibt, wie es vor rund 14 Jahrenschon einmal ähnlichen Grünen-Initiati-ve, damals zur Ächtung der Isolations-haft, passiert ist. Im Februar nun hat sich

stark hervorgehobenen Tugenden ihresBewerbers („ehrlich“, „zuverlässig“,„klar“) an die Spitze der Kritik an derLandesregierung im Bildungsbereich so-wie gegen die Beschneidung kommuna-ler Finanzen zu setzen. Wulff kritisierteam Tag nach der Wahl auf der CDU-Prä-sidiumssitzung,daß angesichts der Kohl-schen Bundespolitik mit „weiter so …“keine Wahlen zu gewinnen seien. Esbleibt abzuwarten, ob wirklich eine Dis-kussion um den CDU-Kanzlerkandida-ten in Gang kommt.

Die Bündnisgrünen erhielten 0,4%und 10.000 Stimmen weniger und kamenauf 7,0 Prozent. Trotz stichhaltiger Kri-tik der Landesregierung in einzelnen Be-reichen (Atompolitik,Asylrecht) und Lo-sungen wie „Ökologie schafft Arbeit“war ihre Kritik an der Landesregierungeher verhalten und von ihrer inzwischengerade hervorstechenden Pöstchen-Geil-heit bestimmt. Das vorherige Verteilenvon Minister- und Staatssekretärspostenhat sich für sie weder bewährt noch be-wahrheitet.

Die FDP konnte trotz eines extremenVersuches, Zweitstimmen zu mobilisie-ren und sich als Steuersenkungspartei zuprofilieren (Plakate im Bildzeitungsstil„Wahlwerbung auf ihrem Lohnzettel“wegen des gesenkten Solidar-Zuschla-ges) nur 20.00 Stimmen oder 0,5% hin-zugewinnen und erhielten 160.000 Stim-men weniger als bei der BTW 1994. IhreFunktion als mögliche Mehrheitsbe-schaffer ist deutlich im Zurückgehen.

Beachtenswerterweise sprach Ger-hard Schröder sowohl am Abend derWahl als auch am nächsten Tag davon,

daß die „wahrscheinlichste Ablösungs-perspektive (für die Kohl-Regierung) rot-grün“ sei. Und obwohl sich Schröder im-mer auch für die Möglichkeit einerGroßen Koalition stark gemacht hat,wollen nach Meinungsumfragen 61% derniedersächsischen SPD-Wähler eine Zu-sammenarbeit von SPD und Grünen,aber nur 14% SPD/CDU und nur 11%SPD/FDP.

Aus dem faschistischen Spektrum tra-ten in Niedersachsen wiederum die Re-publikaner an.Sie erzielten mit ihren Lo-sungen „Arbeit für Deutsche“ und „Kri-minelle Ausländer abschieben“ 2,8% derStimmen und verloren 0,9% oder gut40.000 Stimmen. Allerdings sind starkeregionale Schwerpunkte vorhanden wieWilhelmshaven mit 8,6%, die sich wohleher mit Organisationsstruktur als bei-spielsweise mit der sehr hohen Arbeits-losigkeit erklären lassen.

Die PDS trat nicht mit einer Landes-liste an. Sie kandidierte in 11 von 100Wahlkreisen mit Direktkandidaten, wosie hauptsächlich in regionalen Schwer-punkten (Raum um Göttingen und Ol-denburg) mit kommunalen Mandaten dieMöglichkeit zur Abgabe einer linken Pro-teststimme gab. Die dokumentierten Er-gebnisse sind nicht unbeachtlich und lie-gen höher als bei den Bundestagswahlen1994. Im Vorfeld wurden „Landespoliti-sche Positionen“ erarbeitet und über150.000 Landes-Wahlzeitungen verteilt.

Die DKP kandidierte mit einer Lan-desliste und erhielt 8.681 Stimmen(0,2%) und damit etwas mehr als die Lin-ke Liste Niedersachsen 1994 (8.176 Stim-men, 0,2%). mio

Am Ascher-mittwoch …… ging man bei der CSU fest von einerNiederlage Schröders aus. Die Nieder-sachsenwahl wurde als eine erste Be-währungsprobe der Wahlstrategie ange-nommen.

Stoibers Gedankengang: Wenn die Un-sicherheit allgemein wird, braucht’s ei-nen populären Grund. Verbrechen kannLeib, Leben und Habe bedrohen. Allesund alle brauchen da einen verstärktenStaat. Sonst kommen die Verbrecher vonüberallher, um sich bei uns, wo ihnen ei-ne gefesselte Polizei nichts tun kann, nie-derzulassen. Aber die CSU weiß das undwird dafür sorgen, daß die organisiertenKriminellen samt ihren Anwälten usw.künftig belauscht werden.Die Verfolgungim Inland muß durch eine Grenzkon-trollpolitik ergänzt werden. Sonstkommt es zu einem „Zustrom von Kri-minellen und illegalen Einwanderern".Illegalen Einwanderern zu helfen wärenicht christliche Nächstenliebe, sondernBeihilfe. Nachdem diese Worte tatsäch-lich so gefallen sind, geht es weiter zu so-zialen Fragen. Zum Länderfinanzaus-gleich: „Wir können Rot-Grün nicht hin-

dern, wirtschaftlich den Wagen an dieWand zu fahren, wenn sie das unbedingtwollen. Nur eins müssen die Genossenwissen: Die Reparaturkosten können sienicht bei uns abbuchen." Woher die Un-terschiede in der Wirtschaftskraft derBundesländer? „Lafontaine und Genos-sen, die zuerst gegen die militärischeSpitzentechnologie in Deutschland ge-wettert haben, mosern jetzt daß Bayerneiner der Hauptnutznießer der Eurofigh-ter-Produktion ist. Sie hätten eben auchrechtzeitig ihre Länder technologisch er-neuern sollen." Arbeitslosigkeit? „Trotzunserer Erfolge bleibt die Bekämpfungder Arbeitslosigkeit erster Ziel … Nureins gibt es mit uns nicht: Abzocken vonSozialleistungen, Ansprüche stellen, oh-ne etwas zu leisten." Und: „natürlich liegtder Schlüssel zu mehr Beschäftigung inder Bildungspolitik … Man muß sich malvorstellen, was Gesamtschulen an Nach-lassen der Leistungsbereitschaft herbei-geführt haben."

Wie geht der Reim: Die Verbrecher undKriminellen, die Illegalen, die abzocken,die Faulen, die rotgrünen, die ihre Fehlervon anderen bezahlen lassen, die Linken,… und, wieder von vorn, die Verbrecher… Dazu ist sogar Schröder eine echte Al-ternative. maf

Page 5: Politische Berichte Nr.5 / 1998

die Vereinigung Demokratischer Juri-stinnen und Juristen – wie vor ihr schonder Republikanische AnwältInnenverein– die Forderung nach Abschaffung derSondergesetze aufgegriffen und mit derForderung nach Freilassung der Gefan-genen aus der RAF verbunden.1 Leiderschweigt die PDS bisher dazu. Dennochgibt es im anlaufenden Bundestagswahl-kampf zwei wichtige Bezugspunkte, umdie staatliche Politik im Kampf gegen dieRAF und die Forderung nach Freilassungaller Gefangenen aus der RAF in einerbreiteren Öffentlichkeit zu thematisie-ren. scc1 vollständig abgedruckt im Angehörigen Info 204

Deutsche wg. angeblicher Mitgliedschaftin der PKK im türkischen Gefängnis

pwi: „Freilassung vonEva Juhnke und allen politischenGefangenen in der Türkei!“

Die Freilassung der im Oktober 1997 von tür-kischen Spezialeinheiten im irakisch-türki-schen Grenzgebiet inhaftierten Eva Juhnkefordert prison watch international. Die Spre-cherin der Menschenrechtsorganisation, diegrüne Landtagsabgeordnete Heidi Lipp-mann-Kasten aus Niedersachen, wendetesich mit dieser Forderung am 27. Februar andie Öffentlichkeit.

Die Hamburgerin Eva Juhnke, die seitfünf Jahren in Kurdistan lebte und sichfür die Interessen des kurdischen Volkeseinsetzte,wurde unbewaffnet und schwerkrank in der Nähe von Hakkari verhaf-tet. Mittlerweile läuft vor dem DGM(Staatssicherheitsgericht) in Diyarbakirein Prozeß gegen sie wegen Mitglied-schaft in der PKK und weiterer Ankla-gepunkte nach Anti-Terror-Gesetz. Soll-te sie hiernach verurteilt werden, drohtihr eine Haftstrafe bis zu 24 Jahren.

Nach ihrer Verhaftung wurde sie mitverbundenen Augen, an Händen undFüßen gefesselt und unter der Drohung,man würde sie aus dem Hubschrauberwerfen, nach Diyarbakir transportiert,wo sie in Polizeihaft von Mitgliedern desGeheimdienstes tagelang unter erneutenDrohungen und menschenunwürdigenZuständen verhört wurde.Nach ca.2 Wo-chen erfolgte die Verlegung in das Ge-fängnis von Mus und die Anklageerhe-bung vor dem DGM in Diyarbakir. Seit-dem fanden mehrere als Haftprüfungs-termine definierte Prozeßtermine stattund es ist mit einem baldigen Prozeßen-de zu rechnen. Nächster und vermutlichletzter Verhandlungstermin soll der

19.3.1998 sein.pwi hatte schon im Dezember letzten

Jahres auf Wunsch der Angehörigen einePatenschaft für Eva Juhnke übernom-men und Gespräche mit Vertretern desMenschenrechtsvereins IHD in der Tür-kei geführt. Ein in dieser Woche geplan-tes Gespräch im Auswärtigen Amt sollAufklärung über die Unterstützung derDeutschen Vertretung in der Türkei brin-gen.

Eva Juhnke ist – ebenso wie der seitDezember letzten Jahres im Nordirak in-haftierte Jörg Ulrich aus Braunschweig –wegen der Zugehörigkeit zur PKK ange-klagt. Beide unterstützen den Kampf des

kurdischen Volkes auf Selbstbestimmungund für die Einhaltung der Demokratieund der Menschenrechte in der Türkei.Beide sind, gemeinsam mit zigtausendenkurdischen Frauen, Männern und Kin-dern Opfer des vom türkischen Regimegegen das kurdische Volk gerichtetenKrieges. Mitverantwortlich an dem Völ-kermord am kurdischen Volk ist letzt-endlich auch die verfehlte Türkeipolitikder Bundesregierung, die in den vergan-genen Jahren den Krieg immer wiedermit Waffen- und finanzieller Hilfe unter-stützt hat.

Eva Juhnke ist eine von rund 10.000politischen Gefangenen in der Türkei,die

PB 5/98 • AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT 5

Am 6.2.1998 wurde im Bundesrat eineGesetzesinitiative verabschiedet,die be-stimmte Gruppen geduldeter Ausländervon praktisch allen Sozialleistungen ab-schneidet, die noch ein menschenwürdi-ges Leben ermöglichen würden. Beimgegenwärtigen Stand der Diskussion istunklar, welche Gruppen von Menschenauf welche Weise genau betroffen seinwerden.

Unabhängig davon fassen wir folgen-den Beschluß:

Wir fordern alle Mitglieder des Bun-destages und der Länderparlamente da-zu auf, den verfassungsrechtlichenGrundsatz der Unantastbarkeit derMenschenwürde zu verteidigen und dieGesetzesinitiative des Bundesrateskompromißlos zu verhindern.

Zur BegründungEs ist ein Widerspruch in sich, daß

Flüchtlinge zwar aus rechtlichen undtatsächlichen Gründen geduldet wer-den, daß sie aber gleichwohl gezwungen

werden sollen, „freiwillig“ auszureisen,indem man ihnen die Lebensgrundlageentzieht.

Was trotz des ohnehin schon restrik-tiven Ausländerrechts nicht durchge-setzt werden kann, soll nun sozialrecht-lich durchgesetzt werden. Das Sozial-recht soll zum Ordnungsrecht werden,Verelendung dient der Vertreibung.

Hier wird das bereits mit dem Asyl-bewerberleistungsgesetz eingeführtePrinzip der geteilten Menschenwürdeendgültig festgeschrieben. Die Kommu-nen und hier insbesondere die So-zialämter sollen als Vollzugsanstaltenfür Ausländerbehörden mißbrauchtwerden. Dieser weitere grundsätzlicheEinschnitt in das soziale Sicherungsy-stem unseres Landes hat eine über dieaktuell betroffene Gruppe hinausgehen-de Bedeutung: Die Politik des Sozialab-baus schlägt um in eine Politik der so-zialen Ausgrenzung und der sozialenVerfolgung.

Protest gegen Sozialhilfestreichung für FlüchtlingeGöttinger ErklärungArtikel 1 Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten undzu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.“

Diese Erklärung wurde am 24. Februar 1998 einstimmig von etwa 120 anwesenden Personen ver-abschiedet. Neben verschiedenen ParteienvertreterInnen und der Sozialdezernentin sowie demRechtsdezernenten der Stadt Göttingen waren folgende Initiativen und Organisationen anwesend:Am 6. März 1998 wird die Göttinger Erklärung als Eilantrag der Fraktionen der SPD und der Grü-nen in die Versammlung des Göttinger Rates eingebracht.

AK Flucht und Asyl • Anlaufstelle für Sozialberatung und Rechtspflege der Neuen Chance e.V. •Antirassismusplenum • Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände • Arbeitskreis fürFlüchtlinge / Stephanusgemeinde • Arbeitskreis Solidarische Welt e.V. • Ausländerbeirat Göttin-gen • Ausländerkommission der Niedersächsischen Landtags • AWO Kreisverband Göttingen e.V.• Basisgruppe / Fachschaft Romanistik • Basisgruppe Jura • Beratungszentrum für Flüchtlinge(St. Jacobi und Caritasverband) • Bildungswerk der DAG • Buchladen Rote Straße • Bürgeri-nitiative Flüchtlingswohnheim Merkelstrasse • Büro für medizinische Versorgung von Flüchtlin-gen • DGB Kreisverband Göttingen • DRK Kreisverband e.V. • Ev. Ausländerpfarramt • Fach-schaftsliste Mathe/Physik der Universität Göttingen • Flüchtlingsrat Niedersachsen • Frauenhause.V. • Freie Altenarbeit Göttingen • Geschichtswerkstatt Göttingen • Gesellschaft für bedrohteVölker • Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit • Gesundheitszentrum • GöttingerArbeitskreis zur Unterstützung von Asylsuchenden e.V. • Göttinger Betriebsexpress • GöttingerFriedensbündnis • Initiative „Kein Mensch ist illegal“ • Institut für angewandte SozialfragenGmbH • Jüdische Wohlfahrt • Katholische Kirchengemeinde St. Michael / Sozialpolitischer Ar-beitskreis • Kirchlicher Arbeitskreis „Flüchtlinge und Asyl“ • Kurdistan Solidarität Göttingen •Mittagstisch St. Michael • OLLAFA Offene Linke Liste - Asta für alle • pampa (Zeitschrift) • Pa-ra Todas Todo • Paritätischer Wohlfahrtsverband Göttingen • Pax Christi / Internationale katho-lische Friedensbewegung / BG Göttingen • Runder Tisch „Armes Göttingen“ • Seniorenbeirat derStadt Göttingen • Shelter e.V. / Sozialpsychiatrische Beratung, Betreuung und Selbsthilfe-Initia-tive • Stephanus Kirchengemeinde • Tagessatz (Zeitung für Menschen in sozialen Schwierigkei-ten) • Verein zur Erschließung neuer Beschäftigungsformen e.V. • Zukunftswerkstatt

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der staatlichen Willkür und der Men-schenverachtung des türkischen Regimesausgesetzt sind. Obwohl Eva als Deut-sche keiner körperlichen Folter ausge-setzt wurde, ist sie den Repressionen unddem psychischen Druck einer politischenGefangenen ausgesetzt. Hinzu kommt,daß sie unter der Anklage aktiv für diePKK gekämpft zu haben,als Separatistinangesehen wird. Immer wieder kommt eszu gewalttätigen Angriffen gegen politi-sche Gefangene, so z. B. im September1996, wo elf Gefangene von Polizei undMilitär im Gefängnis von Diyarbakir er-schlagen wurden.

pwi wird den Prozeß gegen Eva Juhn-ke vor Ort beobachten und fordert ihreFreilassung ebenso wie die Freilassungaller politischen Gefangenen in der Tür-kei.(Heidi Lippmann-Kasten, pwi-Vorsit-zende, Göttingen, 27.2.98)

„Endlich auf der Straße – Die ‘Neue A-Klasse’!“

Neue Arbeitslosenproteste am 5. März

AArrbbeeiittsslloosseenn-ddeemmoonnssttrraattiioonniinn BBeerrll iinn aamm 55.. FFeebbrruuaarr

Hauptforderungen dergewerkschaftlichen Arbeitslosengruppen• Kein vierteljährliches Stempeln, son-dern Beratung und Qualifizierung;• Wiederherstellung des Berufs-schutzes;• kein Arbeits- und Bewerbungszwangin miese Jobs, sondern Arbeitsplätze,von denen wir leben können;• keine verlängerten Arbeitszeiten, son-dern radikaler Abbau von Überstunden,sofortige Einführung der 35-Stunden-Woche in allen Branchen, weitere tägli-che Arbeitszeitverkürzung auf 25 Stun-den bei vollem Lohnausgleich für die un-teren Tarifgruppen in den nächsten fünfJahren;• Existentielle Absicherung für alle durchein Einkommen, das dem gesellschaftli-chen Reichtum angemessen ist.aus: Info Rundbrief der gewerkschaftli-chen Arbeitslosengruppen, Nr. 39,a.a.O.

Hauptforderungen derSozialhilfeinitiativen• Keine Anrechnung des Kindergelds aufdie Sozialhilfe!• Ersatzlose Streichung des Lohnab-standsgebots!• „Monatsgehalt“ für Sozialhilfebezie-herinnen und Arbeitslose!• Weg mit dem Arbeitsverbot für Flücht-linge – Keine Sondergesetze für Auslän-derInnen!Quelle: BAG der Sozialhilfeinitiativen,Moselstr. 25, 60329 Frankfurt/Main.

Die Bielefelder „Koordinierungsstelle ge-werkschaftlicher Arbeitslosengruppen“zieht in ihrem „Info-Rundbrief“ ein zufriede-nes Resümee des Aktionstages gegen Ar-beitslosigkeit im Februar und kündigt eineFortsetzung der Aktionen an. Für Septemberist in Berlin eine zentrale Aktion geplant.

Am 20. Januar rief die Koordinierungs-stelle gewerkschaftlicher Arbeitslosen-gruppen gemeinsam mit Gewerkschaftenund den Zusammenschlüssen der Ar-beitslosen- und Sozialhilfeinitiativen zumonatlichen Protesttaten der Arbeitslo-sen auf. Das Medienecho war überwälti-gend, die Resonanz bei Initiativen undGewerkschaften groß. Innerhalb kürze-ster Zeit wurden örtliche Aktionen aufdie Beine gestellt. Mit mehr als 50.000Teilnehmern in über 200 Städten wurdendie Erwartungen an den 1.Aktionstag beiweitem übertroffen. Die örtlichen Initia-tiven registrierten eine dreimal so hoheBeteiligung wie in der Vergangenheit.Vie-le Betroffene gingen erstmalig auf dieStraße. Sie zeigten Selbstbewußtsein, siewollen sich nicht länger ausgrenzen unddiskriminieren lassen.

(…) Die Proteste in Frankreich warenein Signal; 5 Millionen registrierte Ar-beitslose wurden für Januar erwartet; ge-setzliche Verschärfungen bei Leistungen,Zumutbarkeit,Disziplinierung und Kon-trolle haben Unmut erregt; in fast allenBranchen ist weiterer Stellenabbau an-gekündigt – das alles hat den Funken zuBeginn des Wahljahres überspringen las-sen. Die Beschwichtigungsversuche vonBlüm (es ginge den deutschen Arbeitslo-sen doch ganz gut) und die hektischen

Appelle der Bundesregierung (Betrieb-spraktika für Jugendliche und Arbeits-gelegenheiten für langzeitarbeitslose So-zialhilfebezieherInnen) wirkten eher an-heizend denn beruhigend.

Französische Verhältnisse haben wir(noch) nicht), doch die hat wohl keinerernsthaft erwartet … Allerdings sind dieProtestbereitschaft der Betroffenen unddie Aktionsfähigkeit von Netzwerkenund Selbsthilfestrukturen hierzulandenicht zu unterschätzen … Aus dem An-fang am 5.2. muß eine soziale Protestbe-wegung gegen Arbeitslosigkeit, Armutund Ausgrenzung werden. WachsendeMassenarbeitslosigkeit ist ein öffentli-cher Skandal, der nur durch öffentlichenDruck beseitigt werden kann. Deshalbmuß die Unterstützung in Gewerkschaf-ten, Verbänden und Parteien weiterwachsen. Die Aktiven vor Ort und in denRegionen sind aufgefordert, Aktionsko-mitees zur Vorbereitung der weiterenProtesttage zu bilden. Diese sollen mo-natlich fortgesetzt werden, immer am Tagder Bekanntgabe der Arbeitslosenzah-len: 5.3., 7.4., 8.5., 9.6., 7.7., 6.8. Da wol-len wir zu den Verursachern der Arbeits-losigkeit gehen, zu Unternehmerverbän-den, Parteibüros von CDU und FDP, Bör-sen und Banken, zu Betrieben und Ver-waltungen, die Stellen abbauen oder wodie Belegschaften in Tarifauseinander-setzungen stehen. Für September istdann eine zentrale Veranstaltung in Ber-lin geplant.

aus: Info Rundbrief Nr. 39, Hrsg. von der Koordi-nierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosen-gruppen, Marktstraße 10, 33602 Bielefeld, Tel.0521-179922, Fax 0521-179930.

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Von Wolfram Triller

Im Prozeß der Deutschen Einheit war es denMitschuldigen am 2. Weltkrieg, den Junkernund Großgrundbesitzern nicht gelungen, diehistorisch notwendige und gerechtfertigteBodenreform in Ostdeutschland rückgängigzu machen. Auch mehrere Versuche, die imEinigungsvertrag und im Grundgesetz ge-troffenen Regelungen außer Kraft zu setzen,scheiterten. Die Bodenreformflächen gingenin das Eigentum der BundesrepublikDeutschland über.

In ihrem Privatisierungswahn setzte dieKohlregierung allerdings das Entschädi-gungs- und Ausgleichleistungsgesetz(EALG) durch, dem auch die SPD zu-stimmte. Danach sollen die Alteigentü-mer eine Entschädigung für die Enteig-nung erhalten und parallel zu den ge-genwärtigen Bodenbewirtschaftern zuSonderkonditionen Bodenreformflächenerwerben können.

Nach dem Scheitern der Einsprüchegegen die Bodenreformregelungen im Ei-nigungsvertrag vor dem Bundesverfas-sungsgericht konzentrieren sich die Al-teigentümer auf die Überwindung dermit ELAG geschaffenen Situation. Dazuorganisieren sie eine millionenschwerePressekampagne mit Anzeigen und Arti-keln, in denen sie auch schon einmalKanzler Kohl als Lügner bezeichnen.Auch das Bundesverfassungsgerichtwird wieder bemüht, hat aber noch nichtentschieden. Stärkster Verbündeter solldie EU-Kommission werden, die nachBeschwerden der Alteigentümer prüft,obdas ELAG mit seinen Sonderkonditionenauch für die neuen Bodenbewirtschaftereine verdeckte Subvention darstellt unddamit unzulässig wäre. Obwohl die neu-en Bewirtschafter kaum Geld haben, sicham Bodenkauf zu beteiligen, wollen dieAlteigentümer kein Risiko eingehen undsie von vornherein vom Kaufrecht aus-schließen.

Erfolg hat aber inzwischen ihr Protestauf dem letzten CDU-Parteitag gehabt.Zwar hat der Parteitag über mehrere An-träge zur Bodenreform nicht abgestimmt,sie aber an die CDU-Bundestagsfraktionüberwiesen.Die PDS-Bundestagsgruppebrachte daraufhin einen Antrag zur er-neuten Bestätigung der gesetzlichen Re-gelungen aus dem Einigungsvertrag zurBodenreform durch den Bundestag ein.Er wurde mit dem Hinweis abgelehnt,dafür stünde keine Notwendigkeit, dakeine Gesetzesänderungen vorgesehenseien. Ein Arbeitskreis „Enteignungenzwischen 1945 und 1949“ unter Leitungdes stellvertretenden CDU-Fraktions-

vorsitzenden Prof. Rupert Scholz legtenun Anfang Februar ein Papier vor, daßauch ohne Gesetzesänderungen den In-teressen der Alteigentümer weitgehendentspricht und durch weitere Maßnah-men ausgebaut werden soll.

Das Scholz-Papier löste in Ost-deutschland einen Proteststurm ausGraf. Lambsdorff sieht dafür keinenGrund, denn an den gesetzlichen „Rege-lungen wolle die CDU nichts ändern“.Während Bundesumweltministerin Mer-kel und der Sprecher der ostdeutschenCDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Krü-ger noch bagatellisierend von einem„Diskussionspapier“ sprachen und sichdas Mitglied der Arbeitsgruppen Dr. Lu-ther von Teilen des Papiers distanzierte,wurden andere deutlicher. Der Land-wirtschaftsminister Brick (CDU) ausMecklenburg-Vorpommern sprach von„Ignoranz gegenüber den ostdeutschenBefindlichkeiten“ und von einem „Skan-dal“, allerdings nur, weil der Scholz-Be-richt ohne die Beteiligung der neuen Län-der erstellt worden sei.

Bei der Abstimmung über den SPD-Antrag, dem auch die PDS zustimmte,das Scholz-Papier zurückzuweisen, hober allerdings nicht die Hand.Vielmehr er-klärte er,„wenn es Verbesserungen für dieAlteigentümer gibt, ohne daß unsereLandwirte benachteiligt werden, kannich damit leben“. Offensichtlich ist erüberfordert zu begreifen, daß die „Ver-besserungen“ gerade darin bestehen,„unsere Landwirte“ zu benachteiligen.

Der Präsident des Landesbauernver-bandes Brandenburg kann laut BerlinerZeitung „solchen Mist nicht begreifen“und erwartet: „In Brandenburg würdedie CDU dann auf dem Lande endgültigden Bach runtergehen“. Dieser Protestrichtet sich vor allem gegen das Aufbre-chen der 18-jährigen Pachtzeit. In vielenanderen Punkten stimmt das Scholz-Pa-pier mit einer gemeinsamen Stellun-gnahme vom 17. Januar 1998 der ost-deutschen Bauernverbände mit der Ar-beitsgemeinschaft der Grundbesitzer-verbände überein. Ihr Vorsitzender Mich-ael Prinz zu Salm-Salm schlägt deshalbein „Agrar-Forum-Ost“ vor und wendetsich gegen das Gerede von einer Umkehrder Bodenreform und eine „bewußt ge-schürte Stimmungsmache und gezielteVerunsicherung der Landwirte“. Viel-mehr sei der Kaufstopp an Nichtberech-tigte „eine Maßnahme gegen ausländi-sche Profiteure und Immobilienspeku-lanten aus Westdeutschland“. Auch denSPD-Antrag im Bundestag, die wenigenkurzfristigen Pachtverträge auf 18 Jahrzu verlängern, wird Prinz Salm notfallsunterstützen, denn „wir stellen die lang-fristigen Pachtverträge nicht in Frage“,

meinte er.Da es der Scholz-Arbeitsgruppe „nur“

darum geht,„bürokratische Hemmnisse“und „Unklarheiten bei der Umsetzungder Flächenerwerbsverordnung“ zu be-seitigen, rennt Oskar Lafontaine mit sei-ner Forderung, „die Landwirtschaft inden neuen Ländern braucht Rechts- undPlanungssicherheit“, bei der Bundesre-gierung offene Türen ein. Auch der ge-meinsame Antrag von SPD und PDS zumScholz-Papier, das der Landtag Bran-denburg gegen die Stimmen der CDUverabschiedet hat, ist nur ein Drohen mitdem Finger. Das Kernproblem besteht,wie Lothar Bisky in seinem Debatten-beitrag betonte, in der notwendigen Kor-rektur des totalen Bodenprivatisierungs-auftrages des Treuhandgesetzes zugun-sten der Verpachtung oder Vergabe an diegegenwärtigen Bewirtschafter. Außer-dem forderte er die unentgeltliche Ei-gentumsübertragung von Naturschutz-flächen an Länder und Kommunen sowiedie Verwaltung und Verwertung des einstvolkseigenen Bodens in die Hände derLänder.

Da die „großen Volksparteien“ in derBundesrepublik allerdings nicht bereitsind, ihren zur weiteren sozialen Spal-tung führenden Privatisierungs- und De-regulierungskurs zu beenden, wird Prof.Scholz dem nächsten CDU-Parteitag mitgroßer Wahrscheinlichkeit melden kön-nen: „Parteiauftrag erfüllt, Interessender Alteigentümer ‘untergesetzlich’ gesi-chert“.

Die ökonomischen und politischenMachthaber in der Bundesrepublik sinddamit ihrem Ziel der deutschen Einheitein Stückchen näher, die kapitalschwa-chen Ostdeutschen aus den Grund-büchern zu streichen.

Hoffentlich haben sie den Wider-standswillen der ostdeutschen Bauernunterschätzt. Denn Kampferfahrungenhaben sie schon bei der geplanten 4.LAG-Novelle bewiesen und sie in der ur-sprünglichen Form verhindert, Denn„wenn sich die Bauern in Ostdeutschlandnicht zu außerparlamentarischen Maß-nahmen entschließen, werden viele vonihnen das Schicksal der Arbeiter dervolkseigenen Betriebe teilen“, erklärteder agrarpolitische Sprecher der PDS-Bundestagsgruppe.

Doch wie der Kampf auch ausgeht, esbleibt der Satz von Gerhard Zwerenz imDeutschen Bundestag: „Die nächsteWende kommt bestimmt.“

Wolfram Triller ist Mitarbeiter des agrar-politischen Sprechers der PDS im Bun-destag, des Abgeordneten Dr. GüntherMaleuda.

Neuer Angriff auf die Bodenreform

Parteiauftrag erfüllt – Gesetzesblockade durchbrochen

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8 AUSLANDSBERICHTERSTATTUNG • PB 5/98

Frankreich

Der Front National und die ArbeitslosenbewegungDer Front National wird,das ist bekannt,von einem bedeutenden Prozentsatz derArbeitslosen gewählt. So stimmten beider Präsidentschaftswahl am 23. April1995 jeweils 30 Prozent der Arbeiter-schaft (im engen soziologischen Sinne,d.h. ohne Angestellte etc.) und der Ar-beitslosen für den Kandidaten Jean-Ma-rie Le Pen. Für die Parlamentswahl am25. Mai 1997 weichen die Zahlenangabender verschiedenen Untersuchungen rela-tiv stark voneinander ab. Aber es siehtdanach aus, als sei der Anteil des FN indiesen Kategorien etwas zurückgegan-gen, auf circa 25 Prozent, unter den Ar-beitern und rund 15% unter den Ar-beitslosen (Le Monde, 24. Januar 98). EinTeil dieser Wählerschichten wurde er-neut von den Linksparteien angezogenund v.a. von der Sozialdemokratie, diesich von ihrer schweren Niederlage 1993erholt hatte.

Wie reagiert nun die rechtsextremePartei, angesichts ihrer Verankerung indiesen – sozial unzufriedenen – Wähler-

schichten, auf die jüngste Bewegung derArbeitslosen, die seit dem 11.12.97 Ar-beitslosenkassen und öffentliche Ämterbesetzen, um eine Aufbesserung ihrermehr als armseligen Unterstützung zufordern? (Über 82 Prozent der Langzeit-arbeitslosen, d.h. der über 2 Jahre langArbeitslosen, erhalten weniger als umge-rechnet 900 DM im Monat zum Leben.)

Fest steht, der Front National mag dieArbeitslosen – aber nur, wenn sie still ihrSchicksal erdulden,das Maul halten und,vor allem natürlich, rechtsextrem wäh-len. Schluß mit lustig ist aber, sobald dieArbeitslosen aus ihrer Vereinzelung undsozialen Isolierung heraustreten, welchedie rechtsextreme Partei als ihre natürli-che Eigenschaft ansieht, oder gar kollek-tiv protestieren. Das geht gegen die Na-tur, denn wie schreibt die FN-Wochen-zeitung National Hebdo (8.1.98): „Die Ar-beitslosigkeit – man braucht kein Sozio-logieprofessor zu sein, um es zu wissen –wird je nach Individuum und Situationsehr unterschiedlich erlebt. Von allein

schließen die Arbeitslosen sich nicht zu-sammen.“ Dies ist natürlich, man ahntees und kann es demselben Absatz ent-nehmen, das Werk eines „marxistischenKollektivs, das die laufenden Aktionenorganisatorisch umrahmt.“ Die erstenReaktionen der rechtsextremen Presseauf die Arbeitslosenbewegung warenschlicht unwirsch ablehnend. NationalHebdo-Chefredakteur Martin Peltierschrieb in der Ausgabe vom 18.12.97 überdie beginnenden Besetzungen von Ar-beitslosenkassen: „Vom Standpunkt deröffentlichen Ordnung aus ist es keine Fra-ge, daß das zu weit geht.“ Und: „Die Leu-te,die arbeiten und sich abrackern,sähenes gerne, wenn jene, die von den Arbeits-losengeldern profitieren – die auf ihre La-sten gehen –, ein bißchen Anständigkeitan den Tag legen würden und merkenwürden, wann man lächerlich wird.“ DieWochenzeitung Minute (31. Dez. ‘97), diedem FN-nahen (kleinen) Presseimperiumangehört und zugleich eine Brücke zukonservativ-reaktionären Milieus amRande der bürgerlichen Rechten dar-stellt, schreibt ihrerseits: „Das ist dieletzte Mode des Jahres, welche die Ten-denz für 1998 ankündigt.Nach dem Sam-ba der ‘Sans-papiers’ / Einwanderer ‘oh-ne Papiere’ (früher sagte man illegaleAusländer) und dem Rumba der ‘ohneWohnung’ (früher sagte man Clochards /Stadtstreicher) kommt hier jetzt der Sal-sa der ‘ohne Arbeit’(früher sagte man Ar-beitslosen).“ Nachdem Minute sich über„die ziemlich schwache Anzahl“ der Ar-beitslosen lustig gemacht hat, schließtdas Blatt: „Versöhnt, um den Weih-nachtsmann und die Sozialversicherungzu erpressen, spielen die Stalinisten derCGT und die Trotzkisten von AC (Anm.:Basisbewegung „Gemeinsam handelngegen die Arbeitslosigkeit“) die Dirigen-ten des Orchesters.“ Im Bewußtsein dar-über, daß die extreme Rechte auf ihre ei-genen Wähler Rücksicht nehmen sollte(von denen freilich der Großteil Blätterwie National Hebdo und Minute nichtliest, die mit ein paar zehntausend Ex-emplaren Auflage den harten Kern der„nationalen Bewegung“ bedienen), übtNational Hebdo sich am 15.1.98 in Aus-einander-Differenzierung. So schreibtdie FN-Parteizeitung in ihrer Einleitung:„Die Demonstrationen der Arbeitslosenzeigen ein echtes Leid auf und verurtei-len die (aktuelle) Behandlung der Ar-beitslosigkeit. Aber sie sind auch ein po-litisches Manöver, das von der KP lan-ciert worden ist, um die Regierung unterDruck zu halten und – vor allem – um ei-ne Kleine-Leute-Wählerschaft zurück-zugewinnen, die vom Front National an-gezogen wird.“

Vier Seiten weiter kommt dann die Ver-schwörungstheorie, wonach alle – sozia-le Bewegung und Staat / Establishment/ Regierung – sich systematisch gegen denFN verschworen haben.

Der Front National ist durch sein Ver-halten während des jüngsten Arbeitslo-senkonflikts auf der politischen Bühne

AArrbbeeiittsslloosseennpprrootteessttiinn MMaarrsseeii ll llee iimm

JJaannuuaarr 11999988..

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PB 5/98 • AUSLANDSBERICHTERSTATTUNG 9

Protest gegen die Globalisierung formiertsich – In Genf trafensich Basisaktivistenund gründeten die:

„Peoples Global Action“

Von Gerhard Klas

Vom 23. bis 25. Februar war Genf Schau-platz einer Konferenz von knapp 400 Re-präsentanten von verschiedensten Wider-standsbewegungen aus allen Kontinenten,die von der Infrastruktur der etwa 200 be-setzten Häuser der Stadt profitierten.

Internationale Umweltschutzorganisa-tionen wie „Friends of the earth“, Spre-cher und Sprecherinnen der Bauern- undLandlosenbewegungen aus Indien, denPhilippinen und Brasilien, die zum Teilmehr als 100.000 Menschen zu Pro-testaktionen mobilisieren, Gewerkschaf-ter aus Lateinamerika und Südkorea,Studierende aus Europa und Nordameri-ka,Vertreter der französischen Erwerbs-losenbewegung AC! sowie Aktivisten derEuropäischen Märsche gegen Erwerbslo-sigkeit fanden sich im „Maison de Fau-bourg“ zusammen, um das Koordinati-onsbündnis „Peoples Global Action(PGA) – Weltweite Aktion gegen Frei-handel und die WTO“ ins Leben zu rufen.

Im Gegensatz zu Nichtregierungsor-ganisationen (NGOs), die nach einerjüngst durchgeführten Umfrage mehr-heitlich das internationale Regulie-rungspotential der Weltorganisationennutzen wollen, um sich für verbindlichesoziale und ökologische Klauseln in Frei-handelsvereinbarungen einzusetzen, be-fürwortet PGA eine grundsätzliche Kon-frontationshaltung gegenüber der WTO.Die Welthandelsorganisation sei, so einvon PGA verabschiedeter Entwurf einesManifests, „neben dem InternationalenWährungsfonds (IWF), der Weltbank undeinigen anderen Institutionen eine derAgenturen, die neue Strategien zur Glo-balisierung des Kapitals entwickeln“.„Die Konsequenzen der Globalisierung“,erklärt PGA weiter, „haben verheerendeFolgen für die Menschen in allen Län-dern: fallende Löhne, Erwerbs- undLandlosigkeit, Einschnitte in den sozia-len Netzen, die maximale Ausbeutungvon Erwerbstätigen auf der ganzen Welt,Zerstörung unterprivilegierter Kommu-nen und Nationalstaaten und die Ver-schmutzung der Umwelt“. Das neueste

leicht ins Abseits gedrängt worden. Sehrdeutlich bestätigte dies eine Umfrage,dieam 17.1.98 von der Tageszeitung Le Pa-risien publiziert wurde. Die Befragtenwaren dazu interviewt worden, welchensozialen und politischen Formationen sie„ in diesem Konflikt eher vertrauen odereher nicht vertrauen“. Die einzigen Ak-teure,denen eine Mehrheit der Franzosenaus diesem Anlaß ihr Vertrauen aus-sprach waren die Arbeitslosenselbsthil-feorganisationen wie AC! (58% positivegegenüber 30% negative Stimmen). Füralle politischen Parteien (den Sozialisten„vertrauen“ in diesem Zusammenhang40%, den Grünen 33%, den bürgerlichenParteien RPR und UDF 26% bzw 24 %,der KPF 25%) und die Gewerkschaften(CGT 30%, CFDT 28%) sowie den Ar-beitgeberverband CNPF (14% „Vertrau-en“) überwiegt die Anzahl der negativenMeinungen gegenüber den positiven.Denextremsten Negativwert aber erreicht indiesem Fall der Front National: neben7%, die ihm im Kontext des Arbeitslo-senkonflikts „vertrauen“, drücken 84%ihr Mißtrauen aus. Das bedeutet freilichnicht, daß der FN damit mittelfristig vonder politischen Bühne abgemeldet wäre.Sein Abseitsstehen anläßlich der Streik-welle im Herbst 1995, die es ebenfallsvorübergehend stiller um ihn werdenließ, hat nicht einmal kurzfristig zu ei-nem Einbruch des FN bei den Wahlen ge-führt,und derzeit wird die rechtsextremePartei in Umfragen auf einem Stimmen-niveau von 16% (Parlamentswahl 1997:15%) gehandelt. Aber es zeigt die massi-ve Schwierigkeit des FN, seinen poli-tisch-ideologischen Einfluß in der Ge-sellschaft in eine reale Präsenz auf dem„sozialen Terrain“ umzusetzen.

Türkei

Schwere Angriffe aufdie HADEPSeit Ende Januar verschärft der türkischeStaat im Schatten der Golfkrise seine An-griffe auf die kurdische Bevölkerung und ih-re Organisationen.

Die Türkei versucht, das Gebiet Südkur-distans im Nordirak bis zu den Ölquellenvon Kirkuk und Mossul dauerhaft zu be-setzen. Das Militär führt seine Angriffeund Vertreibungsaktionen gegen die kur-dische Bevölkerung fort.Organisationen,die Frieden und eine demokratische Lö-sung für Kurdistan fordern, behinderndiese Interventions- und Zerstörungs-maßnahmen. Die SozialdemokratischePartei, die mit Yilmaz in der Regierungsitzt,hatte vor kurzem eine Umfrage überdas Wahlverhalten zu den kommendenKommunalwahlen in mehreren kurdi-schen Städten und Landbezirken durch-geführt. Das Ergebnis lautete: Rundachtzig Prozent der Menschen in den kur-dischen Gebieten würde trotz aller An-griffe und Repression die Demokratische

Partei des Volkes HADEP wählen. Nungreifen die türkischen Sicherheitskräfteverstärkt die Oppositionskräfte an.

Ende Januar wurden aus DiyarbakirGewerkschaftsfunktionäre und -mitglie-der an andere Orte verbannt,teilweise bisans Schwarze Meer. Am 11.2. wurde dieHADEP im Kreis Van überfallen. Am12.2. wurden in Adiyaman ein Großteildes Kreisvorstandes verhaftet. Bisheri-ger Höhepunkt ist aber der Überfall aufdie HADEP-Zentrale in Ankara am glei-chen Tag durch die Antiterroreinheit. Ei-ne Reihe führender Funktionäre der Par-tei, darunter ihr Vorsitzender MuratBozlak, wurden verhaftet.

Die Kreisvorsitzenden der HADEPvon Ankara und Siirt erklärten dazu:„Am 12. Februar drangen annähernd 20Polizisten der Antiterroreinheiten desPolizeipräsidiums Ankara auf sehr bru-tale Weise in unsere Zentrale ein und be-gannen mit der Durchsuchung unsererRäumlichkeiten. … Alle Menschen, diesich in unseren Büroräumen aufhielten,von Parteivertretern und dem Personalbis hin zu Besuchern, wurden in ein Zim-mer gedrängt und ihre Personalausweisebeschlagnahmt. Auf Drängen unseresParteivorsitzenden wurde schließlich er-klärt, daß seitens des Oberstaatsanwaltsdes Staatssicherheitsgerichts Ankara einHaftbefehl gegen alle Funktionäre unse-rer Partei vorliege, den Vorsitzenden undalle Mitglieder des Exekutivrates einge-schlossen, und daher alle anwesendenParteifunktionäre festzunehmen seien.“

Am 16. Februar berichtete die AgenturReuter, die Staatsanwaltschaft beschul-dige die Verhafteten des „Separatismus“und der „Mitgliedschaft in einer separa-tistischen Organisation“. Als „Beweise“dienen u.a. ein Kalender mit Informatio-nen über die inhaftierte DEP-Parla-mentsabgeordnete und europäischeSacharow-Preisträgerin Leyla Zana, derein Bild von ihr zeigt und eine Liste überdie zahlreichen Morde „unbekannter Tä-ter“ an Mitgliedern und Funktionärender HADEP enthält. Reuters berichtetweiter, daß weitere 50 Parteifunktionäremit einem Betätigungsverbot belegt wor-den seien.

In Ankara und Istanbul fanden Pro-testaktionen statt, an denen sich auchVertreter anderer demokratischer Orga-nisationen beteiligten. Der Vorsitzendedes Menschenrechtsvereins IHD, AkinBirdal,erklärte: „Leider gibt es keine Re-gierungsvertreter eines demokratischenStaates, die diese Reaktion entgegenneh-men können. Es ist zwingend notwendig,daß diejenigen, die für Frieden, Brüder-lichkeit der Völker und die Rechte derWerktätigen eintreten, ihrer StimmeGehör verschaffen.“ Der Bezirksvorsit-zende von Ankara erklärte, daß die Par-tei weiter für ihre Ziele kämpfen wird. Essei eine Straftat, über die kurdische Fra-ge und den Frieden zu sprechen – auchwenn Ministerpräsident Yilmaz das Jahr1998 zum Jahr der „Demokratie“ dekla-riert habe rub

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und vielleicht bedeutendste Phänomender Globalisierung seien die Handelsab-kommen, die als Schlüsselinstrumenteder Liberalisierung anzusehen sind.

„Wir lehnen das Konkurrenzprinzipals Lösungsmodell für die Probleme derWeltbevölkerung ab“, heißt es weiter imManifestentwurf. Alle Organisationen,die gegen ungeschützte Beschäftigungs-verhältnisse, informelle Beschäftigungs-sektoren und Erwerbslosigkeit kämpfen,und Bewegungen, die aus diesen Kämp-fen neu hervorgehen, kommen nach An-sicht von PGA nicht umhin zu betonen,daß es keine Lösung der aktuellen Pro-bleme gibt,wenn nicht die kapitalistischeGlobalisierung in Frage gestellt wird.

Die Konferenz räumte der Diskussionum das Manifest viel Zeit ein. Das warnötig, denn v.a. an der Frage, wie gegendie Institutionen der Globalisierung vor-zugehen sei,schieden sich die Geister.DieVorgabe von „gewaltfreien direkten Ak-tionen“ als „einzigem Weg“ wollten nichtalle Kongreßbesucher teilen. Nun bein-haltet das Manifest zunächst als Kom-promißformulierung, daß PGA „andereAktionsformen unter bestimmten Um-ständen nicht verurteilt“.

Natürlich stellten die TeilnehmerIn-nen auch die Frage nach der gesell-schaftlichen Alternative. Auch in diesemPunkt wurde der vor Kongreßbeginn vor-liegende Entwurf verändert. Dort wurdedie „lokale Ökonomie“ als einziges Heil-mittel angepriesen. Im überarbeitetenEntwurf wird nun festgehalten, daß „wireine vereinte Suche nach vollständig an-deren Konzepten und Alternativen zumbestehenden System brauchen“.

Auch das multilaterale Investitions-schutzabkommen MAI, das künftig aus-ländische und inländische Investorengleichstellen will und in der Organisati-

on für Wirtschaftliche Entwicklung undZusammenarbeit (OECD) zur Zeit ver-handelt wird, stand im Kreuzfeuer derKritik. Den Aussagen des MAI- Verhand-lungsleiters Frans Engering nach demletzten OECD-Ministerratstreffen am 16.und 17. Februar, daß „eine wachsendeÜbereinstimmung der Verhandlungs-partner zu erkennen ist,mit MAI auch diesozialen Belange, partiellen Umwelt-schutz und Arbeitsbedingungen anzu-sprechen“,werteten die TeilnehmerInnender MAI-Arbeitsgruppe des Kongressesals Versuch, die Kritik an MAI zu neutra-lisieren und die Chancen einer Ratifizie-rung in den Parlamenten zu verbessern.Widerstand gegen MAI ist vor allem inden USA,Kanada und Finnland weit ent-wickelt. Deshalb wollen sich diese Län-der evtl. einen späteren Beitritt zu MAIvorbehalten, so die Einschätzung vonMitarbeitern der niederländischen Ba-sisorganisation „Corporate Europe Ob-servatory“ (CEO), die seit mehr als einemJahr zur Verflechtung TransnationalerKonzerne (TNC) mit den Gremien der EUarbeiten. „Es könnte sogar sein“, so CEOweiter, „daß einige Verhandlungspartnerdie Möglichkeit des Scheiterns von MAIsuggerieren“. Kein Grund zur Entwar-nung, denn selbst wenn MAI tatsächlichscheitern sollte, erklärt CEO, werden dieTNCs ein neues Abkommen unter einemanderen Namen verhandeln.

CEO präsentierte in der Publikation„MAIgalomania!“ neueste Rechercheer-gebnisse. Demnach ist einer der wesent-lichen Drahtzieher des MAI die Interna-tionale Handelskammer ICC, der nebeneinigen nationalen Unternehmerverbän-den Konzerne wie Bayer, British Petrole-um, Dow Chemical, General Motors,Hyundai, Nestlé, Shell und Toshiba an-gehören. Der im April 96 veröffentlichte

Report der ICC, „Multilateral Rules forInvestment“ „lasse keinen Zweifel an derfast vollständigen Übereinstimmungzwischen den MAI-Verhandlungspart-nern und der Industrie“,erklärt CEO.Dievorgeschlagenen Regeln für ein Investiti-onsschutzabkommen sind identisch mitdem ersten MAI-Entwurf, der 9 Monatespäter an die Öffentlichkeit gelangte.

Die ICC war von Beginn an den Ver-handlungen zu MAI beteiligt, denn siesitzt im Wirtschafts- und Industrie Auf-sichtskonzil (BIAC) der OECD. Gemäßdem jüngsten Entwurf des MAI-Vertragssoll das Schiedsgericht der ICC eine we-sentliche Rolle im Streitschlichtungsver-fahren des MAI-Abkommens erhalten.ICC soll einen Kriterienkatalog erstellen,der detaillierte Bestimmungen enthält, inwelchen Fällen Investoren nationale Re-gierungen verklagen können. Der amtie-rende Präsident der ICC, Nestlé-ChefHelmut Maucher, ist zeitgleich Vorsitzen-der der Europarunde der Industrie (ERT),die beste Kontakte zur EuropäischenKommission unterhält. Die ICC waraußerdem beim G-7-Gipfel in Denver1997 mit von der Partie und warb dort beiden Regierungschefs der sieben reichstenIndustrienationen für MAI. Auch Ge-werkschaftsvertreter haben ein Auf-sichtskonzil (TUAC) in der OECD, das al-lerdings nur einen beratenden Status hat.Kritische GewerkschafterInnen derjüngst fusionierten Gewerkschaft Berg-bau, Chemie und Energie beschwerensich in einem Erklärungsentwurf an denDGB, der Vertreter in die TUAC entsen-det, darüber, „daß ihr euch hinter unse-rem Rücken, aber in unseren Namenschon seit geraumer Zeit an der Ent-wicklung des MAI beteiligt“. Statt sichgegen MAI zu stellen,würde der DGB mitseinem „Ringen um Präambeln, Anhän-gen und Klauseln von geringer Verbind-lichkeit und strategischer Bedeutung einFeigenblatt für dieses internationale ka-pitalistische Manifest“ abgeben. Die kri-tischen GewerkschafterInnen fordernden DGB auf, zukünftig die Meinung derBasis einzuholen oder aufzuhören „in un-serem Namen zu sprechen“.

Obwohl die kritischen Gewerkschaf-terInnen mit ihrem Ansatz gut bei PGAaufgehoben gewesen wären, waren ausEuropa keine Vertreter bei der Konferenzin Genf anwesend. PGA will es nicht beieinem Manifest belassen, sondern plantkonkrete Aktionen gegen den Freihandel.Zunächst sollen eine Demonstration inGenf und dezentrale Aktionen auf derganzen Welt zu den 50jährigen Ju-biläumsfeierlichkeiten des multilatera-len Handelssystems (GATT/WTO) vom18.-20.5. stattfinden. Auftakt bildet eineFahrradtour, die am 4.5. in Frankfurt be-ginnt und am 16.5. in Genf ankommt.Proteste vor TNC-Niederlassungen, Bü-ros von MAI- und WTO-Verhandlungs-teilnehmern und den Börsen von Frank-furt, Paris und London sind geplant.Gerhard Klas ist Redakteur der „Sozia-listischen Zeitung (SOZ)“

Protestaktion gegen BAYER-Konzern in Taiwan. Mehrere tausend Menschen beteiligtensich vor kurzem an dieser Protestaktion gegen den Bayer-Konzern in Taiwan wegen ei-nes umstrittenen Pachtvertrags mit dem deutschen Chemiekonzern. Bayer will in Taiwaneine Fabrik errichten, die bei der Bevölkerung die Befürchtung weckt, daß giftige Stoffein die Umwelt abgegeben werden. (hav, Bild: „Neues Deutschland“)

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PB 5/98 • AUSLANDSBERICHTERSTATTUNG 11

Venezuela: Konkurrenz für Irene(Mexiko-Stadt, 24. Februar, Poonal).– InVenezuela macht ein Ex-Militär und ge-scheiterter Putschist als Präsident-schaftskandidat von sich reden. Es han-delt sich um Hugo Chávez, der 1992 Jah-ren zusammen mit anderen links-natio-nalistisch eingestellten Militärs einenStaatsstreich versuchte. Vor fünf Mona-ten bekannten sich noch weniger als fünfProzent der WählerInnen zu ihm. Inzwi-schen ist er bei 11,5 Prozent angelangt.

Die in den Meinungsumfragen langeZeit unangefochtene ehemalige MissUniversum Irene Saéz – politisch eherrechts stehend – ist dagegen von 33 Pro-zent auf 15 Prozent zurückgefallen. Poli-tische BeobachterInnen gehen davon aus,daß Chávez Popularität bis zu den Wahl-en im Dezember dieses Jahres noch einenSprung machen wird. Er könne auf dieStimmen von Campesinos, der Bewohne-rInnen der städtischen Armenviertel, derMitglieder der extremen Linken und derUnzufriedenen mit der aktuellen Regie-rung rechnen. Dies reiche für ein Ergeb-nis von über 33 Prozent und möglicher-weise den Wahlgewinn aus.

Bosnische Bergarbeiter gegen Privatisierung(ln) – Die Bergarbeiter von Tuzla und ih-re Familien wurden durch ihren langjäh-rigen Widerstand gegen Nationalismusund ethnische Teilung berühmt. Jetzt

droht ein neuer Angriff: Politiker und„Finanzfachleute“ wollen die in Ge-meineigentum befindlichen Kohlengru-ben und Industrien privatisieren. Ange-sichts der Erfahrungen in anderen eu-ropäischen Ländern haben die Bergleutegrößte Bedenken: „Dies wird nur Er-werbslosigkeit und den Anteil von Gele-genheitsjobs steigern,was heute ein welt-weites Problem ist“, schreiben sie in ei-nem Aufruf. „Und zu einem sorgfältige-ren Umgang mit Naturressourcen wird esauch nicht führen.“

Da sie nicht glauben, die Privatisie-rungspläne alleine stoppen zu können,laden sie zu einer Internationalen Arbei-terkonferenz gegen Privatisierung, Gele-genheitsarbeit und Erwerbslosigkeitnach Tuzla (Bosnien) am 14. und 15. Märzein, „um gemeinsame Lösungen für ge-meinsame Probleme zu suchen“.

Kontakt: Autonome Bergarbeitergewerkschaft/Samostalni sindikat radnika rudnika uglja Bos-ne i Hercegovine, Republicki odbor, 75000 Tuzla,Mije Kerosevica Guje 1, Bosnien-Herzegovina;Telefon: 00387-75 28 21 11 Anschluß 542; Fax:00387-75 28 34 12; http://www.gn.apc.org/la-bournet/1998/Jan/tuzla.html. (Quelle:INPRE-KORR)

Tudjman und der Traum von Großkroatien: Parteitag der HDZ Der IV. Parteitag der regierenden Kroa-tischen Demokratischen Gemeinschaft(HDZ) war von massiven Protesten be-gleitet. Am Vorabend des Kongresses,

erstmalig seit der Unabhängig-keit Kroatiens, demonstriertenmehr als 60.000 Arbeiter, Arbeits-lose und Rentner gegen die sich ständigverschlechternde sozialen Lage.

In seiner Rede forderte Tudjman eineRevision des Daytoner Vertrages in Rich-tung einer aus drei Völkern bestehendenKonföderation Bosnien-Herzegowina.Der Bildung der muslimisch-kroatischenFöderation habe er nur zugestimmt, weildiese eng an Kroatien gebunden werdensollte.Erstmals gab er auch zu,daß Kroa-tien die Bildung der Kroatischen Repu-blik Herzeg-Bosna unterstützt habe.

Unter frenetischem Beifall bezeichne-te Tudjman die gegenwärtigen GrenzenKroatiens als ungerecht und machtedafür die Kommunisten und Antifaschi-sten verantwortlich. Er kritisierte, daßnach dem Zweiten Weltkrieg Bosnien undHerzegowina nicht in die Republik Kroa-tien eingegliedert, die Vojvodina an Ser-bien gegeben wurde und für Kroatienungünstige Grenzen im Gebiet von Sremund der Bucht von Kotor akzeptiert wur-den. Auch die faktische Teilung Kroati-ens bei Neum an der Adria hätte nach sei-ner Meinung nicht hingenommen werdendürfen. Unter diesem Gesichtspunktwird noch klarer, daß die Vertreibung derSerben aus Ostslawonien sowie die Strei-chung der Muslime als nationale Min-derheit aus der kroatischen Verfassungeine gezielte Politik im Sinne eines eth-nisch reinen Kroatiens ist.

Frankreich: Jospin kündigt verbesserte Sozialleistungen anZwei Monate nach Beginn der Arbeitslo-senproteste in Frankreich hat Premier-minister Lionel Jospin zusätzliche Ver-besserungen der Sozialleistungen ange-kündigt. Wie er am Donnerstag abend ineinem Fernsehinterview sagte, wird dieSolidaritätsbeihilfe für Langzeitarbeits-lose, die keinen Anspruch auf Arbeitslo-sengeld mehr haben, in diesem Jahr uminsgesamt acht Prozent erhöht. Im De-zember hatte er eine Heraufsetzung vonnur zwei Prozent versprochen.

Die Sozialhilfe soll ab 1999 an die Le-benshaltungskosten angekoppelt wer-den. Als Anreiz zur Arbeitssuche ver-sprach Jospin zudem, daß die Solida-ritätsbeihilfe und die Sozialhilfe (RMI)ein Jahr lang weitergezahlt wird, nach-dem der Bezieher eine Stelle gefundenhat.Voraussetzung ist, daß Lohn und So-zialhilfe zusammen nicht mehr als dasgesetzlich garantierte Mindestgehaltausmachen. Das RMI wird Einkommens-losen ab 25 Jahren bezahlt, wenn sie kei-nen Anspruch auf Arbeitslosenunterstüt-zung haben. Für mittellose junge Leuteunter dieser Altersgrenze kündigte derPremierminister zur sozialen Eingliede-rung und Hilfe bei der Stellensuche einMaßnahmenpaket mit einem Volumenvon 700 Millionen Franc (knapp 210 Mil-lionen Mark) an.

(Zusammenstellung: hav)

Rund 1.600 Menschen haben am Wochenende in New York für ein Ende der UN-Sanktionen gegen den Irak demonstriert. Sie zogen am Samstag vom TimesSquare zum Sitz der Vereinten Nationen und forderten den Verzicht auf den Ein-satz militärischer Gewalt. Die New York Times von Wochenende berichtet auchüber einen neuen Sabotageplan gegen den irakischen Präsidenten. Mit Hilfe vonkurdischen und schiitischen Agenten sollen Anschläge auf wichtige Versor-gungseinrichtungen im Irak ausgeführt werden. Gleichzeitig wird durch dieSchaffung eines neuen Senders „Freier Irak“ die Propagandamaschine losge-treten.

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12 REGIONALES AUS WEST UND OST • PB 5/98

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Weitere Proteste der Studierenden Stachel-Kaktus für die KMK in BonnBonn.Während in Bonn der Festakt zum50jährigen Bestehen der Kultusminister-konferenz (KMK) stattfand, führten Stu-dierende in 20 Universitätsstädten Denk-malverhüllungen durch. In Augsburg z.B.wurde das Fuggerdenkmal mit demTransparent „Ohne Bildung keine Kul-tur“ eingewickelt, in Würzburg warengleich mehrere bekannte Denkmälerdran. In Passau forderte der GEW-Lan-desvorsitzende auf einer Kundgebung„100.000 zusätzliche Studienplätze“,und in Regensburg prangerten die Stu-dierenden die nebenan in der Nibelun-genhalle versammelte CSU an. BeimKMK-Festakt in Bonn übergab die GEWstatt Lorbeer einen Kaktus: „Wir gratu-lieren im Namen von 50.000 Straßenkin-dern,250.000 ̀ Sitzenbleibern´,76.000 Ju-gendlichen ohne Schulabschluß und523.000 arbeitslosen Jugendlichen unter25 Jahren“, heißt es auf der Geburtstags-karte. 20.000 arbeitslose Lehrer bundes-weit, 127.000 „abgebaute“ Lehrkräfte inOstdeutschland, 1,8 Millionen Studentenauf 900.000 Studienplätzen sowie800.000 „akademische Tagelöhner“ inder Weiterbildung hätten ebenfalls kei-nen Gund zum Feiern. baf

Demonstration gegen die Lagerungvon US-Minen in EuropaFrankfurt/Main. Ban all mines („Ver-bannt alle Minen“) und No exception forthe US („Keine Ausnahme für die USA“)waren Transparente, die rund 60 Demon-stranten am 20. Februar vor dem ameri-kanischen Stützpunkt in Frankfurt auf-stellten. Sie kritisierten, daß die Lage-rung amerikanischer Minen in Deutsch-land, Spanien, Italien und anderen eu-ropäischen Ländern ein „flagranter Ver-stoß“ gegen das im kanadischen Ottawageschlossene internationale Anti-Minen-Abkommen sei. Bei der in Frankfurt

stattfindenden Tagung der ICBL – Inter-nationalen Kampagne für das Verbot vonLandminen – wurde die weitere Öffent-lichkeitsarbeit diskutiert und über dieVerwendung des Nobelpreisgeldes bera-ten,das die Kampagne zusammen mit derAmerikanerin Jody Williams im Dezem-ber erhalten hatte. AFP 21./22.2.

„Gewaltige Watsch`n für die CSU“München. Die CSU im BayerischenLandtag hat 1996 bei der Beratung desverschärften Abtreibungsrechts die Re-derechte der SPD-Abgeordneten in ver-fassungswidriger Weise eingeschränkt.So urteilte der Bayerische Verfassungsge-richtshof am 17. Februar. Die SPD hattedie Verfassungsklage eingereicht, nach-dem die CSU im sozialpolitischen Aus-schuß des Landtags eine Redezeitbe-grenzung von zehn Minten und die Ein-schränkung der Rednerliste auf einenSprecher je Fraktion durchsetzte. Bei ei-nem der beiden Gesetze für den bayeri-schen Sonderweg zum § 218 verhindertedie CSU sogar eineDetailberatung. DasGericht rügte all dies als verfassungs-widrigen Eingriff in die Rechte der Ab-geordneten.Die Grünen ordneten das Ur-teil als „gewaltigen Watsch`n für dieCSU“ ein. Die SPD begrüßte den überra-schenden Beschluß als wichtige Grund-satzentscheidung für die parlamentari-sche Arbeit. Die CSU reagiert unbeein-druckt, die gerügten Beschränkungenseien schließlich nur „eine Reaktion aufdie rücksichtslose Verzögerungstaktikder Opposition“ gewesen. Die Gültigkeitder beiden Abtreibungsgesetze bleibt vonder Gerichtsentscheidung unberührt.DieGrünen fordern trotzdem die CSU auf,ihre Gesetze zurückzunehmen. baf

„Schwestern, vergeßt uns nicht! ...“Eine Ausstellung in SchweinfurtSchweinfurt. Im Rahmen der Veranstal-tungsreihe „Gegen das Vergessen – Frau-

en als Opfer des Nationalsozialismus“wurde am 9. Februar die Ausstellung„Schwestern, vergeßt uns nicht! – Morin-gen, Lichtenburg, Ravensbrück – Frauenim Konzentrationslager“ eröffnet. Beider äußerst gut besuchten Veranstaltungbetonte die Leiterin der VolkshochschuleSchweinfurt, Frau Sünkel-Minkus dieWichtigkeit solcher Ausstellungen gera-de in der heutigen Zeit. Hier sei auch ei-ne Institution wie die Volkshochschuleverpflichtet, Stellung zu beziehen gegenrassistische und antisemitische Tenden-zen. Frau Martina Meisch, Organisatorinder Veranstaltungsreihe, drückte ihreFreude über die vielen anwesenden Gä-ste aus mitveranstaltenden Gruppen undOrganisationen aus. Als Vertreterin derBA „Solidarität statt Rassismus“ sagtesie, daß gerade in einer Zeit des „Ver-drängens, Vergessens und Verleugnens“diesen Entwicklungen entgegengewirktwerden müsse. Sinn der Veranstaltungs-reihe sei, das dunkelste Kapitel der deut-schen Geschichte in Erinnerung zu hal-ten, den Opfern des Nationalsozialismuszu gedenken, und den Überlebenden dieStimme einzuräumen, die ihnen gebührt.Als eine der Überlebenden sprach FrauGertrud Müller. Frau Müller war selbstim Frauen-KZ Ravensbrück inhaftiertund ist heute Vorsitzende der Lagerge-meinschaft Ravensbrück. Ihre Rede unddie Art ihres Vortrags waren tief beein-druckend. Umrahmt wurden die Veran-staltung durch liebevoll ausgewählteklassische Gitarrenstücke vorgetragenvon Heiko Pfister. Den Abschluß bildetder Vortrag des Gedichts „Mahnruf dertoten Frauen von Ravensbrück“, durchdie Leiterin der Volkshochschule. anb

Bürgerliste mit Bündnis 90/Die Grünen und DKPESSEN. Bei den letzten Kommunalwah-len in Essen kandidierte die BürgerlisteNord als Bündnis von Mitgliedern aus In-itiativen, B. 90/Die Grünen und DKP zuzwei Bezirksvertretungen. Im Bezirk Verreichte sie ein Mandat,im Bezirk VI ver-fehlte sie den Einzug in die Bezirksver-tretung. Damit schnitt die Bürgerlisteschlechter ab, als vorher die Grünen al-lein. Sie macht aber doch recht rege Po-litik, auch mit Hilfe der DKP, die im Be-zirk V früher selbst in der Bezirksvertre-tung war. Jetzt haben alle Beteiligten be-schlossen, die Zusammenarbeit fortzu-führen. Bei der nächsten Kommunalwahlsoll die Bürgerliste Nord als Listenver-bindung mit B. 90/Die Grünen antreten.Die Mitgliederversammlung der Grünenam 18.2.1998 billigte eine entsprechendeVereinbarung, die das Ergebnis eines Ge-spräches von Vertretern der Bürgerliste,der Grünen und der DKP vom 19.12.1997wiedergibt.Die DKP hatte bereits vorherzugestimmt. Daß die Grünen und dieDKP die Bürgerliste Nord unterstützen,soll auch in einem einheitlichen Logo fürVeröffentlichungen deutlich gemachtwerden. wof

KÖLN./FREIBURG. 90 Kurden befindensich in Köln im Kirchenasyl.Vier weir-tere Kirchengemeinden haben sichden Aktionen angeschlossen. Insge-samt gewähren acht evangelische Kir-

chengemeindenAsyl. NRW-In-nenministerKniola (SPD)hat ein Ge-sprächsangebotder Kampagane„Kein Menschist illegal“ abge-lehnt.Das Kirchenasylin Freiburg ver-lief erfolgreich.Die KatholischeHochschulge-meinde (KHG)

teilte mit, daß die Haftbefehle gegendas angolianische Geschwisterpaaraufgehoben worden sind. Seit Juni1997 hatte die HochschulgemeindeAsyl gewährt. jöd

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PB 5/98 • REGIONALES AUS WEST UND OST 13

Die Enquete-Kommission „Schutz desMenschen und der Umwelt“ des Bundes-tages hat kürzlich ihren Zwischenberichtvorgelegt. Darin hat sie zum Schwer-punkt für eine Agenda 21 das Thema„Wohnen“ gemacht.

Das Enquete-Mitglied Henning Friegehat kürzlich in einem Artikel einer Fach-zeitschrift (1) deutlich gemacht, was dieZiele dabei sind. Friege ist gleichzeitigUmweltdezernent der Stadt Düsseldorfund gilt in grünen Kreisen als unum-strittene Fachautorität.

Friege stellt zunächst unter Berufungauf das Statistische Bundesamt fest, daßbei Fortschreiten des gegenwärtigenFlächenverbrauchs in der BRD dieselbebis in 80 Jahren überbaut sein werde.Da-her will die Kommission eine Entkopp-lung von Flächenwachstum und Wirt-schaftswachstum erreichen und die Um-wandlung unbebauter Flächen in Sied-lungs- und Verkehrsflächen auf etwa 10%der Umwandlungsrate vom Beginn der90er Jahre bis zum Jahr 2010 reduzieren.

Friege und die Kommission stellen hiernicht das weitere Wirtschaftswachstumin Frage. Das ist für sie kein Thema. Unddas ist m.E. der erste zu kritisierendePunkt an ihrem Ansatz.

Das Ziel heißt „Wohnungsbau durchNachverdichtung bzw. Nutzung von In-dustriebrachen (Flächenrecycling)“.Solch eine Konzeption hält Friege für„nachhaltig zukunftsverträglich“. DerAnsatz hat eine gewisse Berechtigung,wenn man bedenkt, in welchen Gärtenund Biotopen die Reichen wohnen. So istes aber bei Friege nicht gemeint. Denn ersieht solche „Nachverdichtungspoten-tiale“ nur in „Gebieten mit einem ein-heitlichen Eigentümer, z.B. Wohnungs-baugesellschaften, Wohnungsbaugenos-senschaft“. Also da, wo heute Kleinkin-der sich austoben können, sollen zusätz-liche Wohnblocks geschaffen werden.Friege kritisiert, daß die Ge-schoßflächendichte bei den in 1995 ge-bauten Wohnungen (verbrauchte Fläche

bundesweit 6622 ha) nur bei 0,4 lag, ob-wohl ein Wert von 1,2 zulässig wäre undrechnet vor, daß der Flächenverbrauchnur 4332 ha betragen hätte, hätte die Ge-schoßflächendichte 0,6 betragen. Damitsolche Flächen auch bebaut werden, sol-len die Eigentümer steuerlich bestraftwerden, wenn sie nicht bauen. Dazu solldie Grundsteuer in eine Bodenwertsteu-er umgewandelt werden mit dem Ziel,daß die Steuer umso geringer ist, je ver-dichteter auf einer innerstädtischenFreifläche gebaut wird.

Mit dieser Maßnahme verspricht ersich zugleich, daß jahrzehntelangeNichtsanierung von mit Schadstoffen be-lasteten Grundstücken nun endlich we-nigstens ein bißchen saniert werden.Denn jetzt, so seine Hoffnung, wird sichein Investor finden,der die Kosten für dieSanierung gegen den Gewinn gegenrech-nen wird. Und dieser Gewinn wird umsohöher sein, je uneingeschränkter er seineBaukonzeption durchsetzen kann. Sofindet damit auch das Problem der Alt-lastensanierung in Kürze seine markt-wirtschaftliche Lösung. Damit entstehtauch hier ein Modell einer Deregulie-rung. Ob unter solchen Bedingungen ge-sunder Wohnraum geschaffen werdenkann, ist zumindest fraglich. Dennmarktwirtschaftliche Sanierung ist eineSanierung, die sich nicht an gesetzlichenVorgaben orientiert, sondern am Willendes Investors. Die beteiligten Behördenwerden zu Erfüllungsgehilfen des Inve-stors. Sie verschaffen den betreffendenGrundstücken das Gütesiegel „saniert“und werden im Zusammenspiel mit denGesundheitsämtern evtl. auftretendeKrankheiten als unerklärlich abtun.

Es ist von Interesse, diese mehr theo-retischen Überlegungen mit der Wirk-lichkeit zu konfrontieren. Hierfür bietetseit kurzem Leverkusen ein Anschau-ungsbeispiel. Die Stadt verfügt über ca.68 Hektar ungenutzte Gewerbefläche, soz.B. das ehemalige Wuppermann-Gelän-de. Das freilich ist eine einzige Altlast.

Bisher versucht die Stadt vergebens ei-nen Investor dafür zu finden,der sich dortansiedeln möchte. Ob aus dem geplantenInnovationspark jemals was wird, istfraglich.Also saniert sie auf eigene Rech-nung und auf Rechnung des Landes.Gleichzeitig will sie nun die „Bullenwie-se Hornpottweg“, am Stadtrand von Le-verkusen-Schlehbusch gelegen und fastkomplett Landschaftsschutzgebiet, inGewerbegebiet verwandeln. Das Arealhat eine Fläche von knapp 40 Hektar. Al-so wäre diese Fläche nicht nötig, da esgenügend Freiflächen an anderen Stellenin der Stadt gibt. Man fragt sich ernst-haft, wieso eine Gewerbeansiedlung aufeiner grünen Wiese nötig ist.Für den Bau-und Plaungsdezernenten der Stadt, Kra-jewski, ist die Sache ganz einfach: Eswird zusätzliche Gewerbefläche zu denbereits vorhandenen 68 Hektar Freif-läche benötigt. Einen Beweis ist er dafürschuldig geblieben. Es erscheint wahr-scheinlicher,daß die bereits vorhandenenFlächen wie v.a. das erwähnte Wupper-mann-Gelände zu erheblichen Teilen un-verkäuflich sind (vermutlich weil die po-tentiellen Investoren der Qualität der Sa-nierung nicht trauen) oder aber eines Ta-ges für Wohnungsbau genutzt werdensollen. Für eine solche Konzeption spre-chen Beispiele aus Bayern, wo unter demVorwand des „Ökologischen Wohnungs-bau“ sehr verdichtet gebaut wird unddies v.a. auf ehemaligen militärischenLiegenschaften und Industriebrachen,also auf ehemaligen Altlasten!

An diesem konkreten Beispiel wirdnatürlich deutlich, wie sehr die Gegner-schaft zu hoch verdichtetem Bauen in denStädten leicht als Votum für die Um-wandlung von Landschaftsschutzgebie-ten etc. in Bauland verstanden werdenkann. Das kann sicherlich auch nicht im-mer ausgeschlossen werden. b.(1) Henning Friege: Reduzierung desFlächenverbrauchs muß politische Prio-rität erhalten! In: TerraTech, Zeitschriftfür Altlasten und Bodenschutz 1/98

LEVERKUSEN. Zur Zeit sind in vielen StädtenBemühungen für eine lokale Agenda 21 imGang, so auch in Köln. Dabei geht es um dieBeteiligung der Menschen an einem lokalenProzeß mit dem eine zukunftsfähige undnachhaltige Entwicklung eingeleitet werdensoll. Dabei gelten diese Begriffe „zukunfts-fähig“ und „nachhaltig“ von grün bis schwarzals allgemein anerkannte Ziele. Wir wollenhier nun beipielhaft deutlich machen, wie hierZiele verfolgt werden, die sich gegen einhalbwegs erträgliches Leben in der Stadtrichten und dort v.a. gegen die lohnabhängi-ge Bevölkerung.

Agenda 21

Wohnumfeld armer Menschen wird maßlosverdichtet

Protest-marschder Bür-gerinitia-tive „Bul-lenwieseHornpott-weg“

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14 REGIONALES AUS WEST UND OST • PB 5/98

HAMBURG. Mitte Februar trat die „Sozi-alpolitische Opposition“ an die Öffent-lichkeit: Auf einer Pressekonferenz bi-lanzierte sie 100 Tage rote-grüne Koali-tion in Hamburg.

Die Kritik reichte von der Verschär-fung der Abschiebungspolitik bis zurStreichung von gut 100 DM monatlich fürAlleinerziehende (siehe Plakat – es han-delt sich um die Persiflage einer Plakat-serie, mit der die Polizei derzeit massiv indie Öffentlichkeit geht), sie richtete sichgegen Billiglohnstellen für Jugendlicheunter 25 Jahren ebenso wie gegen eineVerschlechterung der Drogenpolitik.

Mit verschiedenen Themenschwer-punkten will das außerparlamentarischeBündnis in den nächsten Wochen in dieöffentliche Debatte eingreifen.Wir doku-mentieren die Plattform, der sich inzwi-schen 80 Initiativen angeschlossen ha-ben. scc

PlattformDas Bündnis „Sozialpolitische Oppositi-on“ ist ein Zusammenschluß von Ham-burger Initiativen aus verschiedenen so-zialen Bereichen. Wir wollen

• daß die soziale Spaltung der Stadt inimmer ärmere Menschen und Quartiere,denen immer reichere gegenüberstehen,nicht geräuschlos vorangetrieben wer-den kann;

• daß der Unmoral neoliberaler Wirt-schafts- und Sozialpolitik und der Öko-nomisierung aller Lebensverhältnissegesellschaftliche Umverteilung, Solida-rität und die Achtung der Menschenwür-de entgegengesetzt werden;

• uns zur Wehr setzen gegen die vielenkleinen und großen Angriffe auf die Exi-stenzgrundlage all der Menschen, an de-nen kein wirtschaftliches „Verwertungs-interesse“ besteht. Und zwar mit öffent-lichkeitswirksamen Aktionen und ge-meinsam mit Initiativen und Betroffenen.

• daß in Hamburg die Sozialpolitikendlich an den Menschen und der Ver-nunft ausgerichtet wird!

Die Auswirkungen des erfolgreich ge-führten Klassenkampfes von oben erfah-ren wir alle täglich in den unterschiedli-chen Bereichen. An diesem öffentlichen

Aufruf beteiligen sich KollegInnen ausder Kinder- und Jugendarbeit, Drogen-hilfeeinrichtungen, Beschäftigungspro-jekte, Initiativen aus dem Flüchtlingsbe-reich, Mädchenprojekte, Stadtteilinitia-tiven,KollegInnen mit dem SchwerpunktWohnen, Stadtteilkulturschaffendeu.v.m.

Es wird Zeit, daß sich etwas ändert:

Noch nie ist dieses Land so reich gewe-sen wie heute, noch niemals zuvor gab esin Hamburg so viele Millionäre.Aber da-bei stimmt was nicht: Gleichzeitig gehtes immer mehr Leuten immer schlechter.Immer mehr Sozialhilfeempfänger, im-mer mehr Arbeitslose, immer mehr Men-schen, die von dem bißchen Kohle ihrestets steigende Miete kaum noch bezah-len können. Immer mehr Menschen, fürdie die Oberen dieser Gesellschaft mei-nen,keine „Verwendung“ mehr zu haben.

Die Schere zwischen armen und rei-chen Leuten, zwischen armen und rei-chen Stadtteilen geht immer weiter aus-einander. Villenviertel wie Nienstedtenstehen mit einem durchschnittlichen zuversteuernden (!) Jahres-Einkommenvon ca. DM 180.000,- den ärmeren Teilender Stadt wie Dulsberg mit nur DM40.000,- gegenüber! Die Besitzendenwerden immer reicher - und immer fre-

cher. Ungeniert fordern sie z.B. Steuerer-leichterungen, obwohl sie sowieso schondie niedrigsten Steuern zahlen. Aber siehaben in der politischen Klasse ihre be-ste Lobby.

Arbeitgeberverbände und konservati-ve Bundesregierung haben in den letztenJahren ihre Glaubensbekenntnisse erfol-greich gesellschaftlich verankert. Es istnicht nur common sense, sondern auch„in“, alle gesellschaftlichen und sozialenProzesse der Verwertungslogik zu unter-werfen. Der Mensch mutierte ausschließ-lich zum Kostenfaktor. Die ideologischeWende nach dem Motto „jeder ist seinesGlückes Schmied“ vermittelt in allerDeutlichkeit: Wer infolge des rasantenrationalisierungsbedingten Personalab-baus in den Betrieben ökonomisch nicht(mehr) benötigt wird, hat für sich selbstzu sorgen. Fazit: Wer arm ist, hat selbstSchuld und soll die Gemeinschaft nichtbelasten. Staatliche Verantwortung undgesellschaftliche Solidarität sind zuneh-mend weniger die Antwort auf wachsen-de Armut und soziale Ausgrenzung.

Es ist dringend geboten, diesem ver-blödeten „Mainstream“ in der politi-schen und öffentlichen Debatte Einhaltzu gebieten. Die Auseinandersetzung umdie Verteilung des Reichtums dieser Ge-sellschaft muß wieder vom Kopf auf dieFüße gestellt werden.

Was wir zu einer Änderung von Ge-sellschaft und Politik beitragen können,werden wir tun.Wir werden dies in Ham-burg tun, weil wir hier leben und weil eshier nötig ist.

Zeitgemäß, problemorientiert und sach-gerecht fordern wir:

Gesellschaftliche Solidarität, staatlicheVerantwortung und soziale Umvertei-lung!

Hamburger Plattform

Sozialpolitische Opposition Hamburg

Jetzt läßt der Senat malso richtig die Sau raus:

Er streicht alleinerziehenden Müt-tern inZukunft 107,80 Mark monatlich

Eine Senatorin streicht vor –Elf streichen mit

Wer nichts tut, macht mit.Deshalb:Sozialpolitische Opposition Hamburg

Wir wollen, daß Ihr mitmacht! AK Wohnraumversorgung, Hinz und Kunzt,Autonom Leben, LAG Erwerbsprojekte des Diakonischen Werkes, Fluchtpunkt, DolleDeerns e.V., GATE GmbH, Planungsbüro Gesundheitszentrum Hafenkrankenhaus, Ju-gendhilfe Ottensen e.V., Flüchtlingsrat, Jugendberatungszentrum Apostelkirche, Ham-burger Arbeitskreis Asyl, Verein für Soziale Arbeit und Forschung HH e.V., Gemeinwe-senarbeit St.Pauli Süd, Ein Stadtteil steht auf, Verband Hamburger Kinder- und Jugend-arbeit, Sozial & Alternativ - Alt. Wohlfahrtsverband, Koordination Wandsbeker Beschäfti-gungsprojekte, HUDE e.V., Wohnträume, Jungerwachsenen-Treff Steilshoop, Soziale Be-ratungsstelle Ohlsdorf und Repsoldstr., DIDF

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PB 5/98 • REGIONALES AUS WEST UND OST 15

Baden-Württemberg

Stoppt Kita 2000!STUTTGART. Die Initiative „Bildung ver-leiht Flügel“ führte einen Informations-stand vor dem Landtag in Stuttgartdurch.

Diesmal war der Schwerpunkt dieAussetzung der Kindergartenrichtlinienund die geplante Änderung der Perso-nalkostenzuschüsse des Landes an dieKommune.

Bisher werden die Personalkostenzu-schüsse an dem tatsächlich tätigem Fach-personal berechnet, was zur Folge hat,daß auch wirklich Fachpersonal einge-stellt wird. Jetzt soll sich das ändern: Ge-plant ist, daß der Personalkostenzuschußsich nach den zu versorgenden Kindernberechnet, was heißen würde, die Kom-mune kann sparen, wenn sie soviel Kin-der wie möglich in eine Gruppe steckt.Das Fachpersonal wird nicht mehr bezu-schußt, ist also ein weiterer Sparfaktor!Die Aussetzung der Kindergarten-Richt-linien hat dem schon vor Jahren den Wegbereitet, jetzt wird die Sache konkret inden Kommunen umgesetzt.

Die SPD hat in einer Großen Anfragean den Landtag nun die Frage nach derQualität gestellt, unter anderem will siewissen,ob sich Veränderungen auf Grundder Aussetzung der Richtlinien ergaben,wie die Entwicklung des Fachperso-

nals ist und wie die Landesregierung beider Sicherung des Rechtsanspruches aufeinen Kindergartenplatz weiter vorgehenwill. Die Antwort wird Ende März er-wartet.

Hoffentlich wird der Weg in die KITA2 000 gestoppt: Dort muß das Personalentlassen werden, es hat sowieso keinenPlatz mehr.

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Gegen sozialen Kahlschlag

„Politiker laßt dasKürzen sein – spartden Eurofighter ein!“

Frankfurt. Über 22 Punkte im sozialenBereich hat der CDU-Bürgermeister vonMaintal auf seiner Streichliste. Von derSchwimmbadschließung, über 100%-igeKita-Gebührenerhöhung bis zur Ab-schaffung des Tagespflegeprojekts fürKinder, alles sollte der Streichwut desfrüheren Rechtsanwalts des Arbeitgeber-verbands zum Opfer fallen. Dagegen regtsich seit mehreren Monaten ein intensi-ver Widerstand in der Stadt, der sich imInitiativkreis “Für eine soziale StadtMaintal“ zusammengeschlossen hat.

Schon bei der Einbringung des Haus-haltes im De-

zember warman mit meh-reren Hun-dert Mit-bürgernauf dieStraßegegan-gen.

Zurjüngsten

Stadtverordneten-Sitzung war manwieder zur Stelle.„Hopp, hopp, hoppSozialabbaustopp!“ hallte esdurch die Straßendes StadtteilsHochstadt. MitTransparenten,Schildern undSprechchören do-kumentierten rund500 Menschenihren Protest gegendie Streichorgienvon BürgermeisterRohrbach und desCDU-beherrschtenMagistrats.

Begonnen hattendie Proteste des

Initiativkreises „Für eine soziale StadtMaintal“ am Nachmittag des 26.1.98.Dann zogen sie durch Hochstadts, mitschönen Fachwerkhäusern versehenenOrtskern. So ging es denn im großen Bo-gen zum Bürgerhaus, wo die Haushalts-beratungen des Stadtparlaments statt-fanden. Immer mehr Menschen schlossensich unterwegs der Demonstration an.Viele Anwohner öffneten die Fenster, ka-men auf die Straße und sprachen den Pro-testierenden ihre Sympathie aus. DieSprechchöre, „Politiker laßt das Kürzensein – spart den Eurofighter ein“ und„Für den Profit der Reichen will man So-ziales streichen“, hallten durch denganzen Ortskern von Maintals zweit-kleinstem Stadtteil und zeigten, daß manauch den großen politischen Zusammen-hang in Maintal erkannt hat.

„Unser Schwimmbad bleibt bestehn –eher muß der Rohrbach gehn“, war dieeindeutige Warnung an den CDU-Bür-germeister. Immerhin hatte die Initiative„Rettet das Maintalbad“, der die CDU-Fraktionschefin „linksradikale Unter-wanderung“ nachsagte, weit über 14000Unterschriften für den Erhalt des städti-schen Schwimmbads gesammelt und dieEinleitung eines Bürgerbegehrens vorbe-reitet.

Die nun schon zweite Demonstrationgegen den Sozialabbau endete mit demEinzug in die Stadtverordneten-Sitzung.Spruchbänder und Schilder sorgten fürviele bunte Farbtupfer im sonst so nüch-ternen Saal. „Für eine soziale StadtMaintal“ prangte auf einem neun Meterlangen Transparent, das die Demon-stranten allen Fraktionen vor die Nasehielten. Denn auch SPD und Grüne, dieim Parlament eine Einstimmen-Mehrheithaben, wollen – wenn auch in abgemil-derter Form – bei sozialen Leistungenkürzen. Bei dieser Sitzung hatte der In-itiativkreis Rederecht durchgesetzt. Fürihn sprach der frühere Stadtverordne-tenvorsteher und DGB-KreisvorsitzendeSepp Sigulla, der sich eindeutig für diesozialen Belange der Bürgerinnen undBürger der Stadt einsetzte.

Nachtrag:Da ein SPD-Abgeordneter wegen Krank-heit fehlte, gab es in fast allen Fällen to-tal chaotische Abstimmungen. Da spiel-te manchmal der Zufall eine Rolle, ob einVertreter gerade eine Pinkel- oder Ziga-rettenpause einlegte.

Dieses Parlament hat sich mit dem Sit-zungsmaraton, der sich über zwei Tageund insgesamt über neun Stunden hin-zog, einen Bärendienst erwiesen. ZumSchluß fiel der so chaotisch zusammen-geschusterte Haushalt glatt durch. Nurnoch die CDU hielt als willenloses An-hängsel ihrem Bürgermeister die Treue.Für den Initiativkreis ist klar, daß manmit den Protesten weitermachen wird.Denn das Ziel bleibt, jeglichen Sozialab-bau und alle Gebührenerhöhungen zuverhindern.

kls

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16 REGIONALES AUS WEST UND OST • PB 5/98

Die Vorlage des Sozialstrukturatlas 1997durch die Senatsverwaltung für Gesundheitund Soziales hat die Debatte um die sozia-le Lage in Berlin weiter entfacht.

Der Bericht schreibt den Sozialstruktu-ratlas von 1995 fort. Sein Ziel ist es we-niger,brandaktuelle Daten zur Verfügungzu stellen, als die Struktur des Sozial-raumes darzustellen, Gefälle und Vertei-lungen.Zu diesem Zweck wurden die Da-ten amtlicher Statistiken von 1995 fürden 97er Atlas ausgewertet und darauseine Kennziffer errechnet, der Sozialin-dex, der die Abweichung des einzelnenBezirkes vom Berliner Durchschnittkennzeichnet.

Die Anzahl an Arbeitslosen und So-zialhilfempfänger, vorzeitige Sterblich-keit, Lebenserwartung und gemeldete

Tbc-Fälle, Ausländeranteil und der An-teil an Personen von 18 bis 35 Jahren ander Bevölkerung sind von den zwanzigerfaßten Merkmalen diejenigen, die amstärksten ins Gewicht fallen. In Kreuz-berg beträgt die Arbeitslosigkeit über30%, die Zahl der Sozialhilfempfängerist von 1990 bis 1998 um über 70% aufca. 27.000 angestiegen, das ist fast jedersechste Bewohner, die Zahl der melde-pflichtigen Krankheiten liegt 28% überden Durchschnitt, und die vorzeitigeSterblichkeit – z.B. durch Leberzirrhose-– ist die höchste in Berlin.

Aus dem Atlas ersieht man, daßKreuzberg, Tiergarten und Wedding dieungünstigsten Sozialstrukturen haben.Nimmt man noch hinzu, daß der schlech-te Sozialindex von Neukölln hauptsäch-lich auf ein relativ kleines Gebiet im Nor-

den des Bezirks um den Herrmannplatzherum zurückzuführen ist, so ergibt sich:Die Stadtgebiete mit den größten sozia-len Belastungen bilden einen Ring, dersich im ehemaligen Westteil um dieStadtmitte herumzieht.

Offensichtlich ist die Situation schlim-mer geworden seit der Erstellung des So-zialstrukturatlas von 1995. Die Sozial-strukturindizes der drei Bezirke mitungünstigster sozialer Lage haben sichweiter verschlechtert, diejenigen, die1995 bereits ganz oben standen, habensich verbessert. Der Sozialstrukturatlaszeigt Polarisierung an.

Bilden sich in Berlin Slumgebiete her-aus? Verwahrlosen ganze Teile der Stadt?Entstehen Armutsquartiere? Die vorabbekanntgewordenen Teilergebnisse einerUntersuchung des Instituts für Stadtfor-schung und Stadtentwicklung in Zusam-menarbeit mit der Stadterneuerungsge-sellschaft S.T.E.R.N. werfen diese Fragenauf. Die im Auftrag des Stadtentwick-lungssenators erstellte Studie sieht zu-mindest für das Beusselkiez in Tiergar-ten, Soldinger Straße und Sparrplatz inWedding, SO 36, das nördliche Schöne-berg im Bereich Potsdamer Straße undKurfürstenstraße eine Entwicklung zuProblemquartieren.

Tatsächlich hat die damit einherge-hende Verwahrlosung der Gebiete, dieSchulverhältnisse, die ungeeignet sind,mit dem Problem von Ausländeranteilenin den Klassen von 60% und mehr fertigzu werden, die Auswirkungen von Dro-genkonsum und Bandenbildungen zuheftigen Wanderungsbewegungen ge-führt. Spätestens wenn die Kinder schul-pflichtig sind, ziehen zahlreiche Famili-en weg, in die besseren Bezirke oder insUmland. „Für jeden weggezogenenHaushalt mit einem höheren Einkommenzieht ein armer Haushalt nach, meistensAussiedler oder Nicht-Deutsche“. DasRollbergviertel in Neukölln z.B. bezeich-net Bürgermeister Manegold als umge-

Saalfeld, 14.3., 15 Uhr:„Gegen jeden rechten Konsens“

Die antifaschistische Demonstration inSaalfeld am 14. März (s. letzte Ausgabe)wird inzwischen von über 100 Personen undOrganisationen, darunter Antifa, PDS, Ge-werkschaften, Grüne u.a., unterstützt.Trotzdem versucht das Landratsamt erneut,die Demonstration zu schikanieren und zubehindern. Hier Auszüge aus dem Berichtder LAG Antifaschismus/AntirassismusThüringen über das Gespräch der Anmel-derInnen mit dem Amt am 25. Februar.

Die LAG zeigte sich als eine der anmel-denden Organisationen der Demonstra-tion enttäuscht über das Gespräch mitdem Landratsamt Saalfeld/Rudolfstadt.Wie bei der Vorbereitung des Verbotes derDemonstration am 11.10.1997 werde

Stimmung gegen die Demonstration ge-macht und das Problem des Rechtsex-tremismus und Rassismus bagetellisiert.

Die Auflagen des Landratsamtes, dieDemonstration u.a. aus der Innenstadtauf die Landstraße nach Gorndorf zuvertreiben, würden wir auf keinen Fallakzeptieren.

Die LAG wirft dem CDU-MdB Ker-sten Wetzel, der zur Zeit Unterschriftengegen die antifaschistische Demonstra-tion sammelt, Panikmache und Heuche-lei vor. Er stehe offenbar bereits mittenim Wahlkampf und benutze jedes Mittel,um Stimmen zu erheischen.

Anders sei es nicht zu erklären, daß erden BürgerInnen der Stadt Saalfeld er-neut einredet, daß Gewalt von der De-monstration gegen rechts drohe, obwohlam 11.10. das Gegenteil bewiesen wurdeund auch das Landratsamt und Innen-ministerium bestätigen, daß es diesbe-

züglich keine Erkenntnisse gebe … DieUnterschriftensammlung von Wetzel be-stätige die Richtigkeit des Demonstrati-ons-Mottos „Gegen jeden rechten Kon-sens“. Rechter Konsens drücke sich u.a.darin aus, daß

• rechtsextreme Gewalttaten als we-niger störend empfunden werden,als derProtest dagegen;

• ausländischen Menschen Rechteund Grundrechte entzogen werden kön-nen, ohne daß dagegen nenneswert pro-testiert wird;

• Opfer rassistischer Gewalt kaumSolidarität in der Gesellschaft, in denMedien oder in der Politik erfahren.

Die LAG weist die Forderung vonHerrn Wetzel zurück, die Demonstrationmüsse repräsentativ sein. Mindestenssein Gedankengut werde in der Demon-stration bewußt nicht repräsentiert …Infos: Tel. 0361-9599813, 0172-3605751.

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Sozialstrukturatlas 1997 bestätigt soziale Polarisierung

Im Innenstadtbereich Berlinswachsen die Armutsgebiete

Page 17: Politische Berichte Nr.5 / 1998

MASSEN-RÜCKTRITTE:Prenzlau. 69 Kommunalpo-

litiker des nordbrandenbur-gischen Landkreises Prenzlau

protestieren mit ihrem Rücktritt gegenzu hohe Abgaben. Sie waren Gemein-deräte in der Region Uckermark undwollen durch diese spektakuläre Aktionauf die desolate Finanzausstattung ihrerDörfer aufmerksam machen. Ganz kon-kret kritisieren sie die Erhöhung derKreisumlage, die die Gemeinden für ge-meinsame Aufgaben an den Landkreiszahlen müssen. Dies wird auch Themabei den nun nötigen Neuwahlen sein.

MITWIRKUNGSRECHTE: Kiel/Mün-chen. In der Verfassung von Schleswig-Holstein ist jetzt das sogenannte Kon-nexitätsprinzip verankert. Danach mußdas Land den Kommunen die Kosten er-statten, wenn es ihnen Aufgaben über-trägt. In der Bayerischen Verfassungwurde folgender Artikel eingefügt: „Diekommunalen Spitzenverbände sollendurch die Staatsregierung rechtzeitiggehört werden, bevor durch Gesetz oderRechtsverordnung Angelegenheiten ge-regelt werden, welche die Gemeindenoder die Gemeindeverbände berühren.“

BÜRGERANTRAG: Essen. Einstimmigabgelehnt hat der Ausschuß des Stadt-rates für Anregungen und Beschwerdenbei seiner letzten Sitzung am 10.2. einenvon der PDS initiierten Bürgerantrag.Danach sollte der Rat seine Vertreter imVerwaltungsrat der Sparkasse auffor-dern, sich für gebührenfreie Konten fürSozialhilfeempfänger stark zu machen.Laut Schreiben der Verwaltung an diePDS machte der Ausschuß rechtlicheGründe geltend. Zuvor hatte er eineStellungnahme des Städtetages einge-holt,nach der solche Regelungen auch inanderen Städten nicht bekannt sind.

MWST-ERHÖHUNG: München. Bür-germeister Hep Monatzeder hat derBonner Finanzpolitik vorgeworfen, denbankrotten Bundeshaushalt auf Kostender Städte und Gemeinden sanieren zuwollen.Die Mehrwertsteuererhöhung ab1. April wird den Münchner Haushaltmit 19 Millionen DM zusätzlich bela-sten. Zwar fällt die ursprünglich vonBonn vorgesehene Erhöhung des Bei-trags zur Rentenversicherung von 20,3auf 21 Prozent durch die MwSt-Ände-rung weg, doch hätten diese Mehraus-gaben „nur“ 6,675 Mio.DM ergeben.Un-ter dem Strich bleibt also durch dieMwSt-Erhöhung eine jährliche zusätz-liche Belastung von 12 Millionen DM.

TELEKOM: Augsburg. Das ReferatSondernutzung bei der Stadt Augsburgsieht mit der Privatisierung von Post undTelekom einen Rattenschwanz von Pro-blemen auf die Kommunen zukommen:Was der Telekom genehmigt wird, müs-

se man Mitbewerbern auch zubilligen.das gelte nicht nur für die öffentlichenTelefone, sondern etwa auch für dieBriefkästen auf öffentlichem Grund. Inanderen Städten, wie z.B. Köln undMünchen, verlangen bereits Stadtver-waltungen Gebühren bis zu 100 DM fürdie Telefonhäuschen der Telekom aufstädtischem Boden. Die Telekom wehrtsich dagegen heftig und führt an, daßviele Zellen nicht profitabel seien, jadurch solche Gebühren geschlossen wer-den müßten. Der Bonner Justizstaatsse-kretär Rainer Funke (FDP) putzt dar-aufhin die Kommunen runter: „Hierspricht die schlichte Raffgier,verbundenmit wirtschaftlicher Dummheit“. Erprophezeit eine Gesetzesänderung, nachder Telefonzellen kostenlos oder allen-falls gegen Erstattung des Verwaltungs-aufwands genehmigt werden müßten.

REP-BÜRO: Schwäbisch Hall. Die da-malige Eröffnung eines bis heute betrie-benen REP-Büros des Landtagsabge-ordneten und Heilbronner REP-Stadt-rates Schonath führte in SchwäbischHall zu massiven Protestaktionen. Fürzwei Mitglieder der VVN SchwäbischHall hat dies juristische Folgen. Sie er-hielten einen Strafbehel von 600 DM we-gen angeblicher Nötigung (§ 240 StGB).Gegen den Strafbefehl wurde Wider-spruch eingelegt, und es wird in diesemJahr noch zu einem politischen Prozeßkommen. Die VVN Schwäbisch Hall ruftzu einer breiten Solidarität auf.

RATIONALISIERUNG: Bad Saarow.Die Fraktion der PDS im Kreistag desLandkreises Oder-Spree verurteilt dievon den Münchner Gesellschaftern desHumaine-Klinikums Bad Saarow be-schlossene Entlassung von 94 Mitarbei-terinnen des Krankenhauses aufsschärfste.Die drei Herren der MünchnerHumaine hätten bis heute nicht offenge-legt, welche Gewinne seit 1991 nachMünchen abgeflossen sind. Die angeb-lich 16 Million Mark Investitionen ausEigenmitteln seien von der Öffentlich-keit nicht zu prüfen. Außerdem würdensich die Gesellschafter seit Jahren wei-gern,die jährliche Pacht von 300.000 DMzu zahlen, so daß der Landkreis mehr alszwei Millionen Mark dafür aufbringenmußte. Die Kreisräte erklären: „Es warnach allen Gesetzen dieser Bundesrepu-blik nicht zu erwarten, daß die privateMünchner Humaine-Gesellschaft ausWohltätigkeit seinerzeit das Bad Saaro-wer Krankenhaus übernommen hat,undes war bereits ersichtlich, daß es hier umgroße Gewinne für die Gesellschaftergeht. Aber gegen den jetzt offenbartenKurs ist der Widerstand aller – der Mit-arbeiterinnen des Krankenhauses, derPatienten, der Bevölkerung der Region,der Kommunal- und auch der Landes-politiker – erforderlich.“. Zusammenstellung: baf

PB 5/98 • REGIONALES AUS WEST UND OST 17

KKOOMMMM

UUNNAALLEE

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PPOOLLIITTIIKK

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kippt. Während er die Zahl der Sozial-wohnungen in Neukölln direkt reduzie-ren will, legt sich CDU-Landesge-schäftsführer Liepelt für die Abschaf-fung der Fehlbelegungsabgabe in bela-steten Gebieten ins Zeug. Die gegenteili-ge Meinung von Finanzsenatorin Fug-mann-Heesing sei ein Schlag ins Gesichtder Mieter.

Ich habe den Eindruck, daß die wirk-lich bedrohliche Situation bei Landesge-schäftsführer Liepelt nur die Phantasieanregt, ein Schnäppchen für vermuteteWahlklientel herauszuholen. Wer wegenseiner schulpflichtigen Kinder wegzieht,wird kaum wegen ein paar Mark Mieter-sparnis dableiben. Die erschreckende so-ziale Entmischung in Wohngebieten istnicht zu verhindern.So billig läßt sich ei-ne tiefe Gesellschaftsspaltung nichtüberwinden.

Volker Liepelts Rede im Abgeordne-tenhaus zu dem Thema läßt erkennen,daßes ihm darum auch nicht geht: Sozial-schmarotzertum von Sozialhilfebezugbis Schwarzarbeit, Lohndumping undSteuerhinterziehung sei der Kampf an-zusagen.Das ist der Schulterschluß zu je-ner Fraktion um Innensenator Schön-bohm, die seit langen daran arbeitet,nicht die Armut, sondern die Armen aus-

zumerzen.Gefährliche Orte und Schwer-punktgebiete der Kriminalität werdendie sozialen Brennpunktbereiche dazugenannt, Razzien und Dauerpolizeiprä-senz veranstaltet.

Für die praktische SPD-Politik dürfteim Augenblick noch die Finanzsenatorinausschlaggebend sein mit ihrer Ansicht:„Größerer Mitteleinsatz könnte die Pro-bleme der Arbeitslosigkeit in schwieri-gen Gebieten nicht lösen.“ Einem Aufrufzur Bildung eines Präventionsrates we-gen der katastrophalen Situation imWohnsilo an der Palasstraße sind immer-hin rund 120 Menschen gefolgt. Es betei-ligen sich Bezirkspolitiker, Polizeivertre-ter, Leute von der BSR, Mieterbeiräte,Hausverwalter und Anwohner, die inmehreren Arbeitsgruppen Vorschläge er-arbeiten wollen. Eine dubiose Mischung,gewiß. Am 28. April soll ein Plenum dis-kutieren. chkQuellen: Sozialstrukturatlas 1997; FAZ vom 31.Januar, Tagesspiegel, versch. Ausgaben.

„Weg mit aggressiven Bettlern“. Armutals Polizeiproblem: Die CDU-Linie.

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ÖTV BERLIN: UNZUFRIE-DENHEIT MIT DER VER-HANDLUNGSFÜHRUNG.Auf einer mit rund 200 Teil-nehmern gut besuchten Funk-tionärsversammlung zur Vor-bereitung der Warnstreiks am2. und 3. März in Berlin wurdedie nachstehende Resolutionan den gHV und die Große Ta-rifkommission einstimmig be-schlossen. har

„Resolution der Funk-tionärsveranstaltung am 26.2.1998: Die Mitglieder der Ge-werkschaft ÖTV in Berlin be-gleiten mit großer Skepsis undUnwillen den bisherigen Ver-handlungsverlauf der dies-jährigen Tarifrunde. Ausge-hend von der Beschlußlage derGroßen Tarifkommission vom18. Dezember 1997 mit unse-ren Schwerpunktforderungen

zur Tarifrunde 1997/98: Ein-kommenssicherung durchPreisausgleich • Beschäfti-gungssicherung • Weitere Ta-rifangleichung Ost an dasWestniveau im Gesamtvolu-men von 4,5% fordern wir un-sere Verhandlungsführungeindringlich auf, diese Forde-rungen als Grundlage der Ver-handlungen am 3./4. März1998 gegenüber den Arbeitge-bern aus Bund, Ländern undGemeinden konsequent undohne Abstriche zu verhandeln.Gegenüber den öffentlichenArbeitgebern ist eindeutig zuerklären, daß mit uns eine ta-rifliche Veränderung der Ent-geltfortzahlung im Krank-heitsfall und Eingriffe in dieZusatzversorgung nicht ver-handelbar sind.Sollten die Ar-beitgeber weiterhin kein ver-

handlungsfähiges Angebotunterbreiten und an ihren bis-herigen Forderungen festhal-ten, sind die Verhandlungenam Schluß dieser Verhand-lungsrunde für gescheitert zuerklären. Darüber hinaus er-warten wir, daß unsere Ge-werkschaftsführung eindeu-tig und unmißverständlich un-sere Tarifforderung in der Öf-fentlichkeit vertritt und sienicht mit zukünftigen gewerk-schaftlichen Zielvorstellun-gen vermischt. Der Verhand-lungsstand erfordert ein ge-schlossenes Handeln und kla-re Zielvorgaben!“

SIEMENS: „RIESENZOFF“Auf heftige Kritik stieß auf derVertreterversammlung der IGMetall in Essen am 16.2.1998die Absicht eines der größtenFamilienunternehmen derBRD,der Fa.Siemens,bundes-weit aus dem Industrietarifauszusteigen. Die rund 70 De-legierten sicherten der Sie-mens-Belegschaft ihre volleSolidarität zu. Rund 25 000Beschäftigte – Monteure, In-stallateure, Elektriker – willder Siemens-Konzern ausglie-dern.Er will nicht mehr die Ta-rifverträge der metallverar-beitenden Industrie anwen-den, sondern die des bayeri-schen Elektrohandwerks. Dashätte monatliche Einkom-mensverluste von im Schnitt600–700 DM zur Folge, so Bru-no Neumann, 1. Bevollmäch-tigter der IG Metall-Verwal-tungsstelle Essen. Für Ange-stellte in den oberen Gehalts-gruppen geht es um mehreretausend DM. Erreicht hat derSiemens-Konzern bereits, daßdie IG Metall über diese Zu-mutungen überhaupt verhan-delt. Unter dem Eindruck ei-nes vergleichsweise niedrigengewerkschaftlichen Organisa-tionsgrades – am Standort Es-sen liegt er mit knapp 40%schon eher hoch – ist sie bereit,einen Tarifvertrag für indu-strielle Dienstleister oder not-falls auch einen Ergänzungs-tarifvertrag abzuschließen,der Abstriche von den gültigenTarifverträgen beinhaltet. Siehofft, so den Flächentarifver-trag erhalten zu können. Be-wegt hat sich bisher jedochnichts. Der Betriebsrat berei-tet sich auf „Riesenzoff“ vor,soder Gesamtbetriebsratsvor-sitzender Alfons Graf. Nach-dem Betriebsrat und IG-Me-tall-Vertrauensleute eine Un-terschriftensammlung in die

Wege geleitet haben, lädt derBetriebsrat jetzt zu eineraußerordentlichen Betriebs-versammlung am 2.3.1998 imSaalbau ein.Die IG Metall willeine Demonstration zu derVersammlung organisieren.Die Aktion soll ein ersterHöhepunkt des Widerstandeswerden. nach LB Essen

EINKOMMENSENTWICK-LUNG: Das Statistische Lan-desamt Hamburg hat die Er-gebnisse einer Untersuchungveröffentlicht, die die Ent-wicklung der Brutto- und Net-tolöhne und -gehälter zwi-schen 1990 und 1995 aufzeigt(für Arbeiter und Angestelltein Betrieben mit 10 und mehrBeschäftigten im produzie-renden Gewerbe, im Handel,Kredit- und Versicherungsge-werbe). Demnach stiegen diedurchschnittlichen Bruttojah-resverdienste innerhalb dieserfünf Jahre zwar von 60 984 DMauf 71 428 DM, also um 17,1Prozent und damit um etwasmehr als die Preissteigerungs-rate (16,6%). Demgegenüberstiegen die durchschnittlichenNettojahresverdienste von1990 gleich 41 109 DM auf nur44 877 DM 1995, also nur um9,2%. Ihre Entwicklung hinktalso der Preissteigerungsrateweit hinterher; der durch-schnittliche Kaufkraftverlusteines vollzeitbeschäftigtenLohnabhängigen, bedingtdurch die Explosion der Lohn-steuern und Sozialversiche-rungsbeiträge und erst inzweiter Linie durch Preisstei-gerungen, beträgt 1995 gegen-über 1990 2 564 DM und damitmehr als 200 DM im Monat.Bemerkenswert ist, daß dieLohnsteuern am kräftigstenstiegen (Oktober 1995 gegen-über Oktober 1990 um 37,7%):Sie liegen im Oktober 1995 mit976 DM über den Sozialversi-cherungsbeiträgen (956 DM;Oktober 1990: 709 gegenüber740 DM). Die meisten Lohn-abhängigen (vor allem Frauen,vor allem in den Niedriglohn-bereichen) sind von den Lohn-und Gehaltkürzungen nochviel stärker betroffen,als es dieDurchschnittszahlen aussa-gen; denn einige Beschäftig-tenkategorien legten bei denNettolöhnen und mehr nochbei den -gehältern um bis zu36% zu: vor allem karrierebe-dingt.(Quelle: Brutto- und Nettoverdien-ste 1990 und 1995, Hamburg in Zah-len 11/97, scc)

18 AUS BETRIEBEN UND GEWERKSCHAFTEN • PB 5/98

„Mozart mußte zehn Minuten warten“, überschrieb die„Stuttgarter Zeitung“ ihren Bericht über die Warnstreik-aktion von Bühnenarbeitern im Stuttgarter Großen Hausam Samstagabend, 28. Februar. Zunächst hätten Teile desPublikums heftig gebuht, dann aber gab es doch starkenBeifall, als der Geschäftsführer der Stuttgarter ÖTV die Ta-rifforderungen vorbrachte.Am Montag und Dienstag, 2. und 3. März, führte die ÖTVdann in vielen Städten Warnstreikaktionen im öffentlichenNahverkehr und verschiedenen Verwaltungen durch (Bildunten: Stuttgart), um Druck auf Innenminister Kantherauszuüben. Vor Beginn der Verhandlungen beharrteKanther darauf, erst müsse die ÖTV verschiedenen Kür-zungen zustimmen, bevor er ein Angebot mache.

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PB 5/98 • AUS BETRIEBEN UND GEWERKSCHAFTEN 19

Im März werden in den meisten Betrie-ben die Betriebsräte für eine vierjährigeLegislaturperiode neu gewählt. Der im-mense Druck, der von den Konzernspit-zen und Geschäftsleitungen auf die Be-schäftigten, Betriebsräte und die Ge-werkschaften in Richtung Senkung desLohnniveaus, Flexibilisierung der Ar-beits- und Lebenszeit der Arbeitnehmerausgeübt wird, findet seinen Widerhall ineiner Intensivierung der Diskussion.Ausführlich wie noch nie in den vergan-genen Wahlen werden im Vorfeld der Wahlschriftliche Ausführungen von gewerk-schaftlichen Betriebsratslisten verbrei-tet. Wir dokumentieren hier aus demWahlprogramm der IG Metall bei Man-nesmann Sachs, dem größten Betrieb inder Region Schweinfurt. cls

Standort Schweinfurt stärken,Beschäftigung sichern!

— Schweinfurt muß eine Einheit vonEntwicklungs-, Produktions- und Ver-waltungsstandort bleiben!— Die Vorteile hoher Technologie, Quali-fikation und des räumlichen Verbundsnutzen!

— Keine Auslagerung von Produktion!Ende 1997 erreichte der Betriebsrat — eine Beschäftigungsgarantie bis zum1. Januar 2000— die Zusage des Vorstands auf der Wirt-schaftsausschuß- und Aufsichtsratssit-zung am ...: „Große Strukturmaßnahmensind abgeschlossen, im 5-Jahres-Plan desVorstands sind keine Verselbständigun-gen vorgesehen.“

Den Blick nach vorne richten: Arbeitsbe-dingungen gestalten! Betriebsratsarbeitim Wandel

Dem raschen und umfassenden Wandelder Arbeitsbeziehungen und -aufgabenunterliegt auch die Arbeit des Betriebs-rats:

• Gab es früher gerade mal drei odervier verschiedene Arbeitszeitregelungen,werden heute wegen der vom Markt ge-forderten hohen Flexibilität der Be-schäftigten Arbeitszeitsysteme bis her-unter auf Kostenstellenebene differen-ziert.

• Arbeitnehmer wollen ihre Angele-genheiten selbst mitregeln.Der Betriebs-rat soll nicht stellvertretend handeln, er

Medienpolitik im Südwesten

Die CDU reißt sich den SWR unter den Nagel…… die SPD hat und tut nichts dagegen,und kaum jemand regt sich richtig dar-über auf.So könnte man die Situation desneuen Südwestsenders (Fusion von Süd-westfunk und Süddeutschem Rund-funkt) flapsig beschreiben. Die „Stutt-garter Zeitung“ titelt am 21. Februar:„Mit Parteiticket fährt man beim neuenSender besser“.

Bei der Gründung der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender nach demKrieg hieß es noch feierlich, der Rund-funk sei „Eigentum des Volkes“. Um zuverhindern, daß jemals wieder eine Re-gierung sich des Mediums bemächtigt,wie es Hitler getan hatte, wurde dieStaatsferne des Rundfunks in den Rangeines Verfassungswertes erhoben.Die Re-gierungen und die Parteien sollten kei-nen Einfluß auf die Programmgestaltungund die Organisation der Sender habenoder sie gar lenken.

Und heute? Der künftige Funkhausdi-rektor in Stuttgart, Willi Steul, und derkünftige Hörfunkdirektor des SWR,Bernhard Hermann,stehen fest,nachdemGünther Oettinger, CDU-Fraktionschefim Landtag die Details geklärt und Lan-desvater Teufel seinen Segen gegebenhat. Der Ex-Mitarbeiter der Staatskanz-lei, Peter Boudgoust, wird Verwaltungs-direktor, der Ex-CDU-Bürgermeister

von Bingen, Heinjo Schröder wird Ju-stitiar. Wie bitte? Diese Ämter müßtenvom noch zu wählenden neuen Inten-danten des SWR und den zuständigenRundfunkgremien besetzt werden? KeinProblem. Der jetzige SWF-Intendant Pe-ter Voss und nach dem Willen der Lan-desregierung zukünftige Intendant desneuen SWR ist ja ein Vertrauter von Oet-tinger und „hakt heute keine Toppositi-on mehr ab, ohne sich mit Oettinger ab-gestimmt zu haben,der selbiges auch ein-fordert“ – und sich in der Presse brüstet,Voss habe ihm sein Amt zu verdanken.Erst ab der zweiten und dritten Ebene derHierarchie werde er sich nicht mehr ein-mischen, sagt Oettinger, für ihn sei wich-tig, daß die Schaltstellen richtig festge-klopft sind. Da kann er SPD-Minister-präsident Beck leicht zugestehen,daß dasSPD-Mitglied Uwe Rosenbaum in MainzFunkhausdirektor wird. Mit SPD-Lan-deschef Maurer sei auch alles abgespro-chen, sagt Oettinger.

Also alles bestens? Keineswegs. Die IGMedien kritisierte von ein, zwei Jahren,die Rundfunkpolitik der CDU und derLandesregierung sei eine Enteignung desVolkes, dem „sein“ Rundfunk wegge-nommen werde.Stimmt heute mehr dennje! Bloß – heute regt sich schon gar kei-ner mehr auf. ulk

Tarifrunde Ersatzkassen

WarnstreiksIn den letzten Politischen Berichten hat-ten wir von der Kundgebung der Be-schäftigten in den Ersatzkassen wegender Tarifverhandlung am 5.2.in Hamburgmit über 2.000 Teilnehmern berichtet (s.Bild). Der Arbeitgeberverband beharrteauf seinen Forderungen nach Lohnkür-zung, weshalb die Verhandlung ergebnis-los abgebrochen wurde.Eine weitere Pro-vokation der Kassen, die im letzten Be-richt noch nicht erwähnt war, ist die ge-plante „Streckung“ der Berufsjahr-Staf-fel. Die Zeiträume, in denen die Beschäf-tigten (bundesweit ca. 45 000 bei den Er-satzkassen) in die jeweils nächste Berufs-jahrstufe aufrücken - und eine entspre-chende automatische Gehaltsanhebungerhalten - soll verdoppelt werden. Derdadurch eintretende Verlust würde sichim Laufe eines Arbeitslebens auf viele10000 DM aufsummieren.

In den letzten Wochen ist es deshalb zuweiteren Warnstreiks in Hamburg ge-kommen: Am 12.2. streikten dieKolleg/innen der Barmer Ersatzkasse inder Frankenstraße, am 17.2. die Beschäf-

tigten der DAK in Altona (im Mercado inOttensen). Am 19.2. streikten 120 der 150Kolleg/innen der Hamburg-MünchnerErsatzkasse.

Am 25.2. haben 350 der 800 Kolleg/in-nen der Hauptverwaltung der DAK einenWarnstreik durchgeführt. Im Anschlußan eine Personalversammlung zogen dieWarnstreikenden von 12 bis 14 Uhr in ei-ner Demonstration durch die HamburgerInnenstadt.

Nach einigen „Mißverständnissen“zwischen HBV und DAG – so haben ein-zelne DAG-Funktionäre in Hamburg ver-sucht, streikende Kollegen von ihren Ak-tionen abzubringen – wurde von HBVund DAG eine gemeinsame bundesweiteStreikleitung eingerichtet, um solcheVorkommnisse auszuschließen.

Noch eine Info zum Einzelhandel: Fürdie diesjährige Tarifrunde hat die HBV5%, mindestens 150 DM als Forderungbeschlossen. res

Im Zeichen von Globalisierung, Betriebsaufspaltungen,Leistungsdruck und Lohnsenkung

Betriebsratswahlen 1998

Page 20: Politische Berichte Nr.5 / 1998

20 AUS BETRIEBEN UND GEWERKSCHAFTEN • PB 5/98

ist stärker gefragt als Berater,Moderator,Fachmann. Die Ansprüche an Informati-on und Transparenz der Arbeit des Be-triebsrats wachsen.

Das Betriebsverfassungsgesetz kenntjedoch kaum Individual- oder Gruppen-rechte, die Mitbestimmungsrechte sindvollständig an den Betriebsrat delegiert.Der Betriebsrat muß im Interesse der Ar-beitnehmer die ihm zustehenden Mitbe-stimmungsrechte wahrnehmen, sonstverfallen sie.Er kann sich nur auf die Ak-tivitäten der betroffenen Arbeitnehmerstützen, sie in die Meinungsbildung ein-beziehen und versuchen, in Regelungenmit dem Arbeitgeber Arbeitnehmerrech-te auszuweiten.

Betriebsrat: Dezentral aber einheitlich

Zum 1.1.98 hat der Betriebsrat Ge-schäftsbereichsausschüsse gebildet.Vor-teile: Überschaubarkeit der Bereiche,Nähe zu den Beschäftigten, direkterDraht zu den Geschäftsleitungen.

Neben dezentralen Teams werden dieBetriebsratszentrale und Fachausschüs-se zuständig sein für politische Koordi-nation, für übergreifende Fragen, für Ver-handlungen mit dem Arbeitgeber und dieZusammenarbeit innerhalb der SachsGruppe und des Mannesmannkonzerns

Ziel: Formulierung einheitlicher Poli-tik, um vergleichbare Arbeitsbedingun-gen bei Mannesmann-Sachs zu gestaltenund zu erhalten.

Arbeitszeit

Bei den Arbeitszeitregelungen der letz-ten Jahre sind wir der Leitlinie gefolgt:Eine für beide Seiten attraktive Zeitor-ganisation ist möglich. Notwendige Fle-xibilität und hohe Motivation der Mitar-beiter können für das Unternehmen ge-sichert werden, wenn im Gegenzug denArbeitnehmern ein hohes Maß an Selbst-bestimmung bei der Gestaltung ihrer Ar-beitszeit eröffnet wird.

Unsere nächsten Ziele:• Ausdehnung der Gleitzeitregelung

auf weitere Zeitlohnbereiche und aufTeilzeitbeschäftigte, Ausweitung desAusgleichszeitraums auf ein Jahr, Rege-lung offener Punkte wie Waschzeitenre-gelung

• Pilotprojekte zur Erprobung vonGleitzeit in der Fertigung

• Vereinbarung von Langzeitkontenzur Beschäftigungssicherung

• Betriebliche Umsetzung der Alters-teilzeit

• Abgeltung von Mehrarbeit durchFreizeit wahlweise ab der 1. Stunde

• Flexible Schichtmodelle zur Vermei-dung dauerhafter Mehrarbeit

• Abschluß einer Betriebsvereinba-rung, die im Einzelfall längere Arbeits-befreiung (bis zu ½ Jahr) bzw. vorüber-gehende Reduzierung der Arbeitszeit er-möglicht, sog. Sabbaticals

Gruppenarbeit / Qualifizierung / Entloh-nung

Der Betriebsrat hat die Einführung und

Entwicklung von Gruppenarbeit in derParitätischen Kommission, in Projekt-gruppen und in Sitzungen vor Ort posi-tiv begleitet. Dabei unterstützten wirneue Elemente wie die Anreicherung derFertigungsarbeit um Aufgaben aus demindirekten Bereich, Entscheidungskom-petenzen der Gruppen, selbständige Ur-laubs- und Freischichtplanung oder diedemokratische Wahl von Gruppenspre-chern.

In mehreren Vereinbarungen habenwir Gruppenarbeit geregelt.

Gruppenarbeit soll in den nächstenJahren vertieft und auf weitere Bereicheausgedehnt werden. Es stehen Verhand-lungen um Entlohnungs- und Arbeits-zeitkonzepte für Fertigungsgruppen an.Aus unserer Sicht geht es darum, das En-gagement und die Qualifizierung der Fer-tigungsarbeiter entsprechend zu hono-rieren.

Angestellte

Durch kontinuierliche Verbesserung vonArbeitsprozessen und Orientierung amKundenprinzip verspricht man sich eineOptimierung der Wertschöpfung.Die ein-zelnen Beschäftigten sollen selbstverant-wortlich, „unternehmerisch“ handeln.Die abgeforderte Arbeitsleistung wirdimmer weniger angeordnet, sondern un-ter Beteiligung der Mitarbeiter als „Ziel-vereinbarung“ vorgegeben. Schwierig-keiten entstehen dann, wenn keine ver-bindlichen Rahmenbedingungen, wiesachliche Ausstattung, Personalbemes-sung oder Qualifizierungszeiten verein-bart werden. Leistungsverdichtung undausufernde Gleitzeitkonten sind Auswir-kungen.

Der Betriebsrat wird in der neuen Pe-riode einen Angestelltenausschuß ein-richten, der sich schwerpunktmäßig mitdiesen Problemen, mit der Gestaltungvon Rahmenbedingungen für Projektar-beit, Zielvereinbarungen und mit Rege-lungen zu Qualifizierung befassen wirdunter Einbeziehung des AT-Bereichs.Ak-tuell muß eine Vereinbarung über Rufbe-reitschaft und außerbetriebliche Arbeit-seinsätze im EDV-Bereich abgeschlossenwerden.

Tarifverträge verteidigen!

Die Arbeitgeberverbände blasen zumAngriff auf die tariflichen Mindestbe-dingungen.Arbeitszeit,Urlaub,Urlaubs-geld,Teil des 13.Monatseinkommens sinddie Hauptansatzpunkte. Die IG Metallwill betriebliche Veränderungen in tarif-lichen Regelungen aufgreifen, Gruppen-arbeit, Leistungsentlohnung, Zielverein-barungen, gemeinsamer Entgelttarif,usw. Das darf jedoch nicht zu einer Sen-kung des Tarifniveaus führen!

Eine Stimme für die IG Metall bei derBetriebsratswahl ist auch eine Stimmefür den Tarifvertrag und die Absicherungunserer Arbeitsbedingungen!

(aus Nachrichten&Standpunkte, Ar-beiterzeitung für Region Schweinfurt)

Bericht von der DGB-LandeskonferenzBerlin-Brandenburg

„Für Arbeit und sozialeGerechtigkeit“Unter diesem Motto fand am 20. Februardie 2. ordentliche DGB-Landesbezirks-konferenz Berlin-Brandenburg statt.Zum neuen Vorsitzenden wurde DieterScholz (IGM) gewählt, stellvertretenderVorsitzender wurde erneut Bernd Riss-mann. Bei seiner Vorstellung kündigteDieter Scholz an, die Wirtschafts- undArbeitsmarktpolitik zum Schwerpunktseiner Arbeit zu machen. Er kritisierteRegierung und Wirtschaft Berlins, aberauch bundesweit, und machte sie für diehohe Arbeitslosigkeit verantwortlich.Genau wie die bisherige VorsitzendeChristiane Bretz, die nicht wieder kandi-dierte, steht Scholz kritisch zum „Bünd-nis Ost“ und stellt seine Fortführung inFrage.

Schwerpunkt der Antragslage wieauch der Redebeiträge waren Forderun-gen gegen Sozialabbau und Deregulie-rung, die Bekämpfung der Massenar-beitslosigkeit und in logischer Konse-quenz daraus die Forderung nach einemPolitik- und Regierungswechsel (Starteiner Kampagne unter dem Motto: „Wirstreiten für Arbeit und soziale Gerech-tigkeit“). So wurden Forderungen gegendie weitere Verlängerung der Ladenöff-nungszeiten, für den Erhalt und die Aus-dehnung der sog. Tariftreue-Erklärungbei der Vergabe von öffentlichen Aufträ-gen ebenso unterstützt wie den Erhalt derSozialversicherungen und die Bekämp-fung der Scheinselbständigkeit.

Senat und brandenburgische Landes-regierung wurden aufgefordert, mit derEntlassungspolitik im öffentlichenDienst Schluß zu machen und auf dieweitere Verscherbelung von öffentlichemEigentum zwecks kurzfristiger Haus-haltssanierung zu verzichten. Stattdes-sen sollen sie für die Beseitigung der Un-gerechtigkeit bei der Besteuerung vonLohn und Gewinnen eintreten.

Auch zu ganz aktuell stattfindendenAuseinandersetzungen haben die Dele-gierten eindeutig Stellung bezogen.

• Der DGB Berlin-Brandenburg lehntdas öffentliche Gelöbnis am 13.August inBerlin ab.Sollte es nicht gelingen,den Se-nat von seinem Vorhaben abzubringen,wird der DGB gegen diese Machtdemon-stration des Militärs protestieren. EineAussage, daß der DGB Berlin-Branden-burg öffentliche Gelöbnisse grundsätz-lich ablehnt, wurde als Material verab-schiedet.

• Die Delegierten forderten die weite-re verbindliche Unterstützung der Ar-beitslosen-Aktionstage in finanziellerund personeller Hinsicht und sprachensich dafür aus, daß möglichst viele Orga-nisationen und Initiativen von oder fürArbeitslose miteingebunden werden.

• Über den DGB-Bundesvorstand sol-

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PB 5/98 • AUS BETRIEBEN UND GEWERKSCHAFTEN 21

len die im Bundestag vertretenen Partei-en aufgefordert werden, daß der Ab-schluß des M.A.I.-Vertrages von der Bun-desregierung verhindert wird bzw. daßdie Bundesregierung diesem Vertragnicht beitritt.

Während die bisher genannten The-men weitgehend einmütig verabschiedetwurden, gab es strittige Diskussionenzum Thema Senioren-Arbeitskreis (hierwiederholt sich die frühere Diskussionum die Stellung der Arbeitslosenarbeit),der genehmigt wurde, und Abschaffungder allgemeinen Wehrpflicht.Erstmals istes der DGB-Jugend gelungen,daß ihr An-trag nicht pauschal abgelehnt wurde.Dieaktuelle bedrohliche Situation im Irakeinerseits, aber auch die Rechtsentwick-lung in der Bundeswehr andererseitsließen es den Delegierten notwendig er-scheinen, daß darüber weiter inhaltlichdiskutiert wird und verabschiedeten esdeshalb als Material an den Vorstand.

Strittig auch ein Antrag,der den DGB-Bundesvorstand auffordert,„künftig Ak-tivitäten zu unterlassen, die ohne vorhe-rige Diskussion und ohne erkennbarenKonsens der betroffenen Gewerkschaf-ten in Geheimverhandlungen zu ver-bindlichen Zusagen führen“. Währenddie Antragsberatungskommission hier„Nichtbefassung“ vorschlug, stimmtendie Delegierten für die Annahme diesesAntrages und brachten damit ihre Unzu-friedenheit mit den vielen Vorstößen desDGB-Vorsitzenden Schulte zum Aus-druck. har

Dienstleistungsgewerkschaft

Schwieriger UmbauAm 24. Februar verabschiedeten die Vor-sitzenden von fünf DGB-Gewerkschaf-ten sowie der Vorsitzende der DAG einePolitische Plattform, die den Aufbau ei-ner einheitlichen Gewerkschaft für denDienstleistungsbereich vorsieht. DieRichtung des Projektes ist den im Kastendokumentierten Auszügen zu entneh-men: Abbau der gewerkschaftlichenKonkurrenz (traditionell zur DAG unduntereinander), bessere Nutzung derRessourcen, Ausbau der Präsenz der Ge-werkschaften (das Papier spricht aus-drücklich davon, daß die Gewerkschaftfür die Mitglieder in der Fläche erreich-bar sein soll), dezentrale Strukturen ent-wickeln. Zeitlich ist vorgesehen, daß indiesem Jahr die Vorstandsgremiengrundsätzlich entscheiden, im nächstenJahr die Gewerkschaftstage und daßdann ab dem Jahr 2000 der Aufbau derneuen Gewerkschaft beginnen soll.

In dieser Allgemeinheit, wie die Ziel-setzungen der neuen Dienstleistungsge-werkschaft in der Plattform beschriebensind, wird man kaum etwas einwendenkönnen, der Hauch von Modernisierungläßt eher hoffen.Eine gewiße Skepsis ent-steht aus dem, was nicht aufgeschriebenist und was noch zu regeln bleibt:

Synergie-Effekte, also Einsparung anMitteln durch Zusammenlegung, mag esschon geben, aber sind sie tatsächlich sohoch, daß sich daraus eine starke Päsenzin der Fläche finanzieren läßt? Womög-lich noch bei Senkung der Beiträge, dieeine solche Höhe erreicht haben, daß esschon einem starken Bekenntnis gleich-kommt, Gewerkschaftsmitglied zu wer-den? Was fällt also weg aus dem Spek-trum der bisherigen Tätigkeit (als einStichwort bloß: behält man die große An-zahl gewerkschaftlicher Zeitungen, diekostenlos abgegeben werden)? Skeptischstimmt auch die Betonung des Ehrenam-tes: die Erfahrung zeigt, daß das Zeitvo-lumen, das von den Gewerkschaftsmit-gliedern dafür aufgebracht wird, seitJahren sinkt – sei es, weil es nicht gehtoder weil man es nicht will. So steht zubefürchten, daß die Finanznot, in die vorallem die kleineren Gewerkschaftendurch steten Mitgliederschwund gekom-men sind, weiterbestehen werden undweitere Maßnahmen erfolgen müssen,dieeher von Konkursabwendung bestimmtsind als von Modernisierung und Umbau.

Die Politische Plattform spricht von„Interessenvertretung im Dienstlei-stungsbereich, in der dienstleistungsna-hen Industrie sowie im Medien-, Kultur-und Bildungsbereich“. Nun gibt es Be-reiche, die sich nicht dazu rechnen, wiez.B. die papierverarbeitende Industrie inder IG Medien.Werden die an andere Ge-werkschaften abgegeben? Andererseitssind Bereiche, die zum so beschriebenenDienstleistungsbereich dazugehören,wie die Eisenbahn, nicht enthalten; denndie Eisenbahnergewerkschaft ist ausdem Projekt ausgestiegen. Die Hoffnung,daß also die gewerkschaftliche Konkur-renz zu Ende sei, wird vermutlich nichterfüllt.

Völlig offen ist auch die Arbeitsbe-schreibung des zukünftigen Funktionärs:Welche Leistungen muß er erbringen?Wie wird er rekrutiert und ausgebildet,wie hoch bezahlt?

Die Lösung solcher Probleme aber al-lein von den Apparaten zu erwarten, istwahrscheinlich zuviel verlangt.Es stehenalso ein, zwei Jahre spannender gewerk-schaftlicher Diskussion an. alk

Dokumentiert: Entwurf der Politischen Plattform zur Neu-strukturierung der gewerkschaftlichen In-teressenvertretung im Dienstleistungsbe-reich, in der dienstleistungsnahen Industrie,im Medien-, Kultur- und Bildungsbereichdurch die Gewerkschaften DAG, DPG, GEW,HBV, IG Medien und ÖTV vom 24. Februar1998 Präambel: Die Arbeitsbeziehungen inder Bundesrepublik Deutschland sindeinem tiefgreifenden Strukturwandelunterworfen. Von den Gewerkschaftenwird erwartet, daß sie diese Verände-rungsprozesse mitgestalten und positivbeeinflußen.

Die Zukunft der gesamten deutschenGewerkschaftsbewegung entscheidetsich an der Frage, ob es den Gewerk-schaften, insbesondere auch im Dienst-leistungsbereich, gelingt, die immer dif-ferenzierter werdenden Interessen derArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerangemessen zu erfassen, sachverständigdurchzusetzen und in neuen Beschäfti-gungsbereichen durch qualifizierte Be-treuungs- und Vertretungsangebote inausreichender Zahl Mitglieder zu gewin-nen.Die Durchsetzungsfähigkeit der Ge-werkschaften im Dienstleistungsbe-reich, in der dienstleistungsnahen Indu-strie und im Medien, Kultur- und Bil-dungsbereich ist eine Voraussetzung fürsoziale Gerechtigkeit in der Bundesre-publik Deutschland und eine politischeKultur, die den Menschen in den Mittel-punkt stellt.

Die diese Politische Plattform unter-zeichnenden Gewerkschaften ergreifendie Chance, flexibel auf den Wandel inder Arbeitswelt reagieren zu können unddiesen mitzugestalten, indem sie ihreKräfte bündeln, um neuen Anforderun-

gen der Mitglieder und potentieller Mit-glieder besser entsprechen zu können.Wir werden dieses Ziel nur erreichen,wenn wir Schluß machen mit unfrucht-barer gewerkschaftlicher Konkurrenz.Die gewerkschaftliche Neustrukturie-rung wird vor Ort, in den Betrieben, Ein-richtungen und Verwaltungen präsentersein können und Verantwortung,Kompe-tenzen, Finanzen und Personal dezentralund basisnah einsetzen.

Der historisch bedingte und über Jah-re ausgetragene Streit über die beste Or-ganisationsform gewerkschaftlicher Ar-beit zwischen den Gewerkschaften desDeutschen Gewerkschaftsbundes undder Deutschen Angestellten-Gewerk-schaft könnte beigelegt werden, indemwir gemeinsam etwas Neues schaffen.Nach 50 Jahren halten wir die Chance inder Hand, die Spaltung der deutschenGewerkschaftsbewegung zu überwindenund einen für das 21. Jahrhundert taug-lichen Neuanfang zu schaffen.

Dieser Neubeginn muß von Anfang anüberzeugen.Wir wollen eine breite Mehr-heit der Mitglieder der beteiligten Ge-werkschaften dafür gewinnen, ihn aktivmitzugestalten. Diese Politische Platt-form, in der organisationspolitische Zie-le im Vordergrund stehen, soll Ausgangs-punkt für einen offenen Diskussionspro-zeß sein, der zielorientiert die Möglich-keiten einer gemeinsamen Zukunft aus-lotet.Die gewerkschaftspolitischen Ziel-setzungen werden im weiteren Prozeßder Zusammenarbeit zwischen den be-teiligten Gewerkschaften gemeinsamentwickelt.

Alle Mitglieder und Gremien der un-terzeichnenden Gewerkschaften sindaufgefordert, sich aktiv an der Diskussi-on um die gewerkschaftliche Neustruk-turierung zu beteiligen.

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22 DISKUSSION UND DOKUMENTATION • PB 5/98

Der folgende Text stammt von Mitte Febru-ar. Er behält seine Aktualität, auch wenn derAngriff der USA und ihrer Verbündeten fürden Moment abgewendet wurde.

A. Zur aktuellen Lage

Bedrohung und Kriegsgefahr durch denIrak?Am Golf und in den Staaten der Regiondroht derzeit keine Gefahr eines kriege-rischen Angriffs durch den Irak. Seit sie-ben Jahren kontrollieren die UNSCOM-Inspektoren die irakischen Militäranla-gen und haben für ihre Zerstörung ge-sorgt. Sie berichtete, das irakische Po-tential an Massenvernichtungswaffen seizerstört und die Möglichkeit, es zu ver-schleiern, sei nur noch gering (Le MondeDiplomatique, 6.12.97). Washington je-doch drängte darauf, den Bericht zu än-dern. Präsident Clinton sprach von derMöglichkeit, Diktator Hussein könne TelAviv mit Biowaffen vernichten. KurzeZeit später mußte er seine eigene Aussa-ge revidieren: „Er habe damit nicht sa-gen wollen, daß Irak einen solchen An-griff durchführen werde.“ (FR, 31.1.98)In Bonn heißt es,es gebe einen „Stand derVermutungen“.Ein hoher Regierungsbe-amter äußerte,daß „die Amerikaner viel-leicht mehr wüßten“.

Sicher scheint nur zu sein,daß von 819irakischen Raketen 817 zerstört wurden(FR, 10.2.98). Ist das ein Informations-stand, in dem der deutsche Bundeskanz-ler verantwortlich erklären durfte,Deutschland – nicht nur Herr Kohl – un-terstütze den Krieg? So geschehen am7.2.1998.

Eine akute Gefahr mit unabschätzba-ren Folgen entsteht erst durch einen neu-en Golf-Krieg, der zu unkalkulierbarenAktionen drängen könnte. Es besteht al-so kein Zwang zum militärischen Ein-greifen, wie man uns einzureden ver-sucht. Übrigens haben viele Länder so-wohl Massenvernichtungsmittel wieauch machtversessene Politiker. Letzteresind trotz feierlicher Versprechen nichtbereit abzurüsten, gar nicht davon zu re-den, daß die Nuklearmächte, an ersterStelle die USA, ihre Arsenale blank undeinsatzbereit halten. Sollen diese Ländernun alle bombardiert werden?

Der wirkliche Gegenstand des Konflik-tesSeit 1991 hat das Embargo der UN etwa800 000 Menschen das Leben gekostet,darunter 320 000 Kindern unter 5 Jahren.Das sind mehr Kinderopfer als im Bos-nien-Krieg, dessen Grausamkeiten unsalle so bewegten und den viele Völker-mord nannten. Berichte von UN-Organi-

sationen zeigen, daß gegenwärtig eineMillion Kinder durch Unterernährungan Wachstumsschäden mit Folgen fürmehrere Generationen leiden (Le MondeDiplomatique,6.12.97).Der Irak hat des-halb großes Interesse, das seit 7 Jahrenandauernde Embargo aufzuheben. Dergemäß UN-Resolution 986 erlaubte Ex-port von Öl im Wert von 2 Mrd. Dollar al-le 6 Monate muß immer wieder neu ge-nehmigt werden. Die einnahmen reichennicht für eine angemessene Nahrungs-und Gesundheitsversorgung der 18 Mil-lionen Iraki,zumal ein Teil der Erlöse da-zu benutzt wird, die Kriegsschulden zutilgen sowie die Kontrollmission zu fi-nanzieren. Der Generalsekretär hat des-halb jüngst eine wesentliche Erweite-rung der Ölverkäufe durch den Irak vor-geschlagen. Dies wäre wenigstens vorü-bergehend ein wichtiger Schritt der Ent-spannung.

Weltkirchenrat kritisiert Gedanken aneinen MilitärschlagDas Leiden des machtlosen irakischenVolkes würde durch einen Militärschlagnur verschlimmert,heißt es im Bericht ei-ner Delegation des Weltkirchenrates, dieEnde Januar aus dem Irak zurückkehrte.An der katastrophalen Lage seien vor al-lem die UN-Sanktionen schuld. Sie ver-letzten die Menschenrechte vieler Iraker,indem sie ihnen das Recht auf Nah-rungsmittel, Kleidung, Wohnung, medi-zinische und soziale Versorgung und Ar-beit verwehrten. „Dem Sanktionsregimefehlen Sinn und klare Ziele, es ... hat des-halb kaum mehr erreicht als das Leidender Menschen“, heißt es in dem Berichtdes Rates, der 300 Kirchen in 100 Län-dern vertritt (FR, 31.1.98).

Frau Albright denkt an die Schlinge umSaddams HalsDer Militärdiktator Hussein, ein skru-pelloser Machtpolitiker, wie sie auch inanderen Ländern zu finden sind, möchtedem Irak die Stellung einer Regional-macht sichern. Als Bagdad noch grau-samst gegen den Iran kämpfte und dieKurden in seinem Land vergaste, hatteihm der Westen dieses Ziel bereitwilligeingeräumt. Erst als er es wagte, sich amkuwaitischen Öl zu vergreifen, änderteder Westen seine Haltung. Da die USAtrotz siebenjähriger UN-Kontrolle stetsablehnten,das Embargo zu beenden,ver-sucht Bagdad nun, durch Provokationeneine Wende zu erreichen.

Die Ankündigung des irakischen Prä-sidenten, er werde den UN-Inspektorenein Ultimatum zur Beendigung ihrer Ar-beit bis zum 20.5.98 stellen, ließ die US-

Außenministerin sagen: „Saddam werdedie Schlinge um seinen Hals nur nochfester ziehen“ (FR, 19.1.98). Auf einerPressekonferenz erklärte Clinton, fallsder irakische Diktator nicht abgesetztwerden, bleibe die Blockade „bis ans En-de aller Zeiten“. Das heißt, weiteren Völ-kermord zu akzeptieren, um politischeZiele zu erreichen. Keine UN-Resolutiondeckt ein solches Vorgehen. Bei der US-Haltung geht es selbstverständlich auchum das Prestige der einzigen Weltmachtund um Entlastung des Präsidenten voninnenpolitischer Bedrängnis.

B. Zu den Hintergründen

„Kein Blut für Öl“ – war doch nichtfalsch!Für die Forderung nach einer zivilenKonfliktlösung und die Aussage „KeinBlut für Öl“ wurde der Friedensbewe-gung im letzten Golf-Krieg 1991 als an-ti-amerikanisch gescholten. Brent Sco-wcroft, nationaler Sicherheitsberaterunter Präsident Bush, sagte Jahre späterim BBC, „daß der wahre Grund für denKrieg natürlich das Öl gewesen sei“ (FR,18.1.96). Daran hat sich nichts geändert.

In Ansätzen wird gegenwärtig bereitsein neuer gewaltträchtiger Militärzu-sammenschluß zwischen Israel, der Tür-kei und den USA erkennbar. Dieser rich-tet sich mit Waffen und Wasserregelunggegen die arabischen Staaten der Regi-on, zielt jedoch in strategischer Perspek-tive bis hin zum Kaspischen Meer undden asiatischen Ländern östlich davon.Dort sollen riesige Öl- und Gasvorkom-men erschlossen werden. Daß angesichtsso wichtiger militärisch-politischerStrategien die Frage der Menschenrech-te oder gar des Völkerrechts kaum nochBedeutung hat, wird der Welt durch dieMilitärintervention der Türkei im Nordi-rak vorgeführt. Dort liegen die Ölquellenvon Mossul nicht fern. Die USA habenbei der Intervention mitgewirkt, und diewestlich-europäische Welt nimmt esweitgehend hin, daß Ankara völker-rechtswidrig Grenzen militärisch über-schreitet und einen erbarmungslosenKrieg gegen seine eigene kurdische Be-völkerung führt. Daß man gegen einensolchen aggressiven Bruch des Völker-rechts wie weiland in Kuwait kriegerischvorgehen müßte, hat bisher allerdingskeiner der westlichen Staaten gefordert.Öl führt überall zu ungleichen Maßstä-ben.

Rüstungsexporte durch ÖlgewinneNach der Befreiung Kuwaits Ende Fe-bruar 1991 wurde auf maßgeblichenDruck der USA das Embargo fortge-

Komitee für Grundrechte und Demokratie zur Irak-Krise

Der Frieden am Golf kann nicht militärisch,er kann nur zivil gewonnen werden

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PB 5/98 • DISKUSSION UND DOKUMENTATION 23

führt. Dadurch fiel der Irak fast voll-ständig als Öllieferant aus. Saudi-Arabi-en und Kuwait übernahmen weitgehenddie Opec-Exportquote des Irak. Riesigezusätzliche Einnahmen wurden so mög-lich, die in erheblichem Maße in Aufrü-stung flossen. Zwischen 1989 und 1996lieferten die USA allein für 56 Mrd. $ Rü-stungsgüter in die Region. Sie wurden zueinem erheblichen Teil von den anderenreichen und armen Ländern bezahlt, diedie gestiegenen Ölpreise begleichen muß-ten. Fiele das Feindbild Irak aus, so wä-re dies ein schwerer Schlag für die US-und andere Rüstungsindustrien. Außer-dem wären amerikanische Stützpunktein der Region kaum noch zu rechtferti-gen. Angesichts solcher Bedrohungenamerikanischer Interessen erklärte Clin-ton auf einer Pressekonferenz am14.11.97, die Blockade bleibe bis ans En-de aller Zeiten, falls Saddam Husseinnicht abgesetzt werde (Le Monde Diplo-matique, 12.12.97). Die USA setzen sichdamit über die UN-Resolutionen hinweg,die eine solche Bedingung nicht enthal-ten.

C. Die mangelnde rechtliche Basis unddie Folgen eines kriegerischen Einsatzes

Beim Angriff kommen Völkerrecht unddie UN unter die RäderTrotz ständiger Wiederholung aus denUSA gibt es keine ausreichende rechtli-che Grundlage für einen erneuten Angriffauf den Irak.Auch in den Statements ausWashington wird diese nicht genannt.Lediglich die UN-Resolution 678 von1990 ermächtigte die Staaten, „alle er-forderlichen Mittel“ anzuwenden, umden Abzug der irakischen Truppen ausKuwait zu erzwingen. Das ist damals er-reicht worden. Weder die UN-Waffen-stillstandsresolution 687 von 1991 nocheine der späteren Resolutionen enthalteneine militärische Androhung oder eineErmächtigung hierzu.Der VölkerrechtlerFrowein, Direktor des Max-Plank-Insti-tuts, sagte hierzu, daß für „Erzwin-gungsmaßnahmen“ ein neuer Beschlußdes Weltsicherheitsrates erforderlich sei.Ohne dies seien alle militärischen Maß-nahmen völkerrechtswidrig (taz, 31.1.und 6.2.98). Die USA und ihre Gefolgs-leute aus den OECD-Industriestaatenberufen sich also nur noch auf das„Recht“ des Stärkeren. Der Flottenauf-marsch der USA am Golf signalisiert ein-deutig, daß sich die USA als stärksteMacht der Welt nicht mehr den VereintenNationen und ihrer Satzung unterordnenwill. Die USA treten auf als Weltherr-scher, die letztlich über Krieg und Frie-den zu entscheiden haben. Die BonnerPolitik, die stets die Reform der UN imMunde führt und selbst Mitglied des Si-cherheitsrates werden möchte, stimmtdieser Entmachtung der UN kritiklos zu.

Die zivilen Opfer eines AngriffesHumanitäre Organisationen fürchten,daß die zivile Bevölkerung bei einem An-griff noch stärker betroffen sein wird als

1991. Washington beruhigt dagegen mitdem Hinweis auf seine zielgenauen Waf-fen und seine Absicht, nur militärischeZiele anzugreifen. Seinerzeit wurde ähn-lich beschwichtigt. In Wirklichkeit wur-de die Zivilbevölkerung und deren Infra-struktur schwer getroffen. Damals wur-den nach bisherigen Erkenntnissen ca.60.000 US-Soldaten durch Kampfstoffeverseucht, die bei der Zerstörung vonKampfstoff-Depots freigesetzt wurden.Jetzt wollen die USA im Irak gegen mög-liche Kampfstoff-Depots Magnesium-sprengköpfe mit großer Hitzeentwick-lung einsetzen, so daß Chemiewaffen„unschädlich“ verbrannt werden sollen(taz, 7.2. und 9.2.98). Geht das schief, wo-mit zu rechnen ist, so wird das der größ-te Chemiewaffeneinsatz gegen Zivilbe-völkerung.(…)

E. Die deutsche Rolle und die richtigenFolgerungen

Bundeskanzler Kohl hat während desGolf-Krieges 1991 vor dem Bundestag er-klärt, deutsche Soldaten würden nichteingesetzt. Tatsächlich aber wurden 10AWACS-Maschinen vom türkischenStützpunkt Konya zu Spionage,Frühwarnung und Einsatzführung derKampfflugzeuge eingesetzt. Mit dabeiwaren 150 Bundeswehrsoldaten. Dieserdamals verfassungswidrige Einsatz wur-de so gut geheimgehalten, daß selbst dasAuswärtige Amt nicht informiert war.Später erklärte ein Bundeswehroffizier:„Damals haben wir auch Feuerleitpla-nung für Ziele im Irak gemacht.“ (DerSpiegel, 1.2.93)

Daß Teile der Rüstungsanlagen illegalvon Deutschland in den Irak geliefertwurden, ist allgemein bekannt. UN-In-spekteure fanden den Hinweis „Made inGermany“ auf Pumpen von Raketen-Startrampen, TÜV-Stempel auf Druck-luftbehältern für Militäranlagen unddeutschsprachige Pläne. Bissige Kom-

mentare des internationalen Inspekto-renteams im Irak: „Wenn es um die Her-stellung von Massenvernichtungsmittelngeht, seid ihr Deutschen immer ganzvorn.“ (Junge Welt, 27.1.98)

Inzwischen hat der Bundeskanzlerwiederum, ohne das Parlament auch nurzu fragen, den USA für den Fall eines Mi-litärschlages Luftbasen in Deutschlandangeboten. SPD-Fraktionschef Schar-ping signalisierte volle Übereinstim-mung mit dem Kanzler. Offensichtlichwill Bonn diesmal nicht nur klamm-heimlich, sondern offen als militärischeGroßmacht dabei sein. Damit ist dieChance vertan, vermittelnd und deeska-lierend für eine friedliche Politik einzu-treten. Dies ist auch eine Absage an einegemeinsame EU-Friedensstrategie, dennmit den Mitgliedsstaaten ist nicht einmalversucht worden, eine Übereinstimmungzu erzielen.

Keine Unterstützung für den neuerlichenKrieg am GolfWir in Deutschland haben nicht den ge-ringsten Anlaß, die Kriegsbestrebungenam Golf zu unterstützen. Im Gegenteil!Hier sollen Großmachtinteressen der rei-chen Länder auf dem Rücken des iraki-schen Volkes ausgetragen werden, wo-durch seine Leiden weiter erhöht werden.Während man in Deutschland die So-zialhilfeleistungen für Flüchtlinge kürztoder gänzlich aufhebt, werden in der Fol-ge von Krieg noch mehr Menschen zuFlüchtlingen gemacht.So wird man dannan den Grenzen der Festung Europa wie-derum zu illegalen Einwanderern stem-peln. Dieser inhumanen Politik ist entge-genzutreten.

Wir protestieren und fordern:• alle Kriegsdrohungen und -hand-

lungen zu beenden• die Beschlüsse und Entscheidungen

des UN-Sicherheitsrates zu respektieren• das Embargo umzugestalten, so daß

die Versorgung der Bevölkerung sicher-gestellt werden kann

• nach einer zivilen Lösung zu suchen,die da Ende der Kontrollen und des Em-bargos erkennbar werden läßt

V Keine deutsche Kriegsbeteiligung –weder finanziell und militärisch nochdurch Bereitstellung von Militärbasen inDeutschland

All diejenigen, die sich in die mörderi-schen Konflikte in Ex-Jugoslawien ein-mischten und gar, um die kollektiveSchlächterei zu beenden,kriegerische In-terventionen um des Friedens willen ver-langten, sind hier besonders gefordert.Hier können unerhörte Opfer noch ver-mieden werden. Hier kann friedlich dar-an gearbeitet werden, daß die gefährli-chen Konfliktursachen abgebaut wer-den.Hierzu bedarf es allerdings mehr En-gagement, als die einfallslose Kriegswaf-fe zu zücken. Brot statt Waffen lautet dieDevise. Wirtschaftshilfe statt Unterstüt-zung der eigenen Rüstungsindustrie undwestlicher Weltmachtinteressen.(Aus Platzgründen gekürzt)

Schülerdemonstration in Hamburg ge-gen den 2. Golfkrieg im Januar 1991

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24 DISKUSSION UND DOKUMENTATION • PB 5/98

Von Michael Schumann

In den Politischen Berichten 2/98 doku-mentierten wir den Beitrag von Uwe-JensHeuer auf der PDS-Konferenz „Das Verhält-nis des Sozialismus zu Demokratie undRechtsstaatlichkeit in Geschichte und Ge-genwart“. Hier folgt der (gekürzte) Beitragvon Michael Schumann.

I

(…)Mit der Diskussion programmatischerFragen bewegen wir uns weitgehend aufder Ebene der ideologischen Auseinan-dersetzung, der Auseinandersetzungüber die politisch-strategische Relevanztheoretischer und historischer Erkennt-nisse.Solche Auseinandersetzungen wer-den gelegentlich als nutzlose Spiegel-fechtereien abgetan, die von unseren po-litischen Aufgaben ablenken würden. Esist bezeichnend, daß dieser Vorwurf vonzwei Seiten erhoben wird: Man hört ihnvon Protagonisten einer vorgeblich reinsachorientierten und unideologischen„Realpolitik“ ebenso wie von denjenigen,deren politische Artikulation sich auf ei-ne rein emotionell geprägte Haltung desWiderstands gegen die herrschenden Ver-hältnisse reduziert. Es handelt sich umzwei Seiten derselben Medaille.

In Wirklichkeit stellen das Ringen umprogrammatische Klarheit einerseits undpolitischen Realismus bzw. politischeWirksamkeit andererseits keine Alterna-tiven dar.Sie bedingen sich vielmehr.Undspätestens dann,wenn wieder einmal dasungeklärte Verhältnis zur eigenen Ge-schichte uns irgendwo die politischeRechnung zu durchkreuzen droht, wirdder Zusammenhang offensichtlich undrächt sich das unreife Niveau program-matischer Basisarbeit, ideologischenStreits und politischer und historischerBildung. (…)

Die Warnungen vor einer Ideologisie-rung unserer Politik sind aus dieser Sichtmit Vorsicht zu genießen. Sie entspringenmeist der Erfahrung des „gebranntenKindes“, der Erinnerung an die ideologi-sche Gängelung, an die Fesselung selbst-verantworlichen politischen Bemühensdurch die das Wahrheitsmonopol bean-spruchende Staatspartei SED. Aber dasProblem der parteikommunistischen undstaatssozialistischen Tradition bestandnicht schlechthin in dem Bestreben einerideologischen Rückbindung und Legiti-mierung von Politik. Das Problem be-stand in diesem Zusammenhang viel-mehr in der aus machtpolitischem Inter-esse betriebenen Entdifferenzierung der

drei gesellschaftlichen Teilbereiche: wis-senschaftliche Theorie, Ideologie und Po-litik. (…) Die im Rahmen der soziali-stisch-kommunistischen Tradition langeZeit vorherrschende Sicht auf das Ver-hältnis von Theorie, Ideologie und Poli-tik hatte jedenfalls mindestens drei pro-blematische Konsequenzen: Sie impli-zierte erstens die Verschmelzung destheoretischen Diskurses mit Prozessendes ideologischen Hegemoniestrebensund der strategischen Handlungsanwei-sung und eröffnete so die Möglichkeit fürdie Unterordnung der Theorie unter einmachtpolitisches Primat. Sie führte zurideologischen Herrschaft der politischenFührung über die Theorieentwicklung,womit die Theorie als kritisches Fermentder sozialistischen Bewegung entwertetwurde. Dies bedeutete sowohl eineBlockade des theoretischen Fortschrittswie den Verlust der Fähigkeit und Be-reitschaft, theoretische Innovationspo-tentiale als Quelle politischer Erneue-rung zu nutzen. Zweitens hat die dogma-tische parteikommunistische Interpreta-tion des Verhältnisses von Ideologie undPolitik bei der ideologischen Formierung„von oben“ angesetzt und damit die Po-litik in das Prokrustesbett eines „ideolo-gischen Plans“ gezwängt. Die so erzwun-gene starre ideologische Bindung der po-litischen Praxis bedeutete die funktiona-le Entdifferenzierung des ideologischenund politischen Bereichs mit der Folge ei-ner weitgehenden Negierung der Eigen-gesetzlichkeit und des Eigenschöpferi-schen der Politik. Der Rechtstheoretikerwird analoge Folgen hinsichtlich desRechts konstatieren. Und drittens hatschließlich diese machtpolitisch inspi-rierte spezifische Ideologisierung derwissenschaftlichen Theorie einerseitsund der politischen Praxis und desRechts andererseits zu einer nachhalti-gen Diskreditierung des Ideologischenselbst geführt.

Wir sollten daraus nicht auf die poli-tische Entbehrlichkeit von Ideologieschließen. Davon sind auch andere poli-tische Kräfte weit entfernt. Ich stimmeUwe-Jens Heuer zu, wenn er betont, daßpolitisch-strategische Zielstellungen un-terschiedlichster Art in der Gesellschaftmit dem Massenbewußtsein über eineBündelung von Aussagen und Wertungenideologischen Charakters verbundensind.2 Die Politik hat es notwendiger-weise mit den „sinnstiftenden“ Unter-nehmungen der Gesellschaft, mit den inder Öffentlichkeit existierenden Wert-vorstellungen, geistigen Orientierungenund Traditionen zu tun. Alle diese „ideo-logischen Faktoren“ vermitteln die Ent-

stehung und Entwicklung gesellschaftli-cher Willensverhältnisse, die zu dominie-ren Macht bedeutet. Die Politik kann die„ideologischen Mächte“ einer Gesell-schaft nicht ignorieren, wenn sie sichnicht zur völligen Wirkungslosigkeit ver-urteilen will. Sie muß sie in Rechnungstellen, zu beeinflussen suchen und ver-körpern. Sie wird damit selbst zur „ideo-logischen Macht“ und transformiert sozugleich das Ideologische in einen Faktordes politischen Lebens. In der marxisti-schen Tradition hat insbesondere Anto-nio Gramsci diese dialektische Identitätvon Ideologie und Politik thematisiertund besonders tief ausgelotet. Im Resul-tat der mehrhundertjährigen Geschichteder bürgerlichen Emanzipation, in wel-cher die kulturell-ideologischen Bewe-gungen der protestantischen Reformati-on und europäischen Aufklärung Mas-sencharakter angenommen hatten, ent-stand eine „integrale Kultur“, die einespezifische Einheit von herrschenderWeltanschauung und Lebensweise derMenschen - und von daher politischeMacht - begründet. Gramsci schreibt:„Das Problem der Religion, verstandennicht im Sinne eines Bekenntnisses, son-dern im laizistischen Sinne der Einheitvon Weltanschauung und Norm der Le-bensführung: Warum sollte man das ,Re-ligion’und nicht Ideologie oder geradezu,Politik’nennen?“3 Die zentrale Frage derPolitik, die Machtfrage, stellte sich fürAntonio Gramsci vor allem als Aufgabeder Erringung der kulturell-ideologi-schen Hegemonie bzw. der Schaffung ei-ner neuen „integralen Kultur“. Ohne dieBedeutung des staatlichen Zwangs fürdie politische Macht zu negieren oderauch nur zu unterschätzen, hat Gramscidie dialektische Identität von Politik undIdeologie als das zentrale Problem derpolitischen Macht unter den Bedingun-gen des westeuropäischen Kapitalismusakzentuiert. Diese Sicht der Dingeschließt die Erkenntnis ein, daß sich dieideologische Begründung resp.Legitima-tion der Politik nicht aus den ideologi-schen „Vorgaben“ einer sich als Avant-garde verstehenden bürokratischenHerrschaftsschicht herleiten kann. DasIdeologische hat einen echten rechtfer-tigbaren Begründungscharakter gegen-über der Politik letztlich nur dann, wennund insofern es selbst - als lebensweltli-che kulturell-ideologische Identität - dieWillensverhältnisse der Menschen in derAlltagspraxis formt und verkörpert undalso - zumindest der Potenz nach - selbstpolitisch ist.

In diesem Sinne muß die herrschendePolitik Furcht vor dem ideologischen Va-

Aus der programmatischen Diskussion der PDS

Politik und Ideologie. Wandlung im ideologi-schen Selbstverständnis der Bundesrepublik

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PB 5/98 • DISKUSSION UND DOKUMENTATION 25

kuum haben, denn es bedeutet unweiger-lich die Infragestellung ihrer Dominanzder gesellschaftlichen Willensverhältnis-se. Ungeachtet aller Verkündungen überdas Ende des Zeitalters der Ideologientreibt daher der horror vacui dieBemühungen um die (Re-)Ideologisie-rung der deutschen Gesellschaft an. Siewird - nicht zu Unrecht - geradezu als po-litische Existenzfrage apostrophiert. DiePDS betriebe ihre eigene politische Ent-waffnung, würde sie die Bedeutung ideo-logischer Auseinandersetzungen in derGesellschaft der Bundesrepublik für dieVeränderung politischer Kräfteverhält-nisse geringschätzen oder gar negieren.

II

Das betrifft natürlich auch das Feld derAuseinandersetzung um Grundfragendes Staats- und Demokratieverständnis-ses. Die PDS hat das Verhältnis zu De-mokratie und Rechtsstaatlichkeit stetsals zentrale Frage ihrer sozialistischenErneuerung betrachtet. Am Beginn desErneuerungsprozesses stand das Be-kenntnis zu den Forderungen der Volks-bewegung des Herbstes 1989 nach De-mokratisierung von Staat und Gesell-schaft und rechtsstaatlichen Gewährlei-stungen für die Bürgerinnen und Bürgerder DDR. Die anfänglich demokratischeStoßrichtung der Volksbewegung …eröffnete uns die Chance des radikalenBruchs mit dem undemokratischen Par-tei-, Staats- und Politikverständnis derSED.Wir bemühten uns um eine Neuan-eignung demokratisch-sozialistischerTraditionsbestände und entwickeltenschließlich eine programmatisch Platt-form der Einheit von Sozialismus undDemokratie. (…) Kennzeichnend für denprogrammatischen Standort der PDS istdie Definition der gesellschaftlichenGroßprobleme unserer Zeit - Frieden,(neue) soziale Frage, Unterentwicklung,ökologisches Gleichgewicht, Rechte derFrauen - als aufeinander bezogene Men-schenrechtsfragen. Sozialismus als Wert-orientierung, Weg und Ziel bedeutet füruns in erster Linie eine politische und gei-stige Bewegung des Ringens um eine so-zialökonomisch, ökologisch und antipa-triarchal fundierte Demokratie. Bei allenWidersprüchen und selbst Konflikten imeinzelnen: Das sind Grundpositionen,diedas politische Handeln der PDS bestim-men Es spricht nicht für die politischeKultur und die Verwurzelung demokrati-scher Tugenden in diesem Land, wenn ei-ne Partei dieser politischen Orientierungvon ausnahmslos allen anderen Parteienoffiziell als Gefahr für die Demokratiedenunziert und als Angelegenheit der Si-cherheitsbehörden einsortiert wird. Vonder demokratischen Normalität Europassind wir noch ein gutes Stück entfernt -und dies zu einem Zeitpunkt, wo dieseNormalität längst von ganz anderen Fak-toren und politischen Kräften ingrundsätzlicher Weise in Frage gestelltwird.

Die Fundamente und die Perspektive

einer demokratischen und rechtlichenOrdnung werden in erster Linie durch dieherrschende neokonservative Politik be-droht, einer Politik, die ihre Anpassungs-übungen an durch Gestaltungsverzichterst konstituierte „Zwänge“ der Globa-lisierung als Gestaltung- und Reformlei-stungen anpreist, einer Politik, die dazuführt, daß politische Gestaltungsmachtvon den demokratischen Institutionenwegdelegiert und zu mächtigen wirt-schaftlichen Interessengruppen verla-gert wird. Das Ergebnis ist die schlei-chende Entmachtung demokratisch legi-timierter Politik und ihre zunehmendeUnfähigkeit, den gesellschaftserodieren-den Auswirkungen der kapitalistischenWeltmarktwirtschaft beizukommen.Und von der Erosion er Gesellschaft mußman sprechen. Das ist keine linkeSchwarzmalerei.Kein geringerer als RalfDahrendorf konstatiert „Tendenzen derAnomie ..., die Recht und Ordnung ge-fährden, indem sie den sozialen Zusam-menhalt auflösen“.5 Diese Entwicklung- von Dahrendorf als „Geißel der Moder-ne“6 apostrophiert - ist nicht die unab-wendbare Folge eines gesellschaftlichenNaturgesetzes. Sie liegt allerdings in derKonsequenz der neokonservativen Ant-wort auf den grundlegenden Wandel dermodernen kapitalistischen Produktions-verhältnisse. Jürgen Habermas schreibtin diesem Zusammenhang: „Die neokon-servative Politik hat eine gewisse Chan-ce der Durchsetzung, wenn sie in jenerzweigeteilten segmentierten Gesell-schaft, die sie zugleich fördert, eine Basisfindet. Die ausgegrenzten oder an denRand gedrückten Gruppen verfügen überkeine Vetomacht, da sie eine ausgehalte-ne, aus dem Produktionsprozeß ausge-gliederte Minderheit darstellen. Das Mu-ster, das sich im internationalen Rahmenzwischen den Metropolen und der unter-entwickelten Peripherie mehr und mehreingespielt hat,scheint sich im Innern derentwickeltsten kapitalistischen Gesell-schaften zu wiederholen: die etabliertenMächte sind für ihre eigene Reprodukti-on auf die Arbeit und Kooperationsbe-reitschaft der Verarmten und Entrechte-ten immer weniger angewiesen. Aller-dings muß sich eine Politik nicht nurdurchsetzen können, sie muß auch funk-tionieren. Eine entschlossene Aufkündi-gung des sozialstaatlichen Kompromis-ses müßte aber Funktionslücken hinter-lassen,die nur durch Repression oder Ver-wahrlosung geschlossen werden könn-ten.“7

Dieses Zitat stammt aus dem Jahre1990.Mittlerweile ist längst absehbar ge-worden, daß sich die herrschende Politikmit Massenarbeitslosigkeit und neuerArmut abgefunden hat. Einer immergrößer werdenden Minderheit brechendie Grundlagen einer sozial einiger-maßen gesicherten Existenz - geschwei-ge denn eines Lebens in Wohlstand - weg.Damit aber sind schwere sozialpsychi-sche Defizite vorprogrammiert. Mit derAusgrenzung aus dem Reproduktions-

prozeß und damit verbundenen Sozial-bindungen geht nicht nur ein Verlust vonGestaltungskraft, sondern von Selbstbe-wußtsein und demokratischem Gestal-tungswillen einher. Hier liegen wesentli-che Ursachen der grassierenden soge-nannnten „Politikverdrossenheit“. Dieandere Seite der Medaille ist der Aus-schluß von immer mehr Menschen vomZugang zu kulturellen Leistungen undBetätigungsmöglichkeiten, ihre Über-antwortung an eine nivellierende undmanipulierende reine „Zeitvertreibsin-dustrie“. Habermas’ Wort von der „Ver-wahrlosung“ beschreibt nicht eine dun-kle Perspektive, sondern einen Prozeß,der längst in Gang ist. Läßt sich aber ei-ne zunehmend „verwahrlosende“ Gesell-schaft auf Dauer noch demokratisch re-gieren? Allein, daß unter den heutigenBedingungen vielen diese Frage berech-tigt und plausibel erscheint, verweist aufdie fundamentale Gefährdung der De-mokratie. Ich weiß nicht, ob DahrendorfsPlädoyer für eine Verknüpfung von Fle-xibilität und Sicherheit, Wettbewerbs-fähigkeit und Solidarität, Unternehmer-tum und institutionellen Bindungen einerealistische Perspektive beschreibt, sowünschenswert sie mir zu sein scheint.Seine Feststellung aber, daß es einer Al-ternative bedarf „zu der größten Bedro-hung der Zeit, einem neuen Autoritaris-mus“, stimme ich völlig zu. „Den neuenAutoritarismus vor allem gilt es durchphantasievolle Reformen zu verhin-dern.“8

Davon aber ist die herrschende Politikweit entfernt.Sie nimmt im Gegenteil dieaus wachsender sozialer Unsicherheitund Ungerechtigkeit resultierende Ero-sion gesellschaftlicher Bindungen inKauf und begegnet - soweit ich es sehe -den damit verbundenen sozialen und so-zialpsychischen Defiziten im wesentli-chen auf zwei Wegen, für die sie immerwieder - und nicht ohne Erfolg - kampa-gnehaft einen ideologisch-hegemonialenResonanzboden zu schaffen sucht. Dereine Weg stellt sich - um eine Formulie-rung von Rolf Gössner aufzugreifen - darin der Formel: „Je weniger soziale Si-cherheit, desto mehr ,Innere Sicher-heit‘.“9 Der zweite Weg besteht in demVersuch einer Substitution mehr undmehr ausfallender wirtschaftlich und so-zial vermittelter gesellschaftlicher Bin-dungen durch die Mobilisierung „emo-tionaler Bindekräfte“ der Nation als der- so Wolfgang Schäuble -“Verantwor-tungs- und Schicksalsgemeinschaft nichtnur aus der Vergangenheit heraus, son-dern auch in die Zukunft hinein“10, einWeg, der sich zugleich mit einem Para-digmenwechsel in der Beurteilung unse-rer jüngsten Geschichte verbindet. Ar-nulf Baring schreibt: „Eine Gesellschaft,die sich wesentlich aus ihrer wirtschaft-lichen Leistungsfähigkeit und deren Di-videnden rechtfertigt, muß in besondereSchwierigkeiten geraten, sobald dieFähigkeit zu breiter sozialer Bedürfnis-befriedigung nachläßt. Deshalb sollte ei-

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26 DISKUSSION UND DOKUMENTATION • PB 5/98

Ein Aufruf

Die Überlebendensowjetischen NS-OpfererinnernAuf Einladung des Berliner Aufrufs (für dieAnerkennung und Entschädigung aller NS-Opfer) hielt sich Geogij Semenjak, Vorsit-zender des KZ-Häftlingsverbands St. Pe-tersburg SPROBUFKL, Ende Januar in derBundesrepublik auf. Auf Pressekonferenzenund Veranstaltungen des Berliner Aufrufstrug er die Anliegen und Forderungen seinesVerbandes vor. Der Verband fordert für diewenigen noch lebenden früheren sowjeti-schen KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter ei-ne feste monatliche Rentenzahlung seitensder Bundesregierung. Bisher erhielten dieca. 1 Million noch lebenden Opfer des Na-tionalsozialismus in Weißrußland, Ukraineund Rußland lediglich eine einmalige Ent-schädigungszahlung in Höhe von durch-schnittlich 900 DM – zusammen knapp 1 Mrd.DM. Zum Vergleich: Die ca. 50000 bis80000 noch lebenden SS-Angehörigen,Kriegsverbrecher und deren Angehörige inder Bundesrepublik erhielten nach Exper-tenschätzungen bisher über 35 MilliardenDM an Renten und Unterstützungszahlungenaus öffentlichen Kassen der Bundesrepu-blik. Hier die Erklärung von Geogij Semen-jak aus Anlaß seines Besuchs.

Auf Einladung des Berliner Aufrufs hal-te ich mich als Vertreter des KZ-Häft-lingsverbandes St. Petersburg inDeutschland auf.

In den letzten Tagen habe ich auf-merksam die öffentliche Berichterstat-tung über den 3.Gedenktag der Opfer desNationalsozialismus verfolgt. Ich ge-wann den Eindruck, daß die Dimensio-nen des Holocaust,das Leid der Sinti undRoma im Gedächtnis der Bevölkerungwachgehalten ist. ber der Los der nochüber 1 Million überlebenden sowjeti-schen NS-Opfer, die als „Untermen-schen“ in der nationalsozialistischenRassenideologie angesehen wurden, fandich im offiziellen Gedenken kaum Hin-weise.

Ich möchte nochmals unsere Situationin Erinnerung rufen. Durch den Kriegverlor die Sowjetunion einen großen Teilihrer Bevölkerung (Schätzungen gehenvon bis zu 20 Millionen aus), mehr alssechs Millionen Menschen wurdenwährend der deutschen Besatzung ge-zielt ermordet. Fünfeinhalb MillionenSowjetbürger starben durch Hunger undKrankheit.

Nach dem Überfall Deutschlands wur-den annähernd 5 Millionen Kriegsgefan-gene und Zivilisten zur Zwangsarbeitnach Deutschland verschleppt. Den Ver-schleppten wurde das Los von Sklavenund die Behandlung als „bolschewisti-sche Untermenschen“ zuteil. Sie warenbilligste Arbeitskräfte für den deutschen

„Endsieg“ in der Industrie, im Bergbauund in der Landwirtschaft unter gröbsterMißachtung völkerrechtlicher Vereinba-rungen.

Nach unserer Rückkehr aus Deutsch-land wurden wir als Kollaborateure,Ver-räter der Heimat angesehen. Die sozialeund politische Anerkennung in der in derSowjetunion blieb uns KZ-Häftlingenlange, den Ostarbeitern – die sowjeti-schen Zwangs- bzw. Fremdarbeiternannten sich selbst so, da sie deutlichsichtbar auf Brusthöhe das AbzeichenOst tragen mußten - gänzlich verwehrt.(Der Verband der KZ-Häftlinge wurdeerst 1961 gegründet, Verbände derZwangs- bzw. Ostarbeiter wurden sogarerst vor zwei Jahren in Rußland zugelas-sen, d. Red.) Viele von uns verschwandenin Stalins Gulag und waren so Doppe-lopfer. Die NS-Opfer sind teilweise nochheute erheblich sozial benachteiligt. Siekonnten nicht studieren, erhieltenschlecht bezahlte Arbeit, sind heute altund krank und leben daher oft in Armut.Sie haben keine Kraft, sich für ihre In-teressen einzusetzen und wenig gesell-schaftspolitische Unterstützung für ihreBelange. Für viele sowjetische NS-Opferwaren die Einmalzahlungen von durch-schnittlich ca. 900 DM aus den (in denvergangenen Jahren durch bilaterale Ver-träge ins Leben gerufenen, d. Red.) dreiStiftungen für Verständigung und Ver-söhnung die erste materielle und mora-lischd Anerkennung. (Für über 1 MillionNS-Opfer stellte die Bundesrepublik ab1993 den Betrag von 1 Milliarde DM als„humanitäre Ausgleichszahlung“ für diegegründeten Stiftungen in Weißrußland,Ukraine und Rußland zur Verfügung, d.Red.).

Wir Überlebende des nationalsoziali-stischen Terrorsystems begrüßen den Ge-denktag für die Opfer des Nationalsozia-lismus. Wir hoffen auf Deutschland!

Wir fordern die politisch Verantwort-lichen in Deutschland auf, allen sowjeti-schen NS-Opfern (Deportierte, KZ- undGhetto-Häftlinge und Ostarbeiter) eineangemessene Rente für den erfahrenenSchaden und den entgangenen Lohn zuermöglichen.

Im „Land der Täter“ werden an die SS-Angehörigen, die Kriegsverbrecher undderen Angehörige aus den Versorgungs-kassen Renten (bisher nach Experten-schätzungen über 35 Mrd. DM für ca.50.000 bis 80.000 Kriegsverbrecher) ge-zahlt.

Wir Überlebende empfinden diesenUmgang mit den NS-Opfern beschä-mend.

gez. Gregorij Semenjak, Vorsitzender derSt. Petersburger regionalen gesellschaft-lichen Gemeinschaft der Veteranen, ehe-maligen Häftlinge faschistischer Kon-zentrationslager und Gestapogefängnis-se e.V. SPROBUFKL

Büro: c/o Memorial, Rasjeszaha 9,RUS-198005 St. Petersburg, Tel./Fax+812-1106519

ne lebenskluge Politik darauf achten,an-dere, nichtmaterielle Elemente zum Be-standteil eines breiten gemeinsamen Zu-sammenschlusses zu machen. An ihnenfehlt es bei uns in einem beklagenswer-ten Ausmaße ... Alle stabilen, nämlichdurch gemein überstandene Krisengehärteten Demokratien - und zu denengehören wir, wie man inzwischen sieht,trotz aller Meriten des letzten halbenJahrhunderts noch nicht - werden durchtieferen Bindungen zusammengehaltenals einen breiten Individualwohlstandund noble Sozialleistungen, wie sie dieBundesrepublik auszeichnen.Sie verbin-det die gemeinsame, über die Generatio-nen weitergetragene Erinnerung angroße Tage und grausame Zeiten, an Tri-umphe und Katastrophen, Kriege, Siegeund Leiden, Leistungen und Fehlschläge,verbindet der Stolz auf die eigene Spra-che, Kultur und Geschichte - ein Erbe,das freie Völker dazu bringt, in kritischenZeiten zusammenzustehen und für dasGanze selbstlos zu wirken.“11

Die Beschwörung einerseits der „In-neren Sicherheit“ und andererseits „na-tionaler“ Bindungen im Sinne eines„Kompensationsgeschäftes“ für mehrund mehr ausfallende soziale Ausgleichs-und Stabilisierungsfaktoren münden inder Formierung eines veränderten ideo-logischen Selbstverständnisses der Bun-desrepublik. Das westorientierte, grund-rechtszentrierte, liberaldemokratischeund sozial geprägte staats- und verfas-sungspolitische Grundverständnisweicht immer mehr einem „neuen Pa-triotismus“, der sich mit einer Rehabili-tierung politischer Traditionsbeständeverbindet, in denen Sozialismus als so-zialökonomisch fundierte Demokratievon jeher als integrierendes Feindbild derNation galt. Mit einem ideologischenSelbstverständnis der Bundesrepublik,das darauf baut, kann es für demokrati-sche Sozialistinnen und Sozialisten kei-nen Frieden geben.

1 entfällt2Vgl. U.-J. Heuer, Abschied von der Ideologie?, in:Recht und Ideologie. Festschrift für H.Klennerzum 70. Geburtstag, hrsg. Von G. Haney /W.Maihofer/G. Sprenger, Freiburg/Berlin 96, S. 78.3 Zitiert nach G. Zamis, Nachwort zu A. Grams-ci, Gedanken zur Kultur, hrsg.Von G. Zamis un-ter Mitarbeit von S.Siemund,Leipzig 1987,S.2714 entfällt5 R. Dahrendorf, Liberale ohne Heimat, in: DieZeit6 Ebenda, S. 47 J. Habermas, Die Krise des Wohlfahrtsstaatesund die Erschöpfung utopischer Energien, in:Ders. Die Moderne - ein unvollendetes Projekt.Philosophisch-politische Aufsätze 1977-1990,Leipzig 1990, S. 120f.8 R. Dahrendorf, a.a.O., S. 49 R. Gössner, Grundrechts-Zerfall und Demokra-tie-Abbau.Auf dem Weg in einen autoritären „Si-cherheitsstaat“? in: Eigentum verpflichtet. DieErfurter Erklärung, hrsg.Von D. Dahn / D. Latt-mann / N. Paech / E. Spoo, Heilbronn 1997, S. 11810 W. Schäuble, Brauchen wir einen neuen Ge-sellschaftsvertrag?, in: Alternativen zur Stan-dortpolitik, München 1997, S. 201f.11 A. Baring, Deutschland, was nun? Berlin 1991,S. 176f.

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Das gleichnamige, 1997 erschienene Ta-schenbuch, ist das Ergebnis einer Veran-staltungsreihe, die an der Freien Univer-sität Berlin stattfand und bereits in einermehrjähriger Tradition steht. Unter denBegriff Kurdologie fällt,was Zusammen-hänge in und um Kurdistan und die Le-bensverhältnisse von Menschen betrifft,die sich als Kurden begreifen. Von denVerfassern stammen einige selbst vondort. Da das Buch als Band eins ausge-wiesen ist, haben die Herausgeber offen-bar die Absicht,weitere Materialien nachund nach einer breiteren interessiertenÖffentlichkeit zur Diskussion zugänglichzu machen. Die Finanzierung der Veran-staltung wurde übrigens von der Univer-sität übernommen. Dies ist auf der einenSeite bemerkenswert, andererseits wer-den vielfach Fragestellungen abgehan-delt, die die für die Inhalte Verantwortli-chen nicht in einen scharfen Konflikt zurpolitischen Linie der BRD bringen kön-nen. Das schmälert den Inhalt der Veröf-fentlichung aber nicht.

Im Vorwort schreiben die Herausgeber:

„Daß die KurdInnen ein Volk ohne Staatsind, darf nicht bedeuten, daß eine Be-schäftigung mit ihnen aus dem wissen-schaftlichen Diskurs ausgeklammertwird. Ein erheblicher Mangel an wissen-schaftlicher Auseinandersetzung mitKurdistan und den KurdInnen ist jedochseit Mitte der zwanziger Jahre, genauerseit der Grenzziehung in der Region nachdem Ersten Weltkrieg durch den Vertragvon Sèvres,zu bemerken.Zahlreiche For-schungslücken und die Inanspruchnah-me nur bedingt seriöser Informationendurch Medien und Politik sind das Er-gebnis. Mittelfristig wird kurdologischerLehre und Forschung somit auch die Auf-gabe zukommen, zur Entschärfung undLösung politischer Konflikte sowohl inder Bundesrepublik als auch im NahenOsten beizutragen.“ Diese Einschätzungmag hinsichtlich der Kräfte, die dem v.a.in der BRD entgegenstehen, ja, sogar denKrieg gegen das kurdische Volk begün-stigen, Skepsis hervorrufen. Zu wün-schen wäre es trotzdem.

Die insgesamt elf Arbeiten liefern ei-ne Fülle von Hintergrundwissen, das sichbei der alltäglichen politischen Beschäf-tigung zumindest nicht gerade auf-drängt. So beschreibt ein Beitrag die Si-tuation der Kurden zwischen ethnischer,religiöser und regionaler Identität, einanderer setzt sich mit der Stammespoli-tik und der kurdischen Nationalbewe-

gung im Irak auseinander.Überhaupt kreist sehr vielum die Fragestellung, wersind Kurden, wie sind die so-zialen Strukturen in den ein-zelnen Ländern – Türkei,Iran, Irak und Syrien – be-schaffen,was trennt wo Stadtund Land voneinander, oderwelche Bedeutungen undAuswirkungen haben die oftnoch vorherrschenden Stam-messtrukturen-und Abhän-gigkeiten im Entwicklungs-prozeß zum (einheitlichen)und eventuell unabhängigenStaatsgefüge. Man gewinnteinen Eindruck von der Viel-fältigkeit dieser sehr komple-xen Zusammenhänge, die inder hiesigen Meinungsbil-dung vom Krieg des türki-schen Staates gegen die kur-dische Zivilbevölkerungüberlagert werden.

Leider – so ging es jeden-falls mir – ergibt sich beimLesen mancher Beiträgeschnell das Problem, daß sicheine Reihe von Veröffentli-chungen auf einer abstrak-ten, wissenschaftlich ausge-richteten Linie bewegt. Hierhat sich die Fachliteratur Be-griffe geschaffen, die mansich, einschließlich der Defi-

nitionen, aneignen muß. Die-se Hürde ist oft ärgerlich, weilErkenntnisse, Aussagen und

Untersuchungsergebnisse in einer Artvon Geheimsprache wiedergegeben wer-den. Das erschwert die Verständlichkeit.Dennoch liegen genügend Aufsätze vor,die ansprechend verfaßt und flüssig zu le-sen sind.Hier orientieren sich die Themenauch gleich viel stärker am Alltagsge-schehen. Zwei dieser Arbeiten haben mirbesonders gut gefallen.

Im ersten der beiden Beiträge be-schreibt Heidi Wedel die Lebensbedin-gungen von KurdInnen in türkischen Me-tropolen. Sie behandelt Migration,Flucht und die Teilnahme am politischenGeschehen. Hier werden die mangelhaf-te Integration von kurdischen Migran-tInnen in den Gecekondu-Vierteln(Slums), die Probleme der Integration inden formellen Arbeitsmarkt – vor allembei der Erwerbstätigkeit von Frauen – ,soziale Beziehungen im Viertel im Hin-blick auf die Einschränkung der Außen-kontakte oder der Zusammenhang vonethnischer Identität (also dem Verständ-nis oder Selbstverständnis,Kurde zu seinoder nicht) und politischer Orientierunguntersucht. Auch die Frage der aleviti-schen Identität und die Verschärfung derLebenssituation durch den Flüchtlings-strom innerhalb der Türkei wird behan-delt. In einem Kapitel weist die Verfasse-rin die Verlogenheit der Bundesregierungnach, es gebe eine sichere innertürkischeFluchtalternative. Frau Wedel befandsich 1993/94 in der Türkei auf Rechercheund stützt sich daher vielfach auf eigeneForschungsergebnisse.

Der andere Aufsatz, von Amir Hassan-pour, befaßt sich mit dem kurdischenSender MED-TV, der von England austätig ist. Neben der Entwicklung bis zurGründung dieses Kanals werden u.a. dieverfolgten Ziele, Programmstruktur undOrganisation beschrieben.Sehr anschau-lich ist zu lesen, wie die türkischen Be-hörden alle Register ziehen, um MED-TVzum Schweigen zu bringen. Da dies aufdirekter staatsterroristischer Ebene nursehr begrenzt greift, sind die Machthaberaus Ankara auf die Hilfe der englischenBehörden angewiesen, die sie auf die ei-ne oder andere Art auch erhalten. Dieswird sehr griffig belegt. Aufschlußreichist auch die Schilderung über technischeStörmanöver durch den türkischenStaat, als Öcalan in zwei Live-Sendun-gen über die friedliche Lösung des Kon-flikts diskutieren wollte.

Trotz aller Schwierigkeiten beim Le-sen mancher Themenzusammenhängebeleuchtet das Buch eine Menge von Um-ständen, die sich in der Argumentationals nützliche Hilfen verwenden lassen.

die

Inzwischen steht der Termin für den die-sjährigen Kurdologiekongreß in Berlinfest. Vom 29.-31.Mai finden Veranstal-tungen über „KurdInnen als Subjekteund Objekte politischer und sozialer Pro-zesse“ statt. Das Programm klingt inter-essant und ist unter Tel. (030)839 091 24(Kurdistan-AG AStA FU) erhältlich.

BuchbesprechungKurdologie – Ethnizität,Nationalismus, Religionund Politik in Kurdistan

Carsten Borck; Eva Savelsberg; Siamend Hajo (Hrsg.),Eth-nizität, Nationalismus, Religion und Politik in Kur-distan,Münster 1997, LIT-Verlag, ISBN 3-8258-3420-4

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Politische BerichteZZEEIITTUUNNGG FFÜÜRR SSOOZZIIAALLIISSTTIISSCCHHEE PPOOLLIITTIIKK–– EERRSSCCHHEEIINNTT VVIIEERRZZEEHHNNTTÄÄGGLLIICCHH

Herausgeber: Arbeitskreis Politische Berichte, Gutenberg-straße 48, 70176 Stuttgart. Herausgeber für den ArbeitskreisPolitische Berichte: Selman Arslan, Christoph Cornides, Ulri-ke Detjen, Martin Fochler, Emil Hruska, Herbert Stascheit.

Verantwortliche Redakteure und Redaktionsanschriften:

Aktuelles aus Politik und Wirtschaft: Rüdiger Lötzer; GNN-Ver-lag, Dieffenbachstr. 33, 3. Hof, Eing. C, 10967 Berlin, Tel.030 / 69 40 10 39, Fax: 030 / 69 40 10 41.Auslandsberichterstattung: Hardy Vollmer; GNN-Verlag, Wil-helmstraße 15, 79098 Freiburg, Fax : 0761/ 34961Regionales West und Ost: Jörg Detjen, (West),GNN-Verlag,Post-fach 260 226, 50515 Köln. Hausadresse GNN-Verlag, ZülpicherStr. 7, 50674 Köln, Tel. 02 21 / 21 16 58, Fax : 02 21 / 21 53 73.;Rüdiger Lötzer, (Ost) s.o. „Aktuelles…“. Regionales West undOst wird in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Linke Kom-munalpolitik hergestellt.Aus Betrieben und Gewerkschaften: Alfred Küstler, GNN-Ver-lag, Gutenbergstr. 48, 70176 Stuttgart, Tel. 07 11 / 62 47 01,Fax : 0711 / 62 15 32.Diskussion / Dokumentation und Letzte Seiten: ChristianeSchneider, Hamburg: GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359Hamburg, Tel. 040 / 43 18 88 20, Fax : 040 / 43 18 88 21.

Vierteljährliche Beilage: Rundbrief der „ARGE, Arbeitsge-meinschaft Konkrete Demokratie, soziale Befreiung bei derPDS“.

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ADRESSAUFKLEBER

MINETE

R 6.-8. März: Grüne BDK in Magdeburg ver-abschiedet Bundestagswahlprogramm

7. März: Die „Erfurter Erklärung“ lädt einzum „Bochumer Ratschlag“ an die Uni-versität in Bochum. Organisation: AStAUni Bochum.

10.März: 10.Jahrestag des irakischen Gift-gasmassakers in der kurdischen Stadt Ha-labja.

14./15. März: Frühjahrstagung des ForumsKommunistischer Arbeitsgemeinschaftenin Köln. Gäste willkommen. Anmeldung:Jörg Detjen, Köln,Tel: 0221 / 21 16 58 , Fax:02 21 / 62 15 32. Themenschwerpunkt:„Parteibildung – Wahlen – Parteiaufbau"Samstag/Sonntag, 14./15. März 1998, Ju-gendgästehaus Köln-Riehl13.30 Uhr: „Parteibildung – Wahlen – Par-teiaufbau" – Es referieren: Joachim Bi-schoff, Mitglied des Parteivorstandes derPDS, Martin Fochler (siehe auch Beitrag inden Politischen Berichten 3/98, S. 22 ff.)18 Uhr: Abendessen 19 Uhr: Haushalt desForums, Wahlen zum ArbeitsausschußSonntag: 8.30 Uhr: Arbeitsgruppen: a.: AGWirtschaft: u.a. Diskussion über „Regiona-le Klassenkämpfe" und „Gewerkschaften"siehe auch die entsprechenden Gliede-rungsabschnitte in den Politischen Be-richten. b.: AG Ostexpansion: u.a. Diskus-sion über „internationaler Klassenkampf"siehe auch die entsprechenden Gliede-rungsabschnitte in den Politischen Be-

richten. c.: AG Philosophie: Entwicklungder Repression gegen die RAF-Gefange-nen. Wie können wir die Petition „PKK-Verbot aufheben" unterstützen. Diskussi-on über den Gliederungsabschnitt „Aktu-elles" und „Diskussion, Dokumentation".11.00 Uhr: Abschlußplenum. gez. Präsidi-um des Forums kommunistischer Arbeits-gemeinschaften P.S. Das Präsidium trifftsich zu einer kurzen Sitzung bereits am Sa.um 13 UhrEinladung zum Arbeitskreis Politische Be-richte. Herausgeber und Redaktion treffensich am Samstag, den 14. März um 12 Uhrim Jugendgästehaus in Köln. Die mit demKommunistischen Forums vereinbarte Ta-gesordnung wird dann die Möglichkeit ge-ben, ausführlich über die Ausgestaltungund Fortführung der Politischen Berichtezu sprechen.

14./15. März: Bundestreffen der AG Be-triebe und Gewerkschaften der PDS inBremen.

17./18. März: An verschiedenen Orten fin-den um diese Tage herum Veranstaltungenzum 150. Jahrestag der Märzrevolutionvon 1848 statt.

20./21. März: Veranstaltung 150 Jahre„Manifest der Kommunistischen Partei“ ;in Frankfurt, Haus der Jugend • Veran-stalter: Zeitschriften Sozialismus und spw.Anmeldung: Redaktion Sozialismus, St.Georgs Kirchhof 6, 20099 Hamburg, Tel.040 - 280 505 60, Fax 040 - 280 505 68 / Re-daktion spw, Fresienstr. 26, 44289 Dort-mund,Tel. 0231 / 40 14 11, Fax 0231 / 40 2416, E-mail: [email protected]

22. März: Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein

30. März: Eröffnungskonferenz in Londonfür die EU-Osterweiterung

3.-5. April: PDS-Wahlparteitag in Rostockverabschiedet Bundestagswahlprogramm

19. April: FDP-Bundesparteitag verab-schiedet Bundestagswahlprogramm.

20./21. April: SPD-Bundesparteitag inLeipzig wählt Kanzlerkandidat und ver-abschiedet Wahlprogramm25. April: Kongreß gegen das MAI in Bonn

26. April 1998: Landtagswahl in Sachsen-Anhalt

2./3. Mai: EU-Konferenz entscheidet Teil-nehmerkreis der EU-Währungsunion ab1.1.1999

17./19. Mai: CDU-Bundestagswahlpartei-tag in Bremen

22./23. Mai: Kongreß „Renaissance derGrundrechte" in München. Bestandsauf-

nahme des Abbaus derGrundrechte und Planunggemeinsamer Aktivitäten.Bisher an der Vorbereitungbeteiligt: IAF, Pro Asyl, Hu-manistische Union, Huma-nistische Bewegung, Bünd-nis 90/Die Grünen, Bayer.Flüchtlingsrat, VDJ, NeueRichterInnen Vereinigung,Republikanischer Anwäl-tinnen- und Anwälteverein,Arbeiterwohlfahrt. Infosüber Büro MdEP ClaudiaRoth, Tel. 0228/1687939.

22./24. Mai: DKP-Parteitagin Hannover

29.–31. Mai: Peace CongressOsnabrück 98, Vom Westfä-lischen Frieden zu einemfriedensstifenden Europa.

Europäischer Friedens- und Kriegsdienst-verweigerer-Kongreß.Infos unter Tel.05 41/ 26 06 50, Fax: 26 06 80.

8.–12. Juni 1998: 16. o. Bundeskongreß desDGB in Düsseldorf

13./14. Juni: Bundestreffen der AG Betrie-be und Gewerkschaften der PDS in NRW

13./14. Juni: Bundeskongreß der VVN-BdAin Braunschweig, Motto: „Zukunft Antifa-schismus“. Infos bei der Bundesgeschäfts-stelle der VVN-BdA, Rolandstr. 16, 30161Hannover.

13. September: Landtagswahl in Bayern

17./19.9. a.o. Gewerkschaftstag der IG Me-tall in Mannheim

27. September: Bundestagswahl, Land-tagswahl in Mecklenburg-Vorpommernund Kommunalwahlen in Brandenburg

10./11. Oktober: Herbsttagung des ForumsKommunistischer Arbeitsgemeinschaftenin Köln

24.-29. Oktober: HBV-Gewerkschaftstagin Bremen und IG-Medien-Gewerk-schaftstag in Würzburg

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Gemeinsam gegen Rassismus – gleiche Rechte für alle!Offene Grenzen für Menschen in Not


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