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Pharmabetriebslehre || Kosten und Finanzierung pharmazeutischer Forschung und Entwicklung

Date post: 09-Dec-2016
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3 Kosten und Finanzierung pharmazeutischer Forschung und Entwicklung Christoph Thierolf Commerzbank AG, Frankfurt/Main 3.1 Einführung Die Anforderungen an Arzneimittel und an Therapeutika steigen kontinuierlich. Eine der wesentlichen Faktoren ist dabei die demographische Entwicklung. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen gab es 1998 weltweit 0,6 Mrd. Menschen im Alter von 60 und mehr Jahren. Im Jahr 2050 wird diese Altersgruppe auf mehr als 1,9 Mrd. ansteigen. Abbildung 3.1 illustriert hierzu die Erwartungen der weltwei- ten demographischen Entwicklung. Abb. 3.1. Demographische Entwicklung 2000–2020 15 15 Quelle: UBS Warburg (2001a), S. 4. -40% -20% 0% 20% 40% 60% 80% 100% 120% 0-44 45-64 65-79 80+ Altersgruppe Änderungsrate Europa Japan USA Gesamt
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3 Kosten und Finanzierung pharmazeutischer Forschung und Entwicklung

Christoph Thierolf

Commerzbank AG, Frankfurt/Main

3.1 Einführung

Die Anforderungen an Arzneimittel und an Therapeutika steigen kontinuierlich. Eine der wesentlichen Faktoren ist dabei die demographische Entwicklung. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen gab es 1998 weltweit 0,6 Mrd. Menschen im Alter von 60 und mehr Jahren. Im Jahr 2050 wird diese Altersgruppe auf mehr als 1,9 Mrd. ansteigen. Abbildung 3.1 illustriert hierzu die Erwartungen der weltwei-ten demographischen Entwicklung.

Abb. 3.1. Demographische Entwicklung 2000–202015

15 Quelle: UBS Warburg (2001a), S. 4.

-40%-20%

0%20%40%60%80%

100%120%

0-44 45-64 65-79 80+

Altersgruppe

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EuropaJapanUSAGesamt

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C. Thierolf

Mit dieser Altersentwicklung werden Erkrankungen wie zum Beispiel Alzheimer immer häufiger, verbunden mit dem Bedarf diese zu verhindern oder deren Beginn hinauszuzögern. Zusätzlich werden immer größere Anteile der Bevölkerung unter chronischen Erkrankungen leiden. So soll sich zum Beispiel die weltweite Präva-lenz von Diabetes vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2030 von 171 Mio. auf 366 Mio. verdoppeln.16 Der viel zitierte Anstieg der Ausgaben für Gesundheit ist hauptsäch-lich damit begründet.17 Um diese Anforderungen und diesen Bedarf zu erfüllen sind neue und bessere Arzneimittel und erschwingliche medizinische Versorgung notwendig.

Die biopharmazeutische Industrie hat durch die Ausdehnung ihrer Arbeit auf die zelluläre und molekulare Ebenen in den letzten Jahren entscheidende Erfolge erzielt. Ende 2002 wurden 28 % mehr Arzneimittel von den pharmazeutischen Herstellern zur Zulassung durch die amerikanische Zulassungsbehörde (Food and Drug Administration, FDA) entwickelt als vor 10 Jahren.18 Zwischen 1993 und 2003 wurden mehr als 300 neue Arzneimittel, Biopharmazeutika und Impfstoffe durch die FDA zugelassen und zurzeit sind mehr als 1.000 Arzneimittel in der Entwicklungspipeline.19 Die Zulassungsbehörden haben zusätzlich das Indikati-onsspektrum vieler bereits zugelassener Produkte erweitert und so den Ärzten wei-tere Patienten-spezifische Therapien ermöglicht. Neue Arzneimittel haben durch ihre Innovationen zahlreiche Therapiestandards dramatisch verändert und die The-rapien von äußerst komplexen Krankheitsbildern vorangetrieben. Daraus resultie-rend, gilt der globale pharmazeutische Markt als ein kontinuierlicher Wachstums-markt. Trotz erheblicher staatlicher Restriktionen in einem Großteil der wich-tigsten nationalen Märkte hat der globale Pharmamarkt inzwischen ein Volumen von 643 Mrd. US-Dollar erreicht (2006). Abbildung 3.2 zeigt die Entwicklung des weltweiten Pharmamarktes von 1996 bis 2006.

16 Vgl. Wild, S. u. a. (2004). 17 Vgl. Thorpe, K. E., Florence, C. S., Joski, P. (2004). 18 Vgl. Food and Drug Administration (2003). 19 Vgl. Pharmaceutical Research and Manufacturers of America (2003).

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B 3 Kosten und Finanzierung pharmazeutischer F&E

Abb. 3.2. Weltweiter Pharmamarkt20

Um die weiter steigenden Ansprüche und Bedürfnisse der Ärzte und Patienten auch erfüllen zu können, müssen innovative Ansätze bei der Erforschung und Ent-wicklung neuer Therapeutika erarbeitet und genutzt werden. Dabei macht die Entwicklung eines neuartigen Arzneimittels trotz aller oder gerade aufgrund der bisher erzielten Fortschritte außerordentliche Anstrengungen notwendig. Außer-dem haben sich die Erfolgswahrscheinlichkeiten der Entwicklung nicht entschei-dend verbessert und die Zulassungsanforderungen sind substantiell angestiegen. Das Resultat ist ein erheblicher Anstieg der Entwicklungskosten eines Arzneimit-tels. Die Aufwendungen für die einzelnen Schritte der Entwicklung sowie deren grundsätzliche Finanzierung sollen im Folgenden betrachtet werden.

3.2 Kosten der Arzneimittelentwicklung

Die mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen gestiegenen Anforderungen an Sicherheit und Wirksamkeit haben entscheidend dazu beigetragen, dass sich seit den 60er Jahren die Entwicklungszeiten von der Synthese eines Wirkstoffes bis zur Zulassung von durchschnittlich 8 Jahre auf mehr als 14 Jahre nahezu verdop-pelt haben. Dabei ist ein großer Teil dieses Anstieges durch die Verlängerung der klinischen Entwicklungszeiten begründet, Abb. 3.3 illustriert diesen Zusammen-hang.

20 Quelle: Verband Forschender Arzneimittelhersteller (2007a), Handelsblatt (2001), S. 1.

292 295 304338

373 390428

498559

601643

0

100

200

300

400

500

600

700

1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Vol

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[US

$ M

rd.]

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Abb. 3.3. Entwicklungszeiten eines Arzneimittels21

Trotz oder aufgrund dieser langen Zeiträume sind erhebliche Ausfallrisiken mit der Entwicklung eines Arzneimittels verbunden. In Tabelle 3.1 sind diese im Zu-sammenhang mit dem Zeitbedarf in den einzelnen Phasen detailliert dargestellt.

Tabelle 3.1. Entwicklungszeiten und Erfolgswahrscheinlichkeiten22

Phase Zeitraum [Jahre] Wahrscheinlichkeit einer Zulassung [%] Basisforschung 2–5 ≤ 1 Präklinik 1–3 1–10 Klinik Phase I 0,5–1 5–20 Klinik Phase II 1–2 15–40 Klinik Phase III 1–3 40–80 Registrierung 0,5–1,5 75–90

Wenn nur eine von mehreren tausend Substanzen über einen Zeitraum von 14 Jah-ren erfolgreich zugelassen wird, ist leicht verständlich, dass die gesamten Auf-wendungen für eine erfolgreiche Zulassung sehr hoch sein müssen. So geht man zurzeit davon aus, dass die gesamten Entwicklungskosten bis zur Zulassung eines Arzneimittels inzwischen weit mehr als 1 Mrd. US-Dollar betragen23. Dies schließt die zahlreichen Fehlversuche genauso wie die Kapitalkosten über den ge-samten Entwicklungszeitraum ein. Überproportional zur Verlängerung der Ent-wicklungszeiten haben sich im Zeitraum von 1975 bis 2000 die Entwicklungskos-ten ungefähr versechsfacht. Der Anstieg der Entwicklungskosten über die Zeit wird in Abb. 3.4 aufgezeigt.

21 Quelle: Di Masi, J. A. (1995). 22 Vgl. UBS Warburg (2001b), S. 10, Ernst & Young (2000), S. 46, und Di Masi, J. A.

(2001), S. 303. 23 Vgl. Di Masi, J. A., Grabowski, H. G. (2007).

0

2

4

6

8

10

12

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60er 70er 80er 90er

Jahr

e

GesamteEntwicklungszeitKlinische Entwicklung

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B 3 Kosten und Finanzierung pharmazeutischer F&E

Abb. 3.4. Kosten der Entwicklung eines Arzneimittels24

Betrachtet man hingegen ausschließlich die direkten Kosten und vernachlässigt die Kapitalkosten so liegen Gesamtkosten zur Entwicklung eines Arzneimittels nach neueren Untersuchungen inzwischen bei ca. 672 Mio. US-Dollar.25

3.3 Ausgaben für die einzelnen Entwicklungsphasen

Da die Gesamtkosten für die Entwicklung eines Arzneimittels auch unter Berück-sichtigung der großen Fehlerwahrscheinlichkeit sehr hoch sind, sollen die einzel-nen Kostenblöcke zum besseren Verständnis dargestellt werden.

Nach Aussagen des Verbandes der amerikanischen Pharmahersteller (Pharma-ceutical Research and Manufacturers of America, PhRMA) werden nahezu ein Drittel der gesamten Forschungsausgaben für die klinische Entwicklung der Arz-neimittel genutzt, d. h. 28,3 % für Phase I–III der klinischen Studien. Hierbei wer-den für jede Substanz, für die eine Zulassung beantragt wird, im Schnitt mehr als 60 klinische Studien durchgeführt. So sind die hohen Aufwendungen auch auf-grund der immer größer werdenden Patientenzahlen – teilweise mehrere Tausend, vor allem in den späten Phasen der klinischen Forschung – gut nachvollziehbar. Aber auch die hohen Anforderungen, die zum Beispiel mit GMP (Good Manufac-turing Practice) an die Produktion gestellt werden, verursachen im gesamten For-schung- und Entwicklungsprozess knapp 10 % der Kosten. Diese dürften durch die noch komplexeren Produktionsverfahren bei biotechnologischen Produkten und den unter anderem damit verbundenen Sicherheitsbedürfnissen (Kontaminati-on etc.) in den nächsten Jahren noch überproportional ansteigen. Auf die Gesamt-heit aller präklinischen Arbeiten entfallen mehr als 40 % der Forschungs- und

24 Vgl. Di Masi, J. A., Hansen, R. W., Grabowski, H. G. (2003). 25 Vgl. Di Masi, J. A., Grabowski, H. G. (2007).

318

802

1380

100200300400500600700800900

1975 1987 2000

Kos

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[200

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S$ M

io.]

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Entwicklungskosten (s. Abb. 3.5), wobei dies unter anderem durch die große An-zahl von Ansätzen in frühen Phasen der Entwicklung bedingt ist.26

Nicht alle Leistungen werden in den einzelnen Entwicklungsphasen von den Pharmaunternehmen selbst erbracht. Umfragen nach sollen von dem Gesamt-betrag zwei Drittel auf interne Forschungsleistungen der Pharmaindustrie entfal-len, während das restliche Drittel durch externe Dienstleistungen aufgebracht wird. Es wird erwartet, dass sich in den nächsten Jahren dieses Verhältnis deutlich ändert oder sogar umkehrt.28 Dies wird damit begründet, dass die Pharmaun-ternehmen nicht genügend Innovationskraft besitzen, um die Herausforderungen der neuen biotechnologischen Verfahren quantitativ und qualitativ bewältigen zu können. So liegen zum Beispiel immer mehr gentechnisches Wissen und die An-wendung dieses Know-hows bei der Suche nach Medikamenten und Diagnostika außerhalb der traditionellen Pharmaindustrie beispielsweise bei (kleineren) Bio-technologieunternehmen.

26 Vgl. Pharmaceutical Research and Manufacturers of America (2001a), S. 21. 27 Quelle: Pharmaceutical Research and Manufacturers of America (2001a), S. 26. 28 Vgl. Lindner, R. (2000), S. W2.

7,9%

2,4%

4,4%

9,9%

5,8%

20,8%

5,1%

2,4%

9,0%

5,2%

15,1%

12,0%

0,0% 5,0% 10,0% 15,0% 20,0% 25,0%

Sonstige

Bioverfügbarkeit

Zulassung IND / NDA

Herstellung / Qualitätskontrolle

Klinische Evaluation (Phase IV)

Phase III

Phase II

Phase I

Dosierung, Formulierung, Stabilität

Toxikologie / Sicherheit

Bio. Screening, pharmakol. Test

Synthese / Extraktion

Abb. 3.5. Verteilung der Entwicklungskosten auf die einzelnen Phasen, USA27

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3.4 Biotechnologische Produkte

Die bereits angedeutete, zunehmende Relevanz von biotechnologischen Produk-ten, wie Hormonen, Antikörpern, Enzymen und Nukleinsäuren, schlägt sich in mehr als 100 Molekülen nieder, die in den letzten 30 Jahren auf den Markt ge-bracht wurden.29 Allein in den USA betrugen die Umsätze mit Biopharmazeutika im Jahr 2006 mehr als 40 Mrd. US-Dollar, bei einer Wachstumsrate von 20 % von 2002 bis 2006.30 Abbildung 3.6 zeigt die Umsatzentwicklung von Biopharmazeu-tika in den USA von 2002 bis 2006.

Abb. 3.6. Umsätze mit Biopharamzeutika in den USA von 2002 bis 200631

Da Biopharmazeutika oft auf einer anderen Wissensbasis entwickelt werden, sind diese Entwicklungskosten auch separat betrachtet worden. Dabei zeigt sich, dass deren Kosten ebenfalls sehr hoch liegen. Die Gesamtkosten inklusive Kapitalkos-ten betragen für Biopharmazeutika 1.241 Mio. US-Dollar versus 1.318 Mio. US-Dollar für klassische Pharmazeutika. Die direkten Kosten werden hier mit 559 Mio. US-Dollar versus 672 Mio. US-Dollar (alle in 2005er US-Dollar) angege-ben.32

Obwohl die gesamten Entwicklungskosten inklusive Kapitalkosten von bio-technologischen Produkten ca. 6 % niedriger liegen als bei klassischen Substan-zen, so zeigt sich ein deutlicher Unterschied bei der Aufteilung der Kosten auf die einzelnen Entwicklungsphasen. Diese sind trotz einer längeren klinischen Ent-wicklungszeit (inklusive Zulassung) von Biopharmazeutika (98 versus 90 Monate) im klinischen Bereich niedriger als bei klassischen Pharmazeutika.33 Abbil-dung 3.7 zeigt die Kosten von Pharma- und Biotechprodukten in der präklinischen und klinischen Entwicklung, wobei hier im Vergleich zu Absatz 3.3 eine Betrach-tung auf Einzelproduktbasis und ein gröbere Aufteilung gewählt ist und so viele 29 Vgl. Miller, H. I. (2006), Walsh, G. (2006). 30 Vgl. Aggarwal, S. (2007). 31 Vgl. Aggarwal, S. (2007). 32 Vgl. Di Masi, J. A., Grabowski, H. G. (2007). 33 Vgl. Di Masi, J. A., Grabowski, H. G. (2007).

18,923,6

27,733,0

39,9

05

1015202530354045

2002 2003 2004 2005 2006

Volu

men

[US$

Mrd

.]

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Aufgaben anhand ihres zeitlichen Auftretens und nicht aufgrund ihrer inhaltlichen Zugehörigkeit zugeordnet wurden.

3.5 Indikationsspezifische Entwicklungskosten

Neben der eher allgemeinen Betrachtung ist eine differenzierte Analyse nach Indi-kationsgruppen sinnvoll um die Entwicklungskosten besser charakterisieren zu können. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede. So kostet die klinische Ent-wicklung eines Arzneimittels zur Behandlung von Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) mit 527 Mio. US-Dollar weit mehr als der Durchschnitt (466 Mio. US-Dollar, Gesamtkosten, inklusive Kapitalkosten in 2000er US-Dollar). Diese hohen Kosten für ZNS-Produkte sind vor allem langen Entwick-lungszeiten geschuldet. Pharmazeutika zur Behandlung von Schmerzmitteln liegen andererseits mit den gesamten klinischen Entwicklungskosten von 375 Mio. US-Dollar deutlich darunter (s. Abb. 3.8). Dies ist bei etwa gleichen hohen direkten Kosten vor allem durch die viel kürzeren Beobachtungs- und damit Entwicklungs-zeiten begründet.

615 626

1.241

439

879

1.318

0200400600800

100012001400

Präklinik Klinik Gesamt

Mill

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n (2

005

US$

)BiotechPharma

Abb. 3.7. Gesamtkosten für die Entwicklung von Biotech- und Pharma-Produkten

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Abb. 3.8. Klinische Gesamt-Entwicklungskosten auf Indikationsbasis34

3.6 Forschungs & Entwicklungskosten auf globaler Basis

Unter Berücksichtigung der hohen Kosten für die Entwicklung einer einzelnen pharmazeutischen Substanz ist die Gesamtsumme der Forschungs- und Entwick-lungsaufwendungen (F&E) interessant. So betrugen die F&E-Ausgaben der phar-mazeutischen Hersteller in den größten westlichen Märkten, d. h. USA, Europa und Japan, im Jahr 2005 ca. 65 Mrd. US-Dollar. Diese Ausgaben sind dabei von 2000 bis 2005 um 51 % gestiegen, siehe Abb. 3.9. Die F&E-Ausgaben verteilen sich dabei auf USA mit 46 %, auf Europa mit 40 % und auf Japan mit 14 %. Im Vergleich zu den Umsätzen in den einzelnen Pharmamärkten, d. h. USA (54 %), Europa (36 %) und Japan (11 %), zeigt sich eine deutliche Übergewichtung zu Gunsten von Europa und Japan.

34 Vgl. Di Masi, J. A., Grabowski, H. G., Vernon, J. (2004).

527

492

466

460

375

0 100 200 300 400 500 600

ZNS

Antiinfektiva

Zulassung IND / NDA

Kardiovaskulär

Anästetika/Analgetika

[2000 Mio. US-Dollar]

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Abb. 3.9. F&E Ausgaben in USA, Europa und Japan von 2001 bis 200535

3.7 Finanzierung von Forschung und Entwicklung durch Umsatz

Die Entwicklungskosten für Therapeutika sind nicht nur gemessen an den absolu-ten Zahlen deutlich gestiegen. Auch im Verhältnis zu den erzielten Umsätzen ist eine signifikante Zunahme zu verzeichnen. So stieg der Anteil der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung an den Produktumsätzen kontinuierlich an. Der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben der amerikanischen Pharma-unternehmen wuchs zum Beispiel im Zeitraum von 1980 bis 2005 von 12 % auf ca. 20 % (s. Abb. 3.10). In anderen Ländern geht man abhängig von der Innova-tionsorientierung der Pharmaunternehmen von ähnlichen Zahlen aus.

35 Quelle: Verband Forschender Arzneimitelhersteller (2007a).

47,552,9

57,964,2 67,5

01020304050607080

2001 2002 2003 2004 2005

[US$

Mrd

.]

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B 3 Kosten und Finanzierung pharmazeutischer F&E

Abb. 3.10. F&E-Ausgaben, USA36

So zeigt der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben der pharmazeuti-schen Industrie bezogen auf den Umsatz einen doppelt so großen Anteil wie in nicht-medizinischen Industriezweigen, wie zum Beispiel in der Computer- und Softwareindustrie mit 9 %, der Telekommunikationsbranche mit 5 % oder der Au-tomobilindustrie mit 4 %. Höhere Eintrittsbarrieren, größere Kommerzialisie-rungspotenziale und längere Produktzyklen in den pharmazeutischen Märkten rechtfertigen dabei die höheren Aufwendungen im Vergleich zu anderen Bran-chen. Trotzdem ist anzumerken, dass die gestiegenen Forschungs- und Entwick-lungsausgaben nicht unbedingt zu einem entsprechenden Anstieg der Produktzu-lassungen geführt haben.

Die große Anzahl erfolglos getesteter Substanzen führt dazu, dass nur eine ge-ringe Anzahl ihre Forschungs- und Entwicklungskosten durch eine Vermarktung wieder einbringen kann. Die Verlängerung der Entwicklungszeiten hat dazu ge-führt, dass die Unternehmen den ökonomischen Risiken und Unsicherheiten län-ger ausgesetzt sind. Größere Gesellschaften versuchen durch eine Diversifizierung des Portfolios das Risiko und damit die negativen Auswirkungen durch erfolglose Entwicklung oder Zulassung zu minimieren. Aber auch nach erfolgreicher Zulas-sung erzielen nur drei von 10 Substanzen überhaupt Umsätze in den Grö-ßenordnungen, die notwendig sind um die durchschnittlichen Entwicklungskosten eines Arzneimittels zu decken. Wie in vielen anderen Industrien erzielen nur 20 % der Produkte 80 % der gesamten Umsätze. Die Pharmaindustrie ist daher bestrebt, für die Kommerzialisierung eines (Mega-)Blockbusters mit einem Umsatzvolu-men von mehr als 1 Mrd. US-Dollar eine extrem hohe Marge zu erzielen.37

Eine weitere Finanzierungsquelle der Arzneimittelforschung und -entwicklung ist die direkte oder indirekte Förderung durch öffentliche Mittel. So soll zum Bei-spiel das Budget der amerikanischen Gesundheitsbehörde allein für Forschung

36 Quelle: Pharmaceutical Research and Manufacturers of America (2001b), S. 20–21. 37 Vgl. Greene, A., Siegel, J. (2000), S. 13.

2,04,3

8,5

15,2 26,4

39,411,9

15,116,2

19,4 20,3 19,2

0,0

5,010,015,0

20,025,0

30,0

35,040,0

45,0

1980 1985 1990 1995 2000 2005Jahr

abso

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5

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15

20

25

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und Entwicklung im Jahr 2007 mehr als 28 Mrd. US-Dollar betragen.38 Auch in anderen Ländern werden erhebliche öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt.

3.8 Schlusswort

Die Ausführungen machen deutlich, wie aufwändig und kostenintensiv die Arz-neimittelentwicklung ist. Dabei ist aufgrund der ebenfalls zur Verfügung stehen-den Zahlen zu den neueren biotechnologischen Produkten keine abnehmende Tendenz zu erkennen. Vielmehr ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. Nach Zulassung eines Produktes kann aber nur ein Drittel aller Arzneimittel auf dem weltweiten Pharmamarkt einen Umsatz generieren, der diese Entwicklungskosten abdeckt. Zusätzlich zu den reinen Forschungs- und Entwicklungskosten die Ver-marktungskosten deutlich ansteigen, wird diese immer weiter aufgehende Schere nicht durch höhere Verschreibungszahlen oder Preise abgefangen. Selbst in Märk-ten wie den USA, wo bisher sehr hohe Preise realisierbar waren, wird die Preis-gestaltung immer umfangreicher reglementiert und die Pharma- und Biotechfir-men stehen unter stärker werdendem Preisdruck. Daher ist die Industrie bestrebt, über umfangreiche und lang andauernde Schutzrechte die hohen Innovationskos-ten durch Umsätze wieder einzuspielen, bevor nach Ablauf des Patentschutzes Produkteinführungen von Generikaherstellern zu deutlichen Umsatz- und Mar-geneinbussen führen. Hierbei ist anzumerken, dass aber gerade in jüngster Zeit durch die Finanzierungslücken in allen Gesundheitssystemen dieser Welt viele Entscheidungen zu Gunsten von Generika getroffen und damit auch diese exklusi-ve Vermarktungszeit empfindlich eingeschränkt wurde.

38 Vgl. Loscalzo, J. (2006).


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