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NLGA-Fortbildung 20. Januar 2014 · • Ausgleichsfunktion : ... Das höherwertige Recht des...

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NLGA-Fortbildung 20. Januar 2014 Hygiene und Recht Dr. jur. Karsten Scholz Lehrbeauftragter an der Leibniz-Universität Hannover und der Georg-August-Universität Göttingen
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NLGA-Fortbildung20. Januar 2014

Hygiene und Recht

Dr. jur. Karsten ScholzLehrbeauftragter an der

Leibniz-Universität Hannover und der

Georg-August-Universität Göttingen

Walter, RiLG (MedR 2013, 294)

• Für die meisten (der zunehmenden) Entscheidungen könnte man folgenden Leitsatz formulieren:

• „Eine absolute Keimfreiheit der Ärzte und des weiteren Behandlungspersonals ist nicht erreichbar. Eine Infektion ist daher grds. nicht Zeichen für eine fehlerhafte Behandlung.“

Rechtsquellen

• Öffentliches Recht (InfSG, NMedHygVO)

• Empfehlungen KRINKO – § 23 II, VIII InfSG § 2 MedHygVO

• Privatrecht (Behandlungsvertrag [§§ 630a ff. BGB], unerlaubte Handlungen, sog. Deliktsrecht [§§ 823 BGB])

§ 630a BGB

(2) Die Behandlung hat nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist.

§ 23 III 2 InfSG• „Die Einhaltung des Standes der medizinischen

Wissenschaft auf diesem Gebiet wird vermutet, wenn jeweils die veröffentlichten Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut und der Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie beim Robert Koch-Institut beachtet worden sind.“

• Walter MedR 2013, 294, 297: bezieht sich zugunsten des Behandelnden auf den zivilrechtlich geschuldeten Standard und ermöglicht daher eine Verteidigung in den Fällen des voll beherrschbaren Risikos; daher kein Schluss auf Behandlungsfehler bei Nichteinhaltung; allerdings höhere Organisationspflichten

• Str. und damit nicht abschließend geklärt

Funktionen des Haftungsrechts

• Ausgleichsfunktion: Verursacherprinzip

• Rechtsfortsetzungs- oder Interessenfortsetzungsfunktion:Das höherwertige Recht des Geschädigten soll sich zumindest in einem Ersatzanspruch fortsetzen und insofern erhalten bleiben

• Präventivfunktion :Versuch, durch höhere Sorgfaltsanforderungen die wegen der Schäden anfallenden Kosten zu vermindern

• Folgediskussion: Ökonomische Analyse des RechtsRisk-Management

Amtshaftung, § 839 BGB iVm Art. 34 GG

• „Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu verlangen vermag.“

• Beispiel: Haftpflichtversicherung von Ärzten

Amtshaftung, § 839 BGB iVm Art. 34 GG

• Drittbezogene Amtspflicht bei BSE-Tests ?• sind drittschützend gegenüber dem betroffenen

Schlachtbetrieb (falsche Begutachtung durch Veterinärbehörde führt zur Beschlagnahme des Fleisches; BGH v. 2.22006 - III ZR 131/05)

• nicht aber gegenüber Betrieben der weiteren Verarbeitungskette, sofern nicht durch eine gezielte Unterrichtung ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird (BGH v. 8.11.2012 – III ZR 151/12 und 293/11)

Zivilprozess

• Beibringungsgrundsatz –kein Amtsermittlungsgrundsatz

• Beweisantritte: Zeugen (Amtsarzt), Urkunden (Protokolle über Begehungen)

• Kein Ausforschungsbeweis; hohe Anforderungen an substanziellen Vortrag; die Infektion als solche stellt keinen Anhaltspunkt für einen Hygienemangel dar (OLG Köln v. 13.11.2012 – 5 U 69/12)

Beweismittel - § 23 IV InfSG

• Fortlaufende gesonderte Niederschriften über nosokomiale Infektionen und das Auftreten von Krankheitserregern mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen werden nicht im Interesse des einzelnen Patienten errichtet, gehören daher nicht zu den persönlichen Krankenunterlagen, auf welche sich dessen Einsichtsrecht bezieht (OLG Hamm v. 5.4.2011 – 26 U 192/10)

• Zweck des InfSG ist es, im übergeordneten allgemeinen Interesse die Verbreitung von übertragbaren Krankheiten zu verhindern

• Anders: individuelle Hygienedokumentation

Zivilrechtliche Haftung

„ärztlichen Kunstfehler“ , d.h. Haftung für eine vom ärztlichen (Facharzt-) Standard abweichende Behandlung• grundsätzlich vom Patienten zu beweisen• anders aber in Fällen der Beweislastumkehr

bezüglich haftungsbegründender Kausalität, z.B. grober Behandlungsfehler

Organisationspflichtverletzung

Zivilrechtliche HaftungVollbeherrschbarer Risikobereich (1)

– Wenn Auftreten eines Risikos bei Einhaltung fachlicher Standards vollständig ausgeschlossen werden kann, wird aus der Tatsache des Auftretens der Komplikation auf eine Unterschreitung des Standards geschlossen

– Voraussetzung:Es muss feststehen, dass Primärschädigung aus einem Bereich stammt, dessen Gefahren von Behandlerseite voll beherrscht bzw. ausgeschlossen werden können

– � d.h. Vermutung von– Behandlungsfehler und– Verschulden,– nicht aber: Beweislastumkehr für Kausalität;

Nachweis hierfür obliegt weiterhin dem Patienten.

§ 630c BGB

(1) Ein Fehler des Behandelnden wird vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat.

BT-Drs. 17/10488, 28

– Eine weitere Fallgruppe des voll beherrschbaren Risikos stammt aus dem Bereich des von dem Behandelnden zu koordinierenden und zu organisierenden Behandlungsgeschehens, wie der hygienischen Standards und der Verrichtungssicherheit des Pflegepersonals in Krankenhäusern. Die Sicherung dieses Bereichs obliegt allein der Behandlungsseite. Tritt hier etwa eine Infektion bzw. eine Schädigung auf, ist der Patient besonders zu schützen. Denn bei Mängeln im Hygienebereich oder Fehlern bei der Koordinierung und Organisation der Behandlungsabläufe fällt die Beherrschbarkeit potentieller Gefahrenquellen in der Regel ausschließlich in den Organisations- und Gefahrenbereich des Behandelnden.

– ????

Beispiele– Verursachung einer Infektion durch einen mensch-

lichen Keimträgerim Rahmen einer Operation / eines Krankenhausaufenthaltes kann auch bei Anwendung aller hygienischen Standards nicht sicher vermieden werden

– � kein vollbeherrschbarer Risikobereich (BGHv. 08.01.1991, VI ZR 102/90)

– auch nicht vollbeherrschbar durch Tragen eines Mundschutzes(OLG Hamm, 20.08.2007, 3 U 274/06); Folge: keine Beweislastumkehr trotz (einfachem) Behandlungsfehler wegen Risikoerhöhung

– auch nicht, wenn bei einer ambulanten OP (Entfernung eines Lipoms) der Chirurg keinen sterilen Kittelträgt und die Assistenz keine Kopfbedeckungu. keinen Mundschutz hat� (OLG Hamm, 11.10.2004, 3 U 93/04)

Beispiele– Bei Punktionen / intraartikulären Injektionen keine

volle Beherrschbarkeit des Infektionsrisikos (OLG Hamm, 20.08.2007, 3 U 274/06)

– Verabreichen unsteriler Infusionoder Verwendung verunreinigten Desinfektionsmittels� Behandlungsseite muss sich hinsichtlich mangelndes Verschuldens exkulpieren (BGH, 03.11.1981, VI ZR 119/80 sowie 09.05.1978, VI ZR 81/77)

Hintergrund § 280 Abs. 1 BGB: Haftung bei Schäden aufgrund Pflichtverletzung aus Behandlungsvertrag. „Das gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.“ (Beweislastregelung)

Beispiele

• Auftreten eines Spritzenabszesses bei Vorliegen gravierende Hygienemängelin der Arztpraxis (keine Hygienepläne, Umfüllen von Desinfektionsmittel, verkeimte Desinfektionsmittel etc.) � Beweislast auf Behandlerseite, dass ein Schaden auch bei Einhaltung der Hygienestandards eingetreten wäre (OLG Koblenz, 22.06.2006, 5 U 1711/05)

• Grundsatz jedoch: „Bei Injektionen begründet eine Infektion keine Vermutung für einen Pflichtenverstoß. Trotz größtmöglicher Beachtung der Sterilitätsregeln und hierzu zu treffenden Vorkehrungen können im Einzelfall dennoch Infektionen eintreten.“ (OLG München, 16.06.1994, 1 U 1585/94)

Beispiele

– Haftung aber, wenn • Keimübertragung sicher hätte verhindert werden

können (OLG Hamm, 16.06.2008, 3 U 148/07)• auf Infektionswelle in einem Krankenhaus nicht

adäquat reagiert worden ist (OLG Oldenburg, 03.12.2002, 5 U 100/00), nämlich

• � z.B. Information Chefärzte, Krisensitzung mit Krankenhaushygieniker

• Reaktion bei Feststellung einer auffallend hohen Infektionsrate erforderlich (OLG Zweibrücken, 27.07.2004, 5 U 15/02)

MRSA• (Mit-)Patienten eines Krankenhauses in einem

Dreibettzimmer können nicht dem (voll zu beherrschenden) Gefahrenkreis des Krankenhausträgers zugerechnet werden (OLG München v. 6.6.2013, 1 U 319/13)

• Eine räumliche Separierung im Sinne einer Umkehrisolierung kommt bei Patienten in Betracht, die hochgradig infektanfällig sind, sei es wegen einer Immunsubpression, einer Brandverletzung oder wegen einer Immunschwächekrankheit (OLG Naumburg v. 12.6.2012, 1 U 119/11)

• Walter MedR 2013, 294, 297: bei MRSA-Screening als Standard Beweislastumkehr denkbar

Grober Behandlungsfehler

„... Ein grober Behandlungsfehler liegt nur dann vor, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf ...“

Grober Behandlungsfehler

§ 630 (5) BGB:Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war.

Grober Behandlungsfehler

– Unterlassen der (chirurgischen)Handdesinfektion oder des Tragens von sterilen Handschuhenbei Kniegelenkspunktion (OLG Düsseldorf, 04.06.1987, 8 U 113/85; OLG Schleswig, VersR 1990, 1121)

– Unterlassen der chirurgischen Sanierung eines aufgetretenen Kniegelenkempyem (Verzögerung um zwei Tage)(OLG Düsseldorf, 15.06.2000, 8 U 99/98)

Grober Behandlungsfehler

– Unterschreiten der Mindesteinwirkzeit des Desinfektionsmittels� Verstoß gegen elementare u. eindeutige Regeln der Injektionstechnik(OLG Stuttgart, 20.07.1989, 14 U 21/88)

– anders aber bei Unterlassung der Desinfektion ggf., wenn Eile geboten � nicht schlechterdings unverständlich(OLG Hamm, 16.09.1991, 3 U 308/90)

– grober Organisationsfehler, wenn Chefärzte nicht vom Krankenhaus über das wiederholte Auftreten von Streptokokken-Infektionen informiert werden (OLG Oldenburg, s.o.)

Grober Behandlungsfehler

• Versehentliches, aber durch Kontrolle des Etiketts leicht vermeidbares Spülen einer offenen Wunde (entzündete weibliche Brust) mit zum Reinigen von Böden und Möbeln vorgesehenem Propanol-haltigen Flächendesinfektionsmittel (OLG Köln v. 27.6.2012 – 5 U 38/10)

• Kontrolle ist geboten, weil „Octenisept“ und „Terralin Liquid“ vom Hersteller in gleichartige Flaschen abgestellt werden

• Terralin Liquid hätte nicht auf einem Wagen mit Verbandsmaterial abgestellt werden dürfen

Patientensicherheit

S1-Leitlinie„Händedesinfektion und Händehygiene“

„9.4.2 Unterlassung der Händedesinfektion

Zu Hygienemängeln existieren zahlreiche Gerichtsentscheidungen. So wurde in sieben Fällen das Unterlassen der hygienischen Händedesinfektion als grober Behandlungsfehler angesehen. Auch das Unterlassen der chirurgischen Händedesinfektion oder die fehlende Benutzung steriler Handschuhe waren als grobe Behandlungsfehler Gegenstand von Entscheidungen im Arzthaftungsrecht. In weiteren Fällen war die fehlende Handschuhbenutzung problematisch. Insgesamt sind Fehler bei der Händehygiene Ursache für zahlreiche Arzthaftungsprozesse (171). ...“

Leitlinien ...... und Standard könnenzusammenfallen: z.B.LG München I, 07.07.2004, 9 O 18834/00

�Aufziehen von Injektionen „en bloc“ am Morgen eines Behandlungstages und anschließende ungekühlte Lagerung unter Verstoß gegen Hygiene-Vorschriften des RKI führt zur Haftung des Arztes für den Eintritt einer Infektion.

�Richtlinie oder Empfehlungscharakter? Gültigkeit auch für Arztpraxen?

Qualitätsmanagement / Arbeitsanweisungen / Delegation nur nach Vergewisserung

Arzthaftung

• Unterlassene Befunderhebung bei klinischen Anzeichen einer Infektion als Behandlungsfehler

• Unterlassung eines Wundabstriches bei ausgeprägter Ostitis des Unterschenkels (BGH, 06.07.1999, VI ZR 290/98)

Dokumentation

• vor jeder Injektion durchgeführte Desinfektion der Haut (OLG Köln, 25.02.1998, 5 U 144/97; OLG Hamburg, 22.02.2002, 1 U 35/00) sind ebensowenig wie auch sonstige Desinfektionsmaßnahmen im Rahmen einer Operation nicht dokumentationspflichtig (OLG Brandenburg, 08.11.2007, 12 U 53/07; OLG Naumburg v. 12.6.2012, 1 U 199/11)

� Aus dem Unterbleiben einer spezifischen Dokumentation kann daher kein Rückschluss auf deren etwaiges Unterbleiben gezogen werden.


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