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März 2012 – Nr · Publizistik in Wien, wo er heute lebt. Er war Lehrbe-auftragter für...

Date post: 19-Aug-2020
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:: Die neuen Preisträger: Michael Stavaric ˇ, Akos Doma und Ilir Ferra :: LesArt.Festival Dortmund März 2012 – Nr. 7 A d e l b e r t - v o n - C h a m i s s o - P r e i s 2 0 1 2 * * *
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:: Die neuen Preisträger: Michael Stavaric,Akos Doma und Ilir Ferra

:: LesArt.Festival Dortmund

März 2012 – Nr. 7

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Liebe Leserinnen und Leser,mit der siebten Ausgabe des »Chamisso« möchten

wir Ihnen mit den aktuellen Förderpreisträgern AkosDoma und Ilir Ferra zwei neue Mitglieder der Chamisso-Familie vorstellen. Die Porträts beider Autoren ladenSie auf eine Reise durch Ungarn und Albanien, nachWien und Eichstätt ein. Ebenfalls nach Wien und instschechische Brünn entführt sie das Porträt unseresneuen Hauptpreisträgers Michael Stavaric, vielen vonIhnen als ehemaliger Förderpreisträger bekannt.Stavaric ist in den letzten Jahren zu einem wichtigenVertreter deutschsprachiger Gegenwartsliteratur ge-worden. Stavaric’ ebenso liebe- wie humorvoll gezeich-netes Porträt seines 2011 verstorbenen Mentors undTrägers der Chamisso-Ehrengabe Jirí Grusa möchte ich Ihnen besonders zur Lektüre empfehlen.

Dass sich Michael Stavaric vom Förder- zum Haupt-preisträger entwickelt hat, bestätigt sein hohes schrift-stellerisches Potenzial und bestärkt uns in dem Vor-haben, die Förderung der Autoren konsequent weiter-zuführen. Die Robert Bosch Stiftung hat den Adelbert-von-Chamisso-Preis vor 27 Jahren ins Leben gerufen,um zu zeigen, dass Literatur eine Brücke zwischen denKulturen schlagen kann. Der Preis, der deutsch schrei-bende Autoren nicht deutscher Muttersprache aus-zeichnet, hat sich seitdem fest unter den bedeutendenLiteraturpreisen des deutschsprachigen Raumes eta-bliert. Wir beschränken unseren Preis bewusst nicht aufPreisgeld und Festveranstaltung, sondern unterstützendie Preisträger kontinuierlich durch Arbeitsstipendien,eine Förderung ihrer Lesungen und von Festivals.

Ein Beispiel ist die Beteiligung von Chamisso-Autoren am LesArt.Festival in Dortmund, das sich alseines der wichtigsten Literaturereignisse etabliert hat.Vor allem Kinder und Jugendliche entwickeln hier lite-rarische Begeisterung – im Ruhrgebiet, wo Fußball undLiteratur kein Widerspruch sind.

Und Sie können nachlesen, was im Deutschen Lite-raturarchiv in Marbach über die Vorgeschichte desPreises zu entdecken ist: wie die ehemals sogenannte»Migrantenliteratur« zu einem selbstverständlichenTeil deutschsprachiger Gegenwartsliteratur wurde.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit der neuenAusgabe des »Chamisso« und hoffe, dass Sie Lust be-kommen auf die Werke unserer Preisträger.

Ihr Olaf Hahn

Verschwimmende Grenzen, unauslotbare TiefenMichael Stavaric und seine immer wieder überraschenden TexteVon Beate Tröger

Mit großem BeharrungsvermögenWie Akos Doma doch noch zu einemSchriftsteller wurde Von Bisera Suljic-Boskailo

»Beim Schreiben die Macht ablegen«Ilir Ferra und sein Debütroman RauchschattenVon Helmut Neundlinger

Adelbert-von-Chamisso-Preisträgerim Deutschen LiteraturarchivEine Recherche in Mappen und Ordnern,Kästen und RegalenVon Irene Ferchl

Beziehungsgeschichte(n)Das LesArt.Festival Dortmund und derAdelbert-von-Chamisso-PreisVon Klauspeter Sachau

ErinnerungenJirí Grusa – Impulse für das Leben, die Politik,Ironie und LiteraturVon Michael Stavaric

Neue Bücher von Adelbert-von-Chamisso-PreisträgernBuchvorstellungen von Klaus Hübner und Lerke von Saalfeld

NeuigkeitenAuszeichnungen, Termine, Neuerscheinungen

Mitarbeiterinnen/MitarbeiterImpressum

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»Zur Welt kommen, von irgendwoher. Angeblichgibt es mehr Sterne als Sandkörner am Meer, aber spä-ter wird man erwachsen, glaubt, alles sei endlich, bises selbst für diese Kenntnis nicht mehr reicht. Ich warbis zu meinem siebten Lebensjahr Kind, später dannnicht mehr.«

Der schmale Band, Nkaah. Experimente am leben-den Objekt, dem das Zitat entnommen ist, erschien imJahr 2008 bei kookbooks. Diese Sammlung von Prosa-miniaturen in sieben Kapiteln zählt zu den bislangwenig zur Kenntnis genommenen Büchern von MichaelStavaric. Als Schutzwesen, Freund, womöglich sogarAlter Ego des Ich-Erzählers begleitet Nkaah mit seinenmythischen und modernen Seiten ihn in seinen Träu-men und auf abenteuerlichen Reisen. Man kann densurreal-lyrischen Band probehalber lesen als poetolo-gischen Schlüsseltext des 1972 im ehemals tschecho-slowakischen Brno geborenen Autors, der 1979 mitseinen Eltern und der jüngeren Schwester zu einer ge-tarnten Ferienreise nach Jugoslawien aufbrach. DieFamilie kehrte nicht nach Brno zurück, wanderte statt-dessen nach Österreich aus. Michael Stavaric wuchs inLaa an der Thaya auf und studierte Bohemistik undPublizistik in Wien, wo er heute lebt. Er war Lehrbe-auftragter für Inline-Skating an der SportuniversitätWien, arbeitete gleichzeitig für die Wiener Botschaftder Tschechischen Republik. Schließlich entschied ersich, unter anderem ermuntert von seinem Mentor Jiri Grusa, ganz für das Schriftstellerdasein. Seitdemschreibt Stavaric in der zweiterworbenen deutschen

Verschwimmende Grenzen,unauslotbare Tiefen

Michael Stavaric und seine immer wieder überraschenden Texte

Von Beate Tröger

Sprache Romane, Kinderbücher und Kritiken undübersetzt aus seiner Muttersprache Tschechisch insDeutsche.

Für den damals Siebenjährigen müssen die Aus-reise und die plötzliche Konfrontation mit einer ihmunbekannten Sprachumgebung einen drastischenBruch bedeutet haben. In der eingangs zitierten Pas-sage von Nkaah heißt es: »Ich war bis zu meinem sieb-ten Lebensjahr Kind, später dann nicht mehr.« Den-noch griffe eine biografische Lesart zu kurz. Nkaah fin-det Worte dafür, wie vielschichtig sich (sprachliche)Fremdheitserfahrungen gestalten, wie der abrupteAbschied von der vertrauten Sprachumgebung und dieKonfrontation mit einem fremden Sprachsystem Ge-fühle von Ortlosigkeit und Alleinsein auslösen können,aber auch – gleich einem Pendelschlag in die Gegen-richtung – die Sehnsucht befördern, sich diese neueSprache anzueignen. Ihr nähert sich der Ich-Erzählermit Pioniergeist, er tut das auch über seine Lektüren,Geschichten und Geschichte. In Nkaah spielen nichtnur fiktive Figuren wie Captain Ahab aus HermanMelvilles Moby Dick eine zentrale Rolle. Auch histo-risch verbürgte Abenteurer wie der Seefahrer Vascoda Gama oder der Astronaut Neil Armstrong stehenPate für die Aufbruch- und Entdeckerstimmung desIch-Erzählers.

Das Erkunden der neuen und die Trauer um diezurückgelassene Sprachumgebung werden beim Lesenvon Nkaah vorstellbarer, auch demjenigen, der niegezwungen war, sich eine andere Sprache anzueignen,

Adelbert-von-Chamisso-Preisträger 2012 :: 5

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weil die vertraute nicht mehr verstanden wird. »VieleMenschen wissen gar nicht, was Fremde überhaupt be-deutet, wie sie sich anfühlt, ob sie irgendwann aufgibt,sich zurückzieht oder anhält ein Leben lang.« Die Im-pulsivität und Zweifel des Entdeckers, der die neueSprache wie einen unerforschten Kontinent sucht, rü-cken näher: »Manchmal will eine Reise getan werden,auch auf die Gefahr hin, nirgendwo anzukommen.«

Als vielfach ausgezeichneter Autor ist MichaelStavaric heute längst in der deutschen Nicht-Mutter-sprache angekommen. Der prüfende Blick auf dasHandwerkszeug, das Ablauschen, Imitieren oder Persi-flieren von Redeweisen, die Lust am Wortspiel bleibenaber Angelpunkte seines Schreibens.

Wie Nkaah umkreist auch Brenntage, Stavaricszuletzt veröffentlichter Roman, narrativ den Abschied,insbesondere den von der Kindheit. Der halbwüchsige

Ich-Erzähler, ein Waisenjunge, der bei Tante undOnkel, nach dem Tod der Tante unter alleiniger Obhutdes Onkels aufwächst, lebt in einer Siedlung, in der dieBewohner schon einmal von Geistern Besuch bekom-men und archaische Rituale pflegen. Regelmäßig wer-den Kuscheltiere und andere unnütz gewordene oderstark mit Affekten belegte Dinge verbrannt. Der Jungebeteiligt sich mit freudigem Eifer an diesen Ritualen,denn er sehnt sich danach, hinüberzuwechseln in diegeheimnisvolle Welt der Erwachsenen, die der unsen-timentale, abenteuernde, mit allen Wassern gewasche-ne Onkel verkörpert. Doch dem Impuls des Jungen,Kindheit und Vergangenheit hinter sich zu lassen, ste-hen Ereignisse gegenüber, die seinen Eifer zügeln.Briefe der toten Mutter tauchen auf und gemahnen ihnan den Ursprung, auch an den seines eigenen Spre-chens. Auf einer imaginierten Zeitachse bewegen sichdie Brenntage in zwei Richtungen: Der Junge will vor-

6 :: Adelbert-von-Chamisso-Preisträger 2012

Michael Stavaric lässt sich von der Atmosphäre im Wiener Café Jelinek inspirieren.

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wärts in der Zeit, erwachsen werden. Doch die Kehr-seite dieses Vorwärtsdrängens, das sich in der zärtlich-rauhen Naseweisheit im Ton des Jungen Bahn bricht,ist die sich andeutende Abschiedsmelancholie. DieKuscheltiere sind im Moment ihres Verbrennens regel-recht beseelt, wenn der Erzähler ihren »vorwurfsvol-len« Blick bemerkt, also womöglich ahnt, dass die eige-ne Geschichte nicht gelöscht werden kann, indem manihre Materialisierungen tilgt.

Geradezu ikonografisch wirkt dieses Abschieds-ritual vor dem Hintergrund einer These des amerikani-schen Psychoanalytikers Donald Winnicott, der dasKuscheltier als Übergangsobjekt definiert, ein vomBaby oder Kleinkind selbst gewähltes Objekt, das denRaum zwischen ihm und der Mutter einnehmen kann.Mit Hilfe des Kuscheltiers kann der Eindruck eines Zu-stands von Ungetrenntsein in Abwesenheit der Mutteraufrecht erhalten werden. Die Zerstörung des Kuschel-tiers in Brenntage zerstört diesen über das Tier her-gestellten Raum, das sichtbare Zeichen einer frühkind-lichen Bindung an die (tote) Mutter.

Auch die Erzählzeit in Brenntage lässt sich als doppelte denken, als erinnerte Vergangenheit der Kind-heit des Ich-Erzählers und als gegenwärtige im Mo-ment des Erzählens. Im Blick zurück kann der Erzählerdie Dinge nur durch den Filter der gewachsenen Er-fahrung wahrnehmen, auch das ist eine Quelle melan-cholischer Regungen.

In Peter Handkes »Lied vom Kindsein«, das in WimWenders’ Film Der Himmel über Berlin eingesprochenwird, heißt es: »Als das Kind Kind war, wusste es nicht,dass es Kind war.« Die Brenntage erzählen auch davon,dass es dem der Kindheit Entwachsenen nur imRausch, im Traum oder in der Kunst – und damit auchim Erzählen – möglich ist, wieder hinter ein erreichtesErfahrungs- und Reflexionsniveau zurückzufallen, denkindlichen Zustand des Aufgehens in der Gegenwart,der Selbstvergessenheit, den Zauber einer erstmals zumachenden Erfahrung wieder zu erleben. Derart hin-

Michael Stavaric :: 7

Arbeitsplatz eines Schriftstellers: Stavaric im Hauptlesesaal

der Universitätsbibliothek Wien

»Als das Kind Kind war, wusste esnicht, dass es Kind war.«

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und hergerissen zwischen dem Wunsch nach Reifungund dem Wunsch nach Bewahren kindlicher Paradiese,verwundert es nicht, dass, nachdem im Wahn desVerbrennens der Vergangenheit von den Bewohnerndie eigene Siedlung abgebrannt worden ist, Brenntagenicht mit einem eindeutig benennbaren letzten Satzschließt. Stattdessen löst sich die ordnende und allesauf den Begriff bringende Sprache des Erzählersschließlich in Kreisen strudelnd in einer Art Urgrundauf und versucht, paradox genug, sich – in der Gefahrleer zu laufen – ihrem Ursprung zu nähern.

Michael Stavarics Schreiben ereignet und ent-wickelt sich zwischen Gegensätzen und Spannungsver-hältnissen, zwischen Rückgriffen auf Erzählmusterund der Abkehr von ihnen, zwischen anarchischerSpontaneität und Reflexion, zwischen einem Verwir-

beln und Ordnen der Worte. Eliza, die brandstiftendeImmobilienmaklerin aus stillborn (2006), Lois, der/dieKrankenpfleger/-in aus Terminifera (2007), der mephi-stophelische, einsame Zoohändler aus dem geschichts-skeptischen Magma (2008) oder der zwischen zweiFrauen regelrecht aufgeriebene Ich-Erzähler aus BöseSpiele (2009) sind Inkorporationen und/oder Spielbälledieser Spannungsverhältnisse. Sie erfahren die Wider-sprüchlichkeiten und Grenzen von Ordnung undZerfall, Konstruktion und Destruktion, Mythos undAufklärung, von Unmittelbarkeit und Reflexion, vonSprechen und Schweigen.

Zudem werden in Stavarics Werken auch histo-rische Dimensionen erahnbar, ohne dass sie direkt be-nannt oder gar detailliert ausgemalt würden. So bleibtin Brenntage offen, um welche Siedlung es sich handelt,warum die Bewohner in einer Randlage leben, auch dieGründe ihrer Armut und die des Reichtums der Nach-barn liegen im Dunkel. Nirgendwo wird erklärt, warumsie mit ihrer Vergangenheit so rigoros aufräumen müs-sen, warum Soldaten durch die angrenzenden Wälderziehen, wer die Rechte an den Minen hält und was dortabgebaut wurde oder wird. Man könnte vermuten, dasshier Besitzverhältnisse herrschen, die in der Mensch-

8 :: Michael Stavaric

Hinein in unausgeleuchtete Bereiche,in denen die Sprache und das Erzähl-bare an Grenzen stoßen

Michael Stavaric auf der Feststiege der Universität Wien

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heitsgeschichte neben der Religion der zweite großeAuslöser für Kriege jedweder Art sind. Doch die Minenbleiben ein geheimnisvoller Ort im mehrfachen Sinndes Wortes: im Sinne des Abbauortes (endlicher)Bodenschätze, auch im Sinne der verborgenen Waffe,die mit unerwarteter Wucht explodiert, und im Sinnedes im Malen und Schreiben sich verbrauchenden Teilseines Stifts. Man wird nicht zu weit gehen, wenn maneinmal probehalber diese drei Bedeutungen des Wor-tes »Mine« aufruft. Denn Stavarics Schreiben sensibili-siert ja für und animiert zu solchen Experimenten –häufig beginnen die Worte semantisch zu schillern. Inden Texten gibt es keine falschen Gewissheiten, oftgenug führen sie ins Offene, nicht selten auf abenteu-erlich dünnes Eis – »In der Geschichte kommt es leichtvom Weg ab, nicht auszudenken«, heißt es in Nkaah –oder hinein in die Untiefen und unausgeleuchtete Be-reiche, in denen in Brenntage die Sprache und das Er-zählbare an Grenzen stoßen. Michael Stavarics Textekönnen überraschen, weil ihr Erzähler sich selbst, wiein Nkaah, immer wieder überraschen lässt: »Ich habemit sieben zu lesen begonnen, in einer Sprache, von derich kaum wusste, dass es sie gab, von der ich dachte,sie könne mir nie viel bedeuten. Alles wurde anders.« ::

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Flügellos. Gedichte. Klosterneuburg:Edition Va Bene, 2000Tagwerk. Landnahme. Ungelenk.Gedichte. Wien: G & R, 2003Europa – eine Litanei. Prosa. Berlin/Idstein: Kookbooks, 2005 (2. erw. Aufl.2010)Stillborn. Roman. St. Pölten/Salzburg:Residenz, 2006Gaggalagu. Kinderbuch (zusammen mitRenate Habinger). Berlin/Idstein:Kookbooks, 2006Terminifera. Roman. St. Pölten/Salzburg:Residenz, 2007Biebu. Mein Bienen und Blümchenbuch.Kinderbuch (zusammen mit RenateHabinger). St. Pölten/Salzburg: Residenz,2008Nkaah. Experimente am lebendenObjekt. Prosa. Berlin/Idstein: Kookbooks,2008Magma. Roman. St. Pölten/Salzburg:Residenz, 2008Böse Spiele. Roman. München: C.H. Beck,2009Brenntage. Roman. München: C.H. Beck,2010Die kleine Sensenfrau. Kinderbuch(zusammen mit Dorothee Schwab). Wien:Luftschacht, 2010Déjà-vu mit Pocahontas. Raritan River,Czernin Verlag Wien, 2010Hier gibt es Löwen. Kinderbuch (zusam-men mit Renate Habinger). St. Pölten/Salzburg: Residenz, 2011Nadelstreif & Tintenzisch. Ein Bestiarium(mit Deborah Sengl). Innsbruck/Wien:Haymon, 2011

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Eichstätt, das barocke Städtchen im bayerischenAltmühltal, ist nicht bekannt für sein ausschweifendesNachtleben. Die letzten Kneipen schließen nach Mitter-nacht, eines nach dem anderen erlöschen die Lichterin den Fenstern. Zwei bleiben hell, wenn längst allesdunkel ist, bis ihr Licht am Morgen vom Licht des an-brechenden Tages verschluckt wird. Dort, im zweitenStock eines schmucklosen Hauses aus dem achtzehn-ten Jahrhundert, arbeitet Akos Doma.

Vier Jahre lang habe ich eine Etage unter ihm ge-wohnt, es war eine Art Schriftstellerhaus in einer Ge-gend, in der es von Schriftstellern nicht gerade wimmelt.Wir lernten uns im großen, wilden, von der Stadtmauereingehegten Garten des Hauses kennen. Er war alsKind aus dem sozialistischen Ungarn, ich viel späteraus dem jugoslawischen Bürgerkrieg gekommen, wirwaren beide Migranten, studierten an der gleichen Uni-versität. Wir schrieben beide Romane, ich in meinerMuttersprache, er in Deutsch, der dritten Sprache, dieer sich hatte aneignen müssen. Wir konstatierten beidetraurig die Unvereinbarkeit von Schreiben und Leben,Schein und Sein. Wir hatten sie beide: den nachsichtigenEhepartner, die drei Söhne und das schlechte Gewissen.

Das nächtliche Schreiben ist für Akos Doma eineFlucht in die Ruhe, die Stille, das offene Ende eines adacta gelegten Tages. Die Flucht, im vielschichtigstenSinn des Wortes, ist ein wiederkehrendes Motiv in sei-nen Romanen, und nicht nur dort. 1971 floh die Fami-

lie mit dem damals Achtjährigen aus Ungarn. Währendandere Heißluftballons bauten, Tunnels unter derGrenze gruben oder reißende Flüsse durchschwammen,um in den Westen zu gelangen, fuhr die Familie Domamit Sack und Pack, sprich: zwei kleinen Kindern undeinem zotteligen ungarischen Puli-Hund in einem VW-Käfer mit beladenem Dachgepäckträger auf gut Glückauf die jugoslawisch-italienische Grenze zu. Im drittenAnlauf habe sie der jugoslawische Grenzbeamteschließlich durchgewunken, aus blankem Mitleid, wieAkos Doma vermutet. Diese idealistische Blauäugigkeitsei für seine Familie immer schon typisch gewesen,erzählt er. Wenn etwas gut ging, dann eigentlich widerjede Wahrscheinlichkeit.

Nicht wirklich gut geht jedoch die Emigration nachEngland, als zu groß erweisen sich die Unterschiede inMentalität und Temperament, auch wenn Akos Domaselbst keine schlechten Erinnerungen an seine Jugenddort hat. 1977 kehrt die Familie auf den Kontinentzurück, in jenes schmerzlich vermisste KulturgebildeMitteleuropa, dem sich Ungarn seit jeher zugehörigfühlen. Es ist bereits der zweite Sprachwechsel imLeben des Vierzehnjährigen. An sich keine Katastro-phe, hätte er sich nur nicht schon als Kind in den Kopfgesetzt, Schriftsteller zu werden. Fragt man ihn heute,wann er zu schreiben begonnen habe, erwidert er,nicht er, es habe begonnen, und dann habe es nichtmehr aufgehört.

10 :: Adelbert-von-Chamisso-Förderpreisträger 2012

Mit großem Beharrungsvermögen

Wie Akos Doma doch noch zu einem Schriftsteller wurde

Von Bisera Suljic-Boskailo

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Ich habe seine alten Manuskripte gesehen, darun-ter mehrere Romane, »Jugendsünden«, nette, unreifeVersuche eines »Spätzünders«, wie er ein wenig bedau-ernd sagt. Nur eines, seine Leidenschaft für den Film,hätte ihn der Literatur abspenstig machen können.Ihm schwebt das Regiefach vor, doch schon nach derersten vergeblichen Bewerbung an der Hochschule fürFernsehen und Film München wird ihm bewusst, dassihm das Talent und die Begeisterung für die technischeSeite des Filmemachens fehlen. Geblieben ist seingeradezu enzyklopädisches Filmwissen, seine Liebe zuden Filmen eines Fellini oder Carné, Truffaut oderRohmer, Ozu oder Kurosawa, zur Nouvelle Vague undCommedia all’italiana, zu den bittersüßen russischenTragikomödien der 70er und 80er Jahre und vielemmehr. Dass man aus Romanen Filme macht, ist mir

geläufig, für Akos Doma dagegen werden Filme zurgrößten Inspiration seines Schreibens, seinen erstenRoman widmet er seinem Lieblingsfilm Die Mama unddie Hure.

Woher rührt diese Leidenschaft für Filme? Er er-zählt mir, dass sie in Ungarn zu viert in einer 16-Qua-dratmeter-Wohnung gelebt und er im Bett liegend dieFilme, die seine Eltern abends schauten, heimlich mit-gesehen habe. Erst direkt, dann, nachdem man dieCouch vor das Bett gezogen habe, durch einen Spiegelan der Wand, bis auch das entdeckt und der Spiegel miteinem Tuch verhängt wurde. Seine Filmleidenschafthabe schon damals obsessive Züge angenommen, erhabe sogar durchgesetzt, sonntags früher aus derKirche im Budapester Stadtteil Városmajor heimlaufenzu dürfen, um ja keine Episode von Belle und Sebastienzu verpassen. In England verschlingt er alle englischenund amerikanischen Filme, aber erst während seinesStudiums in München entdeckt er das große europäi-sche Kino, begreift die Bedeutung des Wortes Film-kunst.

Akos Doma fühlt sich der existentiellen Literatur nahe, den Werken von Dostojewski, Tolstoi, Kafka

Schon als Kind hat er geradezu obsessiv Filme angeschaut

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Nach dem fehlgeschlagenen Versuch, zum Film zugehen, studiert Akos Doma Anglistik, Amerikanistikund Germanistik in München, Fairfield/Connecticutund an der Katholischen Universität Eichstätt. Wäh-rend seine Kommilitonen unter der Menge der Pflicht-lektüren stöhnen, stellt er fest, dass er vieles davonschon in seiner Jugend gelesen hat. Er hat Zeit für ande-re Entdeckungen: begegnet dem Werk Knut Hamsuns.Von ihm habe er am meisten über das Schreiben ge-lernt, über den subtilen, impliziten Erzählstil und überdie menschliche Psyche. Überhaupt fühlt sich AkosDoma der existentiellen Literatur nah: Dostojewskiund Tolstoi, Thomas Hardy und D. H. Lawrence, Kafkaund Kundera, Melvilles Moby Dick und Emily BrontësSturmhöhe. Die lange Form, den Roman, bevorzugt erauch in seinem eigenen Schreiben. Nur darin könneman das Ganze, die innere Entwicklung der Charaktere,die sie erst interessant macht, zum Ausdruck bringen.

12 :: Akos Doma

Dennoch würde es ihn reizen, ein Theaterstück oderDrehbuch zu schreiben. Und die deutsche Literatur? Erbewundert Stifters monolithischen Nachsommer, einenLiebesroman, der es schaffe, 800 Seiten lang keineneinzigen Funken Emotion an die Oberfläche drängenzu lassen, Thomas Manns Zauberberg, Fontanes EffiBriest, Kafkas Erzählung Der Bau, die die Paranoiaunserer Zeit in genialer Weise vorwegnähme, den spä-ten Hölderlin, Nietzsche und die ganze Romantik »mitHaut und Haar«.

In den 90er Jahren unterrichtet Akos Doma eng-lische und amerikanische Literatur in Eichstätt, ohnedass der Drang zu schreiben je nachlässt. Zum Über-setzen kommt er eher zufällig. Er erzählt, wie er mitdem Manuskript seines ersten Romans auf Buchmes-sen und zu Verlagen gegangen sei, doch statt es loszu-werden, immer ein neues hinzubekommen habe. DieAutoren, die er in den folgenden Jahren übersetzt,

Die Leidenschaft für das Kino hat sich Akos Doma bewahrt

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gehören zu den anspruchsvollsten, die die ungarischeLiteratur des 20. Jahrhunderts zu bieten hat: SándorMárai und Péter Nádas, László F. Földényi und den gro-ßen, lange verfemten Universaldenker Béla Hamvas.Er sehne sich manchmal nach einer ungarischenRosamunde Pilcher oder dergleichen, stöhnt er, nacheinem Text, den man im Handumdrehen übersetzenkönne. In Wahrheit ist er stolz auf seine Übersetzungen,für die er zahlreiche Stipendien des Deutschen Über-setzerfonds und der Kunststiftung NRW bekommenhat. Das habe ihm überhaupt erst ermöglicht weiterzu-machen, bekundet er, und die Dankbarkeit in seinerStimme ist nicht zu überhören.

2001 erscheint nach mehrjähriger Arbeit und meh-reren Fassungen sein erster Roman Der Müßiggänger.Beatrix Langner zeigt sich in ihrer Rezension in derNeuen Zürcher Zeitung beeindruckt: »… ein romanti-sches Requiem auf die Freiheitsträume des ehemaligenOstblocks, ein Vademecum gegen den falschen Ge-brauch der Freiheit«. In den beiden anfangs befreun-deten Hauptfiguren, dem nihilistischen und unver-bindlichen Ich-Erzähler und Zoltán, dem pathetischen,hitzköpfigen Immigranten aus Ungarn, prallen diegegensätzlichen Welten des Westens und Ostens auf-einander. Seinen am Rande der Gesellschaft stehenden

Deserteuren des globalen Dorfes bleibt Akos Domaauch im zweiten Roman Die allgemeine Tauglichkeittreu. Hier sind es vier Freunde, gestrandete Existen-zen, deren karges, aber freies Leben durch die Ankunfteines charismatischen Fremden auf den Kopf oder, jenach Betrachtungsweise, auf die Beine gestellt wird.Die allgemeine Tauglichkeit ist ein (Anti-)Bildungs-roman, ein moderner Schelmenroman, eine zauberhaf-te »Münchhauseniade unter den Bedingungen vonHartz IV«, wie Jan Röhnert im Tagesspiegel schreibt.Nach dem melancholischen Erstling wirkt es wie eineskurrile, doppelbödige Komödie. Unverändert geblie-ben ist die Erzählhaltung: Akos Doma ergreift nichtPartei, er lotet aus, wiegt Gewinn und Verlust gegen-einander auf: Es ist die alte, ewig junge Suche nachdem richtigen Leben in einem, das partout nicht richtigsein will. Am Ende erwartet die vier Außenseiter ein»unsicheres Happy End«. Sie sind angekommen, dochwie es von dort weitergehen soll, wissen sie nicht. Den»Preis der unabhängigen Verlage« hat Die allgemeineTauglichkeit knapp verpasst, die damit einhergehendeLeserabstimmung im Internet aber gewonnen.

Auf einem zerschlissenen Blatt, das er mir vor Jah-ren einmal gezeigt hat, stand unter der Überschrift»Me« in kindlicher Schrift: »My name is Akos Doma andI am twelve years old. My greatest hobby is readingand writing about what I like. I hope to become a wri-ter when I grow up.«

Nicht beharrlich zu sein, das zumindest kann manihm nicht vorwerfen. ::

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Der Müßiggänger. Roman. Berlin:Rotbuch, 2001Die allgemeine Tauglichkeit. Roman.Berlin: Rotbuch, 2011

Akos Doma ergreift nicht Partei, er lotet aus …

»Es muss auch solche wie uns geben, denn gäbe es keine Verlierer, hätten die Sieger

niemanden zu besiegen.« aus: Die allgemeine Tauglichkeit

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»Die Plattform ist ein gähnendes Nichts ohne Boden.Und wenn doch einer da ist, dann ist er nicht wirklich.Dem, das hier ist, heißt es, sei nicht zu trauen. Es täu-sche, heißt es. Genau hier bin ich.« Mit diesen Sätzenhebt der Debüt-Roman Rauchschatten von Ilir Ferra an.

Schauplatz des Textes ist die albanische Küsten-stadt Durrës, der Geburtsort von Ferra. 1974 wird erdort in eine Welt hineingeboren, in der er sich schonfrüh über alltägliche Bodenlosigkeiten hinwegzubewe-gen lernte. Zuweilen wird behauptet, Albanien sei zurZeit des Kalten Kriegs der verschlossenste Winkel desKontinents gewesen. Der stalinistische Diktator EnverHoxha (1908 –1985) verplombte das Land in seiner 41Jahre währenden Herrschaft nicht nur gegen den gol-denen Westen, sondern isolierte es auch innerhalb deskommunistischen Blocks. Nach der Abkehr vom Stali-nismus in der Sowjetunion verbündet er sich zunächstmit China gegen die Doktrin des Warschauer Paktes.Spätestens nach dem Bruch mit China in den frühen1970er Jahren driftete Albanien in die völlige politi-sche Abschottung. Einziger Draht zur Außenwelt wardas italienische Fernsehen, das man in Albanien illegalempfangen konnte. »Ich habe Italienisch praktischüber das Fernsehen gelernt«, erzählt Ferra, für den vorallem die bunten Zeichentrickbilder des Kinderfern-sehens den Zugang zu einem ansonsten verschlosse-nen Paradies darstellten.

»Als Kind konnte ich das Leben – ohne wirklichespolitisches Bewusstsein – genießen, mit allem, was

14 :: Adelbert-von-Chamisso-Förderpreisträger 2012

dazugehört: unglücklich verliebt sein, mit Freundenstreiten, aber auch viel unternehmen«, sagt Ferra. »Daseinzige, wo ich die Machtlosigkeit gespürt habe, wardie Schule.« Sein Vater, ein Ingenieur der Elektrotech-nik, arbeitete in einer Fabrik für Fernseher und Radios,seine Mutter in einer Traktorenfabrik. Die Familiegenoss gewisse Freiräume gegenüber der allgegenwär-tigen kommunistischen Partei – nicht zuletzt, weil derVater gut mit einem Sohn des Premierministers undzweiten Mannes hinter Enver Hoxha, Mehmet Shehu,befreundet war. Wie rasch unter dem scheinbar siche-ren Boden ein »gähnendes Nichts« auftauchen konnte,erlebten die Ferras im Dezember 1981. NachdemShehu bereits seit Monaten aufgrund der Verlobungeines seiner Söhne mit einer jungen Frau aus einerpolitisch »unstatthaften« Familie unter großem Druckstand, fand man ihn eines Morgens erschossen in sei-nem Bett. Die genaueren Umstände des Todes sind bisheute ungeklärt. Shehu wurde nach seinem Tod be-zichtigt, ein Komplott gegen Enver Hoxha geschmiedetzu haben. Die Familie des toten Premierministerswurde interniert, der Freund von Ilir Ferras Vaterbeging in der Haft Selbstmord.

Auch wenn Ferras Familie keinen direkten Repres-sionen ausgesetzt war, drang der Tod des Premier-ministers als stille Erschütterung in ihren Alltag ein.Eine ebenso ungreifbare wie unleugbare atmosphäri-sche Veränderung, von der Ferra in Rauchschattenerzählt. »Lange habe ich Shehus Tod als unantastbareGeschichte betrachtet, obwohl sie in Albanien einige

»Beim Schreiben die Macht ablegen«

Ilir Ferra und sein Debütroman Rauchschatten

Von Helmut Neundlinger

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Zeit inflationär behandelt wurde«, erzählt Ferra. »Ichdachte: Wie kann man über etwas schreiben, wennman nicht die Wahrheit kennt?« Als befreiend erlebtFerra die Lektüre des Romans Der Nachfolger des 1936geborenen albanischen Schriftstellers Ismail Kadareaus dem Jahr 2004. »Kadare ließ mich meine Haltungetwas lockern«, sagt Ferra über den Roman, der dieEreignisse des Dezember 1981 in eine Parabel überMacht, Angst, Verrat und Verlust verwandelt.

Der endgültige Zusammenbruch des albanischenKommunismus im Jahr 1990 führte zu einem Massen-exodus, dem sich auch Ferras Familie anschloss.»Wenn wir in Durrës am Strand gesessen sind, habenwir uns gedacht: Auf der anderen Seite ist es ganzanders, ohne eine genaue Vorstellung davon zu haben«,erzählt Ferra. Die Erwartungen waren geprägt von der

Sehnsucht nach Wohlstand und Freiheit – den schönenVersprechungen des Westens. Nach kurzem Aufenthaltin Budapest erhielt die Familie schließlich Flüchtlings-visa zur Einreise nach Österreich. »Der Konsul inBudapest hat meinem Vater Vorwürfe gemacht, wie erseiner Heimat in einer so heiklen Situation den Rückenkehren könne«, berichtet Ferra. Zum latenten Gefühldes Verrates gesellen sich bald Erfahrungen des Aus-geschlossenseins in der neuen Heimat. Ferra erlebt dieerste Zeit in einer Flüchtlingspension als Isolation.

Einen Zugang zur neuen Welt erhält Ferra in derSchule durch seinen Deutschlehrer. »Er war der einzi-ge, der mir auf Augenhöhe begegnete«, erzählt Ferra.Über den Lehrer entdeckt er das Lesen und Schreiben:»Mein erstes Referat hielt ich über Grillparzers Derarme Spielmann«, erinnert sich Ferra. Bald daraufdringt er ins Universum des russischen SchriftstellersFjodor Dostojewski ein: »Ich las alles von ihm. Späterfuhr ich sogar einmal nach Moskau und wollte unbe-dingt sein Haus sehen. Als ich davor stand, kam eineFrau auf mich zu und entschuldigte sich, dass die Räum-lichkeiten aufgrund von Renovierungen geschlossen

»Die Plattform ist ein

gähnendes Nichts

ohne Boden. Und

wenn doch einer da

ist, dann ist er nicht

wirklich. Dem, das

hier ist, heißt es, sei

nicht zu trauen. Es

täusche, heißt es.

Genau hier bin ich.«

aus: Rauchschatten

Proust und Dostojewski gehörten zuseinen prägendsten Lektüren

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seien. Ich war gar nicht böse, denn diese Frau kam mirselber wie eine Figur von Dostojewski vor.«

Noch zu Schulzeiten beginnt Ferra zu schreiben –auf Englisch zunächst, irgendwann auch auf Deutsch.»Ich möchte in der Sprache schreiben, mit der ich imAlltag zu tun habe, und für die Leute, mit denen ichlebe«, begründet Ferra seine Entscheidung. Sehr frühund unvermittelt taucht das Wort Rauchschatten in sei-nem Kopf auf und wird ihn über fünfzehn Jahre alsChiffre für das Projekt des eigenen Schreibens beglei-ten, fordern, in Euphorie versetzen und in Verzweif-lung stürzen. »Ich weiß nicht mehr, wann ich begonnenhabe, an diesem Text zu arbeiten«, gesteht Ferra. Nichtzuletzt dadurch wird deutlich, warum er Rauchschatteneinen »Entwicklungsroman« nennt, obwohl die erzähl-te Zeit der Geschichte sich auf einige Wochen im Lebeneiner Familie aus Durrës beschränkt. Im Prozess desSchreibens spiegelt sich auch das Wachsen und Wer-den des Autors wider. Es ist wohl kaum ein Zufall, dassFerra ausgerechnet das literarische JahrhundertwerkMarcel Prousts, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit,neben Dostojewski als eine seiner prägendsten Lek-türen nennt. »Anfangs konnte ich mit Prousts Stilwenig anfangen«, erzählt Ferra. Das änderte sich, als erwährend seines Studiums beim Schwarzarbeiten amWürstelstand erwischt wurde – ein Umstand, der dendamals noch albanischen Staatsbürger sein Studenten-visum kostete. »Ich war gezwungen, für einige Monateunterzutauchen, und lebte im Haus eines Bekannten inder Nähe von Wien. Dort hatte ich Zeit für die verloreneZeit«. Währenddessen bemühte sich ein Anwalt um dieWiedererlangung des Visums – unter anderem mit derBegründung, man könne Ferras vorbildlichen Integra-tionswillen daran ermessen, dass er sogar auf DeutschGedichte verfasse.

Nach drei Jahren erhält Ferra wieder einen lega-len Aufenthaltsstatus und im Jahr 2001 endgültig dieösterreichische Staatsbürgerschaft. 2004 schließt ersein Dolmetscher- und Übersetzer-Studium mit einerArbeit über den Roman Conversazione in Sicilia des ita-lienischen Autors Elio Vittorini ab. Vittorini und dersüdafrikanische Literaturnobelpreisträger J.M. Coetzeebezeichnet Ilir Ferra als seine größten Vorbilder für

16 :: Ilir Ferra

Die Fähigkeit, sich ganz auf eineSituation einzulassen

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die konkrete Ästhetik des Schreibens. Denn beideschreiben »sehr einfach und trotzdem getragen vomganzen Bewusstsein der Schwierigkeit zu existieren.Ich denke, dass ein Tier so schreiben würde, wenn esschreiben könnte. Der magische Moment des Schrei-bens besteht für mich nicht in einem Durchdringen,

::

::

Halber Atem. Erzählung. Wien: Edition Exil, 2008Rauchschatten. Roman. Wien: Edition Atelier, 2010

sondern in einem gleich-sam animalischen Dasein,

in dem ich die Macht, nachder es den Menschen immer

verlangt, von mir ablege. Das heißt für mich, sich beim

Schreiben ganz auf eine Situa-tion einzulassen.«

Die Fähigkeit, sich ganz auf eine Situation einzulassen,entwickelte Ferra nicht zu-

letzt in seiner Arbeit als Dol-metscher. Auch dabei erfüllte ihn der An-

spruch, »gleichsam aus dem Mund des anderen zusprechen«, wie er es formuliert. Dass sein literarischesSchreiben mittlerweile in einem größeren Ausmaßwahrgenommen wird, verdankt Ferra unter anderemeiner Würdigung seiner Arbeit im Rahmen des WienerLiteraturpreises »Schreiben zwischen den Kulturen«im Jahr 2008. Dieser explizit für Autorinnen undAutoren mit nichtdeutscher Muttersprache vergebenePreis gilt als Sprungbrett und Talentschmiede: DimitréDinev, Julya Rabinowich oder eben Ilir Ferra traten imRahmen der Preis-Lesungen zum ersten Mal ins Lichtder literarischen Öffentlichkeit.

»Auch wenn die Zeiten längst vergangen zu seinscheinen, sind die Spuren des Systems, das die Men-schen so sehr geprägt hat, heute immer noch sichtbar,und nicht nur in Albanien – der Opportunismus derLebenssicherung«, schreibt der rumänischstämmige,in der Schweiz lebende Autor Catalin Dorian Florescuüber Ilir Ferras Rauchschatten. Aus westeuropäischerSicht lässt sich dem hinzufügen, dass sich die Neigungzum existenzsichernden Opportunismus nicht auf dieNachfolgestaaten Osteuropas beschränkt. Insofernwird es auch in Gegenwart und Zukunft genug Stoff fürden Autor Ilir Ferra geben. »Im Kommunismus wurdeder Mensch bestraft – hier bestraft er sich selbst, inForm der ihn ständig begleitenden Angst vor dem Ver-lust der Arbeit«, formuliert Ferra. »Diese Angst hinderteinen nicht zuletzt an der Arbeit, die zur reinen Pflichtwird, so wie es im Kommunismus die Pflicht gab, sichkonformistisch zu verhalten.« ::

Die Notizbücher sind seine ständigen Begleiter …

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»Chamisso-Preis-Sammlung« steht auf gedrucktenSchildern an den Bibliotheksregalen und auf den übervierzig grünen Archivkästen, »Chamisso« liest manmindestens in blasser Bleistiftschrift auf den Leitz-Ordnern: »Chamisso« scheint auch im Deutschen Lite-raturarchiv (DLA) in Marbach das Schlüsselwort für alldas zu sein, was früher Ausländerliteratur oderMigrantenliteratur hieß und heute als interkulturelleLiteratur bezeichnet wird.

Dabei hat ein großer Teil dieser Sammlung mit demseit 1985 verliehenen Adelbert-von-Chamisso-Preisder Robert Bosch Stiftung strenggenommen nur indi-rekt zu tun, denn sie beinhaltet dessen Vorgeschichte,als von dem französischen Dichter deutscher Sprache,dem Naturwissenschaftler und Verfasser des PeterSchlemihl als Namensgeber noch nicht die Rede war.

Zur Erinnerung: Ende der 1970er Jahre, in seinerZeit als Ordinarius für Romanistik und Deutsch alsFremdsprache an der Universität München, hat HaraldWeinrich zusammen mit der Literaturwissenschaft-lerin Irmgard Ackermann die Rezeption der deutsch-sprachigen Migrantenliteratur eingeleitet. Zunächstwurden literarische Preisausschreiben zu den Themen»Deutschland, fremdes Land« (1979), »Als Fremder inDeutschland« (1981), »In zwei Sprachen leben« (1983)und »Über Grenzen« (1985) veranstaltet, an denen sichAbsolventen des Studiengangs Deutsch als Fremd-sprache beteiligen konnten. 1983 veröffentlichteWeinrich im Merkur einen bahnbrechenden Aufsatz

unter dem Titel »Um eine deutsche Literatur vonaußen bittend«, im Jahr darauf trat er an die RobertBosch Stiftung mit der Idee heran, einen Preis fürdeutschsprachige Literatur zu stiften, der an Autorenanderer kultureller Herkunft und Muttersprache ver-geben werden sollte. Schon 1985 wurde dann derAdelbert-von-Chamisso-Preis von der Bosch Stiftunggefördert und, betreut vom Institut für Deutsch alsFremdsprache und von der Bayerischen Akademie derSchönen Künste unter seinem Präsidenten HeinzFriedrich (zugleich Leiter des Deutschen TaschenbuchVerlags), aus der Taufe gehoben. Aras Ören war dererste Preisträger, Rafik Schami erhielt den Förder-preis.

Nachdem sie in den Ruhestand gegangen war, hatIrmgard Ackermann ihre sorgsam aufgebaute Samm-lung von Büchern und Dokumenten 1998 nach Marbachgegeben. Dank Stiftungsmitteln konnte sie 2003 kata-logisiert werden und ist heute als »Sammlung Acker-mann/Robert Bosch Stiftung« benutzbar. Und sie wirdeifrig genutzt, wie Jutta Bendt, Leiterin der Bibliotheks-abteilung im Deutschen Literaturarchiv, weiß: etwadreißig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerhaben sich in den letzten zehn, zwölf Jahren während

18 :: Zu Adelbert von Chamisso

Adelbert-von-Chamisso-Preisträger im Deutschen Literaturarchiv

Von Irene Ferchl

Eine Recherche in Mappen und Ordnern, Kästen und Regalen

Zehn Regalbretter enthalten 967 Titelvon Chamisso-Autoren

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Irene Ferchl :: 19

längerer Studienaufenthalte mit dem Thema beschäf-tigt. Vielleicht hatten einige (wie die Berichterstatterin)das Vergnügen, in die Katakomben hinuntergeführt zuwerden und diese Sammlung als Ganzes persönlich inAugenschein nehmen zu können. Inmitten von übereinhundertfünfzig solcher Spezialsammlungen mit ins-gesamt über 325 000 Büchern, im Alphabet zwischenPaul Celan und Hans Curjel, einem Autor, Regisseurund Kunsthistoriker (welch ein Zufall: drei Emigrantenbeieinander), ist die »Chamisso-Preis-Sammlung« ineinem jener nüchternen, metallenen Kompaktregalegeschlossen aufgestellt. Will heißen: Zehn Regalbretterenthalten 967 Titel im Autorenalphabet von CarmineAbate bis Feridun Zaimoglu. Man findet bibliophileBücher und einfache Broschuren, darunter als frühes-tes Werk Adel Karasholis Gedichte Wie Seide ausDamaskus, 1968 bei Volk und Welt in Ost-Berlin er-schienen. Aber eben keineswegs nur Werke von späte-ren Chamisso-Preisträgern, sondern Bücher von

zahlreichen Autorinnen und Autoren fremder Her-kunft: dazu zählen der italienisch-albanische AutorAbate wie der polnische Satiriker Gabriel Laub oder der türkische Kabarettist Sinasi Dikmen.

Daneben finden sich Zeitschriften, Magisterarbei-ten, Dokumentationen (wie die seit 1998 sechsmal her-ausgegebenen Kataloge der Chamisso-PreisträgerViele Kulturen – Eine Sprache) und einige Anthologien,darunter die beiden dtv-Bändchen mit den Ergebnis-sen der Preisausschreiben, den »Berichten, Gedichten,Erzählungen von Ausländern«: Als Fremder in Deutsch-land (1982) und In zwei Sprachen leben (1984), dieIrmgard Ackermann herausgegeben und HaraldWeinrich mit Vorworten eingeleitet hat.

Wer sich für die Bücher der Chamisso-Preisträgerinteressiert, wird sie sich aus dem »normalen« Marba-cher Autorenarchiv in den Lesesaal bestellen, wer sichhingegen intensiver mit dem Preis und seiner Geschichte

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20 :: Zu Adelbert von Chamisso

beschäftigen möchte, kann sich dreierlei sogenannteMediendokumentationen in den Handschriftenlese-saal kommen lassen: acht Kästen mit Pressemappen zuden Preisverleihungen von 1985 bis 2003, mit Pro-grammen, Redemanuskripten, Zeitungsausschnittenoder DAT-Kassetten mit Veranstaltungsmitschitten ausderselben Zeit (»es fehlt 1993« ist penibel notiert),oder einen Berg mit drei Dutzend Kästen und Ordnernin unterschiedlichem Ordnungsgrad – hier wartet fürjemanden eine interessante Aufgabe! Denn in ihnenbefindet sich alles Material zu den Preisausschreiben:von den Pressemitteilungen zur Bekanntgabe in denMedien, Korrespondenzen, Namenslisten der Teilneh-mer, Typoskripte der anonymisierten Einsendungen(mit charakteristischen Kennworten wie »Die Heim-fahrt«, »Freiheit«, »Mariposa« oder »Fernschreiben«),dann den Auswahltexten für die Anthologien, dieKapiteleinteilungen, die Verlagsverträge (das Seiten-honorar betrug fünf Mark), die Kurzviten der Autorenbis hin zur Planung der Buchvorstellung und denReaktionen auf die dtv-Bände.

Sich hier einige Stunden und Tage einzulesen, istein großes Vergnügen für diejenigen, die sich an denDetails solcher Recherche erfreuen können: dass dieZahl der Einsendungen sich vom 2. zum 3. Preisaus-schreiben auf 340 verdoppelt hat, dass dabei bereitszwei frühe Chamisso-Preisträger, Franco Biondi undGino Chiellino, vertreten waren, dass man 1982 fürKinder und Jugendliche extra Juniorpreise vergebenhat oder die Menge türkischer Einsendungen derartgroß war, dass über einen Extra-Band nachgedachtwurde.

Der Forschung sind also Tür und Tor geöffnet, res-pektive Kästen und Ordner. Und es kommt natürlichimmer wieder Neues dazu, zwar nicht in die Spezial-sammlung »Chamisso-Preis«, aber darum herum: RafikSchami beispielsweise liefert schon seinen sogenann-ten Vorlass nach Marbach. Und alles kann man dankInternet heutzutage bequem vom Schreibtisch aus inden Beständen des DLA bibliografieren, unterwww.dla-marbach.de ::

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LesArt.Festival 2011 :: 21

Dortmund

Die Stadt Dortmund hat eine lange Tradition derWertschätzung von Literatur und Literaten in der Stadt-gesellschaft. Ein frühes Beispiel war die »Gruppe 61«,die 1961 vom damaligen Leiter der Stadt- und Landes-bibliothek initiiert und gefördert wurde und die sichschreibend mit der Arbeitswelt beschäftigte. Dies setz-te sich 1985 fort in dem Zusammenschluss von Litera-ten und Literaturinteressierten in der »Sektion Litera-tur im Dortmunder Kulturrat«, der 1989 zur Gründungdes »Vereins für Literatur« führte. Er wurde als kompe-tenter Partner des Kulturbüros der Stadt und der Stadt-und Landesbibliothek zum gleichberechtigten Mitge-stalter des literarischen Lebens der Stadt. Unter ande-rem realisieren diese drei Partner seit dem Jahr 2000das jährliche »LesArt.Festival Dortmund«.

LesArt.

Das Wort und die Schreibweise waren Programm:Das Festival sollte die vielfältigen Lesarten von Litera-tur auf die Bühne bringen, die Bedeutung des gelese-nen, klingenden Worts der Autorinnen und Autorenbetonen, die Literatur als Kunstform gleichwertig mitden anderen Künsten und im Austausch mit ihnen dar-stellen und nicht zuletzt Literatur da entdecken, wo sienicht immer vermutet wird.

Wir freuen uns darüber, dass manche Fans denFestivalnamen französisch aussprechen, als stünde da»Les Arts« (»Die Künste«), und machen stolz einenPunkt hinter LesArt.

LesArt. im Ruhrgebiet

Das Festival findet jedes Jahr im November statt. Esbereichert das Angebot literarischer Veranstaltungender Stadt und tritt nicht in Konkurrenz zu den auf denaktuellen Buch- und Literaturvermittlungsmarkt aus-gerichteten lokalen Veranstaltern. Als einziges regel-mäßig im Jahresrhythmus stattfindendes Literatur-Festival im Ruhrgebiet ist LesArt. auch immer um Syn-ergien mit benachbarten Veranstaltern bemüht.

LesArt. ist ein Festival in einer im Strukturwandelbegriffenen Stadt. Literatur stellt diesen Wandel nichtnur dar, sie gestaltet ihn mit.

LesArt. für Kinder und Jugendliche

Das Festival bemüht sich besonders um die heran-wachsende Generation. Für die ganz Kleinen gibt esdas »KindergartenBuchTheaterFestival«, auf das sichfünfzehn Kindergartengruppen einVierteljahr vorbe-reiten: sie setzen ein Buch in ein kurzes Theaterstück

Beziehungsgeschichte(n)

Das LesArt.Festival Dortmund und derAdelbert-von-Chamisso-Preis

Von Klauspeter Sachau

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um, üben es ein, entwerfen und schneidern die Kostü-me, basteln das Bühnenbild und führen die fünfzehnStücke an fünf Tagen auf der Bühne des bekanntestenDortmunder Off-Theaters auf.

Für die Älteren werden in Zusammenarbeit mitjugendstil, dem kinder- und jugendliteraturzentrumnrw und dem soziokulturellen Zentrum in der Dort-munder Nordstadt Poetry-Workshops veranstaltet.

Ganz in der Verantwortung von Studierenden derTechnischen Universität Dortmund, Abteilung Kultur-wissenschaften, die im LesArt.Festival ihr bescheinig-tes Praktikum machen, liegt der »abend der heldenvon hier«: Sie stellen ein literarisch-performerischesProgramm zusammen, das das ganze junge Spektrumder Stadt abbildet – und die Augen für den »nachwach-senden« Reichtum der Stadt öffnet.

Außerdem wird am großen Publikumsabend desFestivals der LesArt.Preis der jungen Literatur anjunge Dortmunder Autorinnen und Autoren verliehenund bringt den Nachwuchs (mit Erfolg) in das Blickfeldder städtischen Öffentlichkeit.

LesArt. und Chamisso – eine Liebesbeziehung

Nirgendwo ist eine solche Vielfalt literarischerStimmen, Formen, Sprachen und Gesichter vereinigt

wie in der großen »Familie« der Adelbert-von-Chamisso-Preisträger. Es ist ein unglaublicher Glücks-fall, dass wir Veranstalter diese Erfahrung gleich beider ersten Begegnung machen durften, bei denChamisso-Tagen an der Ruhr 2007, einem einzigarti-gen literarischen Feuerwerk.

Seitdem ist die Beziehung, ganz im Sinne unsererIntention, zu einer steten Bereicherung des LesArt.-Festivals geworden.

Die Schul- und Schreibwerkstätten

Über Jahre hinweg können dank der Robert BoschStiftung an zwei Schulen der Dortmunder Nordstadt inZusammenarbeit mit engagierten Lehrerinnen und mitpassionierter Unterstützung der SchulleitungenSchreibwerkstätten angeboten werden. Zehra Çırakleitet sie an der Gertrud-Bäumer-Realschule, SudabehMohafez und José F.A. Oliver am Helmholtz-Gymnasium.2011 hat außerdem Selim Özdogan seine Erfahrungenan der Anne-Frank-Gesamtschule weitergegeben undgemacht. Die Kontinuität ist wichtig und zeigt ihremotivierende Wirkung. José F.A. Oliver wurde jüngstvon einem Schüler begrüßt: »Sie sind Herr Oliver – meinBruder hat bei Ihnen vor zwei Jahren Unterricht gehabt.Ich freu mich, dass Sie diesmal mit uns arbeiten …«.

22 :: Klauspeter Sachau

Streetdance, KindergartenBuchTheater, Lesebühne –

das LesArt.Festival ist jung

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LesArt.Festival 2011 :: 23

Leya Zekpo, Egzona Aliu und Derya Kocdag aus Zehra Çıraks

Schreibwerkstatt stehen mit ihren Texten auf der Bühne

Zehra Çırak begrüßt das Publikum im Studio B der Stadt- und

Landesbibliothek

Auch Gowsik Uthayakumar und Laxilan Sathiaseelan

begeistern das Publikum

In der Werkstatt von Zehra Çırak in einer fünftenKlasse entstanden zuletzt unter vielen anderen diesebeiden Texte:

Salim Boukhrissi

Geld ist nicht alles

Familie, Cousins, Cousinen, Freunde sind vielwichtiger als Geld.

Geld ist wichtig für Lebensmittel. Für Geld würden sich sogar manche Menschen gegenseitigumbringen. Aber ich nicht, ich würde das Geld liegenlassen. Und die Liebe ist wichtiger als Geld. Würdemich jemand fragen »Was ist dir wichtiger, deineFamilie und Liebe oder Geld?« Ich würde ihm sofort in Gesicht sagen »Ganz klar, mir ist die Familie unddie Liebe tausendmal wichtiger!« Und er würde dannzu mir sagen »Gut Salim, es ist echt gut, dass du sodenkst«.

Rasha El Karsifi

GedichtAm liebsten würde ich …

Im Boden versinken, einen Laptop habenErwachsen sein, viel Geld besitzenFrei sein und über die Berge fliegenschwimmen im Meer und Bungie JumpenAm liebsten würde ichCampen mit Leyla, Edagül und Ilknurso schnell wie möglich 18 seinmeinen Führerschein machenalleine Zuhause Wohnenmit Edagül, Ilknur und Nejlameine Freunde für immer habenAm liebsten würde ichfür immer glücklich sein

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Bei der Beobachtung der Schreibwerkstatt vonSelim Özdogan kam der Lokalreporter der Westfäli-schen Rundschau zu der Erkenntnis: »Spaß an Sprachekann harte Arbeit sein«.

Diese Erfahrungen können Schüler nur in Schreib-werkstätten machen. Die besondere Fähigkeit vonAutorinnen und Autoren, die mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet wurden, ist ihre Sensi-bilität und Neugier für Erfahrungen und Äußerungen,die aus einem anderen kulturellen Lebenshintergrundkommen. Dadurch können sie diese – vielleicht sogarzum ersten Mal – in das Bewusstsein der Schüler brin-gen, ihnen ein neues Selbstbewusstsein geben undihnen ermöglichen, es in einer (ersten) literarischenForm zu formulieren.

Am ersten Samstag des zehntägigen LesArt.Festi-vals wird jeweils die Arbeit der Schreibwerkstätten imLesungs-Saal der Stadt- und Landesbibliothek präsen-tiert.

Chamisso-Autorinnen und Autoren im Festival

Das LesArt.Festival konnte im November 2011 andrei Abenden bedeutende Autorinnen und Autorender Gegenwart vorstellen, die mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet worden sind.

Dank der Robert Bosch Stiftung konnte das Publi-kum Nino Haratischwilis Roman Juja in der aufwen-digen, aber intensiven Erarbeitung, Aneignung, Um-setzung und Darstellung durch Schauspieler auf derBühne erleben. Es war ein erhellender Einstieg in einintensives Gespräch mit der Autorin und ein Anlass,das Buch noch einmal zu lesen, um mehr zu verstehen.

Zsuzsanna Gahse kam mit zwei sehr verschiedenenBüchern – Donauwürfel und Das Nichts in Venedig –,eines ein strenges Spiel mit der Form, das kompri-mierte Erlebnisse, Wahrnehmungen und Reflexionentransportiert, das andere ein Spiel mit den Erwartun-gen des Lesers, Reduktion bis zum Äußersten, auch inder Gestaltung: Blättert man das Buch durch, enthält es auf den ersten Blick nichts, nach dem Aufschlagensieht man auf dem weißen Papierraum um die knap-pen, im Falzbruch senkrecht angeordneten Sätze, ima-ginäre Zeichnungen entstehen. Beide Bücher handelnvom Wasser, und der junge Dortmunder Pianist PhilippQuiring suchte dazu passend Klavierliteratur aus –sehr zur Freude der Autorin, der Moderatorin und desPublikums an einem heiter-gelösten, spannungsrei-chen Abend.

24 :: Klauspeter Sachau

Harte Arbeit mit Sprache kann auch Spaß machen – in der

Schreibwerkstatt mit Selim Özdogan

Sichtlich vergnügt folgt Nino Haratischwili den Ausführungen

der Schauspieler des Renitenztheaters Stuttgart

Ein intimer Abend über den Ernst der Inhalte und das Spiel

der Formen mit Zsuzsanna Gahse

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Die Lesung mit Ursula Krechel (Stimmen aus demharten Kern) und Jean Krier (Herzens Lust Spiele) warernster. Beide gehen auf eine ganz spezielle Art und inder deutschsprachigen Gegenwartslyrik einmalig demPhänomen von Gewalt nach – ihren Erscheinungsfor-men und ihrer Entwicklung in der Geschichte.

Es war aufregend zu sehen, wie nah sich die zweiWelten auf der Bühne waren, so nah, wie die Sprach-wurzeln beider Lyriker in Trier und Luxemburg bei-einander liegen.

Botschafterin der Chamisso-Familie

Eine Fremdenführerin, auch für Kenner, war Lerkevon Saalfeld im LesArt.Festival 2011. Sie moderiertealle Nachmittage und Abende mit den Chamisso-Autoren. Kenntnisreich, feinsinnig, genau zuhörend,begeistert von Gesprächsverläufen und immer imHintergrund, auch wenn sie neben den Schriftstellernsaß. Sie ist die ideale Botschafterin der Chamisso-Familie und hat zur Freude der Veranstalter in denletzten Jahren das Gesicht von LesArt. mitgeprägt.

Was es noch bei LesArt. gab, ist auf www.lesart-festival.de zu sehen – und auch zu entdecken (wirsagen nur »me and my drummer«).

Im November 2012 geht es weiter mit der nächstenAuflage des LesArt.Festivals Dortmund. ::

LesArt.Festival 2011 :: 25

Ein »Gipfeltreffen« der Poesie mit Ursula Krechel und

Jean Krier – auf exterritorialem (Ruhr-)Gebiet

Lerke von Saalfeld in ihrem Element – sie vermittelt die

Schwingungen und die Architektur von Literatur

Auf Tournee, bei LesArt., im Studio, wieder auf Tournee: Song-

writerin Charlotte Brandi mit Schlagzeuger Matze Pröllochs

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Ich erinnere mich genau an meine erste Begegnungmit Jirí Grusa; er saß mir gegenüber, hinter einem rie-sigen Schreibtisch, als Botschafter der TschechischenRepublik in Österreich. Ich nahm vor ihm Platz undbewarb mich um den Job seines persönlichen Sekretärs.Er blickte mich an und fragte: Warum glauben Sie, dassSie für diese Arbeit geeignet sind? Ich konnte ihm dar-auf keine eindeutige Antwort geben, doch erwähnteich, dass ich, wie er, Schriftsteller sei (was nun eineziemliche Übertreibung war, da ich damals noch keineinziges Buch vorzuweisen hatte). Er belächelte dieskeineswegs, blickte mich noch einmal an und wolltewissen, was ich so schreibe und warum mich die Litera-tur interessiere. Schließlich gab er mir ein Blatt ausseinem Notizblock und wollte wissen, ob ich das dennlesen könne? Das Blatt war ziemlich vollgekritzelt,Grusa hatte wirklich eine nicht gerade leserliche Hand-schrift. Ich antwortete: durchaus (was glatt gelogenwar). Und er darauf: Dann können wir es ja – durchaus –miteinander probieren. Haben Sie Ihr Studium abge-schlossen? Und ich darauf: Nein, aber… Er unterbrachmich: Dann schauen Sie, dass Sie damit schnell fertigwerden.

Unsere erste Unterhaltung hatte somit mehrereKonsequenzen: Erstens war ich von diesem Tag an seinprivater Sekretär und als solcher für alles zuständig,womit er mich betraute … In erster Linie führte ich sei-ne Korrespondenz, bearbeitete, ergänzte und schriebseine Reden (was allerdings erst später wirklich zumTragen kam), ich übersetzte, organisierte oder mode-rierte ausgewählte Kulturveranstaltungen etc. Nahezujeden Tag saß ich vormittags bei ihm im Büro und ererklärte mir, was er zu diesem oder jenem erwarte,

26 ::

Erinnerungen

Impulse für das Leben, die Politik, Ironie und LiteraturJirí Grusa (1938 –2011)

Von Michael Stavaric

wetter

Nach meinem todwindiges wetterwolfswolkenhimmellanghingewälzttja

und ich dachtees werdensonnige kommensonnige sonnigetage

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diktierte Briefe, korrigierte meine Vorschläge undwollte meine Meinung wissen. Zweitens beendete ichnoch im selben Jahr mein Studium und drittens war ichbald tatsächlich in der Lage, seine Handschrift zu ent-ziffern.

Ich komme nicht umhin zu erwähnen, dass ich zudiesem Zeitpunkt lange Haare besaß und nicht einmalden Hauch einer Krawatte mein eigen nannte, worauf-hin – etwas später – Jirí Grusa anlässlich einer Veran-staltung, an der drei Kultusminister aus Deutschland,Tschechien und Österreich teilnahmen, zu mir meinte:Herr Stavaric, ich würde Ihnen ja niemals vorschlagen,sich die Haare schneiden zu lassen, aber meinen Sienicht, dass zu diesem Anlass eine Krawatte – durchaus– vertretbar wäre? Wie recht er damit doch hatte …Peinlich berührt eilte ich zum nächstbesten Laden (wirbefanden uns in Prag) und ich erinnere mich gut daran,dass ich mich lange nicht entscheiden konnte; aller-dings besitze ich besagte Krawatte noch heute. Undtatsächlich, ein gutes halbes Jahr später opferte ichauch meine langen Haare auf dem Altar der Diploma-tie, was Grusa keinesfalls kommentierte, doch ichmeine, dass er ganz kurz und verstohlen lächelte.

Jirí Grusa war für mich nicht irgendein Vorgesetz-ter – er war jemand, von dem ich tatsächlich etwasgelernt habe, über das Leben, die Politik, Ironie undLiteratur. Er hat es verstanden, anderen die richtigenImpulse mitzugeben, und wer weiß, wie sich meinLeben entwickelt hätte, wäre ich ihm nicht begegnet.

Aber zurück zu jenem Leben, der Politik, Ironieund Literatur… Auf die Frage, wo er eigentlich behei-matet sei, pflegte Jirí Grusa zu antworten: Auf Reisen!

Jirí Grusa :: 27

Ein Standpunkt, der nichts offenlässt. Und »glücklichheimatlos« nannte er sich schließlich selbst in einemseiner Bücher – eine Betrachtung, die mich lange Zeit be-schäftigen sollte (und es nach wie vor tut), wo ich dochselbst keine »Heimat« kenne und mein eigenes Lebendem eines Nomaden ähnelt; selbstverständlich fehltmir noch ein Maultier, oder zumindest ein kleines Pony.

Jirí Grusa sprach manchmal davon, was es hieß,einem Schriftsteller seine Sprache zu nehmen, wo erdoch wusste, dass ich mit sieben Jahren das Tschechi-sche verloren hatte und mich plötzlich mit dem Deut-schen konfrontiert sah, unfähig, ein Wort zu sagen –eine Tatsache, die ihn an sein eigenes Schicksal erin-nerte. Was sollte er fortan tun, im »Land der Stummen«,wie Deutschland auf Tschechisch heißt? Er meinte: »DerSchriftsteller im Exil verliert nicht nur die Sprache,sondern auch den Adressaten seines Schreibens. Dochdamit muss er leben, schließlich kennt jeder Skiläufersein Risiko; warum also sollte es ein Schriftsteller nichtkennen?« Ich habe es immer verabsäumt, ihm zu ge-stehen, dass ich ein ganz miserabler Skifahrer bin.

Was die Politik und Ironie anlangt, so erinnere ichmich an eine kleine Anekdote, die ich sehr mag und dieso sehr verdeutlicht, was man über Jirí Grusa wissensollte; sie stellt einen kurzen Dialog zwischen demtschechischen Präsidenten Václav Klaus und ihm dar,es ging damals um den EU-Beitritt Tschechiens.

Klaus: »Tja, dieses Europa, man will da hinein, aberlösen wir uns dort nicht auf wie ein Stück Zucker imKaffee?« Grusa: »Da würden die Europäer zumindestwissen, dass wir süß sind.«

Jirí Grusa war ein Meister ironischer Betrachtun-gen und verstand es, davon konnte ich mich beinahejeden Tag überzeugen, andere verbal zu entwaffnen.Keinesfalls, indem er sie bloßstellte, vielmehr bezog ersie ein und sorgte so für ein konstruktives Gesprächs-klima; bei all den Verhandlungen, bei denen er zu-gegen war, tatsächlich ein Segen.

Zu mir meinte er einmal, als ich mich in einer re-lativ prekären Lebenslage befand, dass es für jedesProblem einen Lösungsansatz gebe: ich solle also überfolgende drei »Leitsätze« nachdenken; er garantieremir, einer löse das Problem gewiss. Diese lauteten:1. Von nichts kommt nichts.2. Wer nicht will, der hat schon.3. Ran an die Buletten.

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Ich gestehe, ich habe diese »Sätze« immer wieder»ausprobiert« und darf heute festhalten: Sie helfen tat-sächlich, mir jedenfalls. Beinahe sind sie zu einer ArtMantra geworden, mit dessen Hilfe ich mir GrusasIronie jederzeit vor Augen führen kann.

Zur Literatur fallen mir etliche Dinge ein, die ichihm zu verdanken habe. Ich erinnere mich etwa aneinen Nachmittag, an dem ich mal wieder bei ihm imBüro saß und er plötzlich ein kleines Büchlein einestschechischen Autors hervorzauberte, Patrik Oured-niks Europeana. Er sagte zu mir, dass er das Buch nichtschlecht finde. Ich solle es lesen und – sollte es mirgefallen – einem österreichischen Verlag zur Publika-tion anbieten. »Ach ja, und selbstverständlich müssenSie es übersetzen.« Was soll ich sagen, ganz genau so

entstand mein erstes Werk als Übersetzer. Ich warunerfahren und wusste nicht, wie man – verlagstech-nisch – an die Sache herangehen musste, doch schließ-lich klappte es. Mittlerweile habe ich von besagtemAutor vier Titel übersetzt, von denen mich ein jedesBuch selbst als Autor geprägt hat; nicht zu vergessen,dass ich mit dieser Übersetzung eine »Eintrittskarte« in die Verlagswelt lösen konnte.

Oder um es mit den Worten von Georg ChristophLichtenberg zu sagen, dessen Zitat wir einmal als Ab-schluss einer Rede verwendeten: »Mehr als das Goldhat das Blei die Welt verändert. Und mehr als das Bleiin der Flinte das im Setzkasten.« Jirí Grusa hat diese»Feststellung« sehr gefallen.

28 :: Jirí Grusa

Schiffe

Schiffe die Höfe im Seesie können ihr Nachtgetierwechseln

Und Schwänesonst schwarzwerden im Südenhell-weiß

Nur dumein Gruschakannst deinen Pottnie mehr verlassenals Möwe nichtund nicht einmalals Ratte

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1985Aras Ören Rafik Schami (Förderpreis)

1986Ota Filip

1987Franco Biondi Gino Chiellino

1988Elazar BenyoëtzZafer Senocak (Förderpreis)

1989Yüksel PazarkayaZehra Çırak (Förderpreis)

1990Cyrus Atabay †Alev Tekinay (Förderpreis)

1991Libuse Moníková †SAID (Förderpreis)

1992Adel KarasholiGalsan Tschinag

1993Rafik Schami Ismet Elçi (Förderpreis)

1994Dante Andrea FranzettiDragica Rajcic (Förderpreis)

1995György DalosLászló Csiba (Förderpreis)

1996Yoko TawadaMarian Nakitsch (Förderpreis)

1997Güney DalJosé F.A. OliverJirí Grusa (Ehrengabe) †

1998Natascha WodinAbdellatif Belfellah (Förderpreis)

1999Emine Sevgi ÖzdamarSelim Özdogan (Förderpreis)

2000Ilija TrojanowTerézia Mora (Förderpreis)Aglaja Veteranyi (Förderpreis) †

Mehr über sämtliche Chamisso-Preisträger und frühere Ausgaben desMagazins finden Sie unter www.bosch-stiftung.de/chamissopreis

2001Zehra Çırak Radek Knapp (Förderpreis)Vladimir Vertlib (Förderpreis)Imre Kertész (Ehrengabe)

2002SAIDCatalin Dorian Florescu(Förderpreis)Francesco Micieli (Förderpreis)Harald Weinrich (Ehrengabe)

2003Ilma RakusaHussain Al-Mozany (Förderpreis)Marica Bodrozic (Förderpreis)

2004Asfa-Wossen AsserateZsuzsa BánkYadé Kara (Förderpreis)

2005Feridun ZaimogluDimitré Dinev (Förderpreis)

2006Zsuzsanna GahseSudabeh Mohafez (Förderpreis)Eleonora Hummel (Förderpreis)

2007Magdalena SadlonLuo Lingyuan (Förderpreis)Que Du Luu (Förderpreis)

2008Sasa StanisicLéda Forgó (Förderpreis)Michael Stavaric (Förderpreis)

2009Artur BeckerTzveta Sofronieva (Förderpreis)María Cecilia Barbetta(Förderpreis)

2010Terézia MoraAbbas Khider (Förderpreis)Nino Haratischwili (Förderpreis)

2011Jean KrierOlga Martynova (Förderpreis)Nicol Ljubic (Förderpreis)

2012Michael StavaricAkos Doma (Förderpreis)Ilir Ferra (Förderpreis)

Adelbert-von-Chamisso-Preisträgerinnen und Preisträger 1985 — 2012 :: 29

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Die Liebe in rußigen Zeiten

Feridun Zaimoglus Hommage an Menschen und Städte des Ruhrgebiets

Sein Name ist ein Markenzeichen, und wenn manvon deutscher Literatur nach 1945 spricht, setzt manneuerdings öfters mal »von Aichinger bis Zaimoglu«hinzu. Auf jedes neue Buch des in Kiel lebendenChamisso-Preisträgers ist man gespannt, denn zumin-dest in den letzten zehn Jahren glich keines seinemVorgänger. Das kann man auch von Ruß sagen, demjüngsten Roman des 1964 geborenen literarischenTausendsassas. Der Titel darf als Anspielung auf daseinst elend rußige Ruhrgebiet verstanden werden,denn dort spielt der größte Teil von Zaimoglus Ge-schichte, und von dort stammen die meisten ihrer Fi-guren. Dass dann noch das kaputte und doch sehrlebendige Warschau und das von Zaimoglu in Grundund Boden verdammte Salzburg eine Rolle spielen unddass das Finale auf der grandiosen Großglockner-Hochalpenstraße stattfindet, soll nicht verschwiegenwerden. Aber im Grunde geht es auch dort um denRuhrpott. Und um die Liebe.

Zaimoglus Hauptfigur heißt Renz. Nach der Ermor-dung seiner Frau hat er den Arztberuf aufgegeben undist ins Geschäft seines Schwiegervaters eingestiegen,der in Duisburg-Ruhrort einen Kiosk betreibt. Renztrinkt nicht mehr, raucht nicht mehr, malt jeden Mor-gen Ikonen, immer mit Blick auf die Urne im Regal.Trotz aller Trauer und Einsamkeit scheint er sich mitseiner Situation einigermaßen arrangiert zu haben, alser erfährt, dass der Mörder seiner Frau demnächst ausdem Knast entlassen werden soll. Aus recht undurch-sichtigen Gründen will Voss, ein früherer Kumpel, beiRenz Rachegelüste schüren und bietet ihm einen merk-würdigen Handel an: Renz soll sich einige Zeit um sei-nen irren Halbbruder Josef kümmern, und im Gegen-zug werde dafür gesorgt, dass der Mörder ums Lebenkommt, ohne dass der Verdacht auf Renz fallen kann.Und so nimmt das anfangs etwas verwirrende Gesche-hen seinen Lauf, und wer sich beim Lesen mitten ineinem »Tatort«-Krimi zu befinden glaubt, dem wirdman schwerlich widersprechen. Allerdings, und das istentscheidend, ist die von zahlreichen Krimi-Episodengetragene Handlung nicht das Wichtigste an Ruß. Auchnicht die sprachlich brillanten, manchmal bis ins Früh-expressionistische gehenden, von Trauer um den Nie-dergang der einst so stolzen Industrieregion getrage-

nen Schilderungen des proletarischen Milieus. Schilde-rungen? Oft sind es nur kleine Stimmungsbilder, Rede-wendungen, Töne und viele Dialoge.

»Somnambuler Realismus« hat Hubert SpiegelZaimoglus Schreibweise genannt, und das trifft es ganzgut. Eine Besonderheit ist, dass sich der Erzähler nichtin den Vordergrund drängt, sondern jeder seiner Figu-ren eine Stimme gibt – den Helden des Untergangs ge-wissermaßen, die ihre frühere Arbeit verloren haben,denen aber, vermutlich bis an ihr Lebensende, die scho-nungslos direkte, oft sehr ruppige und dennoch herzli-che Solidarität der Bergleute in den Knochen sitzt. Wasbedeutet: Man liest viel Umgangssprache, vermeintli-chen Ruhrpott-Slang – der allerdings ähnlich verfrem-det ist wie die berühmte »Kanak-Sprak«. Doch die vonZaimoglu aus oftmals noch nie zuvor gehörten Wortenund eigenwilligen Tonfällen geschaffene Ruß-Spracheträgt, gerade weil sie eine Kunstsprache ist. Wer in die-sem Roman eine melancholische, von allergrößterSympathie durchdrungene Hommage an die Menschenund Stadtlandschaften eines in der Realität schonuntergegangenen Ruhrgebiets sehen möchte, der liegtgewiss nicht falsch. Doch da ist noch etwas: die Liebenämlich, oder das, was man gemeinhin dafür hält.

Renz ist traurig, einsam und unendlich liebesbe-dürftig. Der Jüngste ist er auch nicht mehr. Dass zu denmit vielen schmerzlichen Verlusten verbundenen Ver-änderungen seines Lebens auch der Verlust seiner ein-stigen Unbefangenheit im Umgang mit Frauen gehört,ja dass die Verhältnisse zwischen Mann und Frau ganzallgemein erheblich komplizierter sind als früher, zeigtsich nirgends so drastisch wie in seinem Verhältnis zuMarja. Diese Marja ist misstrauisch, vor allem Männerngegenüber, und sie hat Gründe dafür. »Erst folgte er ihrin einigem Abstand, dann schloss er zu ihr auf, es kameiner Berührung gleich, dass sie keine Feindseligkeitempfanden … Er nannte sie wieder beim Namen, undes gefiel ihr, es gefiel ihr so sehr, dass sie sich fest anihn schmiegte. Ein verwilderter Mann, den die Wild-heit anderer Männer abstieß.« Es bleibt schwierig zwi-schen den beiden, und wie Zaimoglu diese merkwür-dige Liebe in Worte zu fassen versteht, ist faszinierend.Wird Renz am Ende überleben? »Sie legte ihm einenAnkerohrring in die Hand. Glücksbringer, sagte sie,will ich zurückhaben. Ja. Machs gut, sagte sie undschloss die Tür.« Gibt es so etwas wie Zukunft, für ihn,für Marja, überhaupt? »Renz sah zu den Häusern anden Hängen in der Nacht. Fenster aus Licht.« Mit die-sen lakonischen Zeilen endet Feridun Zaimoglus Ge-

30 :: Neuerscheinungen von Adelbert-von-Chamisso-Preisträgern

Neue Bücher

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sellschafts-, Kriminal-, Abenteuer- und Liebesroman.Der Sprachrausch ist vorüber. Dem Leser jedoch wirdes warm ums Herz, und dieses Gefühl hält an. Kannman von einem Roman mehr erwarten?

Feridun Zaimoglu: Ruß. Roman. Köln 2011:Kiepenheuer & Witsch. 267 Seiten, 18,99 Euro

Zwölf Essays übers Dazwischen

Olga Martynova und Oleg Jurjew im intellektuellen Dialog

Als die in Sibirien geborene und im damals Lenin-grad genannten St. Petersburg aufgewachsene OlgaMartynova für Sogar Papageien überleben uns 2011den Chamisso-Förderpreis bekam, hörten einige Leserdieses eindrucksvollen Romans vielleicht zum erstenMal von Daniil Charms und seinem Kollegen- undFreundeskreis.

»Die Oberiuten – wer waren sie?«, fragt die seit 1990mit ihrem Mann Oleg Jurjew in Frankfurt am Mainlebende Autorin in einem Essay mit dem schönen Titel»Das Leben hat über den Tod gesiegt, auf eine mir un-bekannte Weise«. Dieser Titel ist natürlich, in der deut-schen Übersetzung von Peter Urban, ein Zitat aus demWerk des »exzentrischen Autors«, wie der 1966 inLeningrad geborene Chamisso-FörderpreisträgerVladimir Vertlib diesen Daniil Charms nennt.

Olga Martynova fragt nicht nur, sie antwortet auchund skizziert das größtenteils düstere Schicksal diesermodernistischen »Unsinns-Poeten«, die bis auf wenigeAusnahmen in den dreißiger und vierziger Jahren des20. Jahrhunderts umgekommen sind; nach 1950 undvereinzelt noch bis heute gelten sie als »Schutzpatronevieler angehender Literaten«, denn »nach den Oberiuten kam eine lange sowjetische Nacht«. In dieserlangen Nacht sind Olga Martynova und Oleg Jurjew zuherausragenden Kennern der Weltliteratur und spe-ziell der russischen Poesie und Kultur geworden, waszweifellos entscheidend dazu beitrug, dass sie heute,in deutscher oder in russischer Sprache schreibend, zu den originellsten und geistreichsten Dichtern undEssayisten der Gegenwart gerechnet werden müssen.

Der Aufsatz über die »Oberiuten« findet sich ineinem schmalen Buch mit dem sprechenden TitelZwischen den Tischen. Nicht durchgängig, aber doch

recht oft ergibt sich durch die Zusammenstellung –sechs Abschnitte, die jeweils aus einem Martynova-und einem Jurjew-Text bestehen – tatsächlich der imUntertitel des Büchleins behauptete »essayistischeDialog«. Mehrfach geht es um die reichhaltigen kultu-rellen Traditionen Russlands und ihre Spuren im spät-sowjetischen Alltag. Damit ist keineswegs nur dieSchatzkammer der russischen Literatur gemeint, überdie man eine Menge Aufregendes und zur LektüreAnregendes lernt. Nein, auch Geranien oder Fußball-kommentatoren, der berühmte »russische Salat« oderdie ähnlich berühmte Datscha werden zum Thema.

Ein spannender Dialog widmet sich den überra-schend intensiven Wechselbeziehungen zwischen derSowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika.Olga Martynova schwärmt von Linz, der immer imSchatten Wiens stehenden oberösterreichischenDonaustadt, aber sie schwärmt nicht nur: »In den deut-schen Städten berichtet der Stadtführer … ausführlich,wo, wie, und wie viele Juden dort einst lebten und anwelchem Platz die niedergebrannte Synagoge stand. InLinz kein Wort, hatten sie nie Juden? Do-och, fre-eilich.«Dass und warum die im September 1941 einsetzende872-tägige Blockade Leningrads, die mehr als eineMillion Zivilisten das Leben kostete, »eines der größ-ten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit«war, erläutert Oleg Jurjew, nicht ohne auf hierzulandewenig bekannte Poeten wie Gennadi Gor oder PawelSalzmann hinzuweisen. Und dass sich das Moskau des21. Jahrhunderts trotz Kreml und Rotem Platz voll-kommen anders anfühlt als die einstige Hauptstadt derUdSSR, führt Olga Martynova eindringlich vor Augen.In seiner die lesenswerte Aufsatzsammlung beschlie-ßenden Dankrede für den Hilde-Domin-Preis 2010reflektiert Oleg Jurjew das im Buchtitel angesproche-ne, für viele Chamisso-Preisträger relevante undbesonders dieses deutsch-russische Autorenpaar ein-schneidend prägende Dazwischen-Sein: »Ich halte dasfür die dichterische und menschliche Grunderfahrungunserer Zeit – ins Exil zu gehen, im Exil zu leben, imExil zu schreiben. Ich würde sogar zu sagen wagen, inder modernen, flüssigen Welt, die sich ständig ändert,ist jeder Mensch in dem einen oder anderen Sinne desWortes ein Exilant.«

Olga Martynova und Oleg Jurjew: Zwischen denTischen. Bonn 2011: Bernstein-Verlag. 123 Seiten,12,80 Euro

Buchvorstellungen von Klaus Hübner :: 31

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Hier in Norddeutschland, dort in Georgien

Nino Haratischwili erzählt eine bewegende Familiengeschichte

So, wie die 28-jährige Nino Haratischwili in ihrenTheaterstücken immer wieder durch jähe Wendungenund dramatische Zuspitzungen die Zuschauer über-rascht, so kühn hatte sie vor zwei Jahren ihren erstenRoman Juja angelegt, und so gespickt mit Überra-schungen ist auch ihr zweiter Roman Mein sanfterZwilling, durchzogen von Pathos, Aufgewühltheit undunerhörten Begebenheiten.

Im Mittelpunkt des Romans stehen Stella und Ivo,die symbiotisch wie Zwillinge miteinander aufgewach-sen, aber keine Geschwister sind, die bei der Groß-mutter Tulja an der Ostsee leben, aber diese Großmut-ter ist nicht die eigentliche Großmutter, wie vieles indiesem Roman nur »eigentlich« ist und in Wirklichkeiteine andere Realität verbirgt, die nur langsam, qualvollund beklemmend ans Licht kommt. Die Familie ist zer-borsten, denn es liegt eine große Schuld, über die nichtgesprochen wird, zwischen den Personen. Stella istnun Mitte dreißig, hat sich gut bürgerlich – »ordentlich« –verheiratet, hat einen Sohn und will die Vergangenheitabstreifen.

Da taucht nach sieben Jahren Abwesenheit plötz-lich Ivo wieder auf und bringt alles durcheinander. Diegewonnene Selbstsicherheit Stellas bricht zusammen,denn sie weiß, sie lebt mit ihrem Mann Mark ein fal-sches, ein geborgtes Leben; sie ist tief irritiert.

Was diese Familie ver- und zerstört hat, schält sicherst ganz am Ende des Romans in Rückblenden heraus;es ist ein Ereignis, das mit aller Wucht das Leben derbetroffenen Menschen aufgewühlt und verändert hat.Ivo scheint äußerlich immer noch der attraktive jungeMann zu sein, der unbekümmert und abenteuerlustigals Journalist durch die Welt reist, bei allen Anerken-nung findet und sein Leben zu meistern scheint. Stellawird dagegen immer welker und trauriger. Sie liebt Ivound sie hasst ihn; auch er fühlt sich an sie gebunden,demütigt sie jedoch, geht grob und verletzend mit ihrum. In die Gegenwart werden die Bilder der gemeinsa-men Vergangenheit eingeblendet. Stella kann durchdas Auftauchen von Ivo ihr gewohntes Leben nichtmehr weiterführen. Sie merkt, wie sie in der Familieihres Mannes zur Außenseiterin wird, wie ihr früheresDasein an der Seite von Ivo wieder Besitz von ihr

ergreift. Während Ivo einen festen Plan verfolgt, gerätsie aus der Bahn.

Der Roman ist unterteilt in zwei Kapitel »Hier« und»Dort«. »Hier« – das ist Hamburg, wo Stella mit Familielebt, das ist Niendorf an der Ostsee, wo Stella und Ivobei der Großmutter Tulja einst aufwuchsen. »Dort« –das ist Georgien, wohin Ivo nach seinem plötzlichenAuftauchen Stella von ihrer Familie weglockt, um ihregemeinsame Geschichte zu einem guten Ende zu brin-gen. Ivo verfolgt dort ein Rechercheprojekt über eineFamilie, über die er bereits viel Material in seinemComputer zusammengetragen hat. Stella schaut sichheimlich seine Dokumente an und beginnt zu ahnen,worauf Ivo es abgesehen hat. Stella kommt als Fremdein eine fremde Stadt, in ein fremdes Land, das die Au-torin bestens kennt, denn sie ist dort aufgewachsen.Noch sind überall die tiefen Wunden des Bürgerkriegsspürbar, das Land und seine Menschen sind vomSchrecken gezeichnet.

Eingebettet in die politische Landschaft Georgiens,eingebettet in menschliche Zerwürfnisse, die durchden Krieg bedingt sind, erfährt Haratischwilis Stoffeine neue Dimension der Dramatik. Ihr Roman erzählteine bewegende, aufwühlende Geschichte über denVerlust und die Zerstörung von Glück und die immerwieder hilflosen Versuche, der Macht des Schicksalszu entkommen.

Nino Haratischwili: Mein sanfter Zwilling. Roman.Frankfurt a.M. 2011: Frankfurter Verlagsanstalt.379 Seiten, 22,90 Euro

32 :: Buchvorstellung von Lerke von Saalfeld

Neue Bücher

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Neuigkeiten, Auszeichnungen, Termine … :: 33

Auszeichnungen

Catalin Dorian Florescu, Chamisso-Förderpreisträger des Jahres 2002,hat den mit 50 000 Franken dotier-ten Schweizer Buchpreis gewonnen.Mit seinem vierten Roman Jacobbeschließt zu lieben, den die Jury als»herausragendes literarisches Werkder diesjährigen Buchproduktion«würdigte, setze er sich Ende 2011gegen vier Mitbewerber durch.Auch dem Publikum hat FlorescusRoman, den wir in chamisso Nr. 6(Oktober 2011) vorgestellt hatten,am besten gefallen. Der Preis wurdedem in Zürich lebenden Schrift-steller kürzlich auf der Basler Buch-messe überreicht. Außerdemwurde Florescu für sein bisherigesGesamtwerk unlängst der Joseph-von-Eichendorff-Literaturpreis2012 zuerkannt. Er wird im Rah-men der Wangener Gespräche imHerbst 2012 verliehen.

Der seit Gründung des Masterstu-diengangs für »Biografisches undKreatives Schreiben« jährlich vonder Alice Salomon Hochschule inBerlin verliehene Alice-Salomon-Poetik-Preis ging im Januar 2012 anEmine Sevgi Özdamar. Das Herrli-che an ihrer Kunst sei, so LaudatorHarald Jähner, »dass sie diese unsi-cheren Sprachräume genießt; sieist alles andere als eine zauderndeSprachgrüblerin. Eine Draufgänge-rin vielmehr, die jeden Apfel vomBaum der Erkenntnis pflücken wür-de, aus purer Neugier und Lebens-lust«.

besondere Weise zu stellen«. Fürihren zweiten, in diesem chamisso-Magazin vorgestellten Roman Meinsanfter Zwilling wurde NinoHaratischwili mit dem Hotlist-Preis2011 der Unabhängigen VerlageDeutschlands ausgezeichnet, dermit 5000 Euro dotiert ist.

Léda Forgo hat eines von vier Lite-raturstipendien des Landes Baden-Württemberg 2011 erhalten. Die inUngarn geborene Schriftstellerinwar 1994 nach Stuttgart gekommen,um Geschichte und Figurentheaterzu studieren. Sie verfasste seit 2000mehrere Theaterstücke und Erzäh-lungen, zuletzt den Roman VomAusbleiben der Schönheit, den wirin chamisso Nr. 5 (März 2011) vor-gestellt hatten. Mit der Förderungverbunden sind drei gemeinsameLesungen in Bonndorf (KreisWaldshut), Karlsruhe und Stuttgartim Frühjahr 2012.

Der mit 5500 Euro verbundene undausschließlich an Frauen vergebeneRoswitha-Literaturpreis der StadtBad Gandersheim wurde im Novem-ber 2011 an Olga Martynova ver-geben. Martynova schreibt ihre Ge-dichte auf Russisch und ihre Prosaauf Deutsch und so lautete dasVotum der Jury: »Gewürdigt wirdeine in zwei Sprachen schreibendeKosmopolitin, deren Musikalität,deren Witz und deren beeindru-ckende Bildung unsere Literatur-gesellschaft bereichern.« Für ihrenersten Roman Sogar Papageien über-leben uns hatte sie den Chamisso-Förderpreis 2011 erhalten.

Das Literaturbüro Lüneburg hatFeridun Zaimoglu zum Heinrich-Heine-Gastdozenten 2012 gekürt.Am 22. Juni hält er seine öffentlicheVorlesung an der Leuphana Univer-sität Lüneburg.Die Programmleiter der im Netz-werk verbundenen LiteraturhäuserBerlin, Frankfurt, Graz, Hamburg,Köln, Leipzig, München, Rostock,Salzburg, Stuttgart und Zürichzeichnen Feridun Zaimoglu außer-dem als einen Autor, der sich in be-sonderem Maße um das Gelingenvon Literaturveranstaltungen ver-dient gemacht hat, mit dem dies-jährigen Preis der Literaturhäuseraus. Der Preis, der seit 2002 jährlichwährend der Leipziger Buchmesseeiner Schriftstellerin oder einemSchriftsteller für die besondereVermittlung ihrer Werke verliehenwird, besteht aus einer Lesereisedurch alle im Netzwerk zusammen-geschlossenen Literaturhäuser undist mit 11000 Euro dotiert. Zaimogluwird vom 21. März bis 24. Mai zuLeseabenden durch die elf Litera-turhausstädte reisen. Die Preisver-leihung findet am 16. März auf demBlauen Sofa in der zentralen Messe-halle in Leipzig statt.

Der mit 2000 Euro ausgestatteteDebütpreis des Lübecker Budden-brookhauses ging 2011 an NinoHaratischwili, die 2010 mit demChamisso-Förderpreis geehrt wor-den war. In ihrem ersten RomanJuja gelinge es ihr, wie die Juryschreibt, »die Frage nach der Bedeu-tung von Literatur für die individu-elle Identität auf eine eigene und

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Neuerscheinungen

György Dalos, Der Fall des Ökono-men. Roman. Berlin 2012: RotbuchVerlag

Jirí Grusa, Benes als Österreicher.Klagenfurt 2012: Wieser Verlag

Que Du Luu, Vielleicht will ich alles.Roman. Köln 2011: Kiepenheuer &Witsch

Sudabeh Mohafez, Das EigenartigeHaus. Mit Illustrationen von AntonRittiner. Bern 2012: EditionTaberna Kritika

Selim Özdogan, Heimstraße 52.Roman. Berlin 2011: Aufbau Verlag

Rafik Schami, Das Herz der Puppe.Kinderbuch mit Bildern vonKathrin Schärer. München 2012:Deutscher Taschenbuch Verlag

Galsan Tschinag, Das andereDasein. Roman. Berlin 2011:Suhrkamp Verlag

Vladimir Vertlib, Schimons Schwei-gen. Roman. Wien 2012: DeutickeVerlag

Aglaja Veteranyi, Vom geträumtenMeer, den gemieteten Socken undFrau Butter. Geschichten. München2012: Deutscher Taschenbuch Ver-lag (anlässlich des 10. Todestagsder Schriftstellerin am 3. Februarerscheinen die Geschichten alsTaschenbuch)

Termine

Auf der Leipziger Buchmesse sindam ARTE-Stand die diesjährigenChamisso-Preisträger zu Gast:jeweils um 15 Uhr am 16. MärzAkos Doma, am 17. März MichaelStavaric und am 18. März um 14 UhrIlir Ferra. Sie lesen aus ihren Bü-chern und sprechen mit der Publi-zistin Lerke von Saalfeld.Ebenfalls am ARTE-Stand findet am17. März ein Gespräch mit FeridunZaimoglu anlässlich seiner Aus-zeichnung mit dem Preis der Litera-turhäuser statt.

Zum zweiten Mal hat José F.A.Oliver Chamisso-Preisträgerinnenund Preisträger eingeladen, unterdem Motto »angelegt« über denGarten ihrer Kindheit zu schreiben.Die Texte werden in einer Sonder-beilage zum Literaturblatt fürBaden-Württemberg Mai/Juni 2012veröffentlicht und bei mehrerenLesungen zu Gehör gebracht.Zehra Çırak, Zsuzsanna Gahse,Asfa-Wossen Asserate und SelimÖzdogan werden am 20. Mai imRahmen der Landesgartenschau inNagold auftreten, Marica Bodrozic,Abbas Khider, Sasa Stanisic undMichael Stavaric sind am 26. Maiin Schwäbisch Gmünd zu erleben,als literarische Vorboten der dorti-gen Landesschau 2014. NebenEinzellesungen in Privatgärten gibtes zwei Gemeinschaftslesungen,die José F.A. Oliver moderiert;Musik machen Michael Kiedaisch(in Nagold) und Dizzy Krisch (inSchwäbisch Gmünd).

Neues zum »Chamisso-Thema«

»Sie schreiben ja akzentfreiDeutsch! – Schreiben Sie Ihre Bü-cher eigentlich selbst?« Ausgehendvon diesen und ähnlichen Fragenhat Nicol Ljubic eine Anthologieherausgegeben, in der siebzehndeutsche Schriftstellerinnen undSchriftsteller von ihren Erfahrun-gen in einem Land, das sie Heimatnennen, erzählen. Unter denen, diesich zur Debatte um Herkunft undIdentität äußern, sind die sechsChamisso-Preisträgerinnen und -Preisträger: Zsuzsa Bánk, MaríaCecilia Barbetta, Artur Becker,Selim Özdogan, Sasa Stanisic undnatürlich Nicol Ljubic, der die obenzitierte Frage so beantwortet: »Ja,ich schreibe selbst. Und Deutsch istleider die einzige Sprache, die ichakzentfrei spreche. Allerdings heißeich Nicol Ljubic und bin in Kroatiengeboren, was viele Deutsche nachwie vor zu verirren scheint. Deswe-gen bezeichnen sie Menschen wiemich als Deutsche mit Migrations-hintergrund. Und von denen gbt esziemlich viele im Land: neun Millio-nen. Gewöhnt hat man sich offen-bar noch nicht an sie.«

Nicol Ljubic, (Hg.) Schluss mit derDeutschenfeindlichkeit! Hamburg2012: Hoffmann und Campe.Nicol Ljubic spricht darüber aufder Leipziger Buchmesse mit Lerkevon Saalfeld am ARTE-Stand am 15. 3. um 15 Uhr.

34 :: Neuigkeiten, Auszeichnungen, Termine …

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Die Mitarbeiter dieser Chamisso-Ausgabe

Irene Ferchl, Jahrgang 1954, studierteGermanistik, Geschichte und Kommu-nikationswissenschaft und arbeitet seit-her in Stuttgart als Kulturjounalistinund Autorin literarischer Reiseführer.1993 gründete sie das Literaturblatt fürBaden-Württemberg, dessen Heraus-geberin und Chefredakteurin sie ist.Seit 1998 betreut sie für die RobertBosch Stiftung die Publikationen zu denChamisso-Preisträgern.

tungen, unter anderem auch 2007 die»Chamisso-Tage an der Ruhr« derRobert Bosch Stiftung und das Projekt»Viele Kulturen – eine Sprache« inner-halb der Kulturhauptstadt EuropasRUHR.2010. Im vorsatz verlag verlegt erin unregelmäßiger Folge ihm regionalwichtig erscheinende Lyrik und Erzäh-lungen.

Michael Stavaric, geboren 1972 inBrno/Brünn in der Tschechoslowakei,lebt seit 1979 in Wien, wo er Bohemistikund Publizistik studierte. Er war langeJahre Sekretär von Jiri Grusa, dessenEssays er neben Büchern von PatrikOuredník und Petra Hulová übersetzte.Für seine Romane stillborn und Termi-nifera erhielt er den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis 2008. DerChamisso-Preis wurde ihm 2012 zuge-sprochen (siehe Seite 4).

Bisera Suljic-Boskailo, geboren 1965 inTutin (Serbien), studierte Serbokroati-sche Sprache und Literatur in Sarajevound Mostar, Deutsche Sprache undLiteratur in Eichstätt. Sie lehrte Germa-nistik in Serbien und Bosnien, übersetz-te unter anderem Michael Krüger undPaul Maar ins Bosnische. Zur Zeit lebtsie als Schriftstellerin und Journalistinin Ingolstadt. Sie veröffentlichte mehr-fach ausgezeichnete Romane und Ge-dichtbände; Bilija wurde 2009 als bes-ter unpublizierter Roman in Serbienprämiert.

Beate Tröger, 1973 in Selb/Oberfrankengeboren, studierte Germanistik, Anglis-tik und Theater-, Film- und Fernseh-wissenschaft in Erlangen und Berlin. Sielebt heute in Frankfurt am Main undarbeitet als Literaturkritikerin vor allemfür die Frankfurter Allgemeine Zeitungund den freitag.

Klaus Hübner, Jahrgang 1953, arbeitetenach seinem Germanistikstudium undder Promotion als Dozent an in- undausländischen Universitäten und fürVerlage. Er lebt in München als Autor,Publizist und Literaturkritiker, istRedakteur der Zeitschrift FachdienstGermanistik und Sekretär des Adelbert-von-Chamisso-Preises der RobertBosch Stiftung.

Helmut Neundlinger, Jahrgang 1973,lebt seit 1992 in Wien. Nach seinemStudium der Philosophie und Germa-nistik arbeitet er als freier Wissen-schaftler, Autor und Publizist. Zuletzterschienen: Tagebuch des inneren Schre-ckens. Essays über Hermes PhettbergsPredigtdienste (Klever Verlag 2009)und tagdunkel. Gedichte (Mitter Verlag2011).

Yves Noir wurde 1967 in Frankreichgeboren. Er studierte Mediendesign mitSchwerpunkt Fotografie und arbeitetals freier Fotograf und Dozent für Foto-grafie im In- und Ausland.

Lerke von Saalfeld, Jahrgang 1944, istpromovierte Literaturwissenschaft-lerin, sie lebt und arbeitet als Journalis-tin und Literaturkritikerin in Stuttgartund Berlin. Für Rundfunk und Fern-sehen führt sie regelmäßig Interviewsmit Persönlichkeiten aus Kultur, Wis-senschaft und Politik. Seit langem liegtein Schwerpunkt ihrer Arbeit in derBeschäftigung mit Schriftstellern nicht-deutscher Muttersprache. 1998 hat sieden Band Ich habe eine fremde Sprachegewählt – ausländische Schriftstellerschreiben deutsch herausgegeben.

Klauspeter Sachau, Jahrgang 1940, istGrafiker und Literaturvermittler. Fürden Verein für Literatur Dortmund lei-tet er das jährliche LesArt.Festival inDortmund. In Zusammenarbeit mit demKulturbüro der Stadt Dortmund koordi-nierte er größere literarische Veranstal-

Impressum

Herausgegeben von der Robert Bosch Stiftung GmbH

RedaktionIrene Ferchl, Frank W. Albers,Maria Trini

Gestaltungr2 | röger & röttenbacher, Büro für Gestaltung, Leonberg

Abbildungen/FotosChris Korner (auf Seite 19, 20)Yves Noir (1, 4, 6, 7, 8, 9, 11, 12, 13, 15,16, 17)privat (27)Klauspeter Sachau (21, 22, 23, 24, 25)Tschechische Botschaft in Wien (28)

Dank anCafé Jelinek, Café Weidinger, Tiergarten Schönbrunn (Frau Feldmann), Unibibliothek Wien (Frau Stückler),Universität Wien (Herrn Ortner)

© 2012 bei den Autoren, Fotografen und dem HerausgeberAlle Rechte vorbehaltenwww.bosch-stiftung.de

Page 36: März 2012 – Nr · Publizistik in Wien, wo er heute lebt. Er war Lehrbe-auftragter für Inline-Skating an der Sportuniversität Wien, arbeitete gleichzeitig für die Wiener Botschaft

96,8

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