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Montag, 22. Juni 2009 Aufregende Berliner Wimmelwelt · HNP-KULTURSPIEGEL Montag, 22. Juni 2009 22...

Date post: 22-Jan-2020
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HNP-KULTURSPIEGEL Montag, 22. Juni 2009 22 Schwarze Kutten, lange Haare und Campen gehören bei „Rock am Härtsfeldsee“ einfach dazu. Foto: Johannes Guldner Wildes, unkontrolliertes Kopfschütteln war angesagt beim Festival „Rock am Härtsfeldsee“ in Dischingen. Die Band Callejon spielte am früheren Abend aber leider vor wenigen Zuschauern. Im Laufe des Abends sollte sich die Stimmung jedoch merklich ändern. Foto: Guldner Gestreckte Hände und fliegende Haare Pünktlich zum Start von „Rock am Härtsfeldsee“ regnete es; trotzdem wurde im Matsch getanzt, gecampt und gefeiert. Im Zelt rockten Metal-Bands wie Hammerfall und End of Green Ein siebensaitiger Bass, Männer in Kilts oder ganz in Leder ge- kleidet und jede Menge Musik: Das Festival „Rock am Härts- feldsee“ wurde in der Nacht vom 19. auf den 20. Juni eröffnet. Mit dabei waren unter anderem Bands wie End of Green und Hammerfall. Von Manuel Mielitz Dröhnende Bässe, laute Gitar- renriffs, fliegende Haare und wild aussehende Menschen: Met- al ist nicht jedermanns Musik. Einmal im Jahr treffen sich Fans dieser Musikrichtung am be- schaulichen Härtsfeldsee, um ih- rer Leidenschaft zu frönen. In diesem Jahr wurde der Auf- bau des Festivalcampings durch den Regen etwas behindert, den- noch war die Stimmung ausge- lassen und fröhlich. Die ersten hatten ihre Zelte bereits am Vor- mittag aufgebaut und beschall- ten nun die sich füllende Cam- pingwiese neben dem Festival- gelände mit ihren Anlagen. Vom fast schon steinzeitlichen Zelt- camper mit Holzkohlegrill über die Großzelte einzelner Gruppen bis hin zum Campingbus mit Dieselstromaggregat und eigener Bierzapfanlage waren alle Spiel- arten des Campens vertreten. Das Festival selbst begann dann ab 18 Uhr mit Stringface, denen die undankbare Aufgabe der ers- ten Band zufiel. Doch auch wenn sie musikalisch nicht schlecht war, stimmungsmäßig konnte diese Band fast gar nichts be- wegen. Auch den beiden nächs- ten Bands Silverlane und Calle- jon erging es nicht besser. Doch nach und nach füllte sich das Festivalgelände mit einem exotischen Völkchen: Man sah diverse Männer in Kilts, einige Trinkhörner, viel Leder, die bei Metallern traditionellen Kutten: Jeans- oder Lederwesten, die mit Bandaufnähern und Nieten indi- viduell gestaltet werden. Und natürlich viele lange Haare und Bärte. Bei End of Green stieg die Stim- mung dann an. Die fünf Gothic- Rocker zeigten mit viel Elan, dass es auch Alternativen zum harten Standard-Metal gibt. Bei Ensiferum schließlich kochte das Zelt. Das Quintett aus zwei Gi- tarristen, einem Schlagzeuger, einem Keyboarder und einen Musiker am siebensaitigen Bass war nur mit Kilts bekleidet – ganz in den Farben ihres Hei- matlandes Finnland, dessen Flagge sie sich, wie auch einige der Fans, ins Gesicht gemalt hat- ten. Nach diesen Pagan-Metallern waren die Jungs von Hammerfall an der Reihe. Diese Band ver- suchte sich zuerst an den neue- ren Liedern. Doch erst bei den alten Klassikern wie „Hearts on Fire“ verwandelte sich das Pu- blikum in ein Meer aus in die Höhe gereckten Händen und fliegenden Haaren. Die Grimas- sen und Gesten des Sängers ver- ursachten im Publikum freneti- schen Jubel. Besonders ältere Hammerfall- Fans fanden es jedoch schade, dass durch die jüngsten kom- merziellen Erfolge der Band im- mer mehr Bewunderer angezo- gen werden, die mit dem eigent- lichen Metal nichts am Hut ha- ben. Das Programm wurde durch mehrere Zugaben ergänzt und die Fans ließen ihre „Helden“ nur widerwillig gehen. Der Abend war zu diesem Zeit- punkt schon fast Morgen und als die Band Feuerschwanz die Büh- ne betrat, war es schon nach halb zwei. Die Mittelalter-Spaß-Com- bo um Ritter Feuerschwanz sang und spielte mit dem deutlich verkleinerten Publikum ihre Lie- der, die das Mittelalter ein wenig anders darstellt als es in den Ge- schichtsbüchern steht. Beim Lied „Verteidiger des wah- ren Mets“ schließlich gab es kein Halten mehr, das Publikum tanzte und hüpfte im Pogo-Stil wild durcheinander. So war es weit nach drei Uhr, als sich das Festivalgelände schließ- lich leerte. Und während die Letzten ins Bett sanken, kochten die Ersten schon wieder Kaffee und versuchten ihre taufeuchten Kleider über den Grills zu trock- nen – schließlich galt es fit zu sein für einen weiteren, kräfte- zehrenden Festival-Tag. Die „Parole Emil!“ erscholl am Sonntagnachmittag gleich mehrfach und mehrstimmig im Heidenheimer Naturtheater – bei der Inszenierung von „Emil und die Detektive“ stehen gerade die Kinderdarsteller wie Pony Hütchen (erste Reihe rechts: Johanna Schneider) im Mittelpunkt. alle Fotos: Jennifer Räpple Verfolgten die Vorstellung gebannt – und in der finalen Verfolgungs- szene hielten es die jungen Zuschauer bei der Premiere von „Erich und die Detektive“ kaum auf den Stühlen aus. „Alles meine Freunde“: Mit so viel Rückendeckung fällt es Gustav mit der Hupe (Dritter von rechts: Florian Hofele) nicht schwer, den diebischen Herrn Grundeis zur Strecke zu bringen. Aufregende Berliner Wimmelwelt Bei der Premiere von „Emil und die Detektiv“ stand am Sonntag der talentierte Naturtheater-Nachwuchs im Rampenlicht Mit dem Tuten einer Lokomotive startete das Heidenheimer Na- turtheater am Sonntagnachmit- tag sehr effektvoll in die Premie- ren-Vorstellung von „Emil und die Detektive“. Für den Real- schüler Emil Tischbein aus dem kleinen Neustadt führte die Rei- se in die fremde Großstadt Ber- lin – und für die kleinen und gro- ßen Passagiere in den gut gefüll- ten Zuschauerreihen begann eine aufregende, eineinhalbstün- dige Reise durch das turbulente, einfallsreich und aufwendig in- szenierte Kinderstück. Von Annette Grüninger „Knorke“ könnte diesen Sommer in Heidenheim eine ungeahnte Renaissance als Modewort erle- ben. „Knorke“ würde man heute wohl am ehesten mit „geil“, „läs- sig“ oder „Hammer“ übersetzen – als Ausdruck angenehmen Über- raschtseins und der positiver Wertung. „Knorke“ ist ein typi- sches „Emil“-Wort. Genauso wie „Mausehaken“, die Wendung „nicht die Bohne“ oder der Aus- ruf „Alle Wetter!“ Es ist, man hört es, schon eine gute Weile her seit Erich Kästner seinen Roman „Emil und die De- tektive“ veröffentlichte. Dass sich der Kinderklassiker aber bis heu- te großer Beliebtheit erfreut, ver- dankt sich nicht zuletzt der unge- brochen spannenden Geschichte um Emil Tischbein, dem netten Jungen aus der Provinz, der sich auf einmal mittellos in der frem- den Großstadt Berlin wiederfin- det und dank einer aufgeweckten Kinderbande unter der „Parole Emil“ einen Dieb zur Strecke bringt. Robert Koall und Götz Loepel- mann haben die Romanvorlage um Nebenhandlungen und Figu- ren gekürzt und so auf eine gut spielbare Länge gebracht, die die Aufmerksamkeit von Schulkin- dern nicht überstrapaziert. Wo Kästner als guter Erzählonkel die kindlichen Leser bei der Hand nimmt und durch die Geschichte führt, setzt die Theater-Version auf reichlich Action und flotte Dialoge. Von Staub ist da keine Spur. Auch nicht bei den Figuren selbst, die für heutige Verhältnisse etwas altbacken agieren. Emil etwa ist förmlich die Ausgeburt eines vor- bildlichen Sohnes in weißem Hemd und zumindest zu Beginn ordentlich hochgezogenen Karo- strümpfen, der sich um sein al- leinerziehendes „Muttchen“ sorgt und sich mit einem „Emil Tischbein, mein Name, sehr ange- nehm“ vorstellt. Unter der Regie von Stephan Fritz geraten die Charaktere je- doch nicht zu abgelaufenen Ab- ziehbildchen und Emil nicht zum unsympathischen Streber, son- dern zu einem von Hannes Otto mit lebendiger Frische verkörper- ten liebenswerten Lausebengel. Aber auch der aufgeweckte Gus- tav mit der Hupe (Florian Hofele), der clevere Professor (Steve Rieck) oder die resolut-coura- gierte Pony Hütchen (sehr ambi- tioniert: Johanna Schneider) wussten als authentisch gespielte Charaktere zu überzeugen. Selbst Rosalie Lederer füllte als Diens- tag die „blödeste Rolle im ganzen Stück“ mit Bravour aus. Erfreu- lich: Gerade die Kinder-Darstel- ler agierten am Sonntag äußerst natürlich und ließen sich von der zuweilen bemerkbaren Premie- ren-Nervosität der Erwachsenen keineswegs anstecken. Was nun nicht heißen soll, dass nicht auch Tobias Göttl als fieser Verbrecher Grundeis, Martina Gentner als besorgte Frau Tisch- bein oder Karin Ferbar als be- herzte Großmutter sehr gefielen. Und auch Thomas Jentscher ver- fehlte als verschrobener Kom- missar Lurje seine komische Wir- kung nicht, während Hans Valen- tin in der Rolle des Wachtmeister Jeschkes gebietende Ehrfurcht mit Gutmütigkeit verbindet. Das Scheinwerferlicht müssen sie diesen Sommer jedoch eindeutig jemand anderem hinterlassen: dem Schauspiel-Nachwuchs. Im 90. Jahr seines Bestehens scheint sich das Naturtheater weniger in Rückblicke auf vergangene Glanzzeiten zu verlieren als sich auf seine Zukunft zu besinnen – die Kinder. Dennoch: Ein wenig Nostalgie muss eben doch sein, zumindest in der „Emil“-Inszenierung. Mä- dels mit Schleifchen im Haar, kleine Racker mit Schildmützen – eine solche Putzigkeit kommt an beim (erwachsenen!) Zuschauer. Hinzu kommen Melonen und Ga- maschen und vielerlei andere Ac- cessoires. Regisseur Stephan Fritz verbin- det sie zu einer schillernd-bunten Berliner Straßenszenerie, die in ihrer Detailverliebtheit einem je- ner Wimmelbilderbücher gleicht: Da parkt eine Eisverkäuferin ih- ren Wagen vor der Litfass-Säule mit einem Werbeplakat für das „Berliner Kindl“, ein Reiseführer zieht mit einer Gruppe durch die Straßen und ein Zeitungsjunge verkauft die „Berliner Morgen- post“. Für die kleineren Zuschau- er aber ist das fast schon zu viel des Guten, wenn an einem Ende der Bühne gerade ein Oldtimer knatternd und stinkend ins Blickfeld gefahren kommt und sich am anderen die Handlung weiterspinnt. Sei’s drum. Es sind starke Sze- nen, die sich vor diesem bunten Hintergrund entspinnen. Und spätestens bei der finalen Ver- folgungsszene ist das Publikum dann wieder voll da, um die hin- ter dem Schurken Grundeis quer über die Bühne und den Zuschauerraum sprintende Kin- derbande anzufeuern. Einfach knorke, eben. Fies: Herr Grundeis (Tobias Göttl) alias Herr Müller nutzt Emils (Hannes Otto) Unaufmerksamkeit aus. „Die blödeste Rolle“, nämlich an der Telefonzentrale, füllte Rosalie Lederer als Dienstag glänzend aus.
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Page 1: Montag, 22. Juni 2009 Aufregende Berliner Wimmelwelt · HNP-KULTURSPIEGEL Montag, 22. Juni 2009 22 Schwarze Kutten, lange Haare und Campen gehören bei „Rock am Härtsfeldsee“

HNP-KULTURSPIEGEL Montag, 22. Juni 2009 22

Schwarze Kutten, lange Haare und Campen gehören bei „Rock amHärtsfeldsee“ einfach dazu. Foto: Johannes Guldner

Wildes, unkontrolliertes Kopfschütteln war angesagt beim Festival „Rock am Härtsfeldsee“ inDischingen. Die Band Callejon spielte am früheren Abend aber leider vor wenigen Zuschauern. Im Laufedes Abends sollte sich die Stimmung jedoch merklich ändern. Foto: Guldner

Gestreckte Hände und fliegende HaarePünktlich zum Start von „Rock am Härtsfeldsee“ regnete es; trotzdem wurde im Matsch getanzt, gecampt und gefeiert. Im Zelt rockten Metal-Bands wie Hammerfall und End of Green

Ein siebensaitiger Bass, Männerin Kilts oder ganz in Leder ge-kleidet und jede Menge Musik:Das Festival „Rock am Härts-feldsee“ wurde in der Nacht vom19. auf den 20. Juni eröffnet. Mitdabei waren unter anderemBands wie End of Green undHammerfall.

Von Manuel Mielitz

Dröhnende Bässe, laute Gitar-renriffs, fliegende Haare undwild aussehende Menschen: Met-al ist nicht jedermanns Musik.Einmal im Jahr treffen sich Fansdieser Musikrichtung am be-schaulichen Härtsfeldsee, um ih-rer Leidenschaft zu frönen.In diesem Jahr wurde der Auf-

bau des Festivalcampings durchden Regen etwas behindert, den-noch war die Stimmung ausge-lassen und fröhlich. Die erstenhatten ihre Zelte bereits am Vor-mittag aufgebaut und beschall-ten nun die sich füllende Cam-pingwiese neben dem Festival-gelände mit ihren Anlagen. Vomfast schon steinzeitlichen Zelt-camper mit Holzkohlegrill überdie Großzelte einzelner Gruppenbis hin zum Campingbus mitDieselstromaggregat und eigenerBierzapfanlage waren alle Spiel-arten des Campens vertreten.Das Festival selbst begann dannab 18 Uhr mit Stringface, denendie undankbare Aufgabe der ers-ten Band zufiel. Doch auch wennsie musikalisch nicht schlechtwar, stimmungsmäßig konntediese Band fast gar nichts be-

wegen. Auch den beiden nächs-ten Bands Silverlane und Calle-jon erging es nicht besser.Doch nach und nach füllte sichdas Festivalgelände mit einemexotischen Völkchen: Man sahdiverse Männer in Kilts, einigeTrinkhörner, viel Leder, die beiMetallern traditionellen Kutten:Jeans- oder Lederwesten, die mitBandaufnähern und Nieten indi-viduell gestaltet werden. Undnatürlich viele lange Haare undBärte.Bei End of Green stieg die Stim-mung dann an. Die fünf Gothic-Rocker zeigten mit viel Elan,dass es auch Alternativen zumharten Standard-Metal gibt. BeiEnsiferum schließlich kochte dasZelt. Das Quintett aus zwei Gi-tarristen, einem Schlagzeuger,einem Keyboarder und einenMusiker am siebensaitigen Basswar nur mit Kilts bekleidet –ganz in den Farben ihres Hei-matlandes Finnland, dessenFlagge sie sich, wie auch einigeder Fans, ins Gesicht gemalt hat-ten.Nach diesen Pagan-Metallernwaren die Jungs von Hammerfallan der Reihe. Diese Band ver-suchte sich zuerst an den neue-ren Liedern. Doch erst bei denalten Klassikern wie „Hearts onFire“ verwandelte sich das Pu-blikum in ein Meer aus in dieHöhe gereckten Händen undfliegenden Haaren. Die Grimas-sen und Gesten des Sängers ver-ursachten im Publikum freneti-schen Jubel.Besonders ältere Hammerfall-

Fans fanden es jedoch schade,dass durch die jüngsten kom-merziellen Erfolge der Band im-mer mehr Bewunderer angezo-gen werden, die mit dem eigent-lichen Metal nichts am Hut ha-ben. Das Programm wurde durchmehrere Zugaben ergänzt unddie Fans ließen ihre „Helden“nur widerwillig gehen.Der Abend war zu diesem Zeit-punkt schon fast Morgen und als

die Band Feuerschwanz die Büh-ne betrat, war es schon nach halbzwei. Die Mittelalter-Spaß-Com-bo um Ritter Feuerschwanz sangund spielte mit dem deutlichverkleinerten Publikum ihre Lie-der, die das Mittelalter ein weniganders darstellt als es in den Ge-schichtsbüchern steht.Beim Lied „Verteidiger des wah-ren Mets“ schließlich gab es keinHalten mehr, das Publikum

tanzte und hüpfte im Pogo-Stilwild durcheinander.So war es weit nach drei Uhr, alssich das Festivalgelände schließ-lich leerte. Und während dieLetzten ins Bett sanken, kochtendie Ersten schon wieder Kaffeeund versuchten ihre taufeuchtenKleider über den Grills zu trock-nen – schließlich galt es fit zusein für einen weiteren, kräfte-zehrenden Festival-Tag.

Die „Parole Emil!“ erscholl am Sonntagnachmittag gleich mehrfach und mehrstimmig im HeidenheimerNaturtheater – bei der Inszenierung von „Emil und die Detektive“ stehen gerade die Kinderdarstellerwie Pony Hütchen (erste Reihe rechts: Johanna Schneider) im Mittelpunkt. alle Fotos: Jennifer Räpple

Verfolgten die Vorstellung gebannt – und in der finalen Verfolgungs-szene hielten es die jungen Zuschauer bei der Premiere von „Erichund die Detektive“ kaum auf den Stühlen aus.

„Alles meine Freunde“: Mit so viel Rückendeckung fällt es Gustavmit der Hupe (Dritter von rechts: Florian Hofele) nicht schwer, dendiebischen Herrn Grundeis zur Strecke zu bringen.

Aufregende Berliner WimmelweltBei der Premiere von „Emil und die Detektiv“ stand am Sonntag der talentierte Naturtheater-Nachwuchs im Rampenlicht

Mit dem Tuten einer Lokomotivestartete das Heidenheimer Na-turtheater am Sonntagnachmit-tag sehr effektvoll in die Premie-ren-Vorstellung von „Emil unddie Detektive“. Für den Real-schüler Emil Tischbein aus demkleinen Neustadt führte die Rei-se in die fremde Großstadt Ber-lin – und für die kleinen und gro-ßen Passagiere in den gut gefüll-ten Zuschauerreihen beganneine aufregende, eineinhalbstün-dige Reise durch das turbulente,einfallsreich und aufwendig in-szenierte Kinderstück.

Von Annette Grüninger

„Knorke“ könnte diesen Sommerin Heidenheim eine ungeahnteRenaissance als Modewort erle-ben. „Knorke“ würde man heutewohl am ehesten mit „geil“, „läs-sig“ oder „Hammer“ übersetzen –als Ausdruck angenehmen Über-raschtseins und der positiverWertung. „Knorke“ ist ein typi-sches „Emil“-Wort. Genauso wie„Mausehaken“, die Wendung„nicht die Bohne“ oder der Aus-ruf „Alle Wetter!“Es ist, man hört es, schon einegute Weile her seit Erich Kästnerseinen Roman „Emil und die De-tektive“ veröffentlichte. Dass sichder Kinderklassiker aber bis heu-te großer Beliebtheit erfreut, ver-dankt sich nicht zuletzt der unge-brochen spannenden Geschichteum Emil Tischbein, dem nettenJungen aus der Provinz, der sichauf einmal mittellos in der frem-den Großstadt Berlin wiederfin-det und dank einer aufgewecktenKinderbande unter der „ParoleEmil“ einen Dieb zur Streckebringt.Robert Koall und Götz Loepel-mann haben die Romanvorlageum Nebenhandlungen und Figu-ren gekürzt und so auf eine gutspielbare Länge gebracht, die dieAufmerksamkeit von Schulkin-dern nicht überstrapaziert. WoKästner als guter Erzählonkel diekindlichen Leser bei der Handnimmt und durch die Geschichteführt, setzt die Theater-Versionauf reichlich Action und flotteDialoge.Von Staub ist da keine Spur. Auchnicht bei den Figuren selbst, diefür heutige Verhältnisse etwasaltbacken agieren. Emil etwa istförmlich die Ausgeburt eines vor-bildlichen Sohnes in weißemHemd und zumindest zu Beginnordentlich hochgezogenen Karo-strümpfen, der sich um sein al-leinerziehendes „Muttchen“

sorgt und sich mit einem „EmilTischbein, mein Name, sehr ange-nehm“ vorstellt.Unter der Regie von StephanFritz geraten die Charaktere je-doch nicht zu abgelaufenen Ab-ziehbildchen und Emil nicht zumunsympathischen Streber, son-dern zu einem von Hannes Ottomit lebendiger Frische verkörper-ten liebenswerten Lausebengel.Aber auch der aufgeweckte Gus-tav mit der Hupe (Florian Hofele),der clevere Professor (SteveRieck) oder die resolut-coura-gierte Pony Hütchen (sehr ambi-tioniert: Johanna Schneider)wussten als authentisch gespielteCharaktere zu überzeugen. SelbstRosalie Lederer füllte als Diens-tag die „blödeste Rolle im ganzenStück“ mit Bravour aus. Erfreu-lich: Gerade die Kinder-Darstel-ler agierten am Sonntag äußerstnatürlich und ließen sich von derzuweilen bemerkbaren Premie-ren-Nervosität der Erwachsenenkeineswegs anstecken.Was nun nicht heißen soll, dassnicht auch Tobias Göttl als fieserVerbrecher Grundeis, MartinaGentner als besorgte Frau Tisch-bein oder Karin Ferbar als be-herzte Großmutter sehr gefielen.Und auch Thomas Jentscher ver-fehlte als verschrobener Kom-missar Lurje seine komische Wir-kung nicht, während Hans Valen-

tin in der Rolle des WachtmeisterJeschkes gebietende Ehrfurchtmit Gutmütigkeit verbindet.Das Scheinwerferlicht müssen siediesen Sommer jedoch eindeutigjemand anderem hinterlassen:dem Schauspiel-Nachwuchs. Im90. Jahr seines Bestehens scheintsich das Naturtheater weniger inRückblicke auf vergangeneGlanzzeiten zu verlieren als sichauf seine Zukunft zu besinnen –die Kinder.Dennoch: Ein wenig Nostalgiemuss eben doch sein, zumindestin der „Emil“-Inszenierung. Mä-

dels mit Schleifchen im Haar,kleine Racker mit Schildmützen –eine solche Putzigkeit kommt anbeim (erwachsenen!) Zuschauer.Hinzu kommen Melonen und Ga-maschen und vielerlei andere Ac-cessoires.Regisseur Stephan Fritz verbin-det sie zu einer schillernd-buntenBerliner Straßenszenerie, die inihrer Detailverliebtheit einem je-ner Wimmelbilderbücher gleicht:Da parkt eine Eisverkäuferin ih-ren Wagen vor der Litfass-Säulemit einem Werbeplakat für das„Berliner Kindl“, ein Reiseführerzieht mit einer Gruppe durch dieStraßen und ein Zeitungsjungeverkauft die „Berliner Morgen-post“. Für die kleineren Zuschau-er aber ist das fast schon zu vieldes Guten, wenn an einem Endeder Bühne gerade ein Oldtimerknatternd und stinkend insBlickfeld gefahren kommt undsich am anderen die Handlungweiterspinnt.Sei’s drum. Es sind starke Sze-nen, die sich vor diesem buntenHintergrund entspinnen. Undspätestens bei der finalen Ver-folgungsszene ist das Publikumdann wieder voll da, um die hin-ter dem Schurken Grundeisquer über die Bühne und denZuschauerraum sprintende Kin-derbande anzufeuern. Einfachknorke, eben.

Fies: Herr Grundeis (Tobias Göttl) alias Herr Müller nutzt Emils(Hannes Otto) Unaufmerksamkeit aus.

„Die blödeste Rolle“, nämlichan der Telefonzentrale, füllteRosalie Lederer als Dienstagglänzend aus.

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