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ANN KATHRIN HEROVEN, PETRA DERSCH
ABTEILUNG FÜR MOLEKULARE INFEKTIONSBIOLOGIE, HELMHOLTZ-ZENTRUM FÜR
INFEKTIONSFORSCHUNG, BRAUNSCHWEIG
The ability to sense the temperature of surrounding environments is aprerequisite for many bacterial pathogens to adjust their virulence pro-gram to establish an infection. Pathogenic Yersinia species use intrinsicthermosensing protein domains and mRNA secondary structures of cru-cial virulence regulators to activate essential colonization factors duringthe early infection stage and induce antiphagocytic strategies to preventattacks of the innate host immune system during the ongoing infection.
DOI: 10.1007/s12268-014-0450-1© Springer-Verlag 2014
ó Der Lebensstil der meisten pathogenenDarmbakterien ist durch den häufigen Wech-sel zwischen Umweltreservoir und Wirt einemdrastischen Temperaturwechsel von 15 bis25 °C zu konstanten 37 °C unterworfen. Da -her ist es nicht erstaunlich, dass gerade die-ser Temperaturunterschied als ein Signal
wahrgenommen wird, um Pathogenitätsfak-toren und Virulenz-assoziierte Überlebens-strategien zu induzieren [1]. Am Beispiel desenteropathogenen Bakteriums Yersinia pseu-dotuberculosis identifizierten wir neue präzi-se Temperatur-fühlende Elemente in einemregulatorischen Protein bzw. RNA-Molekül,
die der Temperaturregulation zugrunde lie-gen.
Enteropathogene Yersinien verursachenverschiedene Darm-assoziierte Krankheiten,die von akuter Diarrhö (Durchfall) über Coli-tis (Darmentzündung) bis zu Folgeerkran-kungen wie reaktiver Arthritis (Gelenksent-zündung) reichen. Sie haben ein breites Wirts-spektrum und können aus Tieren (Schweine,Wild) und Pflanzen (Salat, Karotten) isoliertwerden. Nach der oralen Aufnahme der Yer-sinien stellt die Translokation durch dieM-Zellen des Darmepithels den ersten wich-tigen Schritt im Infektionsprozess dar. Kolo-nisationsfaktoren wie der primäre Inva-sionsfaktor Invasin, die eine effiziente Bin-dung und Aufnahme in Wirtszellen vermit-teln, sind in diesem frühen Infektionsstadiumdie bedeutendsten Virulenzfaktoren. Siegarantieren kurz nach der oralen Aufnahmeeine schnelle und effiziente Durchdringungdes Darmepithels und tragen zu einer effi-zienten Besiedelung der Darm-assoziiertenlymphatischen Gewebe bei (Abb. 1). DieseFaktoren werden bereits unter Bedingungenexprimiert, die typisch für das frei lebendebzw. in Lebensmitteln persistierende Bakte-rium sind, nämlich bei 20 bis 25 °C. Nachdem Überqueren der Darmepithelschicht ver-mehren sich die Yersinien im darunterlie-genden lymphatischen Gewebe (Peyer’schePlatten) und verbreiten sich weiter in diemesenterialen Lymphknoten, Leber und Milz.Während dieses fortlaufenden Infektionssta-diums wird die Expression der frühen Viru-lenzgene reprimiert und die Synthese ande-rer Pathogenitätsfaktoren induziert. Diesesind vor allem gegen die Wirtsabwehr gerich-tet und gewährleisten das langfristige Über-leben der Bakterien im Wirt. Dazu zählt dasYersinia-Adhäsin A (YadA), das Ysc-Typ-III-Sekretionssystem (T3SS) sowie die antipha-gozytären Yop(Yersinia outer protein)-Effek-torproteine. Yersinien besitzen molekulareThermometer, die in der Lage sind, Tempera-turschwankungen direkt zu messen und sodie Synthese der Virulenzfaktoren außerhalbund innerhalb des Wirts anzupassen.
Bakterielle Protein- und RNA-Thermometer
Molekulare Thermometer zurSteuerung der Virulenz von Yersinia
BIOspektrum | 04.14 | 20. Jahrgang
˚ Abb. 1: Infektionsweg enteropathogener Yersinien. Nach oraler Aufnahme gelangen die Yersi-nien über spezialisierte Zellen, die M-Zellen (microfold cells), durch das Darmepithel in das dar-unterliegende lymphatische Gewebe (Peyer’sche Platten). Von dort breiten sie sich in die mesen -terialen Lymphknoten, Leber und Milz aus.
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Temperaturfühlung und -kontrolledurch das Proteinthermometer RovADie Expression vieler Y. pseudotuberculosis-Virulenzgene, die in der frühen Infektions-phase synthetisiert werden, einschließlichdes Invasins, werden durch den Virulenzre-gulator RovA aktiviert. RovA setzt sich auszwei Untereinheiten aus jeweils sechs
α-Helices und zwei β-Faltblättern zusammen,wobei die Monomere durch eine enge Inter-aktion zwischen den terminalen Helices α1,α5 und α6 miteinander verbunden sind [2].Das winged-Helix-turn-Helix-Motiv aus denHelices α3 und α4 und den zwei folgendenβ-Faltblättern bildet die DNA-Bindedomäneaus, wobei die Helix α4 tief in die große
DNA-Furche eingebettet wird und für diemeisten Protein-DNA-Kontakte verantwort-lich ist [2].
Die Transkription von rovA wird nur beimoderaten Temperaturen (20 bis 25 °C) indu-ziert und ist autoreguliert. Unter diesen Bedin-gungen kommt es zur Bindung mehrererRovA-Moleküle an eine ausgedehnte AT-reicheSequenz (hochaffine Bindestelle) und zurAktivierung der Genexpression [3]. Wird nachAutoaktivierung ein bestimmter RovA-Levelerreicht, bindet RovA auch an eine nieder -affine Bindestelle stromabwärts der Promo-torregion (Überlaufventil), um eine unkon-trollierte Hochregulierung von rovA zu ver-hindern. Bei 37 °C wird die rovA-Transkrip-tion jedoch durch einen posttranskriptio -nellen Kontrollmechanismus verhindert(Abb. 2, [2, 4]).
RovA stellt ein Proteinthermometer miteinem eingebauten Thermosensor dar. Beieiner Erhöhung von moderaten Temperatu-ren auf 37 °C wird eine reversible Konfor-mationsänderung im RovA-Protein induziert,wobei ein Teil der α-helikalen Struktur vonRovA verloren geht [4]. Dies reduziert dieDNA-Bindefähigkeit von RovA, und der Regu-lator wird angreifbarer für den proteolyti-schen Abbau durch die Lon-Protease. Damitsteht weniger aktives RovA zur Verfügung,und die Autoaktivierung unterbleibt [4]. Einekleine flexible Schleife zwischen den Helicesα5 und α6 ermöglicht die Temperaturwahr-nehmung von RovA und ist in die Dimerisie-rung involviert. Unterstützt wird dies durchdie Aminosäure Glycin-116, die eine höhereFlexibilität der benachbarten Helix α6 ermög-licht. Bei einer Temperaturerhöhung könnensich die dazwischenliegenden Helices (rever-sibel) entfalten, ohne dabei das Dimer zu zer-stören [2]. Die strukturelle Verkrümmungwird auf die flexible DNA-Bindedomäne vonRovA übertragen, wodurch dieses von derDNA freigesetzt wird.
Temperaturwahrnehmung durch einRNA-ThermometerDie Expression der essenziellen Virulenzge-ne, die für YadA und T3SS/Yops codieren,wird im Laufe der Infektion durch den AraC-ähnlichen Transkriptionsregulator LcrF indu-ziert. Es ist schon länger bekannt, dass LcrFin Y. pseudotuberculosis nur bei 37 °C pro-duziert wird. Die zugrunde liegende Ther-moregulation war jedoch noch nicht verstan-den. Nun konnten wir zeigen, dass ein ther-moinstabiler Regulator und ein einzigartiger,intergenischer RNA-Thermosensor die Syn-
˚ Abb. 2: Thermoregulation von Virulenzregulator RovA. Der RovA wird bei moderaten Tempera-turen (20 bis 25 °C) aktiviert. Er bindet an seine Zielsequenz in der rovA-Promotorregion und ver-hindert so die durch H-NS (Nukleoid-assoziiertes Protein) vermittelte Repression. Bei höherenTemperaturen (37 °C) ändert das Protein seine Konformation, die die DNA-Bindung von RovAreduziert und es angreifbar für den Abbau durch die Lon-Protease macht. (Kooperation:Dirk Heinz, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Braunschweig).
˚ Abb. 3: Thermoregulation von LcrF. Bei moderaten Temperaturen reprimiert YmoA im Komplexmit H-NS die Transkription. Zwei Haarnadelstrukturen blockieren zudem die Translation des lcrF-Transkripts, da die Ribosomen-Bindestelle (RBS) durch Basenpaarung mit einem FourU-Motivmaskiert wird, das aus vier Uracilbasen besteht. Bei höheren Temperaturen (37 °C) bauen Protea-sen YmoA ab. Eine thermoinduzierte Konformationsänderung des RNA-Thermometers erlaubt dieTranslation des lcrF-Transkripts und Induktion aller LcrF-abhängigen Virulenzgene. (Kooperation:Franz Narberhaus, Ruhr-Universität Bochum).
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these von LcrF bei Körpertemperatur indu-zieren (Abb. 3, [5]).
Thermosensitiver Modulator YmoAkontrolliert IcrF-TranskriptionDas lcrF-Gen wird zusammen mit yscW expri-miert. Die Temperatur-regulierte Transkrip-tion des yscW-lcrF-Operons ist relativ schwachund wird durch den thermosensitiven Modu-lator YmoA durch eine Heterokomplexbildungmit dem Nukleoid-assoziierten silencing-Pro-tein H-NS vermittelt. Für die YmoA-vermittelteRepression der lcrF-Tran skription sindSequenzen innerhalb der langen 5’-UTR vonyscW verantwortlich. Bei 37 °C wird YmoAproteolytisch durch Lon- und Clp-Proteasenabgebaut. Daraufhin wird der Repressions-komplex reduziert, wodurch sich die yscW-lcrF-Transkriptmenge erhöht (Abb. 3, [5]).
Kontrolle der lcrF-Translation durchein RNA-ThermometerDie transkriptionelle Antwort wird nochdurch eine zweite Ebene der Temperaturkon-trolle ergänzt. Hierbei handelt es sich um eineinzigartiges cis-wirkendes RNA-Element, dasinnerhalb der intergenischen Region desyscW-lcrF-Transkripts lokalisiert ist. DieseRegion bildet eine thermosensitive Sekun-därstruktur von zwei Haarnadelstrukturenaus, die als RNA-Thermometer die posttran -skriptionelle Kontrolle vermittelt (Abb. 3, [5]).Während die erste Haarnadelstruktur für dieStabilisierung der zweiten verantwortlich ist,maskiert die zweite die Ribosomen-Binde-stelle (RBS) von lcrF durch einen Bereich vonvier aufeinanderfolgenden Uracilen (FourU-Motiv) bei 25 °C. Diese Struktur öffnet sichbei 37 °C und ermöglicht die Bindung derRibosomen an die RBS [5]. Die biologischeRelevanz eines solchen RNA-Thermometerskonnte erstmals im Tiermodell gezeigt wer-den. Nach oraler Infektion von Mäusen mitY. pseudotuberculosis-Stämmen, die stabili-
sierte Thermometer-Varianten exprimierten,konnten sich diese deutlich schlechter in diePeyer’schen Platten, Leber und Milz verbrei-ten und hatten ihre Letalität komplett verlo-ren [5]. Interessanterweise waren Yersinia-Stämme mit einer destabilisierten Variantedes Thermosensors weniger pathogen oderführten zu einer ähnlichen, aber nicht höhe-ren Mortalität. Dies zeigt, dass das RNA-Ther-mometer das entscheidende Kontrollelementist, das die LcrF-Menge für eine optimale, effi-ziente Infektion einstellt. Die Temperatur-kontrolle ist jedoch nicht das einzige Signal,das die RNA-Struktur beeinflusst. WeitereRNA-bindende Proteine sind an der Expres-sionskontrolle beteiligt, die nur dann einestarke Synthese von LcrF bei 37 °C erlauben,wenn zusätzlich Wirtszellkontakt besteht. DieAufklärung dieses Mechanismus lässt weite-re spannende neue Regulationsstrategienerhoffen.
DanksagungEin herzliches Dankeschön an alle Mitar beiterund Kooperationspartner, ohne die diese Pro-jekte niemals möglich gewesen wären. ó
Literatur[1] Steinmann R, Dersch P (2013) Thermosensing to adjustbacterial virulence in a fluctuating environment.Future Microbiol 8:85–105[2] Quade N, Mendonca C, Herbst K et al. (2012) Structuralbasis for intrinsic thermosensing by the master virulenceregulator RovA of Yersinia. J Biol Chem 287:35796–35803[3] Heroven A, Nagel G, Tran HJ et al. (2004) RovA is autore-gulated and antagonizes H-NS-mediated silencing of invasinand rovA expression in Yersinia pseudotuberculosis.Mol Microbiol 53:871–888[4] Herbst K, Bujara M, Heroven AK et al. (2009) Intrinsicthermal sensing controls proteolysis of Yersinia virulenceregulator RovA. PLoS Pathog 5:e1000435[5] Böhme K, Steinmann R, Kortmann J et al. (2012)Concerted actions of a thermo-labile regulator and a uniqueintergenic RNA thermosensor control Yersinia virulence.PLoS Pathog 8:e1002518
Korrespondenzadresse:Prof. Dr. Petra DerschHelmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI)Abt. Molekulare InfektionsbiologieInhoffenstraße 7D-38124 BraunschweigTel.: 0531-61815700Fax: [email protected]
AUTORINNENAnn Kathrin Heroven1996–2002 Biologiestudium an der FU Berlin. 2003–2007 Promotion am RobertKoch-Institut, Berlin, und an der TU Braunschweig. 2007–2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Braunschweig. Seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin inder Abteilung für Molekulare Infektionsbiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektions-forschung (HZI), Braunschweig.
Petra Dersch1984–1990 Biologiestudium an den Universitäten Ulm und Konstanz. 1991–1995 Pro-motion am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg. 1995–1998Postdoc bei Prof. Dr. R. Isberg an der Tufts University in Boston, USA. 1998–2002 C1-Assistentin an der FU Berlin. 2003–2005 Nachwuchsgruppenleiterin am Robert Koch-Institut, Berlin. 2005–2008 Professur für Mikrobiologie an der TU Braunschweig. Seit2008 Leiterin der Abteilung für Molekulare Infektionsbiologie am Helmholtz-Zentrumfür Infektionsforschung (HZI), Braunschweig.