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Máirtín Ó Cadhain...Máirtín Ó Cadhain, in Irland selbst auf einer Stufe mit James Joyce, gilt...

Date post: 26-Mar-2021
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Máirtín Ó Cadhain, in Irland selbst auf einer Stufe mit James Joyce, gilt als einer der wichtigsten Autoren in irischer Sprache. Er wurde 1906 westlich von Galway, in einer ausschließlich irischsprachigen Gegend, gebo-ren und starb 1970 in Dublin. Man sagt, bis zu seinem sechsten Lebensjahr habe er kein Wort Englisch gehört. Zunächst Lehrer, engagierte er sich immer stärker in der Irisch- Republikanischen Armee und verlor 1936 seine Arbeit. Von 1940 bis 1944 war Ó Cadhain im In-ternierungslager Curragh Camp inhaftiert; nach dem Krieg arbeitete er in Dub lin als Übersetzer und Profes-sor für Literatur am Trinity College, wo ein Lesesaal nach ihm benannt ist.

Gabriele Haefs, eine der bekanntesten Übersetzerin-nen für den skandinavischen Raum (u.a. von Jostein Gaarder, Sigrid Undset und Anne Holt), hat Volkskun-de, Sprachwissenschaft, Keltologie und Skandinavistik studiert und ist damit eine der wenigen Übersetze-rinnen, die sich ans Irische wagen dürfen. Sie wurde u.a. mit dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis aus-gezeichnet, 2008 mit dem Deutschen Jugendliteratur-preis für ihr übersetzerisches Gesamtwerk, 2011 erhielt sie den Königlich-Norwegischen Verdienstorden.

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Übersetzt von Gabriele HaefsMit Anmerkungen und Zeittafel

MÁIRT ÍN ÓCADHAIN

GRABGEFLÜSTER

ALFRED KRÖNER VERLAG

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Abbildung des Autors auf der Umschlagrückseite mit freundlicher Genehmigung durch Cló Iar-Chonnacht

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwendung, die nicht ausdrücklich vom Ur he ber rechts gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für

Vervielf ältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2017 Alfred Kröner Verlag Stuttgart ·Gesamtherstellung: Alfred Kröner Verlag Stuttgart

Máirtín Ó Cadhain

Grabgeflüster

Übersetzt von Gabriele Haefs

mit Anmerkungen und Zeittafel

1. Auflage

Stuttgart, Kröner 2017

ISBN Druck: 978-3-520-60101-8isbn epub: 978-3-520-60192-6isbn pdf: 978-3-520-60191-9

Originaltitel: Cré na Cille © Cló Iar-Chonnacht, Ireland

Die Übersetzung folgt der irischen Ausgabe von 1949

© Sáirseál agus Dill

Die Arbeit der Übersetzerin am vorliegenden Text wurde vom

Deutschen Übersetzungsfonds gefördert.

Der Verlag bedankt sich für die finanzielle Unterstützung

durch den Ireland Literature Exchange (Übersetzungsfond),

Dublin, Irland.

www.irelandliterature.com, [email protected]

Umschlag- und Satzgestaltung Denis Krnjaic, wewamo.de,

unter Verwendung von: Ronald Sumners und Elya Vatel/shutterstock.com

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Personen:

Caitríona Pháidín: Caitríona (Tochter von) Páidín, frisch beer-

digt

Pádraig Chaitríona: Pádraig (Sohn von) Caitríona, ihr einziger

Sohn

Nóra Sheáiníns Tochter: Frau von Pádraig Chaitríona. Lebte im

selben Haus wie Caitríona.

Máirín: Tochter von Pádraig Chaitríona und der Tochter von

Nóra Sheáinín

Nóra Sheáinín: Nóra (Tochter von) Seáinín, Mutter der Frau von

Pádraig Chaitríona

Baba Pháidín: Baba (Tochter von) Páidín, Schwester von Caitrío-

na und Neil. Lebt in den USA. Von ihr wird eine Erbschaft

erwartet.

Neil Pháidín: Schwester von Caitríona und Baba

Jeaic der Gelehrte: Jeaic (Sohn des) Gelehrten, Neils Ehemann

Peadar Neil: Peadar (Sohn von) Neil und Jeaic

Meag Bhríain Mhóir: Meag (Tochter des) Großen Bríain, Frau

von Peadar Neil

Bríain Mór: der große Bríain, Vater von Meag

Tomás im Haus: Verwandter von Caitríona und Neil, die beiden

streiten sich um sein Land.

Muraed Phroinsiais: Muraed (Tochter von) Proinsias. Nachbarin

und lebenslange Freundin von Caitríona

Weitere Bekannte und Verwandte

Hinweise zur Aussprache des Irischen und den Besonderheiten der Schreibung finden sich in den Anmerkungen S. 437 ff.

Kennzeichnung der Gespräche:

– Rede beginnt

– … andauernde Rede

… ausgelassene Rede

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In diesem Buch wird nicht über lebende oder tote Menschen erzählt und auch nicht über irgendeinen exis tierenden Friedhof.

GRABGEFLÜSTER

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Zwischenspiel 1 Die schwarze Erde

– 1 –

Haben die mich wohl in der Pfund-Abteilung oder in der Fünfzehn-Schilling-Abteilung begraben? Oder ist der Teufel in sie gefahren, und sie haben mich in die Halbe-Guinee-Abteilung abgeschoben, obwohl ich ih-nen so oft gepredigt habe, dass ich das nicht will? Am Morgen meines Todestages habe ich Pádraig aus der Kü-che hochgerufen: »Ich flehe dich an, Pádraig, mein Kind«, hab ich gesagt, »begrab mich in der Pfund-Abteilung! Einige von uns sind zwar in der Halbe-Guinee-Abtei-lung begraben, aber trotzdem …«

Ich habe ihnen gesagt, sie sollen bei Tadhg den bes-ten Sarg holen. Es ist immerhin ein guter Eichensarg … Ich habe das Skapulier umgelegt. Und das Leichentuch hab ich auch. Ich hatte es selbst bereitgelegt … Auf dem Tuch ist ein Fleck. Ein Fleck wie ein Rußstreifen. Nein, kein Fleck. Fingerabdruck. Bestimmt die Frau meines Sohnes. Sieht ihr ähnlich, diese Schlamperei. Wenn Neil das sähe! Bestimmt war sie dabei. Das wäre sie nicht ge-wesen, bei Gott, wenn ich etwas zu sagen gehabt hätte …

Cáit Bheag hat beim Zuschneiden ganz schön ge-pfuscht. Ich habe immer gesagt, dass sie und Bid Shorcha nicht einen Tropfen zu trinken bekommen dürfen, bis der Leichnam aus dem Haus geschafft ist. Ich habe Pá-

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d raig eingeschärft, dass er nicht zulassen dürfte, dass sie das Leichentuch zuschneiden, wenn sie vorher gepichelt hätten. Aber die Cáit Bheag ist von den Leichen nicht wegzuhalten. Ihre größte Freude im Leben war es, jeden Tag irgendwo in den beiden Dörfern eine Leiche zu haben. Die Ernte konnte am Halm verrotten, wenn sie nur eine Leiche ergattern konnte …

Das Kreuz liegt auf meiner Brust, das, das ich bei der Inneren Mission bekommen habe … Aber wo ist das schwarze Kreuz, das Tomáisíns Frau das letzte Mal in Knock für mich hat segnen lassen, als Tomáisín festge-bunden werden musste? Ich habe ihnen gesagt, sie soll-ten mir auch dieses Kreuz mitgeben. Es sieht viel besser aus als das hier. Der Erlöser an diesem hier ist verbogen, seit es Pádraigs Kindern runtergefallen ist. Der Erlöser an dem schwarzen Kreuz ist hinreißend. Aber was ist los mit mir? Ich bin wohl so vergesslich wie eh und je. Da liegt es doch unter meinem Kopf. Wie schade, dass sie mir das nicht auf die Brust gelegt haben …

Sie hätten mir den Rosenkranz fester um die Finger wickeln müssen. Bestimmt hat Neil das gemacht. Es hät-te ihr nur zu gut gefallen, wenn der Rosenkranz auf den Boden gerutscht wäre, als ich in den Sarg gelegt wurde. Mein Gott, die soll mir ja nicht in die Quere kommen! Ich hoffe, sie haben in der Kirche an meinem Kopfende die acht Kerzen angezündet. Ich hatte sie schon bereit-gelegt, in der Kommode, am Rand, unter den Pachtpa-pieren. Das hatte noch keine Leiche in dieser Kapelle: acht Kerzen! Curraoin hatte nur vier. Liam Thomáis der Schneider hatte sechs, aber seine Tochter ist ja auch Or-densschwester in Amerika.

Ich hatte mir drei halbe Fässer Porter für die To-tenwache bestellt, und Éamonn vom oberen Feld hat

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mir versprochen, wenn es draußen irgendwo Poitín gäbe, würde er ihn persönlich bringen, ohne sich lange bitten zu lassen. Das ist das Mindeste, was man von Éamonn erwarten kann, bei so viel Geld in der Kol-lekte für die Kapelle. Mindestens vierzehn oder fünf-zehn Pfund. Ich habe selbst oft jemanden oder wenigs-tens einen Schilling zu Beerdigungen geschickt, wo ich überhaupt  kei nen Besuch schuldig war, in den fünf oder sechs Jahren, in denen es mir immer schlechter ging. Ich vermute, alle aus den Bergen sind gekommen. Es wäre doch schwach, wenn sie nicht gekommen wären. Wir waren schließlich auch bei ihnen. Das macht schon fast ein Pfund. Und die Leute aus Doire Locha, mit der an-geheirateten Verwandtschaft. Das macht dann fast noch ein Pfund. Ganz Gleann na Buaile war mir eine Beerdi-gung schuldig … Es würde mich nicht wundern, wenn Stiofán Silberzunge nicht gekommen wäre. Wir waren bei allen seinen Beerdigungen, aber er hat bestimmt be-hauptet, dass er erst davon gehört hätte, als ich schon unter der Erde lag. Und was er dann für ein Gewese gemacht hat! »Ich schwöre dir, Pádraig Uí Loideáin, und wenn es mich den letzten Blutstropfen gekostet hät-te, ich wäre doch zur Beerdigung gekommen! Ich war es Caitríona Pháidín schuldig, zu ihrer Beerdigung zu kommen, und wenn ich auf Knien hätte hinrutschen müssen. Aber  wie’s der Teufel so will, habe ich erst am Abend der  Beerdigung  davon erfahren. Ein junger Mann …« Dieser Stiofán Silberzunge redet wirklich wie ein Buch …

Ich wüsste gern, ob ich laut und gut betrauert wor-den bin. Ungelogen, Bid Shorcha kann Totenklagen singen, dass kein Auge trocken bleibt, falls sie nicht zu betrunken war. Ich bin sicher, dass auch Neil losgelegt

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hat. Neil hat heftig gejammert, aber auf ihrer Wange war nicht eine einzige Träne zu sehen, diese Heuchlerin! Die hätte sich doch nicht mal in die Nähe des Hauses gewagt, so lange ich noch am Leben war …

Sie reibt sich jetzt die Hände. Ich dachte, ich würde noch ein paar Jahre leben und diese miese Schlampe beerdigen können. Es geht ihr sehr viel schlechter, seit ihr Sohn den Unfall hatte. Und auch vorher schon war sie ganz schön oft beim Doktor. Dabei hat sie gar nichts groß. Rheumatismus. Der wird sie noch lange nicht umbringen. Sie schont sich. Ich habe das nicht getan, und das hab ich jetzt davon. Ich habe mich mit harter Arbeit ins Grab gebracht … Wenn ich nur was gegen diese Schmerzen unternommen hätte, ehe sie chronisch wurden. Aber wenn erst die Nieren betroffen sind, ist Matthäi am letzten.

Ich war immerhin zwei Jahre älter als Neil … Baba, dann ich und dann Neil. Zu Michaeli war es ein Jahr, dass ich die Rente bekommen habe. Aber ich habe sie zu  früh bekommen. Baba ist fast schon dreiundsiebzig. Sie wird bald sterben, egal, was sie tut. In unserer Familie hat niemand lange gelebt. Wenn sie hört, dass ich gestor-ben bin, wird sie wissen, dass sie auch nicht mehr lange hat, und bestimmt wird sie dann ihr Testament machen

… Sie wird einfach alles, was sie hat, Neil vererben. Dieser Schmutzfink hat mich dann doch noch ausgetrickst. Sie hat Baba ganz schön ausgenommen! Aber wenn ich am Leben geblieben wäre, bis Baba ihr Testament gemacht hätte, hätte sie mir sicher die Hälfte ihres Geldes hin-terlassen, egal, was Neil sagt. Auf Baba ist kein Verlass! Mir hat sie am häufigsten geschrieben in den drei Jahren, nachdem sie bei Bríains Familie in Norwood ausgezo-gen und nach Boston gegangen ist. Es ist immerhin ein

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Trost, dass sie sich endlich von diesem Natterngezücht befreit hat …

Aber sie hat Pádraig nie verziehen, dass er dieses zän-kische Weib aus Gort Ribeach geheiratet hat und nicht Meag Bhríain Mhóir. Sie wäre nicht mal in die Nähe von Neils Haus gegangen, als sie damals aus Amerika zu-rückgekommen ist, wenn Neils Sohn nicht Meag gehei-ratet hätte. Und warum auch? … Ein kleines Loch von Haus! Ein kleines Drecksloch! Und schon gar kein Haus für Besuch aus Amerika! Ich weiß überhaupt nicht, wie sie dort leben konnte, nach unserem Haus und diesen Villen in Amerika. Aber sie ist ja auch nicht lange dort geblieben, sondern bald zurückgefahren …

Sie wird in ihrem Leben nicht noch einmal nach Ir-land kommen. Damit ist sie jetzt fertig. Aber wer weiß, vielleicht juckt es sie ja doch wieder in den Zehen, wenn der Krieg erst vorüber ist, falls sie dann noch unter den Lebenden weilt. Neil könnte den Honig aus einem Bienenkorb locken, so schamlos und gerissen ist sie! Und was ist Baba für eine alte Hexe! Obwohl sie bei der Fa-milie von Bríain Mór in Norwood ausgezogen ist, hängt sie immer noch sehr an Bríains Tochter Meag. Was war mein Pádraig doch für ein kleines Rindvieh, dass er nicht auf ihren Rat gehört und die Tochter dieses Zankteufels geheiratet hat! »Lass mich doch in Ruhe«, hat das kleine Rindvieh gesagt. »Ich würde Bríain Mórs Meag nicht mal heiraten, wenn sie die letzte Frau in Irland wäre!« Baba ist sofort zu Neil rübergestürzt, als ob ihr jemand ins Gesicht geschlagen hätte, und hat sich bei uns nie wieder blicken lassen, bis auf den einen kurzen Augenblick an dem Tag, an dem sie nach Amerika zurückgefahren ist …

– … Hitler ist mein Liebling! Der ist Manns genug um …

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– Wenn England besiegt wird, wird es unserem Land übel ergehen. Wir haben schon den Markt verloren …

– Ihr Brut des Einohrigen Schneiders, ihr habt mich fünfzig Jahre zu früh hierhergebracht! Die Brut des Ein-ohrigen war immer sofort mit einem miesen Schlag zur Stelle. Messer, Steine, Flaschen. Wolltest nicht wie ein Mann kämpfen, sondern hast mich hinterrücks ersto-chen …

– … Lasst mich sprechen! Lasst mich sprechen …– Beim Leiden Christi! – Lebe ich oder bin ich tot?

Und die anderen hier, leben die oder sind sie tot? Die keifen genauso herum wie früher über der Erde. Ich dachte immer, wenn ich erst im Grab liege, befreit von Arbeit und häuslichen Sorgen und allen anderen Küm-mernissen, werde ich endlich Ruhe finden … Aber was soll dieser Unfrieden hier in der Friedhofserde?

– ii –

– … Wer bist du? Bist du schon lange hier? Kannst du mich hören? Sei doch nicht so schüchtern! Fühl dich ganz wie zu Hause. Ich bin Muraed Phroinsiais.

– Gott soll dich schützen! Muraed Phroinsiais von nebenan! Ich bin Caitríona. Caitríona Pháidín. Erinnerst du dich an mich, Muraed, oder verliert man hier alle Erinnerungen an das Leben? Ich habe meine jedenfalls noch …

– Die wirst du auch nicht verlieren. Das Leben hier ist dasselbe, Caitríona, wie in der Alten Heimat, nur sehen wir eben nur das Grab, in dem wir liegen, und kön-nen unseren Sarg nicht verlassen. Du hörst die Leben-den auch nicht und weißt nicht, was bei denen passiert,

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nur das, was die Frischbeerdigten erzählen können. Aber jetzt sind wir wieder Nachbarinnen, Caitríona. Bist du schon lange hier? Ich hab dich gar nicht kommen hören.

– Ich weiß nicht, ob ich am Patrickstag gestorben bin oder am Tag danach, Muraed, ich war zu erschöpft. Ich weiß auch nicht, wie lange ich schon hier bin. Aber je-denfalls nicht sehr lange … Du bist auch schon eine gan-ze Weile hier, Muraed … Du hast recht. Zu Ostern vier Jahre. Ich wollte grade für Pádraig in Garraí Domhann Dünger verteilen, da kam ein Mädchen von Tomáisín mich holen. »Muraed Phroinsiais liegt im Sterben«, hat sie gesagt. Und dann, ob du es glaubst oder nicht, stand die Cáit Bheag schon vor der Haustür, als ich gerade erst bei der Scheune angekommen war. Du warst so-eben verschieden. Ich hab dir eigenhändig die Augen zugedrückt. Cáit Bheag und ich haben dich dann fer-tiggemacht. Und alle haben gesagt, dass du eine richtig schöne Leiche warst. Niemand hatte einen Grund, sich zu beklagen. Bei dir lag jedes Haar so, wie es sich gehört. Du lagst so gerade da, als ob du auf die Bretter aufgebü-gelt worden wärst …

… Ich bin dann auch nicht mehr sehr lange geblie-ben, Muraed. Ich hatte schon lange Probleme mit den Nieren. Etwas war da verstopft. Vor fünf oder sechs Wochen bekam ich schreckliche Schmerzen, und dazu kam dann noch eine Erkältung. Die Schmerzen sind in meinen Bauch gewandert und von dort nach oben in meine Brust. Ich habe nur noch ungefähr eine Woche durchgehalten … Ich war noch gar nicht so alt, Mu-raed, kaum einundsiebzig. Aber mein Leben war nichts als Mühsal. So war das, bei allen Heiligen, und das sieht man mir auch an! Als es kam, kam es richtig. Ich konnte mich nicht mehr wehren …

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Das kannst du wohl sagen, Muraed! Dieses kleine Flittchen aus Gort Ribeach war da auch keine Hilfe. Was war nur in meinen Pádraig gefahren, dass er sie unbe-dingt heiraten wollte? … Gott segne dich, Muraed, du hast doch keine Ahnung, kein Mucks darüber ist mir je über die Lippen gekommen. Drei lange Monate hat sie schon keinen Finger mehr gerührt … Noch ein Kind. Sie ist ja grade erst wieder auf die Beine gekommen. Noch eins überlebt sie niemals, wenn du mich fragst … Sie hatten Kinder wie die Orgelpfeifen, aber nicht eins hatte einen Funken Verstand, außer Máirín, der Ältesten, und die musste ja jeden Tag in die Schule gehen. Ich hab ja so gut geholfen, wie ich konnte, habe sie sauberge-macht und vom Feuer weggehalten und sie gefüttert … Du hast recht, Muraed. Pádraigs Haushalt wird vor die Hunde gehen, jetzt, wo ich nicht mehr da bin. Diese Schlamperliese kann jedenfalls keinen Haushalt führen, eine Frau, die fast jeden Tag im Bett verbringt … Da sagst du was Wahres, Schwester! Wer uns leidtun muss, sind Pádraig und die Kinder …

Das allerdings. Ich hatte alles bereitliegen, Muraed, Leichentuch, Skapulier und alles … Du kannst mir glau-ben, Muraed, in der Kapelle standen acht Kerzen über mir, so war das … Ich hatte den besten Sarg, den es bei Tadhg überhaupt gab. Keinen Penny weniger als fünf-zehn Pfund, würde ich sagen … Aber auf diesem sind nicht nur zwei Eisenplatten, Muraed, sondern drei … Und jede davon könnte man für den großen Spiegel aus dem Wohnzimmer des Pfarrers halten …

Pádraig hat mir versprochen, mir ein Kreuz aus Kalk-stein von den Aran-Inseln aufzustellen, so eins wie bei Kneipen-Peadar, mit einer Inschrift auf Irisch: »Caitrío-na Bean Sheáin Uí Loideáin …« Ich wär ja nicht im

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Traum auf die Idee gekommen, ihn darum zu bitten, Muraed … Und er wollte ein Gitter um mein Grab herum aufstellen, wie bei Siúán aus dem Laden, und er wollte Blumen über mir pflanzen – aber verdammt, ich weiß nicht mehr, wie die hießen –, so wie die Schulmeis-terin sie an ihrem schwarzen Kleid hatte, nachdem der Schulmeister gestorben war. »Das ist das Mindeste, was wir dich tun können, nach allem, was du mit uns durch-gemacht hast!«, hat Pádraig gesagt …

Aber jetzt sag mal, Muraed, welcher Teil des Fried-hofs ist das hier? … Meiner Seel, du hast recht, das ist die Fünfzehn-Schilling-Abteilung … Also, Muraed, wenn du ehrlich bist, weißt du, dass ich nie damit gerech-net hätte, in der Pfund-Abteilung begraben zu werden. Wenn sie mich dort begraben hätten, hätte ich nichts daran ändern können, aber sie darum zu bitten …

Neil, ja? … Meiner Seel, es hat nicht viel gefehlt, dann hätte ich sie begraben. Wenn ich nur ein bisschen länger gelebt hätte, hätte ich das getan … Dass ihr Sohn Peadar den Unfall hatte, hat sie hart getroffen … Er wur-de von einem Lastwagen angefahren, vor einem oder an-derthalb Jahren, am Strand, und dabei wurde seine Hüfte zerschmettert. Im Krankenhaus wussten sie eine Woche lang nicht, ob sie ihn noch würden retten können …

Ach, das hast du schon gehört, Muraed … Meiner Seel, danach hat er sechs Monate flach im Bett verbracht

… Und seit er wieder zu Hause ist, hat er keinen Finger gerührt, er humpelt nur auf zwei Krücken durch die Gegend. Alle dachten, mit ihm wäre es aus …

Die Kinder sind ihm keine Hilfe, Muraed, abgese-hen von dem ältesten Bengel, und der ist ein Schur-ke! … Warum sollte er keiner sein? Kommt nach seinem Großvater, seinem Namensvetter Bríain, dieser Elends-

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gestalt! Ganz zu schweigen von seiner lieben Oma Neil! Neils Familie hat in den letzten beiden Jahren keine Frühjahrsbestellung mehr gemacht, die diesen Namen verdient hätte … Der Unfall war ein harter Schlag für Meag Bhríain Mhóir und für Neil. Geschieht der mie-sen Schlampe recht! Wir hatten in diesem Jahr dreimal so viele Kartoffeln wie die.

Ach, du Unschuldsengel, Muraed Phroinsiais, für ihn war die Straße ja wohl so lang und breit wie für alle an-deren, da hätte er dem Lastwagen ja wohl aus dem Weg gehen können … Neils Sohn hat den Prozess verloren, Muraed. »Ich gebe Ihnen nicht einen roten Heller«, hat der Richter gesagt … Er hat den Lastwagenfahrer dann nochmal vor Gericht geschleppt, aber der Richter hat Neils Sohn nicht einmal den Mund aufmachen lassen. Er will bald vor dem Obersten Gericht in Dublin klagen, aber das wird ihm auch nicht helfen. Gemeindevertreter Mainnín hat es mir selbst gesagt, dass Neils Familie kei-nen roten Heller bekommen wird. »Wieso denn auch?«, hat er gefragt. »Auf der falschen Straßenseite!« … Das kannst du mir glauben, Muraed, und das Gericht wird Neil noch den letzten Penny nehmen. Geschieht ihr recht! Jetzt wird sie nicht mehr so oft Geheimnisvolle Ei lea­nóir singen, wenn sie an unserem Haus  vorbeikommt …

Dem armen Jeaic geht es gar nicht gut, Muraed. Na-türlich hat Neil sich kein bisschen um ihn gekümmert und Bríains Tochter auch nicht, seit sie dort eingezogen ist … Schließlich ist Neil meine eigene Schwester, Mu-raed, und da muss ich das ja wohl wissen! Sie hat sich um den armen Jeaic nie auch nur im Geringsten gekümmert. Der ging es immer nur um sich selbst. Sonst hat sie sich für keinen Menschen auf der ganzen Welt interessiert

… Ich sag es dir, Muraed, und du kannst es mir glauben,

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bei der kleinen Schlampe hat Jeaic ein schlimmes Leben gehabt … Tomás im Haus, Muraed, der ist wie immer … Der haust noch immer in seiner Bruchbude. Aber die kann jetzt jeden Moment über ihm zusammenbrechen

… und dabei hat mein Pádraig doch sogar angeboten, hinzugehen und das Strohdach neu zu decken. »Aber Pádraig«, sag ich zu ihm, »du kannst doch nicht so tief sinken und bei Tomás im Haus als Dachdecker arbeiten. Soll Neil ihm doch das Dach decken, wenn sie Lust dazu hat! Und wenn sie das tut, dann tun wir das auch …«

»Aber Neil muss doch alles ganz allein schaffen mit Peadars kaputter Hüfte«, sagt Pádraig.

»Wir haben alle mehr als genug damit zu tun, unser eigenes Dach zu decken«, sag ich, »die blöde Bruchbude von Tomás im Haus kann uns da wirklich egal sein!«

»Aber dem wird das Haus über dem Kopf zusam-menbrechen«, sagt er.

»Von mir aus«, sag ich. »Neil hat auch so schon genug zu tun, da braucht sie Tomás im Haus nicht auch noch das Strohdach in den Rachen zu stopfen. Hör jetzt auf, Pádraig, mein Guter!«, sag ich. »Tomás im Haus ist wie die Ratten auf einem sinkenden Schiff. Wenn es ihm auf den Kopf regnet, wird er angekrochen kommen …«

Hast du Nóra Sheáinín gesagt? Und ob ich mich freue, sie hier wiederzutreffen? Die hab ich schon viel zu oft getroffen und überhaupt alle aus ihrer Sippe … Sie lauscht jeden Tag dem Schulmeister? Dem Großen Meister, dem armen Mann … Der Große Meister liest Nóra Sheáinín vor … Meine Herren, die Lerche! … Ein Schulmeister mit Selbstachtung würde Nóra Sheáinín ja wohl niemals vorlesen … Natürlich hat die in ihrem Leben nichts gelernt. Wie denn auch? Eine Frau, die nie ein Schulhaus betreten hat, außer am Wahltag … Meiner

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Seel, es sieht übel aus mit der Welt, wenn sich ein Schul-meister mit Nóra Sheáinín unterhält! Was hast du gesagt, Muraed? … Dass er sie sehr gern hat? Der hat doch keine Ahnung, was die für eine ist, Muraed … Wenn er sechzehn Jahre lang im selben Haus mit ihrer Tochter gelebt hätte, so wie ich, dann wüsste er, was die für eine ist! Aber ich werd ihm alles erzählen … das mit dem Seemann und den ganzen Rest …

– … »Mártan Sheáin Mhóir hatte eine Tochter,Und sie war so breit wie jeder Mann.«

– … Fünfmal acht ist vierzig, fünfmal neun ist fünf-undvierzig, fünfmal zehn … ich weiß es nicht mehr, Schulmeister …

– »Er lief den Frauen hinterherUnd ritt zum Jahrmarkt dann.«

– … Ich war zwanzig und ich hatte das Herz-Ass. Ich hab deinem Partner den König abgenommen. Murchaín hat mich mit dem Buben gestochen. Aber ich hatte die 9, und mein Partner hatte eine Trumpfflöte …

– Ich hatte die Königin und einen Joker.– Murchaín wollte schon stechen und hätte deine 9

vom Tisch gefegt. Das hättest du doch, Murchaín?– Aber dann ging die Mine hoch und das Haus auch …– Aber sonst hätten wir das Spiel gewonnen …– Sei dir da nicht so sicher! Ohne die Mine …– … Gott steh uns bei, jetzt und in alle Ewigkeit …– … Eine Stute mit einer weißen Blesse. Sie war die

Beste …– Muraed, hier kannst du ja nicht mal deinen eigenen

Finger im Ohr hören! Ach, Sohn des gnädigen Gottes … »Eine Stute mit einer weißen Blesse.« Ich hoffe, ihr wer-det selbst alle schlohweiß, wenn ihr nicht aufhört, über sie zu faseln …

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– Ich habe für die Republik Irland gekämpft …– Wer hat dich denn überhaupt gefragt, ob du …– … Er hat mich erstochen …– Aber wenn, dann nicht in die Zunge! Sollt ihr doch

alle weiße Blessen kriegen! … Seit ich hier gelandet bin, macht ihr mich schon verrückt! Ach, Muraed, wenn wir nur eine stille Ecke für uns finden könnten! Über der Erde konnten wir einfach gehen, wenn uns die Gesell-schaft nicht gefiel. Aber ach und weh, die Toten verlas-sen niemals ihren Platz in der Friedhofserde …

– iii –

… Am Ende haben sie mich doch in der Fünfzehn-Schilling-Abteilung begraben! Und das, nachdem ich es ihnen so oft gepredigt habe … Neil hat bestimmt gegrinst wie ein Honigkuchenpferd! Jetzt kommt sie garantiert in die Pfund-Abteilung. Es würde mich über-haupt nicht wundern, wenn Neil Pádraig dazu überredet hätte, mich in der Fünfzehn-Schilling-Abteilung zu be-graben und nicht in der Pfund-Abteilung. Sie hätte sich doch nie ins Haus gewagt, wenn sie nicht gewusst hätte, dass ich tot bin. Seit dem Tag meiner Hochzeit hat sie nie auch nur einen Fuß in mein Haus gesetzt … Wenn sie sich nicht hinter meinem Rücken hereingeschlichen hat, als ich im Sterben lag …

Aber Pádraig ist eben ein schlichtes Gemüt. Gegen ihr Süßholzgeraspel ist er machtlos. Und Pádraigs Frau hat ihr natürlich in allem eifrig zugestimmt. »Aber ja doch, da hast du wirklich recht, liebste Neil. Die Fünf-zehn-Schilling-Abteilung ist für jeden gut genug. Wir sind doch keine Landjunker …«

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Die Fünfzehn-Schilling-Abteilung ist für jeden gut genug. Sähe ihr ähnlich, das zu sagen! Was hätte sie denn auch sonst sagen sollen? Nóra Sheáiníns Tochter. Aber da kriegt sie noch was von mir zu hören. Nach ihrem nächsten Kindbett landet sie auf jeden Fall hier. Und dann kriegt sie was von mir zu hören, bei Gott! Bis da-hin kriegt ihre Mutter was zu hören – Nóra Sheáinín kriegt was zu hören!

Nóra Sheáinín! Von drüben aus Gort Ribeach! Die-sem Sumpfloch Gort Ribeach. Wir haben immer schon sagen hören, dass sie da unten die Enten melken. Was die sich einbildet! Und jetzt vom Schulmeister lernen! Meiner Seel, es war wirklich Zeit, dass die was lernt, das nun wirklich! Aber ein Schulmeister würde doch auf der ganzen Welt nur auf einem Friedhof mit ihr sprechen, und nicht mal das würde er tun, wenn er wüsste, wer sie ist …

Ihre Tochter hat mich zwanzig Jahre zu früh hierher-gebracht. Ich war einfach völlig erschöpft, nachdem ich mich sechs Monate lang mit ihrer elenden Kinderschar herumgeplagt hatte. Sie wird krank, wenn sie ein Kind bekommt, und wenn nicht, dann auch. Das nächste wird ihr Tod sein, da bin ich mir sicher … Der arme Pádraig wäre ohne sie besser dran, egal, wie er es ohne sie aushal-ten würde. Der Mann hat sich einfach nichts raten lassen. »Ich werde nie im Leben eine andere heiraten, Mutter«, hat er gesagt. »Ich gehe nach Amerika und lasse hier alles vor die Hunde gehen, weil du sie nicht leiden magst …«

Das war, als Baba aus Amerika zu Besuch war. Sie hat ihn angefleht, Meag Bhríain Mhóir zu heiraten. Sie hat sich wirklich große Sorgen um die dürre Jammer-gestalt gemacht. »In Amerika hat sie sich gut um mich gekümmert«, sagt sie, »als ich sehr krank war und weit

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weg von meiner eigenen Familie. Meag Bhríain Mhóir ist ein patentes Mädel, und sie hat schon was im Geld-beutel, zu dem, was sie von mir bekommen wird. Du bist mir lieber, Caitríona«, sagt sie zu mir, »als meine ande-ren Schwestern. Ich würde mein Geld lieber in deinem Haus sehen als bei irgendjemand anderem aus der Fa-milie. Die Entscheidung liegt jetzt bei dir, Pádraig«, sagt sie. »Ich will bald zurück nach Amerika, aber ich gehe erst, wenn ich weiß, dass Meag Bhríain Mhóir gut un-tergebracht ist, denn Amerika war gar nicht gut für ihre Gesundheit. Heirate sie, Pádraig. Heirate Meag Bhríain Mhóir, und es wird dein Schaden nicht sein. Ich habe mehr, als ich jemals ausgeben kann. Neils Sohn hat sich auch schon um sie beworben, das hat Neil mir neulich selbst gesagt. Sie wird Neils Sohn heiraten, wenn du sie nicht heiratest, Pádraig. Heirate sie, oder heirate, wen du willst, aber dann …«

»Lieber würde ich betteln gehen«, sagt Pádraig. »Ich will von allen Frauen auf der Welt nur Nóra Sheáiníns Tochter aus Gort Ribeach heiraten …«

Und das hat er dann auch getan.Ich musste dafür sorgen, dass sie ein Hemd hatte. Sie

hatte nicht einmal die Trauungsgebühren und eine Mit-gift schon gar nicht. Eine Mitgift von der Drecksfußsip-pe! Eine Mitgift aus dem Sumpfloch Gort Ribeach, wo sie die Enten melken … Er hat sie geheiratet, und seither weicht sie nicht von seiner Seite, wie der Schatten des Todes. Sie kann kein Schwein und kein Kalb aufziehen, kein Huhn und keine Gans, nicht einmal die Enten, an die sie aus Gort Ribeach doch gewöhnt sein müsste. Ihr Haus ist schmutzig. Ihre Kinder sind schmutzig. Auf dem Land kann sie nicht arbeiten, und am Strand kann sie nicht arbeiten …

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Im Haus war alles picobello, bis sie kam. Bei mir konnte man vom Fußboden essen. Im ganzen Jahr gab es keinen Samstagabend, an dem ich nicht jeden Sche-mel und jeden Stuhl und jeden Tisch zum Bach hinaus-gebracht und geschrubbt hätte. Ich hab gesponnen und Wolle gekratzt. Ich hatte Wolle und ich hatte Sackleinen. Ich hab Schweine und Kälber und Hühner aufgezogen

… so lange ich die Kraft dazu hatte. Und als ich sie nicht mehr hatte, hab ich dafür gesorgt, dass Nóra Sheáiníns Tochter doch nicht alles hat völlig vor die Hunde gehen lassen …

Aber was soll jetzt ohne mich aus dem Haus werden? … Diese aufgeblasene Neil wird sich jedenfalls ins Fäust-chen lachen … Nicht ohne Grund. Sie hat eine gute Frau im Haus, die spinnen und backen kann, Meag Bhríain Mhóir. Da kann sie ja über meinen kleinen Trottel von Sohn lachen, der nur diesen schlampigen Jammerlappen hat. Neil kommt jetzt sicher ständig zu unserem Haus hoch und posaunt herum: »Wir haben doch wirklich dreißig Pfund für die Schweine bekommen … Das war ein guter Markt, wenn man Vieh zu verkaufen hatte. Wir haben sechzehn Pfund für die beiden Kälber bekommen

… Obwohl jetzt keine Legezeit ist, findet unsere Meag doch immer noch Eier. Am Samstag hat sie in der Hel-len Stadt drei Stiegen Eier verkauft … In diesem Jahr haben die Hühner viermal gebrütet. Alle Hühner legen zum zweiten Mal. Gestern habe ich wieder welche zum Ausbrüten hingelegt. ›Die kleine Brut aus gesprenkeltem Hafer‹, hat Jeaic gesagt, als er gesehen hat, wie ich sie un-ter die Henne geschoben habe.« … Sie wird jetzt gewal-tig mit ihrem Hinterteil wackeln, wenn sie an unserem Haus vorbeikommt. Sie weiß ja, dass ich nicht mehr da bin. Neil! Die miese Schlampe! Sie ist meine Schwester,

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aber ich hoffe wirklich, sie ist die nächste Leiche, die hier auf den Friedhof gebracht wird! …

– iv –

– … Ich habe für die Republik Irland gekämpft, und du hast mich umgebracht, du Verräter! Für England hast du gekämpft, als du damals für den Freistaat gekämpft hast … Ein englisches Gewehr in deiner Hand, engli-sches Geld in deiner Tasche und englischer Geist in dei-nem Herzen. Du hast deine Seele und das Erbe deiner Vorfahren für einen billigen Handel verkauft, für einen Posten …

– Das ist eine Lüge! Du warst ein Verbrecher, hast dich gegen die rechtmäßige Regierung erhoben …

– … So wahr dieser Sarg aus Eiche ist, Muraed, ich habe Caitríona das Pfund gegeben …

– … Ich habe zweimal zwanzig Pints getrunken und dann noch zwei …

– Ich erinnere mich noch genau, du Gierschlund. Ich hab mir an dem Tag den Knöchel verstaucht …

– … Du hast mir das Messer mitten zwischen die Rippen gerammt. Durch den Rand meiner Leber hast du es gestoßen. Dann hast du es noch umgedreht. Solche gemeinen Tricks waren schon immer das Kennzeichen der Einohrigen …

– … Lasst mich sprechen! Lasst mich doch sprechen …– Bist du jetzt bereit für die Lesestunde, Nóra

Sheáinín? Wir fangen heute mit einer neuen Geschichte an. Beim letzten Mal sind wir mit Zwei Männer und die Puderquaste fertiggeworden, oder? Die neue Geschichte heißt Der knallrote Kuss. Also hör zu, Nóra Sheáinín.

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»Nuala war ein unschuldiges Mädchen, bis sie im Nachtclub Searlas ap Ríos kennenlernte …« Ich weiß, hier gibt es keine Ruhe und keinen Frieden und kei-nen Platz für Kultur … und wie du schon sagst, lie-be  Nóra,  die sprechen immer nur über Belanglosig-keiten … Karten, Pferde, Suff, Schlägereien … der treibt uns noch in den Wahnsinn mit seiner ewigen kleinen Stute … Da sagst du die reine Wahrheit, Nóra. Hier hat  man so schlechte Manieren und so wenig Verstand und ist so barbarisch wie in der Wüste der Halbe-Guinee -Abteilung da unten … Wir befinden uns wahrlich im finsteren Mittelalter, seit die Sanscu-lotten, die vom Stempelngehen reich geworden sind, sich auch in der Fünfzehn-Schilling-Abteilung begra-ben lassen … So würde ich jetzt den Friedhof aufteilen, wenn ich hier etwas zu sagen hätte: studierte Leute in die Pfund- Abteilung und dann … Ist doch wahr, Nóra! Es ist eine blutige Schande, dass einige meiner eigenen Schüler hier neben mir liegen … Es quält mich zu se-hen, wie wenig sie wissen, wenn ich daran denke, wel-che Mühe ich mir mit ihnen gegeben habe … Und sie können ganz schön unverschämt werden … Ich weiß wirklich nicht, was in die heutige Jugend gefahren ist

… Du hast recht, Nóra … Keinen Zugang zur Kultur, glaube ich …

»Nuala war ein unschuldiges Mädchen, bis sie im Nachtclub Searlas ap Ríos kennenlernte …« Ein Nacht-club, Nóra? … Du warst nie in einem Nachtclub? Na, ein Nachtclub ist eigentlich so ähnlich wie das hier … Aber nein, Nóra. Die Lokale, die von Seeleuten besucht werden, sind nicht dasselbe wie Nachtclubs. Absteigen sind das, Nóra, kultivierte Menschen dagegen besu-chen Nachtclubs … Du würdest gerne einen besuchen,

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Nóra? … Das wäre keine schlechte Idee, es würde deiner Bildung den letzten Schliff geben, ein Bildungsprädikat

… Ich war in einem Nachtclub in London, damals, als die Lehrergehälter angehoben wurden, vor den beiden Nullrunden. Ich habe dort einen afrikanischen Fürsten gesehen. Er war pechschwarz und trank Champagner … Du würdest so gerne in einen Nachtclub gehen, Nóra? Hast du denn gar kein Schamgefühl? … Naughty Girl, Nóra … Naughty …

– Du unverschämtes Flittchen! Seáinín Spuckes Toch-ter aus Gort Ribeach! Wie hieß noch der Ort, den sie so unbedingt besuchen wollte, Schulmeister? … Hof-fentlich erlebt sie das nicht mehr! Beachte sie bloß nicht, liebster Schulmeister. Ich hab mich in den letzten sech-zehn Jahren ständig mit ihr und ihrer Tochter gefetzt. Das ist gar nicht gut für dich, Schulmeister, deine Zeit an Nóra Drecksfuß zu verschwenden. Die ist doch nicht einen einzigen Tag zur Schule gegangen, Schulmeister, und Flohbisse kennt sie besser als das ABC …

– Wer ist das? Wer bist du …? Caitríona Pháidín! Ist das denn die Möglichkeit, Caitríona! … Na, egal, wie lange es dauert, irgendwann enden wir alle hier

… Willkommen, Caitríona, willkommen … Ich fürch-te, Caitríona, du bist … du bist ein bisschen zu streng mit  Nóra Drecks … mit Nóra Sheáinín. Sie hat sich sehr gebessert, seit du damals … wie hast du das noch ausgedrückt, Caitríona? … Ja … dich mit ihr gefetzt … Wir verlieren hier leicht unser Zeitgefühl, aber wenn ich dich richtig verstanden habe, ist sie jetzt seit drei Jahren hier und steht unter dem wohltuenden Ein-fluss  von  Kultur … Aber sag mal, Caitríona … Erin-nerst du dich an den Brief, den ich für dich an dei-ne  Schwester Baba in Amerika geschrieben habe? …

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Das war der letzte Brief, den ich je geschrieben habe … Am nächs ten Tag schlug dann meine tödliche Krank-heit zu … Ist die Sache mit dem Testament noch immer nicht geklärt?

– Von Baba sind viele Briefe gekommen, seit du für mich geschrieben hast, Schulmeister. Aber zu der Sache mit dem Geld hat sie weder ja noch nein gesagt. Wir haben von ihr eine Antwort auf den Brief bekommen, den du meinst, Schulmeister. Darin hat sie zum letzten Mal ein Testament erwähnt. »Ich habe noch kein Testa-ment gemacht«, hat sie geschrieben. »Ich hoffe, ich wer-de nicht plötzlich oder durch einen Unfall sterben, wie du dir das in deinem Brief vorstellst. Mach dir keine Sorgen. Ich werde schon noch mein Testament machen, wenn ich es selbst für nötig halte.« Als dieser Brief kam, hab ich mir gesagt: »Den hat bestimmt ein Schulmeister für sie geschrieben. So hat sich unsere Familie noch nie ausgedrückt.«

Der Kleine Schulmeister – dein Nachfolger – schreibt jetzt für uns, Schulmeister, aber ich fürchte, für Neil schreibt der Pfarrer. Diese gerissene Kuh kriegt ihn doch rum mit ihren Hühnern und ihren Strickstrümpfen und ihren krummen Touren … Da kennt sie sich wirklich aus, Schulmeister. Ich dachte, ich würde noch ein paar Jahre durchhalten und die miese Schlampe vor mir unter die Erde bringen können! …

Jedenfalls, was das Testament angeht, hast du für mich dein Bestes gegeben. Schreiben konntest du wirklich, Schulmeister. Ich hab oft gesehen, wie du einen Brief geschrieben hast, und hab dann gedacht, dass deine Fe-der das Papier so schnell mit Wörtern füllen konnte, wie ich bei einem Strumpf Maschen strickte … »Möge Gott Erbarmen mit dem Großen Schulmeister haben«, hab

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ich dann gesagt. »Er war so hilfsbereit. Wenn Gott ihm mehr Zeit geschenkt hätte, hätte er dafür gesorgt, dass ich das Geld bekomme …«

Ich glaube, die Schulmeisterin – deine Frau, meine ich, Schulmeister – wird bald wieder heiraten. Und wa-rum auch nicht? Ist noch immer einen starke, tatkräftige junge Frau, Gott segne sie … Es tut mir leid, Schul-meister. Hör gar nicht auf mich! Ich plappere immer so drauflos, aber ich kann eben nicht anders … Liebster Schulmeister, ich hätte dir das überhaupt nicht sagen dürfen. Jetzt wirst du dich ihretwegen grämen. Ich dach-te, es würde dir das Herz erwärmen, zu hören, dass die Schulmeisterin wieder heiratet …

Also, Schulmeister, du musst mir verzeihen … Ich bin keine Klatschbase … Frag nicht, wie er heißt, Schul-meister. Ach nein, liebster Schulmeister, verlang das nicht von mir! … Wenn ich gewusst hätte, dass es dich dermaßen aufregt, hätt ich es gar nicht erwähnt …

Sie hat also hoch und heilig versprochen, niemals einen anderen zu heiraten. Ach, liebster Schulmeister! Hast nie sagen hören, nach dem Gelöbnis seien die Frau-en am leichtsinnigsten? … Du warst gerade unter der Erde, Schulmeister, da hat sie schon ein Auge auf einen anderen geworfen. Ich glaube, so ganz unter uns, sie war immer schon ein bisschen flatterhaft …

Der Kleine Schulmeister? Der nun wirklich nicht! Der Schulmeister von Doire? … Das ist ein feiner Mann, Schulmeister. Rührt nie auch nur einen Tropfen an. Er und die Schwester des Pfarrers wollen bald heiraten – dieses freche kleine Ding, das immer Hosen trägt. Es heißt, dass er dann die neue Schule bekommt …

Nein, es ist auch nicht der rothaarige Polizist. An-geblich hat der eine Krankenschwester aus der Hellen

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Stadt an der Angel … und es ist auch nicht der Kar-toffelverteiler … Rate einfach mal, Schulmeister. Ich sag  es dir, wenn du richtig rätst … Peáidín ist nach England gegangen, Schulmeister. Sein Lastwagen wur-de ihm weggenommen und verkauft. Auf jeder Straße, über die er gefahren ist, um Torf zu kaufen, hat er einen Haufen Schulden hinterlassen. Noch mal raten, Schul-meister … Genau der, Schulmeister, Bileachai der Post-bote! Gut geraten, Schulmeister. Du hast wirklich einen hellen Kopf, Schulmeister, da können andere sagen, was sie wollen …

Nimm dich vor Nóra Sheáinín in Acht. Ich könnte dir Dinge erzählen, Schulmeister … Ach, vergiss doch, was ich gesagt habe, Schulmeister, und mach dir nichts draus … Da würde ich dir zustimmen, Schulmeis-ter. Bileachai hat mehr als nur Briefe gebracht … Ach, Schulmeister! Deine Frau war immer schon ein bisschen flatterhaft, das war sie wirklich …

– v –

– … Sie waren Bevollmächtigte und sollten einen Friedensvertrag zwischen England und Irland aushan-deln …

– Ich sag dir, das ist eine verdammte Lüge! Sie waren nur Unterhändler und sie haben ihre Befugnisse über-schritten! Sie haben Verrat begangen, und das Land ist noch immer davon gezeichnet …

– … Eine Stute mit einer weißen Blesse. Sie war die Beste. Sie konnte einfach so anderthalb Tonnen ziehen …

– … So wahr dieser Sarg aus Eiche ist, Nóra Sheáinín, ich habe Caitríona das Pfund gegeben …

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– … »Mártan Sheáin Mhóir hatte eine Tochter, Und die war so breit wie jeder Mann, Sie stand oben auf dem Hügel …«

– … Ach, zum Teufel mit deinem England und sei-nen Märkten! Was machst du dir Sorgen um deine paar Pence auf der Bank? Hitler ist mein Liebling …

– … Also Cóilí, ich bin Schriftsteller. Für jedes Buch, das du gelesen hast, habe ich fünfzig gelesen. Ich werde dich verklagen, Cóilí, wenn du behauptest, ich sei kein Schriftsteller. Hast du mein letztes Buch gelesen, Der Traum der Qualle? … Das hast du nicht, Cóilí? Entschul-dige, Cóilí, das tut mir sehr leid. Ich hatte vergessen, dass du nicht lesen kannst … Das ist eine gewaltige Geschich-te, Cóilí … Und ich habe dreieinhalb Romane, zwei-einhalb Theaterstücke und neuneinhalb Übersetzungen bei An Gúm eingereicht und außerdem noch anderthalb Kurzgeschichten mit dem Titel Der Sonnenuntergang. Es ist mein größter Kummer, dass Der Sonnenuntergang vor meinem Tod nicht mehr gedruckt worden ist …

Wenn du dich aufs Schreiben verlegen willst, Cóilí, dann denk dran, dass An Gúm unter keinen Umstän-den etwas veröffentlicht, das eine Tochter vor ihrem Vater verstecken würde … Entschuldige, Cóilí, es tut mir sehr leid. Ich dachte, du wolltest schreiben. Aber nur für den Fall, dass dich dieser göttliche Drang überkommen sollte

… Den verspürt jeder Irischsprechende irgendwann in seinem Leben … Angeblich liegt das an den Wetterver-hältnissen hier an der Westküste … Ich geb dir einen gu-ten Rat. Also Cóilí, vergiss nicht deine guten Manieren! Jeder Irischsprechende hat die moralische Verpflichtung, herauszufinden, ob er die Gabe des Schreibens besitzt, vor allem die Gabe des Schreibens von Kurzgeschichten, Theaterstücken und Gedichten … Diese beiden letzten

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Gaben treten viel häufiger auf als die Gabe des Kurz-geschichtenschreibens, Cóilí. Gedichte zum Beispiel. Da brauchst du bloß von unten auf der Seite nach oben zu schreiben … oder du schreibst von rechts nach links, aber das ist bei Weitem nicht so poetisch wie das andere …

Verzeihung, Cóilí, es tut mir schrecklich leid. Ich hat-te vergessen, dass du nicht lesen und schreiben kannst … Aber die Kurzgeschichte, Cóilí … Ich kann dir das so erklären: Du hast schon mal ein Pint Porter getrunken, oder nicht? … Doch, ich verstehe … Du hast oft ein Pint Porter getrunken … Ist doch egal, wie viele Pints du getrunken hast, Cóilí …

– Ich habe zweimal zwanzig und zwei Pints getrun-ken, eins nach dem anderen …

– Das weiß ich … Moment mal … Guter Mann! Lass mich reden … Cóilí, jetzt nimm doch mal deinen Ver-stand zusammen und lass mich reden … Du hast das gesehen, was oben auf einem Pint Porter ist, ja? Schaum, nicht wahr? Wertloser, schmutziger Schaum. Und doch, je mehr davon da ist, umso gieriger sind die Leute auf das Pint. Und wenn jemand ein Pint vor sich hat, trinkt er noch den letzten Rest, auch wenn der vielleicht gar nicht schmeckt. Siehst du jetzt, Cóilí, den Anfang, die Mitte und das Ende einer Kurzgeschichte? … Aber ver-giss bloß nicht, Cóilí, dass das Ende bei dir einen bitteren Geschmack im Mund hinterlassen muss, den Geschmack des göttlichen Katers, den Drang, den Göttern Feuer zu stehlen, das Verlangen nach einem weiteren Bissen von der verbotenen Frucht … Sieh dir mal an, wie ich Der Sonnenuntergang beendet hätte, woran ich doch gearbeitet habe, als ich einen Schreibkrampf bekam und tot umfiel:

»Nachdem das Mädchen das schicksalhafte Wort aus-gesprochen hatte, machte er auf dem Absatz kehrt und

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schritt aus dem stickigen Zimmer hinaus in die Abend-luft. Der Himmel im Westen wurde verdüstert von schweren Wolken, die sich vom Meer hereinschoben. Und eine kleine Elendssonne ging hinter dem Hügel von Seanbhaile zugrunde …« Das ist die Tour de Force, Cóilí, »eine Elendssonne ging zugrunde«, und ich darf dich wohl daran erinnern, dass die letzte Zeile nach dem letzten Wort großzügig mit Punkten gesprenkelt werden muss, Schriftstellerpunkten, wenn du verstehst … Aber vielleicht hättest du die Geduld, Cóilí, zuzuhören, wenn ich dir das gesamte Werk vorlese …

– Das reicht jetzt aber, mein Gutester. Ich werde dir eine Geschichte erzählen: »Vor langer, langer Zeit waren einmal drei Männer …«

– Cóilí! Cóilí! Eine solche Geschichte ist doch kein Kunstwerk: »Vor langer, langer Zeit waren einmal drei Männer …« – Das ist ein total missratener Anfang … Nun, Cóilí, noch einen Moment Geduld. Lass mich re-den. Ich betrachte mich als Schriftsteller …

– Halt die Klappe, du Windbeutel! Mach schon, Cóilí …

– »Vor langer, langer Zeit, und es ist wirklich lange her, waren einmal drei Männer. Es waren einmal drei Männer, vor langer Zeit …«

– Ja, Cóilí …– »Vor langer Zeit waren einmal drei Männer … Es

waren wirklich vor langer Zeit einmal drei Männer. Da-von abgesehen wissen wir nicht, was aus ihnen gewor-den ist …«

– … Und bei meinem Buch, Jeaic der Gelehrte …– … Fünfmal elf ist fünfundfünfzig, fünfmal dreizehn

… fünfmal dreizehn … Ach, Schulmeister, ich weiß es wirklich nicht mehr! … Fünfmal sieben, hast du das ge-

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fragt, Schulmeister? Fünfmal sieben, oder? … Fünfmal sieben … sieben … kleinen Moment noch … fünfmal eins ist fünf …

– vi –

– … Aber ich verstehe das nicht, Muraed. Honest En­gine, das tue ich nicht! Sie – Caitríona Pháidín meine ich – hat mich beim Großen Schulmeister verleumdet. Es wäre mir ja egal, wenn ich das auf irgendeine Weise verdient hätte. Du weißt doch, Muraed, dass ich mich niemals in anderer Leute Angelegenheiten einmische, dass ich viel zu sehr mit Kultur beschäftigt bin. Und ich habe ein wunderschönes Kreuz über mir. Smashing, wie der Große Schulmeister sagt. Mich zu verleumden, Muraed! …

– Es wird Zeit, dass du dich an Caitríonas spitze Zun-ge gewöhnst, Nóra Sheáinín!

– Aber honest, Muraed …– … »Und wie ein Aal im Netz wollte Caitríona nur

Nóra Sheáinín packen an der Frisur.«– Aber immer hat sie es auf mich abgesehen. Ich ver-

stehe das nicht. Honest.– … »Ehe der Morgen alt wurde,

eilte NóraSheáinín herbeiUnd packte Tríona in Gestalt von nem Hai …«

– »Meine schöne, sanfte Tochter, würde sie heiraten deinen Pádraig,

Ihre Mitgift brächte sicher deine Hütte auf Zack …«– »Caitríona, du bist schamlos,

du bist gemein und unerhört, Du hast versucht, mich zu verleumden

und meinen guten Namen zerstört …«

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– … Ihre Lügen, Muraed! Honest to God! Ich möchte ja wissen, was sie zu Dotie gesagt hat … Dotie! … Do-tie! … Was hat Caitríona Pháidín dir über mich erzählt?

– Gott segne uns bis in alle Ewigkeit. Ich weiß über-haupt nicht, wer ihr alle seid. Wirklich ein Jammer, dass sie meine sterblichen Überreste nicht in die Helle Stadt zurückgebracht und mich zu meinen Angehöri-gen zwischen die holden Wiesen von Ost-Galway gelegt haben …

– Dotie! Ich hab dir doch schon gesagt, dass solche Reden »sentimentales Gewäsch« sind. Was hat Caitríona gesagt?

– Sie hat das Gemeinste gesagt, was ich je gehört habe, über ihre leibliche Schwester Neil. »Hoffentlich ist sie die nächste Leiche, die hier auf den Friedhof gebracht wird«, hat sie gesagt. In den holden Wiesen von Ost-Galway würdest du sowas nicht hören …

– Dotie! Was hat sie über mich gesagt?– Über deine Tochter …– … »Sie hatte kein Mieder

und kein Hochzeitsgewand,Das ich nicht bezahlt aus eigener Hand …«

– Sie hat gesagt, du gehörst zur Drecksfußsippe und starrst vor Flöhen!

– Dotie! De grâce …– Diese Seeleute haben immer …– Parlez­vous français, Madame, Mademoiselle …– Au revoir! Au revoir!– Mais c’est splendide. Je ne savais pas qu’il y avait une …– Au revoir, honest, Muraed, wenn Dotie mich nicht

gekannt hätte, hätte sie diese Lügen geglaubt … Do-tie! Schon wieder dieses sentimentale Gewäsch! Du bist meine Mit-Steuerfrau auf dem endlosen Meer der Kul-

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tur, Dotie. Du müsstest jedes Fehlurteil und jedes Vor-urteil aus deinem Geist verbannen, wie Clicks es in Zwei Männer und die Puderquaste ausdrückt …

– … Das hat der Dichter gesagt, möchte ich meinen.– Oh, war das dieser Frechling …– Nein, war er nicht. Der könnte das gar nicht. Das

hat Micil Mór Mac Confhaola geschrieben:»Eine alte Yankeefrau pflegte Baba Pháidín, Und keine fesch’re Jungfer gab’s in ganz Maine …«– Honest, Muraed, ich habe alles, was Caitríonas An-

gelegenheiten oben auf dem Erdboden betrifft, ver-gessen. Kultur, Muraed. Die erhebt das Gemüt zu luf-tigen Gipfeln und öffnet die Feenpaläste, wie Nibs in Dämmerungszöpfe sagt. Man verliert alles Interesse an den  kleinlichen  Geschäften des irdischen Jammertals. Seit einiger Zeit erfüllt nun schon ein grandioses Cha-os  meinen Kopf, ausgelöst von einer Lawine aus Kul-tur …

– … »Und keine fesch’re Jungfer gab’s in ganz Maine,Sie kehrte zurück in bunter TrachtDenn dank der grauen Alten Hatte sie ihr Glück gemacht …«

– … Baba Pháidín hat nie geheiratet, weil sie sich in ihrer ganzen Zeit in Amerika um die alte Kuh küm-mern musste. Aber dann hat die alte Kuh ihr tatsäch-lich  all ihr Geld hinterlassen – oder fast alles … Baba Pháidín könnte jedes Grab auf diesem Friedhof mit goldenen Guineen füllen, Dotie, das wird jedenfalls er-zählt …

– … Cóilí selbst hat diese Verse ersonnen. Wer denn auch sonst?

»Oh, Baba, meine Liebste«, sagte Caitríonas Katze, »Beachte sie gar nicht«, sagte Neils Katze,

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»Wenn ich das Gold gekriegt hätte«, sagte Caitríonas Katze,

»Das gehört jetzt mir, meine Liebste«, sagte Neils Katze.

– Wenn Caitríona die Wahl hätte, würde sie lieber Neil aus Babas Testament streichen, als eine tausendfa-che Verlängerung für ihr eigenes Leben zu bekommen …

– … »Ich habe eine schöne Börse«, sagte Caitríonas Kätzchen,

»Ich habe eine schöne Börse«, sagte Neils Kätzchen.»Für das Geld der alten Hexe«,

sagte Caitríonas Kätzchen, »Baba hat dir nichts versprochen«,

sagte Neils Kätzchen …– Schon vor Jahren hatten alle Schulmeister es satt, für

sie nach Amerika schreiben zu müssen …– Und Gemeindevertreter Mainnín …– Der Große Schulmeister hat mir gesagt, dass er sehr

kultivierte Briefe für sie geschrieben hat. Er hatte bei den Lichtspielen eine Menge Amerikanismen aufge-schnappt …

– Damals, als er mit der Schulmeisterin im Auto in die Helle Stadt gefahren ist …

– Caitríona ärgert sich jetzt schwarz, weil sie vor Neil gestorben ist. Als ich noch am Leben war, habe ich oft ge-hört, wie sie über den Feldweg ging und dabei murmelte: »Ich werde Neil vor mir in die Friedhofserde legen …«

– … Sei mal ehrlich, Cóilí. Hast du diese Verse ge-dichtet?

– Das war Micil Mór Mac Confhaola. Er hat auch »Das Lied von Caitríona« und »Das Lied von …«

– … Aber Neil lebt noch. Und jetzt wird sie von Baba erben. Außer ihr gibt es ja keine Geschwister …

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– Sei dir da nicht so sicher, Muraed. Baba hat Caitrío-na sehr gern gehabt.

– Weißt du, was meine bessere Hälfte immer über den Paídín-Clan gesagt hat? »Wetterhähne«, hat er gesagt. »Wenn von denen jemand auf den Markt ginge, um eine Kuh zu kaufen, würde er nach einer halben Stunde mit einem Esel zurückkommen. Und wenn dann jemand eine Bemerkung über den Esel machte, würde er zu ihm sagen: ›Ich wünschte, ich hätte eine Kuh gekauft und nicht dieses alte Klappergestell von Esel. Von einer Kuh hätten wir mehr …‹«

– »Würdest du mit mir nach Hause kommen?Unter meinem Umhang ist Platz genug für zwei, Und bei meinem Buch, Jeaic der Gelehrte, Wir würden Lieder haben für die Ewigkeit …«

– … Warum soll das ein komischer Spitzname sein, Dotie … Ja: »Jeaic der Gelehrte.« Er wohnt drü-ben oberhalb  des Dorfes, wo Caitríona und ich ge-lebt haben  …  Ich hab den Gelehrten noch selbst ge-sehen, Jeaics Vater … Der Gelehrte. Der kam übrigens aus der  Fíne-Sippe … Das ist kein Grund zum La-chen, Dotie … Dotie! »Gelehrter« ist so gut wie »Do-tie«, das ist ja wohl klar. Ich kann dir sagen, selbst, wenn du  von  den holden Wiesen von Ost-Galway kommst, wir  sind auch nicht von einer Henne ausgebrütet worden …

– De grâce, Marguerita …– … »Ich werde Jeaic heiraten«, sagte Caitríonas Hund,

»Ich werde Jeaic heiraten«, sagte Neils Hund …– Caitríona hat viele Männer abgewiesen. Bríain Mór

war einer davon. Er hatte ein Stück Land und nicht we-nig Vieh. Ihr Vater fand, sie sollte zu ihm ziehen. Aber sie hätte ihm nicht mal ihr Kartoffelwasser gegeben.

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– … Sing das Lied nochmal, und sing es richtig …– … »Es erhob sich der Sohn des Gelehrten …«– … Man hätte nicht glauben wollen, dass Gott Jeaic

dem Gelehrten eine Seele gegeben hatte, so lange er nicht sang. Aber wenn du seine Stimme auch nur ein einziges Mal gehört hattest, konntest du sie für den Rest deines Lebens nicht vergessen. Ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll …

– Ein Traum von Musik.– Richtig, Nóra. Wie ein seltsamer Traum. Du stehst

verzweifelt oben auf einer Klippe. Unter dir klafft der Abgrund. Du zitterst vor Angst … Dann hörst du, wie  aus der Tiefe die Stimme von Jeaic dem Gelehr-ten zu dir heraufsteigt. Der Gesang besiegt deine Angst. Du lässt dich gehen … spürst, wie du nach unten glei-test … nach unten … um dieser Stimme näher zu kom-men …

– Oh my, Muraed. How thrilling! Honest …– Ich habe noch nie erlebt, dass sich eine daran erin-

nern konnte, welches Lied sie von Jeaic dem Gelehrten gehört hatte. Wir vergaßen alles über der Leidenschaft, die er in seine Stimme legen konnte. In der ganzen Ge-gend gab es kein Mädchen, das nicht den steinigen Weg zu seinem Haus glattgetreten hätte und seinen Fußspu-ren gefolgt wäre. Ich habe oft Mädchen oben im Moor gesehen, und sowie sie Jeaic den Gelehrten in seinem eigenen Moor oder bei der Arbeit an seinem Haus sahen, schlichen sie sich davon und krochen durch Sumpflö-cher und Feuchtgebiete, weil sie seinen Gesang so sehr liebten. Ich habe Caitríona Pháidín dabei gesehen. Ich habe ihre Schwester Neil dabei gesehen …

– Smashing, Muraed. Das ewige Dreieck ist der kulti-vierte Name für dieses …

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– … »Es erhob sich der Sohn des Gelehrten im Morgengrauen,Und auf dem Weg zum Markt schielte er nach den Frauen …«

– Neil Pháidín und Jeaic der Gelehrte sind dann am Tag des großen Schweinemarktes zusammen durchge-brannt. Ihre Familie war außer sich vor Wut, aber was hätten sie denn jetzt noch tun sollen? Ich weiß nicht, ob es bei euch auch diesen Brauch gab, Dotie, dass die älteste Tochter zuerst heiraten muss …

– … »Sie trug ihn durch Sumpflöcher,Durch Moore und Matsch Einzig den Brachvögeln war das nicht lieb,Da man sie von ihrer Brut vertrieb …«

– Jeaic hauste oben im Moor, und er hatte nur Sumpf-land und Morast …

– Well, Muraed Phroinsiais, ich habe in meinem gan-zen Leben keinen so steinigen und unebenen Weg gese-hen wie den zum Haus des Gelehrten. Ich hab mir da ja sogar meinen Knöchel verstaucht, als ich damals in der Nacht von der Hochzeit heimwollte …

– … Ja, das hast du, weil du da zu tief ins Glas ge-schaut hattest, wie so oft …

– … Am Abend vor der Hochzeit im Páidín-Haus hockte Caitríona im Hinterzimmer in einer Ecke und ihr Gesicht war so lang wie der Schatten um Mit-ternacht. Viele von uns waren da. Neil war da. Sie fing  an,  Caitríona  aufzuziehen: »Zum Teufel, Caitrío-na, ich finde, du solltest Bríain Mór heiraten«, sagt sie. Caitríona hatte ihm schon einmal einen Korb ge-geben …

– Ich war auch da, Muraed. »Ich habe Jeaic«, hat Neil gesagt. »Also kannst du Bríain Mór haben, Cai tríona.«

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– Caitríona war außer sich. Sie ist davongestürzt, und bis zum Morgen wollte sie dieses Zimmer nicht mehr betreten. Und am nächsten Tag wollte sie auch nicht mit zur Kapelle …

– Ich musste an dem Tag Heidekraut schneiden, Mu-raed, und da hab ich tatsächlich gesehen, wie sie oben beim Gelben Hügel durch den Sumpf stapfte, obwohl die Hochzeit doch im Haus des Gelehrten gefeiert wurde …

– An dem Tag und auch später hat sie keinen Fuß mehr ins Haus von Jeaic dem Gelehrten gesetzt. Man hätte meinen sollen, Neil hätte die Beulenpest, so einen Bogen hat Caitríona um sie gemacht. Das mit Jeaic hat sie ihr nie verziehen …

– … »Bríainí ist hübsch und hat Land, Vieh und GeldGesund wird er nie, ohne Frau, unser Held …«

– … Aber trotz all seines Reichtums konnte dieser Bríain einfach keine Frau kriegen. Und weiß der Teufel, er hat Caitríona wirklich nochmal gefragt …

– … »Ja, zum Henker«, sagt Tríona, »da können wir ja ein feines Schwein abbrühen, hängt den Kessel über’s Feuer, um den tapferen Recken willkommen zu heißen.«

– Im Osten der Hellen Stadt haben sie in solchen Fäl-len den Topfhaken genommen. Als damals Peats Mhac Craith gekommen ist …

– Diese Art des Abweisens findet man auch im Wes-ten der Hellen Stadt, Dotie. Honest. Ich zum Beispiel …

– Hast du gehört, was die Schwester des Schneiders gemacht hat, als so ein alter Trottel aus Doire Locha sie heiraten wollte? Sie hat ein langes Messer aus der Truhe genommen und angefangen, es mitten im Haus zu wet-zen. »Haltet ihn mal für mich fest«, hat sie gesagt …

– Oh, das sieht ihr ähnlich! Diese Einohrsippe …

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– Und stell dir vor, am Ende hat Caitríona dann Seán Thomáis Uí Loideáin aus unserem Dorf genommen, ohne Wenn und Aber, als er ihr einen Antrag gemacht hat …

– Großer Gott, Muraed, Seán Thomáis war viel zu gut für sie …

– Er hatte ein großes Stück Land mit gutem sandigen Boden …

– Und er war auch Manns genug, um den zu bestel-len …

– Er hatte ein großes Haus … – Ihr ging es natürlich um Haus und Hof. Sie wollte

mehr Gut und mehr Geld haben als Neil. Und sie wollte in der Nähe sein, damit Neil jeden Tag sehen könnte, dass Caitríona mehr Gut und mehr Geld hatte, als sie jemals bekommen würde …

– … »Ich habe einen feinen, großen Fisch«, sagt Caitríonas Kätzchen,»Ich habe die beste Milch, Butter und Fett …«»Ich bin freundlich und nützlich, liebevoll und anständig,Was sich über Neils Kätzchen nicht sagen lässt …«

– Um Neil zu zeigen, dass es nicht Caitríona war, die den Kürzeren gezogen hatte, und dass Neil von ihr aus gerne den schäbigen Rest haben konnte. Das hat mir Caitríona selbst erzählt. Das sollte ihre Rache sein …

– Oh my, das ist wirklich interessant. Ich glaube, ich schenke mir heute die Lesestunde des Großen Schul-meisters … Huhu, Schulmeister … Wir schenken uns heute die Geschichte, ja? … Ich habe andere intellek-tuelle Dinge zu erledigen. Au revoir …

– Caitríona war fleißig und sparsam und reinlich in Seán Thomáis Uí Loideáins Haus. Ich muss es ja wissen,

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ich hab schließlich nebenan gewohnt. Nie hat die auf-gehende Sonne sie im Bett ertappt, und ihr Wollkratzer und ihr Spinnrad haben oft noch bis spät in die Nacht hinein geschnurrt …

– Für ihr Haus war das gut, Muraed. Sie konnte sich das eben leisten …

– … Hab ich beim Buchmacher Barra in der Hellen Stadt vorbeigeschaut. Hab die Hand ganz locker in der Tasche gehalten, als ob ich dort sonstwas drinnen hätte. Und dabei hatte ich nur noch einen Schilling. Ich dann den Schilling mit lautem Klirren auf den Tresen geknallt. »Goldapfel«, sag ich. Das Rennen um drei. Hundert zu eins … Kann doch gewinnen«, sag ich, steck die Hand in die Tasche und zieh das Futter raus …

– … Eine Schande, dass ich nicht an deiner Stelle war, Peadar, ich hätte ihm das nicht durchgehen lassen. Es war nicht richtig von dir zuzusehen, wie deine Religion von einem schwarzen Ketzer beleidigt wird, Peadar.

»Glaube unserer Väter, heiliger Glaube, Dir sind wir treu bis in den Tod,Dir sind wir treu bis in den Tod …«

Du hast doch keinen echten Mumm in den Kno-chen, Peadar, ihn so reden zu lassen! Wenn ich an deiner Stelle gewesen wäre …

– Zur Hölle mit euch! Seit fünf Jahren kriegt ihr schon die Klappe nicht mehr zu, und die ganze Zeit streitet ihr euch über Religion …

– …Wirklich, Muraed, angeblich war Caitríona doch froh, dass sie Neil hatte, nachdem ihr Mann gestorben war. Es ging ihr damals sehr schlecht, denn Pádraig war ja noch ziemlich jung …

– Ich soll froh gewesen sein, dass ich Neil hat-te! Ich  soll froh gewesen sein, dass ich Neil hatte! Ich

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soll  von Neil irgendwas angenommen haben! Gütiger Sohn Gottes, von dieser Schlampe hätte ich doch nie-mals etwas angenommen! Ich platze gleich! Ich platze gleich! …

– vii –

– … Die Nesselhalden von Baile Dhoncha, hast du gesagt.

– Nicht einmal Nesseln würden auf den Hügeln bei deinem Dorf wachsen, da gibt es viel zu viele Flöhe …

– … Ich bin von einem Haferhaufen gefallen …– Also, meiner Seel, wie du immer sagst, dieser Mion-

lach und ich haben uns geschrieben …– … »Ist das wohl ›Der Krieg der beiden Fremden‹?«,

sag ich zu Paitseach Sheáinín …– Aufwachen, Mensch! Dieser Krieg ist seit 1918 zu

Ende …– Als ich gestorben bin, war er das noch nicht …– Aufwachen, sag ich dir! Du bist schließlich seit fast

dreißig Jahren tot. Jetzt haben wir den nächsten Krieg …– Ich bin seit einunddreißig Jahren hier. Ich kann was

von mir sagen, das keiner von euch von sich sagen kann: Ich war die erste Leiche hier auf diesem Friedhof. Findet ihr nicht, dass die erste Leiche hier was zu sagen haben sollte? Lasst mich sprechen! Lasst mich sprechen …

– … Ja, wirklich, Muraed, Caitríona hatte Geld und Land …

– Das schon. Aber obwohl ihr Hof viel besser war als Neils, hat auch Neil immer die Pacht bezahlt …

– Ach, Gott sei dir gnädig, Muraed. Sie und Jeaic ha-ben doch nie einen Finger gerührt, sie haben sich nur

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tief in die Augen geschaut und Lieder gesungen, bis ihr Sohn Peadar groß genug war, um einen Teil vom Moor und vom Ödland urbar zu machen.

– Neil hatte keinen roten Heller, bis die Mitgift von Meag Bhríain Mhóir ins Haus gekommen ist.

– Du kannst über ihr Haus sagen, was du willst, was sich am Ende bezahlt gemacht hat, ist, dass es so dicht beim Fluss und beim See und bei den Birkhühnern liegt. Man weiß ja gar nicht, wie viel Geld Vogelfänger und Angler aus England bei ihr gelassen haben. Ich hab selbst einmal gesehen, wie der Herzog ihr eine Pfundnote in die Hand gedrückt hat – eine neue, saubere Pfund-note …

– »Vennen« nennt man die Moore bei den holden Wiesen von Ost-Galway, oder Dotie? Ich habe auch gehört, dass ihr die Katze »Rattenjäger« nennt und das Stochereisen »Kaminjunge« … Aber meiner Seel, Dotie, das ist kein echtes Altirisch …

– Gott schütze uns jetzt und immerdar …– … »Wir treiben Schweine auf den Markt«,

sagte‚ Caitríonas Katze, »Die Bullen sind teurer«, sagte Neils Katze.

– … Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass Caitríona besonders inbrünstig gebetet hat, um Neil Not und Verderben an den Hals zu wünschen. Sie war immer glücklich, wenn bei Neil ein Kalb einging oder die Kartoffelernte verdarb …

– Ich würde doch niemals schlecht über andere spre-chen, Muraed. Da sei Gott vor. Aber als der Lastwagen damals Peadar Neil die Hüfte zertrümmert hat, hat Caitríona es mir selbst gesagt: »Er hätte ja ausweichen können. Die Straße war lang und breit genug. Das ge-schieht ihr recht, der Schlampe …«

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– »Die Runde hat Neil gewonnen«, hat sie an dem Tag gesagt, an dem Seán Thomáis Uí Loideáin, ihr Mann, begraben wurde.

– Er wurde auf dem östlichen Friedhof begraben. Das weiß ich noch genau, und zwar aus gutem Grund. Ich hab mir einen Knöchel verstaucht, als ich auf einer Steinplatte ausgerutscht bin …

– Weil du mal wieder zu tief ins Glas geschaut hattest, wie so oft …

– … Mehr Kartoffeln zu haben als Neil, mehr Schwei-ne, Hühner, Torf, Heu, ein saubereres, ordentlicheres Haus zu haben; bessere Kleider für ihre Kinder zu ha-ben.  Das war Teil ihrer Rache. Alles gehörte zur Ra-che …

– … »Sie kam nach Ha-hause in knallbunter TrachtDenn dank der A-halten hatte sie ihr Glü-hück gemacht.«

– Baba Pháidín wurde in Amerika krank und wäre fast gestorben. Meag Bhríain Mhóir hat sich um sie ge-kümmert. Sie hat Meag mit nach Hause gebracht …

– … »Und in Caitríonas Haus, dort schlüpfte Baba unter …«

– Sie war nur sehr selten bei Neil. Das war zu hoch oben und der Weg war zu steinig für sie, nach ihrer Krankheit. Und bei Caitríona hat sie sich doch mehr zu Hause gefühlt …

– … »Neils Haus ist ne Hütte,Sie lügt ohne Scham.Das Fieber im Haus verschwieg sie kühn,Wenn’s dich erwischt, dann bist du hin …«

– … Es gab nur den einen Sohn, Pádraig, in Caitrío-nas Haus.

– Zwei Töchter sind ihr gestorben …

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– Drei sind gestorben. In Amerika war auch noch eine: Cáit …

– Ich erinnere mich sehr gut an sie, Muraed. An dem Tag, an dem sie aufgebrochen ist, hab ich mir den Knö-chel verstaucht …

– Baba hatte Pádraig Chaitríona versprochen, dass er  in seinem Leben keinen harten Tag mehr haben würde, wenn er Meag Bhríain Mhóir heiratet. Caitrío-na hasste Bríain Mór aus tiefstem Herzen und sei-nen Hund und seine Tochter auch. Aber Meag würde eine große Mitgift bekommen, und Caitríona dachte, Baba würde wegen Meag ihr Geld vielleicht lieber in Caitríonas Haus lassen. Um also Neil eins auszuwi-schen …

– … »Und in Caitríonas Ha-haus, dort schlüpfte Ba-a-ba unter,Bis dass Pádraig Meag Bhrí-hí-ain den Korb ver-ehr-erte. Nó-hóra Sheáiníns Kleine, das ist die Feine,Ohne Gold oder Land – doch die oder keine …«

– High for Gort Ribeach! …– Nóra Sheáiníns Tochter war wirklich ein schönes

Mädel, das könnt ihr mir glauben …– … Und deshalb konnte Caitríona deine Tochter

von Anfang an nicht leiden, Nóra Sheáinín. Das Gerede von der Mitgift ist nur ein Vorwand. Seit dem Tag, an dem deine Tochter in ihr Haus kam und mit deinem Sohn verheiratet war, war sie wie ein junger Hund, der seine Pfote auf sein Futter legt, wenn ein anderer junger Hund es haben will. Du musstest schließlich oft aus Gort Ribeach herüberkommen, Nóra …

– … Kaum graute der Mo-horgen, da kam auch Nóra Sheáiní-hín …

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– Oh my. Jetzt wird die Geschichte aber spannend, was, Muraed? Der junge Held hat die Geliebte seines Herzens geheiratet. Aber noch immer steht die andere Frau im Hintergrund. Sie hat den Kampf verloren, doch in dieser Geschichte wird es noch viele andere Verwick-lungen geben … Anonyme Briefe, Andeutungen über die Liebschaften des Helden, Mord vielleicht, Trennung bestimmt … Oh my! …

– »Bríain Mór würde ich niemals heiraten«, sagte Caitríonas Kätzchen …

Setz du jetzt mal die nächste Zeile ein …– … »Du hast versucht, ihn abzubrühen«,

sagte Neils Kätzchen …– »Seine Tochter möchte ich heiraten«,

sagte Caitríonas Kätzchen …– »Das lass ich nicht zu«, sagte Neils Kätzchen.– Ich kann mich gut an den Tag erinnern, Muraed,

an dem Peadar Neil und Meag Bhríain Mhór geheiratet haben. Ich hab mir den Knöchel verstaucht …

– … »Und in Caitríonas Ha-haus, dort schlüpfte Ba-a-ba unterBis dass Pádraig Meag Bhrí-hí-ain den Korb verehrte …«

– Es war noch schlimmer für Caitríona, dass Baba dann zu Neil gezogen ist, als dass Neil das Geld und die Mitgift bekommen hat, die ihrem eigenen Sohn Pádraig versprochen waren …

– Ich erinnere mich noch gut an den Tag, Mu-raed,  an  dem Baba Pháidín zurück nach Amerika ge-gangen ist. Ich war gerade auf der Roten Wiese am Heuen,  als ich sie aus Neils Haus auf mich zukom-men  sah.  Ich bin hingerannt, um ihnen alles Gute zu wünschen. Aber als ich über den breiten Graben ge-

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sprungen bin, habe ich mir doch wirklich den Knö-chel …

– Muraed, meinst du, es ist schon zwanzig Jahre her, dass Baba zurück nach Amerika gegangen ist? …

– Es ist sechzehn Jahre her. Aber Caitríona hat das Testament nie aus den Augen gelassen. Ansonsten wäre sie schon vor langer Zeit hier im Grab gelegen. Und dass sie die Frau ihres Sohnes schikanieren konnte, hat ihr das Leben weiter verlängert …

– Ja, Muraed, und ihre Besessenheit, auf die Beerdi-gungen anderer Leute zu gehen.

– Und das Land von Tomás im Haus …– … Hör jetzt zu, Curraoin:

»Eine große Kollekte war als Trost eher klein …«– Beachte den Kerl gar nicht, Curraoin. Der kann

doch gar nicht dichten …– Die Geschichte wird jetzt ganz schön langweilig,

Muraed. Honest! Ich hätte mit einer viel spannenderen gerechnet …

– … Hör zu, Curraoin. Hör dir die zweite Zeile an:»Und ein gutes Grab zu’nem Pfund gab’s noch obendrein …«

– … Honest, Muraed, ich hatte mit Mord und Tot-schlag und mindestens einer Trennung gerechnet. Aber Dotie kann alle diese Missverständnisse erklären …

– … Jetzt hab ich es, bei Gott und allen Heiligen, Curraoin. Hör zu:

»Ein Kreuz auf mei’m Grab wird Neils Verderben sein, Und in der Friedhofserde ist der Triumph dann mein …«


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