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Mehr than mots€¦ · I love you“. Es herrscht Lebendigkeit, Hoffnung, Schönheit in den Texten....

Date post: 19-Oct-2020
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Mehr than mots DeutschFranzösischer Poetry Slam InterCultour Mir ist der Atem genommen ob soviel poetischer Atemlo sigkeit. Wo beginnen? Die Moderatorin. Fordert uns auf zu klatschen. Immer wie der. Denn das Klatschen ist hier die Stimme des Publi kums. Damit stimmt sie ab. Bestimmt den Sieger. Zehn KlatschStufen gibt es: Zehn ist Top, Null ist Flop. Doch Flops, ce n´existe pas ici. Die Moderatorin ist aber kein Vorspiel. Sie ist Show. Ein ei gener Beitrag: Witzig, char mant, spontan, poetisch und … mehrsprachig. Dann gibt es 12 PoetryPre mieren. 12 junge Menschen aus Deutschland und Frank reich, die über Sprachbarrie ren hinweg mit Worten formen, fabulieren, jonglie ren, kämpfen, leiden … sie gen. Jede(r) wird mit der höchsten KlatschStufe auf der Bühne empfangen. Auftritt: Miriam und Elisa. Mit Akkordeon. Eigentlich ein SlamRegelbruch, aber ei ner, dem man gerne zuhört. Sie treten ans Mikrofon und beginnen: Und schon befin den wir uns gedanklich auf einer Wiese. Es beginnt eine Bewegung der Gefühle: vom sorglosen Daliegen, einsam sein, ziehen sich plötzlich dunkle Wolken am Himmel zusammen. Was für ein Traum?! Er soll endlich en den. Und er endet, mit dem Erwachen im Krankenhaus und der Einsicht: „Ich habe überlebt“. Immer wieder geht es ums Wort, ums Schreiben und Le sen und um den Versuch trotz der Mehrsprachigkeit die ei gene Sprache zu finden. Und es geht um das, was über oder nach den Worten folgt. Sphä ren, die die Grenzen der Spra che sprengen, wohinter erst die Wahrheit zu finden ist. Die Welt der Musik? Des Ge fühls? Der Liebe? Poesie und Melancholie bei den einen. Andere performen Poesie. Elisa animiert uns, mit einem Pain du chocolat in der Hand, in regelmäßigen Abständen refrainartig ein „Oh chocolat“ zu wiederholen. Sie formt da bei ihre Worte und Sätze sinnlich genussvoll als hätte sie ein warmes, butterweiches Croissant auf den Lippen. At tention: Klischee! Doch da von gibt es in den Texten glücklicherweise wenig. Die Sprachen wechseln, manchmal fast simultan zwi schen Deutsch, Französisch, Englisch, aber die Intensität bleibt. Oder Ronja, die ihre Nervosität (wenn es denn wirklich eine ist) zum Pro gramm der Performance macht. Bis drei wird gezählt, dann sollen wir alle ihr zulä cheln. Dann verliert sie die Aufregung. Manche Texte sind witzig, deklinieren scheinbar Be kanntes so rauf und runter, dass es am Ende verfremdet erscheint. Das wir am Ende einen neuen Blick darauf ge winnen. Was will Kunst mehr. Da ist zum Beispiel der 13. August. An diesem Tag wer den wir, ab jetzt, allen Links händern gedenken, die ständig gezwungen sind in unserer „rechten“ Welt umzudenken. Sie sind einem wichtigen Thema der diesjährigen Thea tertage entsprechend – gesell schaftlich nicht inkludiert. Immer wieder geht es um Mehrsprachigkeit, aber es gibt auch rein französische Texte: rhythmisch, atemlos, leiden schaftlich und mit Pausen vorgetragen. Wie etwa der von Claire oder ein Monolog von Lesslie, der nach jeder Strophe mit „There`s some thing you must know I …“ endet. Und am Ende steht „… I love you“. Es herrscht Lebendigkeit, Hoffnung, Schönheit in den Texten. Zwei der Texte be klemmen. Da ist Judith, die einen Raum mit einem Tisch mit einem farblosen Trichter beschreibt, der alles Schöne wegnimmt und ein Gefühl hinterlässt, als gehe die Sonne für immer unter. Und dieser Trichter bewegt sich gen Bo den. Die Scheibe als Schick sal und die nach unten drückende Kraft ist der menschliche Verstand. Dage gen hat Lena dauerhafte Gän sehaut, mal Symbiose zwischen Ich und Haut, mal Mantel der Sicherheit, aber mal auch Zwangsjacke und Blutegel. Wer will hier wen abstreifen? Wer hat die Kon trolle? Und wen meinen wir, wenn wir sagen „ich“: Mich oder die Haut? Colie konstatiert sogar an ei ner Stelle: „My Batterien ne fonctionnent plus.“ Mais jus que à ce temps il y a beau coup des temps á ecrire. Und am Ende kommt sie noch einmal für länger: die Moderatorin. Und mit ihr der Leiter dieses Workshops. Zu sammen gibt es noch einmal Klaviermusik und ein Stück Leidenschaft und Kampf als Poesie. 12 verschiedene junge Menschen, verschiedene Temperamente, befasst mit der wohl einsamste Sache der Welt: dem Schreiben. Aber man hat das Gefühl, hier agiert ein Ensemble. Und dieses Ensemble trägt denn auch den Sieg davon. Es gibt keine EinzelSieger. Atemlos erwache ich aus wechselnden Traumwelten, Bildern und Wortklängen und werde das Gefühl nicht los, hier einer guten Theateraufführung bei gewohnt zu haben. dl
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theaterTagTäglich erscheinendes Informationsblatt über die

Theatertage Europäischer Kulturen in Paderborn

Ausgabe Nr. 4 7.7.201 3

Theatertage

Europäischer

Kulturen

für Freie und

nichtprofessionelle Gruppen

3. - 7. Juli 201 3

in Paderborn

Mehr than motsDeutsch­Französischer Poetry Slam InterCultour

Mir ist der Atem genommenob soviel poetischer Atemlo­sigkeit. Wo beginnen?Die Moderatorin. Fordert unsauf zu klatschen. Immer wie­der. Denn das Klatschen isthier die Stimme des Publi­kums. Damit stimmt sie ab.Bestimmt den Sieger. ZehnKlatsch­Stufen gibt es: Zehnist Top, Null ist Flop. DochFlops, ce n´existe pas ici.Die Moderatorin ist aber keinVorspiel. Sie ist Show. Ein ei­gener Beitrag: Witzig, char­mant, spontan, poetisch und… mehrsprachig.Dann gibt es 12 Poetry­Pre­mieren. 12 junge Menschenaus Deutschland und Frank­reich, die über Sprachbarrie­ren hinweg mit Wortenformen, fabulieren, jonglie­ren, kämpfen, leiden … sie­gen. Jede(r) wird mit derhöchsten Klatsch­Stufe aufder Bühne empfangen.Auftritt: Miriam und Elisa.Mit Akkordeon. Eigentlichein Slam­Regelbruch, aber ei­ner, dem man gerne zuhört.Sie treten ans Mikrofon undbeginnen: Und schon befin­den wir uns gedanklich aufeiner Wiese. Es beginnt eineBewegung der Gefühle: vomsorglosen Daliegen, einsamsein, ziehen sich plötzlichdunkle Wolken am Himmelzusammen. Was für einTraum?! Er soll endlich en­den. Und er endet, mit demErwachen im Krankenhausund der Einsicht: „Ich habeüberlebt“.Immer wieder geht es umsWort, ums Schreiben und Le­sen und um den Versuch trotzder Mehrsprachigkeit die ei­gene Sprache zu finden. Und

es geht um das, was über odernach den Worten folgt. Sphä­ren, die die Grenzen der Spra­che sprengen, wohinter erstdie Wahrheit zu finden ist.Die Welt der Musik? Des Ge­fühls? Der Liebe? Poesie undMelancholie bei den einen.Andere performen Poesie.Elisa animiert uns, mit einemPain du chocolat in der Hand,in regelmäßigen Abständenrefrainartig ein „Oh chocolat“zu wiederholen. Sie formt da­bei ihre Worte und Sätzesinnlich genussvoll als hätte

sie ein warmes, butterweichesCroissant auf den Lippen. At­tention: Klischee! Doch da­von gibt es in den Textenglücklicherweise wenig.Die Sprachen wechseln,manchmal fast simultan zwi­schen Deutsch, Französisch,Englisch, aber die Intensitätbleibt. Oder Ronja, die ihreNervosität (wenn es dennwirklich eine ist) zum Pro­gramm der Performancemacht. Bis drei wird gezählt,dann sollen wir alle ihr zulä­cheln. Dann verliert sie dieAufregung.

Manche Texte sind witzig,deklinieren scheinbar Be­kanntes so rauf­ und runter,dass es am Ende verfremdeterscheint. Das wir am Endeeinen neuen Blick darauf ge­winnen. Was will Kunst mehr.Da ist zum Beispiel der 13.August. An diesem Tag wer­den wir, ab jetzt, allen Links­händern gedenken, die ständiggezwungen sind in unserer„rechten“ Welt umzudenken.Sie sind ­ einem wichtigenThema der diesjährigen Thea­tertage entsprechend – gesell­

schaftlich nicht inkludiert.Immer wieder geht es umMehrsprachigkeit, aber es gibtauch rein französische Texte:rhythmisch, atemlos, leiden­schaftlich und mit Pausenvorgetragen. Wie etwa dervon Claire oder ein Monologvon Lesslie, der nach jederStrophe mit „There`s some­thing you must know I …“endet. Und am Ende steht „…I love you“.Es herrscht Lebendigkeit,Hoffnung, Schönheit in denTexten. Zwei der Texte be­klemmen. Da ist Judith, die

einen Raum mit einem Tischmit einem farblosen Trichterbeschreibt, der alles Schönewegnimmt und ein Gefühlhinterlässt, als gehe die Sonnefür immer unter. Und dieserTrichter bewegt sich gen Bo­den. Die Scheibe als Schick­sal und die nach untendrückende Kraft ist dermenschliche Verstand. Dage­gen hat Lena dauerhafte Gän­sehaut, mal Symbiosezwischen Ich und Haut, malMantel der Sicherheit, abermal auch Zwangsjacke undBlutegel. Wer will hier wenabstreifen? Wer hat die Kon­trolle? Und wen meinen wir,wenn wir sagen „ich“: Michoder die Haut?Colie konstatiert sogar an ei­ner Stelle: „My Batterien nefonctionnent plus.“ Mais jus­que à ce temps il y a beau­coup des temps á ecrire.Und am Ende kommt sienoch einmal für länger: dieModeratorin. Und mit ihr derLeiter dieses Workshops. Zu­sammen gibt es noch einmalKlaviermusik und ein StückLeidenschaft und Kampf alsPoesie. 12 verschiedene jungeMenschen, verschiedeneTemperamente, befasst mitder wohl einsamste Sache derWelt: dem Schreiben. Aberman hat das Gefühl, hieragiert ein Ensemble. Unddieses Ensemble trägt dennauch den Sieg davon. Es gibtkeine Einzel­Sieger. Atemloserwache ich aus wechselndenTraumwelten, Bildern undWortklängen und werde dasGefühl nicht los, hier einerguten Theateraufführung bei­gewohnt zu haben. dl

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Augenblicke gesammelt:Bölls „Ansichten eines Clowns“ aus Sibirien

„Melancholie und Kopf­schmerz“ seien die beidenLeiden, mit denen er von Na­tur aus belastet sei, sagt derIch­Erzähler Hans Schnier inHeinrich Bölls „Ansichten ei­

nes Clowns“. Schnier ist einSohn aus reichem Elternhaus,der sich der Heuchelei unddem dekadenten und beque­men Luxusleben der Wohl­standsgesellschaft verweigertund seinen Lebensunterhaltals Clown verdient. Als seinelangjährige Geliebte Marieihn verlässt, verliert er denHalt: Melancholie und Kopf­schmerz steigern sich, und dasvorübergehend wirksame Mit­tel dagegen heißt: Alkohol.Und so müssen wir JurijSacharow, der den Clown inder Inszenierung des TheatersMimikrija aus Tyumen spielt,erst einmal wecken, bevor eslosgehen kann. Die beidensympathischen Poetry Slam­merinnen vom Nachmittag,die er sich zufällig ausgesuchthat, um quer über ihnen sei­nen Rausch auszuschlafen,können sich in ganz anderenSlam­Disziplinen üben: Slamin the face! Und schon ist Jurijwach. Hat noch nix geleistet,aber fordert Applaus ein. Erkriegt ihn schließlich über­reichlich, anders als Schnierim Roman, der für seinenmisslungenen Auftritt in Bo­chum nicht einmal das verein­barte Honorar erhält. Nehmenwir’s vorweg: Jurij Sacharowund die gesamte Truppe vonRegisseurin und Theaterleite­rin Lubow Leschukowa sindnicht nur das Honorar wert,

sondern sie würden in derfreien Wirtschaft einen fettenSonderbonus wegen signifi­kanter Übererfüllung der ver­einbarten Leistungszieleerhalten.

Bölls Clown ist ein zuneh­mend lebensuntüchtiger Me­lancholiker. Lustig ist dieserClown nicht, und auch wenndie Berufswahl aus SichtBölls natürlich eine symboli­sche Bedeutung hatte, findensich im Roman keinerlei Zir­kusmotive. Leschukowas Auf­führung dagegen stützt sichgenau darauf: auf Zirkus, aufSlapstick, auf Pantomime.Aber auch auf Musik und aufschwarzen Humor. Das istlustig wie bei guten Clownsim Zirkus – vordergründig la­chen wir über die Unge­schicklichkeiten und dieKunststücke des Clowns;gleichzeitig spüren wir, dasshier ein unglücklicher Verlie­rer vor uns steht. ­ Episodenaus Heinrich Bölls Roman er­leben wir kaum; im Grundelebt die Handlung im wesent­lichen von der Selbstbeschrei­bung des Clowns auf denersten zwei oder drei Seitendes Romans sowie von derDarstellung der bilateralenBeziehungen zwischen demProtagonisten und seinen El­tern, seinem Bruder, seinerMaria und einem Rivalen.Sprache spielt eine nur unter­geordnete Rolle; dennoch er­leben wir eine vielschichtigeCharakterzeichnung und diekleine Geschichte vom Nie­dergang eines Clowns.Zunächst sind es noch harm­

lose Pantomimen, die wir se­hen; eine Bahnreise,Straßenszenen, ein durch einePfütze fahrendes Auto, denAngriff eines Hundes, eineBusfahrt. Marie tritt auf, beiMaya Schulz eine Sängerin,die wunderschöne russischeLieder singt – immer in ge­bührender Entfernung zu un­serer Hauptperson. Nur nochals ferne Erinnerung an seinegroße Liebe kann der Clownsie sehen, und während siesingt, tanzt Sacharow mit ei­ner wunderschönen Puppe imlangen roten Kleid – ein unge­heuer starkes und symbolhal­tiges Bild in dieser ansonstenganz in Schwarz­Weiß gehal­tenen Aufführung. Es gehtbergab mit dem Clown; Vaterund Mutter werden um Geldangebaggert, es kommt zumDuell mit einem Rivalen, lan­ge rote Papierstreifen sind ei­ne zauberhafte Metapher fürdas Blut, das in Strömenfließt. Der Bruder des Clownsversucht diesen nicht mitsechs Mark und sieben Pfen­nigen wie im Roman zu ret­ten, sondern mit seinemeigenen Herzen. Das aber gibtder Clown ihm zurück. DerImpresario oder Zirkusdirek­tor, bei Denis Kuzyakow einetwas zwielichtig wirkender

Stotterer, hält eine weinerlicheBeerdigungsrede, und wir allewerfen weiße Blumen auf seinGrab. – Und schwupps stehtda der totgeglaubte Clown,sammelt die Blumen ein undmöchte sie Maria überreichen.Die dreht ihm schnöde denRücken zu.

Wie Sacharow und seine Kol­legen das spielen, ist hinrei­ßend. Die weichen,melancholischen Augen, dieverdrehten Bewegungen, dasWeinen und das Wüten, dasAufmüpfige und das Unter­würfige, die herzzerreißendenpoetischen Tänze mit derPuppe – all das ist von hoherPerfektion. Die aber nochübertroffen wird vom Zusam­menspiel im Ensemble – ins­besondere mit DenisKuzyakow, der nicht nur denZirkusdirektor spielt, sondernauch der grandiose Ge­räuschemacher ist. Mit un­glaublicher Präzision sind dievon ihm hergestellten kako­phonischen Laute auf die Be­wegungen des Clownsabgestimmt – und das, ob­wohl wir es zu einem er­klecklichen Teil mitImprovisationstheater zu tunhaben. Dmitri Schkell sitztmit stoischer Ruhe an derElektronik und ist für die Mu­sik zuständig – und für dieÜbersetzung des gesproche­nen Worts ins Englische.Treffend bemerkt Sandra An­klam im anschließenden Auf­führungsgespräch, dassSchkell mit seiner Überset­zungsarbeit geradezu eine ei­gene Figur erfinde. Wie

ohnehin die Interaktion zwi­schen Clown und „technischerUnterstützung“, also vor al­lem Geräuschemacher undÜbersetzer, von bestechenderRaffinesse und Ironie ist: Beialler handwerklichen Exakt­heit bleibt stets Raum fürSpontanität.

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Wie immer war manches andersTheatertage Europäischer Kulturen 2013 als Mischung aus Altbewährtem und Neuem

Wenn das, was sich diesesJahr angedeutet hat, weitereKreise zieht, müssen sich die„Theatertage EuropäischerKulturen“ bald umbenennen.Vielleicht in „Theatertageweltlicher Kulturen“. KeinWitz.So weit wie Bronwyn Twedd­le dürfte wohl noch niemandbisher zu dieser Veranstaltungin die Paderstadt gereist sein.Die Neuseeländerin bot einenWorkshop an zum Thema„Commedia del´Arte“. Alleerarbeiteten Elemente dieserkomödiantischen Spielformsorgten für großen Spaß beiden Teilnehmern.Des Weiteren gab es zweiFormationen aus Asien. Die„Yoram Loewenstein ActingSchool“ aus Tel Aviv/Israelbehandelte in „Die schwarzePrinzessin“ den Prozess desAbgrenzens zwischen Mutterund Tochter. Im Gegenzug da­zu bot das „Kutaisi YouthTheatre“ aus Georgien eineTanzperformance, angelehntan Molieres „Don Juan“.Doch nicht alles, was andersist als sonst, ist positiv. Erst­mals musste dieses Festivaleine kurzfristige Absage hin­

nehmen. „Theatre Académa“aus Marokko sollte Shakes­peares „Sommernachtstraum“darbieten. Wäre zu schön ge­wesen, den dritten außereuro­päischen Beitrag, dazu nochaus Afrika, präsentieren zukönnen. Doch Missverständ­nisse bei der Organisation derAnreise veranlassten dieGruppe, auf ihren Auftritt ver­zichteten. Dafür gab es zumTrost am Samstag – ebenfallseine Premiere bei den Thea­tertagen ­ einen herrlichenPoetry­Slam in deutsch­fran­zösischer Sprache.Bedauerlich war zudem dievorzeitige Abreise von Ste­phan Rumphorst. Er mussteaufgrund beruflicher Ver­pflichtungen am Donnerstagnach Eisenach zurück undkonnte nicht wie gewohnt biszum Ende als guter Geist imVordergrund agieren. Wirschicken ihm ein herzlichesDankeschön hinterher.Schmerzlich vermisst wird Fi­lip Lasut. Der slowakischeFotograf, der in der Vergan­genheit die Aufführungen desFestivals durch seine Fotosverewigte, kam 2012 bei ei­nem Autounfall ums Leben.

The show must go on ­ dochist das leichter gesagt als ge­tan.

Was war noch anders? – Ohja, es erstmals gab´s den Auf­tritt einer Gruppe von Men­schen mit geistigerBehinderung. Mit „Wo derPfeffer wächst“ gaben die„Wellenbrecher“ aus Lüne­burg ihrem Empfinden überdie Behandlung durch „nor­male“ Menschen einen Raumund dem Thema Inklusion einGesicht.Und wohl kein Stück hat bisdato mehr Debatten ausgelöstals „99 Prozent“ des „spina­Theaters“ aus Solingen. DieSzenencoullage von Jugendli­chen drehte sich um die Fra­

ge, wie wir gegenUngerechtigkeiten der Weltdie Stimme erheben. Die In­szenierung setzte bewusst aufProvokation. Schallende Ohr­feigen und mit Plastiktütenund Klebeband verhüllteKöpfe sorgten für heftige Re­aktionen seitens des Publi­kums. Irgendwie beschlicheinen das Gefühl, dass nachder Vorstellung jeder im Foyerdem anderen in die Augenblickte und sich fragte: „Wasdenkt der jetzt über das ebenGesehene?“Nicht neu waren dagegen dieanschließend gestellten Fra­gen: Wie weit darf Theatergehen? Bis zu welcher Grenzeist Provokation erlaubt? Wannwird Kunst zur Selbstdarstel­lung? Dies war schon immerein heißes Eisen. Denken wiran Exzentriker wie Fassbin­der, Schlingensief und dieDebatten, welche sie seiner­zeit ausgelöst haben. Jederkann oft nur für sich selbstbeantworten, wo hier dieGrenze des Erlaubten ist.Doch sei es drum ­ es ist auchangenehm zu wissen, dass ge­wisse Dinge erhalten bleiben.Wie gehabt war es Franz­Jo­

Und die ist nicht nur von denSchauspielern, sondern auchvom Publikum gefordert. Wiepeinlich ist es oft, wenn manals Zuschauer zum Mitma­chen aufgefordert wird. Hierwird kurzerhand ein Brudergekürt, ein Vater und eineMutter, eine Geliebte und einRivale. Und die müssen agie­ren, aber fragt nicht nach Son­nenschein! Besonders derRivale legt gemeinsam mitdem Clown eine Nummer aufsParkett, die sich gewaschenhat: Sie führt zum Duell, zueiner der witzigsten, aber auchder tragischsten Szenen desAbends. Es wird eine Mord­und Sterbeszene von shakes­peareschen Dimensionen.Endlos. Und hilariously funny,voller Slapstick und vollerAkrobatik. Thriller­Musik un­termalt die Szene, die Schein­werfer splittern, und da wederClown noch Publikums­Joker

allzu treffsicher sind, fälltauch schon mal anstelle desGegners ein großer schwarzerVogel vom Himmel. Zu kit­

schiger Hollywood­Musikhaucht der russische HansSchnier sein Leben aus. Undtanzt dann mit seinem Riva­len.Wir wissen nicht, was pas­siert, wenn der zufällig aus

dem Publikum gekürte Rivalenicht so phantastisch mitspielt(und auch nicht zu solchensportlichen Leistungen fähig

ist) wie in der gesehenen Auf­führung. Aber wir haben er­lebt, wie phantastisch undsensibel das gesamte Teamden überforderten Zuschauernhilft, ihre Rolle zu verstehen –nahezu wortlos, nur mit Hilfe

der Pantomime. Was wir wie­derum nicht wissen, ist,warum das Mitspielen beimMimikrija­Theater nicht pein­lich ist – nach einhelligerMeinung sowohl der passivenals auch der gezwungenerma­ßen aktiven Zuschauer war eseher ein Spaß. Vielleicht wur­de durch die Zirkus­Atmo­sphäre das Kind imErwachsenen wach.Am Ende seines Buches lässtHeinrich Böll seinen Clownsein berühmtestes Zitat spre­chen: „Ich bin ein Clown undsammle Augenblicke.“ Nachdiesem intelligenten,schwung­ und phantasievollenAbend wissen wir eines ganzgenau: Diese Aufführung hatunserer aller Sammlung eini­ge der bemerkenswertestenund schönsten Augenblickeunseres Theaterlebens hinzu­gefügt. dz

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Redaktion

Thorsten BöhnerDavid Lode

Thomas WölferDietmar Zimmermann

Fotos:Frank Weymann

Veranstalter:Bund Deutscher Amateurtheater e.V.Amateurtheaterverband Nordrhein­Westfalen e.V.

Ausrichter vor Ort:Heimatbühne Paderborn e.V.theater der jugend

Gefördert:• durch die Stadt Paderborn• vom Bund Deutscher Amateurtheater aus Mitteln des

Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medienaufgrund eines Beschlusses der Deutschen Bundesregierung.

• über den Bund Deutscher Amateurtheater aus Mitteln desAuswärtigen Amtes

• durch das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur undSport des Landes Nordrhein­Westfalen

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sef Witting vorbehalten, die­ses Event zu eröffnen. Es istgewissermaßen sein Baby, denKinderschuhen zwar längstentwachsen, doch kann es imGegensatz zu den anderenSprösslingen nicht irgend­wann allein laufen. Stets be­darf es vieler fleißigerehrenamtlicher Hände.Der Fachrat aus Vaclav Spirit(seit Jahr und Tag hier wohlbekannt), Sandra Anklam undHeinrich Waegner reflektiertedie Darbietungen mit Leutenaus dem Publikum und Festi­valteilnehmern.Altbewährt ist – leider – eben­falls das von BDAT­PräsidentNorbert Rademacher ange­sprochene finanzielle Stief­kinddasein des Amateur­theaters, was sich auch dahin­gehend auswirkt, dass dieAnzahl solcher Festivals rück­läufig ist.Auf gewohnt hohem Niveaufanden die Aufführungen statt.Das gilt vor allem für Grup­pen, die schon des Öfterenhier zu Gast waren.Der amerikanische Dramati­ker John Steinbeck („Früchtedes Zorns“) widmet sich mitseinem Stück „Von Mäusenund Menschen“ einmal mehrden Zeiten der amerikanischenDepression. Mit konzentrier­ter Darstellung spielte die Stu­diobühne Essen diese Novellevom Zerplatzen des Amerika­nischen Traums. Auch das„Spielbrett Dresden“, warwieder mit von der Partie undbot mit „Elektra“, dem grie­chischen Drama um Rach­sucht, ebenfalls eine klasseLeistung.

Auch die kroatische Tanzfor­mation „Dance Studio CrystalCube of Brightness“ gab sicherneut die Ehre, diesmal mit„Let me go“: Verführung, Ei­fersucht und Versöhnung inanmutig­ästhetischen Bildern.Und wie in jüngster Vergan­genheit war auch das Auftakt­stück der Theatertage opulent.„Herr der Diebe“ wurde vonden Schülern von SchlossHamborn als großes Spektakel

aus Musik und Text auf dieBühne gebracht. Geriet dieAufführung mit über dreiStunden auch zu lang, offen­barte sie doch manches Talent.

Ebenso überzeugen konntenGruppen, die bei dieser Ver­anstaltung debütierten. So„Die Fremden“ aus Öster­reich. Die Darsteller, allesamtmit Migrationshintergrund,griffen ihr eigenes Thema aufund legten mit „Alles imBiss“ eine herzerfrischendeKomödie hin. Drei Menschenim fremden Land, die sich zu­sammenrotten, einen Partyser­vice gründen, einen Politikerentführen und am Ende die

großen Matchwinner sind –diese Story haben die Spielerper Improvisationen selbstentwickelt.Der angemessene Abschlusswar dem russischen Theater„Mimicriya“ vorbehalten,welches sich Bölls „Ansichteneines Clowns“ mit heiter­gro­tesken Elementen annahm undein begeistertes Publikum zu­rückließ.Traditionell soll wie immer

Danke gesagt werden an jene,die nicht im Rampenlicht ste­hen, ohne die aber nichts aufund hinter der Bühne übereben dieselbe geht.Als Offenes Ohr für Fragenaller Art fungierte PeterNaunheim. Zum Helferteamder Heimatbühne gehörtenUte Müller, Deniz Sansal,Alexander Robinovych, Alex­ander Wittmer, KatharinaFeer, Stefan Bartscher, KinaSchmitz und Anna Eikel.Durst gestillt werden konnte beiDieter Bolte im Cafe und sowiebei Suzi Galic und Sarah Kloss,die diesen Job schon (gefühlt)ewig machen und quasi als Ur­gesteine durchgehen ;­)

Für die Organisation seitensdes BDAT waren StephanSchnell, Steffen Hirsch undKatrin Kellermann vor Ort.Die Technik lag in Händenvon Heinz­Peter Brodam,Hans Schunk, Willi Siedner,Dietmar Schneider, NorbertGlunz, Manfred Studzinksiund Wulf Dominicus, derabends als DJ für eine volleTanzfläche sorgte. Der Ver­kauf der Karten lief überHanni Ressel und FranziskaUhlig. Für die Festivalzeitungverantwortlich zeichnen Tho­mas Wölfer (Layout), FrankWeymann (Fotos) sowie Da­vid Loges, Dietmar Zimmer­mann, Thorsten Böhner(Artikel) und als Presserefe­rent der Heimatbühne MartinFryburg.Als Fahrer zwischen Pader­halle und Kulturwerkstatt wa­ren Melanie Steingräber, JensNaunheim und Frank Schwo­chow im Einsatz. Für dasLeibliche Wohl an der Es­sensausgabe sorgten FraziskaUhlig, Gerda Reiling, TheoUlmes, Gerd Wölfer, MelanieHecker, Brigitte Studzinksiund Brigitte Stitz.Was bleibt noch zu sagen?Wie immer war manches an­ders und manches wie immer,und das ist in den meistenFällen auch gut so. Veranstal­tungen wie diese leben vomWechselspiel zwischen Alt­bewährtem und neuen Impul­sen. Das gegenseitige Inspi­rieren und Angeregt werden,das Sammeln und Weiterge­ben an Erfahrung – nur so hatAmateurtheater eine Perspek­tive. tb


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