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LUTZ - RECHT AKTUELL · 2018-01-04 · 4 Recht Aktuell 1/2013 ARBEITSRECHT 1. Ausgangslage Was...

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RECHT AKTUELL 01 / 2013
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RECHT AKTUELL01 / 2013

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Arbeitsrecht Der Arbeitgeber muss nicht bedauern oder danken -kein Anspruch auf Schlussformel im Arbeitszeugnis

Bank- und KapitalmarktrechtNichtberücksichtigung von Steuervorteilen bei der Rückabwicklung geschlossener Immobilienfonds

Privates Bau- und Architektenrecht Berücksichtigung eines „merkantilen Minderwertes“ bei Bauschäden Vertragsstrafen auf Zwischenfristen in der Regel unwirksamMitteilungspflichten des Architekten bei fehlender Genehmigungs-fähigkeit der beauftragten Planung

Öffentliches Baurecht Bebauungsplanübergreifender NachbarschutzUngeeignetheit passiven Lärmschutzes zur Rechtfertigung der Überschreitung von Immissionsrichtwerten nach der TA-Lärm

Handels- und Gesellschaftsrecht Leistungsverweigerungsrecht der GmbH bei Zahlungsunfähigkeit durch eine Zahlung an den GesellschafterZur Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit –Teil 1: Anforderungen an die Besetzung eines fakultativen GmbH-Aufsichtsrats Das Ende einer GmbH – von Auflösung bis Vollbeendigung

VergaberechtVerzögerte Vergabe – Vorsicht bei modifizierten Zuschlagsschreiben!

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Dr. Susanne Adlberger

Sven Johannsen

Prof. Dr. Robert KaufmannDr. Michael T. StollDr. Sebastian Schwartz

Dr. Thomas SchönfeldDr. Christian Braun

Dr. Christian Dittert

Dr. Lorenz Jellinghaus

Maximilian von Mettenheim LL.M.

Magdalena Götsche LL.M.

INHALTSVERZEICHNIS

RECHT AKTUELL 1/2013

Recht Aktuell 1/2013

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4 Recht Aktuell 1/2013

ARBEITSRECHT

1. Ausgangslage

Was genau in ein Arbeitszeugnis gehört, wozu der Arbeitgeber verpflichtet ist, sich zu äußern, und in welcher Form, ist immer wieder Gegenstand von ausufernden Zeugnisstreitigkeiten vor den Arbeits-gerichten.

§ 109 Abs. 1 S. 1 GewO gibt dem Arbeitnehmer bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis einen An-spruch gegen den Arbeitgeber auf Erteilung eines Zeugnisses. Dieses kann als einfaches Zeugnis le-diglich mit Angaben zur Art und Dauer der Tätigkeit ausgestaltet sein oder muss sich auf Verlangen des Arbeitnehmers gem. § 109 Abs. 1 S. 3 GewO zusätz-lich auch auf seine Leistung und sein Verhalten im Arbeitsverhältnis erstrecken, ein sogenanntes qua-lifiziertes Zeugnis.

In der Praxis haben sich vermehrt im Rahmen von qualifizierten Zeugnissen auch sogenannte Schluss-formeln eingebürgert, mit denen der Arbeitgeber sich beim Arbeitnehmer bedankt, sein Ausscheiden bedauert und/oder ihm alles Gute für die Zukunft wünscht. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun in seinem Urteil vom 11.12.2012 (Az.: 9 AZR 227/11) ent-schieden, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Aussagen über persönliche Empfindungen des Arbeitgebers – wie Dank oder Bedauern – in einer Schlussformel hat, da dies nicht zum erforderlichen Inhalt eines Arbeitszeugnisses gehört. Selbst wenn eine solche Schlussformel aufgenommen worden sein sollte, mit der der Arbeitnehmer aber nicht einverstanden ist, kann er dennoch nicht vom Ar-beitgeber die Ergänzung oder Umformulierung der Schlussformel verlangen, sondern hat nur einen Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses ohne die Schlussformel.

2. Entscheidung

In dem Rechtsstreit vor dem BAG ging es darum, dass der Leiter eines Baumarktes nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Arbeitszeugnis mit ei-ner überdurchschnittlichen Leistungs- und Verhal-tensbeurteilung erteilt bekam. Das Zeugnis endete mit den Sätzen: „Herr K. scheidet zum 28.02.2009 aus betriebsbedingten Gründen aus unserem Unter-nehmen aus. Wir wünschen ihm für die Zukunft alles Gute.“ Der Kläger war der Auffassung, der verwen-dete Schlusssatz sei unzureichend und entwerte sein gutes Zeugnis, da der Schlusssatz keinen Dank für die bisherige Zusammenarbeit beinhalte. Bei einer guten Leistungs- und Führungsbeurteilung entspre-che es nämlich der Üblichkeit und auch der Erwar-tung eines potenziellen neuen Arbeitgebers, dass dem Arbeitnehmer am Ende des Zeugnistextes für die Zusammenarbeit gedankt und ihm für die Zukunft – und zwar sowohl privat als auch beruflich – alles Gute gewünscht werde. Das Arbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Auch die Revision des Klägers hatte beim BAG keinen Erfolg.

Das BAG führt dazu aus, dass ein Anspruch auf die begehrte Schlussformel, die nach Antrag des Klä-gers letztendlich lauten sollte: „Wir bedanken uns für die langjährige Zusammenarbeit und wünschen ihm für seine private und berufliche Zukunft alles Gute“, nicht aus § 109 Abs. 1 GewO folge. Das erteilte Zeugnis hat die nach dieser Vorschrift erforderlichen Angaben im Hinblick auf Art und Dauer der Tätigkeit sowie Angaben zur Leistung und Verhalten im Ar-beitsverhältnis enthalten. § 109 Abs. 1 GewO sieht keine zusätzliche Verpflichtung des Arbeitgebers vor, im Arbeitszeugnis persönliche Empfindungen wie Bedauern über das Ausscheiden des Arbeitnehmers,

ARBEITSRECHT

Der Arbeitgeber muss nicht bedauern oder danken –kein Anspruch auf Schlussformel im Arbeitszeugnis

Dr. Susanne Adlberger | [email protected]

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5Recht Aktuell 1/2013

Dank für die geleistete Arbeit oder gute Wünsche für die Zukunft zum Ausdruck zu bringen. Auch der Grundsatz der Zeugnisklarheit gibt dem Kläger kei-nen Anspruch auf den von ihm verlangten Schluss-satz, da die enthaltene Formulierung klar und ver-ständlich formuliert ist. Weiter führt das BAG aus, dass selbst wenn man diesen Schlusssatz als ein verbotenes Geheimzeichen (Merkmal oder Formulie-rung, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen) ansehen würde, das die überdurchschnittliche Leistung und Verhaltensbeurteilung entwerten sollte, sich hieraus aber kein Ergänzungsanspruch ergibt. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer nur die Erteilung eines Zeug-nisses ohne diese Formulierung verlangen. Selbst unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung ist ein Anspruch auf die vom Kläger begehrte Formulierung ausgeschlossen. Als Arbeitgeber ist man zwar grund-sätzlich an den Inhalt eines erteilten Zeugnisses ge-bunden. Die Bindung an den Ausdruck persönlicher Empfindungen, wie Dank, Bedauern oder gute Wün-sche für die Zukunft, ist jedoch auf den Ausdruck der jeweiligen Empfindung beschränkt und führt deshalb nicht zu einer Verpflichtung des Arbeitgebers, andere Empfindungen im Zeugnis zu formulieren, von denen der Arbeitnehmer meint, dass sie sein Arbeitgeber haben müsste. Ohne eine gesetzliche Grundlage kann der Arbeitgeber nicht verurteilt werden, das Bestehen von persönlichen Empfindungen, wie z.B. Dankbarkeit, dem Arbeitnehmer gegenüber schrift-lich zu bescheinigen. Ebenso wenig ergibt sich aus ei-ner behaupteten Üblichkeit einer solchen Schlussfor-mel ein Anspruch. Die Rechtsprechung des BAG zum beredten Schweigen in Zeugnissen kann nicht auf das Fehlen von Schlusssätzen übertragen werden. Dies gilt auch, wenn ein vorhandener Schlusssatz einen vermeintlich üblichen Teil nicht enthält. Zwar ist es richtig, dass ein Zeugnis grundsätzlich dort keine Auslassungen enthalten darf, wo der verständige Le-ser eine positive Hervorhebung erwartet. Einen An-spruch auf ausdrückliche Bescheinigung bestimmter Merkmale hat daher der Arbeitnehmer, in dessen Berufskreis dies üblich ist und bei dem das Fehlen einer entsprechenden Aussage im Zeugnis sein be-

rufliches Fortkommen behindern könnte. Allerdings betrifft diese Rechtsprechung zu unzulässigen Aus-lassungen nur den gesetzlich geschuldeten Zeugnis-inhalt, zu dem die Schlussformel jedoch nicht gehört. Interessanterweise geht in diesem Zusammenhang das BAG davon aus, dass der kundige Zeugnisleser weiß, dass sich aus dem Gesetz kein Anspruch auf den Ausdruck persönlicher Empfindungen in einer Schlussformel ergibt, und deshalb sich nicht der Schluss ziehen lässt, der Verfasser habe hiermit eine besondere Aussage treffen und seine Leistungs- und Verhaltensbeurteilung relativieren wollen. Auch der Wohlwollensgrundsatz gibt keinen Anspruch, da der Wohlwollensgrundsatz nur das „Wie“ beschreibt, aber insofern das Bestehen eines entsprechenden An-spruchs, der so ausgeführt werden soll, voraussetzt. Mit der fehlenden Verpflichtung, persönliche Empfin-dungen im Arbeitszeugnis zum Ausdruck zu bringen, korrespondiert auf der anderen Seite der Anspruch des Arbeitnehmers auf Erteilung eines Zeugnisses ohne einen entsprechenden Schlusssatz, so dass der Arbeitnehmer demgemäß einen Anspruch auf Entfer-nung einer ihm nicht genehmen Schlussformel hat, was vom Kläger jedoch nicht beantragt war.

3. Fazit

Mit dieser Entscheidung bleibt dem Arbeitgeber eine letzte Freiheit in dem ohnehin stark formalisierten und standardisierten Bereich des Arbeitszeugnisses. Er ist nicht verpflichtet, persönliche Empfindungen im Arbeitszeugnis zum Ausdruck zu bringen, die er möglicherweise gar nicht hatte. Eine Schlussformel sieht die gesetzliche Grundlage des § 109 GewO für den Zeugnisinhalt des Arbeitnehmers zu Recht nicht vor. Ob es allerdings tatsächlich in der Praxis so ist, dass der geneigte Zeugnisleser das Fehlen einer Dank- bzw. Schlussformel einer fehlenden gesetz-lichen Grundlage zuordnet und dies nicht negativ auslegt, scheint zweifelhaft. Dem Arbeitgeber ver-bleibt daher mit dieser Freiheit, eine Schlussformel mit entsprechenden persönlichen Empfindungen an-zufügen oder eben nicht, tatsächlich die Möglichkeit, ein Arbeitszeugnis zusätzlich aufzuwerten.

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6 Recht Aktuell 1/2013

BANK- UND KAPITALMARKTRECHT

1. Einleitung

In der forensischen Praxis stellt die Rückabwicklung geschlossener Fonds seit Jahren einen Dauerbren-ner dar. Insbesondere aufgrund der höchstrichter-lichen Kick-back-Rechtsprechung können solchen Klagen nicht immer die Erfolgsaussichten abgespro-chen werden. Zur Vermeidung einer Inanspruchnah-me wurde häufig versucht, dem Kläger zumindest erzielte Steuervorteile in Anrechnung zu bringen, um so die Schadensersatzleistung zu mindern. Insbe-sondere in Altfällen war die Erzielung von Steuervor-teilen häufig die treibende Motivationsfeder für den Erwerb eines geschlossenen Fonds. Die höchstrich-terliche Rechtsprechung hat eine solche Anrechnung von Steuervorteilen auf die Schadensersatzleistung grundsätzlich abgelehnt, weil der Geschädigte auch seine Schadensersatzleistung zu versteuern habe, so dass bei typisierender Betrachtungsweise dem Klä-ger die einst erzielten Steuervorteile nicht verblei-ben. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 18.12.2012 (Az.: II ZR 259/11) diese Rechtsprechung für den zuletzt viel diskutierten Fall des geschlos-senen Immobilienfonds bestätigt.

2. Das Urteil

Dem Urteil lag eine typische Schadensersatzklage zu Grunde, bei der erzielte Steuervorteile in Höhe von ca. EUR 20.000,00 in Ansehung der Schadensersatz-pflicht nicht in Anrechnung gebracht worden waren. Der Kläger war im Oktober 1997 dem geschlossenen Immobilienfonds beigetreten und hatte seine Klage im Januar 2010 erhoben. Insofern wurde diskutiert, ob eine Besteuerung der vom Kläger angestrebten Scha-densersatzleistung deshalb ausgeschlossen sei, weil die Zehnjahresfrist des § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG verstri-chen war. Nach dieser Vorschrift liegt ein steuerlich

relevantes Veräußerungsgeschäft bei Grundstücken vor, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Einer solchen Sichtweise hat der Bundesgerichtshof nun eine Absage erteilt. Die Rückabwicklung des Er-werbs an einem geschlossenen Immobilienfonds sei keine Veräußerung eines Grundstückes oder eines grundstücksgleichen Rechts im Sinne des § 23 EStG. Ein derartiges Veräußerungsgeschäft liegt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und des Bun-desgerichtshofs jedenfalls dann nicht vor, wenn sich das ursprüngliche Anschaffungsgeschäft lediglich in ein Abwicklungsverhältnis verwandelt. Die Heraus-gabe des zuvor angeschafften Wirtschaftsguts stellt hierbei keinen gesonderten „marktoffenen Vorgang“ dar, sondern nur einen notwendigen Teilakt im Rah-men der Rückabwicklung. Eine Berücksichtigung von Steuervorteilen hätte weiterhin das wirtschaftliche Ergebnis zur Folge, dass allein der zum Schadenser-satz Verpflichtete durch die Anrechnung von Steuer-vorteilen einen Nutzen hätte. Ob der Kläger dann nach einem Prozess den Schadensersatzbetrag tatsäch-lich versteuert, sei bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise ebenso wenig entscheidend wie die Frage, ob die Höhe der geschuldeten Steuer den einst erzielten Steuervorteilen entspricht. Lediglich bei ganz außergewöhnlichen Steuervorteilen, die der Beklagte darzulegen hat, wäre eine andere Betrach-tungsweise angezeigt.

3. Praxisfolgen

Durch die Bestätigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Nichtberücksichtigung von Steuervorteilen dürfte auf Beklagtenseite eine sol-che Argumentation kaum noch erfolgversprechend möglich sein. Es war durchaus diskutiert worden, ob zumindest eine entsprechende Anwendung des § 23

BANK- UND KAPITALMARKTRECHT

Nichtberücksichtigung von Steuervorteilen bei der Rück- abwicklung geschlossener Immobilienfonds

Sven Johannsen | [email protected]

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7Recht Aktuell 1/2013

Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG auf vergleichbare Sachverhalte wie den vorliegenden Anwendung findet, so dass tat-sächlich die Schadensersatzleistung von dem Kläger vorliegend nicht zu versteuern gewesen wäre, was für eine Anrechnung gesprochen hätte. Einer solchen Sichtweise hat der BGH nun eine Absage erteilt. Das Argument, dass eine Berücksichtigung von Steuer-vorteilen letztlich dem Schädiger zugute kommen würde, kann nicht ganz von der Hand gewiesen wer-den. Auch den vielfachen Hinweis auf die „Steuerehr-lichkeit“ lässt der BGH aufgrund einer – juristisch zutreffenden – typisierenden Betrachtungsweise unberücksichtigt, so dass es nicht darauf ankommt, ob ein Geschädigter seine Schadensersatzleistung dann auch tatsächlich versteuert. Ein letztes Hinter-

türchen lässt der BGH dann doch für die Fälle offen, in denen außergewöhnlich hohe Steuervorteile vor-gelegen hätten. In der Praxis ist die Darlegung sol-cher außergewöhnlich hoher Steuervorteile für den Beklagten aber nur in Ausnahmesachverhalten mög-lich. Dennoch wird das Thema Steuervorteile für die forensische Praxis von Bedeutung bleiben, weil eine solch motivierte Anlageentscheidung geeignet ist, die sogenannte Vermutung aufklärungsrichtigen Verhal-tens im Bereich der Kick-back-Rechtsprechung zu entkräften. Die süffisanten Anmerkungen, der Bun-desgerichtshof würde Steuervorteile nur deshalb ausblenden, weil er eine inhaltliche Auseinander-setzung scheut, sind spätestens seit dem Urteil vom 18.12.2012 nicht mehr angezeigt.

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PRIVATES BAU- UND ARCHITEKTENRECHT

PRIVATES BAU- UND ARCHITEKTENRECHT

Recht Aktuell 1/2013

Mit Urteil vom 06.12.2012 (Az.: VII ZR 84/10) hat der VII. Zivilsenat des BGH, der bekanntlich für das Bau- und Architektenrecht zuständig ist, erneut zur Haftung von Architekten und Ingenieuren geurteilt: Allgemein bekannt ist, dass der Architekt für die Ko-sten der Beseitigung von Baumängeln, die auf Fehler seiner Planung oder Überwachung zurückzuführen sind, einzustehen hat. Weniger bekannt ist, dass Pla-ner auch für einen danach dauerhaft am Gebäude verbleibenden Schaden in Form eines sog. „merkan-tilen Minderwertes“ haften. Dabei handelt es sich um den Betrag, um den die beschädigte und einwandfrei ausgebesserte Sache (z.B. ein Gebäude) im Verkehr weniger wert ist als die gleiche unbeschädigte Sache.

1. Sachverhalt

Die Klägerin begehrte Schadensersatz wegen man-gelhafter Planungsleistungen der beklagten Archi-tekten und Tragwerksplaner. Sie hatte im Jahr 1997 zwei baugleiche Mehrfamilienhäuser zum Zweck der Vermietung errichten lassen. Nach Fertigstel-lung der Bauvorhaben traten vielfältige Risse im Innen- und Außenputz auf. Diese waren zwischen-zeitlich behoben worden. Die hierfür aufgewandten Beträge machte die Klägerin zusammen mit einem entstandenen Mietausfall bei den Planern geltend. Außerdem verlangt sie den Ersatz eines verbliebenen merkantilen Minderwertes in Höhe von EUR 150.000. Mit der Revision zum BGH verfolgte die Klägerin ih-ren Antrag auf Zahlung von EUR 150.000 als Ersatz des merkantilen Minderwertes nebst Zinsen weiter, nachdem dies von den Vorinstanzen abgelehnt wor-den war: Zwar werde man – so das Berufungsgericht – angesichts der Größenordnung der erforderlich ge-wesenen Nachbesserungsarbeiten davon ausgehen müssen, dass ein redlicher Verkäufer einen Kaufin-teressenten über die Mängel und deren Beseitigung

im Zusammenhang mit den Rissen hätte informieren müssen. Indessen findet das Berufungsgericht in einem eingeholten Sachverständigengutachten keine geeignete Grundlage für die Ermittlung des Minder-werts. Der Sachverständige habe nicht erläutert, wie er auf die von ihm herangezogenen Ausgangswerte gekommen sei. Er habe erklärt, es handele sich um Schätzwerte, die jeweils einzeln angreifbar seien und auf seiner freien Schätzung beruhten. Die von ihm vorgenommene Schätzung beruhe auf seinem „Bauchgefühl“. Auch eine „Expertenbefragung“, die der Sachverständige durchgeführt habe, sei kein ge-eignetes Mittel zur Feststellung eines merkantilen Minderwerts. Schließlich biete auch ein eingehol-tes Privatgutachten keine ausreichend gesicherte Schätzungsgrundlage. Insgesamt lägen keine kon-kreten Grundlagen für eine Schadenschätzung vor. Deshalb könne bei der Klägerin kein Schaden durch eine Wertminderung festgestellt werden. Eine erneu-te Anhörung des Sachverständigen lehnt das Beru-fungsgericht ab.

2. Entscheidung

Das ließ der BGH so nicht stehen: Soweit der An-spruch auf Ersatz eines merkantilen Minderwerts abgelehnt wurde, hob er das Urteil des OLG auf und verwies die Sache an einen anderen Senat des Be-rufungsgerichts zurück. Begründung: Das Beru-fungsgericht habe die Anforderungen überspannt, die notwendig sind, um nach § 287 Abs. 1 ZPO einen jedenfalls eingetretenen Mindestschaden zu schät-zen. Soweit das Berufungsgericht die Erläuterungen des Sachverständigen in I. Instanz für unzureichend gehalten habe, hätte es von einer erneuten Anhörung des Sachverständigen nicht absehen dürfen.

Berücksichtigung eines „merkantilen Minderwertes“ bei Bauschäden

Prof. Dr. Robert Kaufmann | [email protected]

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9Recht Aktuell 1/2013

3. Praxishinweis

Ein merkantiler Minderwert liegt vor, wenn nach er-folgter Mängelbeseitigung eine verringerte Verwert-barkeit gegeben ist. Maßgebend ist die Beurteilung, ob die an dem Objekt und dessen Verkauf Interessier-ten im Vergleich zur vertragsgemäßen Ausführung geringeres Vertrauen in die Qualität des Gebäudes haben (BGH, Urteil vom 09.01.2003, Az. VII ZR 181/00). Bei Gebäuden handelt es sich in aller Regel um marktgängige Objekte. Maßgeblich kommt es darauf an, ob ein informierter, redlicher Käufer bei Kenntnis der Mängel (und ggf. auch deren Beseitigung) einen geringeren Kaufpreis zahlen würde. Auch wenn mit erneuten Schäden nicht zu rechnen ist, diese jedoch auch nicht völlig auszuschließen sind, kann es durch-aus denkbar sein, dass interessierte Käufer wegen der planungsbedingten mangelhaften Konstruktion (die trotz Beseitigung der Risse verbleibt) einen re-duzierten Kaufpreis zahlen würden. Das ist der ent-scheidende Ansatzpunkt für den merkantilen Min-derwert: Wenn die vertragswidrige Ausführung eine verringerte Verwertbarkeit zur Folge hat und demge-mäß die vorhandenen Planungsmängel Einfluss auf den Veräußerungswert des Gebäudes haben, kommt es für die Geltendmachung eines merkantilen Min-derwerts nicht mehr darauf an, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit die Schäden nochmals auftre-ten. Der BGH lässt dabei offen, ob von einem mer-kantilen Minderwert nur dann auszugehen ist, wenn den Verkäufer gegenüber Kaufinteressenten eine Aufklärungspflicht über die (fachgerecht beseitigten) Mängel trifft. Das wird man für den Regelfall wohl bejahen müssen. Indessen sind auch Fälle denkbar, in denen Kaufinteressenten nur einen geringeren

Kaufpreis zahlen würden, ohne dass die Mängel im Einzelfall auch eine Aufklärungspflicht des Verkäu-fers begründen. Denn die Aufklärungspflicht ist von vielen Faktoren abhängig, die nicht generell für alle Fälle gleich gelagert sind (Kenntnis des Verkäufers etc.). Da für die Bewertung des merkantilen Minder-werts auch die Frage neuer Schäden irrelevant ist, besteht wohl auch keine Beziehung zwischen den Baukosten und den Kosten der Mängelbeseitigung. Denn schwerwiegende Mängel können oft durch eine „kleine“ Ursache herbeigeführt werden, deren Besei-tigung nur einen Bruchteil der Gesamtherstellkosten ausmacht. Gerade in solchen Fällen reduziert sich oft der erzielbare Kaufpreis erheblich.

Nach Auffassung des BGH kann die Beurteilung eines Sachverständigen (für die Wertermittlung von Grund-stücken und Gebäuden) dabei sehr wohl eine geeig-nete Grundlage sein, den Schaden nach § 287 Abs. 1 ZPO durch das Gericht zu schätzen. Nach dieser Vorschrift soll das Gericht nämlich die Schadenshöhe gerade schätzen, wenn feststeht, dass dem Grunde nach ein solcher Schaden entstanden ist. Dabei wird zwangsläufig in Kauf genommen, dass das Ergebnis unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht überein-stimmt. Nur wenn mangels greifbarer Anhaltspunkte eine Grundlage für das Urteil nicht zu gewinnen ist und – so der VII. Zivilsenat ausdrücklich – das richter-liche Ermessen damit vollends in der Luft hinge, eine Schätzung also gar nicht möglich ist, bleibt es bei der Regel, dass den Kläger die Beweislast für die den An-spruch der Höhe nach begründenden Tatsachen trifft und er daher auch die Folgen zu tragen hat, wenn die-se Tatsachen sich nicht erweisen lassen (BGH, Urteil vom 11.03.2004, Az.: VII ZR 339/02).

1. Einführung

Das höchste deutsche Zivilgericht, der Bundesge-richthof (BGH), beurteilt die Wirksamkeit von Ver-tragsstrafenregelungen extrem kritisch. Vertrags-

strafenregelungen, die von einem Bau-Auftraggeber in den Vertragsbedingungen vorgegeben werden, stehen daher immer in dem Verdacht, unwirksam zu sein.

Vertragsstrafen auf Zwischenfristen in der Regel unwirksam

Dr. Michael T. Stoll | [email protected]

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PRIVATES BAU- UND ARCHITEKTENRECHT

Dies liegt daran, dass die Vertragsstrafenregelungen im Regelfall sog. Allgemeine Geschäftsbedingungen darstellen. Solche sind dann unwirksam, wenn sie den Vertragspartner desjenigen, der die Allgemeinen Geschäftsbedingungen in den Vertrag einführt, unan-gemessen benachteiligen.

Alleiniger Anknüpfungspunkt für den Anfall einer Vertragsstrafe wegen Terminsüberschreitung ist die schuldhafte Überschreitung des vertragsstrafbe-wehrten Termins. Die Verpflichtung zur Zahlung von Vertragsstrafen setzt hingegen nicht voraus, dass dem Auftraggeber überhaupt ein Schaden entstan-den ist. Die Vertragsstrafe entfällt demgemäß selbst dann nicht, wenn der Auftragnehmer dem Auftragge-ber nachweisen kann, dass ihm kein oder ein gerin-gerer Schaden entstanden ist.

Bei geschickter Gestaltung kann der Auftraggeber daher leicht Vertragskonstellationen schaffen, die dazu führen, dass der Auftragnehmer aller Wahr-scheinlichkeit nach die vereinbarten Termine nicht einhält und zur Zahlung der Vertragsstrafe verpflich-tet ist, während ihm selbst kein Schaden entsteht. Vertragsstrafen stehen daher unter dem Generalver-dacht einer unzulässigen Gewinnabschöpfung.

Bereits durch den BGH ist entschieden, dass Ver-tragsstrafenregelungen für die Überschreitung eines Endtermins als Allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam sind,

- wenn keine Obergrenze für die Vertragsstrafe ver-einbart ist, oder

- wenn die Obergrenze mehr als 5 % der Auftrags-summe beträgt, oder

- wenn sich die Vertragsstrafen für den Verzug von Zwischenfristen und den Verzug mit der Fertigstel-lungsfrist dergestalt kumulieren, dass ein und der-selbe Sachverhalt mehrfach pönalisiert wird, oder

- wenn die Anrechnung der Vertragsstrafe auf einen tatsächlich entstandenen Verzugsschaden ausge-schlossen ist, oder

- wenn der Tagessatz der Vertragsstrafe zu hoch ist, - oder wenn die Vertragsstrafe nicht an ein Verschul-

den des Auftragnehmers bei der Überschreitung des vertragsstrafbewehrten Termines geknüpft ist.

2. Aktuelles Urteil des BGH

Mit seiner Entscheidung vom 6. Dezember 2012 (Az.: VII ZR 133/11) hat der BGH nunmehr einen weiteren Grund festgelegt, bei dessen Vorliegen eine Ver-

tragsstrafenregelung in Allgemeinen Geschäftsbe-dingungen, die an die Überschreitung von Zwischen-fristen anknüpft, unwirksam ist. Damit dürfte der weitaus überwiegende Teil von vereinbarten Ver-tragsstrafen auf Zwischenfristen unwirksam sein.

Nach der Entscheidung des BGH sind Vertragsstra-fenregelungen in den Allgemeinen Geschäftsbedin-gungen des Auftraggebers eines Bauvertrages für die schuldhafte Überschreitung einer Zwischenfrist auch dann unwirksam, wenn die Höhe der Vertrags-strafen insgesamt auf 5 % der Gesamtauftragssum-me begrenzt ist. Vielmehr ist es erforderlich, dass die Vertragsstrafe für die schuldhafte Überschreitung eines Zwischentermins auf 5 % derjenigen Vergütung begrenzt wird, die für die Leistungen erwirtschaf-tet werden, die zur Einhaltung des vertragsstrafbe-wehrten Zwischentermins erforderlich sind.

Der für die Bausachen zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs sieht es als eine unzulässige Gewinnabschöpfung und als eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers an, wenn der Auftraggeber aufgrund einer von ihm gestellten Ver-tragsstrafenregelung in den Allgemeinen Geschäfts-bedingungen für die schuldhafte Überschreitung eines Zwischentermins durch den Auftragnehmer davon profitiert, dass der Auftragnehmer später, also nach dem Zwischentermin, noch weitere Leistungen zu erbringen hat, die nicht dazu dienen, die Einhal-tung des Zwischentermins zu sichern und die die Be-messungsgrundlage für die Vertragsstrafe erhöhen. Nach Auffassung des BGH ist ein angemessenes Gleichgewicht der Interessen nur dann gewahrt, wenn der Auftraggeber nicht anders steht, als wenn er den Auftragnehmer allein mit den Leistungen bis zum Zwischentermin beauftragt hätte. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass die Obergrenze der Ver-tragsstrafe für die Überschreitung einer Zwischen-frist allenfalls 5 % derjenigen Vergütung betragen darf, die auf die Leistungen entfallen, die bis zur Zwi-schenfrist zu erbringen sind. Gibt es – was meist der Fall ist – nur eine einheitliche Obergrenze von 5 % der gesamten Auftragssumme und nicht zusätzlich eine separate Obergrenze für die jeweilige Vertragsstrafe auf die Überschreitung einer Zwischenfrist, so ist die Vertragsstrafenregelung unwirksam.

3. Praxistipp

Achtung: Auch wenn für die Vertragsstrafen auf die Überschreitung von Zwischenfristen separate Ober-grenzen vereinbart wurden, dürfen sich unterschied-

Recht Aktuell 1/201310

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11Recht Aktuell 1/2013

liche Vertragsstrafen zusammen auf nicht mehr als 5 % der Gesamtauftragssumme kumulieren.

Darüber hinaus muss auch darauf geachtet werden, dass nicht einer der anderen Unwirksamkeitsgründe für eine Vertragsstrafenregelung vorhanden ist.

Eine Vertragsstrafenregelung für die Überschreitung einer Zwischenfrist mag durchaus ihre Berechtigung haben, wenn z.B. Auftraggeber ein großes Interesse an der Einhaltung eines bestimmten Zwischenter-mins hat und die bei einem Verzug eintretenden Schä-den der Höhe nach nur schwierig nachweisbar sind.

Die große Herausforderung für Auftraggeber wird hierbei sein, die Vertragsstrafenregelung für die Überschreitung des Zwischentermins wirksam in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu formulieren.

Eine Formulierung der Obergrenze, wie sie z.B. die Deutsche Bahn (in einem anderen Zusammenhang) in ihren Bauverträgen verwendet, nach der die Auf-tragssumme für die vom Zwischentermin betroffenen Teilleistungen maßgeblich sein soll, begegnet eben-falls AGB-rechtlichen Bedenken, da der Auftragneh-mer nicht ohne weiteres und sicher feststellen kann,

was die „Auftragssumme für die vom Zwischenter-min betroffenen Teilleistungen“ sein soll. Diese For-mulierung dürfte daher intransparent und damit un-wirksam sein. Dieser Auffassung hat anlässlich der 13. Weimarer Baurechtstage vom 21. bis 22. Februar 2013 auch ein Mitglied des VII. Zivilsenats am BGH, der die in diesem Beitrag besprochene Entscheidung gefällt hat, beigepflichtet.

Insofern sollte die Obergrenze einer Vertragsstrafe auf die Überschreitung einer Zwischenfrist stets in absoluten Zahlen formuliert werden. Aber auch dann darf dieser Betrag allenfalls 5 % derjenigen Vergü-tung entsprechen, die auf die bis zum Zwischenter-min entfallenden Leistungen entfällt.

Für die Formulierung von Vertragsstrafen ist daher die Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesge-richtshofes unerlässlich. Gleichwohl ist festzustel-len, dass die Formulierung von Vertragsstrafen oft nicht mit der notwendigen Sorgfalt erfolgt.

Jedem Unternehmer, der wegen einer Vertragsstrafe in Anspruch genommen wird, kann daher nur geraten werden, genauestens zu überprüfen, ob die hierzu getroffene Vereinbarung überhaupt wirksam ist.

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PRIVATES BAU- UND ARCHITEKTENRECHT

1. Leitsatz des OLG München

Erkennt der Architekt, dass die ihm beauftragte Pla-nung nicht genehmigungsfähig ist, muss er dies dem Bauherrn mitteilen.

Nutzlose Aufwendungen, die der Bauherr infolge der pflichtgemäßen Mitteilung unterlassen hätte, muss der Architekt als Schaden ersetzen.

2. Sachverhalt (abgewandelt und vereinfacht)

Ein Bauherr beauftragte einen Architekten mit einer Vollarchitektur für ein zu errichtendes Gebäude.

Die Grundlagenermittlung plante der Architekt ord-nungsgemäß und fehlerfrei. Im Rahmen der Vorpla-nung plante der Architekt das Gebäude indessen so, dass es öffentlich-rechtlich nicht genehmigungsfähig war. Auf diesen Umstand wies die Baubehörde den Architekten frühzeitig hin. Der Architekt unterrich-tete den Bauherrn über seine fehlerhafte Planung gleichwohl nicht. Stattdessen erbrachte der Archi-tekt Leistungen der Entwurfs- und Genehmigungs-planung, die der Bauherr entsprechend vergütete. Außerdem beauftragte der Bauherr die für das Ge-nehmigungsverfahren zusätzlich erforderliche Frei-flächenplanung.

Nachdem sich herausstellte, dass die Planung nicht umgesetzt werden kann, verlangte der Bauherr vom Architekten Ersatz für die nutzlos verursachten Ko-sten des Freiflächenplaners sowie anteilige Rücker-stattung des Architektenhonorars.

3. Entscheidung des OLG München

Das OLG München (Urteil vom 08.11.2011, Az.: 9 U 1576/11 Bau) verurteilte den Architekten zur Zahlung für die nutzlos verursachten Kosten des Freiflächen-planers sowie zur anteiligen Rückerstattung des Ar-chitektenhonorars.

Die vom Architekten begangene Pflichtverletzung ist darin zu sehen, dass dieser eine nach dem Öffentli-chen Recht nicht genehmigungsfähige Planung er-stellte. Hierüber hätte der Architekt den Bauherrn im Rahmen der Vorplanung informieren müssen. Dies hat der Architekt unterlassen. Auf die streitige Frage, ob dem Architekten zunächst eine Frist zur Nacher-füllung zu setzen war, kam es hier nicht an. Denn eine solche Frist war im zu entscheidenden Fall jedenfalls nicht zu setzen, weil die vertraglich vereinbarten Pla-nungsziele nicht in eine genehmigungsfähige Pla-nung umgesetzt werden konnten.

Auf Rechtsfolgenseite bedeutet dies, dass der Archi-tekt die dem Bauherrn hieraus entstandenen Schä-den ersetzen muss.

Als Schaden sind zum einen die Zahlungen an den Freiflächenplaner zu sehen. Denn dadurch, dass die Architektenleistung nicht genehmigungsfähig war, sind die Leistungen des Freiflächenplaners nutzlos. Darüber hinaus ist das anteilige Architektenhonorar – hier für die Entwurfs- und Genehmigungsplanung – Teil des zu ersetzenden Schadens.

4. Praxistipp

Die Entscheidung des OLG München überrascht nicht.

Erkennt der Architekt, dass ihm ein Planungsfehler unterlaufen ist, muss er dies dem Bauherrn mittei-len. Unterlässt der Architekt diesen Hinweis, kann dies zu einer Schadensersatzpflicht führen.

Architekten ist deshalb dringend zu empfehlen, et-waige Planungsfehler frühzeitig mitzuteilen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsa-che, dass je nach Fallgestaltung die Berufshaftli-chtversicherung aufgrund von berufsspezifischen Ausschlusstatbeständen u.U. keinen Versicherungs-schutz gewährt.

Mitteilungspflichten des Architekten bei fehlender Genehmigungsfähigkeit der beauftragten Planung

Dr. Sebastian Schwartz | [email protected]

Page 12: LUTZ - RECHT AKTUELL · 2018-01-04 · 4 Recht Aktuell 1/2013 ARBEITSRECHT 1. Ausgangslage Was genau in ein Arbeitszeugnis gehört, wozu der Arbeitgeber verpflichtet ist, sich zu

ÖFFENTLICHES BAURECHT

1. Ausgangslage Öffentlich-rechtlicher Nachbarschutz gegenüber Bauvorhaben hängt entscheidend von der Frage ab, ob durch die jeweilige Baugenehmigung subjektive Nachbarrechte des klagenden Nachbars verletzt wer-den. Seit der Entscheidung des Bundesverwaltungs-gerichts (BVerwG) vom 16.09.1993 (Az.: 4 C 28/91) ist allgemein anerkannt, dass die Festsetzung von Bau-gebieten i.S.v. § 1 Abs. 2 BauNVO durch Bebauungs-pläne grundsätzlich nachbarschützende Funktion hat. Diese Entscheidung hat den sogenannten Gebie-tserhaltungsanspruch der im Plangebiet gelegenen Grundstückseigentümer als neues Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes eingeführt. Begründet wurde die nachbarschützende Wirkung von Baugebietsfestsetzungen vom BVerwG zunächst über das Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 7 BauGB. Grundsätzlich entscheidet nach herrschender Auf-fassung die Gemeinde im Rahmen des Abwägungsge-botes darüber, ob eine Festsetzung eines Bebauungs-planes auch zum Schutze Dritter getroffen werden soll. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Gerade bei der Festsetzung der Baugebiete kann es nach der ge-nannten Entscheidung des BVerwG nicht vom Willen der Gemeinde abhängen, ob die Baugebietsfestset-zung nachbarschützende Wirkung haben soll, weil sonst das wechselseitige Austauschverhältnis der Grundstückseigentümer nicht gewahrt würde. Eine nicht nachbarschützende Baugebietsfestsetzung würde hier gegen das Abwägungsgebot verstoßen.

In einem späteren Urteil vom 23.08.1996 (Az.: 4 C 13/94) hat das BVerwG die rechtliche Begründung des Gebietserhaltungsanspruches – dogmatisch zutreffender – unmittelbar auf die Eigentumsga-rantie des Art. 14 GG gestützt. Festsetzungen eines Bebauungsplanes enthalten Inhalts- und Schran-kenbestimmungen des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. Der Gesetzgeber, ebenso der vom

Gesetzgeber ermächtigte Satzungsgeber, sind nach gefestigter verfassungsgerichtlicher Rechtspre-chung in der inhaltlichen Gestaltung des Eigentums im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG nicht völlig frei. Wie das BVerfG in ständiger Rechtsprechung vertritt, muss der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen (für Bebauungs-pläne etwa BVerfG, Beschluss vom 19.12.2002, Az.: 1 BvR 1402/01). Hieraus folgt zwar nicht, dass Fest-setzungen eines Bebauungsplanes in jeder Hinsicht Nachbarschutz vermitteln müssen. Besonderheiten gelten allerdings für die in der Baunutzungsverord-nung definierten Baugebietstypen, welche gemäß § 1 Abs. 3 S. 2 BauNVO mit der Festsetzung eines bestimmten Baugebietes unmittelbar Bestandteil des Bebauungsplanes werden. Wie das BVerwG im genannten Urteil vom 23.08.1996 zutreffend ausge-führt hat, wird durch ein festgesetztes Baugebiet aus städtebaulichen Gründen, aber auch zum Nutzen der betroffenen Grundstückseigentümer die durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Baufreiheit beschränkt. Diese Beschränkung des Eigentümers in der eigenen Nutzungsmöglichkeit seines Grundstückes wird da-durch ausgeglichen und somit im Sinne von Art. 14 I 2 GG gerechtfertigt, dass auch die anderen Grund-stückseigentümer denselben Beschränkungen un-terworfen sind. Die Festsetzung eines Baugebietes schafft ein wechselseitiges Austauschverhältnis zwi-schen den planbetroffenen Grundstückseigentümern oder, wie immer wieder formuliert wird, begründet eine „rechtliche Schicksalsgemeinschaft“ zwischen den Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ih-rer Grundstücke (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 18.12.2007, Az.: 4 B 55/07). Jeder Planbetroffene hat deshalb die (eigentums-)rechtliche Befugnis, das Eindringen von gebietsfremden Nutzungen zu verhin-dern und kann damit eine schleichende Umwandlung

ÖFFENTLICHES BAURECHT

Bebauungsplanübergreifender Nachbarschutz

Dr. Thomas Schönfeld | [email protected]

Recht Aktuell 1/2013 13

Page 13: LUTZ - RECHT AKTUELL · 2018-01-04 · 4 Recht Aktuell 1/2013 ARBEITSRECHT 1. Ausgangslage Was genau in ein Arbeitszeugnis gehört, wozu der Arbeitgeber verpflichtet ist, sich zu

Recht Aktuell 1/2013

des Baugebietes abwehren. Auf eine konkrete Beein-trächtigung des jeweiligen Grundstückseigentümers kommt es dabei nicht an. Ein Eigentümer eines in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 BauNVO ge-legenen Grundstückes kann sich deshalb beispiels-weise gegen die Errichtung einer Gaststätte wehren, die nicht nur im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO der Versorgung des Gebietes dient (vgl. BVerwG, Be-schluss vom 03.09.1998, Az.: 4 B 85/98).

2. Rechtsprechung zum bebauungsplanübergrei-fenden Nachbarschutz

Anders beurteilt die Rechtsprechung die Situation, wenn der klagende Nachbar nicht Eigentümer eines Grundstückes im Baugebiet des Bauvorhabens ist, also außerhalb des die Zulässigkeit des Bauvor-habens steuernden Bebauungsplanes liegt. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Grundstück des kla-genden Nachbarn gänzlich außerhalb eines Bebau-ungsplanes liegt oder (nur) in einem benachbarten festgesetzten Baugebiet. In diesen Fällen fehlt es an der wechselseitigen Beschränkung der Bauf-reiheit durch einen Bebauungsplan und damit an dem für den generellen Nachbarschutz von Bauge-bietsfestsetzungen entscheidenden Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Deshalb überrascht es nicht, dass die Rechtsprechung ei-nen planübergreifenden Gebietserhaltungsanspruch grundsätzlich verneint (vgl. zuletzt etwa BayVGH, Ur-teil vom 12.07.2012, Az.: 2 B 12.1211). Der außerhalb des das Bauvorhaben steuernden Bebauungsplanes gelegene Grundstücksnachbar kann sich gegen das Vorhaben bauplanungsrechtlich nur nach den Grund-sätzen des planungsrechtlichen Rücksichtnahmege-botes wenden.

3. Anmerkung

Zutreffend ist, dass die vom BVerwG entwickelte Be-gründung des Gebietserhaltungsanspruches für ei-nen planübergreifenden Gebietserhaltungsanspruch nichts hergibt. Ein Bebauungsplan regelt nicht Inhalt und Schranken des Eigentums eines außerhalb des Plangebietes gelegenen Grundstücks. Es fehlt an der notwendigen unmittelbaren Ausgestaltung des konkreten Eigentumsobjektes (Grundstück). Ver-ändert werden mag die Situation des Grundstücks, nicht aber die rechtlichen Pflichten und Befugnisse des Eigentümers. Hier kann sich deshalb nicht die Frage stellen, ob Beschränkungen der Baufreiheit eines Grundstückseigentümers (nur) deshalb ei-gentumsrechtlich gerechtfertigt sind, weil andere

Grundstückseigentümer gleichen Beschränkungen unterworfen werden.

Allerdings heißt dies selbstverständlich nicht, dass bei der Aufstellung von Bebauungsplänen die Umge-bung des Plangebietes rechtlich bedeutungslos wäre. Hinsichtlich der Planumgebung kommt vielmehr dem Abwägungsgebot gemäß § 1 VII BauGB Bedeutung zu (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 30.11.1988, Az.: 1 BvR 1301/84). Die von der planenden Gemeinde zu beachtende rechtliche Vorgabe, bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belan-ge gegeneinander und untereinander gerecht abzu-wägen, ist nicht auf das Plangebiet beschränkt. Zum notwendigen Abwägungsmaterial zählen auch die Rechtspositionen Dritter, deren Grundeigentum zwar außerhalb, aber in der Nachbarschaft des Plange-bietes liegt und belastenden Auswirkungen der durch den Plan ermöglichten Nutzungen ausgesetzt wird (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 21.03.2002, Az.: 4 CN 14/00). Bei der Frage des planübergreifenden Nach-barschutzes kommt deshalb dem Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 7 BauGB entscheidende Bedeutung zu.

Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit der Gemein-de rechtliche Grenzen bei der Abwägungsentschei-dung gesetzt sind und in bestimmten Fällen einzelne Festsetzungen eines Bebauungsplanes auch planü-bergreifend nachbarschützende Wirkung haben müs-sen. Von Bedeutung ist auch hier wiederum in erster Linie die Festsetzung eines Baugebietes und damit die definierte Zulässigkeit von Bauvorhaben hinsicht-lich der Art der baulichen Nutzung. Für die Festset-zung von Baugebieten hat gerade auch mit Blick auf die vorgegebene Beachtung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse (§ 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB) die Um-gebung des Plangebietes wesentliche Bedeutung. Besonders deutlich kommt dies im sogenannten Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG zum Aus-druck. Alle Festsetzungen eines Bebauungsplanes, die dazu dienen, das Plangebiet abwägungsgerecht in die Umgebung einzubinden, haben deshalb notwen-digerweise eine planübergreifende Zielrichtung und dienen demzufolge zumindest auch dem Schutz die-ser benachbarten Grundstückseigentümer. Hier kann es folglich nicht darauf ankommen, ob die planende Gemeinde nachweislich den Willen hatte, ihrer Pla-nung eine über das Plangebiet hinausgehende nach-barschützende Wirkung zukommen zu lassen. Die konkreten Festsetzungen haben vielmehr aufgrund des zugrunde liegenden Abwägungsergebnisses not-wendigerweise diese, auch planübergreifende, nach-barschützende Wirkung.

ÖFFENTLICHES BAURECHT

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Page 14: LUTZ - RECHT AKTUELL · 2018-01-04 · 4 Recht Aktuell 1/2013 ARBEITSRECHT 1. Ausgangslage Was genau in ein Arbeitszeugnis gehört, wozu der Arbeitgeber verpflichtet ist, sich zu

15Recht Aktuell 1/2013

Ein typisches Beispiel hierfür ist die Ausweisung eines neuen Wohngebietes in Nachbarschaft zu einem bestehenden Gewerbegebiet, bei der nicht nur zum Schutze der künftigen Bewohner, sondern gerade auch zur Wahrung der Rechte vorhandener Gewerbebetriebe ein „Schutzstreifen“ zwischen Ge-

werbegebiet und künftiger Wohnbebauung als Misch-gebiet festgesetzt wird. In diesem Falle kann sich der benachbarte Gewerbebetrieb gegen eine schlei-chende Umwandlung dieses Mischgebietes in ein all-gemeines Wohngebiet wehren.

1. Einführung

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urteil vom 29.11.2012, Az.: 4 C 8/11) hat für potenzielle Bauherren, die eine Wohnnutzung in der Nähe eines Gewerbebe-triebes ansiedeln wollen, eine einschränkende Ent-scheidung getroffen. Die betroffenen Gewerbebe-triebe können sich gegen geplante Wohnnutzungen auf Grundlage der aktuellen Entscheidung nunmehr in vielen Fällen erfolgreich zur Wehr setzen. Die Ent-scheidung ist in folgendem Kontext zu sehen:

a) Der von einem Bauvorhaben betroffene Nachbar (hier der Gewerbebetrieb) kann sich gegen die Bau-genehmigung des Nachbarn erfolgreich zur Wehr setzen, soweit er durch die Baugenehmigung in soge-nannten drittschützenden Rechtspositionen verletzt wird. Eine derartige Rechtsverletzung liegt u.a. dann vor, wenn das genehmigte Vorhaben für das Nachba-ranwesen rücksichtslos ist. Dieses Rücksichtnahme-gebot ist u.a. in § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO verankert. Es handelt sich insoweit um eine Ausprägung des Rücksichtnahmegebots, die gewährleisten soll, dass keine Nutzungen nebeneinander bestehen, die geeig-net sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen. Es geht mithin um die Konfliktvermeidung. Dabei er-folgt jeweils eine Abwägung dahingehend, was dem Nachbarn einerseits und dem potenziellen Bauherrn andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist.

b) Ein typischer Konfliktfall, der den Anwendungsbe-reich des Rücksichtnahmegebots eröffnet, ist dann

gegeben, wenn sich in der Nähe eines lärmemittie-renden Gewerbebetriebes Wohnbebauung ansiedeln will. Im Falle der Realisierung des Wohnbauvorha-bens wird sich nämlich stets die Frage stellen, ob der Gewerbebetrieb im gleichen Umfang wie zuvor lärmintensive Arbeiten durchführen darf oder nicht. Dies bestimmt sich wiederum danach, inwiefern an der vorgesehenen Wohnbebauung die maßgeblichen Immissionsrichtwerte der TA-Lärm noch eingehal-ten werden oder nicht. Soweit hier die maßgeblichen Richtwerte überschritten werden sollten, wäre es dem Gewerbebetrieb zukünftig nicht mehr erlaubt, wie bisher zu arbeiten. Der Gewerbebetrieb müsste vielmehr nach § 22 Abs. 1 S. 1 BImSchG zumutbare Maßnahmen zur Lärmminderung ergreifen. Im Hin-blick auf dieser Gefahr, wird der Gewerbetrieb daher stets prüfen müssen, ob er sich gegen eine heranrü-ckende Wohnbebauung zur Wehr setzen kann bzw. muss.

2. Entscheidungserheblicher Sachverhalt

Dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts lag fol-gender Sachverhalt zu Grunde:

a) Der klagende Nachbar ist Eigentümer eines Grund-stücks, auf dem er ein Holzbearbeitungsunternehmen betreibt. Auf dem angrenzenden Vorhabengrundstück steht eine nicht mehr genutzte Fabrikhalle. Für diese Fabrikhalle wurde eine Baugenehmigung zur Umnut-zung in ein Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten erteilt. Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens

Ungeeignetheit passiven Lärmschutzes zur Rechtfertigung der Überschreitung von Immissionsrichtwerten nach der TA-Lärm

RA Dr. Christian Braun | [email protected]

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ÖFFENTLICHES BAURECHT

Recht Aktuell 1/2013

wurde eine schalltechnische Untersuchung durch-geführt, wonach sich an der vorgesehenen Wohnbe-bauung Immissionsrichtwerte bis zu 70 dB(A) erge-ben hätten. Zulässig sind in dem hier vorliegenden Gebiet nach Maßgabe der TA-Lärm tagsüber dagegen nur Immissionsrichtwerte von 60 dB(A). In dem ein-geholten schalltechnischen Gutachten, welches zum Bestandteil der Baugenehmigung erklärt wurde, war zur Lösung dieses Problems vorgesehen, dass in den betroffenen Aufenthaltsräumen Schallschutz-fenster mit Belüftungseinrichtungen und einem Schalldämmmaß von mindestens 41 dB(A) eingebaut werden. Die Fenster sollten im Übrigen jedoch eine reguläre Ausführung der Gestalt aufweisen, dass die Bewohner der Häuser hier die vom Lärm betroffenen Fenster auch jederzeit öffnen können.

b) Der betroffene Unternehmer hat gegen die Bauge-nehmigung Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Baugenehmigung aufgehoben; im Berufungs-verfahren hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) die Baugenehmigung dagegen für rechtmäßig erachtet und die Nachbarklage abgewiesen.

Das OVG hat hier die Verletzung des Rücksichtnah-megebots im Hinblick auf die vorgesehenen pas-siven Schallschutzmaßnahmen (Lärmschutzfenster) verneint. Zum Rücksichtnahmegebot wurde ausge-führt, dass ein Wohnbauvorhaben auf einem durch gewerblichen Lärm erheblich vorbelasteten Grund-stück dann rücksichtslos und unzulässig ist, wenn bei seiner Verwirklichung auf naheliegende, technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare Gestaltungs-mittel oder bauliche Vorkehrungen verzichtet werde, welche eine erhebliche Lärmbetroffenheit der Wohn-nutzung spürbar mindern würden. Zur Vermeidung einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots entsteht daher eine Obliegenheit des Bauherrn zur „archi-tektonischen Selbsthilfe“. Diese „architektonische Selbsthilfe“ sei hier in ausreichendem Umfang ergrif-fen worden.

c) Das Bundesverwaltungsgericht hat dagegen die Entscheidung des OVG aufgehoben und eine Ver-letzung des Rücksichtnahmegebots festgestellt. Aufgrund des Sachverhalts stehe hier fest, dass die Immissionsrichtwerte der TA-Lärm an mehre-ren Aufenthaltsräumen im geplanten Wohngebäude überschritten werden. Die Vorgaben der TA-Lärm sind bindend. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung dieser vorgegebenen Schädlichkeitsgrenze lasse die

TA-Lärm nur insoweit Raum, als dort durch Kannvor-schriften und Bewertungsspannen Spielräume eröff-net sind. Passive Lärmschutzmaßnahmen als Mittel der Konfliktlösung zwischen Gewerbe und Wohnen sehe die TA-Lärm nicht vor.

Nach der TA-Lärm seien die maßgeblichen Immissi-onsrichtwerte bei bebauten Flächen vielmehr 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbe-dürftigen Raumes einzuhalten. Damit sichere die TA-Lärm von vornherein für Wohnnutzungen einen Min-destwohnkomfort, der darin bestehe, Fenster trotz der vorhandenen Lärmquellen öffnen zu können und eine natürliche Belüftung sowie einen Sichtkontakt nach außen zu ermöglichen, ohne dass die Kommu-nikationssituation im Inneren oder das Ruhebedürf-nis und der Schlaf nachhaltig gestört werden. Dieser Schutzstandard stehe nicht zur Disposition des Lärm-betroffenen und könne daher nicht durch passive Schallschutzmaßnahmen suspendiert werden. Das vom Gesetzgeber vorgegebene Mindestschutzniveau dürfe auch nicht mit der Einwilligung des Lärmbetrof-fenen gesenkt werden.

3. Fazit

Das bisher gerade in größeren Städten mit entspre-chender Wohnungsnot gewählte Mittel der architek-tonischen Selbsthilfe wird zukünftig nicht mehr im gleichen Umfang wie bisher herangezogen werden können. Damit ist im Anwendungsbereich der TA-Lärm, anders als bei sonstigen Regelungswerken (wie etwa bei Verkehrswegen oder Sportplätzen), die architektonische Selbsthilfe nur noch ein einge-schränktes Mittel der Konfliktbewältigung.

Als Hinweis wird vom Bundesverwaltungsgericht er-wähnt, dass es bei nicht zu öffnenden Fenstern nicht zur Unvereinbarkeit mit der TA-Lärm kommen kann, da derartige Fenster wie eine Wand behandelt wer-den. Dieser Hinweis dürfte jedoch nur eingeschränkt als Ausweg gangbar sein. Zum einen besteht – un-abhängig vom Lärm – das Bedürfnis, Aufenthalts-räume auch durch das Öffnen der Fenster zu lüften. Im Übrigen wird sich gem. Art. 45 Abs. 2 BayBO in Verbindung mit den technischen Regeln für raum-lufttechnische Anlagen die Frage stellen, inwiefern Aufenthaltsräume mit nicht zu öffnenden Fenstern ausreichend belüftbar sind.

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1. Sachverhalt

Ein Ehepaar gewährte einer GmbH, deren alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin die Ehefrau ist, am 01.08.1995 ein Darlehen über DM 350.000,00 zur Finanzierung der Einrichtung und des Waren-bestandes. Die GmbH hatte das Darlehen nach der Vereinbarung bis spätestens 31. Dezember 2005 zu-rückzuzahlen. Nach zwischenzeitlicher Scheidung verlangte der Ehemann mit seiner Klage Hinterle-gung des Darlehensbetrags nebst 7% Zinsen hieraus seit 01.10.2007 zu seinen Gunsten und zu Gunsten seiner früheren Ehefrau. Die GmbH verweigerte die Darlehensrückführung, da u.a. die Rückzahlung zu ihrer Zahlungsunfähigkeit führe und berief sich inso-weit auf die Vorschrift des § 64 S. 3 GmbHG als Lei-stungsverweigerungsrecht.

Das erstinstanzliche Gericht hat der Klage stattgege-ben. Auf die Berufung der beklagten GmbH hin wurde die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen.

2. Entscheidung des BGH

Der BGH (Az. II ZR 298/11) verwies die Sache nach Zu-lassung der Revision des Klägers an das Berufungs-gericht zurück.

§ 64 S. 1 GmbHG verpflichtet die Geschäftsführer ei-ner GmbH zum Ersatz von Zahlungen, die nach Ein-tritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden, sofern solche Zahlungen nicht mit der Sorg-falt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind (§ 64 S. 2 GmbHG). Nach § 64 S. 3 GmbHG trifft die gleiche Verpflichtung die Geschäftsführer für Zahlungen an Gesellschafter, soweit diese zur Zah-lungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten,

es sei denn, dies war auch bei Beachtung der in § 64 S. 2 GmbHG bezeichneten Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmanns nicht erkennbar.

Der BGH stellte in seiner vorbezeichneten Entschei-dung zunächst fest, dass § 64 S. 3 GmbHG auf den festgestellten Sachverhalt nicht anwendbar war. Die Darlehensrückzahlungsverpflichtung der GmbH an ihre Gesellschafterin ist bei der Ermittlung der Zah-lungsunfähigkeit nach § 64 GmbHG als fällige Forde-rung des Gesellschafters in der Liquiditätsbilanz zu berücksichtigen. Dadurch entsteht nach Auffassung des BGH auch keine Schutzlücke, die geschlossen werden müsste. Denn veranlasst der GmbH-Ge-schäftsführer im Stadium der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft unter Berücksichtigung einer sol-chen Gesellschafterforderung die entsprechende Zahlung an den Gesellschafter, haftet er bereits nach § 64 S. 1 GmbHG. Anstelle einer Befriedigung des Ge-sellschafteranspruchs besteht insoweit die Insolven-zantragspflicht des GmbH-Geschäftsführers (§ 15a Abs. 1 S. 1 InsO).

Der BGH hielt in seinem Urteil fest, dass nach den bisherigen Feststellungen der unterinstanzlichen Gerichte insoweit nicht klar sei, ob die Rückführung des Gesellschafterdarlehens bereits im Stadium der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft erfolgen oder die Zahlungsunfähigkeit erst verursachen würde. Für letzteren Fall hat der BGH dem nunmehr zur erneu-ten Entscheidung berufenen Oberlandesgericht mit auf den Weg gegeben, dass § 64 S. 3 GmbHG in einem derartigen Fall tatsächlich ein Leistungsverweige-rungsrecht gewähre. Der GmbH-Geschäftsführer ist in einem solchen Fall auch nicht etwa an die Wei-sung der Gesellschafter zur Ausführung der Zahlung gebunden (§ 64 S. 4 GmbHG i.V.m. § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG).

HANDELS- UND GESELLSCHAFTSRECHT

Leistungsverweigerungsrecht der GmbH bei Zahlungs- unfähigkeit durch eine Zahlung an den Gesellschafter

Dr. Christian Dittert | [email protected]

HANDELS- UND GESELLSCHAFTSRECHT

Recht Aktuell 1/2013

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3. Stellungnahme

Das Urteil des BGH ist richtig. Der Geschäftsführer einer GmbH muss die Zahlung an einen GmbH-Ge-sellschafter verweigern dürfen, wenn dadurch die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeigeführt würde. Der BGH hat damit in zutreffender Weise ei-ner in Literatur und Rechtsprechung bislang durch-aus verbreiteten, gegenteiligen Interpretation des § 64 S. 3 GmbHG (vgl. etwa OLG München, Urteil vom 06.05.2010, Az. 23 U 1564/10; Urteil vom 22.12.2010, Az. 7 U 4960/07) eine eindeutige Absage erteilt. Er beruft sich dabei auf die unmittelbar einleuchten-de gesetzgeberische Intention, wonach die Haftung des Geschäftsführers nach § 64 S. 3 GmbHG und das damit verbundene „Zahlungsverbot“ der Gefahr

vorbeugen sollen, dass bei sich abzeichnender Zah-lungsunfähigkeit die Gesellschafter der GmbH Mittel entziehen. Dieses Ziel könne nur erreicht werden, wenn die Gesellschaft den Mittelabfluss verweigern kann und der Geschäftsführer diesen nicht ausge-rechnet unter Inkaufnahme einer eigenen Haftung bewirken muss. Es kann nicht angehen, dass in einer derartigen Konstellation der Insolvenzverwalter im Nachgang abgeflossene Mittel über die Insolvenzan-fechtung nach § 135 Abs. 1 InsO oder nach § 64 S. 3 GmbHG in die Gesellschaft zurückholen muss. Das Urteil des BGH ist in seiner Klarheit und Argumenta-tion zu begrüßen, weil es einen kontrovers diskutier-ten Punkt in der praktisch enorm wichtigen Handha-bung der Haftungsnormen des § 64 GmbHG eindeutig und einleuchtend geklärt hat.

Recht Aktuell 1/2013

KonTraG, TransPuG, UMAG, BilMoG und VorstAG sind die Abkürzungen für einige der Gesetzesnovellen, die in den letzten Jahren zu einem stetigen Anstieg des Aufgabenkatalogs des Aufsichtsrats geführt haben. In der gesellschaftsrechtlichen Fachliteratur wird übereinstimmend festgestellt, dass sich die Arbeit von Aufsichtsräten nicht nur der Aktiengesellschaft, sondern auch der GmbH zunehmend professionali-siert. Diese aktuellen Diskussionen werden in Recht Aktuell in loser Folge für Sie praxisgerecht zusam-mengefasst, und es wird dabei aufgezeigt, welche Inhalte sich hinter der „Professionalisierung der Auf-sichtsratsarbeit“ verbergen. Begonnen wird mit den Anforderungen, welche an die Auswahl von Mitglie-dern eines fakultativen GmbH-Aufsichtsrats gestellt werden.

1. Der fakultative GmbH-Aufsichtsrat (§ 52 GmbHG)

Die GmbH besteht in ihrer Grundstruktur aus nur zwei Organen – der Gesellschafterversammlung und

der Geschäftsführung. Ein Aufsichtsrat ist nur dann zwingend einzurichten, wenn dies spezialgesetzlich vorgegeben wird, etwa durch das Drittelbeteiligungs-gesetz. In einer Vielzahl von Fällen entscheiden sich die Gesellschafter allerdings freiwillig für die Ein-richtung eines Aufsichtsrats (sog. fakultativer Auf-sichtsrat), d.h. eines Organs, welches u.a. die Aufga-be hat, die Geschäftsführung zu überwachen.

Wird ein fakultativer Aufsichtsrat gebildet, finden nach § 52 Abs. 1 GmbHG die Vorschriften über den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft grundsätzlich entsprechende Anwendung. Allerdings sieht § 52 Abs. 1 GmbHG vor, dass die Gesellschafterversamm-lung im Gesellschaftsvertrag die aktienrechtlichen Vorschriften für nicht anwendbar erklären kann. In der Praxis wird von dieser Möglichkeit regelmäßig Gebrauch gemacht.

Das GmbHG enthält, wenn die Anwendung der ak-tienrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen wird,

Zur Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit –Teil 1: Anforderungen an die Besetzung eines fakultativen GmbH-Aufsichtsrats

Dr. Lorenz Jellinghaus | [email protected]

HANDELS- UND GESELLSCHAFTSRECHT

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19Recht Aktuell 1/2013

keine ausdrücklichen Vorgaben für die Zusammen-setzung und persönlichen Voraussetzungen von Aufsichtsratsmitgliedern. Allerdings sind nach ganz überwiegender Auffassung zum einen bestimmte Aufgabenträger für die Funktion des Aufsichtsrats ausgeschlossen, zu denen insbesondere Geschäfts-führer oder Prokuristen der Gesellschaft und ge-setzliche Vertreter eines abhängigen Unternehmens zählen. Zum anderen ergeben sich GmbH-rechtliche Vorgaben mittelbar aus den Aufgaben, die das Gesetz bzw. beim fakultativen Aufsichtsrat die Satzung dem Aufsichtsrat zuweist. Denn es muss sichergestellt werden, dass der Aufsichtsrat so zusammengesetzt wird, dass er seine gesetzlichen oder satzungsrecht-lichen Aufgaben erfüllen kann. Demnach muss zum einen das einzelne Aufsichtsratsmitglied über die geforderte Kompetenz verfügen, zum anderen muss der gesamte Aufsichtsrat so zusammengestellt wer-den, dass die unterschiedlichen Facetten der Unter-nehmenstätigkeit abgedeckt werden.

Wie die erforderliche Sachkunde im Einzelnen be-schaffen sein muss, richtet sich auch nach den in-dividuellen Pflichten und Aufgaben eines jeden Auf-sichtsratsmitglieds. Je nachdem, welche Position ein Mitglied innerhalb des Aufsichtsrats einnimmt (z.B. Vorsitzender, Mitglied eines bestimmten Ausschus-ses) und in welcher Branche das zu überwachende Unternehmen operiert, bestimmt sich, welche fach-lichen Qualifikationen, beruflichen Erfahrungen, Branchen- und sonstigen Kenntnisse vorliegen sollten, damit die effektive Wahrnehmung der Kon-trollaufgaben sichergestellt ist.

2. Berufung von Wettbewerbern in den Aufsichtsrat

Immer wieder taucht in der Praxis die Frage auf, ob Vertreter von Wettbewerbern in den Aufsichtsrat der GmbH berufen werden können. Nach geltendem GmbH-Recht ist dies zulässig. Ein gesetzliches Ver-bot, Wettbewerber in den Aufsichtsrat zu berufen, besteht nicht. Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Gesellschafter selbst über etwaige Interessenkonflikte entscheiden können und sollen. Allerdings spricht der Corporate Governance Kodex (CGK) die (unverbindliche) Empfehlung aus, dass Aufsichtsratsmitglieder keine Organfunktion oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbe-werbern des Unternehmens ausüben sollen (Nr. 5.4.2 CGK).

Die Berufung von Aufsichtsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat einer GmbH kann insbesondere in Bran-chen sinnvoll sein, in denen ein besonderes fach-liches Wissen im Aufsichtsrat präsent sein soll (z.B. bei forschungsnahen Gesellschaften). Hier kann es im Sinne der Entwicklung der Gesellschaft sein, aus-gewiesene Experten in den Aufsichtsrat zu berufen, um ihre Fachkompetenz für die Gesellschaft zu nut-zen.

Allerdings ist auch bei der Ausübung der Aufsichts-ratstätigkeit das sogenannte Kartellverbot aus § 1 GWB zu beachten. § 1 GWB sieht insbesondere vor, dass ein Informationsaustausch von Wettbewerbern über Preise und Geschäftsstrategien verboten ist. Sofern also durch die Tätigkeit im Aufsichtsrat das jeweilige Aufsichtsratsmitglied über die Preise und Geschäftsstrategie der Gesellschaft informiert wird, kann dies gegen das Kartellverbot aus § 1 GWB ver-stoßen. Deshalb empfiehlt es sich, mit dem Thema „Wettbewerber als Aufsichtsratsmitglied“ sorgsam umzugehen. Im Ausnahmefall kann es geboten sein, das betroffene Aufsichtsratsmitglied von einzelnen Tagesordnungspunkten der Aufsichtsratssitzung auszuschließen.

3. Ergebnis

Es ist festzustellen, dass die Gesellschaft bei der Auswahlentscheidung für die Besetzung eines fa-kultativen GmbH-Aufsichtsrats grundsätzlich viele Freiräume genießt. Die unmittelbaren rechtlichen Vorgaben aus dem GmbH-Gesetz für die Auswahlent-scheidung sind gering, wenn wie üblich die Anwen-dung der aktienrechtlichen Regeln ausgeschlossen wird. Selbst Vertreter von Wettbewerbern dürfen nach geltendem Recht in den GmbH-Aufsichtsrat be-rufen werden. Allerdings werden die Anforderungen an die Auswahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch Spezialgesetze, wachsende Aufgaben und durch er-höhte Sorgfaltspflichten verschärft. Es empfiehlt sich deshalb, bei der Entscheidung für die Besetzung von Aufsichtsratsmandaten nicht nur die Kompetenz des designierten Aufsichtsratsmitgliedes zu bewerten, sondern auch die ausgewogene Zusammensetzung des Aufsichtsrats im Blick zu haben.

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In aller Regel wird eine GmbH auf unbestimmte Zeit errichtet: dass sie einmal enden soll, ist in den mei-sten Gesellschaftsverträgen nicht vorgesehen. Das bedeutet aber nicht, dass die Gesellschaft zum ewi-gen Leben verdammt wäre. Sie kann aus verschie-denen Gründen von außen oder durch die eigenen Gesellschafter beendet werden. Das Ende der Ge-sellschaft vollzieht sich dabei in aller Regel in vier aufeinander aufbauenden Schritten: Auflösung, Li-quidation, Löschung und Vollbeendigung. Der nach-folgende Beitrag soll eine Übersicht darüber liefern, was geschieht, wenn eine GmbH beendet werden soll.

1. Auflösung

Am Anfang steht die Auflösung. Sie setzt voraus, dass ein Auflösungsgrund vorhanden ist. Solche Auf-lösungsgründe hat der Gesetzgeber in § 60 Abs. 1 GmbHG aufgezählt; die Gesellschafter können aber im Gesellschaftsvertrag weitere Gründe für die Auf-lösung ihrer Gesellschaft vereinbaren. Die im GmbH-Gesetz aufgezählten möglichen Auflösungsgründe sind der Ablauf der im Gesell-schaftsvertrag bestimmten Zeit, ein Gesellschafter-beschluss (für den eine Dreiviertelmehrheit erfor-derlich ist, wenn der Vertrag nichts anderes vorsieht), eine entsprechende gerichtliche Entscheidung oder ein Verwaltungsakt einer Behörde, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder deren Ablehnung mangels Masse, eine Verfügung des Registergerichts wegen Mängeln am Gesellschaftsvertrag oder die Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit. Häufig enthalten Gesellschaftsverträge darüber hinaus bei-spielsweise Regelungen, wonach die Gesellschaft auch dann aufgelöst werden soll, wenn ein Gesell-schafter kündigt oder stirbt. Auch der Verlust einer behördlichen Genehmigung ist ein denkbarer Auf-lösungsgrund, wenn die Gesellschaft ein genehmi-gungspflichtiges Gewerbe betreibt. Der häufigste Grund für die Auflösung einer GmbH ist ein entspre-chender Beschluss ihrer Gesellschafter.

Sobald ein Auflösungsgrund vorliegt, ist die GmbH aufgelöst. Das bedeutet aber nicht, wie der Begriff ei-gentlich nahelegt, dass die Gesellschaft im Moment ihrer Auflösung aufhört, zu bestehen. Die Auflösung

steht vielmehr am Beginn eines Prozesses, der letzt-endlich zur Vollbeendigung, also zum Verschwinden der Gesellschaft führen soll. Zunächst bedeutet die Auflösung nur, dass sich der Zweck der Gesell-schaft ändert. Sie bleibt eine juristische Person und Handelsgesellschaft, ihr Zweck ist aber fortan nur noch die Abwicklung des Gesellschaftsvermögens. Dazu gehören zum Beispiel die Befriedigung offener Gläubigerforderungen und die Beendigung von Ar-beitsverhältnissen, die Beendigung schwebender Geschäfte und am Ende die Verteilung des verblei-benden Vermögens. Das Liquidationsverfahren be-ginnt.

2. Liquidation

Während der Liquidationsphase bleibt die Gesell-schaft rechts-, grundbuch- und parteifähig. Allerdings erlischt die Vertretungsbefugnis ihrer Geschäftsfüh-rer im Moment der Auflösung. An ihre Stelle treten die Liquidatoren. Diese sind jedoch, solange der Ge-sellschaftsvertrag nichts anderes vorsieht und auch die Gesellschafterversammlung diese Aufgabe nicht einem anderen übertragen hat, identisch mit den frü-heren Geschäftsführern der Gesellschaft. Auf Antrag von Gesellschaftern, deren Geschäftsanteile zusam-men zehn Prozent des Stammkapitals entsprechen, können die Liquidatoren aus wichtigen Gründen auch vom Gericht bestellt werden. Die Abberufung der Li-quidatoren erfolgt auf ähnlichem Weg: durch Gesell-schafterbeschluss oder, unter denselben Vorausset-zungen wie bei der gerichtlichen Bestellung, durch das Gericht.

Die erste Aufgabe der Liquidatoren ist dann die An-meldung der Auflösung beim Handelsregister. Die Anmeldung muss in notariell beglaubigter Form erfolgen. Sodann müssen sie die Auflösung der Ge-sellschaft öffentlich bekanntmachen. Das erfolgt in der Regel durch Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger. Früher musste die Auflösung noch drei Mal bekannt gemacht werden. Das ist seit Anfang September 2009 nicht mehr erforderlich. Zusammen mit der Bekanntmachung der Auflösung werden alle möglichen Gläubiger aufgefordert, sich bei der Ge-sellschaft zu melden und ihre Forderungen geltend

Das Ende einer GmbH – von Auflösung bis Vollbeendigung

Maximilian von Mettenheim LL.M. | [email protected]

HANDELS- UND GESELLSCHAFTSRECHT

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zu machen. Die Gesellschaft muss nun auch als Li-quidationsgesellschaft im Rechtsverkehr erkennbar sein; das heißt, insbesondere auf Geschäftsbriefen ist sie als GmbH i.L. („in Liquidation“) zu bezeichnen.Nun folgt die eigentliche Abwicklung der Gesellschaft durch die Liquidatoren, die dafür zuerst eine Liqui-dationseröffnungsbilanz erstellen müssen. Diese Bilanz, zu der auch ein erläuternder Bericht erstellt werden muss, ist innerhalb von drei Monaten auf den Tag der Auflösung zu erstellen und von den Gesell-schaftern zu beschließen. Für die Erstellung der Li-quidationseröffnungsbilanz gelten die Vorschriften über die Erstellung des Jahresabschlusses entspre-chend. Sie muss zusammen mit dem erläuternden Bericht beim elektronischen Bundesanzeiger einge-reicht werden.

Wenn die Eröffnungsbilanz erstellt und veröffentlicht ist, nimmt die Liquidation ihren Gang. Die Gesell-schaft wird dabei von den Liquidatoren gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Diese müssen die laufenden Geschäfte beendigen, eventuell noch be-stehende Forderungen der Gesellschaft durchsetzen und einziehen, offene Verpflichtungen der Gesell-schaft erfüllen und ihr Vermögen in Geld umsetzen. Insbesondere an die Beendigung von Dauerschuld-verhältnissen ist dabei zu denken. Muss die Gesell-schaft noch Pflichten aus laufenden Verträgen erfül-len, so darf sie die dazu erforderlichen Leistungen noch erbringen. Die Liquidatoren dürfen auch neue Geschäfte eingehen, wenn das zur Beendigung der noch schwebenden Geschäfte der Gesellschaft er-forderlich ist.

Sofern Arbeitsverhältnisse bestehen, müssen die-se wirksam gekündigt werden. Grundsätzlich ist dabei die Einstellung des Geschäftsbetriebs wegen der Auflösung der Gesellschaft ein wichtiger Grund, durch den eine betriebsbedingte Kündigung gerecht-fertigt ist.

Die wichtigste Aufgabe der Liquidatoren besteht da-rin, das Vermögen der Gesellschaft „zu versilbern“, also in Geld umzusetzen. Dazu müssen sie unter an-derem sämtliche Forderungen der Gesellschaft ein-ziehen, wobei es nicht zwingend erforderlich ist, dass alle Forderungen gegen die eigenen Gesellschafter eingezogen werden. Das gilt insbesondere dann, wenn die eingezogenen Werte dann am Ende ohne-hin wieder an die Gesellschafter ausgezahlt würden. Wichtig ist vor allem, dass die Gesellschaft alle be-stehenden Verbindlichkeiten erfüllen kann. Dazu kann auch die Einziehung von Forderungen gegen-

über den eigenen Gesellschaftern erforderlich sein.Durch die Umsetzung des Gesellschaftsvermögens, zum Beispiel auch durch den Verkauf des Unter-nehmens der Gesellschaft, sollen in erster Linie die Mittel zur Erfüllung offener Verbindlichkeiten frei-gesetzt werden. In zweiter Linie soll das Vermögen der Gesellschaft in eine Form gebracht werden, die am Ende seine Verteilung auf die Gesellschafter er-möglicht. Allerdings können die Gesellschafter auch beschließen, dass das vorhandene Vermögen real ge-teilt, also die vorhandenen Gegenstände verteilt wer-den, ohne vorher in Geld umgesetzt worden zu sein.Sind alle laufenden Geschäfte beendet, alle For-derungen eingezogen und sämtliche offenen Ver-bindlichkeiten befriedigt (es genügt auch, wenn Befriedigung z.B. durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung sichergestellt ist), müssen die Liquida-toren eine Liquidationsschlussbilanz erstellen, aus der sich ergibt, welches Vermögen zur Verteilung an die Gesellschafter bestimmt ist. Allerdings darf die Liquidationsschlussbilanz erst erstellt werden, wenn seit der Mitteilung an die Gläubiger über die Auflö-sung der Gesellschaft ein Jahr vergangen ist, das so-genannte Sperrjahr.

Ist schließlich das Gesellschaftsvermögen unter den Gesellschaftern verteilt, ist die Liquidation beendet. Die Liquidatoren haben ihre Aufgabe erfüllt. Ihre letz-te Amtshandlung ist dann, den Schluss der Liquida-tion beim Handelsregister anzumelden und dafür zu sorgen, dass Bücher und Schriften der Gesellschaft für die Dauer von zehn Jahren einem der Gesell-schafter oder einem Dritten in Verwahrung gegeben werden.

3. Löschung und Vollbeendigung

Auf die Mitteilung an das Handelsregister über den Schluss der Liquidation ist die Gesellschaft aus dem Handelsregister zu löschen. Damit enden Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft; der letzte Schritt ist vollzogen. Die GmbH ist beendet. Löschung und Vollbeendigung setzen regelmäßig voraus, dass die zuständigen Finanzbehörden eine entsprechende Erklärung der Unbedenklichkeit gegenüber dem Re-gistergericht abgeben.

4. Nachtragsliquidation

In einzelnen Fällen kann es aber dazu kommen, dass sich erst nach der Löschung im Handelsregister he-rausstellt, dass noch weiteres Vermögen wie zum Beispiel eine Forderung der Gesellschaft vorhanden

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HANDELS- UND GESELLSCHAFTSRECHT

ist oder dass noch weitere Abwicklungsmaßnahmen erforderlich werden. Solche Maßnahmen sind zum Beispiel der Empfang einer Zustellung, die Erteilung eines Zeugnisses für Arbeitnehmer, die Mitwirkung an Auszahlung eines hinterlegten Betrages aber na-türlich auch der Verkauf von später aufgetauchten Vermögenswerten und die Verteilung von Vermögen an Gesellschafter oder deren Erben. Dann wird eine Nachtragsliquidation erforderlich.

Die Nachtragsliquidation wird durch einen Nach-tragsliquidator vollzogen, den das Registergericht auf Antrag eines jeden bestellt, der ein berechtigtes Interesse darlegen kann. Die Rechtsfähigkeit der Ge-sellschaft lebt dann zum Zweck der Nachtragsliqui-dation vorübergehend wieder auf.

Der Antragsteller kann Einfluss darauf nehmen, wer zum Nachtragsliquidator bestellt wird. Möchte er er-

reichen, dass eine bestimmte Person bestellt wird, muss er diese im Antrag benennen. In aller Regel be-rücksichtigt das Registergericht solche Anregungen, wenn sichergestellt ist, dass der Antragsteller die Kosten des Nachtragsliquidators trägt, soweit diese nicht vollständig aus dem Gesellschaftsvermögen gedeckt werden können. Auch dazu sollte im Antrag eine Aussage getroffen werden. Allerdings muss der Antragsteller die Kosten der Nachtragsliquidation nur dann tragen, wenn das Vermögen der Gesell-schaft für die Nachtragsliquidation nicht ausreicht. Ist der Antragsteller nicht bereit, die Kosten gege-benenfalls zu übernehmen, findet eine Nachtragsli-quidation nur statt, wenn schlüssig dargelegt werden kann, dass die Kosten aus dem aufgefundenen Ver-mögen gedeckt werden können. Für die Nachtragsli-quidation gelten ansonsten dieselben Grundsätze wie für die Liquidation vor der Löschung der GmbH.

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VERGABERECHT

VERGABERECHT

In seinem Urteil vom 06.09.2012 8 (Az.: VII ZR 193/10) hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) erneut mit Mehrvergütungsansprüchen bei verzögerter Auf-tragsvergabe befasst und eine für Auftragnehmer beachtenswerte Entscheidung getroffen.

1. Sachverhalt

Im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung des Neubaus einer Autobahnteilstrecke legte der spä-tere Auftragnehmer ein Angebot über rund EUR 7,1 Mio. vor. Der Zuschlag war bis zum 28.02.2005 vor-gesehen. Fertigstellungstermin war der 31.05.2006. Nach mehrfacher Verlängerung der Zuschlagsfrist erteilte der Auftraggeber (AG) den Auftrag zu einer geänderten Auftragssumme von rund EUR 6,5 Mio. Grund für die Änderung war der Entfall einzelner Leistungsteile. Darüber hinaus wurde im Zuschlags-schreiben ein neuer Gesamtfertigstellungstermin zum 15.09.2006 als Vertragsgrundlage festgelegt und der Bieter aufgefordert, eine unterzeichnete „Annahmebestätigung“ an den AG zurückzusenden. Der Aufforderung kam der Auftragnehmer (AN) am 24.06.2005 vorbehaltlos nach. Mit der Klage macht er Mehrkosten für die Beschaffung von Asphaltmisch-gut und Bodenmaterial geltend, die ihm aufgrund der sich durch das verzögerte Vergabeverfahren verän-derten Bauzeit entstanden sind.

2. Entscheidung

Ebenso wie die vorangegangenen Instanzen weist der BGH die Klage vollumfänglich ab.

Vorliegend hat der AG im Zuschlagsschreiben einzel-ne Leistungen herausgenommen, d.h. den Leistungs-inhalt erheblich verändert und ferner einseitig eine neue Bauzeit vorgegeben. Dies stellt eine Ablehnung

des Angebotes des Bieters verbunden mit einem neu-en Angebot des AG gemäß § 150 Abs. 2 BGB dar. Somit hat der AG seinen Willen, einen vom Vertragsangebot des AN bezüglich des Leistungsumfanges sowie auch des Ausführungszeitraums abweichenden Vertrag schließen zu wollen, klar zum Ausdruck gebracht. Dieses Angebot hat der AN mit Zusendung der ge-gengezeichneten Annahmeerklärung vorbehaltlos und unverändert angenommen, mit der Folge, dass der Vertrag zu den geänderten Bedingungen, na-mentlich auch mit der geänderten Bauzeit zustande gekommen ist. Folglich muss der AN die Leistung in der neuen Bauzeit zum unveränderten Preis erbrin-gen. Ein stillschweigender Preisanpassungsvorbe-halt des Inhalts, dem AN Mehrvergütungsansprüche bei Vergabeverzögerungen zu gewähren, ist weder dem Ursprungsangebot des Bieters immanent noch lässt sich ein solcher aus Treu und Glauben herleiten. Ein Mehrvergütungsanspruch scheidet daher aus.

3. Fazit

Das Ergebnis liegt auf der Linie der bisherigen Recht-sprechung des BGH zum Vergabeverfahrensrisiko (vgl. BGH, Urteil vom 22.07.2010, Az.: VII ZR 231/08; Urteil vom 22.07.2010, Az.: VII ZR 129/09) und über-rascht daher nicht.

Der AG hat dem AN vorliegend mehrere „Fallstricke“ gestellt, die dem AN zum Verhängnis geworden sind. Er hat im Zuschlagsschreiben einseitig eine neue Bauzeit verbindlich vorgegeben und den Leistungs-umfang nicht unerheblich verändert. Darüber hinaus hat er vom AN nicht bloß eine Empfangs-, sondern eine Annahmebestätigung im Sinne des § 28 Nr. 2 Abs. 2 VOB/A 2002 erbeten. Gibt der AN – wie vorlie-gend – eine solche Annahmeerklärung vorbehaltlos ab, so verpflichtet er sich, die geänderte Leistung zu

Verzögerte Vergabe – Vorsicht bei modifizierten Zuschlagsschreiben!

Magdalena Götsche LL.M. | [email protected]

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einem unveränderten Preis zu erbringen und bleibt mit Ansprüchen aus verzögerter Vergabe ausge-schlossen.

Die Entscheidung macht deutlich, dass bei modi-fizierten Zuschlagsschreiben erhebliche Vorsicht geboten ist. Der BGH sieht hier den potentiellen Auftragnehmer in der Pflicht, seine Mehrkostenan-sprüche entsprechend zu sichern.

Der AN kann das modifizierte Auftragsschreiben zurückweisen und einen vorbehaltlosen Zuschlag fordern. Denn indem der AG einseitig neue Termine vorgibt, die vom AN preisneutral eingehalten werden sollen, verstößt er gegen das im offenen und nicht offenen Verfahren geltende Nachverhandlungsver-bot. Die Folgen des verzögerten Vergabeverfahrens müssten dann separat geklärt werden.

Will der AN eine solche Zurückweisung vermeiden, sollte er sich jedoch in jedem Fall Ansprüche wegen eventueller verzögerungsbedingter Mehrkosten vor-behalten. Verweigert der AG wegen eines solchen Vorbehalts des AN, der rechtlich wiederum ein geän-dertes Angebot gemäß § 150 Abs. 2 BGB darstellt, den Zuschlag, so macht er sich schadensersatzpflichtig. Hierbei wird regelmäßig das positive Interesse zu er-statten sein, da der Auftrag vergaberechtskonform ja gerade an den AN hätte erteilt werden müssen.

Bietern kann nur dringend geraten werden, modifi-zierte Zuschlagsschreiben keinesfalls vorbehaltlos zu akzeptieren. Andernfalls laufen sie Gefahr, auf al-len sich durch eine verzögerte Vergabe ergebenden Mehrkosten sitzen zu bleiben.

Recht Aktuell 1/2013

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VERGABERECHT

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RECHT AKTUELL01 / 2013

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