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Literatur und Komik (Zur Theorie literarischer Komik und zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert)...

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Literatur und Komik

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Deutsche Literatur. Studien und Quellen

Band 1

Herausgegeben vonBeate Kellner und Claudia Stockinger

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Tom Kindt

Literatur und KomikZur Theorie literarischer Komik

und zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert

Akademie Verlag

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2011 Akademie Verlag GmbH, BerlinEin Wissenschaftsverlag der Oldenbourg Gruppe

www.akademie-verlag.de

Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalbder Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche-rung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.

Einbandgestaltung: hauser lacour unter Verwendung eines Fotos: Johann Wolfgang Goethe an JohannGottfried Herder, wahrscheinlich zwischen Mitte Januar und Mitte Februar 1786

Druck & Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer« GmbH, Bad Langensalza

Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.

ISBN 978-3-05-005152-9

Habilitationsschrift im Fach Deutsche Philologie (Neuere deutsche Literatur), von der Habilitations-kommission der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen im Januar 2010 alsschriftliche Habilitationsleistung angenommen.

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Inhalt

Literatur und Komik: Einleitung ................................................................................. 1

1 Zur Theorie literarischer Komik ......................................................................... 7

1.1 Zur Kritik des Kontextualismus .......................................................................... 10

1.2 Varianten des Universalismus ............................................................................. 24

1.2.1 Formen von Komiktheorien ....................................................................... 25

1.2.2 Umrisse einer Komiktheorie 1: Zur Explikation des Komikkonzepts ........ 29

1.2.3 Umrisse einer Komiktheorie 2: Zur Tradition der Inkongruenztheorie ..... 40

1.3 Perspektiven des Naturalismus ........................................................................... 47

1.3.1 Komikforschung und Evolutionsbiologie .................................................. 48

1.3.2 Komikforschung und Neurowissenschaft .................................................. 52

1.3.3 Komikforschung und Kognitionstheorie .................................................... 56

1.4 Zum Potenzial der Inkongruenztheorie ............................................................... 59

1.4.1 Kritik der Inkongruenztheorie .................................................................... 59

1.4.2 Auf dem Weg zu einer Theorie textueller Komik 1:

‚General Theory of Verbal Humor‘ Reconstructed ..................................... 69

1.4.3 Auf dem Weg zu einer Theorie textueller Komik 2:

‚General Theory of Verbal Humor‘ Revisited ............................................ 76

Scripts und Oppositionen zum Ersten ................................................................ 80

Scripts und Oppositionen zum Zweiten .............................................................. 84

Scripts und Oppositionen zum Dritten ............................................................... 87

Scripts und Oppositionen zum Vierten ............................................................... 91

Noch einmal Komik und Harmlosigkeit ............................................................. 93

Noch einmal Komik und Auflösbarkeit ..............................................................114

Noch einmal Scripts, Oppositionen, Harmlosigkeit und Auflösbarkeit ..............137

1.5 Literatur und Komik ............................................................................................139

1.5.1 Literarische Texte ......................................................................................139

1.5.2 Literarische Komik......................................................................................146

1.5.3 Komische Literatur .....................................................................................154

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InhaltVI

2 Zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert .......................................................159

2.1 Komische Ungereimtheiten:

Zur Komik in Lessings Minna von Barnhelm ......................................................165

2.1.1 Konzeptionelles: Hamburgische Dramaturgie ..........................................167

2.1.2 Komisches: Minna von Barnhelm ..............................................................176

Theorie und Praxis zum Ersten: Komik ohne Moral ..........................................177

Theorie und Praxis zum Zweiten: Komik mit Moral............................................179

Theorie und Praxis zum Dritten: Komik und Moral ...........................................182

2.2 Komik und Erziehung:

Zum Komischen in Lenz’ Der Hofmeister...........................................................187

2.2.1 Konzeptionelles: Anmerkungen übers Theater und andere Schriften ........189

2.2.2 Komisches: Der Hofmeister ........................................................................200

Lachhaftes und Ernsthaftes zum Ersten: Karikaturen statt Typen.......................201

Lachhaftes und Ernsthaftes zum Zweiten: Komisches oder Groteskes ................203

Lachhaftes und Ernsthaftes zum Dritten: Tragisches und Ironisches .................206

2.3 Komische Effekte:

Zur Komik in Kotzebues Die Indianer in England ..............................................207

2.3.1 Konzeptionelles: Recensenten-Unfug und andere Schriften ......................210

2.3.2 Komisches: Die Indianer in England .........................................................217

Lachen und Rührung zum Ersten: Tradition und Innovation .............................218

Lachen und Rührung zum Zweiten: Konjunktion statt Integration .....................222

Lachen und Rührung zum Dritten: Affirmation oder Irritation ..........................225

2.4 Komik und Konfusion:

Zum Komischen in Tiecks Der gestiefelte Kater .................................................228

2.4.1 Konzeptionelles: Die Volksmährchen-Vorreden und andere Schriften ......230

2.4.2 Komisches: Der gestiefelte Kater ...............................................................235

Komik und Moral zum Ersten: Spiel oder Spott...................................................236

Komik und Moral zum Zweiten: Satire und Unsinn.............................................238

Komik und Moral zum Dritten: Medizin statt Albernheit ...................................239

Literatur und Komik: Schlussbemerkung ....................................................................241

Literatur .......................................................................................................................243

Dank ...........................................................................................................................277

Register .......................................................................................................................279

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Literatur und Komik: Einleitung

„Man is the only animal that laughs andweeps; for he is the only animal that isstruck with the difference between whatthings are, and what they ought to be.“(William Hazlitt)

Die Frage nach dem Wesen der Komik ist eine der Fragen, die den Menschen seit Jahr-tausenden keine Ruhe lassen. Dass die Erforschung des Komischen lange schlechterbeleumundet war als die Auseinandersetzung mit dem Wahren, dem Guten oder demSchönen, hat sie zu keiner Zeit aufhalten können. Die Komikforschung kann darum aufeine ebenso ereignisreiche Geschichte zurückschauen wie die Erkenntnistheorie, dieEthik und die Ästhetik, und das Spektrum der Antworten auf die Frage, was das Komi-sche sei, ist ebenso breit wie das der Antworten auf die Frage, was es mit dem Wahren,dem Guten oder dem Schönen auf sich habe.1

Wer sich heute dem Phänomen des Komischen widmet, der hätte also guten Grund,es in dem Gefühl zu tun, sich an einer die Jahrhunderte übergreifenden Debatte übereine grundlegende Menschheitsfrage zu beteiligen. In der jüngeren kulturwissenschaft-lichen Komikforschung ist ein solches Gefühl freilich nicht mehr sonderlich verbreitet.Hier wird die Geschichte der Beschäftigung mit dem Komischen weithin als Geschichteeines Missverständnisses angesehen, und hier wird darum in immer neuen Variationendie Forderung vorgetragen, dem Unternehmen der Komikforschung, wie es seit Platonverfolgt wird, den Abschied zu geben. Mit Argwohn werden im Zusammenhang derKulturwissenschaften vor allem die althergebrachten Vorhaben betrachtet, eine Defini-tion des Komikbegriffs und eine Theorie des Komischen entwickeln zu wollen.2 Durchdiese Ausrichtung hat die neuere kulturwissenschaftliche Komikforschung nicht unwe-sentlich zur Verstärkung der zentrifugalen Tendenzen beigetragen, die sich in innerhalb

1 Vgl. zur bemerkenswerten Bandbreite komiktheoretischer Positionen etwa H. E. Schmidt/D. I. Wil-liams, „The Evolution of Theories of Humor“, in Journal of Behavioral Science 1 (1971), 95–106.Die Zahl der Theorien, die von Schmidt und Williams auf etwa 100 beziffert wird, ist seither nochdeutlich gestiegen.

2 Zur Etablierung dieses Argwohns vgl. Wolfgang Preisendanz/Rainer Warning (Hg.), Das Komi-

sche, München 1976.

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Komik und Literatur2

der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Komischen seit einigen Jahrzehntenausmachen lassen. Die stetig zunehmende „Unübersichtlichkeit der Literatur über dasKomische“3 wird schon seit rund hundert Jahren beschrieben und beklagt, in den letztenDezennien ist es allerdings darüber hinaus zu einer erkennbaren Dissoziation des For-schungsfeldes gekommen: Mittlerweile ist so eine Situation entstanden, in der es naheliegt, im Anschluss an die berühmt-berüchtigte Formel von den ‚zwei Kulturen‘, mit derC. P. Snow vor einem halben Jahrhundert die tiefe Kluft zwischen den Natur- und denKulturwissenschaften beschrieben hat, von den ‚zwei Kulturen der Komikforschung‘ zusprechen.4 Die beiden wesentlichen Bereiche der wissenschaftlichen Beschäftigung mitdem Phänomen des Komischen, das von der Linguistik und der Psychologie beherrschteFeld des ‚Humor Research‘ auf der einen und das von der Literaturwissenschaft be-stimmte Gebiet des ‚Humor Criticism‘ auf der anderen Seite, nehmen allenfalls in Aus-nahmefällen noch voneinander Notiz.5

Die vorliegende Untersuchung möchte der Komikforschung herkömmlichen Zu-schnitts innerhalb der Kulturwissenschaften wieder zu größerer Geltung verhelfen. Sieberuht auf der Überzeugung, dass die propagierte Abkehr von den Zielsetzungen dertraditionellen Auseinandersetzung mit dem Komischen in der Sache unbegründet und inden Folgen verheerend ist. Und sie wirbt darum dafür, die altehrwürdige Frage, was dasKomische sei, weiterhin oder wieder als einen der maßgeblichen Fixpunkte der Komik-forschung anzusehen. Im Zentrum der Arbeit steht der Versuch, auf jene Frage zumin-dest für eine Spielart des Komischen eine grundlegende Antwort zu geben – für die desKomischen in der Literatur. Ziel der Rekonstruktionen und Reflexionen ist es in diesemSinne, eine Definition und Theorie literarischer Komik zu entwerfen und in der textana-lytischen Praxis zu erproben. Im Wesentlichen wird es dabei nur um einen Aspekt des-sen gehen, was in Rede steht, wenn von Komik gesprochen wird – allerdings um einenentscheidenden: Geklärt werden soll die Idee, dass das Komische als ein Merkmal vonGegenständen zu verstehen ist, durch das bei Betrachtern Belustigung hervorgerufenwird. Andere verbreitete Auffassungen wie etwa diejenige, dass es sich bei Komik umeben diese Wirkung handelt, also um einen Affekt, ein Gefühl oder eine Stimmung vonPersonen, werden nur am Rande Berücksichtigung finden.6

3 Otto Rommel, „Die wissenschaftlichen Bemühungen um die Analyse des Komischen“ (1943), inWesen und Formen des Komischen im Drama, hg. v. Reinhold Grimm u. Klaus L. Berghahn,Darmstadt 1975, 1–38, 1.

4 Vgl. Charles P. Snow, „The Two Cultures“, in Encounter 12:6 (1959), 17–25; 13:1 (1960), 22–28.5 Vgl. dazu auch Tom Kindt, „Die zwei Kulturen der Komikforschung“, in Literatur und Kognition.

Bestandsaufnahmen und Perspektiven eines Arbeitsfeldes, hg. v. Martin Huber u. Simone Winko,Paderborn 2009, 253–276. – Dieser Befund ist nicht neu, schon vor rund 20 Jahren hat Paul Lewisauf die umrissene Kluft hingewiesen, vgl. Paul Lewis, Comic Effects. Interdisciplinary Approaches

to Humor in Literature, Albany, NY 1989, Kap. 1.6 Vgl. zur Wort- und Begriffsgeschichte von „Komik“ etwa Wolfgang Preisendanz, „Art. das Komi-

sche / das Lachen“, in HWP 4 (1976), 889–893, Roger W. Müller-Farguell/Markus Winkler, „Art.

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Einleitung 3

Auch die verschiedenen Begriffe, die mit dem des „Komische“ in der einen oder an-deren Weise verwandt oder verbunden sind, können im Folgenden nicht zum Gegen-stand eingehender Erörterungen gemacht werden. Schaut man sich die vielfältigen Ver-wendungen und Bestimmungen von Ausdrücken wie beispielsweise „Humor“, „Ironie“,„Nonsens“, „Satire“, „Groteske“, „Heiterkeit“, „Witzigkeit“ und „Klamauk“ etwas nä-her an, kommt man kaum umhin, mit Eckhard Henscheid von einer „expandierendenBegriffskonfusion“7 zu sprechen. Die betreffenden Konzepte sollen aus diesem Grundnur insoweit in die Betrachtungen einbezogen werden, als es zur Erläuterung undSchärfung des Komikbegriffs notwendig erscheint; ihre genaue Klärung würde jeweilseine ähnlich umfangreiche Untersuchung notwendig machen, wie sie für die Kategoriedes Komischen vorgesehen ist.8 Dies gilt insbesondere für den Begriff des „Humors“9:Er wird im deutschsprachigen Raum bisweilen als Synonym für „Komik“ im umris-

senen Sinne gebraucht,10 zugleich dient er aber etwa auch zur Bezugnahme auf einecharakterliche Aufgeschlossenheit gegenüber dem Komischen11 oder zur Bezeichnungeiner prinzipiellen Gelassenheit gegenüber den Unzulänglichkeiten der Weltläufte.12

Hebt sich die vorliegende Untersuchung vor allem dadurch von der neueren lite-raturwissenschaftlichen Komikforschung ab, dass sie es auf eine Bestimmung des Ko-mischen anlegt, so unterscheidet sie sich von der traditionellen wesentlich dadurch, wie

sie dabei vorgeht. Leitend für die folgenden Überlegungen zur literarischen Komik istdie Überzeugung, dass sich die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phä-nomen des Komischen als Beitrag zum interdisziplinären Vorhaben der „Humorolo-

Komik / das Komische“, in HWR 4 (1998), 1166–1176 oder Andreas Kablitz, „Art. Komik, Ko-misch“, in RLW 2 (2000), 289–294.

7 Eckhard Henscheid, „Humor. Ein ewiges Trauerspiel“, in E. H., Gerhard Henschel u. BrigitteKronauer, Kulturgeschichte der Mißverständnisse. Studien zum Geistesleben, Stuttgart 1997, 51–67, 59.

8 Vgl. zu Bereichen des angesprochenen Begriffsfeldes in sprachvergleichender und -geschichtlicherPerspektive Wolfgang Schmidt-Hidding, Humor und Witz, München 1963.

9 Vgl. zur Wort- und Begriffsgeschichte von „Humor“ insbes. Wolfgang Schmidt-Hidding, Humor,Wolfgang Preisendanz, „Art. Humor“, in HWP 3 (1974), 1231–1234 und Erhard Schüttpelz, „Art.Humor“, in HWR 4 (1998), 86–98.

10 Der englische Ausdruck „humor“ wird seit dem 18. Jahrhundert vorwiegend in der Bedeutung desdeutschen Wortes „Komik“ verwendet, vgl. Wolfgang Schmidt-Hidding, Humor, 105–140. ImSinne von „humor“ wird im Folgenden mitunter von „Humorologie“ und „humorologisch“ die Re-de sein. Um Missverständnisse zu vermeiden, werden sich englische Ausdrücke wie „HumorCriticism“, „Humor Research“ oder „Humor Studies“ in der Regel aber unübersetzt im Text finden

11 Willibald Ruch, „Foreword and Overview: Sense of Humor: A New Look at an Old Concept“, inThe Sense of Humor. Explorations of a Personality Characteristic, hg. v. W. R., Berlin/New York1998, 3–14.

12 Vgl. zu dieser deutschen Tradition des Verständnisses von „Humor“ zusammenfassend etwa Rom-mel, „Analyse des Komischen“, 37, oder Daniela Toscan, Form und Funktion des Komischen in

den Komödien von Andreas Gryphius, Frankfurt a.M. u.a. 2000, 27–31.

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Komik und Literatur4

gie“13 zu verstehen hat, dass also eine Rückbesinnung der Literaturwissenschaften aufdie Tradition der Komikforschung mit einer Öffnung für die Debatten, Resultate undModelle einher gehen sollte, die im Bereich des Humor Research erarbeitet wordensind. Der Vorsatz zu einer solchen Öffnung ist in den zurückliegenden Jahrzehntenzwar schon gelegentlich gefasst,14 aber kaum einmal überzeugend eingelöst worden.15

Häufiger ist in der literaturwissenschaftlichen Komikforschung ohnehin die Einschät-zung anzutreffen, dass eine Auseinandersetzung mit weiteren Erscheinungsformen desKomischen und anderen Wegen seiner Erforschung nicht erforderlich sei, weil Komikin der Literatur gleichsam zu sich selbst finde. Musterhaft kommt diese Auffassungetwa in den folgenden Einlassungen Karlheinz Stierles zum Ausdruck:

Erst im Bereich der komischen Fiktion wird die Vielfalt der komischen Möglichkeiten undKombinationen offenbar, wird das Komische in seiner Vielgestaltigkeit und in seinen extrems-ten Möglichkeiten durch die dichterische Imagination erfahrbar gemacht. So ist es kein Zufall,[…] daß, auch wo das Komische Gegenstand anthropologischen, philosophischen und psycho-logischen Interesses wurde, die einsichtigsten komischen Paradigmen literarischen Gestal-tungen des Komischen entnommen wurden.16

Es ist nicht zuletzt auf Überzeugungen dieser Art zurückzuführen, dass es innerhalb derLiteraturwissenschaft in den letzten Jahrzehnten kaum noch zu einer Auseinanderset-zung mit den Komikstudien anderer Fächer und Forschungszusammenhänge gekommenist. So sind der literaturwissenschaftlichen Komikforschung viele Ansätze und Ergeb-nisse aus dem Bereich des Humor Research entgangen, deren große Bedeutung für eineBeschäftigung mit dem Komischen in der Literatur bereits bei einer flüchtigen Analyseoffenkundig wird. Dies gilt insbesondere für die seit den 1970er Jahren vorliegendenpsychologischen Modelle der Verarbeitung von Komik17 und für die seit den 1980erJahren entstandenen linguistischen Theorien zu Witzen in kürzeren und längeren Tex-

13 Vgl. zu diesem Projekt Mahadev Apte, „Disciplinary Boundaries in Humorology: An Anthro-pologist’s Ruminations“, in Humor 1:1 (1988), 5–26.

14 Vgl. dazu etwa Wolfgang Preisendanz/Rainer Warning, „Vorwort“, in Das Komische, 8f.; hier wirdKomik als „interdisziplinäres Thema par excellence“ bezeichnet.

15 Als Ausnahmen hervorzuheben sind vor allem Bjørn Ekmann, „Wieso und zu welchem Ende wirLachen. Zur Abgrenzung der Begriffe komisch, ironisch, humoristisch, satirisch, witzig und spaß-

haft“, in Text und Kontext 9:1 (1981), 7–46, Paul Lewis, Comic Effects, Ralph Müller, Theorie der

Pointe, Paderborn 2003 oder John Morreall, Comic Relief. A Comprehensive Philosophy of Humor,Chichester u.a. 2009.

16 Karlheinz Stierle, „Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie“, inDas Komische, 237–268, 237.

17 Vgl. dazu grundlegend Thomas R. Schultz, „The Role of Incongruity and Resolution in Children’sAppreciation of Cartoon Humor“, in Journal of Experimental Child Psychology 13 (1972), 465–477 und Jerry M. Suls, „A Two-Stage Model for the Appreciation of Jokes and Cartoons: An Infor-mation-Processing Analysis“, in The Psychology of Humor. Theoretical Perspectives and Empiri-

cal Issues, hg. v. Jeffrey H. Goldstein u. Paul E. McGhee, New York/San Francisco/London 1972,81–100.

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Einleitung 5

ten18 sowie zum Komischen in alltäglichen Konversationszusammenhängen und viel-schichtigen medialen Gebilden.19 Die vorliegenden Untersuchung nimmt diese Ent-wicklung zum Anlass, das für die überkommene literaturwissenschaftliche Komikfor-schung charakteristische Vorgehen wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen: Ihr geht esin diesem Sinne nicht darum, durch die Betrachtung von Komik in der Dichtung Auf-schlüsse über Komik im Allgemeinen zu gewinnen; sie unternimmt vielmehr den Ver-such, sich ausgehend von der Beschäftigung mit dem Komischen schlechthin und sei-nen Ausprägungen in Texten allmählich seiner Nutzung in der Literatur anzunähern.Literarische Komik soll hier also als ein Sonderfall und nicht als der Musterfall desKomischen verstanden werden, und sie wird darum erst nach einem längeren Vorlaufnäher in den Blick genommen.

Am Ende der umrisshaft entworfenen Untersuchung wird keine grundlegend neueTheorie literarischer Komik stehen. Genau genommen ist der Vorschlag, der in den fol-genden Überlegungen entwickelt und erprobt werden soll, in seinen Grundzügen sogarebenso alt wie die Frage, auf die er eine Antwort zu geben versucht. Was das Komischeim Allgemeinen, in Texten und in der Literatur ist, das soll hier im Anschluss an einePosition erläutert werden, die sich in Ansätzen schon bei Platon und Aristoteles findenlässt und seit dem 18. Jahrhundert zumeist als ‚Inkongruenztheorie‘ bezeichnet wird.Die Verteidigung, Ergänzung und Klärung dieser theoretischen Tradition der Komik-forschung ist Ziel des ersten Hauptteils der vorliegenden Studie. Ihr zweiter Hauptteil

widmet sich der Erprobung des konzipierten Modells anhand exemplarischer deutsch-sprachiger Komödien und Komödientheorien aus der Zeit zwischen 1760 und 1800. ImRahmen der Betrachtungen zu Typen und Evolution des deutschen Lustspiels zwischenAufklärung und Romantik wird es zugleich darum gehen, die Perspektiven und das Po-tenzial einer Zusammenarbeit zwischen Komik- und Komödienforschung zu klären; inAuseinandersetzung mit Dramen und Dramenpoetologien von Gotthold Ephraim Les-sing, Jakob Michael Reinhold Lenz, August von Kotzebue und Ludwig Tieck soll ver-deutlicht werden, wie eine fruchtbare Verbindung von komiktheoretisch informierterKomödienforschung und komödienhistorisch perspektivierter Komikforschung ausse-hen kann.

Dass im Folgenden keine neue Theorie des Komischen entworfen, sondern eine alteverbessert werden soll, gründet nicht allein in einer Vorstellung von kontinuierlicherund darum sinnvoller philologischer Innovation, die innerhalb der Literatur- und Kul-turwissenschaften in den letzten Jahrzehnten zusehends durch eine oberflächliche Be-geisterung für wissenschaftliche Revolutionen oder deren bloße Suggestion verdrängt

18 Vgl. insbes. Victor Raskin, Semantic Mechanisms of Humor, Dordrecht u.a. 1985 und SalvatoreAttardo, Humorous Texts. A Semantic and Pragmatic Analysis, Berlin/New York 2001.

19 Vgl. etwa Neal Norrick, Conversational Joking. Humor in Everyday Talk, Bloomington 1993, Hel-ga Kotthoff, Spaß verstehen. Zur Pragmatik konversationellen Humors, Tübingen 1998 oder Ale-xander Brock, Blackadder, Monty Python und Red Dwarf. Eine linguistische Untersuchung briti-

scher Fernsehkomödien, Tübingen 1998.

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Komik und Literatur6

worden ist.20 Es beruht natürlich auch auf großem Respekt für die vielfältigen Er-kenntnisse der Komikforschung seit der Antike. Vor allem aber erklärt es sich aus derÜberzeugung, dass Arthur Schopenhauer Recht hatte, als er vor rund eineinhalb Jahr-hunderten zu der Einschätzung gelangte, die Inkongruenztheorie des Komischen sei „inKürze die richtige“.21

20 Vgl. dazu Lutz Danneberg, „,Ich habe nichts neues zu sagen…‘“, in Jahrbuch der deutschen Schil-lergesellschaft 39 (1995), 434–438 und Lutz Danneberg/Friedrich Vollhardt, „Sinn und Unsinn li-teraturwissenschaftlicher Innovation. Mit Beispielen aus der neueren Forschung zu G. E. Lessingund zur ,Empfindsamkeit‘, in Aufklärung 13 (2001), 33–69.

21 Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung (1819/59), 2 Bde., hg. v. Ludger Lütke-haus, Zürich 1988, Bd. 1, 102.

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