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Speyer im 16. und 17. Jahrhundert

Date post: 10-May-2015
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Speyer im 16. und 17. Jahrhundert Ein nur zum Teil bekanntes Kapitel der Stadtgeschichte (Beitrag in: Speyer. Vierteljahresheft des Verkehrsvereins Speyer, Winter 2013, S. 35-42; Autor: Joachim Kemper)
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War die Wende vom 16. zum 17. Jahr- hundert in Speyer geprägt von einer Phase des Stillstands, um nicht zu sagen: eines schleichenden Niedergangs? Die- ser Eindruck kann entstehen, wenn man sich mit der Speyerer stadthistori- schen Literatur beschäftigt. Entspre- chende Beiträge sind z.B. überschrie- ben mit „Alltag in einer Zeit des Frie- dens 1570-1620“, anderswo werden die Jahrzehnte bis zum Beginn des Dreißig- jährigen Krieges (1618) mehr oder we- niger übersprungen. War Speyer um 1600, also zwischen den turbulenten Jahrzehnten der Reformation und den im Stadtbrand von 1689 gipfelnden Ver- heerungen des 17. Jahrhunderts, ge- prägt von einem Zustand der Passivität und bequemen Selbstbeschränkung? War die einst so stolze Stadt Speyer in einen Zustand der schleichenden Ago- nie und des Verfalls übergegangen? Es scheint auf den ersten Blick so zu sein. Aber der Schein trügt. Kurz gesagt: Vie- les, was wir bis heute über den Nieder- gang der deutschen Städte in der Frü- hen Neuzeit zu wissen meinen, folgt anachronistischen Geschichtsbildern. Die Quellenlage für eine intensivere Erforschung der Speyerer Geschichte an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhun- dert ist gut: Die umfangreiche reichs- städtische Überlieferung im Speyerer Stadtarchiv kann mit Fug und Recht als eine sehr dichte kommunale Überliefe- rung angesehen werden. Weder der der- zeitige Stand der Erschließung, der weitgehend dem 19. Jahrhundert ent- stammt, und noch viel weniger die (allerdings langsam steigende) wissen- 35 Speyer im 16. und 17. Jahrhundert Ein nur zum Teil bekanntes Kapitel der Stadtgeschichte Speyer, Ansicht von Südosten. Gedruckt ca. 1637/1638. Stadtarchiv Speyer Best. 233 IV Nr. 53
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War die Wende vom 16. zum 17. Jahr-hundert in Speyer geprägt von einerPhase des Stillstands, um nicht zu sagen:eines schleichenden Niedergangs? Die-ser Eindruck kann entstehen, wennman sich mit der Speyerer stadthistori-schen Literatur beschäftigt. Entspre-chende Beiträge sind z.B. überschrie-ben mit „Alltag in einer Zeit des Frie-dens 1570-1620“, anderswo werden dieJahrzehnte bis zum Beginn des Dreißig-jährigen Krieges (1618) mehr oder we-niger übersprungen. War Speyer um1600, also zwischen den turbulentenJahrzehnten der Reformation und denim Stadtbrand von 1689 gipfelnden Ver-heerungen des 17. Jahrhunderts, ge-prägt von einem Zustand der Passivitätund bequemen Selbstbeschränkung?War die einst so stolze Stadt Speyer in

einen Zustand der schleichenden Ago-nie und des Verfalls übergegangen? Esscheint auf den ersten Blick so zu sein.Aber der Schein trügt. Kurz gesagt: Vie-les, was wir bis heute über den Nieder-gang der deutschen Städte in der Frü-hen Neuzeit zu wissen meinen, folgtanachronistischen Geschichtsbildern. Die Quellenlage für eine intensivereErforschung der Speyerer Geschichtean der Wende vom 16. zum 17. Jahrhun-dert ist gut: Die umfangreiche reichs-städtische Überlieferung im SpeyererStadtarchiv kann mit Fug und Recht alseine sehr dichte kommunale Überliefe-rung angesehen werden. Weder der der-zeitige Stand der Erschließung, derweitgehend dem 19. Jahrhundert ent-stammt, und noch viel weniger die(allerdings langsam steigende) wissen-

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Speyer im 16. und 17. JahrhundertEin nur zum Teil bekanntes Kapitel der Stadtgeschichte

Speyer, Ansicht von Südosten. Gedruckt ca. 1637/1638.

Stadtarchiv Speyer Best. 233 IV Nr. 53

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schaftliche Nachfrage entsprechen bis-lang der Bedeutung und Reichhaltig-keit der reichsstädtischen Überliefe-rung.

Reichsstadt unter dem KaiserEine kurze Betrachtung der frühneu-zeitlichen Stadt Speyer kann nicht um-hin kommen, zunächst auf die StellungSpeyers als unmittelbar dem Reichunterstehende freie Reichsstadt einzu-gehen. Speyer behielt bis zum Ende desAlten Reiches seinen Status als soge-nannte „Freie Stadt“ (womit im Unter-schied zu den „normalen“ Reichsstäd-ten eine Reihe ehemals bischöflicherHerrschaft unterstehenden Städte wieSpeyer, Worms oder auch Köln gemeintsind). Erst mit der Mediatisierung imJahr 1803 verloren 45 der insgesamt 51noch bestehenden Freien Städte bzw.Reichsstädte ihre Sonderstellung, dar-unter auch das bereits einige Jahre frü-her von den Franzosen besetzte Speyer.Lediglich Lübeck, Bremen, Hamburgund Frankfurt am Main konnten über

den Wiener Kongress (1815) hinaus alsFreie Städte überdauern, worauf letzt-lich auch die bis heute fortbestehendeSonderrolle der Stadtstaaten Bremenund Hamburg zurückzuführen ist. Die Speyerer Bürgerschaft, die bereitsim frühen 12. Jahrhundert durch denSalierkaiser Heinrich V. grundlegendePrivilegien erhalten hatte, erkämpftesich in langwierigen Auseinanderset-zungen mit dem bischöflichen Stadt -herrn bis zum Ende des 13. Jahrhun-derts ihre Unabhängigkeit. Diese be-wahrte man sich auch in den oft verwir-renden Differenzen mit Bischof undDomkapitel sowie mit weiteren Territo-rialnachbarn (allen voran die Kurpfalz)– und trotz gravierender innerstädti-scher Auseinandersetzungen. Speyer war im späten Mittelalter Ver-anstaltungsort von großen Reichsver-sammlungen, den „Reichstagen“, undvieler „Städtetage“. Die Stadt spielteunter den unabhängigen Kommunendes Reiches eine aktive Rolle. Die „rei-chischen“ Beziehungen des 15. Jahrhun-

Klüpfelsau-Plan (Teilansicht, links), 1574. Der Plan zeigt detailreich die zwischen dem

Bischof und der Reichsstadt Speyer umstrittene Klüpfelsau…

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derts etwa können nicht nur anhandder Mitwirkung in der „Großen Poli-tik“ nachgezeichnet werden, sondernmanifestieren sich auch im umfangrei-chen schriftlichen Niederschlag in denAkten- und Amtsbuchbeständen desStadtarchivs Speyer: Allein vom habs-burgischen Kaiser Friedrich III. (1440-1493), der lange Zeit als des „Römi-schen Reiches Erzschlafmütze“ ver-spottet wurde und einen erheblichenTeil der Amtszeit in seinen vom Rheinweit entfernten Erblanden zubrachte,verwahrt das Stadtarchiv über 200 Ur-kunden und andere Schreiben. Zu die-sen gesellt sich noch die (weit umfang-reichere) Korrespondenz der Stadt undihrer Gesandten in „Reichssachen“während der Regierungszeit des Habs-burgers. Speyer fungierte im beginnen-den Zeitalter der Reformation undGlaubenskämpfe als einer der zentra-len Orte des Reiches: Reichstage, diefür die Entwicklung der Reformationeinschneidend wurden, fanden bei-spielsweise in den Jahren 1526 und 1529

in Speyer statt: Die „Protestation“ vonFürsten und Reichsstädten von 1529wurde namengebend für den „Prote-stantismus“, weitere Reichstage folgten.Daneben tagten mehrfach Reichsdepu-tationen, reichsständische Ausschüsse,in Speyer. Für das 16. Jahrhundert unddie erste Hälfte des 17. Jahrhunderts istdie Bezeichnung „nicht-permanenter“Reichstag in der Forschung aufgekom-men – seit dem Jahr 1663 entwickeltesich der Reichstag zu einem („perma-nent“) im Regensburger Rathaus ta-genden Gesandtenkongress, dem„Immerwährenden Reichstag“. Aufdem Reichstag bildeten seit dem späten15. Jahrhundert die Städte neben denKollegien der Kur- und Reichsfürstenein eigenes Kollegium: Das Reichsstäd-tekollegium teilte sich nochmals in eine„rheinische“ und „schwäbische“ Städ-tebank (insgesamt 51 Sitze). Speyer ge-hörte wie Worms der rheinischen Bankan. Alles in allem kann das weit verbrei-tete Bild, dass in der Frühen Neuzeitweitgehend nur die großen Mächte po-

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…aber ebenso auch eine Ansicht der Stadt Speyer bzw. der Vorstadt Hasenpfuhl.

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litisch und diplomatisch aktiv waren,korrigiert werden. Das den Reichsstäd-ten im Westfälischen Frieden von 1648zugesicherte Gesandtenrecht bildetedie bis zum Ende des Alten Reichesfortbestehende Grundlage für teils er-hebliche diplomatische Aktivitäten derStädte.Die Quellen im Stadtarchiv Speyer ge-ben einen guten Einblick in die Einbin-dung der Stadt in die Reichspolitik.Aber auch eine mehr „symbolische“Ebene findet Berücksichtigung, werdendoch die Zeremonien bei Ereignissenwie Wahl oder Tod des Reichsober-haupts genauso dokumentiert, wie sichin größerem Umfang nach den einzel-nen Kaisern geordnete Korresponden-zen finden. Und auch die Herrschergrä-ber im Dom zu Speyer, unter denensich ja mit den Königen Rudolf I. undAlbrecht I. (gest. 1291 bzw. 1308) zwei

Gründergestalten des Hauses Habs-burg befanden, waren (und blieben) imFokus des Hauses Habsburg in Wien.

Zentralort des ReichesDas zwischen 1527 und 1689 in Speyertagende Reichskammergericht ermög-licht es, Speyer als herausragenden ju-ris tischen und politischen Treffpunktdes Reiches, als einen seiner „Zentral-orte“ zu charakterisieren – denn eineHauptstadt im heutigen Sinn gab esdamals nicht, lediglich Orte von „zen-traler“ Funktion (neben Wien etwa diebereits angesprochene Stadt Regens-burg oder auch Frankfurt am Main). Die umfangreichen Archivalien zumReichskammergericht im StadtarchivSpeyer und in anderen in- und auslän-dischen Archiven verdeutlichen, wel-che Rolle der Reichsstadt innerhalbder deutschen Verfassungsgeschichte

Speyerer Bürger um 1600.

Generallandesarchiv Karlsruhe

Frau eines Ratsherren o. Bürgermeisters,

vor 1600. Generallandesarchiv Karlsruhe

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eigentlich zukommt. Diese Rolle istbei weitem noch nicht ausreichend er-forscht.Doch der Blick auf Speyer als FreieStadt und zentraler juristischer An-laufpunkt im 16. und 17. Jahrhundertgibt nur einen Teil der Realität wieder.Speyer war eingebunden in ein hoch-komplexes Gefüge adeliger und geist-licher Territorialherrschaften, die oftauch konfessionell gegeneinanderstan den. Zu den großen territorialenNachbarn zählten rechts- wie links-rheinisch Teile des weltlichen Territo-riums des Bischofs von Speyer sowienatürlich die Kurpfalz als regionaleHegemonialmacht. Christoph Lehmann, der eigentlich ausFinsterwalde (Lausitz) stammendeSpey erer Stadtschreiber und Histori-ker, verweist im Titel seiner berühmten„Speyerer Chronik“, die erstmals im

Jahr 1612 erschien, auf Kaiser undReich, die in den Augen der gebildetenSpeyerer Bevölkerung wesentlich fürdas reichsstädtische Selbstverständniswaren: „Chronica der Freyen ReichsStatt Speyr: Darinn von dreyerley für-nemblich gehandelt/ Erstlich vom Ur-sprung/ Uffnemen/ Befreyung/ Beschaf-fenheit deß Regiments/ Freyheiten/ Pri-vilegien/ Rechten/ Gerechtigkeiten/denckwürdigen Sachen und Geschich-ten/ auch underschiedlichen Kriegenund Belägerungen der Statt Speyr: Zumandern/ von Anfang unnd Uffrichtungdeß Teutschen Reichs/ desselben Regie-rung durch König unnd Kayser/ unndwas es jeder Zeit ins gemein mit demsel-ben/ und insonders mit den Erbarn Freyunnd Reichs Stätten vor Gestallt ge-habt/... Zum dritten/ von Anfang undBeschreibung der Bischoffen zu Speyr/unnd deß Speyrischen Bisthumbs.“

„Protonotar“ am Reichskammergericht,

um 1600. Generallandesarchiv Karlsruhe

Speyerer Stuhlbruder um 1600.

Generallandesarchiv Karlsruhe

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Stadtrat und ZünfteWenden wir uns nun, nach dem Blickauf die reichsrechtliche Stellung derStadt, dem Rat als nach innen gerich-teter Obrigkeit in Speyer zu. Das ange-führte Zitat aus der LehmannschenChronik bringt ebenfalls deutlich zumAusdruck, dass die „Befreiung“ derStadt, nämlich von der bischöflichenHerrschaft, ein langer Prozess war.Dieser war von vielfachen innerenKonflikten und Streitigkeiten um dasStadtregiment begleitet, besonderszwi schen den patrizischen Münzernund Hausgenossen einer- und denstäd tischen Zünften (die schließlichdie Oberhand behielten) andererseits.Es bildete sich eine Oligarchie ratsfä-higer Familien heraus. Seit dem späten Mittelalter verfestigtesich der Rat als städtisches Regie-rungsgremium immer mehr, was auchan personell-familiären Kontinuitätengut fest zumachen ist. Der „Bürgerauf-stand“ des Jahres 1512/1513 gegen denRat führte zu keinen wesentlichen Ver-änderungen. Im Gegenteil: Die Situa-tion mutet aus heutiger Sicht anachro-nistisch an und hat relativ wenig mitdem modernen Verständnis von De-mokratie (die ja gerne im historischenRückblick mit der alten „städtischenFreiheit“ verbunden wird) zu schaffen.Die Ratsbesetzung lag auch nach1512/1513 in den Händen der Zünfte,die damit auch politisch die Zügel in ih-ren Händen hielten. Von der nichtstäd-tischen Form von Herrschaft (etwa aufdem flachen Land, in den größerenoder kleineren Adelsherrschaften)unterschied sich ein solches Regimentwie in Speyer allerdings erheblich. Inunserer Stadt wurden „ganze“ und„halbe“ Zünfte unterschieden, die ent-sprechend dieser Einteilung bzw. ihrerBedeutung zwei Personen bzw. lediglicheine Person in den Rat wählen durften.Zu den vollwertigen Zünften zähltenneben den zahlenmäßig zu vernachläs-

sigenden Großkaufleuten (Hausgenos-sen) beispielsweise die Weber, Tucher,Schneider und Krämer, während zu den„halben“ Zünften z.B. die Kürschneroder die Fischer gehörten. Die meistenZünfte vereinigten dabei ganz unter-schiedliche Gewerbe in sich. Zur Krä-merzunft wurden etwa auch die Glaser,Apotheker, Maler, Sattler oder Bür-stenbinder gerechnet. Jährlich wählten die Ratsleute zweiPersonen zu Bürgermeistern, die unteranderem auch für die städtische Sicher-heit Sorge zu tragen hatten. Die städti-sche Verwaltung in Speyer war abgese-hen davon sehr differenziert und um-fasste im Prinzip alle Lebensbereicheder Speyerer Bürger, ohne dass an die-ser Stelle einzelne weitere Ämter undFunktionen namentlich angeführt wer-den sollen.

Stadtbild und Bevölkerung Über die äußere Gestalt der StadtSpeyer im 16. Jahrhundert sind wirdurch einen bekannten Holzschnitt desSebastian Münster (1488-1552) gutunterrichtet. Die Vorlage war wohl voneinem Speyerer Künstler angefertigtworden. Auf dieser Grundlage hat dannMatthäus Merian später eine ebenfallsverbreitete Stadtansicht erstellt. Beidevermitteln eine sehr genaue AnsichtSpeyers vor den kommenden Zerstö-rungen im 17. Jahrhundert. Bereits imDreißigjährigen Krieg wurden drei dervier Speyerer Vorstädte schwer zerstört(Gilgenvorstadt, Fischervorstadt/Mar-xenvorstadt und Vorstadt Altspeyer);lediglich der Hasenpfuhl blieb unzer-stört. Der folgenschwere Stadtbrandvon 1689 sowie der Wiederaufbau im18. Jahrhundert beendeten endgültigdas im Mittelalter grundgelegte und beiMerian noch gut sichtbare Stadtbild.Dieses war neben dem Dom und denweiteren Kirchen und Kapellen natür-lich in besonderer Weise durch dieStadtmauer und die zahlreichen befes -

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tigten Mauer- und Tortürme geprägt.Doch sank ihre Bedeutung im Verlaufder Frühen Neuzeit rapide ab. Die„wehrhafte“ Stadt des Mittelalters exi-stierte nicht mehr. Dies lässt sich bei-spielhaft am Dreißigjährigen Krieg ver-deutlichen, als Speyer wechselweise, jenach Verlauf der Auseinandersetzungen,von den Kriegsparteien besetzt wurde.Die städtischen Befestigungen hättendem feindlichen Beschuss nur wenigentgegenzusetzen gehabt. Im „Pfälzi-schen Erbfolgekrieg“ rückten französi-sche Truppen 1688 ohne auf Widerstandzu treffen in die Stadt ein.Die Speyerer Einwohnerschaft er-reichte gegen Ende des 16. Jahrhun-derts, also am Vorabend des Dreißigjäh-rigen Krieges, mit ca. 8.000 Personen ei-nen Höchstwert, der erst wieder in derbayerischen Zeit (19. Jahrhundert) er-reicht werden sollte: Im Verlauf der fürSpeyer katastrophalen Ereignisse des17. Jahrhunderts sank die Bevölke-rungszahl rapide ab, um sich dann lang-sam wieder zu erholen. Speyer verfügte als verkehrstechnischgünstig gelegener Umschlag- und Han-delsplatz auch im ausgehenden 16. Jahr-hundert immer noch über eine gewisseBedeutung als Markt. Zu den wichtigenHandelsgütern zählte der Wein – Speyerwar eine Wein produzierende, vor allemaber mit dem Wein Handel treibendeStadt. Die Bedeutung des Ackerbürger-tums in einer Stadt wie Speyer sollte ge-nerell nicht übersehen werden, umfasstedie Zunft der Gärtner doch im 16. Jahr-hundert immer noch ca. 180 Zunftbür-ger (bei ca. 1.000 Zunftbürgern insge-samt)! Die im späten Mittelalter domi-nierende Tuchherstellung ging deutlichzurück, behielt aber immer noch Bedeu-tung. Um 1600 können wir von etwasmehr als 100 Tuchern und Webern inder Stadt ausgehen. Fünf Fähren im nä-heren Umfeld der Stadt führten überden Rhein (nach Udenheim/Philipps-burg, Rheins heim, Altlußheim, Ketsch,

und Rhein hausen). Der bis heute be-triebenen Rheinhauser Fähre kam auchdeshalb besondere Bedeutung zu, weilüber sie eine der reichsweiten Postrou-ten im Reich führte; eine Poststation inRheinhausen ist bereits um 1500 er-wähnt.

Verschiedene GlaubensrichtungenEin Blick auf die Speyerer Bevölke-rung um 1600 bleibt unvollständig,wenn nicht auch die konfessionellenStrukturen in den Blick genommenwerden. In Speyer hatte die Reforma-tion im Sinne Luthers (wie in den meis -ten anderen Reichsstädten auch) zueingreifenden Veränderungen geführt.Rat und Bürgerschaft der Stadt, unddamit der übergroße Teil der gesamtenEinwohnerschaft, nahmen nach undnach die lutherische Lehre an. Verschie-dene Kirchen wurden sukzessive derneuen Lehre zugeführt bzw. umfunktio-niert. 1538/1540 errichtete der Rat zu-nächst im Dominikanerkloster eine ei-gene (lutherische) Ratsschule. Der Sie-geszug der neuen Lehre Luthers bedeu-tete für die Klöster und Stifte eine Zeitdes Niedergangs – und dies nicht nur in„moralisch-sittlicher“ Hinsicht (wie derübliche, manchmal sicher überspitzteoder polemische Blick war), sondernganz einfach auch personell oder wirt-schaftlich. Dennoch hielt sich katholi-sches Leben in den Klöstern und Stif-ten sowie natürlich am Domstift, wozusicherlich auch die Anwesenheit desReichskammergerichts in Speyer beige-tragen haben dürfte. Die katholischenAngehörigen des höchsten Reichsge-richts sowie der Klerus und zum Klerusgehörige (laikale) Personen dürftenden überwiegenden Teil der katholi-schen Einwohnerschaft Speyers – eineMinderheit – gebildet haben. In einemBericht des Jahres 1576 wird, abgese-hen davon, lediglich von 30 weiterenkatholischen Einwohnern berichtet.Die katholische Erneuerung (Gegenre-

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formation) im Sinne des Konzils vonTrient (1545/1563) dürfte einmal mehrdurch die Anwesenheit des Reichs-kammergerichtspersonals begünstigtworden sein. Sie wurde wie andernortsauch von den Jesuiten getragen, die imJahr 1567 in Speyer bereits ein Kollegsamt Schule bzw. Gymnasium einrich-ten konnten. Neben Lutheranern und Katholikenstanden die Anhänger des Calvinismus(Reformierte), die im Jahr 1572 – zu-nächst protegiert von den HeidelbergerKurfürsten – die Aegidienkirche fürihre Gottesdienste erhielten. Fast zeitgleich mit der Durchsetzungder Reformation war 1534 die endgül-tige Vertreibung der Speyerer Judenbesiegelt worden, womit eine seit Jahr-hunderten in Speyer ansässige religiöseMinderheit aus der Domstadt vertrie-ben wurde. Nachdem der Rat noch imJahr 1603 Handels- und Geldgeschäftezwischen Juden und Christen unter

Strafe gestellt und Juden untersagthatte, sich länger in Speyer aufzuhalten(ausgenommen waren Juden als Par-teien am Reichskammergericht), isteine neue jüdische (Kultus-)Gemeindeab 1621 greifbar. Diese umfasste zu Be-ginn ca. 60 Personen; die Gemeinde(deren Mitglieder erneut gegen Endedes 17. Jahrhunderts vertrieben wur-den) verfügte über eine Synagoge samtMikwe und Friedhof. Wie man sieht, war die GeschichteSpeyers in den Jahrzehnten um 1600zwar nicht eben aufregend, doch be-wegt war sie allemal – und ganz gewissverdient sie eine eingehendere Erfor-schung, anhand der ungeachtet allerKatastrophen glücklich bewahrtenreich haltigen Überlieferung des Stadt-archivs.

Dr. Joachim KemperLeiter des Stadtarchivs

Abt. Kulturelles Erbe der Stadt


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