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Lernen und Gedächtnis Kognitive Gedächtnispsychologie: Das ... 8 Mehrspeichermodell.pdf ·...

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52
Vorlesung im WS 2011/12 Lernen und Gedächtnis Kognitive Gedächtnispsychologie: Das Mehrspeichermodell Prof. Dr. Thomas Goschke Professur für Allgemeine Psychologie 1
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Vorlesung im WS 2011/12

Lernen und Gedächtnis

Kognitive Gedächtnispsychologie:

Das Mehrspeichermodell

Prof. Dr. Thomas Goschke

Professur für Allgemeine Psychologie

1

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Übersicht

Informationsverarbeitungsansatz und Speichermetapher

Das Mehrspeichermodell von Atkinson & Shiffrin

Sensorische Speicher

Kurzzeitgedächtnis

Probleme des Mehrspeichermodells

2

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Konditionierungsforschung vs. Gedächtnisforschung

Konditionierungsexperiment

Versuchstier muss Belohnungskontingenzen herausfinden (Induktion)

Motivation bestimmt, ob und wie Wissen in Verhalten umgesetzt wird

Gedächtnisexperiment

Mensch kann über relevante Kontingenzen informiert werden (Instruktion)

VL kann auf soziale Kooperation der VP vertrauen, um das erworbene Wissen zu testen

4

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Die kognitive Revolution:

Informationsverarbeitungsparadigma

Kognition = Informationsverarbeitung (Enkodierung, Speicherung, Transformation, Abruf von Information)

Wir reagieren nicht direkt auf Reize, sondern Reize werden mental repräsentiert und aufgrund von Vorwissen interpretiert

Funktionale Dekomposition: Zerlegung kognitiver Leistungen in Verarbeitungsstufen und Subsysteme

Enkodierung

Gedächtnis

Abruf Speicherung

5

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Informationsverarbeitungsansatz:

Teilprozesse des Gedächtnisses

• „Computermetapher“

• Kognition = Software („Programme“ und „Algorithmen“)

• Gehirn = Hardware (Physikalische „Implementierung)

Zentrale Begriffe

• Lernen = Enkodierung von Information

• Gedächtnis = Speicherung von Information

• Wissen = Repräsentation von Information

• Erinnern = Abruf gespeicherter Information

Methodischer Ansatz:

• Experimentelle Analyse von Gedächtnisleistungen unter kontrollierten Bedingungen

• Rückschluss von Verhaltensdaten (z.B. Reaktionszeiten, Fehler) auf zugrunde liegende Speicher- und Abrufprozesse

6

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Speichermetapher

7

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Metaphern des Gedächtnisses

Wachstafel (Platon; Aristoteles)

Vogelhaus (Platon)

Haus (James, 1890)

Grammophon (Pear, 1922)

Wörterbuch (Loftus, 1977)

Bibliothek (Broadbent, 1971)

Zimmer in einem Haus (Freud, 1924)

Tonband

Datenbank

Computerspeicher

nach Roediger, 1980 8

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Aspekte der Speichermetapher

Gedächtnisinhalte werden an bestimmten Orten im Gehirn gespeichert.

Gespeicherte Gedächtnisinhalte „lagern“ passiv im Speicher, bis sie wieder abgerufen werden

Erinnern besteht im Transfer gespeicherter Inhalte von einem Speicher (Langzeitgedächtnis) in einen anderen Speicher (Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis)

?

?

?

Wir werden sehen, dass alle drei Annahmen

problematisch sind und der Revision bedürfen 9

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Einteilung von Gedächtnisformen anhand der Dauer

William James (1890):

• Primäres Gedächtnis: aktueller Inhalt des Bewusstseins

• Sekundäres Gedächtnis: langfristige Speicherung von Informationen, die unbewusst bleiben, bis sie abgerufen werden

Müller & Pilzecker (1900)

• Wahrnehmung eines Ereignisses löst momentanes neuronales Erregungsmuster aus

• Langzeitige Speicherung des Ereignisses beruht auf strukturellen Veränderungen im Gehirn, die als Folge der neuronalen Erregung stattfinden (Konsolidierung)

Donald O. Hebb (1949)

• aktive Aufrechterhaltung von Information („kreisende“ neuronale Aktivität)

• langzeitige Speicherung = Stärkung neuronaler Verbindungen 11

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Das Mehrspeichermodell von Atkinson & Shiffrin (1968)

Kurzzeit-

Gedächtnis

Aufmerk-

samkeit

Langzeit-

gedächtnis

(Episodisch /

Semantisch /

Prozedural)

Speicherung

Abruf

Sensorische

Speicher

(visuell /

auditorisch /

haptisch)

Reiz-

information

Zerfall nicht

beachteter

Information

Interferenz &

Ersetzung durch

neu eintreffende

Information

Interferenz /

fehlende

Abrufhinweise /

Spurenzerfall (?)

Kontroll-

prozesse

(Rehearsal

Umkodierung

Elaboration)

14

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Mehrspeichermodell: Grundlegende Annahmen

Separate Speicher mit unterschiedlicher Haltedauer

• Ultrakurzzeitgedächtnis (sensorische Speicher)

-Bruchteile einer Sekunde (visuelle Reize) bis etwas mehr als eine Sekunde (akustische Reize)

• Kurzzeitgedächtnis

-Aufrechterhaltung einer begrenzten Menge von Informationen durch aktive Wiederholung (inneres Sprechen oder visuelle Vorstellungen)

• Langzeitgedächtnis

-Langfristige Speicherung einer unbegrenzten Menge von Informationen, die unbewusst bleibt, bis sie wieder abgerufen wird

Kontrollprozesse

• Operieren über Inhalten des KZG (z.B. aktives Wiederholen = Rehearsal)

• Speicherung ins Langzeitgedächtnis hängt vom Rehearsal ab: Je häufiger Information im KZG wiederholt wird, umso höher ist Wahrscheinlichkeit der Speicherung im LZG 16

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Sensorische Speicher (Ultrakurzzeitgedächtnis)

17

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Perzeptuelle

Repräsentationssysteme

(visuell /

auditorisch /

haptisch)

Weitere

Verarbeitung Reiz-

information

Das Mehrspeichermodell: Sensorische Speicher

Wieviel Information kann in einem

Moment erfasst werden?

Wie lange wird die Information

erinnert, wenn der Reizinput sofort

danach ausgelöscht wird?

Segner (1740): untersuchte visuelles Nachbild -> ca.100 ms

18

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Sensorische Speicher: Das Experiment von Sperling (1960)

Q C F T

S K G O

W R J B

1. Buchstaben werden sehr kurzzeitig dargeboten

21

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Sensorische Speicher: Das Experiment von Sperling (1960)

2. Leerer Bildschirm

22

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Sensorische Speicher: Das Experiment von Sperling (1960)

3. Vp können nur etwa 4-5 Buchstaben berichten

C, R, G, ... War die Zeit zu kurz,

um alle Buchstaben

wahrzunehmen?

23

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Sensorische Speicher: Das Experiment von Sperling (1960)

Q C F T

S K G O

W R J B

1. Buchstaben werden für 1/20 Sekunde dar- geboten

26

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Sensorische Speicher: Das Experiment von Sperling (1960)

2. Leerer Bildschirm für unterschiedlich lange Zeit (bis 1 Sek.)

27

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Sensorische Speicher: Das Experiment von Sperling (1960)

HOCH

TIEF

MITTEL

3. Tonhöhe signalisiert die zu berichtende Zeile

= Teilbericht

(partial

report)

28

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Sensorische Speicher: Das Experiment von Sperling (1960)

Hoch

Mittel

Tief

K Z R M

Q B T V

S G N G

Teilbericht (partial report)

29

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Sensorische Speicher: Das Experiment von Sperling (1960)

S, K, G, ...

Vp können etwas mehr als

3 Buchstaben pro Zeile berichten

Da die Vp vor der

Reizdarbietung nicht

wusste, welche Reihe

sie berichten sollte,

müssen fast alle

Buchstaben für kurze

Zeit repräsentiert

gewesen sein

30

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Sensorische Speicher: Das Experiment von Sperling (1960)

0

0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

-0,1 0,1 0,3 0,5 0,7 0,9 1,1

Verzögerung des Cues in msec

An

za

hl e

rin

ne

rte

r B

uc

hs

tab

en

Mittlere Anzahl

erinnerter Buchstaben

pro Zeile beim

Vollbericht

Anzahl erinnerter Buchstaben

pro Zeile beim Teilbericht

33

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Das Mehrspeichermodell: Sensorische Speicher: Zusammenfassung

Sensorische

Speicher

(visuell /

auditorisch /

haptisch)

Aufmerk-

samkeit

Reiz-

information

Zerfall

halten sensorische Information für kurze Zeit in einem

modalitätsspezifischem Kode aufrecht

• Visuell: Ikonisches Gedächtnis

• Akustisch: Echo-Gedächtnis

Grosse Kapazität

Geringe Haltedauer: nicht beachtete Information zerfällt sehr

schnell

Um sensorische Information ins Kurzzeitgedächtnis zu

transferieren, ist Aufmerksamkeit erforderlich

Kurzzeit-

gedächtnis

36

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Das Mehrspeichermodell Kurzzeitgedächtnis

37

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Kurzzeitgedächtnis Beispiele

Telefonnummer „im Kopf“ behalten

Kopfrechnen

Einen sehr langen komplizierten Satz verstehen

38

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Kurzzeitgedächtnis Kapazität: Messung der Gedächtnisspanne

• Liste von zufälligen Zahlen

• Sofortige Reproduktion in richtiger Reihenfolge

• Bestimmung der maximalen Anzahl von Items, die korrekt erinnert werden können

• George Miller (1956): "magische Zahl 7, plus oder minus 2"

7 6 5 4

9 3 8 4 3

9 2 1 2 1 2

2 9 2 8 1 8 9

8 4 6 3 1 6 9 7

3 5 4 7 6 1 9 2 3

1 3 2 5 4 8 1 2 9 8

2 1 4 5 4 7 6 9 1 5 4

3 5 4 1 2 7 4 5 9 7 8 5

39

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Kurzzeitgedächtnis: Chunking

Gruppierung von Elementen zu vertrauten, bereits gespeicherten Einheiten

Wie viel Information aufrecht erhalten werden kann, hängt von bereits im LZG gespeichertem Wissen ab

Kurzzeitgedächtnis ist nicht unabhängig vom Langzeitgedächtnis!

SA TRT LA RDZ DF

SAT RTL ARD ZDF

40

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Kurzzeitgedächtnis: Dauer

Wie lange wird Information im KZG aufrecht erhalten?

Merken Sie sich folgende Telefonnummer:

8 3 6 1 9 7 5 Wie lautete die Nummer?

41

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Kurzzeitgedächtnis: Rehearsal

Kurzzeit-

Gedächtnis

Aufmerk-

samkeit

Sensorische

Speicher

(visuell /

auditorisch /

haptisch)

Reiz-

information

Kontroll-

prozesse

(Rehearsal

Umkodierung

Elaboration)

Inhalte im KZG können durch inneres Sprechen

(Rehearsal) aktiv aufrecht erhalten werden

42

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Kurzzeitgedächtnis: Unterbindung des Rehearsals

Merken Sie sich folgende Telefonnummer

6 4 9 0 5 8 2 Zählen Sie in 3er-Schritten rückwärts von

1324

Wie lautete die Nummer?

Ohne Rehearsal “zerfällt” der Inhalt des Kurzzeitgedächtnisses sehr schnell

43

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Kurzzeitgedächtnis: Vergessenskurve in der Brown-Peterson-Aufgabe

Brown (1958); Peterson & Peterson (1959)

1. Präsentation von drei Konsonanten (z.B. CFK) und einer Zahl (z.B. 231).

2. Vpn zählen für unterschiedliche Zeit in Dreierschritten laut rückwärts ( Unterbindung des

Rehearsal)

3. Reproduktion des Trigramms

Ohne Rehearsal wird Trigramm bereits nach wenigen Sek. nicht

mehr erinnert Wurde zunächst als starker Beleg für passiven Zerfall betrachtet 45

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Kurzzeitgedächtnis: Vergessenskurven in der Brown-Peterson-Aufgabe

Abb. Aus Quinlan & Dyson (2009). Cognitive Psychology. Pearson Education. 46

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Kurzzeitgedächtnis: Zerfall oder Interferenz?

Spiegelt Vergessen tatsächlich passiven Zerfall aus dem KZG, oder liegt die Ursache in Interferenz mit neuer Information?

48

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Kurzzeitgedächtnis: Evidenz für Interferenz

Kein Vergessen im ersten Versuchsdurchgang

Vergessen nimmt über die Versuchsdurchgänge hinweg zu

Ergebnis: Zuvor gelernte Information stört Behalten neuer Information (proaktive Interferenz)

Vergessen im Brown-Peterson-Paradigma spiegelt nicht passiven Zerfall, sondern Interferenz durch bereits im LZG gespeicherte Informationen

Keppel & Underwood (1962) 50

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Kurzzeitgedächtnis: Proaktive Interferenz

Reproduktion beruht auf einer Suche durch das Gedächtnis

Aktuell zu behaltende Items werden mit früher gelernten Items verwechselt (Interferenz)

Vorhersage: Interferenz sollte abnehmen, wenn alte und neue Items leicht zu unterscheiden sind

52

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Kurzzeitgedächtnis: Aufhebung der proaktiven Interferenz (Wickens, 1972)

In ersten 3 Lerndurchgängen mussten sich Vpn Früchte merken

Im 4. Durchgang entweder gleiche oder andere Kategorie

0

20

40

60

80

100

1 2 3 4

Lerndurchgänge

% K

orr

ek

te R

ep

rod

uk

tio

n

Berufe

Blumen

Gemüse

Früchte

Früchte Wechsel

Je unähnlicher die neue Kategorie, umso größere Verbesserung der

Gedächtnisleistung 54

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Kurzzeitgedächtnis: Proaktive vs. retroaktive Interferenz

Proaktive Interferenz: Lernen neuer Items wird durch vorangegangenes Material gestört

Retroaktive Interferenz: Lernen neuer Items stört den Abruf alten Materials

55

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Kurzzeitgedächtnis: Zusammenfassung

Kurzzeit-

Gedächtnis

Aufmerk-

samkeit

Sensorische

Speicher

Reiz-

information

Kontroll-

prozesse

(Rehearsal)

Funktion: aktive Aufrechterhaltung von Information

Kapazität: beschränkt (7 +/- 2 Chunks; nach neueren Theorien evtl. noch geringer)

Dauer: kurz (Sekunden), wenn kein Rehearsal möglich

Vergessen: aufgrund von Interferenz mit gespeicherter oder neuer Information (evtl. auch Spurenzerfall)

56

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Sind Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis separate Systeme? Funktionale Dissoziationen

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Funktionale Dissoziationen

UV 1 KZG Effekt

UV 1 LZG Kein

Effekt

Einfache Dissoziation

UV 2 KZG Kein

Effekt

Einfache Dissoziation

UV 2 LZG Effekt

Doppeldissoziation

60

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Dissoziationen zwischen KZG und LZG Freie Reproduktion und seriale Positionskurve

1. Liste von n Worten oder Zahlen einprägen (n > Gedächtnisspanne)

2. Freie Reproduktion

3. Darstellung der Reproduktionswahrscheinlichkeit als Funktion der Position in der Lernliste

Lernen

1. Apfel

2. Tisch

3. Zebra

4. Kanne

5. Blume

6. Fenster

7. Apparat

8. Buch

9. Urlaub

usw.

Reproduktion

% korrekt

% korrekt

% korrekt

% korrekt

% korrekt

% korrekt

% korrekt

% korrekt

% korrekt

usw.

61

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Seriale Positionskurve

Serial Position

4 8 12 16 20 24 28 32 36 40

Perc

enta

ge R

ecall

0

20

40

60

80

100List Length 20 List Length 30 List Length 40

Recency effect

Items noch im KZG

Primacy Effect

Rehearsalhäufigkeit (LZG)

Murdock, 1962 62

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Seriale Positionskurve: Primacy-Effekt und Rehearsal

Lernliste Rehearsal

1. Apfel Apfel-Apfel-Apfel-Apfel

2. Baum Baum-Apfel-Baum-Apfel

3. Tasche Tasche-Baum-Apfel

4. Durst Durst-Apfel-Baum-Durst

5. Kind Kind-Baum-Durst-Apfel

6. Fernweh Fernweh-Baum-Fernweh-Kind

7. Buch Buch-Kind-Fernweh-Baum

20. Telefon Telefon-ALkohol

Rundus, 1971

Probanden sollten Items laut wiederholen („overt rehearsal“)

Items am Anfang der Liste wurden häufiger wiederholt

64

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Seriale Positionskurve: Primacy-Effekt und Rehearsal

Korrelation zwischen Reproduktions-wahrscheinlichkeit und Anzahl von Wiederholungen ist auf Anfang und Mittelteil der Positionskurve beschränkt

Serial Position

4 8 12 16 20

Pe

rcen

tag

e R

ecall

0

20

40

60

80

100

0

2

4

6

8

10

12

14

16

To

tal re

he

ars

als

pe

r item

Rundus (1971) 65

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Dissoziationen zwischen KZG und LZG

Gibt es Faktoren, die den Rezenzeffekt (= KZG) beeinflussen, nicht aber die übrige Positionskurve (= LZG)?

… und umgekehrt?

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Dissoziation von KZG und LZG: Effekte von Ablenkung und Präsentationsrate

Glanzer & Cunitz (1966)

30-sekündige Ablenkung eliminiert den Rezenzeffekt, aber hat keinen Effekt auf andere Teile der Liste

Präsentationsrate beeinflusst frühen und mittleren Teil der Positionskurve, nicht aber den Rezenzeffekt

69

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Dissoziation von KZG und LZG: Länge der Lernliste

Länge der Lernliste beeinflusst frühen und mittleren Teil der Positionskurve, nicht aber den Rezenzeffekt

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Dissoziation von KZG und LZG: Zusammenfassung

Der Rezenzeffekt und der Anfang/mittlere Abschnitt der Positionskurve werden selektiv durch verschiedene Variablen beeinflusst

Variablen, die Anfang und Mitte der Positionskurve beeinflussen

• Präsentationsrate, Listenlänge, Bedeutungshaltigkeit des Materials, Alter, Intelligenz

Variablen, die Rezenzeffekt beeinflussen

- Ablenkungsaufgabe zwischen Lernen und Test

72

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Dissoziation zwischen KZG und LZG Hirnschädigungen

Korsakoffsche Krankheit

• Folge von Vitamin-B-Mangel durch chronischen Alkoholmissbrauch (Zerstörungen im medialen Thalamus und den Mammilarkörpern des Hypothalamus)

• Beeinträchtigung der Fähigkeit, sich neue Dinge zu merken (anterograde Amnesie)

• Schlechte Erinnerung an Ereignisse aus der Vergangenheit (retrograde Amnesie)

• Aber: normale Gedächtnisspanne!

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Dissoziation zwischen KZG und LZG: Hirnschädigungen

Amnestiker & Kontroll-Vpn:

normaler Rezenzeffekt bei

sofortiger Reproduktion

= intaktes KZG)

Amnestiker & Kontrollvpn:

Reduzierter Rezenzeffekt

bei verzögerter

Reproduktion

Amnestiker: schlechte

Reproduktion früher und

mittlerer Items

(= beeinträchtigtes LZG)

Baddeley & Warrington, 1970 74

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Dissoziation zwischen KZG und LZG: Hirnschädigungen

Patient K.F. (Shallice und Warrington,1970)

• Relativ intaktes Langzeitgedächtnis

• Aber: Gedächtnisspanne von nur 1 oder 2 Items!

• Kein Rezenzeffekt!

75

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Schlussfolgerung und offene Fragen

Funktionale u. neurologische Dissoziationen wurden als Beleg für ein separates Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis interpretiert

Aber: zunehmend wurden auch Probleme der Zwei-Prozess-Theorie offensichtlich…

Kurzzeit-

Gedächtnis

____ Kontroll-

prozesse

(Rehearsal)

Aufmerk-

samkeit

Langzeit-

gedächtnis

Speicherung

Abruf

Sensorische

Speicher

Reiz-

information

Zerfall nicht

beachteter

Information

Interferenz

Spurenzerfall 76


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