Für die Erstellung und Überarbeitung von Betriebsvorschriften.
Leitfaden Vorschriftenerstellung
Version 2.0, November 2010
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Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Um eine Eisenbahn erfolgreich zu betreiben, müs-sen die Sicherheit und die Produktivität in hohem Masse gewährleistet sein. Die Betriebsvorschriften leisten dazu einen erheblichen Beitrag und haben bei den Bahnen darum seit jeher einen hohen Stel-lenwert. Es ist wichtig, dass unsere Vorschriften klar, eindeutig, für die Anwender gut verständlich und dadurch nachhaltig wirksam sind.
Sie als Verfasserinnen und Verfasser von Betriebs-vorschriften verfügen über ein fundiertes Wissen über die Betriebsprozesse und können mit optimal formulierten Vorschriften gute Voraussetzungen für die Eisenbahnproduktion schaffen.
Der vorliegende Leitfaden unterstützt Sie bei dieser Arbeit. Er wurde von einem Team aus Fachexper-ten und unter Beizug der ETH Zürich (Arbeits- und Organisationspsychologie) entwickelt und mit Anwendern in der Praxis erprobt. Diese Erfahrungen sind ebenfalls eingeflossen.
Wir danken Ihnen für Ihren wertvollen Beitrag für einen reibungslosen und unfallfreien Bahnbetrieb.
Dr. Peter Füglistaler Andreas Meyer Dr. Peter Vollmer
BAV SBB VöV
Vorwort
Ihre Ansprechpartner:
BAV
Marcel Hanhart
Sektion Bahnbetrieb
SBB
Andreas Hönger
Sicherheit
VöV
Heinz Hofstetter
Betrieb BLS Netz AG
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Einleitung 5
Von der Idee bis zur Vorschrift – die einzelnen Schritte 6 – 7
Schritt 1 Definieren der Produktionsabläufe und Inhalte 8 – 9
Schritt 2 Inhalt der Vorschrift definieren 10 – 11
Schritt 3 Entwickeln der Vorschriften 12 – 13
Weiterführende Infos zu Schritt 3
- Handlungsspielraum 14 – 15
Schritt 4 Schreiben der Vorschriften 16 – 17
Schritt 5 Anhörung/Vernehmlassung 18 – 19
Schritt 6 Ausbilden und Inkraftsetzen 20 – 21
Schritt 7 Anwenden und Überprüfen 22 – 23
Schritt 8 Weiterentwickeln 24 – 25
Human Factor
- Human Factor – Mensch und Sicherheit 27
- Human Factor – Stärken und Schwächen 28
- Human Factor – Irrtümer und Fehldiagnosen 29
- Human Factor – Routinefehler und Folgerungen 31
Links 32
Inhaltsverzeichnis
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Einleitung
Zweck des LeitfadensDer vorliegende Leitfaden ist ein Hilfsmittel zur sys-tematischen Erstellung von adressatengerechten, zweckmässigen und qualitativ hochstehenden Be-triebsvorschriften und soll damit einen Beitrag zur Sicherheit und Produktivität des Eisenbahnbetriebs leisten.
Zielgruppe des LeitfadensDer Leitfaden richtet sich an die Ersteller von Be-triebsvorschriften im Eisenbahnverkehr.Die an der Entwicklung dieses Leitfadens beteiligten Fachexperten für Fahrdienst- und Betriebsvor-schriften empfehlen zudem, dass der Leitfaden als Anregung für die Erstellung von anderen bahnspezi-fischen Regelwerken beigezogen wird.
Aufbau und Inhalte des LeitfadensDie Vorschriftenersteller werden in acht Schritten durch einen Regelkreislauf geführt. Der Leitfaden enthält zum einen praktische Tipps zur Vorschriften-entwicklung, zum anderen regt er an, das gesamte Umfeld, insbesondere die Ausbildung und Führung, frühzeitig in die Überlegungen mit einzubeziehen. Am Schluss des Leitfadens sind einige Grundsätze zum Thema Human Factor aufgeführt.
HinweisNebst den allgemeinen Hinweisen dieses Leitfadens können projektbezogene zu beachtende Vorgaben bestehen.
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Vorteile des schrittweisen Vorgehens
Das schrittweise Vorgehen bringt Struktur in den Erarbeitungsprozess.
Damit• wird bei der Definition der Produktionsabläufe über Inhalte und nicht
über (Detail-)Formulierungen diskutiert• wird der Fokus erweitert, und es werden auch die Möglichkeiten der
Ausbildung und Führung berücksichtigt• wird die Vorschrift erst geschrieben, wenn der Sachverhalt klar ist• kann überprüft werden, ob die formulierte Vorschrift dem vorher
definierten Sachverhalt entspricht• können in jeder Bearbeitungsphase die am besten geeigneten
Personen einbezogen werden.
InfoVon der Idee bis zur Vorschrift – die einzelnen Schritte
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Von der Idee bis zur Vorschrift – die einzelnen Schritte
3. Entwickeln
der
Vorschriften
1. Definieren
der Produktions-
abläufe und
Inhalte 2. Inhalt
der Vorschrift
definieren
4. Schreiben der
Vorschriften
5. Anhörung/
Vernehm-
lassung
6. Ausbilden
und
Inkraftsetzen
7. Anwenden
und Überprüfen
8. Weiter-
entwickeln
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AusgangslageEine eindeutig festgehaltene Ausgangslage mit Soll-Ist-Vergleich ist notwendig für die anschliessenden Schritte zur Vorschriftenerstellung: Die zu verfolgende Stossrichtung wird klar, und das Management fällt die notwendigen Entscheide.Bezüglich Vorschriften müssen in der Ausgangslage auch die bisher gülti-gen Vorschriften festgehalten werden.
Infozu Schritt 1 Definieren der Produktionsabläufe und Inhalte
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gie
rlei
ter
Fahr
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Beispiel: Rangierdienst
Hinweis: Die Prozessdarstellungen können später auch für die Ausbildung verwendet werden, ersetzen aber keine formulierte Vorschrift.
ProzesseIn der Erarbeitungsphase werden die Prozesse sinnvollerweise grafisch dargestellt, um Reihenfolge und Abhängigkeiten aufzeigen und Lösungsideen durchspielen zu können. Bereits bestehende Prozesse werden in dieser Phase überprüft.
Wiederholung bestätigen
Fahrweganfordern
Anforderungwiederholen
Fahrweg einstellen
Prüfen, ob Zwergsignale
auf Fahrt
Prüfen, ob Startsignal auf Fahrt
Fahrbefehl an Lf
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Schritt 1 Definieren der Produktionsabläufe und Inhalte
Fragen: Wie soll produziert werden? Wer ist beteiligt? Wie wird die Technik eingesetzt? Wie sind die Rückfallebenen gestaltet? Wo sind Risiken oder Schwachstellen?
ZielDie Ausgangslage ist klar, die Produktionsabläufe und die Inhalte sind geklärt und festgelegt, die Handlungsspielräume sind definiert, die notwendigen Management-entscheide sind gefällt.
Ziel wird erreicht durch• Analyse der Ausgangslage anhand der heutigen Situation (Theorie und Praxis),
notwendige Veränderung und Soll-Ist-Vergleich• Festhalten des Zusammenspiels Mensch – Technik (Definition geschieht in der
Regel vor dem Vorschriftenprozess): Aufgabenzuteilung, allfällig vorhandene tech-nische Rückfallebene, Rolle von Mensch und Technik, Vorgehen beim Ausfall der Technik (Störungsprozesse)
• Definieren der Abläufe und Sachverhalte (z.B. Prozessdarstellung, noch keine Vorschriften schreiben)
• Festlegen der Handlungsspielräume • Erarbeiten von Varianten • Praxistest der vorgesehenen Abläufe (ist in vielen Fällen sinnvoll).
Zu beachten• Anwender einbeziehen• notwendige Managemententscheide rechtzeitig einholen • Ausbildung bereits in dieser Phase einbeziehen
Prüfkriterien• Ergebnisse Risikoanalysen (vorher – nachher)• Ergebnisse Variantenbewertung (Kriterien Sicherheit – Kosten – Produktivität)• Ergebnisse Praxistest• Beurteilung durch Anwender
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Infozu Schritt 2Inhalt der Vorschrift definierenWann braucht es eine Vorschrift?
Handelt es sich um Grundlagen der Sicherheit?
Informationsfluss Die Information der Beteiligten muss in jedem Fall sichergestellt sein (Anwender, Ausbildner, Chefs). Nur die Abgabe einer Vorschrift reicht nicht aus.
Vorschrift
Besteht bereits eine Vorschrift zu diesem oder einem
ähnlichen Thema?
Vorschrift prüfen und wenn nötig ergänzen
Handelt es sich um wichtige Produktionsgrundlagen?
Info, Führung, Ausbildung
neue Vorschrift
Ja Nein
Ja
Ja Nein
Nein
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Schritt 2Inhalt der Vorschrift definieren
Fragen: Welche Teile der Produktionsabläufe müssen in Vorschrif-ten geregelt werden? Was gehört in die Ausbildung? Was gehört in die Führung? Was gehört in Bedienungsanleitungen?
Beschrieb in Bedienungs-anleitung
Grundlagen, Beschrieb
weitergehende Infos, Training, Tipps für die Anwendung
Begleitung, Unterstützung, Überwachung
Prozessabläufe
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ZielDer Inhalt der Vorschrift und das Zusammenspiel mit anderen Dokumenten sowie mit der Ausbildung und der Führung sind festgelegt.
FührungInformiert die Mitarbeitenden, überwacht die korrekte Ausführung und optimiert die tägliche Arbeit (kontinuierliche Verbesserung, «Feinschliff»).
Prüfkriterien• Einheit der Materie?• Angemessene Regelungstiefe?• Sind die Abläufe und Inhalte aus Schritt 1 vollständig abgebildet?
Bedienungs-anleitungen
Vorschriften Ausbildung Führung
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RegelungstypenVorschriften bestehen aus einzelnen Regelungen. Wir unterscheiden folgende Rege-lungstypen:
Zielregeln beschreiben das Ziel, lassen aber offen, wie das Ziel im Detail erreicht werden muss.Beispiel: Am Ende der Zugvorbereitung steht ein technisch einwandfreier Zug mit funktionstüchtiger Bremse bereit.
Prozessregeln beschreiben notwendige Abklärungen und Entscheidungsprozesse. Die folgenden Handlungen sind abhängig vom vorgehenden Ergebnis.Beispiel: Nach dem Bilden des Zuges wird zuerst die technische Untersuchung und anschliessend die Bremsprobe durchgeführt.
Handlungsregeln schreiben die konkrete Handlung vor und lassen wenig Hand-lungsspielraum.Beispiel: Der Zugvorbereiter meldet dem Lokführer den Abschluss der Bremsprobe quittungspflichtig mit der Meldung «Bremse gut».
Info
Zusammenspiel Vorschriften verschiedener Stufen Vorschriften werden durch verschiedene Stellen und Stufen herausgegeben (Auf-sichtsbehörde, Unternehmen, Bereiche). Dabei ist es wichtig, dass alle stets die Anwender im Auge behalten: Den Anwendern ist es letztendlich egal, auf welcher Stufe die entsprechende Vorschrift erlassen wurde. Die anzuwendenden Vorschriften müssen aber einfach auffindbar und aufeinander abgestimmt sein. Wichtig ist an die-ser Stelle auch, ob eine Vorschrift als Ergänzung, Präzisierung oder Ersatz fungiert. Es ist möglich, für die Anwender alle zusammengehörenden Vorschriften in einem Dokument zusammenzufassen. Dabei muss eine Abwägung zwischen dem Nutzen in der Anwendung und dem Aufwand für die Zusammenführung und für die Nachfüh-rung gemacht werden.
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Schritt 3Entwickeln der Vorschriften
Fragen: Wie baue ich das Dokument auf? Welche Regelungstypen setze ich ein? Werden Checklisten benötigt?
ZielDas Dokument ist nachvollziehbar aufgebaut, und die eingesetzten Regelungstypen sowie die Regelungstiefe entsprechen den zu gewährenden Handlungsspielräumen.
Ziel wird erreicht durch• einen ablauforientierten Aufbau des Dokuments, vom Grundsätzlichen zum Besonderen• den bewussten und zweckmässigen Einsatz von Regelungstypen: so detailliert wie
nötig, so viel Handlungsspielraum wie möglich.
Zu beachten• Regelungstypen• Entscheidungshilfe Handlungsspielraum (siehe weiterführende Infos Seite 15)
PrüfkriterienStimmen die eingesetzten Regelungstypen mit den vorgesehenen Handlungsspiel-räumen überein?
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Menschen brauchen Handlungsspielraum• um selber mitdenken zu können• um dadurch die richtigen Entscheide fällen zu können• um die Arbeit so weit wie möglich den eigenen Bedürfnissen anpassen
zu können• um einer interessanteren und abwechslungsreicheren Tätigkeit nachge-
hen zu können• um sich weiterzuentwickeln.
Handlungsspielraum in den VorschriftenIn vielen Situationen müssen Mitarbeiter die richtigen Entscheidungen treffen. Da es letztendlich nicht möglich ist, jede Situation vorauszupla-nen und genaue Vorgaben zu machen, müssen die Mitarbeiter gewisse Handlungsspielräume haben, um auch nicht vorhergesehene Situationen zu beherrschen. Die Herausforderung für die Prozessgestaltung und Vorschriftenerstellung liegt darin, bei klarer Notwendigkeit die Spielräume einzuschränken (z.B. Punkt für Punkt auszuführende Handlungen bei Störungen) und nach Möglichkeit die Spielräume zu gewähren. Im System Eisenbahn mit den grossen Abhängigkeiten müssen insbesondere die Nahtstellen genau betrachtet werden.
Handlungsspielraum ist NICHT GLEICH InterpretationsspielraumDie Vorschriften müssen klar und eindeutig sein. Handlungsspielräume in den Vor-schriften werden bewusst gewählt und sind keine Folge unklarer Formulierungen.
InfoWeiterführende Infos zu Schritt 3Handlungsspielraum
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Entscheidungshilfe zur Definition von Handlungsspielräumen im Betriebsprozess
Muss der Prozess Schritt für Schritt immer gleich ablaufen?
Mitarbeiter befähigen, Ausbildung
Besteht die Gefahr, dass wichtige Schritte vergessen werden oder die Reihenfolge
nicht eingehalten wird?
wenig Spiel-raum, klare
Anweisungen,Handlungs-
regeln
(Kontrollfrage:Kann der Mensch mit dem
Prozess umgehen? Realistische Anforderungen?)
(Kontrollfrage:Gibt es gleiche/ähnliche
Situationen, die anderes Handeln erfordern?)
So viel Entscheidungsspielraum wie möglich. Zielregeln,
Prozessregeln, Handlungsregeln mit Spielraum
Handlungs-regeln
Handlungsre-geln, Check-liste, Training
Kann der Prozess auf eine anzuwendende Möglichkeit
reduziert werden?
Kann der Empfänger mit Unsicherheiten umgehen und auf ungewohnte Situationen
reagieren?
Nein
Nein
Nein Nein
Ja
JaJa Ja
InfoWeiterführende Infos zu Schritt 3Handlungsspielraum
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Verständlich • kurz• anschaulich• wenig Adjektive• keine Füllwörter• aktiv statt passiv• klarer Satzaufbau, kurze Sätze• positiv statt negativ• zeitgemässe Formulierung
Strukturiert • Allgemeines vor dem Besonderen, Grundsatz vor dem Detail• Abläufe in der zeitlichen Reihenfolge beschreiben• Ursache vor der Wirkung beschreiben• Rollen nach Handlungsbereichen gruppieren• direkt Betroffene vor indirekt Betroffenen berücksichtigen
Angemessen • sachlich richtig und so einfach wie möglich formulieren• Gleiches gleich, Ungleiches ungleich ausdrücken
Persönlich • wir stellen uns die Menschen vor, für die wir schreiben• dezenter Umgang mit Fremdwörtern• dezenter Umgang mit Superlativen
Infozu Schritt 4Schreiben der Vorschriften Auch für Vorschriften gelten die allgemein gültigen Sprachregeln
HinweisEs lohnt sich, genug Zeit in das Schreiben der Regelungen zu investieren. Wenn sich eine Regelung an 1'000 Personen richtet und jede Person fünf Minuten zusätzlich aufwenden muss, um den Sinn der Sätze zu verstehen, haben Sie bereits 5'000 Minuten, d.h. 84 Stunden oder zwei Wochen Arbeitszeit vernichtet!
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Schritt 4Schreiben der Vorschriften
Fragen: Wer sind die Anwender? Wie muss ich formulieren?
ZielDie Anwender verstehen die Vorschriften, es entstehen keine Missverständnisse.
Ziel wird erreicht durch• saubere Struktur• einfache, klare Formulierungen mit eindeutiger Aussage • Beachten der Sprachregeln• einheitlich verwendete und klare Begriffe• wenige und nur gebräuchliche Abkürzungen• Zuteilen der Aufgaben und Verantwortung zu den Funktionen• Einheit der Materie: alles zum Thema in einem Dokument• Einbezug der Anwender (z.B. Gegenlesen).
Zu beachten• Sprachregeln
Prüfkriterien• Wie verstehen die Anwender das Geschriebene?• Wie würden sie den Prozess ausführen?• Entspricht das Geschriebene den in Schritt 1 definierten Prozessen?• Sind die Begriffe definiert und werden sie einheitlich verwendet?
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In der Bereinigungsphase ist Folgendes wichtig:
• Grundsätzliche Differenzen erfordern möglicherweise eine Überprüfung ab Schritt 1, «Definieren der Produktionsabläufe und Inhalte»
• Die überarbeiteten Vorschriften müssen allenfalls noch einmal angehört werden oder in die Vernehmlassung kommen.
• Differenzen so weit wie möglich ausräumen.• Nicht ausgeräumte Differenzen müssen den Entscheidungsträgern
vorgelegt werden.• Die Angehörten sollten ein Feedback über die Ergebnisse von Anhörung
und Bereinigung erhalten.
Infozu Schritt 5Anhörung/Vernehmlassung Bereinigung
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Schritt 5Anhörung/Vernehmlassung
Fragen: Wie wird die Anhörung/Vernehmlassung durchgeführt? Wer wird einbezogen?
ZielGewährleistung der Qualität und Prüfung durch bisher nicht involvierte Stellen.
Ziel wird erreicht durch• Anschreiben der Stellen, die von der Vorschrift betroffen sind• selektiven Einbezug von Fachspezialisten• Einbezug der Ausbildungsstellen• Einbezug der Anwender• Einbezug allfälliger weiterer Partner• Überlegung, was wir von den Angehörten genau wissen wollen • Mitliefern der Überlegungen und der Soll-Ist-Analyse• Setzen eines vernünftigen Zeitrahmens• Einsatz von Fragebogen oder Feedbackformular• Bereinigung der Vorschriften.
Zu beachtenBei grösseren Projekten ist es sinnvoll, die Anhörung/Vernehmlassung in zwei Etappen durchzuführen:1. Etappe: die definierten Betriebsabläufe und Inhalte2. Etappe: die geschriebene VorschriftFür gewisse Vorschriften bestehen verbindliche Vorgaben, wer in die Anhörung einzubeziehen ist.
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Die Mitarbeitenden müssen die Produktionsabläufe und Inhalte sicher beherrschen. Die Ausbildung umfasst den gesamten Pro-duktionsablauf in Theorie und Praxis, wobei die Vorschriften ein Teil der theoretischen Grundlagen sind.
Infozu Schritt 6Ausbilden und Inkraftsetzen
MethodikFür den Erfolg der Ausbildung ist die Wahl der richtigen Methodik von zentraler Bedeutung. Die Wahl wird einerseits von der Art und vom Umfang der Neuerungen und andererseits von den Adressaten beeinflusst.
Mögliche Methoden:• Abgabe der Vorschrift zum Selbststudium• praktische Ausbildung• schriftliche Information mit Kommentaren • Kurs • Lernprogramm• usw.
Ausbildung
Die für die Ausführung der zu-geteilten Arbeiten notwendigen praktischen Fähigkeiten und Systemkenntnisse.
Sichere Ausführung der zugeteil-ten Arbeiten sowie das Verste-hen der Zusammenhänge.
Inhalt
Ziel
Praxis
Die für die Funktion notwendigen Inhalte der Vorschriften.
Die Vorschrift und deren Nutzen werden verstanden.
Theorie
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Schritt 6Ausbilden und Inkraftsetzen
Fragen: Wie werden die Anwender, die Ausbildner und die Vorge-setzten ausgebildet? Wie erfolgt die Information über die Ände-rungen?
ZielDie Vorschriften werden in Kraft gesetzt. Die Anwender beherrschen die Produktions-abläufe und Inhalte in ihrem Arbeitsumfeld sicher.
Ziel wird erreicht durch• Mitberücksichtigen der Ausbildung im gesamten Erstellungsprozess• Festlegen der Methodik für die Ausbildung und für die Ausbildungsinhalte• rechtzeitigen Einbezug der Vorgesetzten• rechtzeitige Ausbildung der Instruktoren • Wahl des Termins für die Inkraftsetzung, und zwar derart, dass vorgängig eine
Ausbildung durchgeführt werden kann• Aufheben nicht mehr aktueller Vorschriften (Vorschriften klar bezeichnen).
Prüfkriterien• Ist die Ausbildung rechtzeitig erfolgt?• Haben die Anwender die Dokumente erhalten?
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Infozu Schritt 7Anwenden und Überprüfen
Vorgesetzte • Kennt der Vorgesetzte die Ziele der Vorschriften?• Beobachtet der Vorgesetzte, ob Fragen von Mitarbeitenden oder Unsicherheiten in
der Ausführung auf Lücken oder Fehler in den Vorschriften bzw. auf mangelhafte Instruktion oder Ausbildung hindeuten?
• Prüft der Vorgesetzte, ob neue Prozesse zu unsicheren Handlungen führen?• Verfolgt der Vorgesetzte, ob Audits und Kontrollen über die neuen Prozesse allfäl-
lige Mängel in den Vorschriften oder in der Ausbildung zeigen?• Leitet der Vorgesetzte wichtige Feststellungen weiter, damit nötige Korrekturen
erfolgen können?
Anwender• Kennen die Anwender die Ziele der Vorschriften?• Haben die Anwender Klarheit über ihre Aufgaben?• Können die Anwender die Vorschriften so anwenden?• Sind allfällige Unsicherheiten oder Fragen ausgeräumt und geklärt?• Klärt der Anwender Unsicherheiten und Fragen mit dem Vorgesetzten?
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Schritt 7Anwenden und Überprüfen
Fragen: Wird der Produktionsablauf richtig ausgeführt, sind die Inhalte richtig verstanden worden? Gibt es Schwächen bei der Umsetzung? Verfügen die Anwender über die notwendigen Kennt-nisse? Waren die Vorgaben klar? Sind diese erfüllt worden? Sind die Vorgaben noch aktuell?
ZielSichere und korrekte Anwendung der Vorschriften.
Ziel wird erreicht durch• Kontrollen und Auditierung der Anwendung• Einholen von Feedbacks der Anwender• Analyse der Feststellungen• Untersuchung von Ereignissen auf allfällige Zusammenhänge mit den Änderungen.
Prüfkriterien• Ergebnisse von Beobachtungen und Audits• Entwicklung der relevanten Sicherheitskennzahlen• Hinweise auf Schwachstellen aufgrund der Feedbacks
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Infozu Schritt 8Weiterentwickeln
Gefahr veralteter Vorschriften
Manchmal werden Vorschriften in der Praxis nicht eingehalten, weil sie veraltet sind oder Handlungen vorschreiben, die so nicht oder nur schwer vorgenommen werden können.Solche Vorschriften müssen so rasch wie möglich geändert oder aufgeho-ben werden.
Begründung:Solche «informell» und mit stillschweigendem Einverständnis der Vorge-setzten ausser Kraft gesetzte Vorschriften setzen den Wert aller übrigen, noch gültigen Vorschriften hinunter («Weshalb soll ich diese Vorschrift einhalten, wenn ich die andere ja auch nicht einhalten muss?»).
Alle gültigen Vorschriften müssen eingehalten und durchgesetzt werden.
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Schritt 8Weiterentwickeln
Fragen: Ergibt sich aus Schritt 6 oder 7 Handlungsbedarf? Ändern sich Rahmenbedingungen? Sind die Vorschriften noch aktuell?
ZielDie Vorschriften sind stets aktuell und weisen keine Lücken oder Schwachstellen auf.
Ziel wird erreicht durch• rechtzeitige Anpassung an Änderungen• Beheben von bei Schritt 7 festgestellten Schwachstellen • Aktualität der Vorschriften und Aufheben nicht mehr aktueller Vorschriften.
Wichtig: Auch bei der Weiterentwicklung grundsätzlich wieder mit Schritt 1 beginnen und keine Handlungsspielräume ohne vertiefte Betrachtung einschränken (z.B. nach Ereignissen).
Prüfkriterien• Werden die Vorschriften in der Praxis angewandt?• Wie ist die regelmässige Überprüfung sichergestellt?• Sind die Vorschriften aktuell?
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Human Factor
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Obschon immer mehr Technik eingesetzt wird und viele Abläufe automatisiert werden können, zeigt es sich, dass damit die Anforderungen an die Menschen nicht ab-, sondern zunehmen. Routinearbeiten haben zwar abgenommen, dafür steigen die Anforderungen für die Bewältigung ausserordentlicher Situationen oder von Stö-rungen: • Der Mensch muss auf alle nicht vorhergesehenen Situationen richtig reagieren
können• Der Mensch ist beim Ausfall der Technik allein für die Sicherheit verantwortlich• Systemmängel müssen durch den Menschen ausgeglichen werden.
Diese Entwicklung zeigt sich auch in anderen Branchen (u.a. Luftfahrt, Kernkraft, Chemie).
Mensch ein Sicherheitsrisiko?In der Vergangenheit wurde der Mensch als Sicherheitsrisiko betrachtet.Mit Begründungen wie «80% der Unfälle werden durch menschliches Versagen ver-ursacht» wurde häufig versucht, den Menschen durch Technik zu ersetzen.
Diese Einschätzung wird durch die Wissenschaft widerlegt:• Vertiefte Analysen zeigen, dass menschliches Versagen häufig nur das letzte Glied
in einer Kette von fehlerhaften Entscheidungen und riskanten Bedingungen in der Arbeitsgestaltung ist. Diese Erkenntnis wird durch Ergebnisse von Ursachenanaly-sen bestätigt
• Die Technik kann den Menschen nicht vollständig ersetzen: Auch in hoch automa-tisierten Systemen ist für alle nicht vorhergesehenen Situationen und bei Störungs-fällen der Mensch zuständig
• Der Mensch bleibt somit ein wichtiger Teil im Produktions- und Arbeitsprozess• Die Anforderungen an den Menschen steigen mit zunehmender Komplexität und
zunehmender Automatisierung.
Vorschriften werden für Menschen mit ihren Stärken und Schwächen ge-schrieben. Die Vorschriftenersteller sollen deshalb auch über Human Factors Bescheid wissen.Der Mensch spielt jetzt und in Zukunft eine entscheidende Rolle für die Sicherheit.
Human FactorMensch und Sicherheit
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Stärken und SchwächenWir Menschen unterliegen Einschränkungen wie Ermüdung, Motivationsverlust oder Grenzen der Informationsaufnahme. Dafür haben wir Fähigkeiten, ohne die ein komplexes System nicht funktionieren kann: Wir sind flexibel und können uns an neue Gegeben-heiten anpassen, wir lernen Neues, können mit unvorhergesehenen Ereignissen umge-hen und aufgrund unserer Erfahrungen neue Lösungen für auftretende Probleme finden. Der Mensch irrt sich und macht Fehler. Diese wird man nie vollständig eliminieren kön-nen. Der Grund liegt darin, dass das Fehlverhalten den gleichen Mechanismen folgt wie erfolgreiches Verhalten (siehe Irrtümer und Fehldiagnosen, Seite 29). Es müssen deshalb bei der Arbeitsgestaltung Bedingungen geschaffen werden, die das Ausspielen der Stärken fördern und die Auswirkungen von Schwächen minimieren. Die Vorschriften sind ein Teil der Arbeitsgestaltung.
Human FactorStärken und Schwächen
Bedingungen, um die Stärken ausspielen zu könnenklar erkennbare Wer die Zusammenhänge kennt, kann mitdenken, antizipie-Zusammenhänge ren, vorausschauend handeln und Prioritäten richtig setzenHandlungs- Wer Handlungsspielräume hat, kann selber Situationen spielräume analysieren, die richtigen Entscheide treffen und auch im Ausnahmefall richtig handelnPraxis Wer im Ausnahmefall richtig reagieren soll, muss die notwendigen
Fähigkeiten im Regelfall trainieren und weiterentwickeln könnenHerausforderungen Wer sich weiterentwickeln soll, muss sich laufend neuen
Herausforderungen stellen könnenHinweis: Bei der Vorschriftenerstellung sind besonders die beiden ersten Bedingungen zu berücksichtigen.
Auswirkungen von Schwächen werden minimiert durch• technische Unterstützung • auf die Stärken ausgerichtete Arbeitsgestaltung• Einsatz von Checklisten• Ausbildung, TrainingGute Vorschriften sind ein wichtiger Beitrag zu einer auf die Stärken ausge-richteten Arbeitsgestaltung.
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Human FactorIrrtümer und Fehldiagnosen
Wie entstehen Irrtümer und Fehler?Irrtümer und Fehldiagnosen Menschen können nur beschränkt gleichzeitig eintreffende Informationen verarbeiten und müssen deshalb selektiv vorgehen:• Wir achten auf auffällige Informationen, auch wenn sie nicht die wichtigsten sind• Wir achten auf Informationen, die zuerst eintreffen – später eintreffende werden
weniger beachtet• Wir verwenden die Information, die da ist, und merken nicht, wenn Informationen fehlen• wir halten die Diagnosen für glaubhafter, die uns leichter einfallen und die wir uns
besser vorstellen können• Wir hören mit der Suche nach alternativen Möglichkeiten auf, wenn wir eine plau-
sible Möglichkeit gefunden haben• Wenn wir eine Diagnose getroffen haben, achten wir auf Informationen, die unsere
Meinung unterstützen, und ignorieren widersprechende Informationen• Wir suchen nach Erklärungen, die zu unserer Meinung passen.
Diese Tendenzen zur Informationsverzerrung verstärken sich bei starker Belastung wie Stress oder Ermüdung! Unter Belastung:• verengt sich das Gesichtsfeld: Wir nehmen weniger wahr, konzentrieren uns auf
wenige Informationen• vereinfacht sich unsere Denk- und Handlungsstruktur (schnell statt genau)• delegieren wir weniger, konzentrieren wir alle Informationen auf uns, obschon wir
diese unter Belastung schlechter verarbeiten können.
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Human Factor
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Human FactorRoutinefehler und Folgerungen
RoutinefehlerFehler hängen häufig mit Routine zusammen. Aber: Routine ist wichtig, ohne sie wären wir handlungsunfähig.• Merkmale der Routinehandlungen: weniger bewusste Aufmerksamkeit, weniger
Kontrolle, schwer umlernbar• Alte Routinen sterben extrem langsam.AufmerksamkeitRoutinefehler, Verwechslungen, Auslassen von notwendigen Schritten hat viel mit Aufmerksamkeit und Konzentration zu tun. Häufige Meinung: «Wenn die besser aufgepasst hätten, wäre das nicht passiert»! Damit wird aber vorausgesetzt, dass die eigene Aufmerksamkeit willentlich steuerbar sei. Wer genügend aufpasst, würde auch das bemerken, was wichtig ist. Beides stimmt nur bedingt.Die Konzentration unterliegt Einschränkungen, Dauerkonzentration ist nicht möglich.Einschränkungen sind: Müdigkeit, Sorgen, Trauer, Ärger, Schmerzen, Ablenkun-gen, Gestaltung der Umgebung. Aufmerksamkeit ist gerichtet auf das, was wir für wichtig und wahrscheinlich halten. Es zeigt sich dabei, dass gut ausgebildete und erfahrene Mitarbeiter die wichtigen und richtigen Informationen besser aufnehmen.
Folgerungen für die VorschriftenerstellungMenschliche Eigenschaften berücksichtigen und keine «unmöglichen» Dinge vor-schreiben (wie Dauerkonzentration, ständige Aufmerksamkeit, überfordernde Infor-mationsaufnahme). Ähnliche Abläufe und Handlungen entweder einheitlich regeln oder deutlich unterscheidbar machen.Vorsicht bei ÄnderungenBei Änderungen besteht das Hauptproblem nicht darin, das Neue zu lernen, sondern das Alte zu vergessen. Es zeigt sich insbesondere, dass in Stresssituationen früher gelernte oder trainierte Verhaltensweisen wieder hervorkommen, auch wenn u.U. inzwischen Jahre seit der Änderung vergangen sind (siehe Merkmale der Routine).Deshalb:• nicht ändern um der Änderung willen• keine bekannten und eingelebten Begriffe für etwas anderes verwenden• bei notwendigen Änderungen: Risiko beurteilen, wenn die frühere Arbeitsweise
angewandt wird, und entsprechende Massnahmen (z.B. Rückfallebenen) vorsehen.
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Links
Der vorliegende Leitfaden ist auf nachstehenden Links online verfügbar:
SBB http://sicherheit.sbb.ch/VorschriftenerstellungBAV http://www.bav.admin.ch/dokumentation/Grundlagen Fahrdienstvorschriften (FDV)VöV http://www.voev.ch (Extranet)
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