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Leichen reden nicht

Date post: 04-Jan-2017
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Chicago Band 16

Leichen reden nicht

Die wilden Zwanziger. In den USA herrscht Prohibition, doch eine ›tro­cken gelegte‹ Nation konsumiert mehr Alkohol als jemals zuvor. Für den Nachschub sorgen gut organisierte Gangsterbanden, gegen die die Polizei einen vergeblichen Kampf führt. Nicht zuletzt, weil auch sie oft mit am Alkoholschmuggel verdient. Die Sitten sind rau und ein Men­schenleben zählt wenig, wenn es um viele Dollars geht. Die Gangster­bosse unterhalten ihre Privatarmeen von Killern und leben selbst wie Könige.

In Chicago versucht der Privatdetektiv Pat Connor, nicht zwischen die Fronten zu geraten und trotzdem der Gerechtigkeit Geltung zu ver­schaffen. Um aber in diesem Haifischbecken zu überleben, muss man selbst auch die Zähne zeigen.

*

Als ich die Jalousien in meinem Apartment hochzog, kniff ich die Au­gen zusammen und blinzelte in die Sonne. Mir drängte sich die nicht ganz unbegründete Vermutung auf, dass heute wohl ein herrlicher Sommertag mit Temperaturen um fünfundzwanzig Grad zu erwarten war. Allerdings hielt sich meine Begeisterung für diesen Umstand in engen Grenzen. Ich fühlte mich nämlich eher wie ein verkaterter Bär, der gerade aus dem Winterschlaf erwacht war.

Dass ich kein Bär war, stellte ich bei einem Blick in den Spiegel fest und der vermeintliche Winterschlaf hatte meiner Erinnerung nach nur fünf oder sechs Stunden betragen. Aber verkatert war ich ohne Frage. Und zwar gehörig.

Es war nicht mein Tag. Als ich mich wusch, kam mir das Wasser verboten kalt vor. Die Seife flüchtete vor mir und landete in einer Zim­merecke. Schließlich fluchte ich, als ich mich beim Rasieren schnitt.

Der Kaffee änderte nicht viel an meinem bedauernswerten Zu­stand. Auf feste Nahrung verzichtete ich zugunsten einer Zigarette. Mein Magen nahm es mir nicht allzu übel, Er verdaute wohl noch die flüssige Nahrung, die ich in der Nacht zu mir genommen hatte. Ich erinnerte mich, dass das Angebot reichlich gewesen war. Wir hatten in geselliger Runde, die sich hauptsächlich aus Redakteuren und Repor­

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tern der Chicago Tribune zusammensetzte, in Brendons Geburtstag hineingefeiert. Einer der Höhepunkte bestand darin, dass Brendon eine Klotür des Speakeasys aushakte und an unseren Tisch schleppte. Es war ihm nur schwer auszureden gewesen, sie als Souvenir mit nach Hause zu nehmen.

Irgendwie schaffte ich es, mich tageslichttauglich herzurichten. Die Krawatte hielt mich am längsten auf, weil mir der Knoten nicht richtig gelingen wollte. Schließlich gab ich auf und nahm eine von den vorgebundenen, in die ich nur hineinschlüpfen musste. Dann schnapp­te ich mir meinen Hut und stiefelte die Treppen zum Erdgeschoss hin­ab.

Ich trat vor die Tür und hielt nach meinem Plymouth Ausschau. Ich konnte ihn nicht entdecken. Dann fiel mir ein, dass ich heute Nacht mit dem Taxi nach Hause gefahren war.

So weit, so gut. Aber mein Gedächtnis förderte noch etwas zutage: Brendon hatte

mich gestern Abend zu der Sauferei von zu Hause abgeholt. Mein Auto hätte also eigentlich vor der Tür stehen müssen. Dort stand tatsächlich ein Auto, aber dabei handelte es sich um den uralten Ford eines mei­ner Nachbarn.

Ich strapazierte meine grauen Zellen. Hatte ich den Wagen ges­tern irgendwo anders abgestellt, weil mein Lieblingsparkplatz besetzt war?

Nein. Hatte ich in der Nacht aus irgendwelchen Gründen noch ein paar

Fahrübungen absolviert? Nein. Trotzdem machte ich mir die Mühe, die Straße nach Norden und

Süden jeweils ein Stück entlangzugehen, dabei hielt ich nach meinem Plymouth Ausschau. Ich fand ihn natürlich nicht. Notgedrungen muss­te ich mich mit der Vorstellung vertraut machen, dass er gestohlen worden war.

*

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Wütend kehrte ich in meine Wohnung zurück und rief Betty im Büro an.

»Pat Connor, private Ermittlungen«, meldete sie sich. »Betty Mey­er am Apparat.«

»Hier ist Pat«, sagte ich. »Ich komme erst später ins Büro. Mein Auto wurde gestohlen.«

»Ihre Ausreden werden aber auch immer komplizierter, Pat«, meinte meine Sekretärin, deren Neigung zu mitfühlenden und trösten-den Worten mir hinlänglich bekannt war. »Warum sagen Sie nicht ein­fach, dass Sie noch immer zu betrunken sind, um hier einzutrudeln?«

»Weil mein Auto tatsächlich gestohlen wurde. Jedenfalls steht es nicht da, wo es stehen sollte.«

»Hatten Sie bisher nach einer Sauftour nicht eher das Problem, zwei Autos zu sehen, wo sich nur eines befand? Haben Sie gestern vielleicht eine neue Whiskeysorte ausprobiert, die das Gegenteil be­wirkt?«

Langsam wurde ich grantig. »An einen Wunderwhiskey glaube ich erst, wenn ich ins Büro komme und Sie wahrhaftig arbeiten sehe!«

»Dazu bedarf es keines Wunderwhiskeys. Ich habe vom vielen Tippen schon Schwielen an den Fingern.«

»Sprechen Sie vom Tippen auf der Remington, Betty? Ist das nicht die Schreibmaschine mit den vielen Spinnweben zwischen den Typen­hebeln?«

»Sie sind gemein, Pat«, beschwerte sich meine Bürokraft. Sie wechselte das Thema. »Was soll ich Mister Henderson sagen, falls er anruft?«

»Dass ich an seinem Fall dran bin«, knurrte ich. »Und erzählen Sie ihm bloß nichts von dem gestohlenen Wagen, sonst sucht er sich einen anderen Detektiv.«

Ich hängte den Hörer ein. Frank Henderson hatte mir den Auftrag erteilt, seinen Geschäftspartner zu überwachen. Das würde ohne Auto mehr als schwierig werden. Ein Grund mehr, in eigener Sache zu er­mitteln und den Plymouth schnellstmöglich zu finden.

*

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Die ganze Angelegenheit hatte mich ziemlich wach und völlig nüchtern gemacht. Ich klingelte bei Mrs. Stevens im Erdgeschoss. Wenn es ir­gendjemanden im Haus gab, der so gut wie alles mitbekam, was darin und auf der Straße vorging, dann war es die steinalte Witwe. Ich ging davon aus, dass sie über meinen Lebenswandel mehr wusste als ich selbst. Vermutlich war das der Grund, warum sie mich meistens so grimmig ansah. Man erzählte sich, dass ihr Mann noch als Trapper in den kanadischen Wäldern unterwegs gewesen war. Angeblich hatte er sie bei einem Besuch in Chicago aus einem Bordell herausgeholt, sie geheiratet, es zwei Jahre bei ihr ausgehalten und ihr in dieser Zeit zwei Kinder gemacht. Dann war er auf Nimmerwiedersehen erneut in der Wildnis verschwunden. Ich konnte den Kerl gut verstehen.

In der Wohnung war ein schlurfendes Geräusch zu hören, das sich näherte. Dann wurde die Tür geöffnet. Vor mir stand eine hagere Frau mit einer Habichtsnase und einer Armada von Lockenwicklern in dem grauweißen Haar. Sie trug einen zerschlissenen blauweiß gestreiften Morgenrock und breit ausgelatschte, gigantisch aussehende Pantof­feln. Entgegen ihren sonstigen Gewohnheiten begrüßte sie mich fast euphorisch und zeigte dabei ihre Zahnstummel.

»Ist das heute nicht ein wunderschöner Tag, Mister Connor? Ich denke, dass es mindestens dreißig Grad wird.«

Ich konnte ihre Euphorie nicht teilen. »Wirklich? Ich rechne eher mit Regen!«, gab ich ungehalten zurück. »Mein Wagen ist gestohlen worden. Haben Sie gestern Abend oder heute Nacht irgendwas Ver­dächtiges bemerkt?«

»Ihr Wagen? Gestohlen? Um Himmels willen, Mister Connor, Sie scherzen!«

»Es war mir selten so ernst mit einer Sache, Madam.« Sie wischte meinen Einwand mit einer Handbewegung beiseite.

»Mein seliger Mann war auch so einer wie Sie, Mister Connor. Weiber und Alkohol. Alkohol und Weiber. Wenn er mal wieder gehörig gebe­chert hatte, war er am nächsten Morgen stets mürrisch und konnte seine Sachen nicht wieder finden.«

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»Ich bin nicht mürrisch, sondern stocksauer«, stellte ich klar. »Und ich habe meinen Wagen auch nicht verlegt oder aus Versehen irgendwo eingebuddelt. Haben Sie nun etwas bemerkt oder nicht?«

Meine Beharrlichkeit schien ihr nicht zu gefallen. »Ich kümmere mich nicht um Dinge, die mich nichts angehen«, behauptete sie ver­schnupft.

»Das ist mir bekannt, Madam.« Ich versuchte es mit einer Schmei­chelei. »Jeder im Haus lobt Ihre vornehme Zurückhaltung. Aber könnte es nicht sein, dass Sie rein zufällig eine Beobachtung gemacht haben, die mit meinem Wagen zu tun hat? Sie wissen doch, der Plymouth, Baujahr 1924.«

»Ich kenne mich mit Autotypen nicht aus. Für mich sehen sie alle gleich aus.«

»Er steht meistens direkt vor dem Haus. Dort stand er auch ges­tern Abend.« Ob er in der Nacht, als ich mit dem Taxi gekommen war, dort auch noch gestanden hatte, wusste ich nicht. Ich hatte mich voll auf die nicht ganz einfache Aufgabe konzentriert, das Schlüsselloch der Haustür zu finden. Eine Aufgabe, die ich immerhin nach einiger Zeit zu meiner Zufriedenheit lösen konnte.

»Ist Ihr Wagen dieses ungepflegte Auto mit den Mauselöchern in der Beifahrertür?«

»Das sind keine Mauselöcher, sondern die Einschusslöcher einer Salve, die aus einer Tommy-Gun auf den Wagen abgefeuert wurde«, nahm ich meinen Wagen in Schutz. »Aber genau um diesen Wagen handelt es sich. War etwas damit?«

»Zwei Männer haben ihn sich angesehen.« »Was heißt das?« »Sie standen erst nur vor dem Wagen und rauchten, dann gingen

sie um ihn herum und schauten auch in das Innere.« »Was für Männer?« »Italiener, würde ich sagen. Finstere Kerle, denen man lieber nicht

im Dunkeln begegnen möchte.« Ich wurde hellhörig. »Na also, das ist doch schon mal was. Wann

war das?«

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»Gestern Abend gegen elf Uhr. Ich sah es rein zufällig und habe die Männer eine Weile vom dunklen Wohnzimmer aus beobachtet. Aber nach einer Weile sind sie wieder verschwunden. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, denn ich bin anschließend schlafen gegangen.«

»Sie waren mir eine große Hilfe, Madam«, sagte ich und tippte mir an den Hut.

Sie nickte knapp und schloss die Tür. Ich zündete mir eine Zigarette an und überlegte. Ich ging davon

aus, dass die Diebe Profis gewesen waren. Vielleicht hatten sie sich beobachtet gefühlt und waren deshalb später zurückgekehrt.

Ich fragte in der Nachbarschaft herum, aber außer Mrs. Stevens hatte niemand etwas Verdächtiges bemerkt. Dann ging ich zur Stra­ßenbahnhaltestelle.

*

Ich brauchte fast vierzig Minuten, um von der North Clark zur West Monroe zu kommen und musste in der Loop auf eine andere Linie um­steigen. Als ich endlich im Büro eintraf, murmelte ich Betty nur einen knappen Gruß zu und feuerte meinen Hut auf einen freien Gardero­benhaken. Dann begab ich mich an meinen Schreibtisch und gönnte mir einen Bourbon aus meiner Notreserve. Danach fühlte ich mich wie­der unternehmungslustiger.

Betty hatte mir zugeschaut und gewartet, bis ich mich in meinem Stuhl zurücklehnte. Jetzt stand sie auf und kam zu mir. Sie schob mir einen Zettel zu. Ich nahm ihn und las: 14 Uhr, White City, Chester's Ice & Coffee

Ich runzelte die Stirn. »Was soll das? Wollen Sie mich zu einem Eis einladen, Betty?«

»Solche Einladungen kann ich mir bei meinem kargen Lohn nicht leisten. Aber Sie müssen da hin.«

»Ich muss nirgendwo hin, Schätzchen. Von den Orten, zu denen wir uns alle gelegentlich bemühen müssen, mal abgesehen.«

»Doch, müssen Sie«, widersprach sie. »Henderson hat angerufen. Er hat zufällig gehört, wie sein Partner Shuster diesen Termin am Te­

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lefon vereinbarte. Henderson nimmt an, dass sich Shuster mit dem Un­bekannten trifft.«

Henderson & Shuster gehörte ein Ingenieurbüro und Henderson argwöhnte, dass Shuster heimlich zum Patent reife Unterlagen für eine Erfindung an einen Konkurrenten verkaufen wollte. Ich seufzte. Wenn ich Henderson als Klienten nicht verlieren wollte, würde ich Shuster in White City beschatten und Henderson anschließend Ergebnisse vorle­gen müssen. Normalerweise wäre das kein Thema gewesen. Ich hätte mich in meinen Wagen gesetzt und wäre hingefahren. Aber ich hatte keinen Wagen mehr.

»Haben Sie einen Fahrplan der Bus- und Straßenbahnverbindun­gen?«, fragte ich Betty.

Sie nickte, kramte in ihrer Schreibtischschublade und brachte mir das Teil.

Unwillig vertiefte ich mich darin, nachdem ich mir eine Lucky an­gezündet hatte. Der Vergnügungspark White City lag zwischen der 63rd Street und der South Park Avenue. Es fuhren mehrere Straßen­bahnlinien in die Richtung und ich entschied mich für die Clark-Wentworth-Linie, die auf der South Clark verkehrte. Bis zu einer Halte­stelle waren es vom Büro aus gut zehn Minuten Fußmarsch auf der West Monroe. In diesen sauren Apfel musste ich notgedrungen beißen. Ich ahnte dunkel, dass meine Fußsohlen in den nächsten Tagen noch einiges mehr zu leisten hatten, wenn mein Plymouth nicht schnell wie­der auftauchte.

Mir fiel niemand ein, der mir für ein paar Tage seinen Wagen zur Verfügung stellen konnte.

»Ich könnte Ihnen meinen Wagen ausleihen«, meinte Betty, als hätte sie meine Gedanken gelesen.

Ich steckte den Fahrplan ein und sah sie erstaunt an. »Ihren Wa­gen? Seit wann besitzen Sie denn ein Auto, Betty?«

Meine blondierte Bürodame lächelte honigsüß. »Ich sagte, ich könnte, Pat. Wenn ich bei Ihnen mehr Geld verdienen würde, könnte ich mir ein Auto leisten. Und wenn ich ein Auto hätte, würde ich es Ihnen unter Umständen leihen. Was halten Sie also von einer Lohner­höhung? Langfristig gesehen wäre das gut investiertes Geld.«

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Ich knirschte mit den Zähnen. »Das nennt man aus der Not ande­rer ein Geschäft machen, oder? Aber bei mir hat das keinen Sinn, Bet­ty. Wenn meine Finanzen dem Lake Michigan entsprechen würden, dann könnten Sie zu Fuß nach Kanada gehen.«

Betty zuckte mit den Schultern. Da sie eigentlich nichts Besonde­res zu tun hatte - ich neige zu der Einschätzung, dass sie in meinem Büro nie etwas Besonderes zu tun hat -, stand sie auf, nahm eine klei­ne Zinkkanne und begann damit die Blumen vor dem Fenster zu gie­ßen.

Den Blumen galt dabei der kleinste Teil ihrer Aufmerksamkeit. In erster Linie sah sie auf die West Monroe hinab und beobachtete den Verkehr. Wahrscheinlich sehnte sie den Feierabend herbei, damit sie sich in den Strom der Passanten einreihen konnte, die zu Straßen­bahn- und Bushaltestellen unterwegs waren oder einfach nur dahin­schlenderten und das schöne Wetter genossen.

»Gilt das Ihnen, Pat?«, fragte sie plötzlich. »Was ist los?«, wollte ich wissen. »Ein Polizeiwagen ist vor dem Haus vorgefahren und Lieutenant

Quirrer steigt gerade aus. Wahrscheinlich will er sich persönlich um den Diebstahl des Wagens kümmern und hat noch Fragen an Sie. Das finde ich aber aufmerksam von ihm. Sagen Sie nicht immer, Sie kön­nen ihn nicht ausstehen und er Sie auch nicht? Dann werden Sie ihm wohl Abbitte leisten müssen.«

»Quirrer?« Ich sprang auf und schaute aus dem Fenster. »Ja, es ist eindeutig Quirrer, sehen Sie«, sagte Betty und deutete

hinaus. Ich folgte der Richtung, die ihr Finger wies. Ohne Frage, dort un­

ten stand Captain Hollyfields vernagelter Untergebener in voller Mon­tur. Und aus dem Wagen kletterten gerade drei weitere Polizisten. Quirrer sah flüchtig zum zweiten Stock hinauf, wo sich unser Büro be­fand. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Da die Sonne ihn blendete, konnte Quirrer allerdings nicht viel erkennen.

Ich sah, dass Quirrer und die drei anderen Blechmarkengardisten die Revolvertaschen aufknöpften und die Waffen blank zogen. Quirrer

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machte eine Kopfbewegung in Richtung Haustür und der Trupp setzte sich in Bewegung.

Langsam kam mir die Sache mehr als spanisch vor. Betty rollte mit den Augen. »Gleich vier Polizisten und dann mit

gezogenen Warfen? Ein bisschen viel Aufwand für Ihren Plymouth, oder?«

»Entschieden zu viel Aufwand!«, gab ich zurück. »Im Übrigen bin ich noch gar nicht dazu gekommen, der Polizei den Diebstahl zu mel­den. Und Autodiebstahl fällt sowieso nicht in Quirrers Zuständigkeits­bereich.«

Ich war mir ziemlich sicher, dass Quirrers Einsatz mir galt. Und ich wusste auch, dass der Lieutenant nicht höflich klopfen, Betty seine Vi­sitenkarte geben und um eine Audienz nachsuchen würde. Ich sprin­tete zu meinem Schreibtisch, nahm den 38er an mich und schnappte mir dann den Hut.

»Erzählen Sie ihm, Sie hätten mich heute noch nicht zu Gesicht bekommen«, rief ich Betty zu und hatte den Türknauf schon in der Hand. »Halten Sie ihn und die anderen Kerle ein paar Minuten auf. Aber lassen Sie Quirrer nicht herumstöbern, wenn er keinen Durchsu­chungsbefehl hat. Und er soll seine klebrigen Finger von meinem Whiskey lassen!«

Ich rechnete damit, dass Betty sich widerspenstig verhalten und sich ohne Lohnerhöhung für Sonderleistungen nicht zuständig erklären würde. Aber sie sagte nur: »Wird gemacht, Pat.«

Offenbar empfand sie die Angelegenheit als willkommene Unter­brechung ihres langweiligen Büroalltags.

*

Ich winkte Betty zu, trat auf den Flur hinaus und schloss leise die Tür. Vom Treppenhaus her hörte ich die schweren Stiefeltritte von Quirrer und den Seinen. Sie verharrten vor dem Lift. Offenbar war Quirrer zu faul, die Treppe zum zweiten Stock hinaufzustürmen. Mir konnte das nur recht sein.

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Ich bewegte mich leise in Richtung Treppenhaus. Aber dann über­raschte mich Quirrer mit seiner polizeilichen Routine. Den Geräuschen zufolge - einem leisen Murmeln, gefolgt von Stiefeltritten auf der Trep­pe - hatte sich der Lieutenant entschlossen, mir beide Fluchtwege ab­zuschneiden und zwei seiner Leute angewiesen, zu Fuß nach oben zu gehen.

Ich überlegte flüchtig, mich ein oder zwei Stockwerke weiter oben zu verstecken. Aber die Gefahr, dass sie mich hörten, war zu groß. Als ich noch Polizist war, hätte ich mit einer solchen Flucht gerechnet und mich nicht hereinlegen lassen.

Leise fluchend sah ich mich um. In mein Büro zurückzukehren, kam nicht in Frage. Dort wäre ich gefangen wie in einem Fuchsbau. Also blieb nur das Maklerbüro von Hopkins & Abernathy auf der gege­nüberliegenden Seite des Korridors.

Ich eilte den Korridor zurück und trat ein, ohne anzuklopfen. Leise schloss ich die Tür hinter mir und lauschte dabei mit einem Ohr in Richtung Korridor. Noch war von Quirrer und seinen Leuten nichts zu hören, aber das würde sich bald ändern.

Eine ältliche und etwas verkniffen wirkende Frau mit einer bern­steinfarbenen Hornbrille saß hinter einer Schreibmaschine und sah mich missbilligend an. Das war Miss Collins, der ich gelegentlich im Flur, im Treppenhaus oder im Lift begegnete und die sich mir gegen­über ziemlich hochnäsig verhielt.

»Man klopft an, bevor man ein fremdes Büro betritt!«, wurde ich von ihr gemaßregelt. Sie wirkte dabei streng und unnachgiebig wie eine Lehrerin, die bereits den Rohrstock in der Hand hielt und ihn für das Vergehen auch zum Einsatz bringen würde.

»Ich konnte es einfach nicht mehr ohne Sie aushalten, Schätz­chen«, erwiderte ich und bemühte mich dabei, nicht zu laut zu spre­chen.

»Was soll das heißen?«, fragte sie zugeknöpft. Ihrer spröden Ansprache und ihrer verkrampften Haltung entnahm

ich, wie unvorstellbar es für sie war, dass ein Mann es ohne sie nicht mehr aushalten konnte. Ich muss allerdings zugeben, dass es für mich ebenfalls unvorstellbar war.

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»Wann haben Sie Mittagspause?«, raunte ich ihr verschwörerisch zu.

»Erstens wissen Sie das genau und zweitens wüsste ich nicht...«, begann sie.

»Pscht!«, unterbrach ich sie. »Nicht so laut. Mister Abernathy muss schließlich nicht hinter unser kleines Geheimnis kommen, oder?«

»Wir haben kein kleines Geheimnis, Mister Connor und werden auch keines haben!«, gab sie entschieden zur Antwort, senkte dabei aber wie gewünscht die Stimme. Vermutlich war ihr in den Sinn ge­kommen, dass Abernathy tatsächlich auf schrecklich falsche Gedanken kommen musste, wenn er sie hörte.

Draußen polterten schwere Schritte. Dann wurde die Tür zu mei­nem Büro aufgerissen und Quirrers Spießgesellen drängelten sich hin­ein. Ich hörte die laute Stimme von Betty, die sich ganz souverän das unhöfliche Eindringen verbat. Dann fügte sie hinzu: »Als Detektivbüro haben wir einen guten Ruf zu verlieren, Lieutenant. Ich muss Sie ent­schieden um ein dezenteres Benehmen bitten!«

Gleichzeitig hörte ich das Trippeln von Damenschuhen und dann wurde die Tür heftig ins Schloss geschlagen.

Ich war angemessen beeindruckt. So viel Umsicht hätte ich Betty nicht zugetraut. Manchmal war sie eben doch zu mehr als gelangweil­tem Herumsitzen und Nörgeln zu gebrauchen.

»Sie haben offensichtlich Besuch bekommen und sollten sich um Ihre Gäste kümmern«, zischte Miss Collins mir zu.

»Famose Idee, Schätzchen«, lobte ich. »Alles Weitere bereden wir dann während der Mittagspause.«

Ich hielt es tatsächlich für eine gute Idee, mich möglichst schnell zu verdünnisieren. Quirrers Intelligenz schätzte ich nicht sonderlich hoch ein und ich bezweifelte, dass er auf die Idee kommen würde, bei Hoskins & Abernathy nach mir zu suchen. Aber man konnte nie wis­sen. Stimmen, die aus dem Maklerbüro kamen, konnten ihn stutzig machen.

»Was wollen Sie mit meiner Angestellten in der Mittagspause be­reden, Mister Connor?«, fragte die nölende Stimme eines Mittvierzigers mit nur noch spärlichem Haarwuchs, der in der Verbindungstür zwi­

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schen dem Vorzimmer und den hinteren Büroräumen stand. Er musste sich herangeschlichen und die Tür sehr leise geöffnet haben, denn weder Miss Collins noch ich hatten sein Erscheinen bemerkt.

Miss Collins zuckte förmlich zusammen und saß dann völlig er­starrt an ihrer Schreibmaschine. Sie sah aus wie ein begossener Pudel.

Ich nickte dem Kerl, der vergeblich versuchte, seinen Kugelbauch unter einem feinen dunkelblauen Nadelstreifenanzug zu verstecken, zu. »Hallo, Mister Abernathy. Das sind aber prima leise Sohlen, die Sie haben. Spezialanfertigung?«, äußerte ich freundlich interessiert und fuhr dann fort: »Miss Collins soll einen Tipp abgeben, wie die White Socks gegen die Yankees spielen.« Ich wusste, dass ich mich nicht mehr lange aufhalten durfte und war schon auf dem Sprung. »Ihr Tipp hat mir schon mal Glück gebracht. Wollen Sie nicht auch einen Tipp wagen, Mister Abernathy?«

»Ich interessiere mich nicht für Baseball. Ich meine, ich erwähnte das schon mal Ihnen gegenüber.«

»Nicht? Das ist aber schade.« Ich tippte mir an den Hut. »Bis zum nächsten Mal. War schön, mit Ihnen geplaudert zu haben. Das sollten wir uns öfters gönnen. Aber jetzt muss ich los.« In Richtung Miss Col­lins fügte ich hinzu: »Bis nachher, Schätzchen.«

Ich öffnete die Tür so leise wie möglich, schlüpfte hinaus und schloss die Tür genauso leise. Aus dem Maklerbüro hörte ich Miss Col­lins' weinerliche Stimme: »Ich schwöre Ihnen, das hat wirklich nichts zu bedeuten, Mister Abernathy. Er sagt immer Schätzchen zu mir. Ich kann nichts dagegen machen.«

Ich grinste in mich hinein. Arme Miss Collins. Ganz unschuldig war sie in den Verdacht geraten, sich auf unkeusche Art mit dem verruch­ten Privatdetektiv Pat Connor abzugeben. Oder sollte ich angesichts dieses ungeheuerlichen Verdachts besser mich selbst bedauern?

Aus meinem Büro kamen ebenfalls Stimmen. Quirrer hatte sich wohl davon überzeugt, dass ich nicht anwesend war und wollte mit seinem Rollkommando abziehen. Aber Betty hielt ihn auf und verlang­te, dass er ein Protokoll über sein plötzliches Eindringen unterzeichne­te. Widerwillig musste ich zugeben, dass sie ihre Sache wirklich ausge­zeichnet machte. Quirrer schien sich auf ihre Forderung einzulassen,

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was mich wenig überraschte. Der Lieutenant war der richtige Mann für Protokolle, ob nun eigene oder andere.

Natürlich wartete ich die weitere Entwicklung der Dinge nicht ab, sondern pirschte zum Treppenhaus und schlich dann auf Zehenspitzen die Treppe hinunter. Erst ein Stockwerk tiefer gab ich meine Zurück­haltung auf und eilte unbehelligt die restlichen Stufen hinab auf die Straße.

*

Ich drückte eine Lucky aus der Packung, zündete sie an und inhalierte tief. Dann fädelte ich mich in den Strom der Fußgänger ein und ging zügig die West Monroe in Richtung South Clark hinab. An einem Kiosk kaufte ich mir die Tribune und überflog den Lokalteil. Zu meiner Er­leichterung fand ich keinen Artikel über einen Privatdetektiv Pat Con­nor, nach dem die Polizei fahndete. Aber das musste nicht viel heißen.

Ich faltete die Zeitung zusammen und warf sie in einen Papier­korb. Bei der Gelegenheit schaute ich zu dem Sandsteingebäude zu­rück, in dem sich mein Büro befand. Ich entdeckte Quirrer und die anderen drei Komiker. Sie hatten ihre Revolver wieder eingesteckt und stiegen gerade in ihr Fahrzeug.

Ich sah auf die Uhr. Es war erst kurz nach elf. Zu früh, um schon zur White City zu fahren. Ich entschied mich, mir ein Speakeasy zu suchen, etwas zu trinken und Hollyfield anzurufen. Schließlich wollte ich wissen, was Quirrers Aktion zu bedeuten hatte. Dass er mit seinen Jungs zu einem Smalltalk bei Bourbon und Zigaretten vorbeigekom­men war, konnte ich mir nicht so recht vorstellen.

Ich kann nicht behaupten, dass Whiskey mir nicht schmeckt. Wenn ich beruflich oder aus anderen Gründen gezwungen bin, den einen oder anderen Bourbon herunterzukippen, muss ich mich dabei nicht sonderlich quälen. Trotzdem ist es eine Tatsache, dass ich in unmittelbarer Nähe meines Büros zwar eine heimliche Einkaufsquelle für den alkoholischen Hausbedarf, aber kein Speakeasy kenne. Norma­lerweise setze ich mich in meinen Wagen und fahre eine der mir be­kannten Auftankstationen an. Aber heute war alles anders.

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Ich warf einem einbeinigen Bettler, der laut seinem handgemalten Pappschild ein Veteran des Großen Krieges war, einen Quarter in seine Mütze und fragte: »Gibt es in der Nähe ein Speakeasy, Sportsfreund?«

»Nächste Straßenecke, im Eckhaus. Das Möbelgeschäft Cosgro­ve's, Eingang in der La Salle. Das Passwort lautet ›Abteilung für Spezi­alanfertigungen‹. Danke für die Spende, Mister.«

»Das Bein im Krieg verloren?« »Ja, in Belgien, bei Ypern.« Das Kerlchen sah mir eine Spur zu pfiffig aus. »Glaube ich Ihnen

nicht.« Der Bettler grinste. »Womit Sie Recht haben. Ich hab das Bein nur

hochgebunden und unter der Hose versteckt. Man muss den Leuten heute was bieten für ihr Geld.«

»Gewinnen die White Socks gegen die Yankees?« »Selbstverständlich.« »Und Ihre wahre Meinung?« »Im Leben nicht.« Ich nickte ihm zu und ging weiter. Cosgrove's erwies sich als eines

von mindestens zehn kleinen Geschäften in dem achtstöckigen Eck­haus. Normalerweise hätte ich den Laden übersehen, denn Möbel inte­ressieren mich nicht besonders. Von Betten mal abgesehen, in denen verführerische Ladies liegen.

Dass die paar Sessel, Kleiderschränke und Kommoden, die im Ausstellungsraum zu sehen waren, den Laden nicht am Laufen halten konnten, war mir sofort klar, als ich eintrat. Ein mondgesichtiger Kerl mit peniblem Mittelscheitel kam auf mich zu, strahlte mich an und rieb sich dabei die Hände. Vielleicht verwechselte er mich mit dem Chefein­käufer von Wrigley's und erhoffte sich den Auftrag, eines der achtzehn Stockwerke des Twin Building an der Michigan Avenue mit neuen Ses­seln aus zu staffieren.

»Ich habe etwas Dringendes in der Abteilung für Spezialanferti­gungen zu erledigen«, ließ ich ihn wissen.

Seine Enttäuschung hielt sich in Grenzen. Er strahlte weiterhin. Of­fenbar hatte er einen guten Eindruck von mir. Wenn ich schon nichts mit Kaugummis zu tun hatte, wirkte ich wohl zumindest trinkfest.

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»Aber gerne, Mister.« Er zeigte zu einer Tür, auf der NO ENTRY! stand. »Da geht's lang.«

Wie ich feststellte, handelte es sich um eine Doppeltür. Die zweite Tür war abgepolstert. Ich trat ein und sah mich kürz um. Das Spea­keasy war ganz passabel, fast gemütlich. Zu diesem Eindruck trug das Inventar bei, das größtenteils aus ordentlichen, wenn auch höchst un­terschiedlichen Polsterstühlen und Sesseln sowie Tischen bestand. Ich nahm an, dass es sich um Cosgroves Ladenhüter handelte, die einer sinnvollen Verwertung zugeführt worden waren. Die beiden hohen, aber extrem schmalen Fenster ließen nur wenig Tageslicht ein. Etliche Stehlampen, die wohl auch Cosgroves Sortiment entstammten, mach­ten das Manko wett. Sie waren hoch genug, dass sich ein Flamingo unter dem Schirm verstecken konnte.

Alles in allem machte der Schuppen den Eindruck, früher als La­gerraum für Cosgrove's gedient zu haben. Was hier jetzt gelagert wur­de, roch um einiges aromatischer als Leder und Möbellack. Und man brauchte keine Möbelpacker, um die Ware umzuschlagen. Das besorg­ten die Kehlen der Typen, die sich hier vollaufen ließen.

Von denen gab es knapp zwanzig und die meisten hatten sich in die Polsterstühle und Sessel gefläzt. Ich zog die Bar in der Ecke des Raumes vor und ließ mich auf einem Barhocker an der Theke nieder. Das Telefon hatte ich schon entdeckt. Es hing rechts von der Bar.

Ich bestellte beim Bartender einen Bourbon und steckte mir eine Zigarette an. Während ich rauchte und den Whiskey trank, überdachte ich kurz die Situation.

Ich musste meinen Wagen als gestohlen melden. Da sich zwei Giovannis für den Plymouth interessiert hatten, konnte ich nicht darauf hoffen, dass ihn ein Gelegenheitsdieb geknackt, für eine Spritztour benutzt und dann irgendwo abgestellt hatte. Mit anderen Worten, ich rechnete nicht damit, dass die Blechmarkenjungs den Wagen finden würden. Vielleicht hatten die Gangster inzwischen das Nummernschild ausgetauscht, die Einschusslöcher dicht gespachtelt oder die Tür aus­getauscht, den Wagen am Ende sogar neu lackieren lassen.

Was den Plymouth für sie interessant machte, wusste ich nicht. Es gab größere und neuere Autos. Aber vielleicht reichten den Gangstern

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ein paar hundert Dollar, die der Wagen beim Weiterverkauf bringen würde.

Alles in allem war mir klar, dass ich mich selbst um die Sache kümmern musste. Das würde Zeit und mein eigenes Geld kosten. Um­so wichtiger war es, dass ich in der Sache Henderson/Shuster am Ball blieb, damit wieder Geld in die Kasse kam.

Am wichtigsten erschien mir allerdings die Frage zu sein, warum Quirrer mit seinem Rollkommando in meinem Büro aufgetaucht war. Von den üblichen kleinen Gesetzesübertretungen mal abgesehen, zu denen mein derzeitiger Zeitvertreib gehörte, war mir aus jüngerer Zeit nichts in Erinnerung, was die Blechmarkenjungs auf den Plan rufen konnte. Ich entschloss mich, diese Sache sofort zu klären.

*

Ich trank den letzten Schluck Bourbon, bestellte neu und ging zum Telefon. Ich nannte der Vermittlung Hollyfields Nummer.

»Police Department Chicago, Captain Hollyfield«, kam es aus dem Hörer.

»Pat Connor«, meldete ich mich. »Hören Sie, Captain, warum ha­ben Sie Quirrer und seine Jungs auf mich losgelassen? Sie wissen doch, dass ich denen ganz bestimmt keinen Whiskey spendiere.«

»Sie haben vielleicht Nerven, bei mir anzurufen, Connor!«, bellte Hollyfield aufgebracht.

»Wieso Nerven?«, fragte ich unschuldig. »Ich fand es nicht son­derlich aufregend, mich mit Ihnen verbinden zu lassen. Es war eigent­lich wie immer. Was ist denn los? Ist Ihr Büro abgebrannt? Ihre Stim­me klingt so rauchig.«

»Ja, machen Sie sich nur lustig darüber! Das Ganze wird Sie noch teuer zu stehen kommen! Mit dieser Sache haben Sie es endgültig zu weit getrieben! Ich hätte eben auf Lieutenant Quirrer hören sollen. Der hat Sie frühzeitig durchschaut und mich immer wieder vor Ihnen ge­warnt.«

Ich zermarterte mir das Hirn. War ich heute Nacht irgendwie mit Hollyfield oder Quirrer aneinander geraten und hatte einem der beiden

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eins auf die Nase gegeben? Ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern, in eine Schlägerei verwickelt gewesen zu sein.

»Wovon reden Sie überhaupt, Captain?« »Wovon ich rede? Ihre Dreistigkeit nehme ich Ihnen ganz persön­

lich übel, Connor! Ich rede von dem Einbruch bei Carson's und den ge­stohlenen Pelzmänteln im Wert von mehr als zehntausend Dollar! Ihr Wagen stand vor dem Geschäft und wurde von Zeugen eindeutig iden­tifiziert. Darin wurde die Beute abtransportiert. Von Iren. Auch das wurde von Zeugen bestätigt und es gibt Beschreibungen der Täter. Eine davon könnte durchaus auf Sie zutreffen.«

»Mein Wagen ist gestern Abend gestohlen worden.« Hollyfield lachte heiser und verschluckte sich fast daran. »Kom­

men Sie mir doch nicht mit solchen Ammenmärchen, Connor! Wann haben Sie den Wagen als gestohlen gemeldet? Gestern Abend? Heute früh?«

»Überhaupt noch nicht. Ich habe zunächst auf eigene Faust ermit­telt.«

Hollyfield lachte erneut. »Fällt Ihnen nicht selbst auf, wie un­glaubwürdig das klingt? Ich hätte Ihnen wirklich eine intelligentere Geschichte zugetraut. Was Sie da erzählen, würde selbst dem dümms­ten Ganoven die Schamesröte ins Gesicht treiben.«

Mir reichte es jetzt. »Verdammt noch mal, Captain«, fluchte ich ins Telefon. »Ich glaubte bisher immer, wir beide wüssten, was wir von­einander zu halten haben. Und plötzlich halten Sie mich für einen billi­gen Eierdieb?«

»Pelzdieb, Connor, nicht Eierdieb! Zehntausend Dollar! Das ist kein Pappenstiel und dürfte auch bei Ihnen eine Hausnummer sein, oder? Ist Ihnen die Sache angetragen worden, oder war es Ihr eigener Plan?«

»Ich mag meine Fehler haben, Captain«, knurrte ich, »aber ich bin gern Privatdetektiv und schmeiße den ganzen Krempel nicht hin, weil irgendwo ein paar Riesen winken! Aber nehmen wir mal an, ich wäre schwach geworden und hätte darauf gesetzt, dass es nicht heraus­kommt. Glauben Sie im Ernst, dass ich dann mit meiner eigenen Karre vor Carson's in der Michigan Avenue vorgefahren wäre? Warum un­

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terstellen Sie mir nicht gleich, bei Carson's einen Zettel hinterlassen zu haben, auf dem steht: ›Vielen Dank für die Pelze. Pat Connor, private Ermittlungen‹.«

Hollyfield schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Haben Sie ein Ali­bi?«

»Ich war bis in die Nacht hinein mit Freunden von der Tribune zu­sammen.«

»Wo? In der Redaktion?« »Nein, anderen Ortes.« »Welchen Ortes?« »Das geht die Polizei nichts an.« »Dann haben Sie kein Alibi«, stellte Hollyfield fest. »Was ist heute los mit Ihnen, Captain? Bisher kannte ich Sie im­

mer als jemanden, der nicht mit einer Blechmarke, sondern mit einem eigenen Gehirn denkt.«

Hollyfield machte wieder eine kleine Pause und schien die Sache zu überdenken.

»Eigentlich dürfte ich mir Ihr Geschwätz gar nicht anhören«, sagte er dann. »Wenn Sie noch einen Funken Ehrgefühl besitzen, dann stel­len Sie sich. Ich verspreche Ihnen eine faire Behandlung. Was müssen Sie denn bei einer Gegenüberstellung mit den Zeugen befürchten, wenn Sie keinen Dreck am Stecken haben?«

»Für manche Leute sehen alle Iren gleich aus. Mir geht es umge­kehrt auch so, wenn ich Giovannis identifizieren muss.«

»Das ist kein Argument, Connor.« Das wusste ich selbst. Aber ich hatte keine Lust, mich auf Gedeih

und Verderb der Polizei auszuliefern. »Wir haben beide schon an Fällen gearbeitet, in denen Indizien auf einen vermeintlichen Täter verwie­sen, während der wahre Täter sich ins Fäustchen lachte. Für mich ist ganz klar, dass mir irgendjemand etwas anhängen will und aus diesem Grund meinen Wagen gestohlen hat. Und ich ziehe es vor, in Freiheit zu bleiben, um meine Unschuld selbst zu beweisen.«

Mit diesen Worten hängte ich ein.

*

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Ich kehrte an die Bar zurück, gönnte mir einen neuen Glimmstängel und widmete mich meinem Whiskey. Das Auto gestohlen, im Fall Hen­derson/Shuster auf Bahnen, Busse und Taxis angewiesen - und jetzt auch noch auf der Fahndungsliste der Plattfüße.

Offenbar hatte es irgendjemand darauf abgesehen, mir Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Wer konnte das sein? Der Iceman, die rechte Hand des italienischen Gangsterbosses Il Cardinale Rigobello? Ich war ihm mehrfach auf die Füße getreten. Gleiches galt für Melcal­ve, der in gleicher Funktion die alltägliche Dreckarbeit für den irischen Gangsterboss The Jar O'Malley erledigte. Zu denken gab mir, dass offenbar italienische Gangster meinen Wagen gestohlen hatten, wäh­rend irische Gangster ihn für einen Einbruch bei Carson's benutzten. Ich wusste nicht, was ich davon zu halten hatte. Ich war ein zu kleines Licht, als dass sich die verfeindeten Syndikate verbündet hätten, um mir eins auszuwischen.

Blieb noch die Möglichkeit, dass sich das Ganze außerhalb der Syndikate abgespielt hatte. Mir war nicht bekannt, dass es kleinere Gangsterbanden gab, die sich aus Iren und Italienern zusammensetz­ten. Bei der Abneigung, die beide Volksgruppen füreinander empfan­den, erschien mir das auch wenig wahrscheinlich. Ganz und gar aus­schließen konnte ich es allerdings nicht. Vielleicht wollte sich irgendein kleiner Ganove, der sowohl italienische als auch irische Schurken kann­te, für irgendetwas an mir rächen und hatte sich den Plan ausgedacht, meinen Wagen für den Bruch zu benutzen. Oder das Ganze war purer Zufall: Die Einbrecher hatten einen geeigneten Wagen gesucht und waren dabei auf meinen Plymouth gestoßen.

Ich gewann den ziemlich entschiedenen Eindruck, dass Überle­gungen allein mir wenig helfen würden. Ich musste einfach herausfin­den, wo sich mein Wagen befand, wer ihn benutzt und warum er es getan hatte. Und dabei aufpassen, dass ich Quirrer und ähnlichen Fi­guren nicht in die Finger geriet.

Mir war klar, dass ich mich einstweilen weder in meinem Büro noch in meiner Wohnung sehen lassen durfte. Ersteres war kein Prob­lem. Bis auf meinen Flachmann mit dem Whiskey hatte ich alles Le­

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benswichtige bei mir. Und Betty würde zumindest halbtags im Büro die Stellung halten. Ich konnte mich telefonisch auf dem Laufenden hal­ten.

Aber ich musste für heute Nacht - und vielleicht für ein paar wei­tere Nächte - eine neue Bleibe finden. Ein Hotelzimmer war mir zu unsicher. Wenn Hollyfield wirklich Ernst machte, würden Polizisten zumindest stichprobenartig Hotels aufsuchen und sich nach einem 175 cm großen, 35 Jahre alten, schlanken Mann erkundigen, der rötliches Haar besaß, auch sonst ziemlich irisch aussah, Lucky Strike rauchte und sich ab und an für einen Bourbon erwärmen konnte.

Bei wem konnte ich untertauchen? Am liebsten wäre es mir gewe­sen, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und mich bei einer Lady einzuquartieren. Aber auf die Schnelle wollte mir keine ein­fallen. Die meisten Ladies, die ich kannte, hatten vielleicht Schäfer­stündchen, aber keine Schlafplätze zu vergeben.

Also blieb nur Brendon Smith, mein guter alter Freund von der Tri­bune. Ich ging zum Telefon und rief ihn in der Redaktion an.

»Hallo Geburtstagskind«, sagte ich, als er sich meldete. »Bist du inzwischen über den Verlust der Klotür hinweggekommen?«

»Klotür?«, fragte er. »Wovon redest du eigentlich, Pat?« »Du hast sie ausgehakt und wolltest sie unbedingt mit nach Hause

nehmen. Ist dir das entfallen?« »Du spinnst. Was sollte ich mit einer Klotür anfangen wollen?« »Weiß ich doch nicht. Heute Nacht hattest du offenbar sehr ge­

naue Vorstellungen, was du damit machen wolltest. Allerdings hast du sie uns nicht verraten.«

»Ich kann mich beim besten Willen nicht an die Sache erinnern, Pat. Falls du mir anbieten willst, eine andere Klotür zu organisieren, vergiss es. Was immer ich gestern behauptet haben mag - ich habe keinen Bedarf an solchen Dingern.«

Ich ließ das Thema fallen und erklärte ihm meine Situation. »Kein Problem«, sagte er. »Wenn dir das Sofa nicht zu unbequem

ist.« »Ich bin mit allem zufrieden, solange es sich nicht um eine Prit­

sche in einer Zelle handelt.«

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»Fein. Du weißt ja, wo ich wohne. Ab neun kannst du kommen. Dann bin ich zu Hause.«

*

Langsam wurde es Zeit, mich zur White City aufzumachen. Ich zahlte, nahm meinen Hut und kehrte durch das Möbelgeschäft auf die La Salle zurück. Mister Mondgesicht beachtete mich diesmal nicht, sondern strahlte ein älteres Ehepaar an, das sich für eine Kommode interessier­te. Offenbar wurden bei Cosgrove's ab und zu wirklich Möbel verkauft.

Als ich die West Monroe entlangging und die South Clark fast er­reicht hatte, hörte ich ein Bimmeln und sah dann den Straßenbahnwa­gen der Clark-Wentworth-Linie in Richtung Süden an mir vorbeifahren. Mir blieb nichts anderes übrig, als fünfzehn Minuten an der Haltestelle zu warten, bis der nächste Wagen auftauchte. Allerdings hatte ich mit solchen Widrigkeiten gerechnet und kam nicht in Zeitnot.

Inmitten eines Pulks von Müttern mit schreienden Blagen, älteren Kids, die übermütig herumalberten, mit Einkaufsnetzen, Papiertüten und Paketen beladenen Hausfrauen, weißhaarigen Senioren und nur wenigen Müßiggängern in meinem Alter enterte ich den Straßenbahn­wagen. Ich versuchte gar nicht erst, mir einen Sitzplatz zu erkämpfen, sondern blieb auf der hinteren Plattform. Als sich der Schaffner quer durch den Wagen zu mir durchgekämpft hatte, löste ich einen Fahr­schein bis White City.

Die Bahn bewegte sich die South Clark entlang, bog dann in die Wentworth Avenue ein und fuhr anschließend schnurgerade nach Sü­den. Ich gab es auf, die einzelnen Haltestellen oder die Zigaretten zu zählen, die ich während der Fahrt paffte. Wir passierten den Hardin Square, den Armour Square, den American Giants Park, auf Höhe der Union Stockyards den Füller Park und schließlich, allerdings zwei Quer­straßen entfernt, den Washington Park. An der Haltestelle Ecke 63rd stieg ich aus. Von hier aus waren es nur noch wenige Schritte bis zur White City.

Alles in allem war die Fahrt mit der Straßenbahn gar nicht mal so schlimm gewesen, wie ich befürchtet hatte. Was allerdings nicht be­

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deutete, dass ich auch nur entfernt in Erwägung gezogen hätte, mei­nem guten alten Plymouth - wenn er denn reumütig zu Herrchen zu­rückgekehrt war - untreu zu werden. Ich war darin oft genug hinter einem Straßenbahnwagen hergezockelt, weil es mir nicht gelang, das sperrige Ding zu überholen. Aber das Gefühl, am Steuer mein eigener Herr zu sein, war mir doch einiges wert.

*

Außer mir hatten noch andere Fahrgäste die Bahn an der 63rd verlas­sen, meistens Kids mit und ohne Begleitpersonen. Auch einige der Ker­le, die ich als Müßiggänger eingeschätzt hatte, befanden sich darunter.

Wir hatten das gleiche Ziel: White City. Während es den anderen um die Attraktionen des Vergnügungsparks ging, war ich aus berufli­chen Gründen hier. Was man mir hoffentlich nicht ansah. Nach außen hin bemühte ich mich, ebenfalls als Müßiggänger zu erscheinen, den die Arbeit nicht gerade in den Hintern kniff.

Ich schlenderte zu den weißen Gebäuden des Parks herüber und passierte den Parkplatz, auf dem Hunderte von Autos abgestellt wa­ren. Mich überkam Wehmut, als ich die vielen Blechlauben sah und unwillkürlich suchte ich die Reihen nach Plymouths ab. Ich entdeckte einige, aber meiner war nicht dabei.

Während sich die meisten Kids zu den Roller-Skating-Bahnen, den Karussells, den Penny Arcades und Candy Shops begaben, passierte ich Jackson's Circus, die Schießstände, zwei Tanzpaläste und Le-vanski's Hall, wo abends Preisboxer in den Ring kletterten und gegen Kandidaten aus dem Publikum antraten. Im Winter diente die Halle den Rollschuhläufern, die jetzt im Freien aktiv waren, als Domizil.

Es gefiel mir, dass viele Leute in den Cafés und Gartenlokalen sa­ßen oder zwischen den verschiedenen Attraktionen unterwegs waren. Das würde mir meine Aufgabe, Shuster zu beschatten, erleichtern. Ich schaute auf die Uhr. Zwanzig vor zwei. Es blieb mir noch Zeit. Ich schlenderte am Riesenrad vorbei, in dessen Gondeln nur wenige Leute saßen, erreichte Ruyter's Garden, wo abends im Freien getanzt wurde, passierte Buden, in denen chinesische Glückskekse, Doughnuts, india­

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nisches Maisbrot oder Hotdogs angeboten wurden. Bei der Hotdog-Bude blieb ich stehen und gönnte mir ein verspätetes Frühstück. Ne­benan nervte ein Kerl mit Pappnase, Riesenzylinder und einem Blue-Stripes-Clownskostüm mit seinem ›Chuck-a-luck-luck-luck‹-Singsang, mit dem er Leute zum Glücksspiel um ein paar Cents mit einem Rie­senwürfel überreden wollte.

Ich stopfte mir den Rest des faden Hotdogs im Vorübergehen in die Ladeklappe und stiefelte durch die Coffee Alley, in der sich ein Café an das andere reihte. Obwohl dies ein ganz normaler Arbeitstag war, tummelten sich auch hier in den Cafés und auf den Gartenstühlen da­vor Dutzende von Gästen. Manche Kerle trugen Geschäftsanzüge wie ich, andere helle Sommeranzüge, dazu Strohhüte und Fliegen, manche auch Breeches, geöffnete Hemden und Ballonmützen. Die Frauen, meistens ältere Semester mit Preisringerfigur, trugen hochgeschlosse­ne und wadenlange Kleider sowie Blumenhüte, einige wenige auch modische Topfhüte und Kleider, die nur knapp über die Knie reichten. Was diese Ladies an Fleisch sehen ließen, reizte mich jedoch wenig.

Ich entdeckte das Chester's Ice & Coffee, zündete mir eine Lucky an und inspizierte zunächst die Tische im Innern, wo eifrig Torte und Eis konsumiert wurde. Shuster war mir als magerer, nervöser End­zwanziger mit braunen, rechts gescheitelten Haaren und einer Nickel­brille beschrieben worden, der durch hektische Bewegungen auffiel. Ich entdeckte niemanden, auf den die Beschreibung hätte zutreffen können. Allein ein Kerl, der einen kaum angerührten Eisbecher vor sich stehen hatte und seinen Oberkörper weitgehend hinter einer aufge­schlagenen Zeitung verbarg, schien in Frage zu kommen. Als ich sei­nen Tisch passierte, drehte er die Zeitung so, dass er weiterhin dahin­ter verborgen blieb.

»He, Mister«, sprach ich ihn an. »Können Sie den Eisbecher emp­fehlen?«

Er ließ die Zeitung kurz sinken. Ein etwa vierzigjähriger Typ mit Halbglatze starrte mich ungehalten an. Wenn Shuster nicht über Nacht katastrophal gealtert, durch schlagartigen Haarausfall zu dem breiten Mittelscheitel gekommen war und seine Kurzsichtigkeit abgelegt hatte, konnte der Kerl mit ihm nicht identisch sein.

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»Ich bin kein Auskunftsbüro«, ließ er mich wissen und zog die Zei­tung wieder hoch.

Ich ignorierte die Antwort und hakte nach. »Gibt es in diesem La­den nur was für Milchbubis oder auch was für Männer?«

Diesmal blieb die Zeitung oben. »Verschwinden Sie.« Ein unhöflicher Zeitgenosse, so viel stand fest. Ich schwankte, ob

es sich nur um einen Flegel handelte oder ob er Gründe hatte, sich zu verstecken und Neugierige abzuwimmeln. Es mochte sich vielleicht um Shusters Kontaktmann handeln.

»Wenn Sie ein Loch in die Zeitung bohren, können Sie anderen Ih­ren Anblick ersparen und trotzdem alles beobachten«, machte ich ei­nen konstruktiven Vorschlag.

Er schnaubte nur und ich erlöste ihn von meiner Anwesenheit, be­vor er den Kellner rufen und sich über die Belästigung beschweren konnte. Wenn er wirklich auf Shuster wartete, durfte ich mir die Chan­ce nicht vermasseln, am Nachbartisch Platz zu nehmen.

Mein Problem wurde gelöst, als eine nicht mehr ganz taufrische, dafür gut genährte und pausbäckige Lady in das Café spazierte, sich kurz umblickte, den Kerl mit der Zeitung entdeckte und auf ihn zueilte. »Dicky, mein Schatz. Hast du lange auf mich warten müssen?«

Mr. Flegel ließ die Zeitung sinken, strahlte über beide Backen, stand auf und gab der Lady einen Kuss auf die Wange. »Das tu ich doch gern für dich, mein Zuckerpüppchen.«

Während das dralle Zuckerpüppchen sich setzte, schlenderte ich zum Ausgang. Es bedurfte keines besonderen detektivischen Scharf­sinns, um zu entscheiden, dass es sich bei der Lady keineswegs um Shuster handeln konnte. Entweder war sie Mr. Flegels Angetraute oder und das schien mir bei dem Herumturteln wahrscheinlicher, seine heimliche Geliebte. Vielleicht fürchtete er, von Bekannten gesehen zu werden und hatte sich deshalb hinter der Zeitung verschanzt. Ange­sichts des wenig attraktiven Zuckerpüppchens hätte ich ihm allerdings geraten, die Zeitung erst nach ihrem Erscheinen zu bemühen.

*

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Von den etwa zwanzig Tischen vor dem Café war gut die Hälfte be­setzt, die meisten von Frauen und Kindern. Ich entdeckte niemanden, der Shuster auch nur entfernt ähnlich sah. Ich schaute auf die Uhr. Kurz vor zwei. Allmählich musste der Kerl auftauchen und das galt auch für seinen Kontaktmann.

Ich hatte keine Ahnung, ob die beiden sich zum ersten Mal trafen oder bereits kannten. Wenn Letzteres zutraf, mochten sie sich am Ein­gang von White City begegnet sein und sich für ein anderes Lokal ent­schieden haben. Dann würde ich in die Röhre schauen. Womöglich hatte Shuster auch bemerkt, dass Henderson ihn belauschte und spä­ter einen anderen Treffpunkt ausgemacht. Dann schaute ich ebenfalls in die Röhre.

Eigentlich war der Auftrag von Henderson für einen Privatdetektiv eine Routineaufgabe: Man überwacht den Verdächtigen, sammelt be­lastendes Material und überlässt es dem Klienten, was er damit an­fängt. Es gab nur eine Besonderheit: Ich kannte den Klienten nicht persönlich. Henderson hatte mit mir telefoniert, mir seine Befürchtun­gen mitgeteilt, meine Bedingungen akzeptiert und den Vorschuss von einem Angestellten vorbeibringen lassen. Mir konnte das allerdings egal sein. Ich hatte mich anhand des Telefonbuches vergewissert, dass es das Ingenieurbüro Henderson & Shuster auf der North-Side tatsächlich gab und zweifelte nicht an Hendersons Bonität. Ich hätte den Burschen nur ganz gern persönlich in Augenschein genommen, um mir einen besseren Eindruck von ihm und seinem Verhältnis zu Shuster zu machen.

Meine Überlegungen wurden unterbrochen, als am Anfang der Coffee Alley ein Kerl mit Nickelbrille auftauchte. Mit eiligem Schritt und unverkennbar zielbewusst steuerte er auf Chester's zu.

Mager, Ende zwanzig, Nickelbrille, ein dunkelgrauer Anzug, ein ebenfalls grauer Velourshut mit schwarzem Band. Im Nacken und seit­lich des Hutes war braunes Haar zu sehen. Der Bursche vollzog unste­te Handbewegungen, als gelte es, die eine oder andere unsichtbare Fliege zu verscheuchen. Die Beschreibung war so präzise gewesen,

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wie man das bei einem Ingenieur erwarten durfte. Es konnte sich nur um Reginald Forrester Shuster handeln.

Ich nahm einen Zug von meiner Zigarette und tat, als würde ich noch überlegen, ob ich mir ein Eis gönnen sollte.

Shusters Blick streifte mich nur flüchtig. Dann wandte er sich den im Freien stehenden Tischen zu, akzeptierte den nächst besten, setzte sich, hibbelte nervös herum und winkte dem Kellner, als der am Ein­gang des Cafés auftauchte.

Ich schlenderte zum Nachbartisch und setzte mich so, dass ich Shuster im Auge behalten konnte, ohne ihn permanent anzustarren.

Der magere Bursche bestellte eine Tasse Kaffee und musterte erst jetzt der Reihe nach die anderen Tische, offenbar auf der Suche nach seinem Kontaktmann. Da er nicht fündig wurde, zuckte er mit den Schultern, kramte in seinen Taschen, holte eine Packung Pall Mall und Streichhölzer hervor und rauchte hektisch.

Derweil war der Kellner zu mir an den Tisch getreten. »Führen Sie verschiedene Kaffeesorten?«, fragte ich ihn. Der Bursche nickte. »Wir haben normalen Kaffee und Herrenkaf­

fee, Mister. Der Herrenkaffee ist stärker, aber ich kann nicht dafür garantieren, dass er heiß ist.«

»Bringen Sie mir einen Herrenkaffee«, gab ich zur Antwort. »Mit einem Eiswürfel, wenn Sie welche haben.«

»Kommt sofort, Mister.« Der Kellner rückte sein weißes Käppi mit dem rot aufgestickten

Namenszug Chester's gerade und trollte sich. Wenig später kam er mit einem Tablett zurück und stellte mir eine Tasse hin, auf deren Boden es um einen Eiswürfel herum goldbraun schwappte. Shuster bekam eine leere Tasse, die der Kellner am Tisch mit heißem Kaffee aus einer Kanne auffüllte. Die Kanne ließ er zum Nachschenken stehen.

Ich trank einen Schluck Herrenkaffee, zündete mir eine neue Ziga­rette an und wartete auf dasselbe wie Shuster: das Erscheinen seines Kontaktmannes. Um nicht Löcher in die Luft starren zu müssen, zog ich Bettys Fahrplan aus der Tasche und studierte die verschiedenen Bus- und Bahnlinien.

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Der magere Bursche saß keine Sekunde lang ruhig da. Mal wedel­te er mit der Zigarette in der Hand herum, als müsse er einem un­sichtbaren Gesprächspartner etwas erklären. Dann streckte er die Bei-ne aus, um sie im nächsten Moment wieder heranzuziehen und über­einander zu schlagen. Er fummelte mal in der einen und mal in der anderen Jackentasche herum, legte die Pall Mall-Packung und die Streichholzschachtel mal hierhin und mal dorthin. Man wurde selbst nervös, wenn man ihm zusah.

Plötzlich wurde aus der für ihn offenbar normalen Hektik extreme Hektik. Er sprang auf, winkte und zappelte wie ein Fisch herum, den man aus dem Michigansee gezogen und in ein Boot geworfen hatte.

Mir war klar, wem das galt. Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zu­rück, blinzelte in die Sonne und nahm einen tiefen Zug von meiner Zigarette. Als ich genug gesehen hatte, wandte ich mich wieder dem Fahrplan zu.

*

Ein schlanker, aber kräftiger Kerl war die Alley hinaufgekommen, zu Shusters Tisch gegangen und hatte sich dort niedergelassen. Als der Kerl den Hut abnahm und auf einen freien Stuhl legte, kam feuerrotes Haar zum Vorschein. Dass es sich um einen Iren handelte, hatte ich allerdings schon vermutet. Dass es sich um einen Gangster handelte, sagten mir die ordinäre Visage mit der mehrfach gebrochenen Nase und die Beule im Jackett, die sich genau an der Stelle befand, wo ich ebenfalls das Halfter mit der Waffe trug.

Ich kannte einige von Melcalves wichtigeren Leuten, dazu auch ei­nige Handlanger. Die meisten von denen waren mir schon mal in die Fäuste gerannt oder hatten selbst die Druckfestigkeit meines edlen Körpers, insbesondere der Weichteile, überprüfen wollen. Diesen Kerl hatte ich ebenfalls schon in Melcalves Nähe gesehen und ich zweifelte nicht daran, dass er zu O'Malleys Syndikat gehörte. Diese Burschen, wenigstens die höheren Chargen, trugen alle die gleiche Art von Zwirn und strahlten die gleiche freche Überheblichkeit aus. Obwohl der Kerl einen sorglosen Eindruck machte und sich wenig um seine Umgebung

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scherte, war ich froh, dass er nicht in meine Richtung schaute. Ich glaubte nicht, dass er sich mein Gesicht so gut gemerkt hatte wie ich mir das seine. Aber sicher war ich nicht.

Mir war klar, dass der vermeintliche Routinefall eine neue Dimen­sion gewonnen hatte. Henderson hatte nicht erwähnt, worum es bei seiner Erfindung ging. Was machte sie für Gangster interessant? In jedem Fall musste Shuster ein ziemlicher Dummkopf sein, wenn er sich mit dem Syndikat einließ. Vielleicht würde man ihm für die Überlas­sung der Papiere einen Preis gönnen, der weit unter dem wahren Wert der Erfindung lag. Vielleicht würde man ihm auch nur eine Kugel gön­nen.

Der Gangster ließ sich ebenfalls eine Kaffeetasse bringen und schenkte sich selbst aus der Kanne ein. Offenbar hatte er keinen wirk­lichen Durst, oder Melcalve duldete keinen kanadischen Kaffee bei der Arbeit.

Die beiden Männer unterhielten sich mit gedämpften Stimmen, aber keineswegs verschwörerisch. Ich konnte der Unterhaltung im Wesentlichen folgen. Da Ross und Reiter nicht genannt wurden, gab es für einen arglosen Zuhörer auch keinen Grund, hellhörig zu werden.

»Haben Sie die geschäftlichen Unterlagen dabei, Mister. Shuster?«, wollte der Ire wissen.

»Natürlich nicht, Mister Smith«, erwiderte der Zappelphilipp. »Die­se Papiere sind zu wertvoll, als dass ich sie durch die Gegend kutschie­ren möchte. Außerdem erwarte ich, dass zunächst der Vorschuss auf die geschäftliche Vereinbarung mit Ihrem Auftraggeber geleistet wird und die andere Bedingung erfüllt wird.«

›Mister Smith‹, der mit Sicherheit nicht so hieß, runzelte die Stirn. Man sah sofort, dass er seinen Kopf nicht unbedingt zum Denken hat­te. »Unsere Anwälte müssen die Unterlagen prüfen können, bevor wir die Moneten rausrücken.«

»Sie kennen den Ruf unserer Firma«, widersprach Shuster. »Das reicht nicht.« »Woher soll ich wissen, dass Sie sich an Ihre Zusagen halten?« »Mister Shuster...« Der Ire dehnte seine Worte und grinste. »Sie

kennen den Ruf unserer Firma, oder?«

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Shuster zappelte noch mehr herum als vorher. Es lief nicht in sei­nem Sinne und offenbar kannte er den Ruf der ›Firma‹ tatsächlich. Das machte ihn nervös.

»Ich übergebe Ihnen beim nächsten Treffen Teile der Unterlagen, die für eine Prüfung ausreichen, ohne entscheidende Details preis­zugeben«, sagte er schließlich. Mutig fügte er hinzu: »Aber nur gegen den vereinbarten Vorschuss.«

Mister Smith nahm es gelassen auf. »Ich werde es weitergeben und rufe Sie an.«

»Und was ist mit der anderen Bedingung?« Der Gangster zuckte die Achseln. »Das wird nach Ihren Wünschen

geregelt. Heute noch.« Er legte Geld für den Kaffee auf den Tisch, nahm seinen Hut und

verschwand. Shuster wartete eine Weile, rauchte und zappelte herum. Dann zahlte er und ging ebenfalls.

Ich war heilfroh, als Mister Zappelphilipp verschwunden war. Auch wenn er nichts dafür konnte: Der Kerl ging mir mit seinem Herum­zucken auf den Zeiger. Ihn heute noch weiter zu beschatten erschien mir sinnlos. Wahrscheinlich fuhr er zu anderen Zappelphilippen und zappelte mit ihnen gemeinsam herum. Ihn dabei zu beobachten würde mich nur irre machen, aber nichts bringen. Ich hatte genug gehört und gesehen, um Henderson zu bestätigen, dass sein Verdacht nicht aus der Luft gegriffen war. Außerdem konnte ich ihn vor Melcalves Leuten warnen. Henderson musste dann selbst entscheiden, ob ich am Ball bleiben oder die Polizei eingeschaltet werden sollte.

Die Entwicklung der Dinge gefiel mir. Wahrscheinlich konnte ich den Rest des Tages darauf verwenden, nach meinem Plymouth zu su­chen.

Ich trank meinen Kaffee aus, ging ins Innere von Chester's und suchte die Toilette auf. Bei der Gelegenheit entdeckte ich das Telefon. Ich schlug mein Notizbuch auf, fand Hendersons Nummer und rief ihn an.

*

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»Ich habe schon auf Ihren Anruf gewartet«, begrüßte er mich, als ich mich gemeldet hatte. »Haben Sie etwas herausgefunden?«

»Kann man sagen. Shuster verhandelt mit einem Kerl, den ich O'-Malleys Syndikat zurechne. Haben Sie eine Ahnung, was Ihre Er­findung für Gangster interessant macht?«

»Es sind keine Todesstrahlen oder etwas in der Art, Mister Con­nor.«

»Habe ich auch nicht vermutet. Was ist es? Eine Tommy-Gun oh­ne Ladehemmung?«

»Sie sind auf dem falschen Dampfer. Es handelt sich nicht um eine Waffe.«

»Eine Druckmaschine für perfekt aussehende Blüten? Ein elektri­scher Stuhl, der nicht den Delinquenten hinrichtet, sondern die Leute, die dabei zuschauen?«

Henderson lachte. »Sie denken zu kriminell, Mister Connor. Ich arbeite eng mit der Automobilindustrie zusammen. Es ist ein kleines, aber nützliches Teil, das den Wirkungsgrad eines Motors entscheidend verbessert. Verstehen Sie? Die Motoren werden kleiner, die Autos wer­den schneller.«

»Schnelle Autos sind für Gangster interessant«, meinte ich. »Ja, aber sie werden sie nicht selber bauen können. Und wenn die

Gangster schnelle Autos haben, dann hat die Polizei auch welche. Ich nehme an, dass Shuster zu Kriminellen Kontakt aufgenommen hat, um die Erfindung bestmöglich zu verhökern. Wahrscheinlich hat er sich nicht getraut, direkt mit einem Autohersteller in Verbindung zu treten. Er weiß, dass ich bei denen bekannt bin und dort viele Freunde habe.«

»Wird Ihnen die Erfindung viel Geld einbringen, Mister Hender­son? Ich meine, wenn sie von Ihnen selbst und nicht von Shuster ver­scherbelt wird?«

»Ich werde ein gemachter Mann sein. Massenfabrikation, verste­hen Sie. Ich rechne mit einer Vorauszahlung von einigen hunderttau­send Dollar.«

Ich pfiff durch die Zähne. »Dann ist mir klar, warum The Jar mit seinen Jungs sich da reinhängt.« Ich erzählte ihm, dass Shuster dem

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Iren einen Teil der Unterlagen zur Prüfung aushändigen wollte. »Wieso lassen Sie die Unterlagen nicht von einem Notar verwahren?«

»Sie sind längst bei einem Patentanwalt und dort in Sicherheit. Aber das hilft mir wenig. Shuster hatte Zugang zu den Unterlagen. Ich muss davon ausgehen, dass er schon vor Monaten eine Zweitschrift angefertigt und von den Zeichnungen Blaupausen angefertigt hat.«

»Soll ich Shuster weiter überwachen?« »Auf jeden Fall, Mister Connor. Versuchen Sie, den Ort der Über­

gabe herauszukriegen. Dann kann ich ihn vielleicht auf frischer Tat ertappen.«

»Halten Sie sich besser raus, Mister Henderson«, riet ich ihm. »Der Gangster hat eine Knarre und wird nicht zögern, sie einzusetzen, wenn Sie ihm in die Quere kommen.«

Henderson zögerte. »Nun, vermutlich haben Sie Recht und ich werde es der Polizei überlassen, ihn am Schlafittchen zu packen. Aber ich hätte ihm gern auf den Kopf zugesagt, was für ein Lump er ist.«

»Das können Sie auch noch, wenn er vor Gericht steht.« Ich woll­te schon einhängen, aber dann fiel mir noch etwas ein. »Shuster er­wartet von O'Malleys Syndikat übrigens nicht nur ein Geldangebot. Es war die Rede von einer anderen Bedingung, die erfüllt werden muss, bevor er die Papiere übergibt. Haben Sie eine Ahnung, was das sein könnte?«

Henderson überlegte kurz. »Nein, höchstens eine Ahnung. Shuster versucht immer wieder, bei Frauen zu landen, die nichts von ihm wis­sen wollen. Vielleicht hat es damit zu tun.«

Das half mir nicht weiter und ich beendete das Gespräch. Dann zahlte ich für den Kaffee und das Telefongespräch. Ich entschloss mich, Dunkys Wissen und seinen Whiskey anzuzapfen, um meinem Plymouth auf die Spur zu kommen. Ich verließ Chester's und hielt an der 63rd nach einem Taxi Ausschau. Die lange Fahrt mit der Bahn hin­auf zur North Clark wollte ich mir dann doch nicht zumuten.

*

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Als ich vor Dunkys Speakeasy aus dem Taxi stieg und zahlte, schaute ein Verkehrspolizist zu mir herüber. Er wirkte gelangweilt und der Blick hatte nichts zu bedeuten. Aber der Anblick der Blechmarkenbrust er­innerte mich daran, dass ich nicht auffällig werden durfte. Die Polizei suchte nach mir.

Keine fliegenden Fäuste, Pat Connor!, ermahnte ich mich. Kein auffälliges Herumlungern! Alles, was die Blechmarkengilde anlockt, kann dich in den Knast bringen!

Wenn ich es ganz genau nahm, durfte ich nicht einmal in ein Speakeasy gehen. Manche Speakeasys hatte die Polizei auf dem Kieker und wenn einer der höherrangigen Knilche im Police Department schlecht drauf war oder einen schnellen Erfolg brauchte, ließ er eine Razzia durchführen und den Laden dichtmachen.

Ich wischte den Gedanken beiseite. Meine Speakeasys ließ ich mir durch nichts auf der Welt vermiesen. Und ein Hasenfuß war ich auch nicht. Trotzdem war ich froh, dass weder Hollyfield noch Quirrer wuss­ten, wo ich mir gewöhnlich meinen Feierabenddrink genehmigte.

Als ich Dunkys Laden betrat, hielt sich Dunky allein an der Theke auf. Ich bestellte einen doppelten Whiskey, bevor ich noch den Hut aufgehängt und mich selbst auf den Barhocker gepflanzt hatte.

Der Whiskey rollte zuverlässig und schnell wie immer bei Dunky an. Ich kippte die Hälfte davon hinunter, steckte mir eine Zigarette an und nahm erst mal einen tiefen Zug.

»Dunky«, eröffnete ich das Gespräch und fiel dann gleich mit der Tür ins Haus. »Mein Wagen wurde geklaut und die Polizei sucht nach mir, weil sie mich für einen Pelzdieb hält. Was sagst du dazu?«

Der dicke Glatzkopf zog die Augenbrauen hoch, aber nur ein win­ziges Stück. Man musste schon sehr genau hinschauen, um es zu be­merken.

»Dass dir mein guter Bourbon über so manches hinweghelfen wird«, meinte er. »Du bist nicht der einzige Dieb, der von der Polizei gesucht wird. Ich kenne etliche von den Jungs. Die meisten kommen ganz gut damit zurecht. Man muss nur etwas aufpassen.«

Das war eine für Dunky ausgesprochen lange Ansprache, aber nicht unbedingt die Art von Antwort, die zu hören ich erwartet hatte.

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Aber zumindest mit dem Bourbon hatte er Recht. Ich nahm noch einen Schluck.

»Ich bin kein Dieb, Dunky.« Dunky zuckte die Achseln. »Natürlich nicht, Pat. Schon gar nicht ein Autodieb.« »Hast du deinen eigenen Fusel getrunken? Ich sprach davon, dass

irgendwelche miesen Ratten meinen Wagen geklaut haben - wahr­scheinlich waren es Il Cardinales Leute, denn man hat Giovannis gese­hen, die um die Karre herumstrolchten.«

»Wenn du es sagst. Aber was willst du bei der Hitze mit den Pel­zen? Niemand kauft dir im Sommer so was ab.«

Ich hatte den ziemlich bestimmten Verdacht, dass Dunky mich verscheißern wollte. Zu derartigen Spielchen war ich im Moment nicht aufgelegt.

»Hör zu, Dunky, ich brauche dich als guten Freund und verlässli­chen Informanten. Giovannis haben meinen Plymouth geklaut und Iren haben Carson's um Pelze im Wert von zehn Riesen erleichtert und die Dinger in ebendiesem Plymouth abtransportiert. Was sagst du nun?«

»Dass erstaunlich viel in deinen Plymouth hineinpasst.« »Nun komm schon - ernsthaft.« Dunky kratzte sich am Kopf. »Ich kann mich umhören, ob dein

Plymouth und die Pelze sonst noch irgendwo gesehen wurden. Und ob jemand etwas über einen Deal zwischen Melcalve und dem Iceman weiß.«

Ich nickte. »Genau das wollte ich von dir hören. Kannst du dich schnell umhören? Schließlich geht es diesmal nicht um irgendeinen meiner Klienten, sondern um meinen eigenen Wagen und um mein eigenes Fell.«

»Erzähl mir mehr über deinen Wagen.« Ich gab ihm die Zulassungsnummer, nannte das Baujahr und be­

schrieb die Kiste, so gut ich konnte. Das Auffallendste daran waren die Einschusslöcher in der Beifahrertür, die Mrs. Stevens für Mauselöcher gehalten hatte.

»Hmm«, meinte Dunky. »Es wird schwierig sein, den Plymouth zu finden. Schließlich leben wir nicht in irgendeinem öden Kaff in Arizona,

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sondern in Chicago und da fahren Tausende von Plymouths durch die Gegend. Die Leute achten sowieso nur auf die großen und teuren Kis­ten. Wenn du einen Cadillac fahren würdest...«

»Kann ich mir nicht leisten.« Dunky zuckte die Achseln. »Na schön, dann setzen wir eben darauf, dass jemand ein Auto mit Ein­schusslöchern gesehen hat.«

Wenn Dunky erst mal seine Sturheit abgelegt hat, kann er ver­dammt flink sein. Er ging zum Telefon und führte nacheinander meh­rere Gespräche. Ich rauchte, trank Whiskey und wartete ab.

Nach einer Weile kehrte Dunky an die Theke zurück. Seinem Ge­sicht war nichts zu entnehmen. Er schaute griesgrämig wie immer drein.

»Irgendeine Spur?«, fragte ich und zog eine frische Lucky aus der Packung.

»Ein Plymouth mit Einschusslöchern wurde nicht gesehen.« »Ich sollte in großen roten Buchstaben PAT CONNOR - PRIVATE

INVESTIGATIONS auf die Karre pinseln lassen, damit sie auffälliger wird.«

»Dafür müsstest du sie erst mal wiederhaben. Und ich dachte im­mer, du lebst davon, nicht aufzufallen.«

Ich trank einen Schluck Whiskey. »War nur ein Scherz.« »Niemand weiß etwas über eine Zusammenkunft von Melcalve

und dem Iceman«, fuhr Dunky fort. »Und glaub mir: Wenn es die ge­geben hätte, wüssten die Leute davon, die ich angerufen habe. Eine derartige Sensation sickert durch, egal wie heimlich das durchgezogen wird und geht wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Im Gegenteil, es gab gestern eine ziemlich derbe Auseinandersetzung zwischen Gorillas von The Jar und Il Cardinale.«

Ich zündete meine Kippe an und nahm den letzten Schluck Bour­bon. »Also Fehlanzeige. Gib mir noch ein Trostwässerchen, Dunky.«

Mein Lieblingswirt schenkte sofort nach. Wärmende Schlucke ver­teilt er weitaus lieber als wärmende Worte. Aber dann sagte er: »Ei­nem Hehler wurden Pelze angeboten.«

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Ich hatte gerade zu einem Schluck Bourbon angesetzt und brach ab. Das war gar nicht im Sinne von Dunky. Er sah mich vorwurfsvoll an.

»Lass hören«, forderte ich ihn auf. Ich zückte einen Hamilton und schob ihn über die Theke. Dunky

nahm ihn nicht. Schweren Herzens wollte ich dem Hamilton einen Lin­coln hinzugesellen, aber der schwergewichtige Wirt schüttelte den Kopf. Er schob die Zehndollarnote zu mir zurück.

»Lass stecken, Pat. Wenn Freunde in Schwierigkeiten sind, nehme ich kein Geld.«

Er sagte das ohne falsches Pathos und mir selbst liegt so etwas auch nicht. Deshalb nahm ich es einfach so, wie es war, steckte den Hamilton wieder ein und äußerte mich nicht dazu. Aber innerlich rech­nete ich Dunky die Sache hoch an.

»Wer hat die Pelze angeboten?«, fragte ich. »Ein Bursche, der dafür bekannt ist, dass er als Strohmann des iri­

schen Syndikats auftritt. Er heißt Russell Dinzey. Hier ist die Adresse.« Er zog einen Zettel aus der Tasche und gab ihn mir. »Mein Informant hat das Geschäft abgelehnt, weil ihm die Ware noch zu frisch ist. Sie stammt mit Sicherheit aus dem Bruch bei Carson's. Du wirst Dinzey aufsuchen?«

»Darauf kannst du dich verlassen!«, sagte ich grimmig. »Den Knilch kaufe ich mir!«

»Dann denk dir 'ne gute Story aus, wie du auf ihn gekommen bist. Er darf auf keinen Fall argwöhnen, dass mein Informant geplaudert hat.«

»Keine Sorge, Dunky, in solchen Dingen habe ich Erfahrung.« Ich ballte die Fäuste. Hatte ich mir leichtsinnigerweise vorhin etwa ge­schworen, die Fäuste nicht fliegen zu lassen, solange nach mir gefahn­det wurde? Na ja, eine kleine Ausnahme musste erlaubt sein. Ich war fest entschlossen, Russell Dinzey in sämtliche Einzelteile zu zerlegen, wenn ihm nicht zügig ein paar Informationen über die Lippen spru­delten. Dinzey würde zumindest wissen, wo die geklauten Pelze aufbe­wahrt wurden. Sicher kannte er auch ein paar Namen. Vor allem aber wollte ich wissen, was aus meinem Plymouth geworden war. Wenn

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Dinzey es nicht wusste oder mir aus falschem Stolz nicht sagen wollte, würde ich ziemlich böse werden. Und wenn ich böse werde, nehme ich es sogar mit Leuten auf, die mich normalerweise als Punchingball be­nutzen. Aber vielleicht war Dinzey ja verständig, wenn man ihm ein gutes Wort gönnte.

Ich schaute auf den Zettel, auf dem Dunky Dinzeys Adresse no­tiert hatte. Er wohnte auf der West-Side: West Fullerton Ave., 499.

Ich trank meinen Whiskey aus und zahlte. Dann schnappte ich mir meinen Hut und spazierte hinaus.

*

Die Fahrt auf die West-Side schlug mir aufs Gemüt und ließ meine Fäuste immer stärker jucken, je länger sie dauerte. Ich verfluchte alle Knilche, die anderen ihre Autos klauten und wünschte mir, Henderson hätte nicht irgendeinen Firlefanz erfunden, den außer anderen Ingeni­euren niemand verstand. Der Kerl hätte besser eine Autoklauer-Fangmaschine entwickeln sollen, mit vielen Keschern und Tentakelar­men.

Ich fuhr mit dem Bus von der North Clark zur West North, von dort mit der Bahn Richtung Westen bis zur North Halsted, auf der North Halsted Richtung Norden bis zur West Fullerton und endlich auf der Fullerton Richtung Westen. Ich musste dreimal umsteigen, bis ich auf Kurs war und als ich mein Ziel erreichte, hatte das Ganze fast eine Stunde und eine halbe Packung Zigaretten gedauert.

Was ich während der Fahrt von der Fullerton zu Gesicht bekom­men hatte, waren endlose Reihen von Wohnblocks, meistens mit Bü­ros, kleinen Handwerksbetrieben oder Läden im Parterre. Was die Lä­den anging, so handelte es sich um eine nicht sonderlich aufregende Palette von Drugstores, Fleischereien, Milchgeschäften, Bäckereien und Second Hand Shops. Hier wohnten hauptsächlich Arbeiter mit wenig Geld, die keine ausgefallenen Einkaufswünsche hatten. Entsprechend war das Warenangebot. Ich kannte niemanden auf der North-Side, der zum Einkaufen auf die West-Side fuhr. Was es hier gab, das gab es auch woanders. Den Rest kaufte man bei Woolworth, bei Marshall

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Fields oder, wenn man es sich leisten konnte, in den piekfeinen Läden auf der Michigan Avenue und in der Loop.

Ab den 400er Nummern waren weniger Mietshäuser zu sehen. An deren Stelle traten mittlere Handwerksbetriebe, kleine Fabriken, Dut­zende von dunkelrot geklinkerten Packhäusern, die düster und dro­hend wirkten. An den Laderampen und den Einfahrten zu Innenhöfen parkten Dutzende von Pferdefuhrwerken und Trucks, zu denen Ladung herangekarrt wurde oder die entladen wurden. Die Lastwagen waren groß und eckig, lärmten und rußten, wenn sie anfuhren. Ich war über­zeugt davon, dass ich irgendwann in den letzten Jahren mit meinem Plymouth schon hinter jedem Einzelnen dieser Trucks gesessen und vergeblich versucht hatte, ihn zu überholen.

An der Ecke Crawford stieg ich aus. Hier begannen die 500er Nummern.

Ich steckte mir eine Lucky an, ging ein kleines Stück zurück und hielt nach der Nummer 499 Ausschau. Die gab es nicht. Jedenfalls nicht in Form eines Schilds oder irgendwo aufgepinselt. Aber es konnte sich nur um die große Garage handeln, die sich zwischen Tracy's Ma­nufacturing Company und Elmare Transit Ltd. befand. An der Einfahrt wies ein ›Gasoline‹-Schild darauf hin, dass man hier auch tanken konnte. Allerdings hegte ich die Befürchtung, dass das Schild ernst gemeint war und in diesem Etablissement wirklich nur Autos zu ihrem Sprit kamen.

Die Garage ragte tief in das Grundstück und diente wohl auch als Reparaturwerkstatt. Weiter hinten sah ich das Obergeschoss eines zweistöckigen Wohnhauses, das offenbar nur durch die Garage zu er­reichen war. Es sah baufällig aus und ich fragte mich, wie überhaupt Tageslicht in das untere Geschoss gelangen konnte. Gut möglich, dass Russell Dinzey dort wohnte. Zumindest passte das Haus zu dem licht­scheuen Gewerbe, das er betrieb. Vielleicht war das Ganze aber auch nur ein Lager und diente als Umschlagplatz für Konterbande und Die­besgut des irischen Syndikats.

Ich hielt Ausschau nach meinem Wagen, in der aberwitzigen Hoff­nung, an Ort und Stelle fündig zu werden. Aber so einfach machte man es mir nicht. Das war ich allerdings gewohnt. Immerhin bot die

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Garage dem äußeren Anschein nach Platz für ein Dutzend Autos. Viel­leicht wurde ich im Innern fündig.

Vor der Garage stand ein Lastwagen mit Speichenrädern, ovalen Seitenfenstern im Fahrerhaus und geschwungenen dünnen Kotflügeln, die zugleich als Trittbretter dienten. Die Ladefläche war mit einer hochrahmigen Plane abgedeckt, auf der ›Polarine - Saves the Motors‹ stand. Ich hatte Zweifel, dass sich unter der Plane tatsächlich Kanister mit Schmieröl befanden. Wahrscheinlicher erschien mir, dass dieses spezielle ›Polarine‹ eher gegen polarische Kälte half. Was das anging, kannte ich zwei hochwirksame Gegenmittel: Bourbon und Pelze. In diesem Fall tippte ich auf Pelze.

Es wäre mir lieber gewesen, Dinzey in einer normalen Wohnung heimzusuchen. Aber ich musste die Dinge nehmen, wie sie waren. Ich schlenderte durch die breite, leicht nach unten führende Einfahrt in die Garage und sah mich um. Vorn befand sich eine Zapfsäule von Red Crown. Dahinter waren sechs Wagen abgestellt, alles Nachkriegsmo­delle in unterschiedlichen Erhaltungszuständen. Am besten gefiel mir ein Marmon mit schwarzen, gesteppten Ledersitzen und einem Holz­lenkrad. Es gab auch einen Plymouth, aber der war älter und mickriger als meiner.

Ein siebtes Auto befand sich über einer Grube und war teilweise demontiert.

Zu sehen war niemand. Aber als ich mich weiter hinten in der Ga­rage umschauen wollte, kam ein buckliger, mindestens fünfundsiebzig Jahre alter Bursche aus einem Kabuff neben der Red-Crown-Tanksäule geschlurft und blaffte mich an: »Langsam, Mister, langsam. Hier is' nur für Leute, die tanken wollen oder 'nen Garagenplatz gemietet hab'n.«

»Woher wollen Sie wissen, dass ich nicht tanken will, Sports­freund?«, fragte ich.

»Wenn Sie tanken woll'n, sollten Sie besser Ihr Auto mitbringen.« Der Kerl sah mich weiterhin giftig an. Er hatte einen schmutzigen

blauen Overall an und trug eine Schiebermütze. Die Nase war knollig und schief, die Augen waren blutunterlaufen. Eine auffällige Narbe verlief von einem Ohr bis zur Kehle. Insgesamt führte er eine Visage spazieren, mit der er an Halloween kaum aufgefallen wäre. Aber das

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galt eben nur für Halloween. Ansonsten tat er gut daran, sich mög­lichst nicht aus seiner Garage zu entfernen.

Ich hätte darauf wetten können, dass der alte Knacker zu seiner Glanzzeit sein Konterfei schon mal für den einen oder anderen Steck­brief ausgeliehen hatte.

»Kommen Sie mir doch nicht mit Belanglosigkeiten«, meinte ich und nahm einen Zug von der Zigarette.

Der Kerl zeigte auf das Schild ›NO SMOKING‹. »Das gilt auch für Sie.«

Offenbar hatte jahrelanger Aufenthalt im Knast bei Mr. Knollen­nase eine gewisse Ehrfurcht für Verbotsschilder aufkommen lassen.

»In Ihrem Alter sollte man das gelassener sehen«, sagte ich und schnippte die Asche auf den Boden. »Sind Sie Russell Dinzey?«

»Was woll'n Sie von Dinzey?«, fragte er misstrauisch. »Hat Ihnen Ihre Mutter nicht beigebracht, dass man Fragen nicht

mit Gegenfragen beantwortet, Sportsfreund?« »Werd'n Sie bloß nich' kiebig, Mister«, murrte Mister Knollennase. »Sie sind mir völlig schnurz«, ließ ich ihn wissen. »Sagen Sie mir,

wo ich Dinzey finde und Sie können wieder ungestört Ihr ›NO SMO­KING‹-Schild putzen.«

Ich hätte eigentlich wissen müssen, dass Smalltalk mit solchen Kerlen nichts bringt. Er holte rasselnd tief Luft und brüllte dann in das schummrige Dunkel der Garage hinein: »Russ, hier treibt sich 'ne Ka­naille rum, die wie 'n Schnüffler aussieht. Komm mal rüber und bring die Jungs mit.«

*

Die Dinge entwickelten sich in eine Richtung, die mir nicht zusagte. Ich hatte mir ein eher vertrauliches Gespräch mit Dinzey vorgestellt.

»Das war nicht nett, Sportsfreund«, ließ ich Mr. Knollennase wis­sen, »aber wenigstens ehrlich. Das gefällt mir an Ihnen. Allerdings ist es das Einzige, was mir an Ihnen gefällt.«

»Halt die Schnauze.«

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Mister Knollennase wandte sich zur Seite und fummelte an seinem Overall herum. Dann hatte er plötzlich eine Knarre in der Hand und richtete sie auf mich.

»Flossen hoch!« Seine Bewegungen waren langsam und seine Hand zitterte. Ich

hatte kein Problem gehabt, dem alten Gangster die Waffe aus der Hand zu schlagen und eine Fliege zu machen. Aber ich wollte ja etwas von Dinzey. Deshalb war ich hier. Also trat ich die Kippe aus und hob gehorsam die Hände. Allerdings nur anstandshalber und nicht höher als bis zur Brust.

»Sie sollten das Ding verkaufen, bevor Sie ins Altersheim gehen«, riet ich ihm. »Wenn Sie damit im Heim herumfuchteln, setzt Ihnen unter Garantie ein Mitbewohner seine Krücke zwischen die Hörner.«

Der Knacker begann vor Wut zu zittern und ich dachte schon, ich hätte etwas Falsches gesagt. Aber bevor er etwas Unüberlegtes anstel­len konnte, waren vier andere Gangster herangekommen, alle in Anzü­gen. Einer von ihnen, ein kleiner, ziemlich dicker Kerl mit hervorquel­lenden Augäpfeln und einer Kippe im Maul, drückte Knollennases Schießeisen zur Seite.

»Gutgemacht, Sparky, aber jetzt verschwinde.« Mister Knollennase schlurfte in sein Kabuff zurück. Ich ließ die

Hände sinken. »Sie sollten sich einen Tankwart suchen, der eine Zapfpistole von

einer richtigen Pistole unterscheiden kann.« Der Kerl, der hier das Sagen hatte und den ich für Dinzey halten

musste, starrte mich an. Die anderen drei Figuren, alles Kerle mit iri­schen Gesichtern, lungerten einen Schritt weit zurück herum und feix­ten.

»Was willst du, Schnüffler?«, fragte ihr Boss. »Meinen Wagen, Dinzey«, gab ich zur Antwort. »Nichts weiter als

meinen Plymouth.« »Wir handeln nicht mit Autos. Wir sind ehrliche Leute.« Es schien sich um einen Witz zu handeln, den ich nicht verstanden

hatte, denn Dinzeys Kumpane wieherten los.

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»Hör zu, Dinzey, du kannst mir nichts vormachen. Mir ist es völlig wurst, wer von euch meinen Wagen geklaut und den Bruch bei Car­son's durchgezogen hat. Aber ich habe für die Kiste einen Batzen Geld hingelegt und will sie wiederhaben! Ich brauche sie!«

Dinzey grinste bösartig. »Was du brauchst, ist nichts weiter als ei­ne gehörige Tracht Prügel. Und die sollst du bekommen.«

Er machte eine knappe Kopfbewegung und im nächsten Moment fielen seine Gorillas über mich her. Das ging zu schnell, um die Waffe zu ziehen. Ich weiß auch nicht, ob es eine gute Idee gewesen wäre, denn Dinzey hatte bereits einen Revolver in der Hand und richtete ihn auf mich. Er unternahm jedoch nichts weiter und sah mit spöttisch zuckenden Mundwinkeln seinen Neandertalern zu.

Ich hatte keinen Zweifel daran, dass die Knilche ebenfalls bewaff­net waren, aber sie beschränkten sich darauf, ihre Fäuste einzusetzen. Zwei von ihnen waren Schränke mit einem hässlichen Verzierungs­knauf zwischen den Schultern, auf dem ein Hut befestigt war. Der Drit­te war kleiner und nicht ganz so breit, aber wendiger als seine Kum­pane. Sein Verzierungsknauf war größer und noch ein Stück hässlicher, vermittelte aber auch nicht den Eindruck, als sei er besser als ein Rü­ckenmarkknoten zum Denken geeignet.

Ich bekam die Fäuste rechtzeitig hoch, um den Hieb des ersten Angreifers abzuwehren. Mit einer trockenen Rechten traf ich seinen Verzierungsknauf. Der Kerl verdrehte leicht die Augen und verlor den Hut. Zu Boden ging er allerdings nicht und ich hatte keine Zeit, ihm weitere nette Angebote dieser Art zu machen.

Der zweite Kerl schoss eine Dampfhammerlinke auf mein Kinn ab. Ich konnte es rechtzeitig außer Reichweite bringen, aber mit der Rech­ten feuerte er unmittelbar danach noch einen Dampfhammer ab. Der traf meine Brust und raubte mir kurz den Atem. Außer Gefecht setzte mich das allerdings nicht. Ich rammte dem Gorilla mein Knie zwischen die Beine. Offenbar hatte er in der Hose noch ein paar Verzierungsteile und die traf ich ziemlich gut. Er grunzte. Ob aus Verzückung oder an­deren Gründen, vermochte ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls krümmte er sich und vergaß seine beiden Dampfhämmer für eine Weile.

Dinzeys spöttisches Grinsen wirkte jetzt irgendwie gekünstelt.

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»Mach ihn fertig, Hank!«, zischte er dem dritten Gorilla zu. Der Kerl nickte, hüpfte wie ein Känguru um mich herum und feu­

erte einen Hagel von kurzen, recht präzisen, wenn auch nicht sonder­lich harten Schlägen auf mich ab. Er war verteufelt schnell. Die meis­ten Schläge fing ich ab, aber ein paar musste ich passieren lassen. Einer traf mich seitlich am Kopf und veranlasste meinen Hut zur Flucht in Richtung Tanksäule. Es gelang mir, dem boxenden Känguru einen Leberhaken zu verpassen. Der machte den Kerl einen Moment lang be­nommen, aber das half mir wenig, weil ich gleichzeitig von einem der Schränke angegriffen wurde. Schließlich erholte sich auch der zweite Schrank und dann wurde es für mich ziemlich eng.

Während ich den Dampfhammerschrank nach besten Kräften ab­zuwehren versuchte, warf sich der andere Schrank auf mich. Er kriegte mich von hinten zu packen und presste mir die Arme an den Leib. Da­bei quetschte er mich wie eine Zitrone, die er auspressen wollte. Sein Kollege nutzte die neue Situation und rammte mir seinen Dampf­hammer in den Magen. Ich hatte das Gefühl, dass mir alle Steaks und Hotdogs hochkamen, die ich in den letzten vier Wochen gegessen hat­te. Aber es war wohl nur der eine aus White City. Ich biss die Zähne zusammen und schickte ihn wieder dahin, wo er hingehörte.

Wahrscheinlich hätte mich der nächste Dampfhammer am Kinn er­wischt und mir ein vorzeitiges Knockout beschert. Aber Dinzey wollte eine Spielverlängerung und pfiff seinen Schlagetot zurück. Stattdessen durfte sich Mister Känguru bei mir bedienen. Er tat dies reichlich. Die Schläge prasselten abwechselnd in meine Weichteile und gegen mei­nen Kopf. Meine Nase und eine Augenbraue fingen an zu bluten. Dar­auf gab ich nicht viel. Als Privatdetektiv darf man in diesen Dingen nicht zimperlich sein.

Das Känguru kümmerte sich auch nicht um das Blut und machte einfach weiter. Ich halte mich nicht für ein Weichei, aber langsam fing es doch an, ein bisschen wehzutun. Allerdings machte mich dies nicht schüchtern.

»Du bist ziemlich... aus der Übung, Sportsfreund«, sprach ich, wenn auch etwas gequetscht und stockend, das boxende Känguru an. »Vielleicht... solltest du statt Haferbrei hin und wieder was Richtiges...

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zu dir nehmen, um wieder zu... Kräften zu kommen. Aber keine Angst... ich erzähle es nicht weiter.«

Ich hatte keine Ahnung, warum der Kerl plötzlich ausrastete. Je­denfalls guckte er ziemlich böse, zog ein Klappstilett und ließ es auf­springen.

Dinzey, der dem Ganzen mit sportlichem Interesse zugeschaut hatte, nickte. »Schnitze dem Klugscheißer ein paar Verzierungen in die Backen, damit wir ihn beim nächsten Mal wieder erkennen. Falls er es überlebt.«

Ich wusste nicht, welche Backen er meinte. Aber ich wollte daraus kein weltanschauliches Problem machen. Alle meine Backen gefielen mir so, wie sie waren und ich legte Wert darauf, dass sie so blieben. Außerdem hatte ich die Absicht, weiterhin nach meinem Plymouth zu suchen und keinen Leichenwagen als Ersatz zu akzeptieren.

Das alles half mir, noch einmal alle Kräfte zu mobilisieren. Ich spannte die Muskeln an und vollzog gleichzeitig eine energische halbe Drehung nach rechts. Der Schrank, der mich festhielt, hatte damit nicht gerechnet, kam leicht ins Trudeln und lockerte seinen Griff. Ich sprengte die Umklammerung auf und rammte ihm den Ellbogen in den Magen.

Dem Kerl pfiff die Luft aus allen Körperöffnungen und er machte ein wehleidiges Gesicht. Ich zog meinen 38er und nutzte den Schrank als Deckung.

»Ich bin für jeden Spaß zu haben, Dinzey, aber allmählich werden mir deine Jungs zu albern. Wir können ein andermal für Halloween üben. Pfeif den Armleuchter mit dem Zahnstocher zurück, bevor er sich wehtut.«

Das Känguru tänzelte nervös hin und her und fuchtelte mit dem Stilett herum. Er schien noch nicht so recht kapiert zu haben, dass es für ihn heute nichts zu schnitzen gab.

Man konnte gegen Dinzey sagen, was man wollte, aber er schien einen gewissen Sinn für Realitäten zu besitzen. Er befahl das Känguru und den anderen Schläger zu sich. Beide hatten plötzlich ebenfalls Schießeisen in den Fäusten.

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»Was soll das bringen, Schnüffler?«, meinte Dinzey und fixierte mich mit seinen Glupschaugen. »Du kommst hier lebendig nicht raus.«

Ich musste ihm leider Recht geben. Wenn die Knilche es darauf anlegten, war ich geliefert.

»Dann nehme ich einen von euch mit«, versprach ich. »Rate mal, wer das sein könnte, Dinzey.«

Mein Deckung spendender Schrank wirkte wieder etwas munterer und schien mir Anstalten zu machen, seine Dampfhämmer wieder un­ter Dampf zu setzen.

»Immer hübsch artig bleiben«, ermahnte ich ihn und stupste ihn mit dem Revolverlauf an. »Sonst gibt es nachher keine Candys.«

Der Schrank grummelte eine Verwünschung, behielt aber seine Fäuste unten.

Mir war klar, dass ich mich nicht ewig hinter ihm verstecken konn­te. Ich überlegte, wie ich Dinzey und seine Gorillas austricksen konnte, aber eine richtig gute Lösung wollte mir nicht einfallen. Ich konnte den Gorilla als Geisel mit zum Garagenausgang nehmen. Aber war Dinzey dieser Kerl genug wert, dass er sich fügte? Ich bezweifelte es.

Ich versuchte es trotzdem. »He, Dinzey, du sagst mir, wo mein Plymouth ist und ich lasse diesen Fleischklops wieder mit den anderen Jungs im Sandkasten spielen. Natürlich erst, wenn ich die Straße er­reicht habe.«

Dinzey lachte nur. Känguru und der andere Kerl fielen ein. Mein Schutzschild wollte sich in totaler Verkennung seiner Situation eben­falls anschließen. Ich stoppte den Versuch, indem ich ihm den Revol­verlauf in den Nacken presste, ihm mit der Linken unter das Jackett langte und seine Knarre an mich brachte.

Ich entsicherte das Schießeisen und zielte jetzt mit zwei Revolvern auf Dinzey und die anderen Komiker.

»Was meinst du, Dinzey? Kriegt unsere Schießerei die Schlagzeile in der Tribune?«

Er schaute wütend drein und gab keine Antwort. Immerhin schien ihm die Sache zu denken zu geben.

Ich entschloss mich, aufs Ganze zu gehen. »Denk nach, Dinzey. Ich bin hier nicht hereinspaziert, ohne ein paar Vorbereitungen zu tref­

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fen. Wenn ich mit einem Zettel am großen Zeh im Leichenschauhaus lande, gehen ein paar Informationen bei Leuten ein, die damit etwas anfangen können. Solltest du darauf vertrauen, hier heil raus zu kom­men, sieht es trotzdem nicht gut für dich aus. Dein Laden geht hoch und dein Hintern wird den elektrischen Stuhl polieren.« Ich machte eine kleine Pause. »Das alles muss aber nicht sein. Meinetwegen kannst du am Badestrand von Miami Pelzmäntel und den Eskimos Kühlschränke verkaufen. Ich will nur meinen Plymouth. Wenn ich den habe, vergesse ich alles andere.«

Die Gorillas wieherten wieder los. Dinzey nicht. »Aufhören!«, herrschte er die Komikertruppe an. Die parierten aufs Wort. Vorher hatten sie strohdumm und fröhlich

ausgesehen. Jetzt sahen sie nur noch strohdumm aus. Dinzey backte plötzlich kleinere Brötchen. »Ich weiß nicht, wo sich der Plymouth jetzt befindet, Connor«,

sagte er. »Andere Jungs haben ihn besorgt und benutzt. Wenn du mehr wissen willst, musst du Melcalve fragen. Wenn du dich traust.«

Mir war nicht entgangen, dass mich Dinzey zum ersten Mal mit meinem Namen angeredet hatte. Ich schloss daraus, dass er von An­fang an gewusst hatte, wer ich bin und dass der Plymouth mir gehör­te. Im Moment hatte ich allerdings keine Muße, mir zu überlegen, was sich daraus sonst noch ergab.

Ohne genau zu wissen warum, glaubte ich dem Gangster. Ich war von Anfang an nicht davon ausgegangen, dass er selbst an dem Ein­bruch beteiligt gewesen war.

»Na schön«, sagte ich. »Wir schicken die drei Schießbodenfiguren zu dem senilen Tankwart ins Kabuff und sperren sie dort ein. Dann ge­hen wir beide zum Telefon und du redest mit Melcalve. Frag ihn, was er von meinem Angebot hält: Freier Abzug und den Plymouth für mich, freier Pelzhandel für euch.«

*

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Dinzey zierte sich eine Weile, aber am Ende willigte er zähneknir­schend ein. Er war sogar damit einverstanden, dass ich ihn filzte und ihm die Knarre abnahm.

Die Gorillas verstanden überhaupt nichts mehr, als sie Großvater Knollennase Gesellschaft leisten mussten. Aber es war auch nicht die Aufgabe von Gorillas, irgendetwas zu verstehen. Immerhin kam es zu keinen neuen Ausbrüchen spontaner Heiterkeit.

Ich überzeugte mich davon, dass das Kabuff keinen zweiten Aus­gang hatte und zog den innen steckenden Schlüssel ab.

»Lacht doch mal wieder, Jungs«, forderte ich die Komiker zum Ab­schied auf. »Das Leben ist zu kurz, um Trübsal zu blasen, oder? Be­sonders in eurem Job. Und ich höre euch so gern lachen. Es klingt so ungezwungen, intelligent und herzlich.«

Es kam keine Reaktion. Ich wischte mir mit der ohnehin schon grellroten Krawatte des

Kängurus das Blut aus dem Gesicht. Dann gab ich ihm noch einen Kinnhaken auf die Schläfe heraus, die er mir versetzt hatte. Aber nicht einmal das konnte ihn zum Lachen bringen. Doch als er den Fußboden aufsuchte, um sich etwas auszuruhen, entdeckte ich zumindest die Spur eines seligen Lächelns in seiner Visage. Das bestätigte mich in meiner Auffassung, dass man diese Burschen nur richtig ansprechen musste, um sie glücklich zu machen.

Ich zuckte mit den Schultern, schloss die Tür, sperrte ab und gab Dinzey den Schlüssel. Der hatte ein saures Lächeln im Gesicht. Das ge­fiel mir besser als das spöttische Grinsen von vorhin. Richtig fröhlich konnte man es allerdings nicht nennen. Wahrscheinlich wäre auch er mit einem Kinnhaken gut bedient gewesen. Aber ich kann die Dinger nie so präzise setzen, dass die Empfänger sowohl den erwünschten nachhaltigen Eindruck verspüren als hinterher auch noch einen Tele­fonhörer halten und ihren Namen nuscheln können. Zu diesen Leistun­gen musste Dinzey allerdings befähigt bleiben.

Der Deal, den wir gemacht hatten, ließ Dinzey eigentlich keinen Raum für Sperenzchen. Wenn er weiter in Ruhe die Pelzmäntel verti­cken wollte, musste er sich anstellig zeigen. Aber ich blieb auf der Hut. Bei Kanalratten wie Russell Dinzey musste man jederzeit damit rech­

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nen, dass sie es sich anders überlegten oder einen hinterhältigen Trick versuchten.

Wie es aussah, hatte Dinzey einigen Bammel davor, mit Melcalve zu reden. Ich konnte das nachvollziehen. The Jars rechte Hand hatte nicht gerade den Ruf, ein gütiger Beichtvater zu sein.

Dreimal versuchte Dinzey, mich von der Idee abzubringen, Melcal­ve anzurufen. Er bot sogar an, sich bei den anderen Jungs selbst nach dem Plymouth umzuhören. Wir wussten beide, dass er das nicht ernst meinte. Ich zerrte ihn zum Telefon und gab ihm einen aufmunternden Nackenstüber.

»Dinzey«, meldete er sich kleinlaut, als die Vermittlung ihn mit Melcalve verbunden hatte. »Boss, äh... wir haben da ein Problem. Der Schnüffler, dieser Connor, macht uns wegen seines Wagens schwer zu schaffen.«

Melcalve antwortete mit einem einzigen Wort und er bellte laut genug, dass ich es verstehen konnte. Es war ein nicht sonderlich schönes Wort, das obendrein wenig von christlicher Nächstenliebe Zeugnis ablegte. Es fing mit ›um‹ an und hörte mit ›legen‹ auf.

»Das wollten wir auch, aber...«, begann Dinzey. Von der anderen Seite schien ein längerer Vortrag zu kommen,

der wohl Melcalves Meinung über Leute zum Ausdruck brachte, die etwas wollten, aber unfähig waren, es auch zu tun.

Zu meinem Erstaunen reagierte Dinzey trotzig. »Du hast gesagt, lebendig nützt er uns mehr als tot. Deshalb haben wir es auf die sanfte Tour versucht.«

Das war mir neu. Außerdem reichte mir das Gewäsch. Ich nahm Dinzey den Hörer aus der Hand und schubste ihn zur Seite.

»Hier ist Connor. Hören Sie, Melcalve, ich weiß nicht, welche Rolle Sie mir in Ihrem Spielchen zugedacht haben. Aber ich will meinen Wa­gen zurückhaben. Wenn er bis morgen früh nicht wieder vor dem Haus steht, geht der Laden hier hoch.« Ich wusste, dass Melcalve eigentlich eine Nummer zu groß für mich war. Mindestens. Deshalb fügte ich hinzu: »Ich will keinen Ärger mit Ihnen und Ihren Leuten, sondern nur meinen Wagen wiederhaben. Geben Sie ihn zurück und ich vergesse

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alles, was ich über Ihren glupschäugigen Pavian und seine Geschäfte weiß.«

»Was wollen Sie noch mit dem Wagen, Connor?«, fragte Melcalve scheinheilig. »Ich habe gehört, dass Sie und der Wagen von der Polizei gesucht werden. Sie sollten besser aus der Stadt verschwinden. Wenn Sie schlau sind, mit der Eisenbahn. Oder sollen wir Ihnen beim Ver­schwinden behilflich sein?«

Wie der letzte Satz gemeint war, konnte ich mir in etwa vorstellen. »Machen Sie sich um mich keine Sorgen, Melcalve. Ich will nichts

weiter als meinen Wagen.« »Sie haben Glück, dass Sie Ire sind und ich heute gut gelaunt

bin«, meinte der Gangster. »Sie kriegen Ihren Wagen morgen zurück. Aber wir sind kein Dienstleistungsbetrieb, Schnüffler. Rufen Sie mich morgen früh an und ich sage Ihnen, wo wir die Karre abgestellt ha­ben.«

Er hängte ein.

*

Ich regelte die Sache mit Dinzey, indem ich ihn nicht weiter beachtete und grußlos aus der Garage spazierte. Am Ausgang deponierte ich sein Schießeisen und das von Mister Dampfhammer in einem alten Blech­fass mit Abfällen. Dann steckte ich meinen 38er ein und machte, dass ich Boden gewann. Als ein Taxi die Fullerton herauf kam, winkte ich es heran. Mein Bedarf an Bussen und Bahnen war für heute gedeckt.

Der Taxifahrer bemerkte mein lädiertes Gesicht, schien aber Schlimmeres gewohnt zu sein. Jedenfalls gab er nicht gleich wieder Gas, sondern ließ mich einsteigen. Ich nannte ihm Dunkys Adresse in der North Clark, ließ mich im Fond des Wagens in den Sitz fallen und zündete mir eine Zigarette an.

»Unfall gehabt, Mister?«, fragte der Taxifahrer beiläufig. »Ich habe mich beim Rasieren geschnitten.« »Sie rasieren sich die Augenbrauen?« Ich tat erstaunt. »Sie nicht?« »Seltener, Mister.«

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»Ich sollte es wohl auch besser bleiben lassen.« Danach unterhielten wir uns über Baseball. Darüber kann man mit

jedem reden. Abendfüllend. Außer natürlich mit Mr. Abernathy.

*

Dunky machte keine Bemerkung über mein Gesicht. Immerhin er­kannte er mich wieder und brachte mir sofort einen Whiskey. Den brauchte ich jetzt auch.

Ich kippte ihn hinunter, ließ einen neuen kommen und rauchte. Jetzt war mir schon bedeutend wohler. Dunky unterhielt sich mit zwei anderen Stammgästen, aber im Moment wollte ich auch nichts von ihm.

Nachdem der zweite Bourbon sein Domizil gewechselt hatte, ging ich in den Waschraum, machte mich frisch und betrachtete mich flüch­tig im Spiegel. Ich musste zugeben, dass ich etwas lädiert war und heute nicht unbedingt mit Douglas Fairbanks mithalten konnte. Die Augenbraue war angeschwollen und blutverkrustet und an zwei, drei anderen Stellen blühten die Veilchen. Das Gesicht taugte im Moment nicht dafür, irgendwo einen Bankkredit zu bekommen. Das kümmerte mich wenig. Einen Bankkredit bekam ich auch nicht mit meinem nor­malen Gesicht.

Das Einzige, was mich wirklich ärgerte, war, dass ich die Krawatte wegwerfen konnte und der Anzug wegen der Blutflecken in die Reini­gung musste.

Ich schaute auf die Uhr. Kurz vor fünf. Betty war längst nicht mehr im Büro. Ich würde sie morgen früh anrufen und fragen, ob es etwas Neues gab. Shuster kam mir in den Sinn. Ich fragte mich, ob ›Mister Smith‹ sich schon bei ihm gemeldet hatte. Plötzlich hatte ich eine Idee, die mir vielleicht Arbeit abnehmen konnte.

Ich ging zum Telefon und ließ mich mit Henderson verbinden. Er war noch in der Firma.

»Hat sich Shuster wieder blicken lassen?«, fragte ich. »Der Dreckskerl kam gegen drei kurz herein und ist dann wieder

verschwunden.«

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»Sie haben sich hoffentlich nichts anmerken lassen?« »Ich war vielleicht etwas knapp im Ton, aber das ist nicht unge­

wöhnlich. Wir haben seit einiger Zeit ein gespanntes Verhältnis.« »Hat er gesagt, wo er hingeht?« »Natürlich, Mister Connor, das ist er mir schuldig. Er hatte einen

Kundentermin und das war nicht vorgeschoben. Der Termin wurde schon vor zehn Tagen ausgemacht.«

»Gab es Anrufe für Shuster?« »In der kurzen Zeit, die er hier war, keinen.« »Und später?« »Das entzieht sich meiner Kenntnis.« »Wer nimmt seine Anrufe entgegen, wenn er nicht da ist?« »Unsere gemeinsame Sekretärin Miss Robbins. Soll ich sie fra­

gen...« »Nein«, unterbrach ich ihn. »Wenn Shuster das spitzkriegt, wird er

nur misstrauisch und ist doppelt vorsichtig. Ich weiß einen besseren Weg. Geben Sie mir Shusters Büronummer - und auch seine Privat­nummer.«

Ich notierte die Nummern. Ich ermahnte ihn, sich gegenüber Shuster wie immer zu verhalten und sich nicht einzumischen. Halbher­zig versprach er, meinen Rat zu beherzigen. Ich war mir keineswegs sicher, dass er dies wirklich tun würde. Aber er war mein Klient. Ich konnte ihm nichts vorschreiben.

Ich hängte ein, hob aber gleich wieder ab und ließ mich mit Shus­ters Büronummer verbinden.

»Henderson & Shuster«, meldete sich eine junge weibliche Stim­me. »Ich bin Joan Robbins. Mister Shuster ist nicht im Hause. Kann ich Ihnen helfen?«

»Aber immer, Schätzchen«, sagte ich. »Was haben Sie denn anzu­bieten?«

»Ich... äh... wer sind Sie überhaupt?«, stammelte Miss Robbins unsicher.

»Oliver Carmichael«, stellte ich mich vor. »Hat unser Mister Smith vorhin mit Ihnen gesprochen? Sie wissen doch, es geht um die Festle­gung eines neuen Termins.«

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»Tut mir Leid, Mister Carmichael, von einem Mister Smith kam kein Anruf. Ich weiß natürlich nicht, ob Mister Smith unseren Chef zu Hause...«

»Müssen Sie auch nicht wissen, Schätzchen. Ich kümmere mich darum.«

»Soll ich Mister Shuster etwas ausrichten, wenn er morgen ins Bü­ro kommt?«

»Nicht nötig, Schätzchen. Mister Smith meldet sich bei ihm wie besprochen.«

Ich hängte ein und hoffte, die Lady würde den Anruf nicht erwäh­nen. Dann ließ ich mich mit Shusters Wohnung verbinden, aber nie­mand hob ab.

Die Sache hatte nicht viel eingebracht. Immerhin sprach einiges dafür, dass sich die Gangster noch nicht bei Shuster gemeldet hatten. Melcalve würde mehr darüber wissen. Oder gingen die größeren Ge­schäfte über Melcalves Kopf hinweg? Dass ein kleiner Gangster wie ›Mister Smith‹ im direkten Auftrag von O'Malley handelte, glaubte ich nicht. Aber es mochte einen anderen Vertrauten von The Jar geben, der sich um Fischzüge dieser Art kümmerte.

Ich kehrte zur Bar zurück, machte es mir an der Theke bequem und bestellte einen weiteren Whiskey. Die restlichen Gäste hatten sich verkrümelt und Dunky blieb bei mir, als er mir eingeschenkt hatte.

»War das Dinzey?«, wollte er wissen und tippte sich an die Augen­braue.

»Am Telefon?«, fragte ich unschuldig und zündete mir eine Ziga­rette an. »Nein, das Schätzchen heißt Joan. Sie scheint etwas schüch­tern zu sein. Ob sie auch Glupschaugen hat, weiß ich nicht.«

Dunky bewies detektivischen Spürsinn. »Also hat Dinzey Glupsch­augen? Wie ich dich kenne, hast du ihn natürlich darauf angespro­chen.«

Ich winkte ab. »Mich interessiert nicht Dinzeys Visage, sondern einzig und allein Connors Auto. Nach kleinen Anlaufschwierigkeiten ka­men Dinzey und ich blendend miteinander aus. Es gab nur einen klei­nen Streit mit seinen Jungs. Eine sportliche Meinungsverschiedenheit. Nichts von Bedeutung.«

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Ich trank einen Schluck Whiskey. »Also hast du dein Auto zurück?«, wollte Dunky wissen. »Wie kommst du denn darauf?« »Du sagtest, du kamst mit Dinzey blendend aus.« Ich steckte mir eine Lucky an und inhalierte tief. »Dinzey hat den

Wagen nicht. Er interessiert sich mehr für Ballermänner und Pelzmän­tel. Aber er hat mal kurz seinen guten alten Freund Melcalve angeru­fen und veranlasst, dass man mir den Wagen morgen zurückgibt.«

Dunky sah mich skeptisch an. »Bist du sicher, dass es sich so ab­gespielt hat?«

Ich zuckte die Achseln. »Mag sein, dass ich etwas nachhelfen musste.«

»Du legst dich mit Melcalve an, Pat?« »Ich lege mich mit jedem an, wenn man mir etwas klaut.« Ich

nahm einen Zug von meiner Zigarette und inhalierte den Rauch. »Aber Melcalve ist...«, begann Dunky. »Eine Nummer zu groß für mich«, beendete ich den Satz. »Ich

weiß. Er selbst sieht das allerdings anders. Er hält große Stücke auf mich. Er meint sogar, dass ich für ihn lebendig mehr wert bin als tot. Wenn das keine Lebensversicherung ist! Prost.«

Ich nahm einen Schluck Bourbon. Dass Melcalve in Bezug auf mich auch jenes Wort gebraucht hatte, dass mit ›um‹ anfing und mit ›legen‹ endete, erwähnte ich nicht.

Dunky legte nur die hohe Stirn in Falten und sagte nichts. Ob er darauf wartete, dass ich das Glas vollständig leerte und zum Nachtan­ken klarmachte oder dass ich mehr erzählte, wusste ich nicht. Wahr­scheinlich auf beides. Ich befriedigte seine Erwartungen in beiderlei Hinsicht, indem ich den letzten Schluck wegputzte und redete, wäh­rend Dunky neu einschenkte.

»Ich habe keine Ahnung, Dunky, wie der von Giovannis geklaute Wagen dem irischen Syndikat in die Finger geriet. Noch weniger weiß ich, was man sich davon versprochen hat, ihn für den Bruch bei Car­son's zu verwenden und mich damit ins Visier der Polizei zu bringen. Klar, ich habe jetzt ein paar Probleme an der Backe. Aber Melcalve muss doch eigentlich klar sein, dass die Cops mir den Bruch nicht

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ernsthaft anhängen können. Notfalls wird zumindest Brendon bezeu­gen, dass ich mit ihm an jenem Abend zusammen war. Warum also dieser Käse?«

Der glatzköpfige Wirt brauchte keine Denkpause, sondern antwor­tete sofort.

»Liegt das nicht auf der Hand? Die wollen dich für ein paar Tage aus dem Verkehr ziehen. Entweder in Untersuchungshaft oder auf der Flucht.«

Ich rauchte und dachte dabei nach. »Da ist was dran«, sagte ich dann. »Melcalve schlug mir vor, die

Stadt zu verlassen und bot sogar die Hilfe des Syndikats an. Allerdings glaube ich, dass er dabei an das Reiseziel Michigansee, unterste Etage und Betonfüße gedacht hat.«

»Bist du dem Syndikat in letzter Zeit auf die Füße getreten?« »Nicht dass ich wüsste.« »Arbeitest du an einem Fall, der Interessen des Syndikats be­

rührt?« »Nein... das heißt...« Mir fiel ein, dass Shuster dem Syndikat et­

was verkaufen wollte und dass es dabei um viel Geld ging. Mein Klient Henderson wollte diesen Verkauf um jeden Preis verhindern. Und Hen­derson hatte mich engagiert, um ihm dabei behilflich zu sein. Ergab sich daraus irgendeine Verbindung zu dem gestohlenen Plymouth? Ich konnte es mir beim besten Willen nicht vorstellen. »Ja, du hast Recht, Dunky, ich arbeite an einem Fall, in den das Syndikat möglicherweise verstrickt ist. Aber Melcalve kann unmöglich wissen, dass ich an der Sache dran bin.«

Dunky hob die fleischigen Hände und wirkte dabei wie ein glatz­köpfiger Priester, der seinen Whiskeyflaschen den Segen angedeihen ließ. »Was ist schon unmöglich? Irgendjemand quatscht immer. Ir­gendjemand sieht oder hört etwas, was er eigentlich gar nicht sehen oder hören dürfte und erzählt es weiter. Irgendjemand trinkt einen Whiskey und wird plötzlich gesprächig. Das alles müsstest du doch am besten wissen, Pat. Schließlich lebst du von diesen ›unmöglichen‹ In­formationen.«

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Ich musste Dunky Recht geben. Vielleicht hatte Henderson herum­erzählt, dass er Shuster beschatten ließ. Oder der Angestellte hatte ge­plaudert, der mir den Vorschuss ins Büro gebracht hatte. Vielleicht hat­te Henderson die Summe in sein Geschäftsbuch eingetragen. Oder je­mand - am Ende sogar Joan Robbins? - hatte eines der Gespräche mit angehört, das Henderson mit mir oder Betty führte.

»Na schön«, sagte ich. »Mal angenommen, Melcalve wurde die Geschichte zugetragen. Wäre es da nicht bequemer gewesen, mir den Wagen nicht zu klauen, sondern einen Pineapple hineinzuwerfen, wenn ich darin sitze?«

Dunky zuckte die Achseln. »Was nicht ist, kann ja noch werden.« Ich trank einen Schluck Whiskey. »Dunky, dein Optimismus ist

wirklich ansteckend.« Der Wirt sah mich vorwurfsvoll an. »Ich habe nur eine Frage be­

antwortet, Pat, nichts weiter.« Ich nahm es zur Kenntnis. Im Grunde hatte er ja Recht. »Dann

beantworte mir noch eine Frage, Dunky. Was könnte ein Schurke, der die Erfindung seines Geschäftspartners gestohlen hat, außer Geld vom Syndikat verlangen, wenn er ihm die Erfindung anbietet?«

Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Etwas, das ihm nur das Syndikat bieten kann. Etwas Illegales, das ihn ins Kittchen bringen würde, wenn er es selbst machen würde.«

Ich nickte, denn ich hatte auch schon in diese Richtung gedacht. Aber was konnte das sein? Da ich Shusters geheime Wünsche und Laster nicht kannte, fiel es mir schwer, darauf eine Antwort zu finden.

Dunky nahm einen Lappen und wienerte die ohnehin blitzblanke Theke. Mir war klar, dass er seine überbeanspruchte Zunge schonen musste. In den nächsten Stunden würde sich der alte Griesgram nur noch zu einsilbigen Antworten hinreißen lassen. Aber das ging in Ord­nung. Mir war im Moment auch nicht nach Reden zumute. Ich hatte genügend Stoff zum Nachdenken.

*

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Einige Whiskeys, ein Steak und etliche Zigarettenlängen später rief ich Brendon an. Ich hatte zum Essen ein Restaurant und später ein ande­res Speakeasy aufgesucht, da ich einen Tapetenwechsel brauchte. Es war gegen acht und ich erwischte ihn noch in der Redaktion.

»Ich habe mich schon gefragt, wo du gesteckt hast«, begrüßte er mich.

»Ich habe ermittelt«, gab ich zur Antwort. »Was hast du ermittelt? Den sinkenden Flüssigkeitspegel einer

Whiskeyflasche?« Brendon konnte ich so leicht nichts vormachen. Er kannte mich

einfach zu gut. »Brendon, ich stecke irgendwie in der Klemme, ohne so recht zu

wissen, warum, wieso und wie tief.« »Anders kenne ich dich doch gar nicht, Junge«, meinte er. »Hast

du einen besonderen Grund, es zu erwähnen?« Bevor ich antworten konnte, fuhr er mit nervöser Stimme fort: »Moment mal, Pat, du rufst doch nicht etwa von einer Polizeiwache aus an? Hollyfield hat mir ver­sprochen...«

»Reg dich ab«, unterbrach ich ihn. »Wenn das hier eine Polizeiwa­che ist, dann ist der Service nicht zu beanstanden. Es wird sogar Whiskey ausgeschenkt.«

»Solche Polizeiwachen kenne ich nicht.« »Dann muss es sich doch um ein Speakeasy handeln. Was hat

Hollyfield dir versprochen? Was hast du überhaupt mit ihm zu schaf­fen?«

»Hast du gedacht, ich lasse dich einfach hängen?«, gab Brendon zur Antwort. »Ich habe mir gleich nach deinem Anruf den Captain vor­geknöpft und ihn zur Rede gestellt.«

»Hollyfield?«, staunte ich. »Als was hast du dich ausgegeben? Als der Polizeipräsident von Chicago? Oder als Rudolpho Valentine?«

»Wie kommst du auf den schönen Rudi? Mag er ihn?« »Keine Ahnung, aber ich denke, er hätte ihnen zumindest zuge­

hört.« »Ich habe mich schlicht als Brendon Smith, Redakteur der Chicago

Tribune, ausgegeben.«

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»Wirklich? Was hat er gemacht? Einfach nur den Hörer eingehängt oder eine Schimpfkanonade vom Stapel gelassen?«

»Du schätzt ihn völlig falsch ein, Pat. Ich habe ihn mit der schlich­ten Frage überfallen, ob er gern mal wegen Unfähigkeit in der Tribune heruntergemacht oder lieber lobend erwähnt werden möchte.«

Ich nahm einen Zug von meiner Lucky. »Und wie lautete seine Antwort?«

»Er sagte, er würde mir persönlich ein blaues Auge hauen, wenn sein Name in der Zeitung auftaucht, egal in welchem Zusammenhang. Immerhin war damit das Eis gebrochen und er hörte mir zu. Ich habe ihn gefragt, ob er noch bei klarem Verstand war, als er dich auf die Fahndungsliste setzen ließ.«

»Woraufhin er dir ein zweites blaues Auge angedroht hat«, ver­mutete ich.

»Er äußerte mehr etwas in der Richtung, dass es an der Zeit wäre, die Redaktionsräume der Tribune mal zu durchsuchen, um heimliche Verbindungen zwischen Presse und organisiertem Verbrechen aufzude­cken.«

»Wenn er so was androht, ist er ernsthaft verärgert.« Brendon lachte. »Ach was, er hat nur Spaß gemacht. Jedenfalls

habe ich ihm vor den Latz geknallt, dass ich dich in einer eidesstattli­chen Erklärung entlasten werde und er der Blamierte ist, wenn er wei­terhin behauptet, du hättest Pelzmäntel gestohlen. Am Ende war er ganz friedlich und hat versprochen, sich dafür einzusetzen, dass du von der Fahndungsliste gestrichen wirst.«

»Was du ihm hoffentlich nicht geglaubt hast?«, wollte ich wissen. »Doch, Pat, eigentlich schon. Im Grunde kann er dich ganz gut lei­

den und er hält es durchaus für möglich, dass die wahren Täter den Verdacht auf dich lenken wollten. Allerdings schränkte er ein, dass er nur eine Meinung äußern kann und es schneller geht, auf die Liste rauf als davon wieder herunterzukommen. Mit anderen Worten, du solltest dich weiterhin nicht in deiner Wohnung oder deinem Büro blicken las­sen. Wo steckst du? Ich hole dich mit dem Wagen ab.«

Unter Freunden musste man sich nicht für Freundschaftsdienste bedanken und ich wusste, dass Brendon es mir sogar übel nehmen

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würde, wenn ich es tat. Deshalb beschränkte ich mich darauf, ihm die Adresse des Speakeasys zu nennen und hängte dann ein.

Anschließend fluchte ich in mich hinein. Brendon hatte es gut ge­meint, aber ich war nicht davon überzeugt, dass er mir zu diesem Zeitpunkt damit einen Gefallen getan hatte. Ich griff wieder zum Hörer und ließ mich mit dem Police Department verbinden.

*

Ich rechnete nicht ernsthaft damit, dass der Captain noch immer oder schon wieder im Dienst war. Aber ich hatte ihn sofort am Apparat.

»Connor«, meldete ich mich. »Stehe ich noch auf der Fahndungs­liste, Captain?«

»Hören Sie, Connor, ich kann nicht zaubern«, kam es ungehalten aus dem Hörer. »Ich tue mein Bestes, obwohl ich von Ihrer Unschuld keineswegs überzeugt bin. Es wäre immerhin möglich, dass dieser Brendon Smith Ihnen aus Gefälligkeit ein Alibi verschafft.«

Darauf ging ich nicht ein. »Ich will auch gar nicht, dass Sie zau­bern«, sagte ich. »Ganz im Gegenteil. Als Bürger der Vereinigten Staa­ten verlange ich, dass Sie verdächtige Subjekte hinter Schloss und Riegel bringen. Ich bestehe darauf, dass Sie den Kerl verhaften, der bei Carson's eingebrochen ist. Die Beweislast ist ja wohl erdrückend, oder? Wenn Sie falsche Rücksichten nehmen, könnte dies als Begüns­tigung im Amt angesehen werden und Sie teuer zu stehen kommen!«

Ein paar Sekunden lang hörte ich gar nichts im Hörer, nicht einmal schweres Atmen. Wahrscheinlich stockte dem Captain der Atem. Dann hörte ich etwas, was mich an das Geräusch einer Windhose erinnerte: Der Captain holte Luft und zwar bis in die tiefsten Lungenspitzen hi­nein. Im nächsten Moment brüllte er los. »Sind Sie jetzt komplett durchgeknallt, Connor???«

Ich war darauf vorbereitet und hielt den Hörer ein Stück vom Ohr entfernt. »Ich weiß gar nicht, was Sie von mir wollen, Captain. Ich will einfach nur auf Ihrer netten Fahndungsliste bleiben. Es gefällt mir dort. Bisher habe ich mich immer als graue Maus gefühlt, unbeachtet, ein Niemand. Jetzt bin ich prominent. Alle wollen etwas von mir. Das

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finde ich großartig. Und das lasse ich mir weder von Ihnen noch von Brendon Smith kaputt machen. Haben Sie mich verstanden, Captain?«

»Connor, Sie sind ein Idiot sondergleichen!«, tobte Hollyfield. »Wenn das wieder einer Ihrer affigen Spaße sein sollte, dann haben Sie diesmal total überdreht. Sie werden das noch bereuen, das schwö­re ich Ihnen!«

»Ich bleibe also auf der Fahndungsliste?«, fragte ich hoffnungs­voll.

»Worauf Sie sich verlassen können! Bis wir Sie geschnappt und eingesperrt haben!«

Aus dem Hörer kam eine Art Scheppern, dann war Ruhe. Wenn ich jetzt die Absicht gehabt hätte, Hollyfield noch einmal anzurufen, um die nette Plauderei fortzusetzen, wäre mir wohl kaum Erfolg be­schieden gewesen. Ich ging davon aus, dass der Captain ein neues Telefon benötigte.

Leise vor mich hin pfeifend kehrte ich zu meinem Whiskey zurück und wartete auf Brendon.

*

Als ich am Morgen aufwachte, tat mir das Kreuz weh. Daran war Bren­dons Sofa schuld. Außerdem tat mir der Kopf weh. Daran war der Whiskey schuld.

Eine Kanne mit heißem Kaffee stand auf dem Tisch. Ich bediente mich. Brendon war schon unterwegs. Allerdings nicht zur Redaktion der Tribune. Ich erinnerte mich, dass er sich gestern Abend angeboten hatte, zu meiner Wohnung zu fahren, um mir Klamotten zum Wech­seln zu holen.

Ich zog die viel zu weite Jacke des Pyjamas aus, den mir Brendon geliehen hatte, trat an das Waschbecken und wusch mich. Dann ra­sierte ich mich mit Brendons Rasiermesser. Brendon weigerte sich standfest, einen Patentrasierer zu benutzen und war geübt darin, mit ruhiger Hand das Messer zu führen. Ich war es weniger und mein an­geschwollenes Gesicht machte mir die Sache nicht leichter. Ich schnitt mich mehrmals.

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Als ich fertig war, starrte ich mein Spiegelbild an. Es gefiel mir wenig. Es glich einem Schnitzel mit bunten Beilagen in Form von Veil­chen und Rosenknospen. Ich setzte den Hut auf, zündete mir eine Zigarette an und blies Rauch gegen mein Spiegelbild. Jetzt gefiel es mir schon besser.

Wenig später kehrte Brendon mit frischer Wäsche, einem weißen Hemd, einem hellen Sommeranzug und einer blau gemusterten Kra­watte zurück. Außerdem hatte er in einem Diner Sandwichs mit Schin­ken besorgt.

»Hattest du Probleme, in die Wohnung zu kommen?«, fragte ich, während wir uns über die Sandwichs hermachten.

Brendon schüttelte den Kopf. »Man hat sie nicht durchsucht und versiegelt, wenn du das meinst. Es steht auch kein Cop vor der Tür. Aber gegenüber vom Haus stand ein Kerl, als ich kam und er stand immer noch dort, als ich ging. Er benahm sich betont unauffällig und behielt den Hauseingang im Auge. Ein Polizist in Zivil, wenn du mich fragst.«

»Kein Gangster?« »Danach sah er nicht aus.« Ich zog mich an und befestigte das Halfter mit dem 38er unter der

Achsel. Ich vergaß auch nicht, meine Notizzettel aus dem schmutzigen Anzug auszuräumen und im neuen Anzug zu deponieren.

Mit Anzug, Krawatte und Revolver fühlte ich mich ein Stück besser als vorhin.

Brendon betrachtete mich. »Du siehst mitgenommen aus«, meinte er.

»Nun übertreibe mal nicht«, sagte ich und zündete mir eine Ziga­rette an. »Es sind nur ein paar Kratzer.«

»Hast du Melcalve schon angerufen?« Ich schüttelte den Kopf. »Mach ich gleich.« Brendon war auf dem Laufenden, was meine Ermittlungen anging.

Ich hatte ihm gestern Abend von Dinzey und seinen Gorillas erzählt und auch die Sache mit Shuster erwähnt. Sogar den Anruf bei Holly­field hatte ich ihm gebeichtet. Erst war er reichlich sauer gewesen, aber dann hatte er verstanden, warum ich es tun musste. Es war we­

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niger gefährlich, von der Polizei gejagt zu werden als von Melcalves Leuten. Und die würden hinter mir her sein, wenn die Blechmarken­jungs es an Eifer fehlen ließen, mich hinter schwedische Gardinen zu bringen.

Ich nahm einen tiefen Zug von der Zigarette, ging zum Telefon und nannte der Vermittlung Melcalves Nummer.

»Ja?«, meldete sich eine derbe Bassstimme, die nicht die Melcal­ves war.

»Connor«, sagte ich. »Wo ist der Wagen?« Der Kerl am anderen Ende der Leitung war wie ich kein Freund

überflüssiger Worte. Damit erschöpften sich allerdings unsere Gemein­samkeiten. »Wacker Drive«, knurrte er.

»Was soll das heißen?«, empörte ich mich. »Dort ist das Parken verboten. Da hätten Sie ihn ja gleich vor das Polizeirevier stellen kön­nen.«

»Wäre keine schlechte Idee gewesen, aber darauf sind wir nicht gekommen«, meinte Melcalves Handlanger. »West Wacker Drive, un­tere Fahrbahn, westlicher Abschnitt, Flussseite. Der Wagen steht in ei­ner der Nischen. Wenn Sie schlau sind, Connor, nehmen Sie die Karre und fahren irgendwohin, wo man Sie nicht kennt. Und wagen Sie es nicht noch mal, uns auf die Nerven zugehen!«

Ich hängte ein. »Was hat er gesagt?«, wollte Brendon wissen. »Dass der Wagen am Wacker Drive steht. Ich dachte erst, der Kerl

wollte mich verscheißern. Aber mir ist eingefallen, dass ich zwischen den Pfeilern tatsächlich schon parkende Autos gesehen habe.«

»Ich fahr dich hin.« »Nein, Brendon, das ist meine Angelegenheit«, widersprach ich.

»Wenn es eine Falle ist, kannst du mir auch nicht helfen. Ich nehme ein Taxi.«

»Kann ich dir sonst irgendwie helfen, Pat?« »Hol mich aus dem Knast, wenn die Blechmarkengang mich er­

wischt.« Brendon nickte. »Pass auf dich auf, Junge.«

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*

Der dünne, blasse Taxifahrer interessierte sich nicht für Baseball und hielt den Namen White Socks für eine Zigarettenmarke. Das erschüt­terte mich. Ich hatte noch niemals einen Taxifahrer erlebt, der nicht zumindest ein paar aufgeschnappte Floskeln über Baseball von sich geben konnte. Ich fragte ihn, ob er vielleicht mit Mister Abernathy ver­wandt war. Er beteuerte, keinen Abernathy zu kennen. Aber es war die falsche Frage gewesen. Er nannte seinen Namen - Wilson McGowan - und begann mir seine Lebensgeschichte zu erzählen. Da er in bisher dreißig Jahren nichts Besonderes erlebt hatte, war dies eine genauso zähflüssige Angelegenheit wie der Verkehr in Richtung Loop.

Ich versuchte nacheinander, seine Aufmerksamkeit auf Themen wie Hunderennen, Jazzmusik und Frauen zu lenken, aber damit wusste er auch nichts anzufangen. Ich war froh, als wir endlich von der North Clark in den West Wacker Drive abbogen. Ich ließ den Burschen die untere Fahrbahn nehmen und langsam fahren. Hinter uns wurde wü­tend gehupt. Mich kümmerte das nicht. McGowan auch nicht. Er schien ein dickes Fell zu besitzen. Es war die beste Eigenschaft, die ich bisher an ihm festgestellt hatte.

Ich saß auf dem rechten Rücksitz des Packard und kurbelte die Fensterscheibe herunter, als wir hinter der North Wells den westlichen Abschnitt erreichten.

»Fahren Sie Schritttempo, Willi«, sagte ich und beugte mich aus dem Fenster.

McGowan kam meiner Aufforderung nach und erzählte derweil ei­ne weitere belanglose Episode aus seinem Leben. Sie hatte etwas mit einem seiner Anzüge zu tun, der bei Regen eingelaufen sei, obwohl ihm der Verkäufer das Gegenteil versichert hatte. Jetzt wurde hinter uns noch mehr gehupt. Ich hörte weder auf das eine noch auf das andere. Ich musterte die Autos, die zwischen den Pfeilern parkten. Ich entdeckte alle gängigen Modelle, aber nicht meinen geliebten Ply­mouth.

Der westliche Flussabschnitt des West Wacker Drive reichte von der North Wells bis zur North Franklin. Danach verlief die zweistöckige

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Autostraße südöstlich und hinter der West Lake südlich. Wenn der Kerl am Telefon mich nicht verladen hatte, musste der Wagen in einer der nächsten Nischen stehen, denn bis zur North Franklin waren es keine hundert Meter mehr.

Ich begann Melcalve lautlos zu verfluchen und zu überlegen, wel­che Schweinerei er sich wohl ausgedacht hatte. Nachträglich betrach­tete ich es als Fehler, dass ich gestern nicht auf der sofortigen Über­gabe des Wagens bestanden hatte. Wahrscheinlich hatten Dinzey und seine Affen ihr Quartier inzwischen geräumt und waren mit den Pelz­mänteln anderswo untergekommen. Ich fragte mich, ob sie Großvater Knollennase auch mitgenommen oder ihm eine vorzeitige Beerdigung beschert hatten, damit er nicht quatschen konnte.

Plötzlich entdeckte ich meinen Plymouth. Er war durch die Nische zwischen den Pfeilern hindurch bis an das

Flussufer gefahren worden und um ein Haar hätte ich ihn übersehen. »Anhalten!«, rief ich. McGowan reagierte sofort und hörte sogar damit auf, seine Nicht­

erlebnisse zum Besten zu geben. Ich zahlte, riet dem Burschen, die heutige Episode auf dem Wa­

cker Drive als Highlight in seine gesammelten Erzählungen aufzuneh­men und stieg aus.

Das Taxi fuhr davon und das Hupkonzert der anderen Wagen, die jetzt wieder freie Fahrt hatten, verstummte. Aus einem der vorüber fahrenden Autos wurde durch das offene Fenster der Beifahrertür eine zerknüllte Zigarettenpackung nach mir geworfen. Eine wütende Män­nerstimme beschrieb mir einen Ort, wohin ich mir einen der Pfeiler des Wacker Drive schieben sollte. Aus verschiedenen Gründen nahm ich den Rat nicht an.

Ich steckte mir eine Lucky an, spazierte durch die Nische ans Flussufer und umrundete meinen Wagen. Er sah wie immer aus. Die Einschusslöcher in der Beifahrertür waren auch noch vorhanden. Zu­sätzliche Schäden konnte ich nicht feststellen. Offenbar hatten die Gangster darauf verzichtet, ihn mutwillig zu beschädigen.

Dann hörte ich in einiger Entfernung eine Polizeisirene. Das Ge­räusch kam aus südwestlicher Richtung und näherte sich. Das musste

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gar nichts zu bedeuten haben. Ein Polizeiwagen konnte zu einem Ein­satzort im Norden oder Osten unterwegs sein und musste dabei den Wacker Drive passieren.

Kurz darauf erklang aus nordöstlicher Richtung eine zweite Sirene. Das Geräusch bewegte sich ebenfalls in meine Richtung. An einen Zu­fall konnte ich nicht mehr glauben. Der Schweinehund Melcalve hatte seinen Teil der Abmachung erfüllt - und dann der Polizei einen Tipp zukommen lassen.

Fluchend schwang ich mich hinter das Lenkrad meines Wagens, zog den Choke und startete den Motor. Er sprang ohne Probleme an. Ich setzte am Ufer zurück, preschte in die Nische vor und erzwang mir laut hupend Zugang zur rechten Fahrspur. Ich erntete ein weiteres Hupkonzert von düpierten Fahrern, die in die Bremsen hatten steigen müssen. Allmählich gewöhnte ich mich an die Huperei. Unter anderen Umständen hätte ich sogar meinen Spaß daran gehabt.

Zähflüssig bewegte sich die Autoschlange voran. Ich muss zugeben, dass mich das etwas nervös machte. Mein einziger Trost war, dass die Polizeiwagen kaum schneller vorankommen würden als ich. Was leider nicht ganz stimmte, wie ich wenig später feststellen musste. Die Sirene des Wagens, der sich aus dem Südwesten näherte, wurde beunruhigend schnell lauter. Entweder bewegte sich die Wa­genschlange dort schneller, oder die eingeschüchterten Fahrer der Wagen machten Platz für die Blechmarkengilde.

Es gefiel mir nicht, dass der Polizeiwagen sich dem Geräusch zu­folge ebenfalls auf der unteren Fahrbahn des Wacker Drive befand. Er musste jeden Moment auf der anderen Straßenseite auftauchen und ich zweifelte nicht daran, dass die Blauröcke Ausschau nach einem Plymouth mit einem ganz bestimmten Kennzeichen hielten.

Die North Franklin hatte ich bereits passiert und mir war klar, dass ich es nicht bis zur West Lake schaffen würde. Sobald die Blechmar­kenjungs mich ausmachten, würden sie aus der Gegenspur ausscheren und den Verkehr auf meiner Fahrbahn blockieren. Mir blieb dann nichts anderes übrig, als meinen mühsam zurück gewonnenen Ply­mouth zu verlassen und zu Fuß zu flüchten. Die Chancen zu entkom­men waren eher gering. Wenn mich die Cops aus dem einen Wagen

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nicht erwischten, dann die aus dem anderen Wagen, der mir von hin­ten immer weiter auf den Pelz rückte.

Meine einzige Chance bestand darin, zur North Franklin zurückzu­kehren und dann nach Süden zu fahren. Kurz entschlossen nutzte ich eine Lücke, um auf die linke Fahrbahn auszuscheren. Dann hieb ich die Faust auf den Knopf der Hupe, schlug das Lenkrad scharf nach links ein, gab Gas und wechselte auf die Gegenspur. Ich schnitt einen Au­burn, der mich gerammt hätte, wäre dem Fahrer nicht eine Vollbrem­sung gelungen. Hinter dem Auburn schepperte es, als andere Fahrer weniger schnell reagierten oder Wagen mit schlechteren Bremsen fuh­ren. Ein Dodge krachte auf den Auburn und auf den Dodge krachten andere Wagen.

Der Wendekreis meines Wagens war nicht eng genug, um die lin­ke Fahrspur zu halten. Ich touchierte die Stoßstange eines Fords und drängte ihn ab. Er stellte sich quer und im nächsten Moment erinnerte der nachfolgende Packard den Fahrer daran, dass es Zeit war, sich ein neues Auto zuzulegen. Der Packard drückte die Beifahrerseite des Fords in Höhe des Hecks ein, bekam aber seinerseits von einem da­hinter fahrenden Wagen eine Materialprüfung verordnet.

Ich hatte jetzt freie Fahrt. Im Rückspiegel sah ich auf beiden Fahr­spuren ineinander geschobene, hohe, viereckige Limousinen, kleinere Kabrios und hoch aufgetürmte Lastwagen. Das Ganze erinnerte mich an eine riesige Ziehharmonika aus schwarzem Blech. Zu meiner Ge­nugtuung sah ich am hinteren Ende der Ziehharmonika einen Polizei­wagen mit vier Cops, die auf den Trittbrettern mitgefahren und beim Aufprall hastig abgesprungen oder heruntergeschleudert worden wa­ren. Sie hatten ihre Schießeisen gezogen und ballerten in meine Rich­tung, aber das war brotlose Kunst. Ich war schon zu weit weg und zu viele andere Autos engten das Schussfeld ein.

Ich grinste in mich hinein. So schnell würden sie da nicht raus­kommen. Die Sirene heulte immer noch. Sie hätten sie getrost abstel­len können. Sie half ihnen jetzt nicht mehr.

Die Sirene des anderen Polizeiwagens war ebenfalls noch zu hö­ren, aber das Geräusch näherte sich nicht so schnell, wie ich befürch­

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tet hatte. Ich nahm an, dass der Wagen im zäh fließenden Verkehr auf der North Clark eingekeilt war.

Über die Massenkarambolage hinter mir machte ich mir keine Ge­danken. Im Moment hatte ich genug andere Sorgen. Allerdings war mir klar, dass mir in naher Zukunft einige Autobesitzer auf die Pelle rü­cken würden. Ich brauchte einen guten Anwalt und einen milden Rich­ter, so viel stand fest.

Vor mir tauchte die North Franklin auf. Brav und gewissenhaft be­tätigte ich den rechten Winker, der sich klackend aus seiner Halterung bewegte. Dann bog ich ab und fädelte mich in den fließenden Verkehr auf der North Franklin ein. Die Sirenengeräusche verebbten. Fürs Erste hatte ich den Blechmarkenjungs ein Schnippchen geschlagen. Und Melcalve auch.

*

Meinen Wagen hatte ich zurück, aber ich fragte mich, wie lange ich damit unbehelligt durch die Stadt fahren konnte. Dass Hollyfield weiter nach mir fahnden ließ, hatte ich mir selbst zuzuschreiben. Ich war nach wie vor der Meinung, die richtige Entscheidung getroffen zu ha­ben. Wenn ich schon nichts daran ändern konnte, dass mir Knilche ans Leder wollten, dann waren mir mit Revolvern ballernde Trittbrettfahrer im blauen Rock allemal lieber als mit Tommy-Guns ballernde Trittbrett­fahrer in Anzügen. Dass die Blechmarkenjungs nach der schmählich gescheiterten Jagd etwas verbissener zur Sache gehen würden als vor­her, musste ich dabei in Kauf nehmen.

Ich fuhr die North Franklin bis zur West Monroe hinab, bog ab und hielt vor einem Drugstore. Dort kaufte ich zwei Packungen Lucky Strike und fragte nach dem Telefon. Die kurz angebundene Matrone, die mich bediente, behauptete, der Apparat sei kaputt. Das glaubte ich ihr nicht. Wahrscheinlich wollte sie keine Leute telefonieren lassen, die ihre Veilchen nicht auf dem Balkon, sondern im Gesicht züchteten. Ich verzichtete darauf, Theater zu machen und verließ den Laden.

Da Cosgroves Abteilung für Spezialanfertigungen nur ein paar Schritte entfernt war, entschloss ich mich, von dort aus zu telefonie­

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ren. Bei der Gelegenheit konnte ich auch meinen eingerosteten Schluckmuskel etwas ölen. Ich war der Meinung, dass ich mir mindes­tens zwei Whiskeys verdient hatte: einen für Wilson McGowans atem­beraubende Lebensgeschichte und einen für das Austricksen der Blechmarkengilde.

Mister Mondgesicht strahlte, als er mich sah und begrüßte mich wie einen alten Bekannten. Offenbar hatte ich trotz der Veilchen und Schnittwunden noch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Kerl, der hier gestern hereingeschneit war. Er zwinkerte mir wissend zu, als ich ohne großes Palaver Kurs auf die NO ENTRY!-Tür nahm.

In der Abteilung für Spezialanfertigungen wurde ohnehin kein rhe­torisches Talent abgeprüft. Hier genügte nötigenfalls ein Nicken oder Lallen, um sich zu artikulieren.

Ich warf meinen Hut auf den Garderobenhaken, ging zur Bar und sagte zu dem Bartender: »Bourbon.«

Der Whiskey rollte fast so schnell an wie bei Dunky. Ich goss ihn mir im Stehen hinter die Binde, bestellte einen zweiten und nahm ihn mit zum Telefon. Dort öffnete ich eine frische Packung Zigaretten und bediente mich. Nach einem Lungenzug nahm ich den Hörer ab und nannte der Vermittlung meine Büronummer.

»Pat Connor, private Ermittlungen«, kam es aus dem Hörer. »Bet­ty Meyer am Apparat.«

»Hier ist Pat.« Ich entschloss mich, es mal mit Zuckerbrot zu ver­suchen. »Die Sache mit Quirrer haben Sie gut gemacht, Betty. Hat er das Protokoll unterzeichnet?«

»Er war nicht sicher, ob die Dienstvorschriften so etwas vorsehen, aber am Ende hat er kapituliert. Eigentlich ist James ganz in Ordnung. Man muss ihn nur zu nehmen wissen.«

James? Ich staunte. »Haben Sie sich etwa mit ihm verabredet?« »Das geht Sie gar nichts an«, kam es schnippisch zurück. »Ich bin

nicht Ihre Sklavin, sondern mache hier für viel zu wenig Geld nur Ihren Bürokram.«

»Amen.« Ich wusste nicht so recht, was ich von der Sache halten sollte. Ei­

nerseits gönnte ich die beiden einander. Andererseits hielt ich wenig

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davon, wenn Quirrer Ohren und Augen in meinem Büro hatte. Dann zuckte ich mit den Schultern. Bisher hatte Betty noch jeden Mann ver­grault. Sie war eine Frau, von der die Schmetterlinge naschten, aber schnell wieder verdufteten, wenn sie merkten, dass es sich bei ihr um einen getarnten Fliegenpilz handelte.

»James hat wilde Geschichten über Sie erzählt, Pat«, fuhr Betty genüsslich fort. »Stimmt es, dass Sie einen Haufen Pelzmäntel gestoh­len haben?«

»Der einzige Pelz, den ich besitze, ist mein eigener. Und selbst der wird mir von einigen Knilchen nicht gegönnt.« Ich wechselte das The­ma. »Gibt es sonst etwas Neues?«

»Keine neuen Klienten, wenn Sie das meinen. Was soll ich Hen­derson sagen, wenn er wieder anruft?«

»Sagen Sie ihm, dass ich ihn anrufe. Und er soll nichts auf eigene Faust unternehmen. Das habe ich ihm gestern auch schon erzählt, aber ich bin mir nicht sicher, ob er kapiert hat, wie gefährlich Melcal­ves Gorillas sind.«

»Sonst noch was?«, fragte Betty knapp. Sie schien mich abwim­meln zu wollen. Vielleicht erwartete sie einen Anruf von Jamieboy Quirrer. Das reizte mich, das Gespräch noch etwas auszudehnen.

»Stellen Sie sich einen Burschen vor, der Schwierigkeiten mit Frauen hat oder zumindest nicht die Frauen bekommt, die er gerne haben möchte.«

»Sprechen Sie von sich, Pat?«, flötete meine Bürokraft. »Ihnen kann man wirklich nichts vormachen, Schätzchen«, meinte

ich. »Nehmen wir mal an, ich hätte etwas, was The Jar gerne hätte - und ich rede jetzt nicht von meinem Pelz. Was könnte ich von den Gangstern fordern?«

»Eine Schönheitsoperation?« »Vielen Dank, aber mir gefällt mein Gesicht - jedenfalls meistens.

Wenn es anders wäre, würde ich nicht das Syndikat bemühen. Es muss sich schon um etwas Verbotenes handeln.«

»Mädchenhandel!«, platzte Betty heraus. »Das Syndikat beschafft Ihnen ein paar Frauen, die alles tun, was Sie wollen. Das würde Ihnen doch gefallen, oder?«

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»Hmm«, machte ich. »Ich denke darüber nach.« Ich war nicht so recht davon überzeugt, dass sich Zappelphilipp

Shuster einen heimlichen Harem zulegen wollte. Ich beendete das Ge­spräch mit Betty und nannte der Vermittlung Hendersons Nummer.

»Henderson & Shuster«, kam es aus dem Hörer. »Ich bin Joan Robbins. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich möchte mit Mister Henderson sprechen«, sagte ich. »Der ist leider noch nicht in der Firma. Haben wir nicht gestern

miteinander telefoniert? Mister Carmichael, nicht wahr?« »Sie haben ein fantastisches Gedächtnis. Schätzchen«, lobte ich

sie. »Haben Sie Hendersons Privatnummer?« »Ja, natürlich, aber Mister Henderson legt Wert darauf, zu Hause

nicht gestört zu werden. Ich darf sie Ihnen nicht weitergeben.« »Verstehe, Schätzchen. Ich rufe später wieder an.« Bevor sie ein­

hängen konnte, fügte ich hinzu: »Ist Mister Shuster im Hause?« »Tut mir Leid, Mister Carmichael. Er kommt erst gegen eins.« Das war mir recht. Ich hatte ohnehin nicht die Absicht gehabt, mit

dem Schurken zu reden. »Termine?« »Nein, Mister Shuster kommt nie vor eins.« Ich feuerte einen Schuss ins Blaue ab. »Kein Wunder, dass unser

Mister Smith ihn nicht erreichen konnte.« Es war ein Glückstreffer. »Seien Sie unbesorgt, Mister Carmichael«, erwiderte die Lady.

»Ich habe den neuen Termin, den Mister Smith mir genannt hat, no­tiert und werde Mister Shuster informieren. Da das Treffen erst um vier stattfindet, dürfte das kein Problem sein.«

»Sie sind eine wahre Perle, Schätzchen«, sagte ich. »Ich wollte, ich hätte ebenfalls eine so umsichtige Sekretärin. Kann man Sie ab­werben?«

Sie zögerte kurz. »Ich bin hier ganz zufrieden, Mister Carmichael, aber wenn ich mich verbessern kann...«

Diese Chance ließ ich mir nicht entgehen. »Wann haben Sie Mit­tagspause, Schätzchen?«

»Von zwölf bis viertel vor eins. Warum fragen Sie?«

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»Was halten Sie davon, wenn wir uns um zwölf vor Ihrem Büro kurz treffen, um einen persönlichen Eindruck voneinander zu gewin­nen?«

»Ich weiß nicht...«, druckste sie herum. »Das kommt alles ein bisschen schnell. So kurzfristig...«.

»Ach, kommen Sie, Schätzchen. Es geht doch nur um ein kurzes Gespräch, ganz unverbindlich. Enttäuschen Sie mich nicht.«

Sie zierte sich noch ein bisschen, aber am Ende hatte ich ihre Zu­sage. Ich trank einen Schluck Whiskey. Ich verlade Ladies, die mir nichts getan haben, nur ungern. Aber ich musste unbedingt ein paar Informationen über Shuster und das Treffen herauskitzeln.

Ich schaute auf die Uhr. Es war kurz vor elf und ich brauchte min­destens eine halbe Stunde, um zur West Wrightwood auf der North-Side zu fahren, wo sich das Ingenieurbüro befand. Es war ratsam, die Abteilung für Spezialanfertigungen gegen andere Lokalitäten einzutau­schen. Ich trank aus, zahlte und nahm meinen Hut. Mister Mondge­sicht zwinkerte mir erneut zu, als ich seinen Laden passierte. Vielleicht hatte er ein spezielles Interesse an mir, das ich nicht teilte. Oder er hielt es für ratsam, sich gut mit jemandem zu stellen, dessen Gesicht nicht unbedingt auf einen Job in der Möbelbranche hinwies. Oder es handelte sich einfach nur um ein Augenleiden.

*

Da ich seit meinem krachenden Abschied vom Wacker Drive keine Po­lizeisirenen mehr gehört hatte, ging ich nicht davon aus, dass mein Plymouth inzwischen von Blauröcken umstellt war. Trotzdem vergewis­serte ich mich, dass in der Nähe des Wagens niemand herumlungerte. Ich entdeckte aber weder eine Blechmarkenbrust noch sonst jeman­den, der sich für den Plymouth interessierte.

Als ich einsteigen wollte, streifte mein Blick zufällig den Fond des Wagens.

Da lag etwas, das wie ein Stapel Pelzmäntel aussah. Ich verfluchte mich, dass ich das Innere des Wagens nicht längst

einer gründlichen Prüfung unterzogen hatte. Auf dem Wacker Drive

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hatte ich dazu keine Gelegenheit gehabt und danach hatte ich es schlicht und einfach vergessen.

Ich hielt es allerdings für keine gute Idee, an der West Monroe, Ecke South Clark, wo Dutzende von Passanten unterwegs waren, Pelzmäntel umzuschichten. Deshalb beließ ich es bei dem flüchtigen Blick, setzte, mich hinter das Lenkrad, zündete mir eine Lucky an und fuhr los. Auf dem Weg zur North-Side würde es reichlich Gelegenheit geben, einen Ort zu finden, der neugierigen Blicken entzogen war.

Bevor ich in die Nähe meines Büros kam, bog ich nach rechts in die South Wells ein und fuhr nach Norden. Da ich genug Zeit hatte, ärgerte ich mich nicht einmal, dass es bis zum Chicago River nur schleppend voranging und ich hinter einem rußenden Lieferwagen von Montgomery Ward & Co. steckte, der sich nicht überholen ließ.

Ich zog an meiner Zigarette und überlegte, was die Pelzmäntel in meinem Wagen zu bedeuten hatten. Dass Dinzey und seine Affen sie beim Ausladen schlicht übersehen hatten, konnte ich nicht glauben. Dass sie ein Geschenk für mich waren, noch weniger. Melcalve und die Seinen waren nur für eine einzige Art von Geschenken bekannt: blaue Bohnen. Wahrscheinlicher erschien es mir, dass die Mäntel mir endgül­tig das Genick brechen sollten. Ich zweifelte nicht daran, dass sie aus dem Bruch bei Carson's stammten. Hätte die Polizei mich mit den Män­teln erwischt, wäre es mir verdammt schwer gefallen, ihre Anwesen­heit in meinem Wagen zu erklären. Mir war klar, dass ich die Mäntel so schnell wie möglich loswerden musste.

Die Gelegenheit dazu ergab sich, als ich die North Hudson erreicht hatte und den Seward Park passierte. Ich fuhr die Zufahrt zu einem der Parkplätze hinauf und suchte mir eine Ecke, wo keine anderen Fahrzeuge abgestellt waren und Bäume Sichtschutz boten. Ich stellte den Motor ab, zündete mir eine weitere Zigarette an, stieg aus und öffnete die Tür zum Fond.

Der oberste Pelzmantel war aus Biberfell gefertigt und sah teuer aus. Ein Zettel mit einem Preis hing daran. Ich verzichtete darauf, mir den Zettel genauer anzusehen. Dieser Mantel war dick und warm und absolut unpassend für die Jahreszeit. Vor allem jedoch war er absolut unpassend für mein Auto. Ich zog ihn von dem Stapel herunter, um

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die anderen Mäntel kurz zu betrachten, bevor ich den ganzen Stapel zur beliebigen Nutzung im Gebüsch abladen wollte. Ich grinste bei dem Gedanken, dass im nächsten Winter vielleicht ein paar Hobos in sündhaft teuren Pelzmänteln in den Parks von Chicago herumlaufen würden.

Das Grinsen verging mir. Es gab keine weiteren Pelzmäntel. Was ich für einen Stapel gehalten hatte, war ein kleiner, zusammengekau­erter grauhaariger Mann in einem dunkelblauen Geschäftsanzug und einer silbergrauen Krawatte. Und dieser Mann war mausetot.

Er schien mich blicklos mit glasigen Augen anzustarren und mitten auf der Stirn befand sich ein blutverkrustetes Einschussloch. Ein wei­terer, größerer rostroter Bluffleck hatte in Höhe des Herzens das Ja­ckett durchfeuchtet. Doppelt hält besser. Ein zerknautschter Hut lag ein Stück weiter auf dem Polster des Rücksitzes.

Ich fluchte leise vor mich hin. Ohne es zu ahnen, hatte ich eine Leiche spazieren gefahren. Hatte ich mir vorhin noch die schlimmen Folgen ausgemalt, wenn die Cops mich auf dem Wacker Drive mit ei­nem Stapel Pelzmäntel erwischt hätten, so erschien mir das plötzlich als belanglose Bagatelle. Wer gestohlene Pelzmäntel im Reisegepäck hat, kommt in Erklärungsnot. Wer eine Leiche auf dem Rücksitz durch die Stadt kutschiert, muss gar nichts mehr erklären. Die Sache erklärt sich von selbst.

Melcalve wollte mir einen Mord anhängen, so viel stand fest. Wer war der Tote? Ein Gangster? Er sah nicht so aus. Aber vielleicht täuschte das. Schließlich musste das Syndikat einen Grund gehabt haben, den Kerl zu erschießen. Vielleicht war es ein Strohmann oder Hehler, der nicht mehr zuverlässig funktioniert hatte.

Ich durchsuchte die Leiche nach Papieren. Der Tote ließ alles ge­duldig mit sich geschehen. Was blieb ihm auch anderes übrig? Er starr­te mich einfach nur weiter an.

Er trug nichts bei sich. Keine Brieftasche, keine Geldbörse, keine Versicherungskarte, auch sonst nichts Persönliches. Ich nahm an, dass Melcalves Gorillas ihn gefilzt hatten. Ich wünschte mir, er würde mir erzählen, wer er war und warum man ihn ins Jenseits befördert hatte.

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Aber Leichen reden nicht. Jedenfalls wurde mir bisher nichts anderes zugetragen.

Nur um nichts auszulassen, zog ich das blütenreine Kavalierstuch aus der obersten Tasche des Jacketts und untersuchte auch diese Ta­sche. Und plötzlich wurde ich fündig. Ich zog ein zusammengefaltetes Stück Papier hervor. Schon bevor ich es ganz auseinandergefaltet hat­te, kam es mir merkwürdig vertraut vor.

Es handelte sich um eine vorgedruckte Quittung, in die von Hand ein Betrag von 100 Dollar und ein Datum - vorgestern - eingetragen worden waren. Ausgestellt war die Quittung von einer Firma namens PAT CONNOR - PRIVATE INVESTIGATIONS und die Unterschrift stammte von Betty Meyer.

Es gab nur eine einzige Quittung dieser Art, die vorgestern ausge­stellt wurde.

Der Tote war niemand anders als mein Klient Frank Henderson. Ich musste nur zwei und zwei zusammenzählen, um zu kapieren,

warum Henderson sterben musste. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Hendersons Tod war Shusters Bedingung für den Verkauf der Papiere. Shuster wollte keinen Harem eröffnen, sondern Henderson unter der Erde sehen. Die Leiche, die auf dem Rücksitz meines Wa­gens lag, konnte kein Patent mehr anmelden. Sie konnte Shuster nicht bezichtigen, ihm die Erfindung gestohlen zu haben. Sie konnte Shuster nicht mehr feuern. Und sie konnte sich nicht dagegen wehren, dass Shuster aus dem florierenden Ingenieurbüro Henderson & Shuster das nicht weniger gut florierende Ingenieurbüro Shuster machte.

Ich hatte Henderson im Leben nicht persönlich kennen gelernt, sondern nur mit ihm telefoniert. Aber ich hatte keine Veranlassung gehabt, mich über ihn zu beklagen. Er war kein Freund gewesen, nicht einmal ein guter Bekannter. Nur ein Klient. Sein Tod ging mir nicht nahe, aber er erzürnte mich. Ich betrachte es als persönliche Beleidi­gung, wenn man mir während der laufenden Ermittlungen einen mei­ner Klienten wegschießt. Von dem finanziellen Verlust, der mir dadurch entsteht, will ich gar nicht erst reden. Und wenn die Killer den Mord obendrein mir in die Schuhe schieben wollen, werde ich grantig.

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Ich war fest entschlossen, den Auftrag meines Klienten zu Ende zu führen und seinen Tod zu rächen. Als Erstes musste ich jedoch dafür sorgen, dass der Plan der Gangster, mir den Mord anzulasten, durch­kreuzt wurde. Die Leiche musste verschwinden.

Ich packte den toten Henderson an den Beinen und wollte ihn aus dem Wagen ziehen. Plötzlich hörte ich ein lautes Motorengeräusch. Als ich aufsah, erblickte ich einen hohen, eckigen Bus mit endlos langem Motorblock, der die Einfahrt zum Parkplatz hinauffuhr. Der Bus be­wegte sich genau auf die Ecke des Parkplatzes zu, wo mein Plymouth stand.

Ich ließ Hendersons Beine los und bedeckte die Leiche mit dem Pelzmantel. Es reichte gerade noch, die Tür zum Fond zu schließen. Dann rumpelte der Bus mit stotterndem Motor heran und parkte direkt neben meinem Wagen. Dutzende von Kids fluteten aus dem Innern und schwärmten nach allen Seiten aus. Die ersten lugten schon in meinen Wagen. Ein Riesenweib von Lehrerin versuchte vergeblich, die Meute zu disziplinieren.

Mir blieb nichts anderes übrig, als hinter dem Lenkrad Platz zu nehmen und den Motor zu starten. Ich setzte zurück und fuhr zum anderen Ende des Parkplatzes. Aber dort standen mehrere Typen her­um und quatschten miteinander. Zwei von ihnen schienen passionierte Schmetterlingsjäger zu sein und hatten Kescher dabei. Weitere Typen schlenderten aus dem Park in Richtung ihrer Autos. Ich hatte das Ge­fühl, dass all die Knilche mich und meinen Wagen anstarrten. Vielleicht hielten mich die beiden Schmetterlingsjäger wegen der bunten Flecke im Gesicht sogar für ein besonders prächtiges Jagdobjekt, das sie ihrer Sammlung einverleiben wollten.

Ich hätte es auf einem der anderen Parkplätze versuchen können. Oder in einem anderen Park. Oder in einer einsamen Ecke des Hafens. Aber ich entschied mich anders. Mir war plötzlich in den Sinn gekom­men, dass es auch Vorteile haben konnte, den toten Henderson in der Nähe zu haben. Ich durfte nur nicht von der Blechmarkengang ge­schnappt werden.

Ich entschloss mich, auf mein Glück zu vertrauen.

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*

Die Sache hatte mich aufgehalten, aber nicht lange genug, um Joan Robbins zu verpassen. Um zehn vor zwölf bog ich in die West Wright­wood ein, suchte die Nummer 80, die mir als Teil der Adresse bekannt war und parkte ein Stück von dem Haus entfernt. Ich ging davon aus, dass dies Hendersons letzte Fahrt zu seiner Firma gewesen war. Leider hatte er sie nicht mehr genießen können.

»Keine Dummheiten machen und immer hübsch sauber bleiben, Mister Henderson«, ermahnte ich ihn, bevor ich ausstieg.

Henderson zog es vor, weiterhin den Pelzmantel von innen zu be­trachten und zu schweigen.

Die West Wrightwood gehörte zu den besseren Wohngegenden. Es gab alte Villen, die herausgeputzt worden waren und zahllose Neu­bauten. Kaum eines der Häuser besaß mehr als drei Stockwerke und in den Untergeschossen hatten sich meistens Ärzte, Architekten, Inge­nieure und Dienstleistungsfirmen mit ihren Praxen oder Büros ange­siedelt. Bei einigen Häusern glaubte man, den frischen Mörtel und die kaum angetrocknete Farbe noch riechen zu können.

Die Nummer 80 war ein höchstens fünf Jahre alter zweistöckiger, gut fünfzig Meter langer nüchterner Sandsteinbau, dem man die wuch­tigen Doppel-T-Träger ansah, die in ihm steckten. Im Kontrast zu den eckigen Konturen stand allein das pompöse Eingangsportal mit Halb­säulen aus Marmor und einer chromverzierten Doppeltür aus Ei­chenholz und Glas. Ich studierte die am Eingang angebrachten Firmen­schilder. Wie es aussah, residierte die Firma Henderson & Shuster im gesamten linken Parterreflügel. Hinter den Fensterscheiben sah ich Zeichenbretter, Zeichenmaschinen und Typen in weißen Kitteln, die sich daran zu schaffen machten.

Der Laden schien größer zu sein, als ich mir das vorgestellt hatte. Allmählich leuchtete mir ein, wie der Laden florieren konnte, wenn die Chefs erst gegen Mittag eintrudelten - oder einen längeren Urlaub an­getreten hatten.

Ich zündete mir eine Lucky an, ließ die Sonne auf meine Veilchen scheinen und wartete. Pünktlich um zwölf spuckte die Doppeltür eine

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Anzahl von Kerlen und Ladies aus, die einzeln oder in Gruppen die Straße hinaufgingen. In der nächsten Querstraße, der North Magnolie, gab es eine Anzahl von Coffee Shops und Diners, wie ich wusste. Wahrscheinlich waren sie dorthin unterwegs.

Ich hatte keine Vorstellung, wie Joan Robbins aussah. Der Stimme nach war sie Jung, aber weitere Anhaltspunkte besaß ich nicht.

Eine junge Frau trat aus dem Portal, blieb davor stehen und schaute sich suchend um. Es konnte keinen Zweifel geben, dass es sich um die Sekretärin handelte. Ich war angenehm überrascht. Die Lady war Mitte zwanzig, schlank und besaß ein hübsches, sonnenge­bräuntes Gesicht mit großen dunklen Augen und einer kecken Stups­nase, das von dunkelbraunen Locken eingerahmt wurde. Sie trug ei­nen hellgrauen Rock und eine dünne, altrosafarbene Bluse. Was sich darunter abzeichnete, als eine leichte Brise die Bluse gegen den Inhalt drückte, war genauso keck nach oben gerichtet wie die Nase.

Ich nahm einen Zug von meiner Zigarette und schlenderte heran. »Miss Robbins?« Die Lady hatte mir interessiert entgegengesehen. Jetzt betrachtete

sie mein Gesicht. Ob sie eine Veilchenliebhaberin war, konnte ich nicht beurteilen, aber zumindest machte sie keinen allzu erschrockenen Ein­druck.

»Mister Carmichael?« Ich hielt es nicht für nötig, meine Blessuren zu erklären. »Lassen

Sie uns irgendwo hingehen, wo wir uns in Ruhe unterhalten können.« »In der West Drummond gibt es ein Lokal, wo man alles bekommt

und wo für gewöhnlich keine Arbeitskollegen aufkreuzen«, erklärte sie. Ich stellte zufrieden fest, dass die Lady mich richtig einschätzte.

Vielleicht hatte mein lebenserfahrenes Gesicht dazu beigetragen. Wir gingen zu meinem Plymouth und ich ließ sie auf der Beifahrer­

seite einsteigen. Sie schaute flüchtig nach hinten. »Sie handeln mit Pelzmänteln?« »Damit gebe ich mich nicht ab. Es handelt sich um Erbstücke ei­

nes Verstorbenen.« »In welcher Branche sind Sie dann tätig, Mister Carmichael?«

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»In der Böse-Buben-Branche, aber das muss Sie nicht kümmern, Schätzchen. Die Fäuste benutze ich nur, wenn die Umstände es erfor­dern. Ladies gegenüber bin ich nur ungestüm, wenn sie es wün­schen.«

Sie nahm es kommentarlos zur Kenntnis, aber sie musterte mich mit einem gewissen weiblichen Interesse von der Seite, während wir die West Wrightwood hinauf zur North Magnolia und dann zur West Drummond fuhren. Ich registrierte, dass ihr Blick dabei an der ausge­beulten Stelle im Jackett, an der sich mein 38er befand, hängen blieb.

Sie zeigte mir den Laden, der sich den Ruf erworben hatte, für mancherlei Geschmäcker Problemlösungen bereitzuhalten und ich fand direkt davor einen Parkplatz. Es handelte sich um ein kleines Lokal na­mens Odds & Ends, das im modernen schnörkellosen Stil eingerichtet war: schlichte geometrische Formen, glattes braunes Leder, Messing­beschläge und Chromleisten. Über der Bar hing eine große französi­sche Uhr, die viertelstündlich gongte und ebenfalls reichlich mit Chrom verziert war.

Wir suchten uns einen Tisch in einer Nische aus und bestellten Steaks mit Pilzen und Getränke. Die Lady wählte aus den Kaffeespezia­litäten des Hauses einen süßen kalten Kaffee aus, während ich die ungesüßte Sorte orderte. Was geliefert wurde, entsprach unseren Wünschen: In ihrer Kaffeetasse schwappte Likör, in meiner Bourbon.

Bisher hatten wir Smalltalk gepflegt, aber nach dem Essen kam ich zur Sache. Ich trank einen Schluck Bourbon, zündete mir eine Zigaret­te an und sagte: »Sie haben zwei Chefs, Miss Robbins. Welchen von beiden mögen Sie lieber?«

»Ich mag sie beide nicht besonders«, gab sie zu. »Mister Hender­son ist kleinlich und streng, während Mister Shuster... Nun, er ist ü­bernervös und schreit viel herum.«

»Ist Shuster Ihnen schon mal an die Wäsche gegangen, Schätz­chen?«

Wenn die Frage sie verlegen machte, ließ sie es sich nicht anmer­ken. »Ja, so kann man es nennen«, sagte sie und nippte an ihrem Likör. »Aber ich habe ihm klargemacht, dass ich das nicht wünsche.«

»Weil Sie sich für die Ehe aufsparen wollen?«

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Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass die Löckchen flogen. »Weil er ein Würstchen ist!« Sie biss sich auf die Lippen. »Ich hoffe, ich habe nichts Falsches gesagt. Schließlich ist Mister Shuster Ihr Geschäftspart­ner.«

Ich hakte sofort ein. »Sie wissen, welche Art von Geschäften Mis­ter Smith und ich betreiben?«

»Sie... kaufen... Dinge auf und verkaufen sie weiter?«, fragte sie vorsichtig.

Ich stellte fest, dass die Lady über Shusters Absichten offenbar besser informiert war, als ich gedacht hatte. Nach außen hin gab ich mich schroff. »Hat Shuster etwa mit Ihnen über unser Geschäft gere­det?«

»Nein, nein, natürlich nicht«, haspelte sie hervor. »Ich habe mir nur einiges zusammengereimt. Ich weiß, dass es einen Streit zwischen den beiden Chefs gab, in dem es um eine Erfindung von Henderson ging. Shuster hat anschließend im Büro herumgetobt und seltsame Andeutungen gemacht.«

»Was für Andeutungen?« »Dass er auch anders könne und Henderson sich wundern würde.

Dass es auch andere Abnehmer gebe. Und ähnliche Sachen. Dann kamen die Anrufe von Mister Smith, aus denen Shuster ein großes Geheimnis zu machen versuchte. Mir war sofort klar, worum es ging. Henderson übrigens auch. Er hat sogar einen Privatdetektiv engagiert, der Shuster überwachen soll.«

Ich tat erstaunt. »Wirklich? Das ist mir neu.« Die Lady sah mich unsicher an. »Aber es müsste Ihnen eigentlich

doch bekannt sein, Mister Carmichael. Shuster wusste jedenfalls da­von. Er hat geschäumt, als er es hörte und sagte, er würde Gegen­maßnahmen ergreifen. Ich bin davon ausgegangen, dass er Mister Smith von der Sache erzählt hat.«

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Möglich, dass er es getan und Smith sich darum gekümmert hat. Ich befasse mich nur mit den rein geschäftlichen Dingen.« Ich trank einen Schluck Bourbon. »Bei Henderson & Shuster scheint ja jeder über jeden alles zu wissen.

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Wieso hat Henderson denn die Sache mit dem Privatdetektiv heraus­posaunt? Wollte er Shuster damit einschüchtern?«

Joan Robbins schüttelte wieder den Kopf, diesmal nicht so heftig. »Henderson hat darüber kein Wort verloren, aber er hat jemanden aus der Firma zu dem Detektiv geschickt, um ihm einen Vorschuss zu ü­berbringen. Und der hat es Shuster gesteckt und es auch sonst überall herumerzählt.«

»Dumm gelaufen, meinte ich. »Wissen Sie zufällig, wie der Detek­tiv heißt, Schätzchen?«

»Pat Connor.« Ich zuckte die Achseln. »Nie gehört. Scheint keine große Nummer

zu sein.«

*

Ich führte ein Telefongespräch, nach dem mir die Ohren klingelten. Dann zahlte ich für uns beide, brachte Joan Robbins zur Firma zurück und verabredete mich mit ihr für den Abend. Von dem Job war keine Rede mehr. Ich hatte den Eindruck, dass ihr inzwischen ein paar ande­re Dinge wichtiger waren. Das traf sich mit meinem Interesse an altro­sa umhüllten Konturen der Lady, die ich studiert hatte.

Während die Lady im Gebäude verschwand, blieb ich in meinem Wagen sitzen und wartete auf Shuster. Ich rauchte und überdachte die Situation. Allmählich rundete sich das Bild. Henderson hatte sich so naiv verhalten, wie man es von einem alten Ingenieur erwarten müss­te. Er hatte offenbar keinen Mann seines Vertrauens, sondern irgend­einen beliebigen Angestellten zu mir geschickt und diesem womöglich nicht einmal eingeschärft, dass die Sache geheim bleiben sollte. Viel­leicht hatte er sich in falscher Einschätzung der Lage darauf verlassen, dass außer Shuster jeder in der Firma loyal zu ihm stand. Ein folgen­schwerer Irrtum, der mir das Leben schwer gemacht hatte.

Immerhin wusste ich jetzt, warum Melcalve mich loswerden woll­te. Ich störte seine Geschäfte. Aber er war mich nicht losgeworden. Noch nicht. Und ich hatte die Absicht, seine Geschäfte nun erst recht zu stören. Ich war bereit, alles auf eine Karte zu setzen.

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Eine nagelneue Packard-Limousine fuhr vor und Shuster stieg aus. Ich beeilte mich, aus meinem Plymouth zu kommen.

»Mister Shuster«, rief ich, als er die Wagentür ins Schloss gewor­fen hatte und sich dem Eingang des Gebäudes zuwandte.

Shuster drehte sich zu mir um. Ich schloss zu ihm auf und ließ ihm Zeit, durch seine Nickelbrille mein lädiertes Gesicht zu betrachten. Es tat mir jetzt gute Dienste. Außerdem hatte ich die Jackettjacke aufge­knöpft und verschaffte ihm Gelegenheit, das Schulterhalfter mit der Waffe zu erspähen.

Seine Augen verengten sich. Ich ging davon aus, dass die eine wie die andere Wahrnehmung ihm einen ganz bestimmten Eindruck über meine Profession vermittelte.

»Sie wünschen?«, fragte er unsicher und fuchtelte nervös mit den Händen herum.

Am liebsten hätte ich ihm einen Kinnhaken versetzt. Nicht nur, um das Herumzappeln zu beenden. Der Schurke hatte jeden Kinnhaken der Welt verdient. Aber ich riss mich zusammen.

»Mister Smith ist heute verhindert«, erklärte ich. »Ich habe den Auftrag, Sie zu einer Besprechung abzuholen.«

»Aber...«, stammelte Shuster. »Das kommt etwas plötzlich und ich habe die Unterlagen nicht...«

»Die Unterlagen können Sie uns später aushändigen«, fiel ich ihm ins Wort. »Unsere Fachleute haben die Sache günstig beurteilt und ich darf Ihnen mitteilen, dass Ihre Vorbedingung bereits erfüllt wurde.«

In Shusters Augen leuchtete gehässiger Triumph auf. »Sie ha­ben...« Er ließ den Satz unausgesprochen.

»Ja, wir haben«, bestätigte ich. »Und jetzt will der Boss Sie sehen und Ihnen ein Angebot unterbreiten.«

Shuster zögerte. »Ich weiß nicht, ob ein solches Treffen nicht bes­ser an einem neutralen Ort...«

»Es ist ein neutraler Ort«, beruhigte ich ihn. »Er liegt nahe dem Police Department. In aller Öffentlichkeit. Sie gehen kein Risiko ein.« Als er immer noch zögerte, fügte ich hinzu: »Ich rate Ihnen, die Einla­dung anzunehmen und den Boss nicht zu verärgern.«

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Shuster wurde noch blasser, als er ohnehin schon war und zappel­te noch mehr als üblich herum. Dann nickte er und wollte sich seinem Packard zuwenden.

Ich packte ihn an einem der Zappelarme und zog ihn mit mir. »Wir nehmen meinen Wagen.«

Er ließ es widerstandslos geschehen. Ich bugsierte ihn zur Beifah­rertür und war ihm beim Einsteigen nachdrücklich behilflich. Er machte dabei kein sonderlich glückliches Gesicht, aber ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, Schurken wie Shuster glücklich zu machen.

Ich war heilfroh, als ich hinter dem Lenkrad saß und den Motor startete. Wenn Shuster es sich jetzt noch anders überlegt hätte, wäre er doch noch zu seinem Kinnhaken gekommen. Ich war fest entschlos­sen, meinen Plan durchzuführen, ob es Shuster nun passte oder nicht.

*

Shuster hatte keine Lust zu reden und ich erst recht nicht. Mit diesem Knilch hätte ich mich nicht einmal über Baseball unterhalten wollen. Ich rauchte und Shuster paffte. Er war viel zu nervös, um auf irgen­detwas in seiner Umgebung zu achten. Schon gar nicht, wenn es auf dem Rücksitz lag. Meine einzige Sorge war, dass der selige Mister Henderson von den Toten auferstehen und seinen ehemaligen Ge­schäftspartner würgen könnte. Aber Henderson verzichtete darauf, durch posthume Darbietungen von sich reden zu machen.

Als ich das Police Department erreichte, paffte ich genauso hek­tisch wie Shuster. Womit ich nicht behaupten will, dass der Knilch mich irgendwie angesteckt hatte. Ich war schlicht und einfach ein bisschen nervös. Immerhin ging es für mich um einiges. Und ich konnte das Ding nicht alleine schaukeln. Ich brauchte Unterstützung. Und ich war mir nicht sicher, ob ich sie bekam.

Vor dem Police Department parkten ein halbes Dutzend Polizeiwa­gen. Mir wurde etwas flau im Magen, als ich sie sah. Vor zwei Stunden noch hätte ich das Gaspedal durchgetreten und das Weite gesucht. Jetzt trat ich auf die Bremse, fuhr an den Bürgersteig heran und reihte mich als letztes Glied in die Schlange ein.

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»Muss das sein?«, krächzte Shuster. »Nehmen Sie es von der heiteren Seite«, riet ich ihm. »Dem Boss

gefallen Spaße dieser Art.« »Mir aber nicht«, bekannte der Knilch. Ich zuckte die Achseln und behielt den Haupteingang des Police

Department im Auge. Dort rührte sich nichts. Das beruhigte mich ein wenig. Aber ich traute der Sache noch lange nicht.

»Worauf warten wir?«, murrte Shuster und zündete sich eine neue Zigarette an.

Ich tat es ihm gleich. »Auf den Boss.« »Melcalve oder O'Malley?«, wollte Shuster wissen. »Auf Mister Jones.« »Aha. Und wie heißt Mister Jones in Wahrheit?« »Das wird er Ihnen selbst erzählen.« Ich entdeckte einen Hünen, der von der gegenüberliegenden Stra­

ßenseite auf den Plymouth zukam. Er war gut ein Meter neunzig groß und brachte es auf mindestens 110 Kilogramm Gewicht. Der Kerl wirk­te überaus gewichtig, aber keineswegs fett. Er trug einen dunklen An­zug mit hellgrauen Nadelstreifen. Das Jackett stand offen und ließ beim Gehen ein Schulterhalfter und einen Revolverknauf erkennen. Der Hut des Mannes war tief herabgezogen und sein Gesicht lag im Schatten.

Ich hatte den Kerl sofort erkannt und atmete tief durch. Er hatte also Wort gehalten. Nach den Beschimpfungen, die er mir ins Ohr ge­brüllt hatte, als ich ihn im Odds & Ends anrief, war ich mir dessen nicht sicher gewesen.

Ich kurbelte die Scheibe herunter, als der Kerl meinen Wagen er­reicht hat.

»Steigen Sie hinten ein, Mister Jones«, sagte ich. »Hoffentlich stört es Sie nicht, dass es etwas eng wird. Ich bin noch nicht dazu gekommen, im Wagen aufzuräumen.«

Mister Jones nickte nur, umrundete den Wagen und öffnete auf der rechten Seite die hintere Tür. Dann zwängte er sich hinein. Er musste dabei den seligen Henderson ein Stück zur Seite schieben,

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aber das schien ihm nichts auszumachen. Henderson wohl auch nicht. Zumindest hörte ich nicht, dass er sein Missfallen artikulierte.

Shuster hatte sich halb ängstlich und halb neugierig zu Mister Jo­nes umgedreht und starrte ihn durch seine Nickelbrille an.

»Nach vorn schauen!«, herrschte dieser ihn an. Shuster gehorchte und äugte lediglich in den Rückspiegel. »Sie hatten eine Bedingung für das Geschäft genannt, Shuster«,

knurrte Mister Jones. »Wir haben die Bedingung erfüllt. Jetzt dürfen Sie nach hinten schauen. Na los, Kerl!«

Es war eine theaterreife Darbietung, das musste ich anerkennen. Er hielt sich nahezu wortgetreu an den Text, den ich ihm vorgegeben hatte.

Mit einem Ruck zog Mister Jones den Pelzmantel vom Körper des seligen Henderson und richtete die Leiche auf.

Shuster stieß einen leisen Schrei aus, fasste sich aber erstaunlich schnell wieder. Er musterte den Toten und ein schmieriges Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus.

»Gute Arbeit, Mister Jones«, meinte er. »Bedanken Sie sich nicht bei mir, sondern bei Melcalve und seinen

Gorillas!«, brüllte Captain Hollyfield und legte damit die Maske des Mis­ter Jones ab. Gleichzeitig zog er die Waffe und drückte sie Shuster ins Genick. »Ganz ruhig, Mister Shuster. Wir machen gleich einen kleinen Spaziergang und danach ein paar hübsche Fotos. Sonst passiert gar nicht mehr viel.«

Hollyfield holte mit der anderen Hand eine Trillerpfeife aus der Ja­cketttasche und blies so laut darauf, dass ich fürchtete, Hirnsausen da­von zu bekommen. Im nächsten Moment stürmten sechs Blechmar­kenjungs aus dem Police Department und rannten mit gezogenen Schießeisen auf den Plymouth zu.

Shuster war kreidebleich geworden und das schmierige Grinsen war wie weggewischt.

»Erzählen Sie bloß keinem, dass ich mich auf Ihre Schmierenko­mödie eingelassen habe, Connor!«, knurrte Hollyfield. »Wenn Sie mich diesmal verladen hätten, wären Sie Ihres Lebens nicht mehr froh ge­

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worden. Ich hätte Sie höchstpersönlich verfolgt - notfalls bis zu den Pforten der Hölle!«

*

Ich musste meine Aussage zu Protokoll geben und mir einiges anhö­ren, als ich schilderte, was sich auf dem Wacker Drive ereignet hatte. Irgendwann durfte ich nach Hause fahren. Ohne Fahrgast. Der selige Mister Henderson war inzwischen in ein größeres Taxi mit schwarzen Gardinen vor den Fenstern umgestiegen.

Ich gönnte mir ein paar Whiskeys bei Dunky, aber nicht zu viele. Später am Abend hatte ich Gelegenheit, den Inhalt einer altrosafarbe­nen Bluse zu besichtigen. Und einiges mehr.

Als ich am nächsten Morgen mit Joan aus der Wohnung spazierte, traf ich auf Mrs. Stevens, die mir stolz ihre nagelneue Brille präsentier­te.

Damit löste sich dann auch das letzte Rätsel, das verblieben war. Mrs. Stevens war schon seit langer Zeit kurzsichtig und musste zugeben, dass sie ein bisschen geflunkert hatte. Die Typen, die sich für mein Auto interessierten, konnte sie nur schemenhaft erkennen. Dass es sich um Giovannis gehandelt hatte, war ganz und gar ihrer Fantasie entsprungen.

So wichtig war Pat Connor eben doch nicht, dass sich die beiden Verbrechersyndikate gegen ihn verbündeten. Ich nahm es mit einem lachenden und einem weinenden Auge zur Kenntnis.

Ende

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