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Legitimationsdefizite und Kompetenzen der EIOPA im Lichte der Meroni-Rechtsprechung

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ZVersWiss (2013) 102:325–351 DOI 10.1007/s12297-013-0251-5 ABHANDLUNG Legitimationsdefizite und Kompetenzen der EIOPA im Lichte der Meroni-Rechtsprechung Jens Gal Online publiziert: 16. Oktober 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 Zusammenfassung Der Prozess der Agenturisierung der Verwaltung der Europäi- schen Union hat mit der Gründung der Europäischen (Finanz-) Aufsichtsbehör- den (ESA) einen neuen Höhepunkt erreicht. Der neu gegründeten Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversor- gung (EIOPA) kommen hierbei zum Teil einschneidende Befugnisse gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden und den Marktteilnehmern zu. Im Hinblick hierauf stellt sich die Frage nach einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage der Euro- päischen Union zur Gründung dieser Aufsichtsbehörde. Zudem bleibt unklar, ob der Umfang der auf EIOPA übertragenen Befugnisse mit sonstigen Strukturprinzi- pien des europäischen Primärrechts und der Rechtsprechung des EuGH in Einklang steht. Abstract The establishment of the European (Financial) Supervisory Authorities (ESA) represents a new peak in the process of agencification of the administration of the European Union. The European legislator has granted the newly founded European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) numerous far- reaching powers in relation to national supervisory authorities and market partici- pants. In this regard the question arises if the European Union was duly empow- ered by primary law to found this supervisory authority. It has, hitherto, also re- mained unclear if the extent of the powers entrusted to EIOPA is in conformity with other founding principles of European primary law and the case law of the ECJ. J. Gal (B ) Goethe-Universität, Frankfurt am Main, Germany e-mail: [email protected]
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Page 1: Legitimationsdefizite und Kompetenzen der EIOPA im Lichte der Meroni-Rechtsprechung

ZVersWiss (2013) 102:325–351DOI 10.1007/s12297-013-0251-5

A B H A N D L U N G

Legitimationsdefizite und Kompetenzen der EIOPAim Lichte der Meroni-Rechtsprechung

Jens Gal

Online publiziert: 16. Oktober 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Zusammenfassung Der Prozess der Agenturisierung der Verwaltung der Europäi-schen Union hat mit der Gründung der Europäischen (Finanz-) Aufsichtsbehör-den (ESA) einen neuen Höhepunkt erreicht. Der neu gegründeten EuropäischenAufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversor-gung (EIOPA) kommen hierbei zum Teil einschneidende Befugnisse gegenüber dennationalen Aufsichtsbehörden und den Marktteilnehmern zu. Im Hinblick hieraufstellt sich die Frage nach einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage der Euro-päischen Union zur Gründung dieser Aufsichtsbehörde. Zudem bleibt unklar, obder Umfang der auf EIOPA übertragenen Befugnisse mit sonstigen Strukturprinzi-pien des europäischen Primärrechts und der Rechtsprechung des EuGH in Einklangsteht.

Abstract The establishment of the European (Financial) Supervisory Authorities(ESA) represents a new peak in the process of agencification of the administrationof the European Union. The European legislator has granted the newly foundedEuropean Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) numerous far-reaching powers in relation to national supervisory authorities and market partici-pants. In this regard the question arises if the European Union was duly empow-ered by primary law to found this supervisory authority. It has, hitherto, also re-mained unclear if the extent of the powers entrusted to EIOPA is in conformitywith other founding principles of European primary law and the case law of theECJ.

J. Gal (B)Goethe-Universität, Frankfurt am Main, Germanye-mail: [email protected]

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1 Einleitung

Die Europäische Union verfügt seit 2011 über einen neuen Finanzaufsichtsrahmen.Das neu geschaffene Europäische Finanzaufsichtssystem (European System of Fi-nancial Supervision/ESFS)1 ruht hierbei auf zwei Säulen:2 Auf der einen Seite dieSäule der Makroaufsicht, die der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (Euro-pean Systemic Risk Board/ESRB) verkörpert,3 und auf der anderen Seite die Säuleder Mikroaufsicht. Das ESFS hat keine eigenen Aufsichtskompetenzen und keine ei-gene Rechtspersönlichkeit, sondern setzt sich hinsichtlich der Mikroaufsicht zusam-men aus drei unabhängigen europäischen Aufsichtsbehörden4 und einem gemeinsa-men Ausschuss. Bei diesen drei Aufsichtsbehörden handelt es sich um die Europäi-sche Bankaufsichtsbehörde (European Banking Authority/EBA)5 mit Sitz in Lon-don, die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securitiesand Markets Authority/ESMA)6 mit Sitz in Paris und die Europäische Aufsichtsbe-hörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (European

1Für einen allgemeinen Überblick siehe Wymeersch, Das neue europäische Finanzmarktregulierungs- undAufsichtssystem, in: ZGR 2011, S. 443–470; Baur/Boegl, Die neue europäische Finanzmarktaufsicht – DerGrundstein ist gelegt, in: BKR 2011, S. 177–186; noch zu den Entwürfen Partsch, Die Harmonisierungder Europäischen Finanzaufsicht, in: ZBB 2010, S. 72–76; Lehmann/Manger-Nestler, Die Vorschläge zurneuen Architektur der europäischen Finanzaufsicht, in: EuZW 2010, S. 87–92; grober Überblick bereitsbei Fischer zu Cramburg, EU-Finanzaufsicht: Verschärfte Vorschriften und neue Behörden, in: NZG 2009,S. 1179.2Ursprünglich sollte das ESFS – damals noch European System of Financial Supervisors – nur die Mi-kroaufsicht zusammenfassen; siehe bereits Ksion, Mitteilung vom 27.05.2009 zur Europäischen Finanz-aufsicht, in: KOM (2009) 252 endg., S. 3 und passim; vgl. hierzu Lehmann/Manger-Nestler (Fn. 1), S. 89;Iglesias Rodríguez, Towards a new European Supervision Architecture, in: Col. J. Europ. L. online 16(2009/2010) Heft 1, S. 1–6 (1). Das ESBR wäre zu diesem Zeitpunkt also nicht Bestandteil des ESFSgewesen, was sich aber nunmehr geändert hat (vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. a EIOPA-VO).3Verordnung (EU) 1092/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Finanzaufsicht der Eu-ropäischen Union auf Makroebene und zur Errichtung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken,in: ABl. L-331 vom 15.12.2010, S. 1.4Das Konzept von einer monolithischen Behörde mit drei Abteilungen, das dem Europäischen Parlamentwohl vorschwebte (vgl. die Fehldeutung des de Larosière-Berichts durch Committee on Economic andMonetary Affairs des EP, Bericht A7-0170/2010 vom 26.05.2010, S. 118 f.), hat sich zumindest vorerstnicht durchgesetzt; unverständlich insofern Lehmann/Manger-Nestler (Fn. 1), S. 88, die in den Kommissi-onsentwürfen ein Konzept der Allfinanzaufsicht erkennen wollen.5Verordnung (EU) 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung einer Euro-päischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr.716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission, in: ABl. L-331 vom15.12.2010, S. 12; zur EBA Baur/Boegl (Fn. 1), S. 177 (insb. S. 181 ff.).6Verordnung (EU) 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung einer Euro-päischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier-und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Be-schlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission, in: ABl.L-331 vom 15.12.2010, S. 84; zur ESMA siehe Möllers, Auf dem Weg zu einer neuen europäischen Fi-nanzmarktaufsichtsstruktur – Ein systematischer Vergleich der Rating-VO (EG) Nr. 1060/2009 mit dergeplanten ESMA-VO, in: NZG 2010, S. 285–290; Hoffmann/Detzen, ESMA – Praktische Implikationenund kritische Würdigung der neuen Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, in: DB 2011,S. 1261–1263.

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Insurance and Occupational Pensions Authority/EIOPA)7 mit Sitz in Frankfurt amMain.8

Als erste neue europäische Aufsichtsbehörde hat EIOPA bereits einige Tage nachihrer Gründung ihre Arbeit aufgenommen, zunächst mit der Konstituierung ihres Ver-waltungsrates9 und anschließend durch Wahl von Gabriel Bernardino zum ersten Vor-sitzenden von EIOPA.10 Gleichwohl muss EIOPA auch zwei Jahre nach ihrer Grün-dung noch als Behörde im Aufbau gelten.11 Auch mit ihrer Konstituierung und derAufnahme der Arbeit ist jedoch – trotz aller Macht des Faktischen – die Kontroverseum die Zulässigkeit der Gründung der EIOPA (und der anderen Finanzaufsichtsbe-hörden) und die hinreichende Ausgestaltung ihrer Kompetenzen nicht beendet. DieDiskussion verschiebt sich nunmehr lediglich aus dem politischen Forum – in demzäh um die Ausgestaltung und insbesondere die Durchgriffsbefugnisse gerungen wur-de12 – in die rechtswissenschaftliche Sphäre.

Nicht erst seit den Schlussanträgen des Generalanwalts Jääskinen im derzeit an-hängigen „ESMA“-Verfahren13 stellt sich die Frage, ob die Europäische Union hin-reichend zur Errichtung der EIOPA ermächtigt war bzw. ob die Errichtung auf dierichtige Ermächtigungsnorm des Primärrechts gestützt wurde (Abschn. 2). Hierananknüpfend ist zu untersuchen, ob im Hinblick auf die übertragenen Aufgaben undBefugnisse die EIOPA im Widerspruch zur sogenannten Meroni-Doktrin steht oderob zumindest bestimmte dieser Befugnisse im Lichte dieser Rechtsprechung teleolo-gisch reduziert werden müssen (Abschn. 3).

7Verordnung (EU) 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung einer Europäi-schen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betrieblicheAltersversorgung), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses2009/79/EG der Kommission, in: ABl. L-331 vom 15.12.2010, S. 48.8Diese Sitzwahl lässt Müller-Reichart u.a. spekulieren, dass die BaFin auf Grund der lokalen Konkurrenzzu EIOPA der Gefahr eines brain drain ausgesetzt sei (Müller-Reichart/Altenhofen/Wagner/Weckbecker,Die Rollen werden bei der Aufsicht neu verteilt, in: VW 2011, S. 962–965 [964]). Sollte sich dies tatsäch-lich als realistische Gefahr erweisen, so muss der deutsche Aufseher wohl dankbar sein, dass sich nicht ei-nige Europaparlamentarier mit ihrer Idee durchsetzten, alle Europäischen Aufsichtsbehörden nach Frank-furt zu verlagern, um sie mit der EZB und dem ESRB an einem Standort zu vereinen, vgl. Wymeersch (Fn.1), S. 456; Weber-Rey, Neue Finanzaufsichtsarchitektur für Europa, in: AG 2010, S. R453–R456 (R455);Berschens, Die EU soll nun doch eine mächtige zentrale Finanzaufsicht bekommen, in: Handelsblatt vom02.09.2010, S. 13.9Siehe Lansch, EIOPA hat ersten Vorstand gewählt, in: VW 2011, S. 90.10Anonymus, Personen – Management, in: VW 2011, S. 182–183 (183); anders als die Wahl der Vorsit-zenden der anderen ESAs (sc. Andrea Enria, EBA und Steven Maijoor, ESMA) ist dies auch auf breiteZustimmung gestoßen Berschens, Europaparlament zweifelt an neuen EU-Finanzaufsehern, in: Handels-blatt vom 28./29.01.2011, S. 31; vgl. auch Detering, Der mächtige Leisetreter aus Portugal, in: Handels-blatt vom 27./28./29.08.2012, S. 30; erwähnenswert auch noch die Wahl von Carlos Montalvo Rebueltazum ersten Exekutivdirektor, vgl. anonymus, Personen – Management, in: VW 2011, S. 489; siehe auchMüller-Reichart/Altenhofen/Wagner/Weckbecker, Die Rollen werden bei der Aufsicht neu verteilt, in: VW2011, S. 962–965 (963).11So treffend für das Jahr 2012 Sasserath-Alberti/Hartig, EIOPA-Verordnung: Rechtliche Herausforde-rungen für die Praxis, in: VersR 2012, S. 524–535 (524).12Vgl. hierzu ausführlich Gal, Europäische Streitbeilegungsmechanismen bei Meinungsverschiedenheitenzwischen nationalen Versicherungsaufsichtsbehörden – EIOPA als Schlichter, Mediator, Schiedsrichteroder in genuinem Kleide?, in: ZVersWiss 2013, S. 7–34 (8 f.).13Siehe GA Jääskinen, Schlussanträge zur Rs. C-270/12 (UK ./. Rat und EP; sog. ESMA-Verfahren).

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2 Ermächtigung zur Errichtung der EIOPA gemäß dem Primärrecht

Mit Blick auf das Demokratieprinzip und das institutionelle Gleichgewicht inner-halb der Europäischen Union stellt sich eine Externalisierung von Kompetenzen voneinem Unionsorgan auf eine vertragsexterne Einrichtung als problematisch dar. DerProzess der „Agenturisierung“ der Unionsverwaltung14 – d.h. der Aufbau einer mehr-stufigen unmittelbaren Verwaltung der Europäischen Union – stößt hierbei nicht nurauf teilweise geäußerte grundlegende Bedenken, sondern erweist sich auch speziellim Bereich der Finanzmarktaufsicht als nicht unbedenklich.

2.1 EIOPA als Unionsagentur

Hierbei ist im Hinblick auf den Prüfungsmaßstab zunächst die Frage aufzuwerfen, obes sich bei der EIOPA um eine sogenannte Unionsagentur15 handelt, da für diese be-reits eine recht umfassende Kasuistik und facettenreiche Einordnungsversuche durchdie Literatur bestehen. Der Begriff der Unionsagentur ist allerdings weder im Primär-recht noch in andern Unionsakten legal definiert.16 In seiner Mitteilung zu den Rah-menbedingungen für die europäischen Regulierungsagenturen17 deduziert die Kom-mission aus dem damaligen Bestand der Agenturen deren gemeinsame Wesensmerk-male dahingehend, dass es sich jeweils um eine Institution handelt, die durch eineVerordnung zum Zweck der Durchführung bestimmter im Gründungsakt festgelegterAufgaben eingerichtet wird, eigene Rechtspersönlichkeit besitzt und über eine gewis-se organisatorische und finanzielle Autonomie verfügt.18 Diese Umschreibung – eshandelt sich, nota bene, nicht um eine Definition – wurde auch im Folgenden nur un-wesentlich durch die Kommission weiterentwickelt. So sah selbst der Entwurf für ei-ne Interinstitutionelle Vereinbarung zur Festlegung von Rahmenbedingungen für dieeuropäischen Regulierungsbehörden eine nur sehr rudimentären Definitionsversuch

14Angelehnt an den englischen Begriff der agencification, siehe hierzu bspw. Chamon, EU-Agencies:Does the Meroni Doctrine Make Sense?, in: Maastricht J. Eur. & Comp. L. 2010, S. 281–305 (281); That-cher, The Creation of European Regulatory Agencies and its Limits: A Comparative Analysis of EuropeanDelegation, in: J. Eur. Publ. Pol. 2011, S. 790–809 (790). In Deutschland wird das Resultat, nicht aber derProzess typischerweise mit dem Begriff Agenturwesen oder dem abschätzigen Terminus Agenturunwesenbeschrieben; vgl. Kühling, Die Zukunft des Europäischen Agentur(un)wesens – oder: Wer hat Angst vorMeroni, in: EuZW 2008, S. 129; Wittinger, „Europäische Satelliten“: Anmerkungen zum EuropäischenAgentur(un)wesen und zur Vereinbarkeit Europäischer Agenturen mit dem Gemeinschaftsrecht, in: EuR2008, S. 609–627.15Brenner, Die Agenturen im Recht der Europäischen Union, in: Ipsen/Stüer (Hrsg.), Europa im Wandel– Festschrift für Hans-Werner Rengeling, Köln 2008, S. 193–204 (196) differenziert von den Unionsagen-turen noch die Agenturen des Gemeinschaftsrechts.16Vgl. Bodiroga-Vukobrat/Martinovic, European Decentralised or Regulatory Agencies – Quest for aCommon Approach, in: Bodiroga-Vukobrat/Sander/Baric (Hrsg.), Regulierungsagenturen im Spannungs-feld von Recht und Ökonomie, Hamburg 2012, S. 67–102 (70); Siekmann, Neuorganisation der Finanz-aufsicht, in: Kadelbach (Hrsg.), Nach der Finanzkrise, Baden-Baden 2012, S. 131–220 (172).17Auf europäischer Ebene wird zwischen Exekutivagenturen und Regulierungsagenturen unterschieden;vgl. hierzu Calliess, in: ders./Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage, München 2011, Art. 13 EUV Rdn. 33.18Ksion, Mitteilung zu Rahmenbedingungen für die europäischen Regulierungsagenturen vom11.12.2002, in: KOM (2002) 718 endg., S. 3.

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vor, nach dem unter Regulierungsagenturen „eine autonome Rechtsperson zu verste-hen [sei], die vom Gesetzgeber errichtet wird, um an der Regulierung eines Sektorsauf europäischer Ebene und an der Durchführung einer Gemeinschaftspolitik mitzu-wirken“.19 Weder in der Gemeinsamen Erklärung und dem Gemeinsamen Konzeptzu den dezentralen Agenturen aus dem Jahr 2012 noch in der hieran anknüpfendenroadmap der Kommission aus demselben Jahr findet sich ein Definitionsversuch.20

In Ermanglung einer brauchbaren legislatorischen Definition ist insofern auf sol-che der Literatur zurückzugreifen. Nach einer von Fischer-Appelt vorgeschlagenenDefinition sind Unionsagenturen relativ unabhängige Einrichtungen, die auf Dauerangelegt, mit speziellen, eigenständigen Aufgaben befasst und als Einrichtungen desUnionsrechts mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind.21 Diese Definitionhat weitestgehend Zustimmung gefunden,22 wobei auch durch sie nur wenig an Klar-heit gewonnen ist.

Prima facie scheint EIOPA diese Merkmale sämtlich zu erfüllen. So ist das Krite-rium der Dauerhaftigkeit unproblematisch erfüllt, da die Europäische Union mit Er-richtung der EIOPA eine ständige Neuausrichtung des europäischen Versicherungs-aufsichtssystems erreichen will. Auch ist EIOPA keine Dienststelle der Kommission,sondern ist personell, organisatorisch und in seinen Beschlüssen von dieser (und denanderen Organen der EU) unabhängig (vgl. insb. Artt. 42, 46, 49 und 52 EIOPA-VO).Diese Unabhängigkeit wird durch die in Art. 3 EIOPA-VO geregelte Rechenschafts-pflicht gegenüber dem Rat und dem Europäischen Parlament auch nicht etwa in Fragegestellt, sondern eher noch zusätzlich betont. Die Unabhängigkeit wird zusätzlich da-durch belegt, dass ein Vertreter der Kommission zwar Mitglied des Rats der Aufseher– des Hauptbeschlussorgans der EIOPA – ist, diesem jedoch keine Stimmberechti-gung zukommt (Art. 40 Abs. 1 lit. c EIOPA-VO). Zudem verfügt EIOPA über eineigenes Budget und genießt weitgehende haushaltsrechtliche Unabhängigkeit (vgl.Artt. 62 ff. EIOPA-VO). Auch werden EIOPA zahlreiche, spezielle eigenständigeAufgaben zugewiesen (siehe Art. 8 Abs. 1 EIOPA-VO). Schließlich ist EIOPA aus-weislich der Regelung des Art. 5 Abs. 1 EIOPA-VO eine Einrichtung des Unions-rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit.

Gleichwohl verbleiben Restzweifel, ob der Agenturbegriff auf EIOPA und die an-deren Finanzaufsichtsbehörden passt. Die Problematik liegt hierbei in der Heteroge-

19Ksion, Entwurf für einen [sic!] Interinstitutionelle Vereinbarung zur Festlegung von Rahmenbedingun-gen für die europäischen Regulierungsbehörden vom 25.02.2005, in: KOM (2005) 59 endg., S. 6.20Gemeinsame Erklärung und Gemeinsames Konzept des Europäischen Parlaments, des Rates der EUund der Europäischen Kommission zu den dezentralen Agenturen vom 19.07.2012 und Roadmap on thefollow-up to the Common Approach on EU decentralised agencies vom 19.12.2012; beide abrufbar unterhttp://europa.eu/agencies/regulatory_agencies_bodies/index_en.htm.21Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft – Eine Studie zu Rechtsproblemen, Legiti-mation und Kontrolle europäischer Agenturen mit interdisziplinären und rechtsvergleichenden Bezügen,Berlin 1999, S. 38.22Bredt, Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen – Vom funktionalen zum politik-feldbezogenen Demokratieprinzip, Tübingen 2006, S. 411; i.E. ähnlich Griller/Orator, Everything undercontrol? The “Way Forward” for European Agencies in the Footsteps of the Meroni Doctrine, in: ELR2010, S. 3–35 (7); Chamon (Fn. 14), S. 283.

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nität der bestehenden Unionsagenturen,23 die eine Vergleichbarkeit und Einordnungschwierig gestaltet. So mögen erste Zweifel darin begründet sein, dass die EIOPA unddie anderen sektoralen europäischen Finanzaufsichtsbehörden gerade nicht als Agen-turen (agencies), sondern als Behörden (authorities) firmieren.24 Dies stellt jedochkeine Besonderheit der EIOPA dar, vielmehr gibt bzw. gab es mit der EuropäischenGNSS-Aufsichtsbehörde (GSA)25 und der Europäischen Behörde für Lebensmittel-sicherheit (EFSA) zwei nicht-finanzbezogene Einrichtungen der EU, die als Uni-onsagenturen betrachtet werden26 und ebenfalls als Behörden firmieren. Tatsächlichtaucht bei 19 der 42 (exklusive der Finanzaufsichtsbehörden) offiziell aufgeführtenUnionsagenturen27 das Wort Agentur im Namen nicht auf. Auch die Tatsache, dasses sich bei der EIOPA um eine Einrichtung des europäischen öffentlichen Rechts han-delt, steht einer Qualifikation als Unionsagentur nicht entgegen, sondern unterstütztsie vielmehr, da dies für Unionsagenturen geradezu als wesensimmanentes Abgren-zungsmerkmal gilt.28 Mit der Gründung der EIOPA und der anderen europäischenFinanzaufsichtsbehörden mag insofern ein Meilenstein in der Entwicklung des uni-onsrechtlichen Agenturwesens gesehen werden, was jedoch nichts daran ändert, dasses sich bei selbigen sämtlich um Unionsregulierungsagenturen handelt.29

2.2 Grundsätzliche Zulässigkeit der Gründung von Unionsagenturen

Während in den sechziger Jahren herrschend angenommen wurde, dass eine Grün-dung von nachgeordneten Einrichtungen und eine Übertragung von Befugnissen derKommission auf diese unzulässig seien,30 wird die grundsätzliche Möglichkeit heutenicht mehr in Frage gestellt.31 Dass die Einrichtung solcher Unionsagenturen – undsei es auch nur unter strengen Voraussetzungen – möglich sein muss, ergibt sich be-reits aus Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV (vgl. vorher Art. 234 Abs.1 lit. c EGV), der das

23Sasserath-Alberti/Hartig (Fn. 11), S. 524; für einen Typologisierungsversuch siehe bspw. Görisch, De-mokratische Verwaltung durch Unionsagenturen – Ein Beitrag zur Konkretisierung der europäischen Ver-fassungsstrukturprinzipien, Tübingen 2009, S. 187 ff.24Gem. Nr. 1 Gedankenstrich 1 des Gemeinsamen Konzepts zu den dezentralen Agenturen (siehe Fn. 20)ist jedoch für zukünftige Agenturen eine einheitliche Bezeichnung als „Agentur der Europäischen Unionfür . . .“ vorgesehen.25Diese wurde allerdings 2010 in Agentur für das Europäische GNSS umbenannt.26So Calliess, in: ders./Ruffert (Fn. 17), Art. 13 EUV Rdn. 38.27Vgl. http://europa.eu/agencies/inyourcountry/index_en.htm.28Siehe Görisch (Fn. 23), S. 8 ff., der hieran die Abgrenzung zu privatrechtlich organisierten Wirtschafts-einrichtungen und außerhalb der Union stehenden Einrichtungen vornimmt.29Bezweifelt werden mag eine solche Einordnung allerdings hinsichtlich des Europäische Ausschuss fürSystemrisiken (ESRB), da dieser keine eigene Rechtspersönlichkeit (siehe Erwägungsgrund 15 der VO[EU] Nr. 1092/2010) hat. So auch Papathanassiou/Zagouras, Mehr Sicherheit für den Finanzsektor: DerEuropäische Ausschuss für Systemrisiken und die Rolle der EZB, in: WM 2010, S. 1584–1588 (1587):neuartiges Gremium. Anders anscheinend Siekmann (Fn. 16), S. 173.30Vgl. Harnier/Jacqué, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EU-/EG-Vertrag Kommentar, 6. Auflage(2004), Art. 218 EGV, Rdn. 31.31Bezweifelt wird allenfalls noch die Zulässigkeit der Übertragung von Entscheidungsbefugnissen; sobspw. Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Auflage, München 2011, §6 Rdn. 22.

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Bestehen solcher Agenturen voraussetzt.32 Diese Möglichkeit zur Einrichtung vonUnionsagenturen entspricht zudem nicht nur mittlerweile lang geübter Praxis in derEU,33 sondern wurde auch explizit durch den EuGH bestätigt.34

2.3 Mögliche Ermächtigungsnormen

In Anbetracht des in Art. 5 Abs. 1 S. 1 EUV normierten Prinzips der begrenztenEinzelermächtigung35 bedarf die EU zur Schaffung von Unionsagenturen, und somitauch der EIOPA, einer tragfähigen Ermächtigungsnorm. Eine Generalermächtigungzur Gründung solcher Einrichtung und der Übertragung von Befugnissen auf diesefindet sich hierbei weder im AEUV noch im EUV.36 Allerdings wird mittlerweileherrschend angenommen, dass jede primärrechtliche Ermächtigung zum Erlass vonzweckdienlichen Vorschriften oder zur Ergreifung bestimmter Gemeinschaftsmaß-nahmen auch die Ermächtigung zur Errichtung von Agenturen (unter Übertragungvon Verwaltungsbefugnissen auf diese) mitumfasst.37

Als mögliche Ermächtigungsgrundlagen wäre hierbei neben Art. 114 AEUV anArt. 115 AEUV und an die Flexibilitätsklausel des Art. 352 AEUV zu denken gewe-sen. Gegen eine Heranziehung des Art. 115 AEUV sprach jedoch bereits, dass diesernur zum Erlass von Richtlinien ermächtigt, was im Rahmen der Errichtung der EIO-PA nicht zielführend gewesen wäre. Der Berufung auf Art. 352 AEUV als subsidiäreFlexibilitätsklausel stand die – hier zunächst als Arbeitshypothese angenommene –Einschlägigkeit des Art. 114 AEUV als lex specialis entgegen.

2.4 Tragfähigkeit der gewählte Ermächtigungsnorm

Ausweislich der Eingangsformel der EIOPA-VO ist diese auf Art. 114 AEUV ge-stützt, sodass sich die Frage stellt, ob auf Grundlage dieser Ermächtigungsnorm EI-OPA rechtswirksam gegründet und Befugnisse auf diese übertragen werden konnten.

32So auch Siekmann (Fn. 16), S. 174. Hierbei sei darauf hingewiesen, dass die deutsche Fassung zwar nurvon „Einrichtungen oder sonstige[n] Stellen der Union“ spricht, die englische Fassung hingegen explizitAgenturen nennt.33Für einen geschichtlichen Überblick und eine aufschlussreiche grafische Darstellung zur Entwicklungder Unionsagenturen siehe Busuioc, European Agencies – Law and Practices of Accountability, Oxford2013, S. 13 ff.34Siehe bspw. EuGH, Rs. C-217/04 (UK ./. EP und Rat; sog. ENISA-Urteil), Slg. 2006, S. I-3789 (Rdn.44 ff.).35Vgl. hierzu Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht als Strukturprinzipdes EWG-Vertrags, Berlin 1991; Bast/v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Eu-ropäischen Union (Stand 48. Ergänzungslieferung 2012), Art. 5 EUV Rdn. 13 ff.; Calliess, in: ders./Ruffert(Fn. 17), Art. 5 EUV Rdn. 6 ff.36Die Schaffung einer solchen besonderen Ermächtigungsnorm wurde zwar von Mitgliedern des Verfas-sungskonvents, von der Kommission und Vertretern der Lehre angeregt, dies fand jedoch keinen Eingangin den Verfassungsentwurf oder die Verträge in ihrer aktuellen Fassung; vgl. hierzu Vetter, Die Kompetenzder Gemeinschaft zur Gründung von unabhängigen europäischen Agenturen, in: DöV 2005, S. 721–739(722).37Siekmann (Fn. 16), S. 176 m.w.N. Angedeutet auch bei EuGH, Rs. C-217/04 (UK ./. EP und Rat; sog.ENISA-Urteil), Slg. 2006, S. I-3789 (Rdn. 44 ff.).

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2.4.1 Zulässigkeit der Gründung von Unionsagenturen

Im Schrifttum besteht Streit darüber, ob Art. 114 Abs. 1 AEUV (bzw. die Vorgänger-norm Art. 95 Abs. 1 EGV) die Union auch zur Errichtung von Unionsagenturen er-mächtigt. Einige Vertreter verneinen eine solche Kompetenz mit Blick auf den Wort-laut der Ermächtigungsnorm, die als Regelungsziel die Angleichung der Recht- undVerwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten hat.38 Die Gründung einer Unionsagen-tur würde nach dieser strengen Lesart jedoch bestenfalls der Angleichung von Ver-waltungsakten, nicht aber von Rechts- und Verwaltungsvorschriften dienen, sodassArt. 114 Abs. 1 AEUV als brauchbare Ermächtigungsnorm ausscheiden müsse. Diegegenteilige Meinung hält dieses Wortlautargument für zu formalistisch und vertrittdie Auffassung, dass auch die Errichtung von Unionsagenturen auf Art. 114 AEUVgestützt werden kann.39 Auch der Europäische Gerichtshof hat sich dieser Meinungangeschlossen und im Raucharomen-Urteil und dem ENISA-Urteil dargelegt, dassArt. 95 Abs. 1 EGV (d.h. auch Art. 114 Abs. 1 AEUV), solange seine sonstigenVoraussetzungen erfüllt sind, eine hinreichende Rechtgrundlage zur Gründung einerUnionsagentur darstellt.40

Die Auffassung des EuGH ist im Hinblick auf den Wortlaut des Art. 114 Abs. 1AEUV nicht unbedenklich. So hatte – mirabile dictu – die Generalanwältin imENISA-Verfahren, Juliane Kokott, es für nicht zulässig gehalten, den Organisations-akt der Unionsagentur auf Art. 95 EGV zu stützen.41 In der Tat dehnt die Rechtspre-chung des EuGH hier den Wortlaut des Art. 95 Abs. 1 EGV (nun Art. 114 AEUV)sehr weit und scheint zu verkennen, dass der Bezugspunkt dieser Norm das materielleRecht der Mitgliedstaaten ist.42 Teilweise wird insofern argumentiert, bei der Recht-sprechung des EuGH handele es sich in Wirklichkeit um die Heranziehung einer An-nexkompetenz bzw. um eine richterliche Rechtsfortbildung.43 Tatsächlich wird nicht

38Fischer-Appelt (Fn. 21), S. 87 f.; Vetter (Fn. 36), S. 728 f.; Häde, Jenseits der Effizienz: Wer kontrolliertdie Kontrolleure? – Demokratische Verantwortlichkeit und rechtsstaatliche Kontrolle der europäischenFinanzaufsichtsbehörden, in: EuZW 2011, S. 662–666 (663); Ohler, Anm. zu EuGH, Rs. C-217/04 (UK ./.EP und Rat; sog. ENISA-Urteil), EuZW 2006, S. 372–374 (373 f.); wohl auch Lehmann/Manger-Nestler,Das neue Europäische Finanzaufsichtssystem, in: ZBB 2011, S. 2–24 (7); noch offener dies. (Fn. 1), S. 88;offengelassen Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 35), Art. 114 AEUV Rdn. 119.39So bspw. Pötzsch, Reform der Europäischen Finanzaufsichtsstrukturen, in: Grundmann u.a. (Hrsg.),Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010: Unternehmen, Markt und Ver-antwortung, Bd. 2, Berlin 2010, S. 2367–2383 (2370 ff.); Lamandini, When More is Needed: The Euro-pean Financial Supervisory Reform and Its Legal Basis, in: ECL 2009, S. 197–202 (200); Papathanas-siou/Zagouras (Fn. 29), S. 1585; Brenner (Fn. 15), S. 201; Kugelmann, Wirkungen des EU-Rechts aufdie Verwaltungsorganisation der Mitgliedstaaten, in: VerwArch 2007, S. 78–100 (84); Forst, Zum Verord-nungsvorschlag der Kommission über eine europäische Versicherungsaufsicht, in: VersR 2010, S. 155–162(156 f.).40EuGH, Rs. C-66/04 (UK ./. EP und Rat; sog. Raucharomen-Urteil), Slg. 2005, S. I-10574 (vgl. dieEinwende unter Rdn. 18, die im Weiteren nicht durch den EuGH aufgegriffen werden); EuGH, Rs. C-217/04 (UK ./. EP und Rat; sog. ENISA-Urteil), Slg. 2006, S. I-3789 (Rdn. 44 ff.).41GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-217/04 (UK ./. EP und Rat; sog. ENISA-Urteil), Slg. 2006,S. I-3774 (Rdn. 33 f.).42So insb. Ohler (Fn. 38), S. 373.43Siehe hierzu Vetter (Fn. 36), S. 729; Winkler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 35), Art. 352 AEUV Rdn.113; Ohler (Fn. 38), S. 374.

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ganz klar, ob nicht auch der EuGH von einer solchen Annexkompetenz ausgeht. Inder ENISA-Entscheidung führt er aus, dass sich aus Art. 95 EGV (Art. 114 AEUV)nicht ergibt, dass die auf Grundlage dieser Kompetenznorm erlassene Maßnahmensich nur an die Mitgliedstaaten richten dürften. Vielmehr sei die Errichtung einerUnionsagentur zumindest dann möglich, wenn der europäische Gesetzgeber die Er-richtung für notwendig erachtet, die Tätigkeit der Agentur geeignet erscheint zumHarmonisierungsprozess beizutragen und ihre Aufgaben im engen Zusammenhangzu den Bereichen stehen, auf die sich die Rechtsakte zur Angleichung der Rechts-und Verwaltungsvorschriften beziehen.44 Tatsächlich scheinen diese Ausführungeneher dahin zu deuten, dass der EuGH hier eine Annexkompetenz (sog. implied po-wers)45 annimmt. Der Annex der Gründung der Unionsagentur hat hierbei nicht etwazu den vorgesehenen Kompetenzen, sondern zu den Harmonisierungsmaßnahmen derBasisrechtsakte zu bestehen, deren Umsetzung und Transformation die Unionsagen-tur überwachen soll. Auch diese Annexkompetenz wäre jedoch zu Art. 114 AEUVzu bilden, sodass sich an der Wahl der richtigen Rechtsgrundlage nichts ändern wür-de, zumal EIOPA die im ENISA-Urteil aufgestellte Zulässigkeitstrias (Errichtung fürnotwendig erachtet, Aufgabenerfüllung geeignet dazu eine Beitrag zum Harmonisie-rungsprozess zu leisten und Aufgaben stehen im engen Zusammenhang zu den Be-reichen die angeglichen werden sollen) erfüllt.46 Insofern erscheint Art. 114 Abs. 1AEUV – trotz verbleibender Restbedenken – als taugliche Ermächtigungsgrundlage.

2.4.2 Zulässigkeit der Übertragung von Befugnissen auf Unionsagenturen

Auch hinsichtlich der Übertragung der Befugnisse auf EIOPA wurde Art. 114 Abs. 1AEUV gewählt und auch hier erweist sich diese als tragfähige Ermächtigungsgrund-lage. Jenseits der Bedenken, die generell zur Heranziehung von Art. 114 Abs. 1AEUV als Grundlage zur Errichtung geltend gemacht werden, gibt es jedoch auchVertreter der Lehre, die die Übertragung von Eingriffsbefugnissen (oder systema-tisch etwas anders: die Errichtung einer Unionsagentur mit Eingriffsbefugnissen) fürnicht von Art. 114 Abs. 1 AEUV gedeckt ansehen.47 Hierbei wird teilweise auf dieENISA-Entscheidung des EuGH rekurriert und hervorgehoben, dieser habe geradenur die Errichtung einer Unionsagentur ohne Entscheidungsbefugnisse für mit Art. 95

44EuGH, Rs. C-217/04 (UK ./. EP und Rat; sog. ENISA-Urteil), Slg. 2006, S. I-3789 (Rdn. 44 f.).45Siehe hierzu bspw. Winkler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 35), Art. 352 AEUV Rdn. 79 ff.46Anders aber wohl Fahey, Does the Emperor Have Financial Crisis Clothes? Reflections on the LegalBasis of the European Banking Authority, in: M.L.R. 2011, S. 581–595 (592 et passim), die die Gründungeiner Unionsagentur unter Heranziehung des Art. 114 AEUV grundsätzlich für zulässig, im konkreten Fall(EBA) aber für bedenklich hält.47Everling, Zur Errichtung nachgeordneter Behörden der Kommission der Europäischen Wirtschafts-gemeinschaft, in: Hallstein/Schlochauer (Hrsg.), Zur Integration Europas – Festschrift für Carl Fried-rich Ophüls aus Anlaß seines 70. Geburtstages, Karlsruhe 1965, S. 33–49 (42); Däubler, Die Delega-tion von Rechtssetzungsbefugnissen im Recht der EWG, in: DVBl. 1966, S. 660–664 (662 f.); Opper-mann/Classen/Nettesheim (Fn. 31), §6 Rdn. 22 lehnen die Übertragung von Entscheidungsbefugnissengenerell ab.

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EGV (Art. 114 AEUV) vereinbar erklärt.48 Diese Auslegung des Urteils des EuGHverkennt jedoch die besondere Konstellation des zugrundeliegenden Falls, dass näm-lich die Klägerin, das Vereinigte Königreich, ihre Zweifel an der Zulässigkeit derHeranziehung von Art. 95 EGV gerade damit begründete, dass der ENISA keine bin-denden Maßnahmen zugestanden wurden, während für den Fall einer Übertragungvon Entscheidungsbefugnissen ein Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 95 EGVkonzediert wurde.49 Gerade durch Erlass von verbindlichen Entscheidungen – mö-gen sie auch aus anderen Gründen (bspw. im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzipoder den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) unionsrechtlich problematisch sein – kannein Harmonisierungsprozess besonders effizient herbeigeführt werden. Insofern kannman aus der ENISA-Entscheidung eher ein argumentum a fortiori ableiten, dass wennschon eine Unionsagentur ohne Entscheidungsbefugnisse der Harmonisierung dientund ihre Gründung insofern auf Art. 114 Abs. 1 AEUV gestützt werden kann, dieserst recht für eine Unionsagentur mit Entscheidungsbefugnissen wie die EIOPA gel-ten muss.50

Zudem handelt es sich auch nicht um durch den Vertrag originär der Kommissionzugewiesene Entscheidungsbefugnisse, sodass die Delegation auch durch den Ratund das Parlament zu erfolgen hatte.51

2.4.3 Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 114 AEUV

Die Feststellung, dass Art. 114 Abs. 1 AEUV als taugliche Ermächtigungsnorm er-scheint, sagt letztlich jedoch noch nichts darüber aus, ob EIOPA auch rechtswirksamgegründet und ihr ebenso Befugnisse übertragen wurden. Hierzu ist es weiterhin er-forderlich, dass die EIOPA-VO die Voraussetzungen des Art. 114 AEUV und desweiteren Unionsrechts erfüllt.

Voraussetzung ist hierbei, dass in den Mitgliedsstaaten unterschiedliche Recht-oder Verwaltungsvorschriften bestanden, die Maßnahmen den Zweck haben, dasFunktionieren des Binnenmarktes zu verbessern, die Errichtung und Kompetenzender Unionsagentur in einem engen Zusammenhang zu den zu harmonisierenden Be-reichen stehen, die Maßnahmen verhältnismäßig sind und das Subsidiaritätsprinzipbeachtet wurde. Hierbei kann die EIOPA-VO nicht isoliert betrachtet werden, son-dern muss im Kontext zu denjenigen Maßnahmen bewertet werden, in deren Rahmenihr Befugnisse übertragen werden und deren Transformation und Anwendung sie si-

48So wohl v. Danwitz, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrecht (Stand 31. Ergänzungslieferung2012), B.II. Rdn. 108 (dort insb. Fn. 375); in ähnliche Richtung auch GA Jääskinen, Schlussanträge zurRs. C-270/12 (UK ./. Rat und EP; sog. ESMA-Verfahren), Rdn. 50.49Siehe EuGH, Rs. C-217/04 (UK ./. EP und Rat; sog. ENISA-Urteil), Slg. 2006, S. I-3789 (Rdn. 13 f.);GA Kokott, Schlussanträge zur Rs. C-217/04 (UK ./. EP und Rat; sog. ENISA-Urteil), Slg. 2006, S. I-3774(Rdn. 30 ff.); vgl. auch Lamandini (Fn. 39), S. 200.50Anders nunmehr aber wohl GA Jääskinen, Schlussanträge zur Rs. C-270/12 (UK ./. Rat und EP; sog.ESMA-Verfahren), Rdn. 27 ff.51Siehe zur Problematik der Delegation von originären Kommissionsbefugnissen bspw. Fischer-Appelt(Fn. 21), S. 102 ff.

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cherstellen soll (siehe Art. 1 Abs. 2 EIOPA-VO) – d.h. insbesondere im Zusammen-hang mit der Solvency II-Richtlinie.52

Bereits heute ist das mitgliedstaatliche Versicherungsaufsichtsrecht in weiten Be-reichen durch europäische Richtlinien determiniert oder zumindest beeinflusst. Je-doch waren diese Richtlinien in weiten Teilen nur Mindestharmonisierungsrichtlini-en53 und beließen den Mitgliedstaaten umfangreiche Möglichkeiten zur Abweichung(bspw. im Wege des gold-plating).54 Auch waren die nationalen Versicherungsauf-seher in ihrer Auslegung des materiellen Aufsichtsrechts nur sehr begrenzt rückge-koppelt55 – was auch mit der Tendenz der Versicherungswirtschaft, Klagen gegenVersicherungsaufseher um jeden Preis zu vermeiden, zusammenhängt –, sodass mitFug und Recht von unterschiedliche Recht- oder Verwaltungsvorschriften in den Mit-gliedstaaten im Bereich der Versicherungsaufsicht gesprochen werden kann.

Auch dienen die Gründung der EIOPA und die Übertragung der Entscheidungs-befugnisse auf sie dem Zweck, das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern.Im Rahmen des ESFS soll ein einheitliches Regelwerk (single rule book) geschaffenwerden und durch Schaffung der EIOPA eine einheitliche Anwendung sichergestelltwerden. Durch diese Maßnahmen wird auf der einen Seite die Dienstleistungsfrei-heit aber auch die Niederlassungsfreiheit für Versicherungsunternehmen erleichtert,auf der anderen Seite aber Aufsichtsarbitrage erheblich erschwert. Auch werden erstdurch Einziehung einer europäischen Ebene in die Finanzaufsicht bestimmte System-risiken adressierbar.56

Der enge Zusammenhang der Gründung der EIOPA und der Übertragung der Auf-gaben auf diese ergibt sich bereits daraus, dass die EIOPA-VO in Art. 1 Abs. 2 dieje-nigen Maßnahmen enumerativ aufführt, deren Transformation und Umsetzung durchEIOPA sichergestellt werden soll. Diese Maßnahmen – hierunter insbesondere dieSolvency II-Richtlinie – sollen unter anderem ein level playing field schaffen, waswiederum eine einheitliche Umsetzung und Aufsichtspraxis erfordert, was durch EI-OPA sichergestellt werden soll.

Auch hinsichtlich der Frage, ob die EIOPA-VO verhältnismäßig ist und das Sub-sidiaritätsprinzip beachtetet,57 ließe sich einiges sagen, im Ergebnis wird aber imHinblick auf das Ausmaß der Finanzkrise und deren Ursache in der internationalenVerknüpfung der Finanzinstitute wohl zu bejahen sein.

52Siehe hierzu einführend Gal/Sehrbrock, Taking Stock of the Solvency II Reform Project: Towards a NewEuropean Insurance Supervisory Framework, in: EPL 2013, S. 195–316; dies., Solvency II – EuropäischerRechtsrahmen einer neuen Versicherungsaufsicht, in: CFL 2012, S. 140–148.53So bspw. die Solvency I-Richtlinien; vgl. Gal/Sehrbrock, Die Umsetzung der Solvency II-Richtliniedurch die 10. VAG-Novelle, Karlsruhe 2013, S. 10 f. (dort insb. Fn. 17 f.).54Erwägungsgrund 2 der Solvency II-Rahmenrichtlinie (2009/138/EG) spricht nicht zu Unrecht von„schwerwiegendsten Unterschiede[n] zwischen den für Versicherungs- und Rückversicherungsunterneh-men geltenden Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten“.55Erwägungsgrund 7 der EIOPA-VO konstatiert, dass „derselbe Rechtstext von Mitgliedstaat zu Mitglied-staat unterschiedlich ausgelegt wird“.56Siehe zu weiteren Gründen Erwägungsgründe 10 ff. der EIOPA-VO.57Siehe hierzu Erwägungsgrund 66 der EIOPA-VO.

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2.4.4 Keine Sperrwirkung durch Art. 127 AEUV

Eine Stützung der Gründung von EIOPA und der Übertragung der Kompetenzen aufdiese auf Art. 114 Abs. 1 AEUV könnte jedoch durch den Grundsatz lex specialis de-rogat legi generali ausgeschlossen sein. Dass eine solche Spezialermächtigungsnormin Art. 127 Abs. 5 und insb. Abs. 6 AEUV gesehen werden könnte, wurde bisher,soweit ersichtlich, einzig durch Siekmann erkannt.58

Nach Art. 127 Abs. 5 AEUV trägt das Europäische System der Zentralbanken(ESZB) zur reibungslosen Durchführung der von den nationalen Aufsehern im Be-reich der Aufsicht über Kreditinstitute und der Finanzmarktstabilität ergriffenenMaßnahmen bei. Selbst wenn man in dieser Formulierung eine originäre Befug-niszuweisung durch das Primärrecht sehen wollte, so bliebe dies jedoch zumindestfür die EIOPA-VO ohne nennenswerte Auswirkungen (anders aber für die EBA-Verordnung), da EIOPA generell keine Aufgaben in der Beaufsichtigung der Bankenwahrnimmt. Einzig hinsichtlich ihrer Aufgaben im Zusammenhang mit der Finanz-marktstabilität (und der Aufsicht über Finanzkonglomerate) könnte die EIOPA-VOhiervon betroffen sein (vgl. bspw. Artt. 18, 22 Abs. 4, 31 EIOPA-VO). Es liegt je-doch näher, in Art. 127 Abs. 5 AEUV eine Klausel zu sehen, die, da sie einen Kom-promiss darstellt, der die ursprünglich vorgesehenen Aufsichtsbefugnisse der EZBgerade wieder beschneiden sollte, dem ESZB gerade keine Kompetenzen zuweist.59

Die Frage der Kompetenzen des ESZB ist für das Primärrecht folglich gerade unbe-antwortet geblieben und Art. 127 Abs. 5 AEUV erzeugt keine Sperrwirkung für dasSekundärrecht, um das es sich bei der EIOPA-VO handelt.60

Schwieriger stellt sich das Ganze in Ansehung des Art. 127 Abs. 6 AEUV dar.Hiernach kann der Rat nach Anhörung des Parlaments und der EZB einstimmig Ver-ordnungen erlassen, die der EZB Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht überKredit- und sonstige Finanzinstitute – mit Ausnahme von Versicherungsunterneh-men – übertragen. Auffällig ist hierbei zunächst, dass Art. 127 Abs. 6 AEUV mitStatuierung der Einstimmigkeit hinsichtlich der erforderlichen Mehrheit des Ratsbe-schlusses strenger ist als der als Ermächtigungsgrundlage herangezogene Art. 114Abs. 1 AEUV, nach dem gemäß Art. 294 AEUV i.V.m. Art. 16 Abs. 3 f. EUV „nur“eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Im Gegenzug sind die Beteiligungsrechtedes Parlaments entscheidend geschwächt. Es stellt sich insofern die Frage, ob Kom-petenzen zur Beaufsichtigung von Finanzinstituten nur auf Grundlage des Art. 127Abs. 6 AEUV übertragen werden können und Art. 114 AEUV als generellere Normgesperrt ist. Dies setzt eine Auslegung voraus, die annimmt, dass die gegenständli-chen Kompetenzen ausschließlich auf die EZB und nicht auf andere, sekundärrecht-lich zu schaffende Unionsagenturen übertragen werden können. Hierfür spricht, dassandernfalls ein lange verhandelter Kompromiss, wie er Art. 127 AEUV zugrunde-liegt, der eine Übertragung von Aufsichtskompetenzen an das ESZB an sehr hoheAnforderungen knüpft, durch ein Ausweichen auf ein sekundärrechtlich gegründetes

58Siekmann (Fn. 16), S. 184 ff.59So richtig Häde, in: Calliess/Ruffert (Fn. 17), Art. 127 AEUV Rdn. 53; wohl auch Griller, in: Gra-bitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 35), Art. 127 AEUV Rdn. 57.60So in der Tendenz auch Siekmann (Fn. 16), S. 185.

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Alternativsystem wie das ESFS, dessen Gründung wesentlich niedrigeren Anforde-rungen unterliegt, unterlaufen wird.61 Auch bei einer solchen strengen Auslegungwürde sich dann aber die Frage stellen, ob Art. 127 Abs. 6 AEUV hinsichtlich derEIOPA-VO eine Sperrwirkung erzeugen würde, da Aufgaben im Zusammenhang mitder Aufsicht über Versicherungsunternehmen gerade nicht auf die EZB übertragenwerden dürfen. Art. 127 Abs. 6 AEUV ließe sich, unter Zugrundelegung der stren-gen Lesart, diesbezüglich in zweifacher Weise auslegen: Entweder erzeugt Art. 127Abs. 6 AEUV hinsichtlich der Versicherungsaufsicht überhaupt keine Sperrwirkung,da dieser Komplex komplett ausgespart werden sollte, oder aber der Passus ist sozu verstehen, dass noch nicht einmal der EZB und erst recht nicht sekundärrechtli-chen Unionsagenturen Aufgaben im Zusammenhang mit der Versicherungsaufsichtübertragen werden können. Im Ergebnis mag dies dahinstehen, da bereits die strengeLesart des Art. 127 Abs. 6 AEUV wohl abzulehnen ist. Es geht in dieser Norm ein-zig um die Frage, wie und unter welchen Bedingungen Aufgaben der Finanzaufsichtauf die EZB übertragen werden können. Dies präjudiziert jedoch nicht die Frage, obnicht unter anderen Bedingungen solche Aufgaben auf andere Akteure übertragenwerden können. Die Gründe dafür, dass eine Übertragung von solchen Befugnissenauf die EZB an strengere Bedingungen geknüpft wird, können vielfältiger Natur sein.Hierbei mag insbesondere die historisch bedingte Angst der Mitgliedsstaaten vor derKompetenzausweitung einer besonders starken und unabhängigen Zentralbank eineentscheidende Rolle spielen.62

2.4.5 Zwischenergebnis

Die Gründung der EIOPA und die Übertragung ihrer Befugnisse sind aus europa-rechtlicher Sicht insofern nicht unproblematisch. Diskussionswürdig bleiben insbe-sondere die Fragen, ob Art. 114 Abs. 1 AEUV generell eine tauglich Ermächtigungs-grundlage zur Errichtung von Unionsagenturen ist und ob sie in diesem Fall nichtdurch Art. 127 Abs. 6 AEUV gesperrt ist. Im Ergebnis dürfte jedoch die Rechtmä-ßigkeit der Errichtung zu bejahen sein.

Hiervon losgelöst ließe sich auch noch untersuchen, ob der Errichtung und Über-tragung der Befugnisse das deutsche Verfassungsrecht entgegensteht. Dies mag vor-liegend allerdings dahinstehen.63

3 Meroni-Doktrin und ihre Weiterentwicklung

Mit der positiven Beantwortung der Frage, ob EIOPA (auf Grundlage des Art. 114AEUV) gegründet werden durfte und ihr Befugnisse übertragen werden konnten, ist

61So Siekmann (Fn. 16), S. 185; in der Tendenz wohl auch Griller, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 35),Art. 127 AEUV Rdn. 60.62Unabhängig von der Lesart erscheint es jedoch problematisch, dass Vertretern des ESRB gewisse Be-fugnisse im Rahmen der Verordnungen zugewiesen wurden – diese sind nicht-stimmberechtigte Vertreterim Rat der Aufseher (vgl. Art. 40 Abs. 1 lit. c EIOPA-VO). Es ist gut denkbar, dass zumindest dieseDelegation unter Beachtung des Art. 127 Abs. 6 AEUV hätte erfolgen müssen; so Häde (Fn. 38), S. 664.63Vgl. hierzu ausführlich Siekmann (Fn. 16), S. 205 ff.; Häde (Fn. 38), S. 664 f.

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noch keine Aussage darüber getroffen, welche Befugnisse auf eine Unionsagenturübertragen werden können. Dieser Topos hat die Literatur seit den fünfziger Jahrendes letzten Jahrhunderts mit Erlass der sogenannten Meroni-Urteile beschäftigt undein allgemeiner Standpunkt hat sich bis heute nicht herausgebildet.

3.1 Meroni-Urteile

Die Diskussion dieses Themenkomplexes setzt hierbei nach wie vor mit den beidenMeroni-Entscheidungen des EuGH aus dem Jahr 1958 ein.64 In beiden Verfahrenrichtete sich die Klägerin im Wege der Nichtigkeitsklage gegen Entscheidungen derHohen Behörde der Montanunion – einer Vorläuferin der Kommission – durch die ihrdie Zahlung an die Ausgleichskasse für eingeführten Schrott aufgegeben wurde. In-zidenter wendeten sich die Klagen jedoch auch und insbesondere gegen die Auslage-rung von Kompetenzen der Hohen Behörde an die sogenannten Brüsseler Organe, dasGemeinsame Büro der Schrottverbraucher und die Ausgleichskasse für eingeführtenSchrott, die als Gesellschaften des belgischen Privatrechts gegründet worden warenund die durch die Kommission mit Durchführung der für alle schrottverbrauchendeUnternehmen verbindlichen finanziellen Ausgleichsregelung beauftragt wurden. DerEuGH hielt eine solche Übertragung von Kommissionsbefugnissen auf einen privat-rechtlich gegründeten Dritten nicht für schlechthin unzulässig, stelle hierfür jedoch inseinen Urteilen (unter Geltung des Art. 53 EGKSV) bestimmte Grenzen auf, die er incasu für nicht erfüllt erachtete.65 Zum einen kommt der EuGH zu dem Schluss, dassdie übertragenen Befugnisse nicht weitreichender sein können, als sie der übertragen-den Behörde nach den Verträgen selbst zustehen, wobei die Übertragung auch explizitzu erfolgen habe.66 Hieraus abgeleitet hat der Delegationsakt auch dafür Sorge zu tra-gen, dass die Rechtsschutzmöglichkeiten durch die Delegation nicht verkürzt werden,was bedeutet, dass Entscheidungen des Delegatar dieselben formellen und materiel-len Anforderungen zu erfüllen haben und eine Klagemöglichkeit (zum EuGH) eröff-net ist. Unter Heranziehung des Grundsatzes des „Gleichgewichts der Gewalten“ – inspäteren Entscheidungen wurde dies ersetzt durch den Grundsatz vom „institutionel-len Gleichgewicht“67 – legte der EuGH aber zum anderen fest, dass keine tatsächlichhoheitlichen Befugnisse übertragen werden können. Nach seiner Auffassung dürfennur Vertragsorgane „Befugnisse mit Ermessensspielraum“ wahrnehmen, sodass eine

64EuGH, Rs. 9/56 (Meroni & Co., Industrie Metallurgiche ./. Hohe Behörde der Europäischen Gemein-schaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, S. 16 und EuGH, Rs. 10/56 (Meroni & Co., Industrie Metallurgiche./. Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, S. 57.65EuGH, Rs. 9/56 (Meroni & Co., Industrie Metallurgiche ./. Hohe Behörde der Europäischen Gemein-schaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, S. 16 (42 ff.) und EuGH, Rs. 10/56 (Meroni & Co., IndustrieMetallurgiche ./. Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, S. 57 (80ff.).66EuGH, Rs. 9/56 (Meroni & Co., Industrie Metallurgiche ./. Hohe Behörde der Europäischen Gemein-schaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, S. 16 (40); EuGH, Rs. 10/56 (Meroni & Co., Industrie Metallurgiche./. Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, S. 57 (79).67Vgl. EuGH, Rs. 25/70 (Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel ./. Köster), Slg. 1970, S.1161 (Rdn. 9).

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Übertragung nur Befugnisse betreffen kann, die der Vorbereitung oder Durchführungvon Beschlüssen der Vertragsorgane dienen.68

Unter diesem strengen Maßstab der Meroni-Doktrin wären insbesondere die Ein-griffskompetenzen der EIOPA (vgl. bspw. Artt. 17 Abs. 6, 18 Abs. 3 und 4, 19 Abs. 3und 4) kaum zu rechtfertigen, da hier keine Durchführungs- oder Ausführungsbefug-nisse übertragen wurden, sondern echte Entscheidungsbefugnisse.

Es ist jedoch höchst fraglich, ob die Meroni-Entscheidungen für die Gründung ei-ner Unionsagentur wie der EIOPA überhaupt (direkt) anwendbar sind. Hierbei ist zubeachten, dass diese Urteile mit dem früheren Art. 53 EGKSV eine spezielle Dele-gationskompetenz betrafen, die sich in dieser Form im AEUV nicht mehr findet, unddass die zugrundeliegende Konstellation erheblich abweicht, da es um eine Übertra-gung von primärrechtlich angelegten Kompetenzen durch die Exekutive auf eine ver-tragsexterne juristische Person des Privatrechts ging, während vorliegend eine Über-tragung von sekundärrechtlich ausgestalteten Kompetenzen durch die Legislative auf(durch das Primärrecht grundsätzlich anerkannte) Unionsverwaltungen zur Debattesteht. Auch darf nicht aus dem Blick verloren gehen, dass das Gemeinschaftsrechtder fünfziger Jahre nur wenig mit dem gegenwärtigen Stand des Unionsrechts ge-mein hat, dass also der fortwährende Prozess der politischen Integration eine Ver-schiebung in der Beurteilung bewirkt haben mag.69 Insofern ist eine allzu unbedarfteÜbertragung der Meroni-Rechtsprechung auf die Art und den Umfang der auf Uni-onsagenturen zu übertragenden Kompetenzen kaum am Platze.70

3.2 Folgerechtsprechung

Allerdings wurde die Meroni-Rechtsprechung im Folgenden durch den EuGH bestä-tigt71 und weiterentwickelt. So wurde die Meroni-Doktrin im personellen Anwen-dungsbereich im Hinblick auf den Delegatar durch das Binnenschiffahrt-Gutachtendes EuGH dem Anschein nach ausgeweitet auf außerhalb der Gemeinschaft stehendeinternationale öffentlich-rechtliche Anstalten.72 In der van der Vecht-Entscheidung

68EuGH, Rs. 9/56 (Meroni & Co., Industrie Metallurgiche ./. Hohe Behörde der Europäischen Gemein-schaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, S. 16 (44); EuGH, Rs. 10/56 (Meroni & Co., Industrie Metallurgiche./. Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, S. 57 (82).69So nun auch Rat und EP, zitiert in GA Jääskinen, Schlussanträge zur Rs. C-270/12 (UK ./. Rat und EP;sog. ESMA-Verfahren), Rdn. 5.70So im Ergebnis auch Fischer-Appelt (Fn. 21), S. 107 f.; Sydow, Verwaltungskooperation in der Eu-ropäischen Union: Zur horizontalen und vertikalen Zusammenarbeit der europäischen Verwaltungen amBeispiel des Produktzulassungsrechts, Tübingen 2004, S. 67 f.; Görisch (Fn. 22), S. 370 ff.; Siekmann(Fn. 16), S. 190 ff.71Dass die Meroni-Entscheidung für die Konstellation eine Übertragung auf Private noch aufrecht erhaltenwird belegt EuG, Rs. T-369/94 u T-85/95 (DIR International Film ./. Ksion), Slg. 1998, S. II-357 (Rdn. 52ff.); EuGH, Rs. C-164/98 P (DIR International Film ./. Ksion), Slg. 2000, S. I-447 (Rdn. 6f.).72In EuGH, Gutachten 1/76 (Entwurf zu einem Übereinkommen über die Errichtung eines EuropäischenStillegungsfonds für die Binnenschiffahrt), Slg. 1977, S. 741 (Rdn. 15 f.) wurde Meroni wohl insofernimplizit bestätigt, als eine Übertragung von Kompetenzen auf eine außerhalb der Gemeinschaft stehendeinternationale öffentlich-rechtliche Anstalt nicht beanstandet wurde, da es sich lediglich um Durchfüh-rungsbefugnisse handelte. Allerdings wird dieses Gutachten hinsichtlich der übertragungsfähigen Kompe-tenzen teilweise als Aufweichung der Meroni-Rechtsprechung betrachtet, vgl. Sydow (Fn. 70), 67.

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wurde die Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeiterpersonell erfasst, deren Entscheidung der EuGH im Wege der Auslegung nur denRang eines Gutachtens beimaß,73 man mag annehmen, um diese mit der Meroni-Rechtsprechung in Einklang zu bringen, die keine Delegation von Hoheitsbefugnis-sen erlaubt. Diese Rechtsprechung zur genannten Verwaltungskommission wurde inder Romano-Entscheidung noch weiter ausdifferenziert. Hier stellte der EuGH fest,dass diese nicht in der Weise ermächtigt werden könne, als dass sie Rechtsakte mitnormativem Charakter erlassen könne.74 Die in der van der Vecht- und der Romano-Entscheidung betroffenen Konstellationen gleichen dem vorliegenden Sachverhaltdeutlich eher, da es dort um eine Übertragung von Kompetenzen (unter Geltung desEGV, der dem AEUV deutlich mehr ähnelt als der EGKSV) durch die Legislative (incasu den Rat) auf eine durch Sekundärrecht geschaffene Einrichtung ging.75 Inso-fern mag man annehmen, dass auch Unionsagenturen hiervon erfasst werden würden.Hiervon geht auch das Vereinigte Königreich aus, dass seine Nichtigkeitsklage gegenArt. 28 der Leerverkaufsverordnung (die ESMA betreffend) unter anderem auf Ver-stößen gegen die Meroni- und die Romani-Rechtsprechung stützt.76 Dies würde fürEIOPA wiederum bedeuten, dass bestimmte Kompetenzen (insbesondere die Durch-griffsbefugnisse) nicht auf sie hätten übertragen werden dürfen.

Trotz einer größeren inhaltlichen Nähe erscheinen aber auch diese Urteile nichtzwingend auf die Unionsagenturen anwendbar. Wiederum ist zu beachten, dass dasletzte relevante Urteil aus dem Jahr 1981 stammt – und damit aus der Zeit vor Er-lass der Einheitlichen Europäischen Akte77 – und insofern in einem anderen gemein-schaftsrechtlichen Nexus zu sehen ist als die modernen Unionsagenturen. Währenddie regulatorische Dichte im Gemeinschaftsrecht damals noch recht überschaubarwar, ist heute eine Hypertrophie des Unionsrechts zu konstatieren, deren Koordinie-rung und Überwachung die Kommission als einziger Akteur kaum noch Herr werdenwürde. Zum Zeitpunkt der van der Vecht- und der Romano-Entscheidung hatte sichdas institutionelle Defizit der EG insofern noch nicht manifestiert, sodass hier wesent-lich stärker auf das institutionelle Gleichgewicht abgestellt wurde, das zu Lasten derKommission beeinträchtigt würde, wenn der Rat Exekutivaufgaben auf andere Ein-richtungen delegieren würde.78 Insofern kann der Meroni-Entscheidung und der Fol-gerechtsprechung allenfalls eine gewisse Indizwirkung beigemessen werden, wäh-rend der entscheidende Maßstab hinsichtlich der Übertragung von Befugnissen dasDemokratieprinzip und ergänzend das institutionelle Gleichgewicht darstellt.79 Wei-

73EuGH, Rs. 19/67 (van der Vecht ./. Sociale Verzekeringsbank), Slg. 1967, S. 461 (474).74EuGH, Rs. 98/80 (Romano ./. Institut National d’Assurance Maladie-Invalidité), Slg. 1981, S. 1241(Rdn. 20).75Dies wird von Sydow (Fn. 70), S. 67 nicht gesehen, der apodiktisch feststellt, dass es keine Folgeurteilezu Meroni gäbe, die eine Übertragung auf öffentlich-rechtliche Agenturen nahelegen würden.76Vgl. GA Jääskinen, Schlussanträge zur Rs. C-270/12 (UK ./. Rat und EP; sog. ESMA-Verfahren),Rdn. 4.77Vgl. zur EEA bspw. einführend Streinz, Europarecht, 9. Auflage, Heidelberg 2012, Rdn. 35 f.; Opper-mann/Classen/Nettesheim (Fn. 31), § 2 Rdn. 28 f., § 32 Rdn. 5.78Vgl. hierzu Chamon, EU Agencies between Meroni and Romano or the Devil and the Deep Blue Sea,in: CML Rev. 2011, S. 1055–1075 (1072 ff.).79So insb. Görisch (Fn. 23), S. 373 ff.; vgl. auch Siekmann (Fn. 16), S. 191 f.

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terhin Bedeutung hat die in den Meroni-Entscheidungen getroffene Feststellung, dassdie übertragenen Befugnisse nicht weitreichender sein können, als sie der übertra-genden Behörde nach den Verträgen selbst zustehen80 – was für die Unionsagenturenbedeutet, dass die Rechtsschutzmöglichkeiten durch die Übertragung nicht verkürztwerden, dass also die Entscheidungen der Unionsagentur die formellen und materi-ellen Anforderungen des Unionsrechts zu erfüllen haben und eine Klagemöglichkeiteröffnet sein muss. Zumindest im Hinblick auf die Rechtsschutzmöglichkeiten dürftedie EIOPA-VO die Bedingungen der Meroni-Rechtsprechung erfüllen.81

3.3 Bedeutung für Aufgaben und Befugnisse der EIOPA

Auf die Befugnisse der EIOPA übertragen, deren Organe nicht an Weisungen de-mokratisch legitimierter Organe der EU (oder der Mitgliedsstaaten) gebunden sind(siehe Artt. 42, 46, 49 und 52 EIOPA-VO), ist also zu fragen, ob die EIOPA-VO einausreichendes Niveau an demokratischer Legitimation gewährleistet. Der zu fordern-de Grad der Rückbindung an demokratisch legitimierte Organe richtet sich hierbeientscheidend nach der Art der übertragenen Befugnisse. Insofern ist zu untersucheninwieweit einzelne der Befugnisse der EIOPA mit dem Demokratieprinzip und deminstitutionellen Gleichgewicht unvereinbar sein könnten oder im Hinblick auf dieseeine (primärrechtskonforme) Reduktion der Befugnisse nötig erscheint.

3.3.1 Ausarbeitung technischer Regulierungsstandards und technischerDurchführungsstandards

EIOPA kommen bestimmte Aufgaben im Rahmen der europäischen Gesetzgebungzu, wobei vorliegend nur auf die Kompetenzen bei Erarbeitung der Normen der zwei-ten Lamfalussy-Ebene82 eingegangen werden soll.

Gemäß Artt. 10 ff. und 15 EIOPA-VO gliedern sich diese Zuständigkeiten in dieKompetenzen im Rahmen der Erarbeitung von technischen Regulierungsstands undvon technischen Durchführungsstandards.83 Hierbei ist die Abgrenzung der beidenStandards für die Frage des Ausmaßes der demokratischen Legitimation von Be-deutung, da Rat und Parlament den Erlass von technischen Regulierungsstandards

80EuGH, Rs. 9/56 (Meroni & Co., Industrie Metallurgiche ./. Hohe Behörde der Europäischen Gemein-schaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, S. 16 (40); EuGH, Rs. 10/56 (Meroni & Co., Industrie Metallurgiche./. Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, S. 57 (79).81Siehe hierzu Gal (Fn. 12), S. 24 ff.; Sonder, Rechtsschutz gegen Maßnahmen der neuen europäischenFinanzaufsichtsagenturen, in: BKR 2012, S. 8–12.82Zur Rechtsetzung im Lamfalussy-Verfahren im Rahmen des Solvency II-Projektes vgl. Gal/Sehrbrock(Fn. 52), S. 297 ff.; dies. (Fn. 52), S. 141; Wandt/Sehrbrock, Solvency II – Rechtsrahmen und Rechtsetzung,in: Dreher/Wandt (Hrsg.), Solvency II in der Rechtsanwendung, Karlsruhe 2009, S. 1–25 (S. 5 ff.); v.Fürstenwerth/Gause, Die Erweiterung des Lamfalussy-Verfahrens auf den Versicherungssektor, in: Wandtu.a. (Hrsg.), Kontinuität und Wandel des Versicherungsrechts – Festschrift für Egon Lorenz, Karlsruhe2004, S. 253–281.83Neben diesen beiden technischen Standards soll es im Versicherungsaufsichtsbereich nach Vorstellungder Kommission auch weiterhin delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte stricto sensu geben,wobei die Einbindung der EIOPA in deren Erlass noch ungeklärt ist; vgl. Wandt/Gal, Grenzbereiche derBefugnisse von EIOPA, in: Dreher/Wandt (Hrsg.), Solvency II in der Rechtsanwendung 2013 (im Druck).

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gemäß Art. 13 Abs. 1 und 3 EIOPA-VO mittels eines Vetos verhindern können,während sie bei Erlass technischer Durchführungsstandards lediglich über Informa-tionsrechte verfügt (vgl. Art. 15 Abs. 1 UA 3 und 5 S. 3 und Abs. 3 UA 3 und 4S. 3 EIOPA-VO). Im Hinblick auf den unklaren Wortlaut erscheint eine klare Ab-grenzung der beiden Standards voneinander jedoch kaum möglich.84 Gemäß Art. 10Abs. 1 UA 2 EIOPA-VO sind technische Regulierungsstandards „technischer Artund beinhalten keine strategischen oder politischen Entscheidungen, und ihr Inhaltwird durch die Gesetzgebungsakte, auf denen sie beruhen, begrenzt“, während dietechnischen Durchführungsstandards gemäß Art. 15 Abs. 1 UA 1 S. 2 EIOPA-VO„technischer Art [sind] und [. . .] keine strategischen oder politischen Entscheidun-gen [beinhalten], und ihr Inhalt [dazu] dient, die Bedingungen für die Anwendungder genannten Gesetzgebungsakte festzulegen“. Eine sinnvolle Abgrenzung hat hier-bei am Maßstab des Art. 290 AEUV (zu delegierten Rechtsakten), der die primär-rechtliche Grundlage der technischen Regulierungsstandards darstellt, und des Art.291 Abs. 4 AEUV (zu Durchführungsrechtsakte), der die primärrechtliche Grund-lage der technischen Durchführungsstandards darstellt, zu erfolgen.85 Allerdings istdas Problem hiermit nur auf eine andere Ebene verschoben, da auch die Abgrenzungder Befugnisse unter Art. 290 und Art. 291 AEUV noch höchst umstritten ist.86 Ohnediesen Meinungsstreit hiermit abschließend bewerten zu wollen, geht es bei den de-legierten Rechtsakten in der besonderen Form technischen Regulierungsstandards87

um die Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften desbetreffenden europäischen Rechtsaktes.88 Übertragen auf die Solvency II-Richtliniebedeutet dies beispielsweise, dass sich diese als Basisrechtsakt auf die wesentlichenund grundlegenden Regelungen beschränkt, während häufiger anzupassenden Detail-vorschriften in technische Regulierungsstandards in Form von Kommissionsverord-nungen bzw. -richtlinien „outgesourct“ werden, die vergleichsweise zügig modifiziertwerden können.89 Durchführungsrechtsakte in der speziellen Form der technischenDurchführungsstandards90 dienen hingegen nicht der Ergänzung oder Änderung desBasisrechtsaktes, sondern nur dem einheitlichen Vollzug dieses Rechtsaktes, indemetwa Verfahrensabläufe, einheitliche Formulare oder ähnliches niedergelegt werden.

84So auch Sasserath-Alberti/Hartig (Fn. 11), S. 527.85So bspw. auch Walla, Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) als Akteur beider Regulierung der Kapitalmärkte Europas – Grundlagen, erste Erfahrungen und Ausblick, in: BKR 2012,S. 265–270 (267 f.).86Vgl. bspw. Stelkens, Art. 291 AEUV, das Unionsverwaltungsrecht und die Verwaltungsautonomie derMitgliedstaaten – zugleich zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Art. 290 und Art. 291 AEUV,in: EuR 2012, S. 511–546 (536 f.).87Offengelassen wird hierbei die Frage, ob die technischen Regulierungsstandards, anders als delegierteRechtsakte allgemein, auch notwendig der Harmonisierung dienen müssen (so wohl Art. 10 Abs. 1 UA 1S. 1 EIOPA-VO); siehe Sasserath-Alberti/Hartig (Fn. 11), S. 527 f.88Vgl. hierzu Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Fn. 17), Art. 290 AEUV Rdn. 5 ff.89Siehe Sehrbrock/Gal (Fn. 52), S. 141.90Hier mag der Streit dahinstehen, ob es sich bei Durchführungsrechtsakten um Durchführungsrechtsset-zung oder zumindest auch um Maßnahmen der administrativen Durchführung im Einzelfall handelt, vgl.hierzu bspw. Stelkens (Fn. 86), S. 513 ff.

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Die Ausgestaltung der Verfahren zur Entwicklung dieser beiden Standards in derEIOPA-VO wirft jedoch Probleme im Rahmen der demokratischen Legitimation auf.Sowohl Art. 290 als auch Art. 291 AEUV sehen als Delegatar bzw. Inhaber der Be-fugnis zum Erlass von Maßnahmen ausschließlich die Kommission vor. Die Mög-lichkeit einer Subdelegation wird in den Normen zumindest nicht explizit vorgese-hen. Hieraus wird wohl herrschend abgeleitet, dass zumindest eine Kompetenz zumErlass von Gesetzgebungsakten – und als solche sind wohl sowohl die technischenRegulierungsstandards als auch die technischen Durchführungsstandards aufzufas-sen – nicht auf Unionsagenturen übertragen werden kann.91 Auf den ersten Blickerscheint diese Einschränkung im Rahmen der Befugnisse der EIOPA unproblema-tisch, da diese die Standards nicht selber erlässt – dies kann nur die Kommission –,sondern diese nur entwirft und der Kommission zur Billigung vorlegt. Erst durch Er-lass der Entwürfe als Verordnung oder Beschlüsse durch die Kommission erlangendiese Außenwirkung,92 sodass EIOPA rein formal betrachtet keine Gesetzgebungsbe-fugnisse wahrnimmt, sondern lediglich an der Vorbereitung von Gesetzesentwürfenmitwirkt. Hiermit würde jedoch teilweise verkannt, dass die Kommission in ihrerEntscheidung über den Inhalt der Standards sehr stark an die Entwürfe der EIOPAgebunden wird und diese gemäß den Erwägungsgründen „nur in äußerst begrenztenFällen und unter außergewöhnlichen Umständen geändert werden dürfen“.93 Diesmag zwar im Hinblick auf die zu erwartende größere Sachnähe- und -kunde der EI-OPA wünschenswert sein, erscheint aus Demokratiegesichtspunkten jedoch fragwür-dig. Gemäß Art. 10 Abs. 1 UA 5 S. 2 und Art. 15 Abs. 1 UA 4 S. 3 EIOPA-VO kanneine Billigung des Entwurfes nur dann verweigert werden oder nur teilweise erfolgen,wenn dies aus Gründen des Unionsinteresses erforderlich erscheint. Wollte man dieswirklich im Sinne der Erwägungsgründe als strenge Bindung an die Entwürfe derEIOPA auslegen, so würde dies die Gefahr begründen, dass in dem ganzen Verfah-ren eine Verletzung der Artt. 290 f. AEUV, eine Beeinträchtigung des institutionellenGleichgewichts und eine Verletzung des Demokratieprinzips gesehen wird.94 Inso-fern sind diese Passus eher weit auszulegen und ist der Kommission, als dem Organ,das für den Inhalt der Rechtsakte nach außen die Verantwortung trägt, eine ausrei-chende Entscheidungsprärogative zuzubilligen. Praktisch wird dies voraussichtlichnichts daran ändern, dass der Inhalt der Standards maßgeblich durch EIOPA bestimmtwerden wird. Soweit diese Standards dann durch die Kommission in Form einer Ver-ordnung oder eines Beschlusses erlassen werden, haben sie für die Mitgliedstaaten,deren Aufsichtsbehörden und – zumindest die technischen Regulierungsstandards –für die aufsichtsunterworfenen Unternehmen die gewöhnliche Wirkung des Sekun-därrechts. Leicht unklar bleibt hierbei, wie genau in das von Art. 15 EIOPA-VOvorgezeichnete Verfahren zum Erlass von technischen Durchführungsstandards dasdurch die Komitologie-VO95 vorgesehene Verfahren eingebaut werden soll.

91Siehe statt vieler Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 35), Art. 291 AEUV Rdn. 38.92Siehe Erwägungsgründe 22 und 24 der EIOPA-VO.93So explizit Erwägungsgründe 22 der EIOPA-VO.94Auch als Gefahr erkennt dies Siekmann (Fn. 16), S. 196.95VO (EU) 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Regelnund Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durchdie Kommission kontrollieren, in: ABl. L-55 vom 28.02.2011, S. 13.

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3.3.2 Herausgabe von Leitlinien und Empfehlungen

Die Möglichkeit zum Erlass von Empfehlungen und Leitlinien – auf der drittenLamfalussy-Ebene – durch EIOPA erscheint zumindest prima facie unproblematisch,da es sich hierbei formell nicht um eine Übertragung von Hoheitsbefugnissen han-delt, sodass selbst nach den strengen Meroni-Maßstäben keine Verletzung des Pri-märrechts anzunehmen wäre. Dies rührt daher, dass diesen Rechtsakten eine Bin-dungskraft nicht zuzusprechen ist und sie insofern weder als Akte der Gesetzgebungnoch als Verwaltungsakte anzusehen sind. Hierin unterscheiden sich die Leitliniender EIOPA maßgeblich von denen der EZB, die gemäß Art. 12.1 S. 1 und Art. 14.3S. 1 ESZBS – die Primärrechtsrang genießt96 – verbindlich sind.97 Eine solche An-ordnung fehlt für die Leitlinien und Empfehlungen der EIOPA sowohl im Primär-wie im Sekundärrecht. Sie gleichen eher den durch die Kommission zu erlassendenLeitlinien und Empfehlungen.

Es stellt sich insofern die Frage nach der Einordnung dieser Rechtsakte. Diesewerden als sogenanntes soft law aufgefasst, da sie keine rechtliche Verpflichtung sta-tuieren.98 Für eine Qualifizierung als soft law ist jedoch typisch, dass den Normenlediglich ein Appellcharakter zukommt.99 Dies scheint jedoch für die von EIOPA zuerlassenden Leitlinien und Empfehlungen nur bedingt zu passen. Bei diesen handeltes sich um abstrakt-generelle Vorgaben an die nationalen Aufseher und beaufsichti-gen Unternehmen, denen eine gesteigerte faktische Bindungswirkung zuzusprechenist, die diese in die Nähe eines materiellen Gesetzes rückt.

So haben die von Leitlinien und Empfehlungen erfassten Aufsichtsbehörden undVersicherungsunternehmen gemäß Art. 16 Abs. 3 UA 1 EIOPA-VO „alle erforder-lichen Anstrengungen [zu unternehmen], um diesen Leitlinien und Empfehlungennachzukommen“. Zwar darf dies nicht dahingehend verstanden werden, dass einevollstreckbare Umsetzungspflicht bestünde. Allerdings dürfen die Aufsichtsbehörden(und unter bestimmten Umständen auch die Versicherer) die Leitlinien und Empfeh-lungen auch nicht einfach ignorieren, sondern müssen EIOPA die Nichtumsetzungunter Angabe von Gründen anzeigen (Art. 16 Abs. 3 UA 2 und 4 EIOPA-VO). Diesessogenannte comply or explain-Prinzip wird zudem noch durch die Möglichkeit derEIOPA ergänzt, die Namen der nicht-umsetzenden Behörden eventuell sogar unterAngabe der aufgeführten Gründe zu veröffentlichen, was man sehr wohl im Sinne ei-nes naming and shaming100 verstehen kann. Obgleich eine Nichtbefolgung der Leit-linien und Empfehlungen keine weiteren Rechtsfolgen – insbesondere keine hieran

96Siehe Gal/Sehrbrock, Verfahrens- und materiellrechtliche Anforderungen an die vorzeitige Abberufungvon Vorstandsmitgliedern der Deutschen Bundesbank, in: AöR 2012, S. 360–400 (392).97So auch Siekmann (Fn. 16), S. 165 f.; a.A. Lehmann/Manger-Nestler (Fn. 1), S. 90, die aus einem Ver-gleich zu den Leitlinien der EZB eine begrenzte Bindungswirkung der EIOPA Leitlinien ableiten wollen,differenzierter jedoch jetzt dies. (Fn. 38), S. 12 f.98So bspw. Walla (Fn. 85), S. 267.99So Siekmann (Fn. 16), S. 199.100Dieser Begriff wird im Kontext von Solvency II typischerweise für die Konstellation verwendet, dassdie Aufsicht die gegen Versicherungsunternehmen verhängte Maßnahmen veröffentlicht; vgl. Wandt, Sol-vency II: Wird die Aufsicht zum „Mitunternehmer“?, in: VW 2007, S. 473–476 (476). Lehmann/Manger-Nestler (Fn. 38), S. 13 sprechen hier von einer Prangerwirkung.

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anknüpfenden Einzelmaßnahmen – nach sich zieht, kann auch von einem reinen Ap-pellcharakter nur schwerlich gesprochen werden. Diese Einschätzung als relativ har-tes soft law wird noch durch einen bisher wenig beachteten Umstand verstärkt.101

Durch die Mitteilung des nationalen Aufsehers an EIOPA, dass er umsetzt (comply),entsteht für diesen eine zumindest moralische Bindung, die Leitlinie oder Empfeh-lung gegenüber den Marktteilnehmern auch ausnahmslos durchzusetzen. Den Markt-teilnehmern wird hierdurch der Ansprechpartner genommen, mit dem bisher über diekonkrete Anwendung von Rundbriefen oder ähnlichen unverbindlichen Instrumen-ten diskutiert werden konnte, da der nationale Aufseher eine Diskussion nunmehrin der Tendenz wohl eher mit einem Verweis auf die Leitlinie oder Empfehlung derEIOPA kategorisch abblocken wird. Insofern steigert gerade die Mittelbarkeit vonLeitlinien und Empfehlungen für die Marktteilnehmer deren Wirkung zu einer fakti-schen (unmittelbaren) Verbindlichkeit. Dies berücksichtigend erscheint es nicht ganzfernliegend, Leitlinien und Empfehlungen als untergesetzlichen Normkategorien mitgewisser Bindungskraft zu verstehen.102 Diese Bindungskraft bleibt jedoch letztlichfaktisch, sodass in der Übertragung dieser Kompetenz nicht schon per se ein Pro-blem im Hinblick auf die demokratische Legitimation der EIOPA auszumachen ist.Vielmehr dürfte die Übertragung dieser Befugnis selbst nach den strengen Grund-sätzen der Meroni-Rechtsprechung noch gedeckt sein;103 letztlich stellen sich dieEmpfehlungen und Leitlinien nicht als etwas grundlegend Anderes dar als die durchdie Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeiter verfasstenGutachten, die nach den van der Vecht und Romano-Entscheidungen noch auf externeöffentlich-rechtliche Anstalten übertragen werden dürfen.104

Ein Legitimationsdefizit könnte jedoch dadurch entstehen, dass EIOPA Leitlinienund Empfehlungen in einem Bereich erlässt, der eigentlich durch technische Regu-lierungsstandards und technische Durchführungsstandards zu konkretisieren ist. Einsolches Vorgehen, durch das EIOPA die Unionsorgane in ihren primärrechtlich und inArtt. 10 ff., 15 EIOPA-VO vorgesehenen Mitwirkungsrechten beschneiden würde, istdurch die EIOPA-VO bedauerlicherweise nicht ganz unwahrscheinlich. Diese mögli-che Gefährdung des institutionellen Gleichgewichts rührt daher, dass Art. 16 Abs. 1EIOPA-VO, den Erlass von Leitlinien und Empfehlungen erlaubt, um innerhalb desESFS kohärente, effiziente und wirksame Aufsichtspraktiken zu schaffen und eine ge-meinsame, einheitliche und kohärente Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen.Eine weitere Einschränkung der möglichen Regelungsbereiche nimmt die EIOPA-VO nicht vor. Lediglich in Erwägungsgrund 25 wird festgestellt, dass Leitlinien undEmpfehlungen nur in von den technischen Regulierungs- und Durchführungsstan-dards nicht erfassten Bereichen möglich sein sollen. Aus dieser Feststellung ergebensich zahlreiche Abgrenzungsschwierigkeiten, die noch kaum zu überblicken sind.105

101Die folgenden, zusätzlichen Bedenken gegen die Leitlinien und Empfehlungen der EIOPA wurdengeäußert durch Wolfgang Rüdt, Leiter der Rechtsabteilung der Talanx AG, auf der Jahrestagung des Deut-schen Vereins für Versicherungswissenschaft e.V. am 21. April 2013.102So Thomas, Die Bindungswirkung von Mitteilungen, Bekanntmachungen und Leitlinien der EG-Kommission, in: EuR 2009, S. 423–444 (424); wohl auch Lehmann/Manger-Nestler (Fn. 38), S. 13.103Siehe oben Abschn. 3.1.104Vgl. hierzu oben Abschn. 3.2.105Eine sehr instruktive Darstellung bietet Sasserath-Alberti/Hartig (Fn. 11), S. 531.

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Allgemein gesprochen wird EIOPA jedoch – um eine Verletzung des institutionellenGleichgewichts nicht konstatieren zu müssen – als verpflichtet anzusehen sein, nur inden Grenzen des Erwägungsgrundes 25 (obwohl dessen Inhalt im Regelungstext derRichtlinie nicht auftaucht) von seiner Kompetenz, Leitlinien und Empfehlungen zuerlassen, Gebrauch machen kann.106 Insofern ist auch in dieser zu ungenauen Über-tragung der Befugnis zum Erlass von Leitlinien und Empfehlungen nicht zwingendeine Verletzung des Primärrechts zu sehen. Jedoch ist in Vornahme der Abgrenzungder Bereiche in denen die technischen Standards und in denen Leitlinie und Empfeh-lungen greifen, zwingend eine primärrechtskonforme Auslegung zu verwenden.

3.3.3 Fassen verbindlicher Beschlüsse

Besonders problematisch erscheint im Hinblick auf das primärrechtliche Demokra-tieprinzip und das institutionelle Gleichgewicht die Befugnisse der EIOPA gegenüberden nationalen Aufsichtsbehörden und gegenüber den aufsichtsunterworfenen Versi-cherungsunternehmen verbindliche Beschlüsse zu fassen.

Anders als noch im Kommissionsentwurf der EIOPA-VO vorgesehen, hat EIOPAkeine originäre Aufsichtsbefugnis über (gemeinschaftsweit tätige) Versicherungsun-ternehmen.107 Eine solche originäre Aufsichtsbefugnis (und zwar im Rahmen derZulassungsaufsicht und der laufenden Aufsicht) ist im ESFS nur der ESMA überRatingagenturen zugestanden.108 Man könnte insofern verallgemeinernd behaupten,dass EIOPA primär nicht die Versicherungsunternehmen, sondern quasi als „Aufse-her der Aufseher“ die nationalen Versicherungsaufsichtsbehörden beaufsichtigt.

Auch in dieser Funktion stehen EIOPA jedoch in zahlreichen Situationen Befug-nisse zu, gegenüber den Aufsichtsbehörden und in einigen Situationen gar gegenüberden Marktteilnehmern verbindliche Entscheidungen im Einzelfall zu treffen. SolcheBeschlussbefugnisse sind EIOPA zugestanden im Rahmen der Verletzung von Uni-onsrecht (Art. 17 EIOPA-VO), in Krisenfällen (Art. 18 EIOPA-VO) und im Rah-men des Streitbeilegungsmechanismus’109 (Art. 19 EIOPA-VO).110 Ohne hier aufalle Tatbestandvoraussetzungen zur Eröffnung dieser Eingriffsbefugnisse eingehenzu können, ist hervorzuheben, dass die EIOPA diese Befugnisse typischerweise nurunter Beteiligung bestimmter Unionsorgane ausüben kann.

So kann EIOPA gemäß Art. 17 EIOPA-VO bei der Falsch- oder Nichtanwendungeiner der in Art. 1 Abs. 2 EIOPA-VO genannten Rechtsvorschriften durch eine natio-nale Aufsichtsbehörde auf Antrag einer anderen nationalen Aufsichtsbehörde, des

106So auch Sasserath-Alberti/Hartig (Fn. 11), S. 531.107So aber noch Art. 6 Abs. 3 des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und desRates zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebli-che Altersvorsorge, in: KOM (2009) 502 endg.108Vgl. Artt. 15, 20, 21 ff. der VO (EG) 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates überRatingagenturen, in: ABl. L-302 vom 17.11.2009, S. 1 in der Fassung der VO (EU) 513/2011 des Europäi-schen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen,in: ABl. L-145 vom 31.05.2011, S. 30.109Siehe zum Streitbeilegungsverfahren ausführlich Gal (Fn. 12), S. 7 ff.110Die daneben bestehende Befugnis der EIOPA, bestimmte Finanztätigkeiten zu verbieten (Art. 9 Abs. 5EIOPA-VO), ist auch hierunter zu zählen.

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Europäischen Parlaments, des Rats, der Kommission, einer relevanten Interessen-gruppe oder ex officio111 eine Untersuchung vornehmen und eine Empfehlung aus-sprechen. Eine solche Empfehlung wäre allerdings nicht bindend. Sie hätte aber star-ke faktische Wirkung, da ihre Nichtbeachtung in vielen Fällen das Einschreiten derKommission nach sich ziehen würde, die wiederrum eine förmliche Stellungnahme(i.S.d. Art. 288 S. 5 Alt. 2 AEUV) gegenüber der nationalen Aufsichtsbehörde abge-ben kann (Art. 17 Abs. 4 EIOPA-VO). Erst im Falle der Nichtumsetzung einer Kom-missionsstellungnahme durch die nationale Aufsichtsbehörde ermächtigt Art. 17 Abs.6 EIOPA-VO die europäische Versicherungsaufsichtsbehörde unter eingeschränktenVoraussetzungen112 zum Erlass von Anordnungen unmittelbar gegenüber den Versi-cherungsunternehmen (nicht aber gegenüber den Aufsichtsbehörden).

Hinsichtlich der Beschlussbefugnisse im Rahmen eines Krisenfalls ist zunächstfestzuhalten, dass die Beurteilung, ob eine Krisensituation vorliegt, der EIOPA entzo-gen ist. Diese kann höchstens eine vertrauliche Empfehlung an den Rat zur Ausrufungdes Krisenfalls abgeben (Art. 18 Abs. 2 UA 2 S. 1 EIOPA-VO), die Entscheidung zurFeststellung einer Krise liegt jedoch beim Rat (Art. 18 Abs. 2 UA 1 S. 1 EIOPA-VO).Wenn eine solche Krise ausgerufen ist, stehen der EIOPA allerdings recht umfassen-de Eingriffsbefugnisse gegenüber den nationalen Aufsehern zu. Sie kann – allerdingsnur wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die ein koordiniertes Vorgehen dernationalen Behörden erfordern, um auf ungünstige Entwicklungen zu reagieren, diedas geordnete Funktionieren und die Integrität von Finanzmärkten oder die Stabilitätdes Finanzsystems in der Union als Ganzes oder in Teilen ernsthaft gefährden können– die Aufseher durch Beschlüsse verpflichten, erforderliche Maßnahmen zu treffen,um auf die Entwicklung zu reagieren (Art. 18 Abs. 3 EIOPA-VO). Unter weiterenBedingungen kann EIOPA auch im Rahmen eines Krisenfalls unter Umgehung dernationalen Aufsichtsbehörden unmittelbare Beschlüsse gegenüber den aufsichtsun-terworfenen Versicherungsunternehmen treffen (Art. 18 Abs. 4 EIOPA-VO).

Schließlich sind Eingriffsbefugnisse der EIOPA auch vorgesehen, wenn ein Streit-beilegungsverfahren zwischen zwei nationalen Aufsichtsbehörden erfolglos durch-laufen wurde.113 Wiederum gibt es unter Hinzutreten weiterer Voraussetzungen dieMöglichkeit, auf der ersten Stufe einen Beschluss gegenüber dem nationalen Aufse-her und auf der zweiten Stufe unmittelbar gegenüber dem Marktteilnehmer zu treffen.Erwähnenswert (und problematisch) erscheint hier, dass im Rahmen der Eingriffsbe-fugnisse des Art. 19 EIOPA-VO ein Mitwirken eines Unionsorgans nicht vorgesehenist.

Den strengen Maßstäben der Meroni-Urteile würden diese Befugnisse nicht ge-recht. Nach diesen können keine tatsächlich hoheitlichen Befugnisse übertragen wer-

111Art. 9 des Kommissionsentwurfs gewährte nur Aufsichtsbehörden und der Kommission ein Antrags-recht; die anderen Antragsberechtigten wurden erst durch Committee on Economic and Monetary Affairsdes EP, Bericht A7-0170/2010 vom 26.05.2010, Änderungsantrag 66, S. 60 f. eingefügt.112Dies erfordert gemäß Art. 17 Abs. 6 EIOPA-VO neben der unmittelbaren Anwendbarkeit der verletztenNormen des Unionsrechts, dass der Beschluss erforderlich ist, um der Nichteinhaltung rechtzeitig ein Endezu bereiten, um neutrale Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt aufrechtzuerhalten oder wiederherzu-stellen beziehungsweise um das ordnungsgemäße Funktionieren und die Integrität des Finanzsystems zugewährleisten.113Siehe hierzu Gal (Fn. 12), S. 20 ff.

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den, da nur Vertragsorgane „Befugnisse mit Ermessensspielraum“ wahrnehmen dür-fen, sodass eine Übertragung nur Befugnisse betreffen kann, die der Vorbereitungoder Durchführung von Beschlüssen der Vertragsorgane dienen.114 Dies trifft auf dieunmittelbar verpflichtenden Beschlüsse der EIOPA nicht mehr zu. Jedoch könnendie Ausführungen der Meroni-Urteile, wie oben festgestellt,115 nicht unmittelbar aufUnionsagenturen übertragen werden. Vielmehr kommt es für diese darauf an, dassdie Übertragung der Befugnisse nicht gegen primärrechtliche Grundsätze verstößt,wobei insbesondere das Demokratieprinzip und das institutionelle Gleichgewicht zuwahren sind.

Hinsichtlich der Eingriffsbefugnisse im Rahmen des Art. 17 EIOPA-VO scheinendiese noch gewahrt zu sein.116 Hier kommt der EIOPA gegenüber den Aufsichtsbe-hörden nur das Recht zum Ausspruch einer unverbindlichen Empfehlung zu. Zwar istdieser Empfehlung durch die Kommission Rechnung zu tragen, die Kommission istjedoch in Entwerfung ihrer förmlichen Stellungnahme (Art. 17 Abs. 4 EIOPA-VO)und der etwaigen Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens frei. Problematischerscheint insofern höchstens die Möglichkeit, dass EIOPA nach der Stellungnahmeder Kommission eine unmittelbare Anordnung gegenüber Marktteilnehmern treffenkann (Art. 17 Abs. 6 EIOPA-VO). Hierbei ist jedoch der Ermessensspielraum der EI-OPA stark eingeschränkt, da dieser Beschluss gemäß Art. 17 Abs. 6 UA 2 EIOPA-VOim Einklang mit der Stellungnahme stehen muss.

Eine solche Anbindung an die Entscheidungen der Unionsorgane fehlt jedoch hin-sichtlich der Eingriffsbefugnisse nach Artt. 18 f. EIOPA-VO. Hinsichtlich der Ein-griffsbefugnisse im Krisenfall mag man dies noch dadurch für im Rahmen des Pri-märrechts erachten, als hier zunächst der Rat eine Krisensituation ausrufen muss.Hinsichtlich der Eingriffsbefugnisse im Rahmen des Streitbeilegungsmechanismus’fehlt jedoch eine Rückkopplung an die Unionsorgane vollständig. Im Hinblick auf dasinstitutionelle Gleichgewicht mag man dies gleichwohl noch als hinnehmbar betrach-ten, da die Befugnisse nicht das Recht der Kommission beschneiden, ein Vertragsver-letzungsverfahren einzuleiten (siehe Artt. 17 Abs. 6, 18 Abs. 4 EIOPA-VO).117 DieseMöglichkeit des Treffens unmittelbarer Anordnung erscheint jedoch im Hinblick aufdas Demokratieprinzip höchst bedenklich, da die EIOPA und ihre Funktionsträger mitweitreichenden Unabhängigkeitsgarantien versehen sind. Auf dieses Problem wirdim Folgenden noch einzugehen sein, während hier abschließend festzuhalten ist, dasshinsichtlich der Übertragung der Eingriffsbefugnisse eine veritable Gefahr besteht,dass der EuGH diese als nicht mit dem Primärrecht im Einklang erachtet. Geradedie Schlussanträge des Generalanwalts Niilo Jääskinen im ESMA-Verfahren deuten

114EuGH, Rs. 9/56 (Meroni & Co., Industrie Metallurgiche ./. Hohe Behörde der Europäischen Gemein-schaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, S. 16 (44); EuGH, Rs. 10/56 (Meroni & Co., Industrie Metallurgiche./. Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1958, S. 57 (82).115Siehe oben Abschn. 3.1 und 3.2.116So i.E. auch Siekmann (Fn. 16), S. 200.117Hierbei ist allerdings noch weitgehend ungeklärt, welche Folgen ein Urteil des EuGH in einem Ver-tragsverletzungsverfahren auf Beschlüsse der EIOPA haben würde.

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darauf hin, dass der EuGH diese Eingriffsbefugnisse als primärrechtswidrig erachtenkönnte.118

3.3.4 Weitere Befugnisse

Im Rahmen ihrer Aufgaben sind der EIOPA noch weitere Befugnisse zugeordnet. Sokann EIOPA in bestimmten Situationen Stellungnahmen an die Unionsorgane richten,bestimmte Informationen von den Aufsichtsbehörden und unter bestimmten Bedin-gungen von den Versicherungsunternehmen einholen, gemeinsame Methoden entwi-ckeln, zur Bewertung der Wirkung von Produktmerkmalen und Verteilungsprozessenauf die Finanzlage der Versicherungsunternehmen und den Verbraucherschutz und siekann Datenbanken generieren (vgl. Art. 8 Abs. 2 litt. g-j EIOPA-VO). All diese Be-fugnisse scheinen selbst die strengen Voraussetzungen der Meroni-Rechtsprechungzu erfüllen und stehen mit dem Primärrecht wohl nicht im Widerspruch.

3.3.5 Unabhängigkeit als strukturelles Problem

Das grundlegende Problem der EIOPA hinsichtlich ihrer Konformität mit dem Pri-märrecht (oder – wenn man so will – der Meroni-Rechtsprechung) ist in ihrer Unab-hängigkeit und der ihrer Funktionsträger zu sehen. Zwar ist es nicht per se unzuläs-sig, eine Unionsagentur mit völliger Unabhängigkeit gegenüber allen Unionsorganenauszustatten und deren Organe nicht den Weisungen durch die Organe oder die Mit-gliedstaaten zu unterwerfen. Eine solche personelle und sachliche Unabhängigkeitwird jedoch zum strukturellen Problem, wenn der Behörde gleichzeitig echte Ent-scheidungsbefugnisse zugebilligt werden. In diesem Fall stellt sich die Frage nachder Vereinbarkeit dieser Entscheidungsbefugnisse mit dem Primärrecht und insbe-sondere mit dem Demokratieprinzip in seiner ganzen Schwere.

Die Unabhängigkeitsgarantien in der EIOPA-VO scheinen hierbei recht unbedarftden Unabhängigkeitsgarantien der Mitglieder der EZB und des ESZB nachgebil-det worden zu sein. Was jedoch für die Notenbanken und ihre Organmitglieder ausprimär- und verfassungsrechtlicher Sicht vertretbar erscheint, muss es nicht zwin-gend für die EIOPA und ihre Funktionsträger sein. So ist zunächst zu beachten, dassdie Unabhängigkeit der EZB und der nationalen Notenbanken, sowie ihrer jeweiligenOrganmitglieder primärrechtlich über Art. 130 AEUV und Art. 7 ESZBS und für dieBundesbank und ihre Mitglieder verfassungsrechtlich über Art. 88 S. 2 GG statuiertwird.119 Insofern stellt sich diese Konstituierung eines Organs, das in geringeremMaß in personeller und sachlicher Hinsicht seine Legitimation von einem demokra-tisch legitimierten Organ ableitet, als Ausgestaltung des Demokratieprinzips auf glei-cher rechtlicher Ebene dar: Eben eine primär- bzw. verfassungsrechtliche Ausnahmezum Demokratieprinzip.120

118GA Jääskinen, Schlussanträge zur Rs. C-270/12 (UK ./. Rat und EP; sog. ESMA-Verfahren), Rdn. 27ff., wobei Jääskinen davon ausgeht, dass eine solche Ermächtigung zwar nicht auf Grundlage des Art. 114sehr wohl aber auf Grundlage des Art. 352 AEUV möglich gewesen wäre (ibidem, Rdn. 54 ff.).119Vergleiche zum Unabhängigkeitsbegriff im Kontext der Möglichkeit einer Abberufung von Bundes-bankvorständen Gal/Sehrbrock (Fn. 96), S. 360 ff.120Zur Zulässigkeit dieser Ausnahme siehe Siekmann (Fn. 16), S. 203 m.w.N.

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Auch ist diese Unabhängigkeit von vielen Seiten immer wieder kritisiert worden.Man denke hier beispielsweise an die Reaktion Adenauers auf die Entscheidung derBank deutscher Länder 1955 Diskont- und Lombardsatz um einen halben Prozent-punkt anzuheben. In der sogenannten Fallbeilrede stellte Adenauer fest, dass der Zen-tralbankrat der Vorgängerin der Bundesbank ein Organ sei, „das niemandem verant-wortlich ist, auch keinem Parlament und nicht einer Regierung“, das „Fallbeil“ seinerEntscheidungen aber „trifft die kleinen Leute“.121 Die Entscheidungen der EIOPAmögen nicht in der gleichen Weise die „kleinen Leute“ treffen – es sei denn man willdie kmU (kleinen und mittleren Unternehmen) als solche sehen –, gleichwohl ist dieNotwendigkeit ihrer Unabhängigkeit wesentlich schwerer als die der Notenbanken zubegründen. Es ist wenig einsichtig, weshalb eine europäische Finanzaufsichtsbehördezwingend über Unabhängigkeit gegenüber Unionsorganen und Mitgliedstaaten ver-fügen muss, wenn dies für seine mitgliedstaatlichen Pendants, die der Aufsicht durchdie jeweilige Regierung unterliegen,122 nicht zutrifft.

Dies kann auch nicht mit dem Verweis darauf, dass es bereits Unionsagenturengibt, die über eine ähnliche Unabhängigkeit verfügen, umgangen werden. So mag esmit der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER)in der Tat eine Unionsagentur geben, dessen Funktionsträger über weitgehende Un-abhängigkeit verfügen (vgl. Artt. 12 Abs. 7, 14 Abs. 5, 16 Abs. 1 und 18 Abs. 3ACER-VO123) und die zudem verbindliche Entscheidungen treffen kann (vgl. Artt. 7ff. ACER-VO).124 Hiermit ist jedoch – in Abwesenheit einer EuGH-Entscheidung –keine Aussage darüber getroffen, ob diese Kompetenzübertragung auf die ACER inprimärrechtlich zulässiger Weise erfolgte.

Wenn man neben der Weisungsfreiheit und Unabhängigkeit, noch die Budgetho-heit und die Berufungsverfahren der Funktionsträger der EIOPA berücksichtigt, so istin der Unabhängigkeit eine potentielle Beeinträchtigung des europäischen Demokra-tieprinzips zu sehen. Ob diese Beeinträchtigung durch die Verfahrensanforderungenund das Rechtsschutzsystem ausgeglichen werden, muss fraglich erscheinen.

3.4 Zwischenergebnis

Grundsätzlich bestehen hinsichtlich der Befugnisse der EIOPA – zumindest unterAussparung der Entscheidungsbefugnisse – keine durchgreifenden primärrechtlichenBedenken. Die meisten dieser Befugnisse konnten selbst unter den strengen Maßga-ben der Meroni-Rechtsprechung auf die EIOPA übertragen werden. Zumindest aberist ihre Übertragung nach dem hier vertretenen Ansatz, der die Meroni-Doktrin dahin-gehend auslegt und den neuen unionsrechtlichen Realitäten anpasst, dass die Übertra-gung der Befugnisse insbesondere dem Demokratieprinzip und dem institutionellen

121Vgl. zur Fallbeilrede Neumann, Geldwertstabilität: Bedrohung und Bewährung, in: Deutsche Bundes-bank (Hrsg.), Fünfzig Jahre Deutsche Mark – Notenbank und Währung in Deutschland seit 1948, München1998, S. 309–346 (330 ff.).122Die BaFin unterliegt laut §2 FinDAG der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finan-zen.123VO (EG) 713/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gründung einer Agentur für dieZusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, in: ABl. L-211 vom 14.08.2009, S. 1.124Auf diese verweist Siekmann (Fn. 16), S. 201, der hierin jedoch auch kein entscheidendes Argumentfür die Zulässigkeit einer solchen Unabhängigkeit bei den ESA erkennen kann.

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Gleichgewicht entsprechen muss, zulässig. Hinsichtlich der Entscheidungsbefugnisbestehen zwar gewisse Bedenken, ob diese tatsächliche ohne eine Verankerung imPrimärrecht auf eine Unionsagentur wie EIOPA übertragen werden konnten. DieseBedenken scheinen jedoch nicht zwingend durchzuschlagen.

Dies gilt jedoch nur unter Hinwegdenken der Unabhängigkeit der EIOPA. Da EIO-PA auch im Rahmen seiner Entscheidungsbefugnisse gegenüber den Unionsorganenund den Mitgliedstaaten gänzlich unabhängig ist, scheint es nicht unrealistisch, dassdies durch den EuGH als eine Beeinträchtigung des europäischen Demokratieprin-zips gewertet würde. Diese Gefahr lässt sich auch nicht durch eine primärrechtskon-forme Interpretation beheben.

4 Zusammenfassung

Eine Prüfung der EIOPA-VO an den primärrechtlichen Vorgaben hinterlässt den Le-ser mit einem unguten Gefühl. Zwar erscheint Art. 114 AEUV als grundsätzlich rich-tige Ermächtigungsgrundlage, jedoch eröffnet ein Blick auf Art. 127 Abs. 6 AEUVgewisse Zweifel, ob dieser nicht eine Sperrwirkung erzeugt und insofern zur Errich-tung des ESFS eine Anpassung der Verträge nötig gewesen wäre. Wenn man auch,wie hier, letztlich eine solche nicht für nötig und Art. 114 AEUV für voll einschlägighält, so verbleiben doch zumindest gewisse Bedenken hinsichtlich der primärrecht-lichen Zulässigkeit der Übertragung einzelner Befugnisse der EIOPA. Auch soweitman die Meroni-Rechtsprechung nicht mehr für angemessen und insofern nur noch inabgewandelter Form für anwendbar erachtet, so muss die Übertragung von Befugnis-sen auf Unionsagenturen doch mit den europäischen Strukturprinzipien des Demo-kratieprinzips und des institutionellen Gleichgewichts in Einklang stehen. Währendman dies für die Befugnisse im Rahmen des Erlasses von technischen Standards, derHerausgabe von Leitlinien und Empfehlungen und zahlreicher anderer Kompetenzen– zumindest bei Zugrundelegung einer primärrechtskonformen Interpretation – nochannehmen kann, erscheint dies für (einige) der Befugnisse, unmittelbar wirksameBeschlüsse zu treffen, fraglich. Gerade im Hinblick auf die Wechselwirkung mit dervollumfänglichen Unabhängigkeit der EIOPA und ihrer Funktionsträger ist die An-nahme einer Verletzung des Demokratieprinzips nicht völlig fernliegend. Man wirdalso das erste Urteil des EuGH zur EIOPA-VO mit Spannung und gehöriger Sorgeabwarten müssen. Zumindest die Schlussanträge im ESMA-Verfahren zu einer ver-gleichbaren Kompetenz der ESMA im Rahmen der Leerverkaufsverordnung lassenein gehöriges Problempotential auf europäischer Ebene erkennen.


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