+ All Categories
Home > Documents > LawZone 2/2010

LawZone 2/2010

Date post: 23-Jun-2015
Category:
Upload: lawzone-zeitschrift-fuer-rechtswissenschaft
View: 436 times
Download: 5 times
Share this document with a friend
Description:
Schwerpunkt GesellschaftsrechtVerfasser:Rainer FreudenbergPeter C. FischerElisabeth ComesAlexander JunkovVerena LerchJan Hermes
52
Law Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Fakultäten in Deutschland - Nr. 2/2010 Herausgeber Fachschaft des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main Ist Unternehmern die SPE oder eine nationale Rechtsform zu empfehlen? RAINER FREUDENBERG Wahl der richtigen Rechtsform bei der Unternehmens- gründung PETER C. FISCHER/ ELISABETH COMES Zivilrechtliche Haftung der Rating-Agenturen gegenüber gerateten Unternehmen ALEXANDER JUNKOV Ein Jahr Gesetz zur Angemes- senheit der Vorstandsvergütung JAN HERMES Wechselbezügliche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament VERENA LERCH Ist Unternehmern die SPE oder eine nationale Rechtsform zu empfehlen? RAINER FREUDENBERG Wahl der richtigen Rechtsform bei der Unternehmens- gründung PETER C. FISCHER/ ELISABETH COMES Zivilrechtliche Haftung der Rating-Agenturen gegenüber gerateten Unternehmen ALEXANDER JUNKOV Ein Jahr Gesetz zur Angemes- senheit der Vorstandsvergütung JAN HERMES Wechselbezügliche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament VERENA LERCH
Transcript
Page 1: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010

LawZeitschrift für rechtswissenschaftliche Fakultäten in Deutschland - Nr. 2/2010

Herausgeber Fachschaft des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main

IstUnternehmerndieSPEodereinenationaleRechtsformzuempfehlen?RAINER FREUDENBERG

WahlderrichtigenRechtsformbeiderUnternehmens-gründungPETER C. FISCHER/ELISABETH COMES

ZivilrechtlicheHaftungderRating-AgenturengegenübergeratetenUnternehmenALEXANDER JUNKOV

EinJahrGesetzzurAngemes-senheitderVorstandsvergütungJAN HERMES

WechselbezüglicheVerfügungenimgemeinschaftlichenTestamentVERENA LERCH

IstUnternehmerndieSPEodereinenationaleRechtsformzuempfehlen?RAINER FREUDENBERG

WahlderrichtigenRechtsformbeiderUnternehmens-gründungPETER C. FISCHER/ELISABETH COMES

ZivilrechtlicheHaftungderRating-AgenturengegenübergeratetenUnternehmenALEXANDER JUNKOV

EinJahrGesetzzurAngemes-senheitderVorstandsvergütungJAN HERMES

WechselbezüglicheVerfügungenimgemeinschaftlichenTestamentVERENA LERCH

Page 2: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010

Berlin · Joachim LittigT +49 (0)30 88 00 97-57 · [email protected]

Brüssel · Gabrielle H. Williamson, J.D.T +32 (0)2 646 20-00 · [email protected]

Chemnitz · Veit PäßlerT +49 (0)371 382 03-221 · [email protected]

Düsseldorf · Stephan FreundT +49 (0)211 600 55-245 · [email protected]

Frankfurt · Dr. Holger HaasT +49 (0)69 975 61-445 · [email protected]

Hamburg · Dr. Thomas Wambach, LL.M.T +49 (0)40 35 52 80-29 · [email protected]

Köln · Prof. Dr. Martin ReufelsT +49 (0)221 20 52-331 · [email protected]

München · Dr. Frank MetzT +49 (0)89 540 31-228 · [email protected]

Zürich · Dr. Holger Erwin, M.Jur. (Oxford)T +41 (0)44 200 71-05 · [email protected]

Einbindung in nationale und internationale Mandate,individuelle Förderung, ein sympathisch-kollegialesUmfeld – das ist bei Heuking Kühn Lüer Wojtek realeUnternehmenspraxis. Und Grund genug für Referendare undReferendarinnen, sich für uns zu entscheiden. Wir sind eineder zwanzig größten, auf Wirtschaftsberatung spezialisiertenSozietäten in Deutschland. Über 200 Rechtsanwälte, Steuer-berater und Notare vertreten mittelständische und großeUnternehmen. Unsere Fachkompetenz schließt alle Facettendes Wirtschaftsrechts ein, die wir branchenübergreifend undmit hoher Spezialisierung im Markt einsetzen. Beste Voraus-setzungen für ein Referendariat, das Sie nach vorne bringt.

Sie haben überdurchschnittliche Abschlüsse, verfügen überAuslandserfahrung, und Ihr gutes Englisch ist in der Praxisbewährt? Studienbegleitend erwarben Sie Qualifikationenoder Erfahrungen, die Ihre unternehmerischen Fähigkeitenerkennbar machen?

Dann freuen wir uns auf Ihre Bewerbung: Bettina Ramlau, Leiterin Human Resources, T + 49 (0)211 600 55-381,[email protected]. Weitere Fragen beant-worten Ihnen gerne unsere Partner und Partnerinnen.www.heuking.de

Referendare W|Mfür alle Standorte

Aus ähnlichen Angeboten das beste herausfinden?Gut, wenn Sie es sofort erkennen.

10xx_WS_Ref_LawZone_A4_4c 09.07.2010 10:27 Uhr Seite 1

Page 3: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 3

Editorial

In eigener Sache

Liebe Leserinnen und Leser,

die aktuelle Ausgabe der LawZone beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Gesellschaftsrecht. Dieses ist im Laufe der letzten Jahre im (Schwer-punkbereichs-)Studium wie auch in der Staatlichen Pflichtfachprüfung immer mehr in den Vorder-grund getreten. Trotz unterschiedlicher Interessen sollte dieses Rechtsgebiet nicht vernachlässigt werden.Während wir in Ausgabe 2/2009 die Europäische Gesellschaft (SE) vorstellen konnten (siehe Law-Zone 2/2009, S. 31-34), beschäftigt sich aktuell Rainer Freudenberg mit der Rechtsform der Euro-päischen Privatgesellschaft (SPE). Ausgiebig geht er dabei auf die Frage ein, ob die SPE bei der Er-schließung ausländischer Märkte anstelle von na-tionalen Rechtsformen als geeignet anzusehen ist.Weg vom internationalen Markt, gehen Peter C. Fischer und Elisabeth Comes mit einem Überblick über die nationalen Rechtsformen auf die Frage ein, welche sich bei der Unternehmensgründung eignen.Die Aktiengesellschaft betreffend analysiert Jan Hermes folgenden wichtigen Aspekt: Hat der Ge-setzgeber mit dem mittlerweile ein Jahr alten Ge-setz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) sein Ziel erreicht? Das VorstAG sollte den ausufernden Vorstandsgehältern, die zu den ur-sächlichen Faktoren der Finanzmarktkrise zählen, entgegenwirken.

Einer der anderen Ursachen für diese Krise ist das Verhalten der internationalen Rating-Agenturen. Es stellt sich die Frage, ob die bis vor kurzem fehlende Regulierung der Agenturen durch das deutsche Ausführungsgesetz zur EU-Rating-Ver-ordnung vom 19.06.2010 gegeben ist und den Handlungsspielraum hinreichend verkleinert. Dabei geht in dieser Ausgabe ein Beitrag auf die zivilrechtlichen Haftungstatbestände der Rating-Agenturen gegenüber den fehlerhaft gerateten Un-ternehmen ein.Abschließend beschäftigt sich Verena Lerch in ih-rem erbrechtlichen Exkurs mit den Problemen, die bei wechselbezüglichen Verfügungen im gemein-schaftlichen Testament entstehen können.

An dieser Stelle ein Vielen Dank an alle Autoren und Sponsoren der LawZone 2/2010!

Ich wünsche eine interessante und ertragreiche Lektüre,

Ihr Alexander Junkov Chefredakteur

Frankfurt am Main im September 2010

Page 4: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/20104

In eigener Sache

Inhaltsverzeichnis In eigener Sache Editorial 3

Impressum 50

Beiträge

ErschließungausländischerMärkte:IstUnternehmern hierfürdieSPEodereinenationaleRechtsformzu empfehlen? VonRainer Freudenberg 6

WahlderrichtigenRechtsformbeiderUnternehmungs- gründung–eineÜbersichtfürangehendeBerater

VonPefer C. Fischer/Elisabeth Comes 11

ZivilrechtlicheHaftungderRating-Agenturengegenüber geratetenUnternehmen

VonAlexander Junkov 14

EinJahrGesetzzurAngemessenheitderVorstands- vergütung–Rückblick,ProblemeundAusblick

VonJan Hermes 22

WechselbezüglicheVerfügungenim gemeinschaftlichenTestament

VonVerena Lerch 34

Buchrezensionen 45

Page 5: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010

Page 6: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/20106

Erschließung ausländischer Märkte: Ist Unternehmern hierfür die SPE oder eine nationale Rechtsform zu empfehlen?

Von Wiss.-Ass. Rainer Freudenberg, Heidelberg*

Die Europäische Privatgesellschaft (SPE) ist eine supranational geschlossene Kapitalgesell-schaft, die auf der europäischen Rechtsformpa-lette neben die Europäische Aktiengesellschaft (SE) tritt und die nationalen Pendants (GmbH, Limited etc.) um eine unionsrechtliche Alter-native ergänzt. Ihre bevorstehende Einführung wirft die Frage auf, welche Rechtsform expandierenden Unternehmen bei der Erschließung des Binnenmarktes anzuraten ist: Sollte ein Frankfurter Dienstleistungsun-ternehmen seine geplante Pariser Filiale als französische SARL, deutsche GmbH oder europäische SPE organisie-ren?

I. Stand des GesetzgebungsverfahrensNach Vorarbeiten in der Wissenschaft1 und einer Ge-setzgebungsinitiative2 durch das Europäische Parlament erließ die Kommission im Juni 2008 einen Verordnungs-entwurf3 zum Statut der Europäischen Privatgesellschaft. Seitdem wurde der Verordnungstext durch den Minister-rat und das Parlament beständig fortgeschrieben; zuletzt legte die schwedische Ratspräsidentschaft einen Kom-promissvorschlag4 vor. Abschließender Feinabstimmung bedürfen die Kapitalverfassung, die Frage der Sitzauf-spaltung und das Mitbestimmungsregime. Deutschland5 und seine führenden Wirtschaftsverbände6 stehen hinter dem Gesetzgebungsprojekt mit dem Ziel, durch die SPE die Wettbewerbsposition mittelständischer Unternehmen in Europa zu stärken.

1 Boucourechliev/Hommelhoff, Vorschläge für eine Europäische Privatge-sellschaft, 1999; Hommelhoff/Helms, Neue Wege in die Europäische Pri-vatgesellschaft, 2001.2 Entschließung des Europäischen Parlaments mit Empfehlungen an die Kommission zum Statut der Europäischen Privatgesellschaft (2006/2013(INI)) P6_TA(2007)0023; dazu Hommelhoff, in: Festschr. Prie-ster, 2007, S. 245 ff.3 KOM(2008)396, dazu Hommelhoff/C. Teichmann, GmbHR 2008, 897 ff.; Krejci, Societas Privata Europaea – SPE, 2008.4 Interinstitutionelles Dossier 2008/0130 (CNS) vom 27. November 2009, nachfolgend SPE-VOE; dazu Freudenberg, NZG 2010, 527 ff.; Hommelhoff/C. Teichmann, GmbHR 2010, 337 ff.; Jung, BB 2010, 1233 ff.5 Siehe den Koalitionsvertrag der Bundesparteien für die 17. Legislaturpe-riode, Zeilen 5031 f. sowie den einstimmigen Beschluss der Wirtschaftsmi-nisterkonferenz vom 17.06.2010, abrufbar unter: http://www.bundesrat.de/nn_8796/DE/gremien-konf/fachministerkonf/wmk/Sitzungen/10-06-17-18-termin-wmk.html?__nnn=true.6 Die Stellungnahmen der Wirtschaftsverbände sind abrufbar unter: http://circa.europa.eu/Public/irc/markt/markt_consultations/library?l=/compa-ny_law/european_private&vm=detailed&sb=Title.

II. Eckpunkte der SPE-VerordnungUm die SPE mit nationalen Rechtsformen ver-gleichen zu können, sollten einige Eckpunkte der Verordnung bekannt sein: Das Leitbild der SPE ist die abhängige Service-, Vertriebs- oder Produktionstochter7. Wo die Verordnung oder die Satzung keine Regelung enthalten,

gilt subsidiär das nationale Recht am Registersitz (Art. 4 SPE-VOE). Hauptverwaltung und Registersitz kön-nen in verschiedenen Mitgliedstaaten liegen, wenn der Registerstaat dies auch seiner nationalen Rechtsform erlaubt (Art. 7 SPE-VOE) – die in Deutschland gemäß § 4a GmbHG8 zulässige Sitzaufspaltung stellt also im Zu-sammenspiel mit Art. 4 SPE-VOE den Schlüssel zu einer gesellschaftsrechtlich einheitlichen Gruppenbildung dar. Des Weiteren lässt die Verordnung unter bestimmten Vo-raussetzungen Verhandlungen über die Mitbestimmung zu (Artt. 35 ff. SPE-VOE).

III. Rechtliches Marktumfeld in der mittelstän-dischen WirtschaftKleinen und mittleren Unternehmen stehen bei der Er-oberung des Binnenmarktes nach wie vor beachtliche Hindernisse im Weg; namentlich die Vielfalt der natio-nalen Rechtsformen mit ihren unterschiedlichen Gesell-schaftsstatuten stellt einen Hemmschuh dar. Das gilt im mittelständischen Bereich umso mehr, weil das Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaften im Gegensatz zum Aktienrecht bislang kaum harmonisiert ist9. Die SE in-des entspricht wegen ihres Zuschnitts auf große, zumeist börsennotierte Unternehmen – Gründungsrestriktionen, hohe Mindestkapitalanforderungen und mangelnde Ge-staltungsfreiheit im Innenverhältnis – nicht wirklich den Bedürfnissen von kleinen und mittleren Unternehmen10. Auch unselbständige Zweigniederlassungen sind keine echte Alternative, da sie sich aus Gründen der vermin-derten Handlungsfähigkeit vor Ort, der gruppeninternen Haftungssegmentierung und dem Ansehen des Unterneh-mens am lokalen Markt zwar in einem Übergangsstadi-um, nicht aber zur langfristigen organisatorischen Veran-

7 Zur SPE als ausländische Tochtergesellschaft C. Teichmann, RIW 2010, 120, 122 ff.8 Zum neuen § 4a GmbHG Kindler, in: Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, § 7.9 Kritisch zur fehlenden Anwendbarkeit der 2., 3. und 6. gesellschaftsrecht-lichen Richtlinie Lutter, ZGR 2000, 1, 7 f.10 Siehe aber Lutter/Kollmorgen/Feldhaus, BB 2005, 2473 ff.

Page 7: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 7

kerung eignen11. Das belegen auch die Stellungnahmen12 von BDI, DIHK und VDMA in der Konsultation zur Europäischen Privatgesellschaft. Die unternehmerische Entscheidung spitzt sich deshalb darauf zu, eine Toch-ter nach ausländischem Recht zu gründen, mit einer hei-mischen Rechtsform über die Grenze zu ziehen (Schein-auslandsgesellschaft) oder künftig auf die SPE zu setzen.

IV. Vorteile der SPE gegenüber nationalen Rechts-formenIm Folgenden wird untersucht, worin die Vorteile der SPE gegenüber nationalen Rechtsformen bestehen könnten. Dazu werden SPE und nationale Rechtsformen unter den Aspekten der Mobilität, des Kosteneinsparungspotenti-als, der Marktpsychologie und der Flexibilität des Mitbe-stimmungsstatuts verglichen.

1. Mobilität bei gleichzeitiger Uniformität des Ge-sellschaftsstatutsNaheliegend erscheint: Nur mit der SPE steht eine ge-schlossene Kapitalgesellschaft zur Verfügung, mit der man binnenmarktweit unter Nutzung ein und desselben Gesellschaftsstatuts agieren kann13. Mobilität wird der SPE gleich in doppelter Hinsicht verbrieft: Zum Einen ermöglichen die Art. 36 ff. SPE-VOE die identitätswah-rende Verlegung des Satzungssitzes im Rahmen eines formalisierten Verlegungsverfahrens. Und zum Zweiten gestattet Art. 7 SPE-VOE grundsätzlich die isolierte und formfreie Verlagerung der Hauptverwaltung unabhängig vom Registersitz. Das versetzt SPE-Unternehmer in die Lage, ihre geschäftlichen Aktivitäten in jedem beliebigen Mitgliedstaat zu entfalten und dabei gleichzeitig das für sie günstigste nationale Recht auszuwählen, das neben Verordnung bzw. Satzung subsidiär zur Anwendung kommt (Art. 4 SPE-VOE) – und das gruppenweit.

Aber stellt dies ein Privileg gegenüber den nationalen Pendants dar? Ein Blick auf das geltende Recht: Für Ge-sellschaften derjenigen Staaten, die wie England14 auf dem Boden der Gründungstheorie stehen, ist es seit den jüngsten Urteilen des EuGH zur Niederlassungsfreiheit15 ohne Weiteres möglich, ihre Hauptverwaltung unab-hängig vom Registersitz in jedem beliebigen Mitglied-staat zu nehmen. Durch die europarechtlich erzwungene Anwendung des Gründungsrechts16 bleibt das Gesell-

11 Hommelhoff, in: Festschr. Doralt, 2004, S. 199, 204; Kaiser, Die Euro-päische Privatgesellschaft und die spanische Sociedad de Responsabilidad Limitada, 2008, S. 34; C. Teichmann, in: Gesellschaftsrecht in der Diskus-sion 2008, 2009, S. 55, 64.12 Siehe bei Fn. 6.13 So denn auch Kretschmer, Die Europäische Privatgesellschaft, 2005, S. 95.14 Zu den Wurzeln bis hin zum heutigen Entwicklungsstand Höfling, Das englische internationale Gesellschaftsrecht, 2002, S. 83 ff.15 Eingehende Analyse der Rspr. bei C. Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 79 ff.16 Sie mag kollisionsrechtlich oder sachrechtlich vorgegeben sein, vgl. MünchKomm/Kindler, BGB, 4. Aufl. 2006, IntGesR Rdn. 96 ff.

schaftsstatut hierbei unverändert. Aber auch traditionelle Sitztheoriestaaten entlassen ihre Gesellschaften unter dem Druck des entfesselten Wettbewerbs der Gesell-schaftsrechte17 zunehmend in die Freiheit: Seit Kurzem gestattet § 4a GmbHG die identitätswahrende Verlegung der Hauptverwaltung in das EU-Ausland18, sodass die GmbH unter dem Schutzmantel der Artt. 49, 54 AEUV binnenmarkweit nach den Vorschriften des GmbHG ein-gesetzt werden kann. Dies ist immerhin bemerkenswert, da die europäische Entwicklung mit der Einstellung19 der Arbeiten an der 14. Richtlinie betreffend die grenzüber-schreitende Verlegung des Satzungssitzes in eine andere Richtung zeigt und § 4a GmbHG im Lichte der Cartesio-Entscheidung20 auch niederlassungsrechtlich nicht zwin-gend vorgegeben ist21. Die Vorschrift stellt also einen national motivierten Entschluss dar, die GmbH mobil und damit exportfähig zu machen. Eine weitergehende Liberalisierung zeichnet bereits der vorliegende Refe-rentenentwurf22 über das „Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen“ vor: allgemeiner Übergang zur Gründungsthe-orie. Die besondere Integrationsleistung der SPE besteht mithin nicht in der Mobilität bei gleichzeitiger Einheit-lichkeit des Gesellschaftsrechts23.

2. KosteneinsparungspotentialSowohl die Kommission24, als auch die Literatur25 erken-nen einen wesentlichen Vorteil der SPE in ihrem Kosten-einsparungspotential. Um die Belastbarkeit dieser These würdigen zu können, müssen zwei grundlegende Gestal-tungen unterschieden werden: Die Gründung von Toch-tergesellschaften nach ausländischem Recht einerseits und die Nutzung von Scheinauslandsgesellschaften mit Verwaltungssitz im jeweiligen Einsatzgebiet. Zur ersten Konstellation ergab eine Studie von Baker & McKenzie im Auftrag des VDMA und in Zusammenarbeit mit der Universität Würzburg: Gegenüber der Verwendung aus-ländischer Töchter in der jeweiligen nationalen Rechts-form können die Kosten für die Rechtsberatung bei der Gründung und laufenden Beratung von Tochtergesell-schaften bei Einsatz der SPE um 80% gesenkt werden26.

17 Grundlegend Grundmann, ZGR 2001, 783 ff.18 Regierungsbegründung MoMiG BT-Drucks 16/6140, S. 29; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 4a Rdn. 15; Hirte, NZG 2008, 761, 769; Kindler, a.a.O. (Fn. 8), Rdn. 7.49 f.19 Siehe unter: http://ec.europa.eu/internal_market/company/seat-transfer/index_de.htm.20 EuGH, Urteil v. 16.12.2008, Rs. C-210/06, Slg. 2008 I-09641.21 Bayer, a.a.O. (Fn. 18), § 4a Rdn. 16; Kindler, a.a.O. (Fn. 8), Rdn. 7.56.22 Referentenentwurf zum Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen vom 07.01.2008, abge-druckt in: RIW 2006 Beilage 1 zu Heft 4.23 Zutreffend Krejci, a.a.O. (Fn. 3), Rdn. 24.24 KOM(2008)396, S. 2.25 Hommelhoff, GesRZ 2008, 337, 338; Krejci, a.a.O. (Fn. 3), Rdn. 39 ff.; C. Teichmann, a.a.O. (Fn. 11), S. 55, 66; Vossius, EWS 2007, 438, 439; Weber-Rey, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2008, 2009, S. 77, 84.26 Darstellung und Auswertung der Studie bei Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 11), S. 199, 201 f.

Page 8: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/20108

Ein klarer Sieg für die SPE.

Doch wie verhält es sich in der zweiten Konstellation? Dazu ist anzumerken, dass die in der Studie aggregier-ten Kostenvorteile aus der einheitlichen Verwaltung der Gesellschaften und dem verminderten Rechtsbera-tungsaufwand resultieren. Die europaweite Nutzung nur eines Gesellschaftsrechts erschließt die Möglichkeit zur Standardisierung von Organisationsgefügen, Leitungs-strukturen, Gesellschafterbeschlüssen etc. und segnet die Arbeitsabläufe mit Routine. Insbesondere können alle Gesellschaften auf Grundlage einer vereinheitlichten Satzung betrieben werden, auf die nach erstmaliger Kon-zipierung kostenfrei zurückgegriffen werden kann. Die hierfür erforderliche Beratung kann problemfrei durch einen Syndikus oder den Hausanwalt der Firma erle-digt werden. Die hohen Stundensätze von internationa-len Wirtschaftskanzleien, deren Expertise es bedarf, um mit verschiedenen ausländischen Gesellschaftsrechts-ordnungen zu jonglieren, lassen sich damit vermeiden. Diese Einsparungen lassen sich aber auch durch den eu-ropaweiten Einsatz der liberalisierten GmbH erzielen. Was den schieren Kostenvorteil anbetrifft, ziehen die na-tionalen Rechtsformen damit gleich.

Dieser Befund kann auch nicht durch den Kostennach-teil entkräftet werden, der Scheinauslandsgesellschaften dadurch entsteht, dass sie zweifach Rechnung legen müs-sen, um der Gefahr der Doppelbesteuerung27 zu entge-hen: nämlich handelsrechtlich nach dem Recht am Regi-stersitz und steuerrechtlich nach den Regeln im Land der Hauptverwaltung28. Denn, um mit der SPE die gleichen Einsparpotentiale wie mit einer Scheinauslandsgesell-schaft zu realisieren, muss der Registersitz der Tochter im gleichen Mitgliedstaat wie jener der Mutter liegen, damit die 15 Staatenwahlrechte und 26 Verweise in der Verordnung zum selben Recht führen. Wer mit der SPE gesellschaftsrechtliche Uniformität erreichen will, muss deswegen den Sitz aufspalten und somit die doppelte Rechnungslegung in Kauf nehmen.

3. Überwindung marktseitiger AkzeptanzdefiziteEin wesentliches Hindernis für den grenzüberschreiten-den Geschäftsverkehr ergibt sich aus der Psychologie der Marktteilnehmer und deren Zurückhaltung gegenü-

27 Auf diesen Kosteneffekt weist C. Teichmann, in: Aktuelle Entwicklungen im Gesellschaftsrecht, 2009, S. 52, 68 hin; siehe auch Brems/Cannivé, DK 2008, 629.28 Kußmaul/Ruiner, IStR 2007, 696, 697 f. Zu weiteren steuerrechtlichen Problemen bei der Nutzung von Scheinauslandsgesellschaften sei hinge-wiesen auf Haase, IStR 2008, 695 ff.; Kaminski/Strunk, IStR 2007, 189 ff.; Kollruss, IStR 2008, 316 ff.

ber fremdem Recht29. Jeder Jurist, der zum ersten Mal vor der Aufgabe steht, einen fundierten Rechtsvergleich durchzuführen, kennt dieses Gefühl.

a) Marktbedingungen beim grenzüberschreiten-den Verkehr ohne SPEBetrachten wir zunächst die Marktbedingungen beim grenzüberschreitenden Verkehr ohne SPE. Zu berück-sichtigen sind hierbei drei relevante Konstellationen: zum Ersten die Gründung einer ausländischen Gesell-schaft nach dem jeweiligen Ortsrecht, zum Zweiten die Verwendung einer Scheinauslandsgesellschaft nach dem Heimatrecht des Grenzgängers, wobei perspektivisch jeweils zwischen der Wahrnehmung des grenzüber-schreitenden Marktteilnehmers und desjenigen vor Ort zu unterscheiden ist, sowie drittens die Errichtung eines grenzüberschreitenden Joint Ventures mit selbständiger Organisationsstruktur.

aa) Nutzung einer Gesellschaft nach auslän-dischem RechtJeder Unternehmer, der eine Gesellschaft nach auslän-dischem Recht gründen will, sieht sich mit den psycholo-gischen Hindernissen konfrontiert, die eine solche Aus-landsgründung mit sich bringt: Der Unternehmer muss es wagen, das sichere Ufer seines Heimatrechts zu ver-lassen und neuen unbekannten Rechtsboden zu erschlie-ßen. Das Unwissen über die fremde Rechtsform und der ggf. bestehende Mangel an Vertrauen in diese wirken – auch in den Augen der Wirtschaftsverbände30 – als psy-chologischer Hemmschuh und können die Expansion ins Ausland aufschieben oder dauerhaft lahm legen31. Die lo-kale Marktgegenseite hingegen freut sich, wenn das zu-ziehende Unternehmen eine Rechtsform seiner eigenen Rechtsordnung wählt. Und dies nicht nur deshalb, weil hierin eine Wertschätzung der eigenen Rechts- und Ge-schäftskultur liegt, sondern die zukünftigen Geschäfts-partner die Unternehmensform bereits kennen, sie ein-schätzen können und gewohnt sind, mit ihr umzugehen. Es profitieren also die Geschäftspartner vor Ort, während der zuziehende Unternehmer Hürden übersteigen muss.

bb) Nutzung einer ScheinauslandsgesellschaftSpiegelverkehrt stellt sich die Lage dar, wenn der Grenz-gänger mit einer Gesellschaftsform seiner Rechtsord-nung zuzieht: Er muss sich auf kein neues Recht einstel-

29 Die Bedeutung der Marktpsychologie streicht Vossius, EWS 2007, 438, 439 heraus: „Psychologie ist in der Wirtschaft wichtig, wahrscheinlich viel wichtiger als rechtliche Rahmenbedingungen, wenn auch Juristen dies oft nicht glauben können.“ Das Meer an wirtschaftswissenschaftlichen Publi-kationen zu behavioral finance und allgemeiner Wirtschaftspsychologie bestätigen dies.30 Siehe bei Fn. 6.31 Helms, Die Europäische Privatgesellschaft, 1998, S. 14 ff.; Hommelhoff/C. Teichmann, DStR 2008, 925; Weber-Rey, in: Keuper/Schunk, Die Internati-onalisierung von KMU mithilfe der Europäischen Privatgesellschaft, 2009, S. 30, 32.

Page 9: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 9

len, sondern nutzt eine ihm wohl vertraute Rechtsform. Auf der Gegenseite werden die neuen ausländischen Geschäftspartner mit einer für sie regelmäßig unbe-kannten Organisationform konfrontiert. Sie kennen die rechtlichen Strukturen der Gesellschaft nicht: Wer ver-tritt die Gesellschaft32? Wird das Kapital in der Gesell-schaft gebunden und damit vor Zugriffen der Mitglieder geschützt etc.? Dies schafft Unsicherheit für die Unter-nehmer, aber auch für ihre Rechtsberater – wer kann sich ausmalen, wie ein Rechtsstreit unter Beteiligung einer in Spanien ansässigen GmbH durch ein Provinzgericht in Malaga entschieden wird, in dem es um die Anwendung der Existenzvernichtungshaftung geht33 – und stößt eher auf Verwirrung als auf Akzeptanz auf der Marktgegen-seite34. Zudem treffen Scheinauslandsgesellschaften auf Vorbehalte und Misstrauen bei potentiellen Geschäfts-partnern, woraus ein spürbarer Wettbewerbsnachteil ge-genüber einheimischen Gesellschaften resultiert35. Die bereits schlechte Reputation einer Rechtsform kann ein Grund hierfür sein: Warum nutzt der Geschäftspartner keine einheimische Gesellschaftsform? Ist sein Unter-nehmen etwa nicht solide finanziert? Fragen, die auch Nutzern einer Limited in Deutschland täglich offen oder nur gedacht gestellt werden36, und unter denen Unterneh-mer, die sich einer Scheinauslandsgesellschaft mit einer viel weniger bekannten Rechtsform als der Limited be-dienen, noch deutlich stärker leiden37. Wer weiß schon, worauf er sich bei der polnischen Spółka z Ograniczoną Odpowiedzialnością (Sp. z.o.o.) einlässt38? Die Option, eine Scheinauslandsgesellschaft zu verwenden, ist für Marktteilnehmer solcher Mitgliedstaaten faktisch nicht vorhanden.

Aus der Zusammenschau beider Konstellation wird deut-lich, dass (vordergründig) stets eine Marktseite im Vor-teil ist – nämlich diejenige, die mit einer ihr bekannten Rechtsform befasst ist –, während der andere Teil aus Unkenntnis und fehlendem Vertrauen gehemmt ist, sich auf ein Geschäft einzulassen. In Dreieckskonstellationen, in denen etwa ein deutsches Unternehmen mit einer Li-32 Auf die Schwierigkeit des Nachweises der Vertretungsverhältnisse bei Auslandsgesellschaften weist Kiem, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussi-on 1999, 2000, S. 199, 211 f. hin.33 Bild nach Hommelhoff/C. Teichmann, DStR 2008, 925, 928; kritisch zur Anwendung von ausländischem Gesellschaftsrecht durch einheimische Gerichte C. Teichmann, ECL 2006, 254.34 Hommelhoff, Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht, Vorträge und Berichte Nr. 163 (2008), S. 6; Kaiser, a.a.O. (Fn. 11), S. 33; J. Schmidt, EWS 2008, 455, 456; Weber-Rey, a.a.O. (Fn. 31), S. 30, 33.35 Hadding/Kießling, WM 2009, 145; Steinberger, BB 2006 Special 7, S. 27, 31; C. Teichmann, a.a.O. (Fn. 27), S. 52, 66; Weber-Rey, a.a.O. (Fn. 31), S. 30, 33.36 Zum „eher negativen Image“ der in Deutschland ansässigen Limited Bernstorff, RIW 2004, S. 498, 502; Kaiser, a.a.O. (Fn. 11), S. 34.37 Der Verweis auf die nationale Rechtsform wirkt bei unbekannten Ge-sellschaftsformen deshalb wie eine binnenmarktunverträgliche versteckte Diskriminierung; siehe Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 34), S. 7; C. Teichmann, a.a.O. (Fn. 11), S. 55, 65.38 Vgl. Hommelhoff/C. Teichmann, DStR 2008, 925, 927; Radwan, EBLR 2007, 769, 771.

mited auf den französischen Markt geht, kumulieren sich die nachteiligen Effekte sogar39.

cc) Grenzüberschreitendes Joint VentureDieses Problem lässt sich ebenso bei grenzüberschrei-tenden Joint Ventures beobachten40: Wollen A und B ein Gemeinschaftsunternehmen mit selbständigem Unter-nehmensträger errichten, müssen sie sich entscheiden, ob sie dafür eine Rechtsform der Rechtsordnung des A oder B wählen. Ein Teil muss sich dann auf eine unbekann-te rechtliche Organisationsstruktur einlassen und sich in dieser zurechtfinden, wohingegen der Partner einen Vor-sprung in der Abwicklung der relevanten Geschäftsab-läufe hat, der ggf. das Gleichgewicht im Joint Venture stört. Der Sprung in das Wagnis Gemeinschaftsunter-nehmen mag deshalb für manchen zu ungewiss sein. Die Rechtsform einer dritten Rechtordnung zu bemühen, würde gar einen Nachteil auf beiden Seiten bedeuten.

b) Beseitigung der Akzeptanzprobleme durch die SPEDie entscheidende Frage lautet: Können die Mitglied-staaten den Akzeptanzproblemen abhelfen? Und wenn nicht, verbessert sich die Situation mit Einführung der SPE?Die Mitgliedstaaten können zwar ihre eigenen Rechts-formen liberalisieren und damit für Grenzwanderungen freigeben (vgl. § 4a GmbHG). Die eben aufgezeigten Probleme bleiben aber bestehen41. Stets hat es ein Teil mit einer ihm unvertrauten Rechtsform einer fremden Rechtsordnung zu tun, weshalb auch ein Verweis auf die die durch die 10. Richtlinie geschaffene Möglichkeit zur grenzüberschreitenden Verschmelzung an den Proble-men und Bedürfnissen der Wirtschaft vorbeigeht42. Diese Situation ist jedoch für den europäischen Binnenmarkt, der sich als Wirtschaftsraum nicht nur in Konkurrenz zu Nordamerika sowie Ostasien behaupten muss, unbefrie-digend und überdies unnötig.

Die SPE kann die bezeichneten Hindernisse vermöge ih-rer europäischen Identität einebnen, damit die Kräfte des Binnenmarktes mobilisieren und das Wettbewerbspoten-tial Europas stärken. Denn die SPE ist die europäische clo-se corporation jeder mitgliedstaatlichen Rechtsordnung.

39 Hierzu Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 11), S. 199, 204 f.40 Drury, EBOR 2008, 125, 129 f.; Hellwig, in: Hommelhoff/Helms, Neue Wege in die Europäische Privatgesellschaft, 2001, S. 89 ff.41 Dies verkennt der Bundesrat in seinem Beschluss vom 10.10.2008 zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Staut der Europäischen Privatgesellschaft, BR-Drucks 479/08, S. 3. Den Finger in die Wunde le-gen Hommelhoff/C. Teichmann, GmbHR 2009, 36: „Der Bundesrat hat den „Clou“ der SPE geflissentlich ausgeblendet“.42 Zutreffend Hommelhoff/C. Teichmann, DStR 2008, 925, 927. Zu kurz springt dagegen der Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa vom 04.11.2002, S. 127 mit der Äußerung, das Bedürfnis für die SPE entfalle weitgehend mit Erlass der 10. gesell-schaftsrechtlichen Richtlinie.

Page 10: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201010

Das bedeutet, sie ist in jedem Mitgliedstaat zu Hause und somit allen Marktteilnehmern bekannt und vertraut43. Dadurch können etwa geschäftliche Risiken besser ein-geschätzt werden, aber vielmehr noch überbrückt die SPE kraft dieser Eigenschaft marktseitige Akzeptanzde-fizite fremder Rechtsformen und überwindet psycholo-gische Handelshemmnisse beim grenzüberschreitenden Verkehr. Ihre gesamteuropäische Identität macht es allen Akteuren gleichermaßen möglich, sich mit einer gemein-samen Unternehmensform zu identifizieren, der keine nationalen Ressentiments entgegenschlagen („a sense of belonging“)44. Dies fördert die Zuversicht von Eigen-tümern, Mitarbeitern sowie Kreditgebern in das Unter-nehmen, stärkt das Vertrauen in der Geschäftsbeziehung zwischen Anbietern und Abnehmern und wirkt zudem Vorurteilen ausländischer Behörden entgegen45. Zugleich etabliert die SPE eine europäische Marke, deren Nutzer als ein internationales europäisches Unternehmen wahr-genommen werden46. Der europäische Anstrich entfaltet – auch nach Auffassung der Wirtschaftsverbände47 – eine Marketingwirkung, auf die ein Imagegewinn verbunden mit verbesserten Absatzchancen gründen kann48. Auch enthebt die SPE die Partner eines Joint Ventures von der psychologischen Hürde, ein Teil müsse sich in eine frem-de Rechtsordnung begeben, und betont damit die Gleich-berechtigung der Mitglieder des Zusammenschlusses49. Ein Trumpf gegenüber jeder nationalen Rechtsform er-gibt sich also aus der Psychologie der Marktteilnehmer und dem Misstrauen gegenüber fremdem Recht.

4. Flexibilität des MitbestimmungsregimesEin weiterer Vorteil geht aus der Möglichkeit hervor, dass Unternehmensleitung und Arbeitnehmer das Mit-bestimmungsstatut der SPE privatautonom verhandeln können: Im Grundsatz gilt das Mitbestimmungsrecht

43 Drury, EBOR 2008, 125, 126; Hommelhoff, a.a.O. (Fn. 34), S. 7; Hommelhoff/C. Teichmann, GmbHR 2009, 36; Steinberger, BB 2006 Spe-cial 7, S. 27, 29.44 Hommelhoff, in: 20 Jahre Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste, S. 307, 308.45 Hicks/Drury, in: Boucourechliev/Hommelhoff, Vorschläge für eine Eu-ropäische Privatgesellschaft, 1999, S. 69, 94; Kallmeyer, in: Hommelhoff/Helms, Neue Wege in die Europäische Privatgesellschaft, 2001, S. 83, 84; Uziahu-Santcroos, in: Zaman/Schwarz/Lennarts/de Kluiver/Dorresteijn, The European Private Company (SPE), 2009, S. 1, 20; vgl. auch die von der Kommission finanzierte und von AETS (Application Europeenne de Technologies et de Services) durchgeführte Machbarkeitsstudie über ein europäisches Statut für KMU aus dem Juli 2005, S. 6.46 Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedin-gungen in Europa vom 04.11.2002, S. 125 f.; Hommelhoff, GesRZ 2008, 337, 338; Kuck/Weiss, DK 2007, 498, 499; Siems/Rosenhäger/Herzog, DK 2008, 393, 395.47 Siehe bei Fn. 6.48 Folgenabschätzung der Kommission, S. 18, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/epc/impact_assesment_en.pdf; Drury, EBOR 2008, 125, 126; Hicks/Drury, a.a.O. (Fn. 45), S. 69, 94; Steinberger, BB 2006 Special 7, S. 27, 29; Uziahu-Santcroos, a.a.O. (Fn. 45), S. 1, 21; Vossius, EWS 2007, 438, 439.49 Dejmek, NZG 2001, 878, 883; Siems/Rosenhäger/Herzog, DK 2008, 393, 395.

des Registerstaates (Art. 35 Abs. 1 SPE-VOE). Hat die SPE jedoch mehr als 500 Arbeitnehmer, von denen min-destens die Hälfte in einem Mitgliedstaat arbeiten, der ein höheres Mitbestimmungsniveau vorsieht als der Re-gisterstaat (Art. 35 Abs. 1a lit. a SPE-VOE), muss die Unternehmensleitung Mitbestimmungsverhandlungen initiieren50. Das hat vor allem für SPE-Unternehmer mit deutschem Registersitz den Charme, von den starren Be-stimmungen des Drittelparitäts- bzw. Mitbestimmungs-gesetzes51 abweichen zu können und die Mitbestimmung an die individuellen Bedürfnisse des Unternehmens an-zupassen52.

V. SummeGrenzüberschreitende Mobilität ist in einem Europa mit niederlassungsrechtlich gewährleisteter Rechtsform-wahlfreiheit kein Alleinstellungsmerkmal für suprana-tionale Rechtsformen, da zunehmend auch traditionelle Sitztheoriestaaten im Wettbewerb der Gesellschafts-rechte mitmischen wollen. Kostenvorteile der SPE, die durch die gesellschaftsrechtlich einheitliche Gruppen-bildung generiert werden, lassen sich auch mithilfe von Scheinauslandsgesellschaften erzielen. Unternehmen, die sich Auslandsgesellschaften bedienen, leiden jedoch unter marktseitigen Akzeptanzdefiziten. Die SPE indes schlägt eine Brücke über die Zurückhaltung gegenüber fremdem Recht und vereinigt die mittelständische Wirt-schaft unter dem Banner einer Organisationsform. Die Flexibilität ihres Mitbestimmungsregimes stellt zudem eine attraktive Produkteigenschaft, insbesondere für deutsche Unternehmer, dar. Unser Frankfurter Dienst-leistungsunternehmen ist daher gut beraten, seine Pariser Geschäftsaktivitäten auf einer SPE zu gründen.53

50 Zur Mitbestimmung in der SPE Hommelhoff, ZEuP 2010 (im Erschei-nen); ders., in: Festschr. U. H. Schneider (im Erscheinen).51 Zur Reform des deutschen Mitbestimmungsrechts siehe den Entwurf einer Regelung zur Mitbestimmungsvereinbarung sowie zur Größe des mitbestimmten Aufsichtsrats des Arbeitskreises „Unternehmerische Mit-bestimmung“ abgedruckt in: ZIP 2009, 885 ff.; dazu Hellwig/Behme, ZIP 2009, 1791 ff.; Hommelhoff, ZIP 2009, 1785 ff.; ders., ZGR 2010, 48 ff.; Kraushaar, ZIP 2009, 1789 ff.; C. Teichmann, ZIP 2009, 1787 f.52 Bei der Europäischen Aktiengesellschaft kann das Mitbestimmungssta-tut durch Verhandlungen auf Drittelparität eingefroren werden, bevor das Unternehmen die Aufgreifschwelle von § 1 Abs. 1 MitbestG (2000 Arbeit-nehmer) überschreitet (siehe Habersack, in: Rechtsfragen der Familienge-sellschaften, 2006, S. 19, 31). Im Recht der SPE wird diese Mitbestim-mungsumgehung durch Art. 35 Abs. 1b SPE-VOE verhindert.* Wissenschaftlicher Assistent von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Hommel-hoff am Institut für deutsches und europäisches Gesellschafts- und Wirt-schaftsrecht der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

Page 11: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 11

Wahl der richtigen Rechtsform bei der Unternehmens-gründung – eine Übersicht für angehende Berater

Von Rechtsanwalt Dr. Peter C. Fischer, M.C.J., Attorney at Law (New York), und Steuerberaterin Elisabeth Comes, beide Frankfurt a.M.*

Eine typische Fragestellung für Rechtsanwälte und Steuerberater ist die Beratung von Mandanten bei der Wahl der richtigen Rechtsform im Rahmen einer Unternehmensgrün-dung, d.h. die Frage, ob ein Unterneh-men als Kapital- oder Personengesell-schaft betrieben werden soll und, wenn man sich für eine Kapitalgesellschaft entscheidet, ob man eine GmbH oder eine AG oder eventuell sogar eine ausländische Kapital-gesellschaft wählen sollte. Diese Fragen werden häufig entweder von deutschen Unternehmensgründern oder von ausländischen Investoren, die eine Konzerntochter in Deutschland neu gründen wollen, an deren Anwälte und Steuerberater herangetragen. Nachfolgend soll ein - zugegebenermaßen nur rudimentärer - Überblick über die in der Praxis in Betracht kommenden Rechtsformen und einige wesentliche Gesichtspunkte bei der Entschei-dungsfindung in der Rechtspraxis dargestellt werden.

1. Der Klassiker: Die GmbHDie Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ist die am weitesten verbreitete Kapitalgesellschaft in Deutschland und die bevorzugte Rechtsform, insbeson-dere wenn es darum geht, eine Tochtergesellschaft in Deutschland zu gründen. Wesentlicher Vorteil der GmbH ist, dass deren Verwal-tung relativ einfach ist, da es typischerweise mit Gesell-schafterversammlung und Geschäftsführung nur zwei Organe gibt (fakultativ oder im Bereich der Mitbestim-mung obligatorisch käme ausnahmsweise noch ein Auf-sichtsrat hinzu) und es für eine Kapitalgesellschaft eine relativ weitgehende Flexibilität in der Ausgestaltung gibt. Ein weiterer Vorteil der GmbH aus Sicht vieler Unterneh-mensgründer ist, dass die Gesellschafter den Geschäfts-führern bindende Weisungen erteilen können; dies macht die GmbH zu einer perfekten Konzerngesellschaft. Schwierigkeiten bereiten bei der GmbH allerdings häufig die strengen Regeln zur Kapitalaufbringung und Kapi-talerhaltung. Diese Bestimmungen führen vor allem im Rahmen der Konzerninnenfinanzierung (z.B. wenn im Rahmen eines konzerninternen Cash Pooling Systems Gelder der Tochter-GmbH bei der Muttergesellschaft ge-parkt werden) zu Problemen. Hier besteht insbesondere für ausländische Investoren regelmäßig sehr viel Bera-tungsbedarf, da insbesondere die Common Law-Juris-diktionen derartig scharfe Regelungen des vorgelagerten Gläubigerschutzes durch die strengen Kapitalaufbrin-

gungs- und Kapitalerhaltungsbestim-mungen nicht kennen (dort setzt man eher auf nachgelagerten Gläubiger-schutz in Form von Haftungsdurch-griffen). Seit der letzten GmbH-Reform (Mo-MiG) besteht die Möglichkeit der

Wahl einer Sonderform der GmbH, der sogenannten Un-ternehmergesellschaft („UG haftungsbeschränkt“, vgl. § 5a GmbH-Gesetz). Diese ist ebenfalls eine GmbH mit der Besonderheit, dass das an sich notwendige Min-deststammkapital von 25.000,- Euro durch ein gerin-geres Stammkapital von im Extremfall nur einem Euro ersetzt werden kann. Diese Möglichkeit erfreut sich bei kleineren Unternehmensgründungen großer Beliebtheit, allerdings muss man bedenken, dass eine seriöse Unter-nehmensgründung auf dieser Basis kaum erfolgen kann, da ein Startkapital von 25.000,- Euro (bzw. müsste bei der Gründung einer GmbH ohnehin nur die Hälfte des Stammkapitals von Anfang an aufgebracht werden) so-wieso bei jeder halbwegs ernsthaften Unternehmens-gründung notwendig ist, um nicht sofort in die Insolvenz zu geraten. In diesem Zusammenhang sei noch angemerkt, dass mit dem MoMiG auch die Möglichkeit der Gründung mit Hilfe eines so genannten Musterprotokolls geschaffen worden ist (vgl. § 2 (1a) GmbH-Gesetz), durch welches eine beschleunigte GmbH-Gründung ermöglicht wer-den soll (dieses Musterprotokoll ist nicht etwa auf die Unternehmergesellschaft beschränkt, sondern gilt für sämtliche GmbH-Gründungen). Allerdings ist dabei zu beachten, dass in der Praxis das Musterprotokoll bislang zu erheblichen Schwierigkeiten und entgegen seinem Zweck sehr häufig zu Verzögerungen geführt hat und im Übrigen den individuellen Bedürfnissen der meisten Un-ternehmensgründer kaum gerecht werden dürfte. Auch hier wird man einem (professionellen) Investor kaum zur Verwendung dieser angeblich einfachen Form der Grün-dung einer GmbH raten. Hierbei gilt wie auch sonst der Grundsatz, dass man von Anfang an die Gesellschaft so gründen sollte, wie sie später auch operativ tätig werden soll.Aus steuerlicher Sicht ist Folgendes zu bedenken: Für eine GmbH ist die Abgabe von Körperschaftsteuer- so-wie Gewerbesteuererklärungen obligatorisch. Der Ver-anlagungs- bzw. Erhebungszeitraum bezieht sich auf das Wirtschaftsjahr der Gesellschaft, das auch vom Ka-lenderjahr abweichend sein kann. Ferner ist die GmbH

Page 12: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201012

regelmäßig Unternehmerin im Sinne des Umsatzsteuer-gesetzes, was die Abgabe von monatlichen/vierteljähr-lichen Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. einer Um-satzsteuerjahreserklärung, bezogen auf das Kalenderjahr, nach sich zieht. Der Körperschaftsteuersatz für eine GmbH liegt einheitlich bei 15% zzgl. 5,5% Solidaritäts-zuschlag. Da der Gewerbesteuersatz vom Hebesatz der Gemeinde, in der die GmbH ihre Tätigkeit betreibt, ab-hängig ist, variiert dieser von rund 7% bis rund 17% des Gewerbeertrags. Das zu versteuernde Einkommen für Körperschaftsteuerzwecke muss nicht identisch sein mit dem für Gewerbesteuerzwecke; dies liegt an zahlreichen Hinzurechnungs- und Kürzungsvorschriften des Gewer-besteuergesetzes.Ab einer bestimmten Größe wird der Jahresabschluss einer GmbH prüfungspflichtig durch einen Wirtschafts-prüfer. Wenn in zwei aufeinander folgenden Jahren be-stimmte Größenklassen überschritten werden (Umsatz, Bilanzsumme und Mitarbeiter), wird aus einer kleinen GmbH eine mittelgroße oder gar große Kapitalgesell-schaft, für die bestimmte Zusatzpflichten gelten. Kleine Kapitalgesellschaften hingegen dürfen Erleichterungen genießen.In der Praxis laufen die meisten Beratungsgespräche auf die Wahl der GmbH (keine UG und ohne Musterproto-koll) hinaus, soweit man sich grundsätzlich für eine Ka-pitalgesellschaft entscheidet.

2. Eine ambitionierte Entscheidung: Die AGDie Aktiengesellschaft (AG) ist eine Rechtsform, die trotz regelmäßiger gesetzgeberischer Aktivitäten mit zahllosen juristischen Fallstricken versehen ist und die wegen der Satzungsstrenge (vgl. § 23 Abs. 5 AktG) nur geringe Flexibilität bietet. Die Kapitalerhaltungsbestim-mungen gehen außerdem noch über die bei der GmbH hinaus. Auch die Notwendigkeit von drei Organen (Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung) führt naturgemäß zu einer gewissen Komplexität. Dazu kommt, dass die Aktionäre gegenüber dem Vorstand grundsätzlich kein Weisungsrecht haben: Daher ist die Aktiengesellschaft als Konzerntochtergesellschaft eher ungeeignet. Gewählt wird die Aktiengesellschaft dagegen gerne bei kompli-zierten Inhaberstrukturen, bei denen die Gesellschaft eine stärkere Unabhängigkeit gegenüber ihren Inhabern haben soll oder wenn ein Börsengang (IPO) angestrebt wird. Aber selbst bei einem angestrebten IPO wird man häufig zunächst eine (nicht börsenfähige) GmbH wählen, die dann im Vorfeld einer Börsennotierung in eine AG umgewandelt wird. Um die Attraktivität der AG zu verbessern hat der Ge-setzgeber die sogenannte kleine AG eingeführt: Diese ist keine neue Rechtsform, sondern bezeichnet eine Reihe von Vereinfachungen, die an verschiedene Vorausset-zungen wie vor allem die fehlende Börsennotierung ge-

knüpft werden. So begrüßenswert die eine oder andere Vereinfachung sein mag, so wenig wird hierdurch die grundsätzliche Komplexität der AG beseitigt – ganz im Gegenteil ist diese hierdurch noch einmal erhöht worden.In den Hochzeiten des IT-Booms wurde gerne die AG aus Imagegründen gewählt, schließlich galt die Bezeichnung als „Vorstand“ oder „Vorstandsvorsitzender“ (CEO) als deutlich schicker als die traditionelle GmbH mit dem etwas bieder klingenden Titel „Geschäftsführer“. Im Er-gebnis wird die AG heute wieder eher selten bei einer Unternehmensgründung gewählt.Insbesondere Unternehmensgründern aus einer Common Law-Jurisdiktion wird man erläutern müssen, dass GmbH und AG grundsätzlich verschiedene Rechtsformen sind und es sich nicht um verschiedene Ausprägungen der-selben Rechtsform handelt (wie etwa im Falle der AG und der kleinen AG). Die Strukturen und Rechtsgrund-lagen sind bei beiden juristischen Personen ganz andere als dies etwa bei den Corporations in den verschiedenen US-Bundesstaaten der Fall ist, wo es die Corporation u.a. in der Ausprägung der Close Corporation (auch Closely Held Corporation) und der Public Corporation gibt. In Bezug auf steuerliche Pflichten gilt bei einer AG das-selbe wie bei einer GmbH; ebenso bei möglichen Prü-fungspflichten ab einer bestimmten Größe.

3. Der Exot: Die KGaA Die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) ist eine Verbindung von Kommanditgesellschaft einerseits und Aktiengesellschaft andererseits. Diese Rechtsform ist in Deutschland nur selten anzutreffen und wird nur ge-wählt, um sehr spezifische Probleme zu lösen. Die KGaA wird bei den Gesprächen über die Rechtswahl bei der Unternehmensgründung regelmäßig keine Rolle spielen.

4. Die europäische Variante: Die SEIn besonderen Ausnahmekonstellationen mag auch die Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft oder auch Societas Europaea (SE), einer supranationalen Rechtsform, die in jedem EU-Mitgliedsstaat unterschied-lich ausgestaltet ist, in Betracht zu ziehen sein, etwa wenn man europaweit einheitliche Strukturen schaffen möchte, ein angelsächsisches monistisches Leitungs- system dem deutschen dualistischen System von Vor-stand und Aufsichtsrat vorzieht, die deutsche Mitbestim-mung jedenfalls begrenzen will und/oder man mehr Fle-xibilität bei grenzüberschreitenden Umstrukturierungen benötigt. Erkauft werden diese und weitere Vorteile durch eine extrem komplizierte gesellschaftsrechtliche Struktur mit zahlreichen Normebenen. Aus diesem Grunde wird die SE wohl nur in wenigen Ausnahmekonstellationen und bei hochorganisierten (Groß-)Unternehmen die rich-tige Wahl sein, einmal ganz abgesehen davon, dass die Gründung einer SE an die Voraussetzung einer Mehr-staatlichkeit gebunden ist (diese kann allerdings auch

Page 13: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 13

leicht künstlich herbeigeführt werden).Die laufende Besteuerung der Europa-AG erfolgt zu-nächst einmal im Staat des Sitzes der SE; dort unterliegt sie der unbeschränkten Steuerpflicht und reicht entspre-chende Steuererklärungen ein. In den jeweiligen Nieder-lassungen der anderen europäischen Länder ist die SE lediglich beschränkt steuerpflichtig. In diesen Staaten werden ebenfalls Steuererklärungen eingereicht, aller-dings solche für beschränkt steuerpflichtige Personen/Gesellschaften. Demnächst soll es mit der Europäischen Privatgesell-schaft (SPE) eine weitere europäische Variante vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen geben.

5. Die Personengesellschaft: Die GmbH & Co. KGSollte ein Mandant keine Kapitalgesellschaft, sondern eine Personengesellschaft bevorzugen, bei der es trotz-dem eine Haftungsbeschränkung zugunsten der Gesell-schafter gibt, so ist die GmbH & Co. KG die typischerwei-se gewählte Rechtsform: Hier werden insbesondere die steuerlichen Vorteile einer Personengesellschaft (schließ-lich handelt es sich um eine Kommanditgesellschaft) mit den Vorteilen der Haftungsbeschränkung einer Kapital-gesellschaft kombiniert. Letzteres ergibt sich daraus, dass die einzige persönlich haftende Komplementärin der KG eine GmbH ist (man könnte insoweit aber auch eine AG oder ggf. sogar eine ausländische Kapitalgesellschaft als Komplementärin einsetzen). Es liegt auf der Hand, dass die hier notwendige Gründung zweier Gesellschaften (ei-ner KG und einer GmbH) zu einem erhöhten Aufwand für den Mandanten führt.Als Personengesellschaft ist die KG an sich aus ertrag-steuerlicher Sicht transparent, d.h. das Einkommen der KG wird nicht der Personengesellschaft, sondern direkt den Gesellschaftern zugerechnet. Die GmbH & Co. KG reicht keine Körperschaftsteuererklärung ein, sondern eine gesonderte (und einheitliche) Feststellungserklä-rung, in der der Gewinn den Gesellschaftern entspre-chend ihrer Beteiligungsquote zugeordnet und gesondert festgestellt wird. Lediglich für Gewerbesteuerzwecke ist die GmbH & Co. KG Steuersubjekt und reicht eine eigene Gewerbesteuererklärung ein. Somit ist die Steuerbelastung bei einer KG im ersten Moment nur auf die Gewerbesteuer limitiert, da die Körperschafts- steuer oder Einkommensteuer auf Ebene der Gesell-schafter anfällt. Bei einer GmbH als Gesellschafterin der GmbH & Co. KG fällt jedoch insgesamt gesehen diesel-be Steuerbelastung wie bei einer GmbH an. Regelmäßig ist die KG Unternehmerin bei der Umsatzsteuer und so-mit verpflichtet, Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. eine Jahreserklärung abzugeben.Für die GmbH als Vollhafterin der KG gelten steuerlich gesehen dieselben Regeln wie für jede andere GmbH. Zur Vermeidung einer Doppelbelastung durch Gewerbesteu-er wird jedoch das Einkommen aus der KG bei der Kom-

plementär-GmbH für Gewerbesteuerzwecke gekürzt, da es bereits bei der KG erfasst war. Wenn die Komplemen-tär-GmbH „ihrer“ Personengesellschaft keine Leistungen erbringt, wird sie nicht umsatzsteuerpflichtig.Besonders beliebt ist die GmbH & Co. KG traditionell bei dem deutschen Mittelstand. Die GmbH & Co. KG findet sich aber auch in Konzernen als Projektgesell-schaft (hier fungiert meist eine GmbH als Komplementä-rin für verschiedene KGs).

6. Ausländische Kapitalgesellschaften als Alterna-tivenDurch die Rechtsprechung des EuGH der letzten Jahre ist es grundsätzlich möglich geworden, dass jedenfalls Kapitalgesellschaften aus EU-Mitgliedstaaten ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegen oder sofort nach ihrer Registrierung in dem zuständigen auslän-dischen Register ihre Geschäftstätigkeit mit Verwaltung in Deutschland aufnehmen. Nach einem außerordent-lichen Limited-Boom, der allerdings eher im Bereich von kleineren Unternehmen stattgefunden hat, hat die Rechtspraxis erkannt, dass diese Konstruktion regelmä-ßig mit erheblichen Problemen verbunden ist. Darüber hinaus hat die Limited in Deutschland mit einem (nicht ganz unbegründeten) Negativimage zu kämpfen. Gleiches dürfte für die US-Corporations aus den ver-schiedenen US-Bundesstaaten gelten. Letztere dürfen nach einer Entscheidung des BGH ebenfalls ihren Ver-waltungssitz nach Deutschland verlegen, in der Praxis wird von dieser Möglichkeit aber kaum Gebrauch ge-macht. Steuerlich wird der ausländische Gesellschafter in Deutschland beschränkt steuerpflichtig und muss ent-sprechende Steuererklärungen einreichen.

7. Wann macht die Verwendung einer Vorratsge-sellschaft Sinn? Häufig erfolgt die „Gründung“ einer GmbH oder auch AG im Wege des Erwerbs einer so genannten Vorratsge-sellschaft (oder auch shelf company), d.h. hier wird eine bereits von professionellen Anbietern gegründete GmbH (oder AG), die nie operativ tätig war, meist für einen Preis, der 10% oberhalb des (bei der Gesellschaft noch voll vorhandenen) Nominalkapitals liegt, erworben. Ziel ist es dabei, den Zeitverlust durch eine Neugründung zu vermeiden (die Gesellschaft entsteht ja erst mit Eintra-gung im Handelsregister). Dieser Zeitvorteil bei der „Gründung“ wird jedoch durch administrativen Mehraufwand, insbesondere durch die nachfolgend notwendigen Änderungen des Gesell-schaftsvertrages und den ebenfalls notwendigen Wechsel bei der Geschäftsführung erkauft. Administrativer Mehr-aufwand entsteht des Weiteren, wenn die Vorratsgesell-schaft über einen Bilanzstichtag hinaus „im Regal liegt“: Hier werden die Erstellung eines Jahresabschlusses sowie

Page 14: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010

Steuererklärungen notwendig, meist nur wegen geringfü-gigsten Bewegungen auf dem Bankkonto (Abschlussge-bühr) ausgelöst. Zu beachten ist des Weiteren, dass die Rechtsprechung seit einigen Jahren bei dem Erwerb einer Vorratsgesellschaft die Durchführung einer sogenannten „wirtschaftlichen Neugründung“ verlangt. Im Ergebnis sollten Vorratsgesellschaften im Zweifel nur bei extremem Zeitdruck erworben werden (die Handels-

register sind in der Praxis schneller und besser als ihr Ruf).1

* Rechtsanwalt und Attorney at Law (New York) Dr. Peter C. Fischer, M.C.J. (NYU) ist Partner in der Wirtschaftskanzlei BRP Renaud & Partner in Frankfurt am Main. Elisabeth Comes ist Steuerberaterin in Frankfurt am Main.

E-Mail: [email protected];Homepage: www.brp.de.

Die zivilrechtliche Haftung der Rating-Agenturen gegenüber gerateten Unternehmen

Von Alexander Junkov, Frankfurt a.M.*

A. EinleitungMit den Unternehmen Enron, Worldcom und Parmalat verbindet man im Allgemeinen das Versagen von Rating-Agenturen. Die aktuelle Finanzmarktkrise seit 2007 hat ein weiteres Mal bestätigt, dass die Arbeitsweise der Rating-Agenturen sich nicht verändert hat, vielmehr gelten sie als Verursacher der Finanzkrise. Die momen-tanen Umstände zwingen die USA und die Europäische Union zu sofortigen Maßnahmen. Die Schaffung eines strengen Rechtsrahmens für die Rating-Agenturen er-folgt in Deutschland nach der EU-Ratingverordnung durch deren Ausführungsgetz1.Die von den Agenturen erstellten Ratings werden nach Emittenten- oder Emissionsrating unterschieden. Das Emissionsrating (issue credit rating) ist eine Einschät-zung der Wahrscheinlichkeit versprechensgemäßer voll-ständiger und termingerechter Erfüllung von Zins- und Tilgungsverpflichtungen aus Schuldverschreibungen2. Das Emittentenrating (issuer credit rating) dagegen deu-tet die Zahlungsfähigkeit des Emittenten3. Die Bewer-tung bzw. Einschätzung der jeweiligen Bonität erfolgt durch Notenvergabe mit dem Hinweis auf geringe oder hohe Bonität4.Stark in die Kritik geraten sind die Rating-Agenturen mit dem Vorwurf, sie würden mit ihren Einschätzungen falsch liegen und durch künstliches Auf- (upgrading) oder Abwerten (downgrading) der Bonität eigene wirt-schaftliche Interessen verfolgen5. Ist das Rating zu ne-gativ, so erleidet der Emittent einen Vermögensschaden

1 Siehe nachstehend zur europarechtlichen Regulierung unter D.2 Lemke, Haftungsrechtliche Fragen des Ratingwesens, 2000, S. 6; Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2009, S. 79.3 Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 7; Grunewald/Schlitt, S. 79 f.4 Grunewald/Schlitt, a.a.O (Fn. 3), S. 80.5 Lemke, a.a.O (Fn. 3), S. 1.

aufgrund mangelnder Investitionsbereitschaft seitens des Anlegers6. Umgekehrt erleidet der Anleger einen Vermögensschaden7. Der vor-liegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage nach der zivilrechtlichen Haftung im erstge-nannten Fall.

B. Allgemeine HaftungsvoraussetzungenAllgemeine Haftungsvoraussetzungen sind der haftungs-begründende Fehler in objektiver Hinsicht, nämlich das fehlerhafte Rating, welches bei Anlegern und dem gerateten Emittenten einen Schaden verursacht. In sub-jektiver Hinsicht muss der Schaden durch schuldhaftes Handeln der Agentur verursacht worden sein.

I. Haftungsbegründender FehlerDer haftungsbegründende Fehler muss in Form eines feh-lerhaften Ratings vorliegen, welches die Rating-Agentur durch eine Pflichtverletzung zu verschulden hat8. Das fehlerhafte Rating kann zum einen aufgrund auf Verfah-rensfehlern bei der Erstellung des Ratings beruhen, zum anderen bei der eigentlichen Bonitätsbeurteilung. Maß-geblicher Zeitpunkt für die Feststellung der Pflichtver-letzung ist beim Erstrating der Zeitpunkt der Erstellung des Ratings, bei Folgeratings der Zeitpunkt der Überprü-fung des Ratings. Da sich ex post trotz eines falschen Ratings nicht auch auf die Fehlerhaftigkeit des Ratings schließen lässt, ist auf die ex ante-Perspektive abzustel-len9. Ansonsten würde die Rating-Agentur eine Garantie für eine mögliche Einschätzung der Bonität übernehmen, was regelmäßig nicht der Fall ist. Lediglich kann ex post ein Vergleich als backtesting zur Feststellung der Quali-

6 Lemke, a.a.O (Fn. 3), S. 26.7 Lemke, a.a.O (Fn. 3), S. 26.8 Vetter, WM 2004, 1701, 1704.9 Vetter, WM 2004, 1701, 1704.

14

Page 15: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010

tät des Ratings verwendet werden10.Verfahrensfehler liegen vor, wenn die Rating-Agentur allgemeine Grundsätze der Neutralität, Objektivität, Sachkunde und Nachvollziehbarkeit missachtet hat11. Die Agentur hat bei der Erstellung des Ratings wissen-schaftlich fundierte und objektive Bewertungsmaßstäbe anzuwenden12. Die Pflichtverletzung der eigentlichen Bonitätseinschätzung liegt insbesondere vor, wenn das Ratingergebnis unvertretbar ist13. Dies ist der Fall, wenn auch unter Berücksichtigung des weiten Bewertungs-spielraums der Agentur das Rating anhand der verfüg-baren Daten nicht mehr nachvollziehbar ist14.Von Verfahrensfehlern sowie unvertretbaren Einschät-zungen, die sich im fehlerhaften Rating niederschla-gen, sind vermeintliche Fehler der Rating-Agenturen abzugrenzen. Die Qualität der Ratings hängt davon ab, welche Informationen der Rating-Agentur als Bewer-tungsgrundlage zugrunde liegen15. Fehlerhafte oder unvollständige Daten führen bei der Beurteilung der Bonität des Emittenten zu einem falschen Ergebnis. Un-vollständig ist die Bewertungsgrundlage zum Beispiel dann, wenn der Rating-Agentur pflichtige oder freiwilli-ge Kapitalmarktinformationen fehlen, was insbesondere bei den unsolicited ratings der Fall sein kann16. Ebenso verfälschen fehlerhafte Informationen, die in die Be-wertung einfließen, das Ergebnis des Ratings. Geratete Unternehmen können der Rating-Agentur geschönte Da-ten oder solche, die die Bewertung negativ beeinflussen, verspätet oder gar nicht weiterleiten17. In solchen Fäl-len sind Rating-Agenturen regelmäßig möglichen Täu-schungen auf Unternehmerseite ausgesetzt. Daher unter-liegen verwendete, möglicherweise manipulierte Daten in der Praxis keiner Gewähr seitens der Agenturen18. Von Unternehmen erhaltene Informationen sind stets Bewer-tungsgrundlage des Ratings, stellen jedoch keinen Ge-genstand einer Untersuchung auf Richtigkeit und Voll-ständigkeit dar19.

II. VerschuldenDie Rating-Agentur müsste im Haftungsfall zumindest fahrlässig bei der Verursachung des Fehlers im Rating vorgegangen sein20.

10 Bauer, Ein Organisationsmodell zur Regulierung der Rating-Agenturen, 2009, S. 37 f.11 Eisen, Haftung und Regulierung internationaler Rating-Agenturen, 2007, S. 243.12 Eisen, a.a.O. (Fn. 12), S. 243.13 Eisen, a.a.O. (Fn. 12), S. 244.14 So bei Fällen der willkürlichen Bonitätseinstufung, vgl. Habersack, ZHR 169 (2005), 185, 201.15 Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 32.16 Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 32.17 Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 32 f.18 Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 32 f.19 Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 32 f.20 Peters, Die Haftung und die Regulierung von Rating-Agenturen, 2001, S. 81.

III. SchadenDer Haftungsanspruch setzt zudem einen auf einer Pflichtverletzung beruhenden Schaden voraus21. Im Falleeines fehlerhaft zu negativen Ratings ist dies für den Emittenten der Vermögensschaden durch höhere Kapi-talbeschaffungskosten, der sich aus dem schwindenden Investitionsvertrauen von Anlegern ergibt22.

IV. KausalitätDie Pflichtverletzung, die sich in einem fehlerhaften Rating niederschlägt, müsste ursächlich für den einge-tretenen Vermögensschaden des Emittenten sein23. Bei pflichtgemäßem Rating-Verfahren müsste sich demnach ein anderes Ratingergebnis ergeben haben24. Während Rating-Agenturen behaupten, dass das Rating alleine nicht die Investition auslöst, zeigt sich, dass das Rating wesentlicher Bezugspunkt und Entscheidungsgrundlage ist25.Bei der Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität sind die Äquivalenztheorie sowie die Adäquanztheorie heranzuziehen26. Zwar könnten andere Entscheidungs-faktoren dazu beitragen, dass Anleger eine Investition vornehmen. Eine derartige Begrenzung der Kausalität müsste zunächst der Adäquanztheorie und der Lehre vom Schutzzweck der Norm unterfallen. Andererseits liegt es bereits im Zweck des Ratings, dass die Bonitätsbegut-achtung Entscheidungsgrundlage für eine Anlage ist27. Während ein negatives Rating den Hinweis gibt, von der Investition fernzubleiben, soll das positive Rating zur In-vestition bewegen. Damit sollen infolge der Kausalitäts-prüfung der Investitionsschaden bzw. entstandene höhere Kapitalbeschaffungskosten des Emittenten als Indikator für die Fehlerhaftigkeit des Ratings nachgewiesen wer-den.

C. Haftung gegenüber Emittenten wegen fehler-haftem RatingHaftungsfragen im Verhältnis der Rating-Agentur zum gerateten Emittenten ergeben sich insbesondere, wenn die Bonitätseinschätzung (fehlerhaft) zu negativ ausfällt. Dabei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Für das Rating, welches auf Antrag des Emittenten erstellt wurde (sog. solicited rating), kommen in erster Linie Haftungsansprüche aus dem vertraglichen Schuldver-hältnis, nämlich dem Rating-Vertrag zwischen Agentur und Emittenten, in Betracht. Erteilt der Emittent dagegen keinen Antrag auf Erstellung eines Ratings (sog. unso-

21 Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl. 2010, Vorb. v. § 249 Rdn. 24.22 Fischer, Haftungsfragen des Ratings, 2007, S. 203.23 Fischer, a.a.O. (Fn. 23), S. 203.24 Hennrichs, Haftungsrechtliche Aspekte des Ratings, in: Häuser, Fest-schr. für Walter Hadding, 2004, S. 882.25 Fischer, a.a.O. (Fn. 23), S. 204; Korth, Dritthaftung von Ratingagen-turen, 2010, S. 186.26 Eisen, a.a.O. (Fn. 12), S. 244; Rönnau/Faust/Fehling, JuS 2004, 113, 116; zum Teil auch die Lehre vom Schutzzweck der Norm.27 Vetter, WM 2004, 1701, 1708.

15

Page 16: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201016

licited rating), haftet die Rating-Agentur ausschließlich für außervertragliche Haftungsansprüche des Emittenten.

I. Vertragliche HaftungsgrundlageVertragliche Haftungsansprüche des gerateten Emittenen gegen die Rating-Agentur für ein fehlerhaftes Rating können sich nur im Falle des solicited ratings ergeben. Demnach müsste zwischen Emittent und Agentur ein Rating-Vertrag vorliegen. Dieser ist im Folgenden zu be-stimmen.

1. Qualifikation des VertragesMit dem Rating-Vertrag verpflichtet sich der Emittent dazu, ein Entgelt zu entrichten und die für das Rating erforderlichen Informationen der Agentur zur Verfü-gung zu stellen28. Die Rating-Agentur verpflichtet sich dagegen zur bonitätsmäßigen Einstufung des Emit-tenten29. Während die Rechte und Pflichten der Parteien im Rating-Vertrag unproblematisch erscheinen, ist die rechtliche Einordnung des Rating-Vertrags in der Lite-ratur sehr umstritten. Einstimmig abgelehnt wird die Anwendung des Auftragsverhältnisses nach § 662 BGB sowie des Dienstvertrages nach § 611 BGB30. Fraglich jedoch ist, ob der Rating-Vertrag als Werkvertrag nach § 631 BGB31, als Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 Abs. 1 BGB32 oder gar als Vertrag sui generis nach § 311 Abs. 1 BGB zu qualifizieren ist33.

a) Auftragsverhältnis, § 662 BGBDas Auftragsverhältnis i.S.d. § 662 BGB verlangt die Unentgeltlichkeit der Geschäftsbesorgung. Mit seinem Antrag an die Rating-Agentur zur Erstellung eines Ra-tings verpflichtet sich der Emittent jedoch regelmäßig, die Kosten für das Rating zu übernehmen. Damit liegt zwischen dem Emittenten und der Rating-Agentur kein Auftragsverhältnis vor34.

b) Dienstvertrag, § 611 BGBDie Einordnung des Rating-Vertrags als Dienstvertrag

28 Ebenroth/Daum, Die rechtlichen Aspekte des Ratings von Emittenten und Emissionen, in: WM 1992, S-Beil. 5, S. 7.29 Ebenroth/Daum, a.a.O (Fn. 29), S. 7.30 Vgl. z.B. Deipenbrock, BB 2003, 1849, 1851.31 So Bauer, a.a.O (Fn. 11), S. 36, Habersack, ZHR 169 (2005), 185, 203, Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 30; ders., Haftung für Ratings unabhängiger Agenturen, in: Büschgen, Hans E./Everling, Oliver (Hrsg.), Handbuch Rating, 2. Aufl. 2007, S. 614; Reidenbach, Aktienanalysten und Rating-agenturen – Wer überwacht die Überwacher?, 2006, S. 354; Thiele, Die zivilrechtliche Einordnung des Rating im deutschen Recht, 2005, S. 31 und Vetter, WM 2004, 1701, 1705.32 So Eisen, a.a.O. (Fn. 12), S. 223, der den Rating-Vertrag als einen aus Werk- und Dienstvertrag zusammengesetzten Vertrag in Form eines auf eine Geschäftsbesorgung gerichteten Dauerschuldverhältnisses einstuft, und v. Schweinitz, WM 2008, 953, 956.33 So Ebenroth/Daum, a.a.O. (Fn. 29), S. 7; Fischer, a.a.O. (Fn. 23), S. 83 f.; Hennrichs, a.a.O. (Fn. 25), S. 880 und Deipenbrock, BB 2003, 1849, 1851, die dem atypischen Vertragsverhältnis ausgeprägte werkvertragliche Elemente zuordnet.34 Der in der Literatur zumeist verwendete Begriff des Auftrags ist rechtlich unkorrekt und synonym zum Begriff des Antrags zu verstehen.

i.S.d. § 611 BGB würde ein Dauerschuldverhältnis zwi-schen Emittent und Agentur begründen35. Die Rating-Agentur würde sich dann verpflichten, laufend Bonitäts-bewertungen durchzuführen36. Entgegen dieser zeitlichen Komponente im Dienstvertrag zielt der Gegenstand des Rating-Vertrags nicht auf die Erbringung von einzelnen Tätigkeiten im Verlauf einer Zeitspanne ab37, sondern auf die Erfüllung einer konkreten Begutachtung, näm-lich dem Rating zum Zeitpunkt der Emission38. Nicht die Tätigkeit als solche ist geschuldet, denn die Hauptpflicht der Agentur liegt nur in der Erstellung eines Ratings39. Dem Rating-Vertrag liegt damit eine erfolgsbezogene Leistungspflicht seitens der ratenden Agentur zugrunde40.Anderes könnte sich bei den Folgeratings ergeben, sofern sich die Agentur hierzu vertraglich verpflichten würde. Geschuldet wäre dann die laufende Überprüfung der Bo-nität des Emittenten durch die Rating-Agentur41. Auch im Falle der Folgeratings bleibt bloß die Erstellung der Ratings Gegenstand dieses Vertrags, jedoch nicht die be-gutachtende Tätigkeit als solche42.Aufgrund der Erfolgsbezogenheit des Rating-Vertrags ist dieser demnach nicht als Dienstvertrag i.S.d. § 611 BGB einzustufen.

c) Geschäftsbesorgungsvertrag, § 675 Abs. 1 BGBIn Betracht käme auch die Qualifizierung als Geschäfts-besorgungsvertrag i.S.d. § 675 Abs. 1 BGB. Dem Ra-ting-Vertrag müsste dann eine Geschäftsbesorgung zu-grunde liegen. Dies ist der Fall, wenn die Erstellung des Ratings durch die Agentur eine selbstständige Tätigkeit wirtschaftlicher Art darstellt, die nicht in einer bloßen Leistung an den Emittenten, sondern in der Wahrneh-mung dessen Vermögensinteressen besteht43. Die Erstel-lung des Ratings auf Antrag müsste dem Interesse des Emittenten dienen und damit eine fremdnützige Tätigkeit sein44. Das erstellte Rating dient dem gerateten Unterneh-men für eine verbesserte Interaktion in der Finanzwelt, aber insbesondere auch potentiellen Anlegern, die das Rating als Entscheidungsgrundlage für Investitionen he-ranziehen45. Zwar verbinden die Rating-Agenturen den Emittenten und den Anleger als Informationsintermedi-äre, beabsichtigen jedoch mit der Bonitätseinstufung ei-gene Gewinnerzielung. Dies lässt sich insbesondere aus

35 MünchKomm/Müller-Glöge, BGB, § 611 Rdn. 16.36 Ebenroth/Daum, a.a.O. (Fn. 29), S. 7.37 MünchKomm/Müller-Glöge, BGB, § 611 Rdn. 17 f.38 Ebenroth/Daum, a.a.O. (Fn. 29), S. 7; Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 28.39 Eisen, a.a.O. (Fn. 12), S. 223 f.40 Deipenbrock, BB 2003, 1849, 1851.41 Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 28.42 Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 28.43 Jauernig/Mansel, BGB, § 675 Rdn. 4.44 Hennrichs, a.a.O. (Fn. 25), S. 878.45 Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 25; Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 17 ff. Andere Profiteure von Ratings sind Banken, die dadurch Eigenkapitalerfordernisse feststellen und damit die Kreditvergabe an Unternehmen und Staaten re-gulieren. Ferner werden Versicherungsunternehmen und Investmentfonds einem Rating unterzogen.

Page 17: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 17

der Tendenz zur Bewertung von strukturierten Finanz-produkten sowie der Mitwirkung an der Strukturierung und Emission von Wertpapieren zur Maximierung des Unternehmensprofits der Rating-Agenturen herleiten46. Der Aspekt der Fremdnützigkeit aus der Perspektive ist daher abzulehnen47.Die Geschäftsbesorgung i.S.d. § 675 Abs. 1 BGB ent-fällt jedoch nicht dadurch, dass die Rating-Agentur bei der Begutachtung auch eigene Interessen verfolgt und befriedigt48. Mit der Geheimhaltung vertraulicher Un-ternehmensdaten hält die Agentur die Interessenwah-rungspflicht des Geschäftsherrn ein49. Problematisch erscheint jedoch die Weisungsgebundenheit der Agentur zum Emittenten nach § 675 Abs. 1 i.V.m. § 665 BGB. Nach allgemein anerkannten Grundsätzen gehört zum Mindeststandard bei der Begutachtung der Bonität die Einhaltung der sachlichen Neutralität und Unabhängig-keit der Rating-Agentur50. Zwar sind die Agenturen auf unternehmensspezifische Daten angewiesen, ziehen die-se jedoch vollkommen unabhängig im Rating-Verfahren heran51. Folglich ist nicht von einem Geschäftsbesor-gungvertrag auszugehen52.

d) Werkvertrag, § 631 BGBVielmehr spricht die erfolgsbezogene Leistungspflicht der Rating-Agentur gegenüber dem Emittenten als Auf-traggeber für einen Werkvertrag i.S.d. § 631 BGB53. Die Agentur verpflichtet sich dazu, ein Werk in Form eines Rating-Ergebnisses zu erstellen. Einer vorausgesetzten Abnahme des Ratings nach § 640 Abs. 1 BGB steht nicht entgegen, dass diese bloß durch Zustimmung erfolgt54. Hinreichend ist nämlich die ausdrückliche oder kon-kludente Anerkennung als vertragsgemäße Leistung55. Im sogenannten engagement letter verpflichtet sich die Rating-Agentur dazu, die Zustimmung des gerateten Un-ternehmens zur Veröffentlichung des Rating-Ergebnisses einzuholen56. Die Abnahme nach § 640 Abs. 1 BGB ist demnach in der Zustimmung des Emittenten zu sehen.Dem Werkvertrag steht auch nicht entgegen, dass die Rating-Agentur nach Erstellung des Ratings weder Un-terlagen noch Analyseergebnisse in schriftlicher Form an den Emittenten übergibt57. Gegenstand des Vertrags kann nämlich die Erstellung eines unkörperlichen Werks

46 Vgl. „SEC droht Moody’s mit Klage“ in: Börsen-Zeitung, 11.05.2010, S. 3 sowie „Trio Infernale“ in: Der Spiegel, Ausgabe 47/2009, S. 72 ff.47 Vgl. Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 25; anders entscheidet Hennrichs, a.a.O. (Fn. 25), S. 878, der die Fremdnützigkeit der Tätigkeit bejaht.48 Jauernig/Mansel, BGB, § 675 Rdn. 7.49 Eisen, a.a.O. (Fn. 12), S. 140, 223; Hennrichs, a.a.O. (Fn. 25), S. 878.50 Vetter, WM 2004, 1701, 1705.51 Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 25.52 Anders entscheidet v. Schweinitz, WM 2008, 953, 956.53 Vgl. Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 29.54 Looschelders, Schuldrecht BT, 4. Aufl. 2010, Rdn. 648.55 Palandt/Sprau, BGB, § 631 Rdn. 2; Looschelders, a.a.O. (Fn. 55), Rdn. 648.56 Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 26; Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 29.57 Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 29.

sein58. Zudem ist der Rating-Vertrag weniger auf die Er-stellung des Ratings selbst gerichtet, als auf die Veröf-fentlichung des Ergebnisses und damit den Zugang für Dritte59.Damit lässt sich der Rating-Vertrag als Werkvertrag i.S.d. § 631 BGB einordnen. Nichts anderes ergibt sich für Folgeratings, deren Vereinbarung sich ebenfalls auf die leistungsbezogene Pflicht der Erstellung des Ratings bezieht60. Die Qualifikation als Vertrag sui generis nach § 311 Abs. 1 BGB kommt demnach nicht in Betracht61.

2. Schadensersatz aus Mängelhaftung, §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1 BGBDas fehlerhafte Rating, durch das der Emittent erhöhte Kapitalbeschaffungskosten und damit einen Vermö-gensschaden erleidet, stellt i.S.d. Qualifikation des Ra-ting-Vertrags als Werkvertrag nach § 631 BGB einen Fehler i.S.d. § 633 BGB dar62. Im Falle eines solchen objektiv fehlerhaften Ratings ergibt sich für den Emit-tenten demnach ein Schadensersatzanspruch aus den §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 Satz 1 BGB63.

3. Schadensersatz aus allgemeinem Leistungsstö-rungsrecht, § 280 Abs. 1, 3, § 281 BGBEin Schadensersatzanspruch aus allgemeinem Leistungs-störungsrecht nach § 280 Abs. 1, 3, § 281 BGB ergibt sich für den Emittenten, wenn die Rating-Agentur we-sentliche Verfahrensgrundsätze verletzt, so auch wenn das Rating nicht zum Zeitpunkt der Emission veröffent-licht wird64.

4. BeweislastLiegt ein fehlerhaftes Rating vor, so trägt die Rating-Agentur die Beweislast für das fehlende Verschulden nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB65. Problematisch erscheint jedoch bereits die Darlegungs- und Beweislast, die der Emittent als Anspruchsteller im Zivilprozess trägt66. Das geschädigte, geratete Unternehmen muss die Fehlerhaf-tigkeit des Ratings nachweisen67. Diese müsste bereits ex ante vorgelegen haben68. Wird nämlich festgestellt, dass sich das Rating ex post als falsch erwiesen hat, so spricht dies nicht auch gleichzeitig für die Fehlerhaftigkeit des

58 Looschelders, a.a.O. (Fn. 55), Rdn. 648.59 Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 29.60 Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 26.61 Vgl. a.A. Ebenroth/Daum, a.a.O. (Fn. 29), S. 7, Hennrichs, a.a.O. (Fn. 25), S. 880 und Deipenbrock, BB 2003, 1849, 1851.62 Vgl. Deipenbrock, BB 2003, 1849, 1852, wonach ein objektiv falsches Rating den Tatbestand des Mangels i.S.d. § 633 BGB analog erfüllt.63 Vgl. Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 36; Vetter, WM 2004, 1701, 1706.64 Habersack, ZHR 169 (2005), 185, 203; Hennrichs, a.a.O. (Fn. 25), S. 882.65 MünchKomm/Ernst, BGB, § 280 Rdn. 75; Vetter, WM 2004, 1701, 1706.66 MünchKomm/Ernst, BGB, § 280 Rdn. 75; Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 36 f.; Hennrichs, a.a.O. (Fn. 25), S. 883.67 Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 37.68 Vetter, WM 2004, 1701, 1706.

Page 18: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201018

Ratings69. Dem Emittenten fehlt jegliche Einsicht in das durchgeführte Rating-Verfahren. Angewandte Ver-fahrensmethoden sowie Beurteilungsgrundsätze sind Betriebsgeheimnis der Agentur70. In der Praxis wird es ihm daher regelmäßig schwer bis unmöglich sein, nach-zuweisen, dass bereits das Rating-Verfahren fehlerhaft ist71. Zudem begutachten die Rating-Agenturen nach unterschiedlichen Prüfungsstandards, was den Vergleich unmöglich macht72.Im Ergebnis lässt sich weder die Fehlerhaftigkeit des Verfahrens und des Ratings selbst, noch der Kausal-zusammenhang zwischen einer möglichen objektiven Pflichtverletzung der Agentur und dem Vermögensscha-den des Emittenten feststellen73. Aufgrund der recht-lichen Verhältnisse und der schwierigen Beweisbarkeit bleibt die Durchsetzbarkeit des Schadensersatzanspruchs des Emittenten gegen die Rating-Agentur in der Regel nur Theorie74.

5. HaftungsausschlussKann der Rating-Agentur eine Pflichtverletzung sowie ein hierdurch entstandener Schaden nachgewiesen wer-den, so ist zu beachten, dass der Rating-Vertrag regelmä-ßig einen Haftungsausschluss vorsieht. Nach § 276 Abs. 3 BGB ist ein solcher Ausschluss dann unwirksam, wenn er den Vorsatz umfasst.Rating-Agenturen fallen unter den Begriff der Verwen-der i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Folglich ist der Haf-tungsausschluss auch nach den §§ 305 ff. BGB über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu bewer-ten. Nach § 310 Abs. 1 Satz 1 BGB finden jedoch die §§ 305 Abs. 2 und 3, 308, 309 BGB keine Anwendung auf AGB, wenn diese gegenüber einem Unternehmen einge-setzt werden. In Betracht kommt daher § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB, wonach eine unangemessene Benachteiligung in den AGB unwirksam ist, wenn wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, die Erreichung des Vertragszwecks gefährden. Die Rating-Agentur hat im Verhältnis zum Emittenten eine besonde-re Vertrauensstellung inne. Die Erstellung eines Ratings stellt nach dem Zweck des Rating-Vertrags eine Kardi-nalpflicht dar. Unter Kardinalpflichten sind solche zu verstehen, die eine ordnungsgemäße Durchführung des Vertrags erst möglich machen und auf deren Erfüllung der Emittent vertraut75. Ein Haftungsausschluss bei deren

69 Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 37; Hennrichs, a.a.O. (Fn. 25), S. 881.70 Vetter, WM 2004, 1701, 1706.71 Peters, a.a.O. (Fn. 21), S. 154.72 Bauer, .a.a.O. (Fn. 11), S. 37.73 Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 37; Hennrichs, a.a.O. (Fn. 25), S. 883.74 Vgl. gleiches Ergebnis bei Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 37; Deipenbrock, BB 2003, 1849, 1852; Hennrichs, a.a.O. (Fn. 25), S. 884; Peters, a.a.O. (Fn. 21), S. 154. So auch Vetter, WM 2004, 1701, 1706, der die Frage nach einer Beweislastumkehr zugunsten des Emittenten stellt und diese mit der Begründung ablehnt, dass sonst die Agentur die Beweislast für die Erstellung eines objektiv fehlerfreien Ratings auf eine bloße Behauptung des Emittenten tragen würde.75 Hennrichs, a.a.O. (Fn. 25), S. 884.

Nichteinhaltung ist bereits für leichte Fahrlässigkeit nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam.

II. Deliktische HaftungsgrundlageDeliktische Ansprüche des Emittenten gegen die Rating-Agentur können nach § 823 Abs. 1 BGB aufgrund einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie aufgrund eines Eingriffs in den eingerichteten und aus-geübten Gewerbebetrieb Anwendung finden. In Betracht kommt die deliktische Haftung insbesondere bei unsoli-cited ratings, die nicht durch Vertrag zwischen Emittent und Agentur zustande kommen76, bei solicited ratings dagegen, sofern Ansprüche aus vertraglicher Haftung nicht greifen77.

1. Schadensersatz wegen Kreditgefährdung, § 824 Abs. 1 BGBAuch könnte die Rating-Agentur durch das Erstellen eines Ratings sowie deren Veröffentlichung wegen Kre-ditgefährdung nach § 824 Abs. 1 BGB haften. Sie müsste dann der Wahrheit zuwider eine Tatsache behaupten oder verbreiten, die zur Kreditgefährdung des Emittenten füh-ren kann. Das Rating müsste demnach eine Tatsachenbe-hauptung sein. Grundsätzlich werden bei der Erstellung des Ratings Informationen herangezogen, die sich auf vergangene, beweisbare Vorgänge beziehen78. Die Be-gutachtung selbst sowie deren Ergebnis in Form des Ra-tings richten sich dagegen auf zukünftige Ereignisse. Die Agentur versucht, die zukünftige Bonität des Emittenten und deren Entwicklung einzuschätzen. Solche Einschät-zungen über zukünftige Ereignisse sind nicht als Tatsa-chen i.S.d. § 824 Abs. 1 BGB, sondern als Werturteile zu verstehen, welche nicht unter den Anwendungsbereich fallen79. Demnach entfällt die Haftung wegen Kreditge-fährdung.

2. Schadensersatz wegen Eingriffs in den ein-gerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, § 823 Abs. 1 BGBSoweit der Tatbestand der Kreditgefährdung nach § 824 Abs. 1 BGB nicht greift, könnte § 823 Abs. 1 BGB wegen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Auffangtatbestand Anwendung fin-den80. Unter den Schutzbereich fällt jeder betriebsbezo-gene Eingriff, der unter Abwägung der konkurrierenden Interessen im Einzelfall hätte abgewendet werden kön-nen81. Hierunter fallen auch der Schutz der Finanzie-rungsmöglichkeiten sowie der Zugang zu den Kapital-

76 Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 40.77 Ebenroth/Daum, a.a.O. (Fn. 29), S. 8.78 Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 49.79 MünchKomm/Wagner, BGB, § 824 Rdn. 14.80 Vgl. MünchKomm/Wagner, BGB, § 824 Rdn. 5, wonach § 823 Abs. 1 BGB bei Eingriffen in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Auffangtatbestand dient.81 MünchKomm/Wagner, BGB, § 823 Rdn. 193; Peters, a.a.O. (Fn. 21), S. 57.

Page 19: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010Die Baker & McKenzie - Partnerschaft von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Solicitors ist eine im Partnerschaftsregister des Amtsgerichts Frankfurt/Mainunter PR-Nr. 1602 eingetragene Partnerschaftsgesellschaft nach deutschem Recht mit Sitz in Frankfurt/Main. Sie ist assoziiert mit Baker & McKenzie International, einem Vereinnach Schweizer Recht.

Career Mentorship ProgrammeGehören Sie zur nächstenGeneration?

Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung bis spätestens15. November 2010.

Neben unserem Career Mentorship Programmebieten wir Ihnen zahlreiche attraktive Möglichkeitenuns näher kennen zu lernen. Informieren Sie sichüber unser Law Clerk Programme, das InternationalClerkship Programme und vieles mehr.

Wie? Ganz einfach. Bewerben Sie sich.

Baker & McKenzie - PartnerschaftsgesellschaftAxel Hamm, Bethmannstraße 50-54, 60311 Frankfurt am Main, Telefon +49 (0) 69 2 99 08 600,E-Mail: [email protected], www.bakermckenzie.com

www.bakermentorship.de

Mentor: Dr. Dorothée Stracke, CorporateMentee seit April 2008: Lena Kern

Mentor: Dr. Finn Lubberich, CorporateMentee ab November 2010: Sie?

Mentor: Dr. MathiasWittinghofer, Dispute ResolutionMentee seit November 2009: Anja Becker

CMP Anzeige Menntees2010_A4_final:CMP Anzeige Menntees2010_A4_final 26.08.2010 17:18 Uhr Seite 1

Page 20: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201020

märkten82. Fraglich ist jedoch, ob ein fehlerhaftes Rating einen solchen Eingriff darstellt.Parallelen lassen sich zu der BGH-Rechtsprechung „Stif-tung Warentest“ erkennen83. Während Rating-Agenturen durch vermutete Prognosen die Zahlungsfähigkeit des Emittenten wertend beurteilen84, begutachten Warentests gleichermaßen Produkte in unabhängiger Weise85. In der Folge beeinflussen Warentests die Absetzbarkeit der bewerteten Produkte; Ratings spiegeln sich dagegen in den Finanzierungsmöglichkeiten des Emittenten wider86. Über die Vergleichbarkeit von Warentests mit Ratings geht die Rechtsprechung hinaus, die die Bewertungs-maßstäbe der Warentests auf die Bonitätsbeurteilung an-wendet87. Soweit Ratings neutral, sachkundig und in dem Bestreben nach objektiver Richtigkeit erstellt werden, ist daran gemessen der Agentur auch ein entsprechender Ermessens- und Beurteilungsspielraum zum Zwecke der Kapitalmarkttransparenz und Anlegeraufklärung ein-zuräumen88. Dementsprechend hat der Emittent auch solche Ratings hinzunehmen, die negativ für ihn ausfal-len, aber auch nicht in Wettbewerbsabsicht erstellt wur-den89. Dies ergibt sich aus dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit sowie aus dem weiten Spielraum des Art. 5 Abs. 1 GG90.Im Ergebnis stellt das Rating einen Eingriff in den ein-gerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar, wenn es fehlerhaft ist und entgegen den Geboten der Objektivität, Neutralität und Sachkunde erstellt wurde91.

3. Schadensersatz wegen Verletzung des allge-meinen Persönlichkeitsrechts, § 823 Abs. 1 BGBIn Betracht kommt weiterhin ein Schadensersatzan-spruch des Emittenten gegen die Agentur wegen Ver-letzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB92. Maßgeblich ist hier das BGH-Urteil „Heberger Bau“ zum Vergleich heranzuziehen, wonach in der ungenehmigten Weitergabe von Jahresabschlüssen eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines Unternehmens gesehen werden kann93. Zwar wur-

82 Vgl. Ebenroth/Daum, a.a.O. (Fn. 29), S. 9.83 Vgl. BGH GRUR 1966, 386 (Warentest I); BGH WM 1976, 297 (Wa-rentest II); BGH WM 1986, 373 (Warentest III); BGH GRUR 1987, 468 (Warentest IV); so Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 40 und Ebenroth/Daum, a.a.O. (Fn. 29), S. 9.84 Habersack, ZHR 169 (2005), 185, 195.85 So Ebenroth/Daum, a.a.O. (Fn. 29), S. 9.86 Ebenroth/Daum, a.a.O. (Fn. 29), S. 9; Peters, a.a.O. (Fn. 21), S. 57.87 Vgl. KG WM 2006, 1432, 1433.88 KG WM 2006, 1432, 1433; vgl. auch Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 41; Henn-richs, a.a.O. (Fn. 25), S. 881 sowie Reidenbach, a.a.O. (Fn. 32), S. 344.89 BGH GRUR 1969, 624, 627.90 Ebenroth/Daum, a.a.O. (Fn. 29), S. 9.91 Vgl. KG WM 2006, 1432, 1433; Peters, a.a.O. (Fn. 21), S. 57 f.; Vetter, WM 2004, 1701, 1704. A.A. Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 59.92 § 823 Abs. 1 BGB bzgl. der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeits-rechts steht insofern in Konkurrenz zur Kreditgefährdung nach § 824 Abs. 1 BGB, als das Ersteres immaterielles Interesse schützt, Letzteres dagegen dem Schutz reiner Vermögensinteressen dient. Beide Tatbestände sind ne-beneinander anwendbar. Vgl. MünchKomm/Wagner, BGB, § 824 Rdn. 5.93 BGH BB 1994, 733 f. (Heberger Bau).

den im vorliegenden Fall bereits veröffentlichte Informa-tionen – nämlich der Jahresabschluss des Unternehmens – einhergehend mit einer negativen Bonitätsbeurteilung nochmals veröffentlicht, im Vergleich zum unbeauf-tragten Rating werden beim Rating jedoch geschäftsbe-zogene Daten nur zur Begutachtung herangezogen und nicht veröffentlicht94. Mithin kommt die Haftung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht in Betracht.

4. Schadensersatz wegen sittenwidriger Schädi-gung, § 826 BGBDie Haftung nach § 826 BGB kommt nur bei vorsätz-lich sittenwidriger Schädigung des Emittenten durch die Veröffentlichung eines fehlerhaften Ratings in Be-tracht95. Grundsätzlich ist eine Haftung hiernach denk-bar. Aufgrund der Schwierigkeit für den Emittenten, die sittenwidrige Schädigung der Rating-Agentur bei der Erstellung des Ratings nachzuweisen, wäre dies ein Aus-nahmefall96.

III. HaftungsumfangBei der Bemessung der Schadenshöhe ist der Emittent im Falle des solicited ratings so zu stellen, wie er bei ordnungsmäßiger Erfüllung des Rating-Vertrags stehen würde97. Im Falle des unsolicited ratings bzw. bei rechts-widrigem und schuldhaftem Eingriff in die Rechtsgüter des Emittenten, hat die Rating-Agentur den Emittenten so zu stellen, als wäre das zum Vermögensschaden füh-rende Rating nicht veröffentlicht worden98. Im Ergebnis sind die zusätzlichen Finanzierungskosten zu ersetzen, die dem Emittenten aufgrund der fehlerhaften Bewertung entstanden sind99. Dies entspricht der Differenz zwischen den hypothetischen und den tatsächlichen Kosten100.Fraglich ist, wie die Kosten zu beurteilen sind, die dem Emittenten aufgrund der Schädigung seines wirtschaft-lichen Ansehens und den verschlechterten Beziehungen zu Kreditinstituten sowie den fehlenden Anlegern ent-standen sind101.Nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB sind diejenigen Kosten ersatzfähig, die dem Emittenten in der Folge der Wie-derherstellung des wirtschaftlichen Ansehens entstehen und soweit diese sich auf Kosten für Maßnahmen be-schränken, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch ex ante für erforderlich halten durfte102. Der entgangene Gewinn, der durch die fehlerhaft negative

94 BGH BB 1994, 733 f.; Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 60; Vetter, WM 2004, 1701, 1707.95 Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 61.96 Vetter, WM 2004, 1701, 1708.97 Peters, a.a.O. (Fn. 21), S. 82.98 Peters, a.a.O. (Fn. 21), S. 82.99 Peters, a.a.O. (Fn. 21), S. 82.100 Peters, a.a.O. (Fn. 21), S. 82.101 Peters, a.a.O. (Fn. 21), S. 82.102 BGH NJW 1976, 1198, 1201; MünchKomm/Wagner, BGB, § 824 Rdn. 63; Peters, a.a.O. (Fn. 21), S. 82.

Page 21: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 21

Bonitätseinschätzung verloren gegangenen Kunden und Auftraggeber, ist nach § 252 Satz 1 BGB ersatzfähig103. Ferner sind diejenigen Schadensposten zu berücksichti-gen, die sich als Reaktion auf die negative Bewertung in Form von ungünstigen Kreditzinsen, Zahlungsfristen etc. widerspiegeln104. Die hierfür erforderliche Darlegungs- und Beweislast wird gem. § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu-gunsten des Emittenten erleichtert105.

D. AusblickDie schwerwiegendsten Kritikpunkte im Rahmen der Haftungsfragen sind die mangelnde Transparenz der Rating-Verfahren und die daraus folgende schwierige Beweislage – sei es für den Emittenten oder auch für den geschädigten Anleger106. Der Geschädigte genießt zwar der Theorie entsprechend Schutz im Schadensfall, die Durchsetzung von Haftungsansprüchen ist ihm jedoch faktisch unmöglich. Der Emittent trägt die Beweislast für die Fehlerhaftigkeit des Ratings ex ante, denn ex post lässt sich aufgrund des prognostizistischen Cha-rakters des Ratings nicht auf die Fehlerhaftigkeit schlie-ßen. Es fehlt an transparenten wie auch standardisierten Rating-Verfahren107. Deren Ergebnis lässt aufgrund von Informationsmangel keine Rückschlüsse zu. Die Rating-Agenturen bleiben damit unangreifbar. Widersprüchlich ist, wenn die Rating-Agentur zwar für den Ausgleich des Informationsdefizits beim Anleger zuständig ist, gleich-zeitig aber relevante Daten geheim hält und schon gar nicht das angewandte Verfahren offenlegt108.Wie schließlich die bundesweit erste eingereichte Klage auf Schadensersatz wegen fehlerhaftem Rating gegen die Rating-Agentur Standard & Poor’s im Zusammenhang mit Zertifikaten der Investmentbank Lehman Brothers ihren Verlauf nehmen wird, ist aufgrund der aktuellen Rechtsentwicklung noch ungewiss109. Die Forderungen nach einer haftungsverschärfenden oder aufsichtsrecht-lichen Regulierung der Rating-Agenturen mehrten sich in der Literatur bereits deutlich vor der aktuellen Finanz-krise von 2007-2010110. Kritisiert wird vor allem, dass

103 Peters, a.a.O. (Fn. 21), S. 83.104 BGH NJW 1964, S. 661, 662; Peters, a.a.O. (Fn. 21), S. 83.105 Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 287 Rdn. 6 ff.106 Vgl. auch Andrieu, Ratingagenturen in der Krise: über die Einführung von Qualitätsstan-dards für Ratings durch die Europäische Union, 2010, S. 99 ff.; Becker, DB 2010, 941.107 So auch Deipenbock, WM 2009, 1165, 1171; Andrieu, a.a.O. (Fn. 107), S. 67.108 Vgl. Ausführungen bei Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 42, 47.109 Vgl. FAZ v. 08.06.2010, S. 19: Erster Anleger klagt in Deutschland gegen Ratingagentur. Unklarheit jedoch besteht bei den Fragen nach der Ursache der Finanzkrise und wer die Schuld hierfür trägt. Während die Ursache bei den Rating-Agenturen liegen soll, so Cortez/Schön, Kreditwe-sen 2010, 226, fühlt sich das Oligopol der Rating-Agenturen nicht dafür verantwortlich, viel mehr sogar zu falschen Bewertungen gedrängt worden zu sein, siehe dazu Börsen-Zeitung vom 04.06.2010, S. 1: Ratingagenturen schieben Banken Schuld an der Krise in die Schuhe.110 So z.B. Ebenroth/Daum, a.a.O. (Fn. 29), S. 22; Lemke, a.a.O. (Fn. 3), S. 623; ders., Rechtsfragen im Ratingwesen, in: Everling, Oliver/Schmidt-Bürgel, Jens (Hrsg.), Kapitalmarktrating, 2005, S. 259 f.; Möllers, JZ 2009, 861, 869 f., 871; ders., ZJS 2009, 227.

fehlende allgemeingültige Maßstäbe zur Beurteilung der Bonität des Emittenten zu realitätsfremden, fehlerhaften Ratings führen111. Interessenkonflikte und die wirtschaft-liche Abhängigkeit der Rating-Agenturen zu ihren Mut-tergesellschaften drängen diese zu fehlender Objektivität und damit fehlerhaften Einstufungen112. Der dominieren-de Anreiz der Agenturen auf Gewinnerzielung verstärkt die kritische Entwicklung113.Vielversprechend ist daher die europäische Rating-Verordnung bzw. das deutsche Ausführungsgesetz zur Rating-Verordnung, das am 19.06.2010 in Kraft getreten ist114. Das Ausführungsgesetz benennt nach § 17 WpHG die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Ba-Fin) als zuständige Behörde, nach § 39 Abs. 2b, 3a i.V.m. Abs. 4 WpHG werden Verstöße gegen die Rating-VO als Ordnungswidrigkeiten geahndet115. Kritisch zu betrach-ten sind die Bußgelder bei Verstößen gegen die EU-Ra-tingverordnung. Die Spanne reicht von bis 200.000 Euro für kleinere Verstöße bis zu 1.000.000 Euro in schwer-wiegenden Fällen. Solche Summen sind für kleinere Rating-Agenturen existenzbedrohend, während das Oli-gopol daran keinen Schaden nimmt und im Zweifel einen Verstoß gegen die Verordung in Kauf nehmen würde.Ob die nun weitgehend geforderte Transparenz der Agenturen hinreichend sein wird, im Falle der Fehler-haftigkeit des Ratings auch die Pflichtverletzung der Agentur nachweisen zu können, wird sich zeigen. Für den geschädigten Emittenten ist schließlich immer noch dies der Anknüpfungspunkt zur Durchsetzung der Haf-tungsansprüche gegen die Rating-Agenturen. Einzige Si-cherheit bleibt der Registrierungsprozess bei der BaFin und die jederzeit mögliche Kontrolle. Der amerikanische Rechtsraum geht hier einen Schritt weiter: Das im Juli 2010 unterzeichnete US-Finanzmarktreformgesetz sieht eine Haftung der Rating-Agenturen für ihre Prognosen vor. Ein solch radikaler Wandel bleibt hier abzuwarten. Für die Einschätzung selbst wird weiterhin keine Garan-tie übernommen.116

111 Eisen, a.a.O. (Fn. 12), S. 243.112 Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 27.113 Bauer, a.a.O. (Fn. 11), S. 34.114 Siehe dazu Rating-VO (EG) Nr. 1060/2009 v. 16.09.2009; das deutsche Auführungsgesetz ist am 18.06.2010 im Bundesgesetzblatt verkündet wor-den, vgl. BGBl. 2010, Teil 1 Nr. 32, S. 786.115 Möllers, 2010, S. 285 ff. Ab 2011 geht die Kompetenz der BaFin hierzu an die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority, ESMA) über, vgl. Cortez/Schön, Kreditwesen 2010, 226, 228.* Der Verfasser ist Student an der Goethe-Universität Frankfurt a.M.

Page 22: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201022

Ein Jahr Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergü-tung – Rückblick, Probleme und Ausblick

Von Rechtsanwalt Dr. Jan Hermes, Düsseldorf*

I. EinleitungDas Gesetz zur Angemessenheit der Vorstands-vergütung (VorstAG)1 hat mittlerweile seinen ersten Geburtstag gefeiert. Es war einst ange-treten, um ausufernden Managergehältern und Bonuszahlungen, die als eine der Ursachen der Finanzmarktkrise angesehen wurden2, Ein-halt zu gebieten. Ein Jahr nach seinem Inkrafttreten am 5. August 2009 stellen sich die Fragen, ob dieses Ziel er-reicht wurde, ob dem Gesetzgeber eine praxistaugliche Regelung gelungen ist und welche Auswirkungen das VorstAG auf die Unternehmen, deren Vorstände und Auf-sichtsräte hat. Im Folgenden sollen zunächst die wesent-lichen Änderungen, die das VorstAG mit sich gebracht hat, dargestellt und erläutert werden. Im Weiteren werden diese Regelungen dann auf ihre Praxistauglichkeit hin untersucht sowie Reaktionen von börsennotierten Unter-nehmen auf die Anforderungen des VorstAG dargestellt.

II. Rechtslage vor Inkrafttreten des VorstAGBeim VorstAG handelt es sich um ein Artikelgesetz, das Änderungen in erster Linie des Aktiengesetzes (AktG), des Handelsgesetzbuchs (HGB) sowie, allerdings nur im minimalen Umfang, des Gesetzes betreffend die Ge-sellschaft mit beschränkter Haftung (GmbHG) mit sich gebracht hat. Personalentscheidungen mit Blick auf den Vorstand sind im Aktienrecht3 Sache des Aufsichtsrats4; dasselbe gilt für die Vergütung des Vorstands. Zentrale Vorschrift für die Festsetzung der Vorstandsvergütung ist der § 87 AktG, der im Rahmen des VorstAG die umfas-sendsten Änderungen erfahren hat.

1. Regelungen des AktG a.F.Es ist jedoch durchaus nicht so, dass vor dem Inkrafttre-ten des VorstAG die Vergütung von Vorständen im freien Ermessen des Aufsichtsrats stand und ohne jegliche Kon-trolle oder rechtliche Rahmenbedingungen festgesetzt werden konnte. Bereits § 78 des AktG von 1937, wie auch im Anschluss daran der § 87 AktG a.F., verfolgten den Zweck, zum Schutz der Gesellschaft und aller Betei-ligten Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder aufzustellen. § 87 Abs. 1 AktG a.F. regelte daher, dass der Aufsichtsrat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds dafür zu sorgen hatte, 1 Vom 31.7.2009, BGBl. I, S. 2509.2 So mittelbar die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 16/12278, S. 1 und 5.3 Im Weiteren wird sich die Darstellung auf Aktiengesellschaften und deren Vorstände beschränken.4 Dies ergibt sich aus § 84 AktG.

dass die Bezüge in einem angemessenen Ver-hältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen. Auch das alte Recht sah also vor, dass die Vorstandsver-gütung durch das Merkmal der Angemessenheit gewissen Grenzen unterlag. Hier sorgte natur-gemäß der unbestimmte Rechtsbegriff der An-

gemessenheit für Probleme in der Handhabung dieser Vorschrift.

2. Regelungen des Deutschen Corporate Gover-nance KodexDarüber hinaus enthielt auch schon vor Inkrafttreten des VorstAG der Deutsche Corporate Governance Kodex5 (DCGK) detaillierte Regelungen über die Ausgestaltung der Vorstandsvergütung. Beim DCGK handelt es sich um ein nicht verbindliches Regelwerk der Regierungs-kommission Deutscher Corporate Governance Kodex, welches eine Sammlung von Verhaltensempfehlungen für den Vorstand und den Aufsichtrat börsennotierter Aktiengesellschaften enthält, die unverbindliche Regeln guter Unternehmensführung und Unternehmensüberwa-chung aufstellen wollen. Es beschreibt detailliert interna-tional anerkannte Standards guter und verantwortungs-voller Unternehmensführung, dies allerdings nur in Form von Empfehlungen und Anregungen. Als Ausgleich für seinen unverbindlichen Empfehlungscharakter wird über die Vorschrift des § 161 Abs. 1 AktG in Bezug auf den DCGK eine gewisse Verbindlichkeit geschaffen. Soweit der Kodex Empfehlungen ausspricht und diese durch die Verwendung des Wortes „soll“ kennzeichnet6, müssen börsennotierte Aktiengesellschaften, wenn sie hiervon abweichen, jährlich in ihrer Entsprechenserklärung gem. § 161 AktG angeben, welche dieser Empfehlungen nicht angewendet wurden und werden und diese Abweichung auch begründen. So will der Kodex zur Flexibilisierung und Selbstregulierung der deutschen Unternehmens-verfassung beitragen. Diese Erklärung ist gemäß § 161 Abs. 2 AktG auf der Internetseite der Gesellschaft öffent-lich zugänglich zu machen.Schon der DCGK in der Fassung vom 18. Juni 2009 enthielt umfangreiche Aussagen zum Thema Vorstands-vergütung. In Ziff. 4.2.2 wurden als Kriterien für die

5 Abrufbar unter www.corporate-governance-code.de.6 Im Gegensatz zu Anregungen, von denen ohne Offenlegung abgewichen werden kann; hierfür verwendet der Kodex Begriffe wie „sollte“ oder „kann“. Die übrigen sprachlich nicht so gekennzeichneten Teile des Kodex betreffen Bestimmungen, die als geltendes Gesetzesrecht von den Unter-nehmen ohnehin zu beachten sind.

Page 23: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010

Das PraktikantenprogrammVom 22. August bis 30. September 2011 veranstaltet Shearman & Sterling an allen deutschen Standorten zum fünften Mal das sechswöchige Praktikantenprogramm „Student meets Practice“.

Unser Motto lautet: „Mittendrin statt nur dabei.“ Entsprechend werden Sie täglich aktiv in unsere spannende Mandatsarbeit einbezogen und können sich außerdem auf folgende Highlights freuen:

- Besuch eines überörtlichen Seminars im Rahmen unseres Aus- und Weiterbildungs- programms „Project Brain“ - Teilnahme an den wöchentlich stattfindenden lokalen „Project Brain“-Veranstaltungen - Gemeinsamer Moot Court aller Praktikanten

Haben wir Ihr Interesse geweckt? Dann bewerben Sie sich bitte bis zum 31. März 2011 und beachten Sie, dass nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen verfügbar ist. Mehr Informationen finden Sie unter:

www.studentmeetspractice.de

Wir freuen uns auf Sie!

Shearman & Sterling LLPMichael Mitt I Human Resources I Breite Straße 69 I 40213 Düsseldorf T +49.211.17888.346 I [email protected]

STUDENTmeetsPRACTICE

Page 24: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201024

Angemessenheit der Vergütung bereits u.a. die Aufga-be des einzelnen Vorstandsmitglieds, seine persönliche Leistung, die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft, der Erfolg und die Zukunftsaussichten des Unternehmens sowie die Üblichkeit der Vergütung unter Berücksichti-gung des Vergleichsumfelds und der Vergütungsstruktur, die ansonsten innerhalb der jeweiligen Gesellschaft gilt, genannt. Unter Ziff. 4.2.3 des DCGK war bereits fest-gelegt, dass die Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten ist und fixe und variable Vergütungsbestandteile zu umfassen hat. Da-bei hatte der Aufsichtsrat dafür zu sorgen, dass variable Vergütungsbestandteile grundsätzlich eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben. Sowohl positiven als auch negativen Entwicklungen des Unternehmens sollte bei der Ausgestaltung der variablen Vergütungsbestandteile Rechnung getragen werden. Sämtliche Vergütungsteile mussten für sich insgesamt angemessen sein und durften insbesondere nicht zum Eingehen unangemessener Ri-siken verleiten. Grundsätzlich waren also eine Vielzahl von Ideen und Parameter in Bezug auf die Regelung der Vorstandsvergütung bereits im DCGK enthalten. Aller-dings waren sie durchweg nur als Anregungen und nicht als Empfehlungen, die in der Entsprechenserklärung des § 161 AktG Niederschlag gefunden hätten, ausgestaltet. Abweichungen vom DCGK mussten insofern also nicht publiziert werden.

III. Neue Regelungen durch das VorstAGÜbergeordneter Regelungszweck des VorstAG ist es, die kurzfristige Ausrichtung der Bemessungsgrundlagen für die Vorstandsvergütung einzudämmen und stattdessen die Vorstandsvergütung an einer nachhaltigen Unterneh-mensentwicklung zu orientieren. Es sollen hier in erster Linie langfristige Anreizstrukturen geschaffen werden, da Vergütungen und Bonusregelungen, die an kurzfri-stigem Unternehmenserfolg orientiert waren als einer der maßgeblichen Gründe für das Ausbrechen der Fi-nanzmarktkrise identifiziert wurden7. Im Unterschied zu den Regelungen des DCGK hat das VorstAG diese Rege-lungskomponenten mit verbindlichem Gesetzescharakter ausgestattet.

1. Die Neufassung des § 87 Abs. 1 AktGNach § 87 Abs. 1 AktG n.F. hat der Aufsichtsrat nun-mehr bei der Festsetzung der Gesamtbezüge8 des ein-zelnen Vorstandsmitglieds dafür zu sorgen, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen. Nach der Gesetzesbegründung sollen durch diese For-

7 BT-Drucks. 16/12278, S. 1 und 5; Nicolay, NJW 2009, 2640.8 Das Gesetz nennt hier Gehalt, Gewinnbeteiligungen, Aufwandsentschä-digungen, Versicherungsentgelte, Provisionen sowie anreizorientierte Ver-gütungszusagen wie zum Beispiel Aktienbezugsrechte.

mulierung die Kriterien der Angemessenheitsprüfung weiter konkretisiert und im Hinblick auf die Langfri-stigkeit der Anreize und Nachhaltigkeit des Vorstands-handelns fortentwickelt werden9. Anhand des Kriteriums der Angemessenheit lässt sich jedoch kein konkreter Be-trag der Vorstandvergütung ermitteln, sondern lediglich eine Bandbreite zulässiger Vergütungen bestimmen10. § 87 Abs. 1 AktG n.F. stellt insofern eine Richtlinie für den Aufsichtsrat dar, bei der es weniger darum geht, po-sitiv die angemessene Vergütung zu ermitteln, sondern eklatant unangemessene Vergütungen auszuschließen11. Bezugspunkt für die Angemessenheitsprüfung ist dabei stets die Gesamtvergütung des Vorstands, die sich aus diversen Vergütungsbestandteilen, wie z.B. Aktienopti-onen, Sachvorteilen sowie einem zugesagten Ruhegeld zusammensetzt. Da es sich beim Grundsatz der Angemessenheit um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, sind Kriterien zu dessen Ausfüllung erforderlich, die in Abs. 1 S. 1 schlag-wortartig, aber nicht abschließend12 genannt sind. Das VorstAG hat zur Präzisierung des Angemessenheitskrite-riums die „Leistung des Vorstandsmitglieds“ hinzugefügt sowie das Nichtübersteigen der üblichen Vergütung ohne besondere Gründe als Korrektiv aufgenommen, wobei Letzteres weniger der Konkretisierung der Angemessen-heit, als vielmehr ein zur Angemessenheit hinzutretendes Kriterium zur Begrenzung der Vorstandsvergütung dar-stellt13.

a) Präzisierung des Angemessenheitskriteriums?Neben den Aufgaben des Vorstandsmitglieds sind nun-mehr auch seine persönlichen Leistungen ein Kriterium zur Beurteilung der Angemessenheit der Vergütung. Pro-blematisch daran ist, dass die Festsetzung der Vergütung regelmäßig nur für künftige Leistungen erfolgt, im Zeit-punkt der Festsetzung also noch keine Anhaltspunkte für die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft des jeweiligen Vorstands vorliegen. Aus diesem Grund erscheint das Kriterium der Leistung eher für Vertragsverlängerungen sinnvoll14. Allerdings kann, wenn es sich um einen Erstabschluss eines Vorst andsvertrags handelt, durchaus auch auf die Leistung des Vorstandsmitglieds in seiner ehemaligen Position innerhalb der Gesellschaft Bezug genommen werden. Im Falle einer Besetzung durch Ex-terne müssen Kriterien wie eventuelle Erfolge in ver-gleichbaren bisherigen Positionen des neuen Vorstands-mitglieds genügen15. Das Kriterium der persönlichen

9 BT-Drucks. 16/12278, S. 5.10 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2/1, § 87 Rn. 4.11 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2/1, § 87 Rn. 7.12 Hüffer, AktG, § 87 Rn. 2: Weitere anerkannte Beurteilungsgesichts-punkte sind die Qualifikation, der Marktwert, die konkrete Verhandlungs-lage, die Dauer der Zugehörigkeit zur Gesellschaft etc.13 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2/1, § 87 Rn. 16.14 Hüffer, AktG, § 87 Rn. 2.15 Nicolay, NJW 2009, 2640, 2641; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2/1, § 87 Rn. 13.

Page 25: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 25

Leistung ist indes nicht völlig neu. Schon der DCGK geht in Ziff. 4.2.2 davon aus, dass das Gesetz an dieser Stelle eine Berücksichtigung der persönlichen Leistung des Vorstandsmitglieds verlangt. Eine sachliche Ände-rung gegenüber dem bisherigen Rechtszustand ist damit auch deshalb nicht verbunden, weil auch unter dem al-ten Recht anerkannt war, dass die persönliche Leistung bei der Festsetzung der Vergütung zu berücksichtigen ist16. Schließlich bietet dieses Merkmal dem Aufsichtsrat auch deshalb nur begrenzte Hilfestellung, da die Progno-seunsicherheiten in Bezug auf künftige Leistungen wohl erheblich sind und der Aufsichtsrat darüber hinaus sehr gute Leistungen in Bezug auf die Aufgabenbewältigung erwarten und anderenfalls das Vorstandsmitglied nicht wiederbestellen wird17.

b) Begrenzung durch „übliche Vergütung“Die Neufassung des Gesetzes hat nunmehr aber auch die Üblichkeit der Vergütung als korrigierendes Kriterium eingeführt, die nicht ohne besondere Gründe überstiegen werden darf; da jedoch die Üblichkeit, genau wie die An-gemessenheit, ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, stellt sich die Frage, wie dieser Begriff mit Leben zu füllen ist. Nach der Gesetzesbegründung ist durch die Bezug-nahme auf die übliche Vergütung bei der Festsetzung der Gesamtbezüge auf das Vergleichsumfeld abzustellen. Gemeint sind danach die Branchen-, Größen- und Lan-desüblichkeit, also die Vergleichbarkeit mit dem Vergü-tungsgefüge, wie es in vergleichbaren Unternehmen ge-zahlt wird (sog. horizontale Vergleichbarkeit). Abgestellt werden kann aber auch auf das Lohn- und Gehaltsge-füge innerhalb des Unternehmens selber (sog. vertikale Vergleichbarkeit)18. Dieser angeregte Unternehmensver-gleich stellte sich aber schon deshalb als problematisch dar, weil Unternehmen vergleichbarer Größe, die in derselben Branche aktiv sind, durchaus unterschiedlich erfolgreich wirtschaften können. Unter dieser Prämisse ist aber die Maßgeblichkeit des Vergütungsniveaus der erfolgreichen Gesellschaft für dasjenige der weniger er-folgreichen nicht gerechtfertigt. Insgesamt wird an dem Üblichkeitskriterium neben seiner Unschärfe auch kriti-siert, dass es der Maßgeblichkeit unternehmens- und per-sonenspezifischer Merkmale im Rahmen der Angemes-senheit widerspricht19.Neben dem Begriff der Üblichkeit bereitet auch das Merkmal der „besonderen Gründe“, die eine Überschrei-tung von der üblichen Vergütung rechtfertigen sollen, Probleme. Als besondere Gründe sollen vor allem As-pekte wie die besondere Eignung des Vorstandsmitglieds für die Position in Betracht kommen. Aus Sicht des Auf-sichtsrats ist jedoch bereits fraglich, ob er bei einer jen-seits der Üblichkeit liegenden Gehaltsforderung des po-

16 Hoffmann-Becking/Krieger, NZG-Beil. 2009, 1.17 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2/1, § 87 Rn. 13.18 BT Drucks. 16/12278, S. 5.19 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2/1, § 87 Rn. 16.

tentiellen Vorstands dann schon von besonderen Gründen ausgehen kann, wenn er die Person wegen seiner Bedeu-tung für das Unternehmen „um jeden Preis“ gewinnen oder halten will20. Die in der Literatur genannten Fall-gruppen besonderer Gründe, wie z.B. konkrete höhere Auslands- oder Alternativangebote21, werden jedenfalls nicht immer vorliegen.

Insgesamt dürfte die praktische Anwendung dieser Re-gelungen die Mitglieder des Aufsichtsrats vor erhebliche Probleme stellen. Denn der Spielraum derjenigen Krite-rien, die sie in ihre Entscheidungen mit einzubeziehen haben, ist gewachsen. Es besteht damit die Gefahr, dass seine Mitglieder, die im Falle einer unangemessenen Festsetzung der Vorstandsvergütung persönlich haften, sich mit der Entscheidung über Gebühr schwertun und darauf ausweichen werden, kostspielige Gutachten von externen Vergütungsexperten einzuholen, um das eigene Schadensersatzrisiko zu begrenzen. Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern die Entschei-dung des Aufsichtsrats mit Blick auf die Festsetzung der Vorstandsvergütung auf Basis der genannten Kriterien überhaupt justitiabel ist. Da es sich hierbei um eine un-ternehmerische Entscheidung des Aufsichtsrats handelt, kann sie nur nach den Grundsätzen der business judg-ment rule22 überprüft werden23. Insofern ist die wichtigste Botschaft für den Aufsichtsrat, die bei der Entscheidung in Betracht gezogenen und bewerteten Kriterien, wie auch den gesamten Entscheidungsprozess, ausführlich zu dokumentieren, um im Falle – behaupteter – Abwei-chungen von der angemessenen Vergütung ein „Mehr“ an Rechtfertigung nachweisen zu können24.

Insgesamt ist daher zu § 87 Abs. 1 S. 1 AktG n.F. eine ernüchternde Bilanz zu ziehen, da jedenfalls das Verspre-chen einer Präzisierung des Angemessenheitskriteriums aus Praxissicht nicht eingehalten wurde. Auch in der bisher erschienenen Literatur wird der Satz 1 als völlig missglückt bezeichnet25. Resümierend wird festgehalten, dass die Neufassung bestenfalls weitgehend unschädlich bleibt, weil sich wegen der zahlreichen Unklarheiten konkrete Folgen aus ihr nicht ergeben26.

20 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2/1, § 87 Rn. 17.21 Fleischer, NZG 2009, 801, 802; Spindler, NJOZ 2009, 3282, 3284.22 Gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, auf den § 116 AktG für die Mitglieder des Aufsichtsrats verweist, ist keine für einen Schadenersatzanspruch der Gesellschaft maßgebliche Pflichtverletzung anzunehmen, wenn die Mit-glieder bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise an-nehmen durften, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.23 Hüffer, AktG, § 87 Rn. 8; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2/1, § 87 Rn. 4.24 Spindler, NJOZ 2009, 3282, 3284; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG-Beil. 2009, 1, 2.25 Vgl. z.B. Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1351.26 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2/1, § 87 Rn. 17.

Page 26: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201026

c) Vergütungsbestandteile und nachhaltige Unter-nehmensentwicklungDer § 87 Abs. 1 AktG differenziert seit der Neufassung zwischen börsennotierten und nicht-börsennotierten Ge-sellschaften. In Satz 2 wird nunmehr ausdrücklich fest-gehalten, dass die Vergütungsstruktur bei börsennotierten Gesellschaften auf eine nachhaltige Unternehmensent-wicklung auszurichten ist und variable Vergütungsbe-standteile daher eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben müssen. Vorstandsvergütungen werden regelmä-ßig in einen fixen Vergütungsbestandteil und einen varia-blen Vergütungsbestandteil aufgespalten.

aa) Fixe VergütungDie fixe Vergütung, also ein reines Festgehalt, muss mit Blick auf das Petitum des VorstAG der Ausrichtung an einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung insofern als problematisch bezeichnet werden, als sie keinen Zukunftsaspekt enthält und damit unabhängig von den längerfristigen Auswirkungen der Vorstandstätigkeit ge-schuldet wird; es belohnt (oder sanktioniert) damit nicht die Beiträge des jeweiligen Vorstandsmitglieds zur lang-fristigen Unternehmens(fehl)entwicklung. Dennoch ist auch die Vereinbarung nur eines Festgehalts als mit dem VorstAG im Einklang stehend anzusehen, weil es jeden-falls die vom Gesetzgeber bekämpfte Kurzfristorientie-rung der Vergütungsstrukturen vermeidet27.

bb) Variable VergütungProblematischer sind in dieser Hinsicht die gängigen va-riablen Vergütungsbestandteile der sog. Jahresboni. Dies sind Zahlungen, die an einmalige oder jährliche wieder-kehrende Erfolgskomponenten, wie z. B. bilanzielle Un-ternehmenskennzahlen28, anknüpfen. Gerade bei diesen variablen Vergütungsbestandteilen wurde die Gefahr ge-sehen, dass hier zu kurzfristige Anreize zur Erreichung von Einmaleffekten gesetzt wurden, die zu einer Explo-sion der Vorstandsgehälter führen können, hierbei aber die Nachhaltigkeit der zugrunde liegenden Maßnahmen nicht ausreichend berücksichtigt wurde29. Denn die Ver-einbarung von Jahresboni kann Fehlanreize zur Erzie-lung kurzfristiger Erfolge setzen, mit der Gefahr, dass ein unternehmerisches Strohfeuer belohnt wird, welches aber um den Preis der Eingehung zu hoher Risiken er-kauft wird, um den Begriff der Manipulation einmal zu vermeiden. Der § 87 Abs. 1 S. 3 AktG regelt daher nun-mehr, dass variable Vergütungsbestandteile eine mehr-jährige Bemessungsgrundlage haben sollen.Aufsichtsräte, die diese Vorgabe des VorstAG in der Pra-

27 Hoffmann-Becking/Krieger, NZG-Beil. 2009, 1, 2.28 Z.B. Cashflow, Jahresüberschuss, EBIT (Gewinn vor Zinsen und Steu-ern), EBITDA (Ergebnis vor Zinsen, Steuern, und Abschreibungen) oder Ergebnis je Aktie.29 Fleischer, NZG 2009, 801, 803, spricht von einer verhängnisvollen Fi-xierung auf den nächsten Quartalsbericht und vereinzelte Praktiken zur Manipulation des stichtagsbezogenen Gewinnausweises.

xis umsetzen müssen, sind nun mit der Frage konfron-tiert, wie die Vergütungsprogramme in Bezug auf die variablen Vergütungsbestandteile konkret auszugestalten sind. Weder das Gesetz noch die Gesetzesbegründung sorgen für die gewünschte Klarheit. Denn nach dem Ge-setzeswortlaut „sollen“ variable Vergütungsbestandteile eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben. Damit sind Jahresboni nicht per se verboten. Die Gesetzes-begründung gibt insofern dem Aufsichtsrat als einzige Hilfestellung auf den Weg, dass variable Vergütungsbe-standteile eine Mischung aus kurzfristigeren und lang-fristigeren Anreizen enthalten soll, wenn im Ergebnis ein langfristiger Verhaltensanreiz erzeugt wird30. Ein Jahresbonus ist also nur dann zulässig, wenn durch die Kombination mit zumindest einem mehrjährigen Vergü-tungselement eine Struktur der Vergütung erreicht wird, die in der Gesamtschau einen ausreichenden Anreiz zu langfristigem Handeln und nachhaltiger Unternehmens-entwicklung gibt31. Da es also auf eine Gesamtschau aller Vergütungsele-mente ankommt, steht der Aufsichtsrat vor der schwie-rigen Aufgabe, kurz- und langfristige variable Vergü-tungselemente im Verhältnis zueinander angemessen zu gewichten32. Dies kann durch eine Reihe von Vorkeh-rungen und die Verwendung unterschiedlichster Lang-fristelemente sichergestellt werden. Zu nennen sind hier Aktienoptionsprogramme oder die Gewährung von Jahresboni in Form von Aktien der Gesellschaft als sog. Sachtantieme, wobei die so erworbenen Aktien erst nach einer mehrjährigen Sperrfrist veräußert werden können (sog. Restricted Shares)33. Möglich ist auch eine retro-spektive Ausgestaltung der mehrjährigen Bemessungs-grundlage, bei der z. B. ein Mehrjahresbonus als ein jährlich zu zahlender Bonus ausgestaltet wird, der von Vergangenheitsergebnissen mehrerer zurückliegender Jahre abhängig gemacht wird. Alternativ kann sich die Höhe des Bonus nur auf die Ergebnisse eines Jahres beziehen, die Auszahlung aber prospektiv erst ein oder zwei Jahre später erfolgen und davon abhängig sein, dass das Unternehmen auch in den Folgejahren bestimmte Soll-Ergebnisse nicht unterschreitet (sog. Derferred Bo-nus Schemes)34.

Gerade im Zusammenhang mit Aktienoptionen (Stock Options) hat das VorstAG eine konkrete Änderung mit sich gebracht. Aktienoptionen werden schon in Ziffer

30 Vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13433, S. 10.31 Seibert, WM 2009, 1489, 1490; Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1351.32 Nach Hoffmann-Becking/Krieger, NZG-Beil. 2009, 1, 2, soll als Faust-formel gelten, dass das langfristige Vergütungselement pro Jahr nicht we-niger als die Hälfte aller variablen Vergütungselemente ausmachen darf.33 Hoffmann-Becking/Krieger, NZG-Beil. 2009, 1, 4.34 Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1352; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG-Beil. 2009, 1, 3; ausweislich der Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 16/13433, S. 16, soll die Auszahlung der variablen Vergütungsbestandteile nicht nur hinausgeschoben werden, vielmehr müsse diese an negativen Entwicklungen im gesamten Bemessungszeitraum teilnehmen.

Page 27: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 27

4.2.3. Abs. 3 DCGK als variable Vergütungskomponen-ten mit langfristigem Anreizcharakter genannt. Sie be-rechtigten unter bestimmten festgelegten Bedingungen, z.B. auch dem Eintreffen bestimmter Erfolgsziele, und nach Ablauf bestimmter Wartefristen zum Bezug von Aktien der Gesellschaft zu einem bereits im Zeitpunkt der Gewährung festgelegten Ausübungs- oder Basis-preis. Zur Finanzierung eines Stock Option-Programmes wird bei der Gesellschaft regelmäßig eine bedingte Kapi-talerhöhung gem. § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG durchgeführt. In § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG n.F. ist infolge des VorstAG nun geregelt, dass Aktienoptionen35 erstmals erst nach vier, statt wie bisher nach zwei Jahren, ausgeübt wer-den können. An dieser Regelung ist die Zielrichtung des VorstAG gut zu erkennen, Vorstände an wirtschaftlichen Entwicklungen, auch den negativen, die sich erst über ei-nen längeren Zeitraum hinweg herauskristallisieren, par-tizipieren zu lassen. Bei Aktienoptionen besteht im Fal-le nachhaltig schlechter Unternehmensentwicklung die Gefahr, dass im Zeitpunkt der Ausübung der Optionen der Börsenkurs des Unternehmens niedriger ist, als der zuvor im Rahmen der Option festgelegte Basispreis; der Vorstand hätte dann bei Ausübung der Aktienoption, also bei Bezug der Aktien zum Basispreis, ein „schlechtes Geschäft“ gemacht und so an der negativen Entwicklung partizipiert. Aus diesem Grund wird allgemein vertreten, dass die vier Jahre Wartefrist eine Auslegungshilfe für den Begriff der Mehrjährigkeit in § 87 Abs. 1 S. 3 AktG n.F. sind36.

Exkurs – virtuelle OptionsprogrammeIn der Praxis lässt sich jedoch ein erheblicher Bedeu-tungsrückgang von Aktienoptionsprogrammen konsta-tieren37. Stattdessen ist die Ausgabe virtueller Aktien oder die Einrichtung sogenannter virtueller Optionspro-gramme eine mittlerweile bei den Dax 30-Unternehmen deutlich weiter verbreitete Methode der Langfrist-Incen-tivierung der Führungsebene. Der wesentliche Vorteil im Vergleich zu echten Optionsprogrammen liegt darin, dass hierfür kein Hauptversammlungsbeschluss erforderlich ist, den § 193 AktG für die bedingte Kapitalerhöhung, die Voraussetzung der Herausgabe eines Aktienoptionspro-gramms ist, vorsieht. Bei virtuellen Optionsprogrammen wird der Begünstigte lediglich schuldrechtlich so ge-stellt, als sei er Inhaber von Aktien oder Aktienoptionen. Dabei können die gleichen Erfolgsparameter vereinbart werden, wie bei echten Optionsplänen. Die Begünsti-gten haben aber bei Zielerreichung nicht Anspruch auf den Bezug von Aktien, sondern auf Zahlung einer Geld-summe in Höhe des Betrages, den sie durch den Bezug einer bestimmten Zahl von Aktien zu einem festgelegten Ausgabebetrag und die sofortige Veräußerung dieser Ak-

35 In der Sprache des AktG „Bezugsrechte“ genannt.36 Nicolay, NJW 2009, 2640, 2642; Spindler, NJOZ 2009, 3282, 3285; a.A. Hoffmann-Becking/Krieger, NZG-Beil. 2009, 1, 3.37 Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1357.

tien hätten. Dabei kommen im Wesentlichen zwei Vari-anten virtueller Optionsprogramme vor. Bei sogenannten Stock Appreciation Rights verpflichtet eine bestimmte absolute oder relative Steigung des Aktienkurses die Ge-sellschaft zu einer Geldzahlung regelmäßig in Höhe der Differenz zwischen dem aktuellen Aktienkurs und einem vereinbarten Ausgabebetrag. Bei sogenannten Phantom Stocks dagegen wird der Begünstigte so gestellt, als sei er während der Laufzeit des Programms Inhaber einer be-stimmten Anzahl von Aktien gewesen. Außer der Kurs-entwicklung werden dabei auch Dividendenausschüt-tungen berücksichtigt38. Hintergrund auch der Gestaltung von virtuellen Optionsprogrammen ist die Idee, einen Vergütungsanspruch des Vorstands eng an das Unterneh-mensschicksal, das sich auf dem Kapitalmarkt in dem Kurs der jeweiligen Aktie ausdrückt, zu binden und das Vorstandsmitglied so zu nachhaltiger, langfristiger und risikooptimierter Unternehmensführung anzuhalten.

cc) Begrenzungsmöglichkeit für außerordentliche EntwicklungenNach § 87 Abs. 3 Halbsatz 2 AktG soll der Aufsichts-rat für außerordentliche Entwicklung eine Begrenzungs-möglichkeit vereinbaren. Diese Regelung soll vermei-den, dass der Vorstand durch bedeutsame, aber seltene Maßnahmen wie Unternehmensübernahmen, Veräuße-rung von Unternehmensteilen, Hebung stiller Reserven oder anderen externen Einflüssen, die zu sog. „windfall profits“ führen können, sein eigenes Gehalt kurzfristig erheblich steigert. Auch dieses Erfordernis einer Be-grenzungsmöglichkeit der variablen Vergütung (sog. „Cap“) war bereits im DCGK enthalten und ist nunmehr als zwingendes Recht ausgestaltet. Hinsichtlich der kon-kreten Ausgestaltung lässt der Gesetzgeber dem Auf-sichtsrat einen weiten Entscheidungsspielraum. Mög-lich sind hier allgemein gehaltene Vorbehalte oder feste Höchstbeträge.

2. Die Herabsetzung der Vorstandsgehälter nach § 87 Abs. 2 AktGSchon § 87 Abs. 2 AktG a.F. sah die Berechtigung des Aufsichtsrats vor, die Vorstandsvergütung angemes-sen herabzusetzen, wenn nach der Festsetzung eine so wesentliche Verschlechterung in den Verhältnissen der Gesellschaft eintrat, dass die Weitergewährung der ur-sprünglichen Vergütung eine schwere Unbilligkeit für die Gesellschaft darstellen würde. Nach der Neufassung „soll“ der Aufsichtsrat eine Herabsetzung auf eine an-gemessene Höhe beschließen, wenn sich die Lage der Gesellschaft nach der Festsetzung so verschlechtert, dass die Weitergewährung der Bezüge unbillig für die Gesellschaft wäre. Die Einführung dieser Sollvorschrift, zusammen mit einer Herabsetzung des Wesentlichkeits-schwelle, führt hier zu einer deutlichen Verschärfung der

38 Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2/1, § 87 Rn. 79.

Page 28: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010

linklaters.de/karriere

Praktikanten (w/m) vom 21.02. bis 01.04.2011 in Frankfurt am Main und vom 14.02. bis 25.03.2011 in Düsseldorf

Nur eine praxisnahe Ausbildung garantiert realistische Einblicke in die Arbeit und Atmosphäre einer Sozietät, daher ist uns die Ausbildung unserer Praktikanten ein besonderes Anliegen.

Jedes Jahr im Frühjahr und Sommer findet an den Standorten Düsseldorf und Frankfurt am Main unser praxis.programm statt. In sechs Wochen geballter Praxis bieten wir Ihnen die Möglichkeit, die tägliche Arbeit in einer der führenden internationalen Sozietäten hautnah zu erleben. Vorträge und Workshops zu rechtlichen und anderen berufsspezifischen Themen vermitteln Ihnen theoretische Grundlagen. Veranstaltungen zum gegenseitigen Erfahrungsaustausch runden das Programm ab.

Bewerben Sie sich als fortgeschrittener Jurastudent (w/m) mit exzellenten Studien- leistungen mit Ihren vollständigen Unterlagen bitte bis spätestens Mitte Januar 2011. Bitte geben Sie dabei die von Ihnen präferierten Einsatzbereiche als auch den gewünschten Standort an.

Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung (bevorzugt per E-Mail) an:

Linklaters LLPBerit Sedlaczek Recruitment Manager +49 69 71003 341 [email protected]

Mehr als nurein Praktikum.

Page 29: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 29

Rechtslage. Anstelle einer freien Ermessensentscheidung soll der Aufsichtsrat nach dem Willen des Gesetzgebers künftig nur noch bei Vorliegen besonderer Umstände von einer Herabsetzung absehen können39. Trotz geänderten Wortlauts kann für die Frage, unter welchen Vorausset-zungen eine Herabsetzung zu erfolgen hat, weiter auf die zu diesem Themenkreis ergangene Rechtsprechung und Literatur zurückgegriffen werden40. Zusätzlich gibt die Gesetzesbegründung als Hilfestellung beispielhaft eine Lage vor, in der die Gesellschaft Entlassungen oder Lohnkürzungen vornehmen muss oder keine Gewinne mehr ausschütten kann41. Maßgeblich ist aber auch, dass die Weitergewährung der Bezüge für die betroffene Gesellschaft unbillig sein muss. Nach der Gesetzesbegründung soll dies immer dann der Fall sein, wenn der Vorstand pflichtwidrig gehandelt hat oder die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft je-denfalls in der Zeit seiner Vorstandsverantwortung fällt und ihm zurechenbar ist42. Es wird also ein Kausalzu-sammenhang zwischen Handlung des Vorstands und Verschlechterung der Lage der Gesellschaft hergestellt und gefordert. Der Aufsichtsrat ist mit anderen Worten gehalten, zu prüfen, ob die Verschlechterung wirklich mit einem konkreten Vorstandshandeln in Verbindung steht oder an anderen Faktoren, z. B. einer gesamtwirt-schaftlichen Entwicklung, festzumachen ist. Hier stellt sich auch die Frage, ob insofern eine Gleichbehandlung aller Vorstände bei der Herabsetzung vorzunehmen ist, oder die Vergütung nur einzelner Vorstände aufgrund ihrer Fehlsteuerung herabzusetzen ist43. Dem Grundsatz der Gesamtverantwortung aller Vorstandsmitglieder wür-de es eigentlich widersprechen, die Vorstandsmitglieder mit einer Herabsetzung der Vergütung ungleichmäßig zu belasten. Die Gesetzesbegründung ist vor diesem Hin-tergrund systemwidrig44. Im Ergebnis kann daher nur aus sachlichem Grund im Falle einer nachgewiesenen Schlechtperformance eines individuellen Vorstandsmit-glieds von dem Grundsatz der Gesamtverantwortung ab-gewichen werden und eine Ungleichbehandlung gerecht-fertigt sein45. Da derartige Sonderfälle aber bereits das Ausmaß einer Treuepflichtverletzung des Vorstandsmit-glieds gegenüber der Gesellschaft erreichen dürfte, in der es treuwidrig wäre, wenn die ursprünglich vereinbarte Vergütung weiter verlangt und bezahlt würde, stellt sich die Frage, inwiefern § 87 Abs. 2 AktG für die Sanktionie-rung individueller Leistungen von Vorstandsmitgliedern eine eigenständige Bedeutung erlangen wird.

De facto handelt es sich bei der Herabsetzungsmöglich-

39 BT-Drucks. 16/13433, S. 16; Fleischer, NZG 2009, 801, 804.40 Nicolay, NJW 2009, 2640, 2643.41 BT-Drucks. 16/12278, S. 7.42 BT-Drucks. 16/12278, S. 7.43 Spindler, NJOZ 2009, 3282, 3286; Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1353.44 Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1353, bezeichnet sie als unausgegoren.45 Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1353.

keit des § 87 Abs. 2 AktG um ein einseitiges Recht der Gesellschaft, vertreten durch den Aufsichtsrat, zur Lö-sung von einer vertraglichen Vereinbarung zu Lasten des Vorstandsmitglieds. Als Ausgleich für diesen Eingriff in die Vertragsfreiheit46 gewährt § 87 Abs. 2 Satz 4 AktG dem Vorstandsmitglied ein Sonderkündigungsrecht von sechs Wochen. Der Aufsichtsrat ist also in der undank-baren Situation, einerseits in einer kritischen Lage der Gesellschaft mit einem gewissen gesetzgeberischen Druck für die Herabsetzung der Vorstandsvergütung zur Herstellung einer für die Gesellschaft angemessenen Vergütungssituation verantwortlich zu sein, gleichzeitig aber sehenden Auges das reelle Risiko zu schaffen, dass – was gerade in einer Krise der Gesellschaft verheerende Auswirkungen haben kann – ein Vorstandsmitglied die Gesellschaft verlässt. Kontrovers diskutiert – auch unter verfassungsrecht-lichen Gesichtspunkten – wurde im Gesetzgebungsver-fahren die in § 87 Abs. 2 Satz 2 AktG neu eingeführte Möglichkeit, Ruhegehälter, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art innerhalb der ersten drei Jah-re nach dem Ausscheiden des jeweiligen Vorstandsmit-glieds aus der Gesellschaft ebenfalls herabzusetzen47. Auch hier gilt, dass die Kürzung nur dann eingreifen soll, wenn die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft dem ausgeschiedenen Vorstandsmitglied zugerechnet werden kann. An dieser Stelle wird ebenfalls die grundsätzliche Zielrichtung des VorstAG deutlich, Vorstände zu nach-haltiger Unternehmensführung anzuhalten, wenn es die Möglichkeit gewährt, nachträglich wirtschaftliche Fehl-entwicklungen, die zurechenbar auf Vorstandsleistungen beruhen, über die Herabsetzung von Ruhegeldern zu sanktionieren. Die verfassungsrechtlichen Bedenken be-stehen darin, dass das Ruhegehalt nach der Rechtspre-chung des BGH ein Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachte Arbeitsleistung ist. Eine Herabsetzung wäre also keine bloße Verweigerung der Weitergewährung der für die Zukunft vereinbarten Bezüge, sondern eine rückwirkende Entziehung der Gegenleistung für bereits erbrachte Leistungen und damit eine Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot48. Auf Grund der genannten Probleme wird in der Literatur bereits vorausgesagt, dass eine Herabsetzung der Vor-standsvergütung nach § 87 Abs. 2 AktG eine seltene Aus-nahme bleiben wird49.

3. Haftung der Mitglieder des AufsichtsratsIn § 116 Satz 3 AktG n.F. ist nun geregelt, dass die Auf-sichtsratsmitglieder namentlich zum Ersatz verpflich-

46 In der Literatur wird kritisch von einer beträchtlichen Aufweichung des Grundsatzes der Vertragsstabilität gesprochen, Fleischer, NZG 2009, 801, 804.47 Die Regelung wird als system- und verfassungswidrig kritisiert, Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum AktG, Band 2/1, § 87 Rn. 105; Hohen-statt, ZIP 2009, 1349, 1353; a.A. Fleischer, NZG 2009, 801, 804.48 Hoffmann-Becking/Krieger, NZG-Beil. 2009, 1, 8.49 Hoffmann-Becking/Krieger, NZG-Beil. 2009, 1, 8.

Page 30: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010

Erleben Sie fokussierten Teamgeist

in einem inspirierenden Umfeld.

Teamspirit ist das A und O. Er hat uns zu dem gemacht, was wir heute sind. Allen & Overy LLP ist eine der führenden internationalen Anwaltsgesellschaften, die in allen wichtigen Bereichen wirtschaftsrechtlicher Beratung tätig ist. Weltweit sind wir mit etwa 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an 36 Standorten von Abu Dhabi bis Warschau vertreten. Gestalten Sie unseren Erfolgsweg in Deutschland mit. Sie werden weit kommen.

Inhouse Event: Corporate /M&A am 1. und 2. Oktober 2010 in Frankfurt am Main

Lernen Sie unser Corporate-Team kennen! Gewinnen Sie im Rahmen praxisnaher Fallstudien spannende Einblicke in die verschiedenen Aufgabenfelder unserer Anwälte. Erfahren Sie aus erster Hand interessante Details zu den Tätigkeitsbereichen Mergers & Acquisitions, Aktien- und Konzernrecht sowie Equity Capital Markets. Sprechen Sie mit Partnern und Associates über Einstiegsmöglichkeiten, Ihre individuelle Karriereplanung und unser Ausbildungsangebot. Lassen Sie sich darüber hinaus von einem attraktiven Rahmenprogramm überraschen.

Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung! Wenn Sie als angehende Juristin/angehender Jurist fachlich exzellente Leistungen vorweisen können und einen Blick hinter unsere Kulissen werfen möchten, dann bewerben Sie sich mit Ihren vollständigen Unterlagen. Die Teilnehmerzahl für diesen Workshop ist begrenzt. Bitte lassen Sie uns deshalb Ihre Bewerbung frühzeitig zukommen – spätestens jedoch bis zum 10. September 2010. Sie sind selbstverständlich unser Gast und wir übernehmen gerne Ihre Reise- und Übernachtungskosten.

Sie erreichen uns per E-Mail an [email protected] oder über unsere Homepage unter www.allenovery.com/careers. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an:

Nadine Klimt, Tel. (0 69) 26 48 59 07 Verena Szulczyk, Tel. (0 69) 26 48 56 65

Arbeitsrecht • Bank- und Finanzrecht • Dispute Resolution/Arbitration • Energierecht • Gesellschaftsrecht Gewerblicher Rechtsschutz • Immobilienrecht • Kapitalmarktrecht • Kartellrecht • Mergers & AcquisitionsÖffentliches Recht • Private Equity • Restrukturierung und Insolvenzrecht • Steuerrecht • Telekommunikationsrecht

Top-Arbeitgeber

Law 2009

trendence

Abu Dhabi

Amsterdam

Antwerpen

Athen

Bangkok

Bratislava

Brüssel

Budapest

Bukarest*

Doha

Dubai

Düsseldorf

Frankfurt

Hamburg

Hongkong

Jakarta*

London

Luxemburg

Madrid

Mailand

Mannheim

Moskau

München

New York

Paris

Peking

Perth

Prag

Riad*

Rom

São Paulo

Schanghai

Singapur

Sydney

Tokio

Warschau

*assoziiertes Büro

Page 31: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 31

tet sind, wenn sie eine unangemessene Vergütung fest-setzen. Diese Gesetzesänderung hat nach allgemeiner Meinung lediglich deklaratorischen Charakter, da schon nach altem Recht die Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 116 Satz 1 AktG in Verbindung mit § 93 Abs. 2 AktG für schuldhafte Verletzungen individueller Pflichten der Gesellschaft gegenüber gesamtschuldnerisch auf den Er-satz des hieraus entstandenen Schadens hafteten50. Der Gesetzgeber verspricht sich von der expliziten Regelung der persönlichen Haftung für den Fall der unangemes-senen Festsetzung von Vorstandsvergütungen allerdings eine Bewusstseinsschärfung bei den Aufsichtsräten51. Die klarstellende Regelung in § 116 AktG kann aller-dings auch einen ungewünschten Effekt mit sich brin-gen. Aufsichtsratsmitglieder, die sich ihrer persönlichen Haftung stets bewusst sind, werden vor allem aufgrund der komplexer gewordenen Regelung und verschiedenen Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit nunmehr besonders darauf bedacht sein, bei der Bemessung der Vorstandsbezüge keinen Fehler zu machen. Dies, in Verbindung mit der weiteren Erneuerung, dass über die Vorstandsvergütung nur noch Gesamtaufsichtsrat und nicht mehr der Personalausschuss Beschluss fassen kann (§ 107 Abs. 3 S. 3 AktG n.F.), könnte die Effektivität und die Entscheidungsfreude dieses Gremiums zu stark be-hindern52. Es zeichnet sich sogar deutlich die Gefahr ab, dass Entscheidungen hinausgezögert und Sachverständi-gengutachten sogenannter Vergütungsexperten abgewar-tet werden. Wenn sich auf Grund dessen ein interessierter Kandidat für den Vorstandsposten dazu entschließt, zur entscheidungsfreudigeren, insbesondere ausländischen Konkurrenz zu gehen, ist für die Gesellschaft weniger ge-wonnen, als von der Regelung ursprünglich angedacht53.

4. Say on Pay – Votum der Hauptversammlung zum VergütungssystemFür börsennotierte Gesellschaften hat das VorstAG eine weitere Neuerung mit sich gebracht, deren Wirkung sich in der laufenden Hauptversammlungssaison lang-sam abgezeichnet hat54. Nach § 120 Abs. 4 AktG kann die Hauptversammlung nunmehr über die Billigung des Vergütungssystems der Vorstandsmitglieder beschließen. Dieser Beschluss ist rechtlich nicht verbindlich. Er lässt

50 Fleischer, NZG 2009, 801, 804; Seibert, WM 2009, 1489, 1491.51 Ausweislich der BT-Drucks. 16/12278, S. 6, geht der Gesetzgeber davon aus, dass diese Haftung den Betroffenen derzeit offenbar nicht ausreichend bewusst sei.52 Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1355, der darauf hinweist, dass auf Grund der persönlichen Haftung für (vermeintlich) unverhältnismäßige Vergü-tungsfestsetzung nur die zustimmenden Aufsichtsratsmitglieder haften, und daher das Risiko besteht, dass insbesondere Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat häufig von einem positiven Votum zurückschrecken werden.53 Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1355, weist darauf hin, dass nach der Kri-se der Wettbewerb um Talente nicht beseitig worden, sonder vielmehr im vollen Gange ist.54 Beispiele bei Schüppen, ZIP 2010, 905, 908; zu unterschiedlichen Erfah-rungswerten des „Say on Pay“ in England Fleischer, NZG 2009, 801, 805; skeptisch auch Seibert, WM 1489, 1491.

die Verpflichtung des Aufsichtsrats, die Festsetzung der Vorstandsvergütung zu bestimmen, aber auch seine dies-bezügliche Alleinentscheidungsbefugnis unberührt. Der Gesetzgeber setzt damit allein auf die rein tatsächliche Wirkung eines öffentlichkeitswirksamen Missbilligungs-beschlusses der Hauptversammlung, in der er bereits eine ausreichende Sanktion sieht. In der konkreten Anwen-dung funktioniert dieses Instrument so, dass der Punkt „Billigung des Vergütungssystems“ entweder auf Verlan-gen einer in § 122 Abs. 2 AktG qualifizierten Aktionärs-minderheit, oder auf Vorschlag der Verwaltung (Vorstand und Aufsichtsrat gem. § 124 Abs. 3 AktG) auf die Tages-ordnung gesetzt wird. In der Hauptversammlung würde der Aufsichtsrat dann die Vergütungsstruktur, insbeson-dere die Aufteilung in feste und variable Bestandteile, die Langfristanreize und Bemessungsgrundlagen und ihre Auswirkungen auf die nachhaltige Unternehmens-entwicklung erörtern55. Erteilt die Hauptversammlung die Billigung, können Aufsichtsrat und Vorstand öffent-lichkeitswirksam von sich behaupten, in Bezug auf die Vergütungsstruktur die Aktionäre im Rücken zu haben. Erfährt das Vergütungssystem nicht die Billigung der Hauptversammlung, könnte die entsprechende, daraufhin folgende negative Öffentlichkeit Vorstand und Aufsichts-rat zur Überdenkung ihrer Vergütungsstrukturen anhal-ten56. Doch auch Kritik wird an dem System des „Say on Pay“ laut. Denn für einflussreiche Aktionäre, die das in § 122 Abs. 2 AktG genannte Quorum erfüllen, bietet die Sorge von Vorstand und Aufsichtsrat vor negativer Öf-fentlichkeit durch einen Missbilligungsbeschluss einen gewissen Hebel, um andere Interessen und Forderungen gegenüber Vorstand und Aufsichtsrat durchzusetzen. Da es sich hierbei aber meist um institutionelle Anleger wie Portfolio-Investoren oder Hedgefonds handelt, die ihrer-seits nur kurz- bis mittelfristig in einem Unternehmen engagiert sind, besteht die Gefahr, dass die vom Gesetz-geber verfolgte nachhaltige Unternehmensentwicklung in ihr Gegenteil verkehrt wird.

5. Karenzzeit für den Wechsel von Vorständen in den AufsichtsratDas VorstAG hat neben Regelungen, die unmittelbar das Vergütungssystem betreffen, auch Neuerungen in Bezug auf Regelungen mit sich gebracht, die eher mittelbar zu wirtschaftlichen Fehlentscheidungen, Misswirtschaft und Missbräuchen geführt hatten. Als Beispiel hierfür sei der neue § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG genannt. Danach kann nicht Aufsichtsratmitglied werden, wer in den letzten zwei Jahren Vorstandsmitglied derselben börsennotierten Gesellschaft war. Hintergrund dieser Regelung ist, dass Vorstände nach Ablauf ihrer Amtszeit nicht unmittelbar in den Aufsichtsrat wechseln sollen, in dem sie anderenfalls über wirtschaftliche Fehlentschei-55 Hüffer, AktG, § 120 Rn. 20.56 Spindler, NJOZ 2009, 3282, 3290, spricht von einem zahnloser Tiger, der aber über den Weg der Publizität Auswirkungen haben dürfte.

Page 32: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201032

dungen ihrer vorherigen Kollegen oder gar sich selbst zu Gericht sitzen müssten. Es wurde weiter befürchtet, dass das ehemalige Vorstandsmitglied den neuen Vorstand behindern und die Bereinigung strategischer Fehler oder die Beseitigung von Unregelmäßigkeiten aus der eige-nen Vorstandszeit unterbinden könne. Das Gesetz sieht eine Ausnahme für solche Fälle vor, in denen die Wahl des ehemaligen Vorstandsmitglieds auf Vorschlag von Aktionären, die mehr als 25% der Stimmrechte erhalten, geschieht. Hintergrund dieser Ausnahmeregelung ist, dass Gesellschaften, die nicht vom Streubesitz dominiert werden, sondern in denen Anteile gebündelt sind, z.B. bei Familienaktionären oder Stiftungen, das Viertel der Aktionäre selber entscheiden soll, ob ein weiteres Tätig-werden des ehemaligen Vorstands als Kontrolleur für die Gesellschaft von Vorteil oder von Nachteil ist.

IV. Reaktionen börsennotierter Aktiengesell-schaften auf das VorstAGIm Folgenden soll einmal ein – nicht abschließender – Überblick über die Art und Weise gegeben werden, wie börsennotierte Aktiengesellschaften auf das VorstAG reagiert haben. Hierzu empfiehlt sich ein Blick in die jeweils aktuellen Geschäftsberichte der Aktiengesell-schaften, die gem. § 315 Abs. 2 Nr. 4 HGB innerhalb ihres Konzern-Lageberichts auch auf die Grundzüge des Vergütungssystems im Rahmen eines sogenannten „Ver-gütungsberichts“ eingehen sollen. Hierin geben die Ge-sellschaften umfassend Auskunft über die Struktur ihres Vergütungssystems. Dort sind auch, um den Vorgaben des Gesetzes über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen (VorstOG)57 gerecht zu werden, für jedes einzelne Vor-standsmitglied die individuellen Vergütungsleistungen aufgeschlüsselt58. Ein Großteil der Gesellschaften kon-statiert in ihren Vergütungsberichten, die Vorgaben des DCGK sowie des VorstAG bereits eingehalten zu haben. Andere Gesellschaften berichten ausführlich darüber, mit welchen Maßnahmen und Anpassungen sie die Umset-zungen des VorstAG erreichen wollen.

1. Bayer AGAls Beispiel sei die Bayer AG genannt, die in ihrem Geschäftsbericht 2009 vom Aufsichtsrat beschlossene Anpassungen darstellt, wie die Anforderungen des VorstAG erfüllt werden. Bayer geht davon aus, durch eine Stärkung der Langfristkomponente ein Verhältnis von ca. 30% Festvergütung, 30% kurzfristiger variabler Vergütung und 40% langfristiger variabler Vergütung zu erreichen59. So hat der Aufsichtsrat beschlossen, um die

57 Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen (Vorstandsver-gütungs-Offenlegungsgesetz – VorstOG) vom 3. August 2005, BGBl. I, S. 1267.58 Diese Offenlegungspflicht wurde im Rahmen des VorstOG in § 285 Nr. 9 lit. a Satz 5-7 HGB aufgenommen.59 Bayer AG, Geschäftsbericht 2009, S. 98; abrufbar unter www.investor.bayer.de/berichte/geschaeftsberichte.

Nachhaltigkeit und Langfristigkeit der Vergütungsstruk-tur weiter zu erhöhen, die bisherige kurzfristige variable Vergütung der Vorstände aufzuteilen. Zukünftig werden 50% der kurzfristigen variablen Vergütung im Folgejahr ausgezahlt. Die verbleibenden 50% werden in eine neue aktienbasierte Langfristvergütungskomponente über-führt und in Form von virtuellen Bayer-Aktien gewährt, die einer dreijährigen Sperrfrist unterliegen. Der Wert dieser virtuellen Aktien hängt dann von der Entwick-lung der Bayer-Aktie während der Sperrfrist ab. Durch die 50% Aufteilung innerhalb der kurzfristigen varia-blen Vergütungskomponente wird die Bayer AG dem im VorstAG angelegten Diversifikationsgedanken gerecht. Die kurzfristige variable Vergütung wird nämlich nicht nur an Unternehmenskennzahlen (die durch Einmalef-fekte oder kurzfristig wirkende, aber langfristig riskante Geschäfte manipulierbar sind) geknüpft; vielmehr wird durch die gleichzeitige Anknüpfung der verbleibenden 50% der kurzfristigen variablen Vergütung an den Akti-enkurs im Zusammenhang mit einer Sperrfrist das Vor-standsmitglied zu einem nicht unerheblichen Teil einer langfristigen Unternehmensentwicklung sowohl im posi-tiven, wie auch im negativen Sinne beteiligt. Eine weitere Maßnahme, die der Förderung der Langfristigkeit und Nachhaltigkeit der Vergütungsstruktur dienen soll, ist die freiwillige Selbstverpflichtung des Bayer-Vorstands, er-weiterte Haltevorschriften für Aktien (Share Ownership Guidelines) zu erfüllen. Diese sehen vor, dass der Vor-standsvorsitzende in Zukunft 150% und die anderen Vor-standsmitglieder 100% eines jährlichen Festeinkommens in Bayer-Aktien halten müssen. Auch dahinter steckt die Hoffnung, den Vorstand durch ein derartig hohes finan-zielles Engagement zu einer nachhaltigen und risikobe-wussten Unternehmensführung anzuhalten.

2. Siemens AGAuch die Siemens AG berichtet, bereits im Jahr 2008 ihr Vergütungssystem grundlegend umgestaltet und auf das Ziel der Nachhaltigkeit ausgerichtet zu haben. Ähn-lich wie die Bayer AG, hat auch sie Share Ownership Guidelines eingeführt. Danach sind die Mitglieder des Vorstands für die Dauer ihrer Zugehörigkeit zum Vor-stand verpflichtet, eine Beteiligung im Unternehmen im Gegenwert eines vielfachen des Grundeinkommens (im Falle des Vorstandsvorsitzenden 300% des Grund-einkommens) zu halten. Bei etwaigen Kursverlusten der Siemens-Aktie besteht eine Verpflichtung für den Vorstand zum Nacherwerb, um die entsprechenden Ge-genwerte zu erreichen. Damit werden die Mitglieder des Vorstands langfristig am Kursgewinn wie auch an Kurs-verlusten der Siemens-Aktie beteiligt60.

3. Deutsche Post AG

60 Siemens AG, Geschäftsbericht 2009, S. 28; abrufbar unter www.siemens.com/investor/de/finanzberichte/geschaeftsberichte.htm.

Page 33: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 33

Schließlich erörtert auch die Deutsche Post AG in ihrem Vergütungsbericht, dass die vom jährlichen Geschäfts-erfolg abhängige Vergütungskomponente entsprechend den Vorgaben des VorstAG um eine Nachhaltigkeits-komponente erweitert worden ist, um die Ausrichtung der Vorstandsvergütung auf eine nachhaltige Unterneh-mensentwicklung zu erhöhen. Danach wird der varia-ble Jahresbonus künftig, auch wenn die vereinbarten Ziele erreicht worden sind, nicht mehr vollständig auf Jahresbasis ausgezahlt. 50% des Jahresbonus werden stattdessen in eine neue Mittelfristkomponente mit drei-jährigem Bemessungszeitraum (wobei das erste Jahr als „Leistungsphase“ und die zwei nachfolgenden Jahre als „Nachhaltigkeitsphase“ bezeichnet werden) überführt. Eine Auszahlung dieser Mittelfristkomponente erfolgt erst nach Ablauf der Nachhaltigkeitsphase und nur, wenn die von einer bestimmten Unternehmenskennzahl (EBIT after Asset Charge)61 abhängigen Zielwerte während der Nachhaltigkeitsphase erreicht werden. Bei Nichterfül-lung des Nachhaltigkeitskriteriums entfällt die Zahlung ersatzlos. Die Regelung wirkt somit im Sinne eines Ma-lussystems, das die Ausrichtung der Vorstandsvergütung auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung stärkt62.

V. ResümeeBeim Versuch einer zusammenfassenden kritischen Würdigung des VorstAG kommt man zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber hier ein Regelwerk verabschiedet hat, das Licht und Schatten aufweist. Bei rein recht-licher Beurteilung der Änderungen ist festzustellen, dass diese die Rechtsunsicherheit für die Anwender, also die Aufsichtsratsmitglieder eher erhöht denn beseitigt ha-ben. Ihnen sind zwei weitere, unscharfe Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit an die Hand gegeben worden, die die Entscheidungsfreude des Gremiums nicht fördern werden und externen Vergütungsberatern erfreuliche Zuwachsraten bescheren dürften. Eine Präzi-sierung des Kriteriums der Angemessenheit ist jedenfalls nicht gelungen. Weitere Neuerungen sind lediglich de-klaratorischer Natur, so dass auch ihre Einführung keine wesentlichen, rechtlich motivierten Änderungen der der-zeitigen Vergütungspraxis mit sich bringen dürften. Ein wesentlicher Kritikpunkt besteht schließlich darin, dass das VorstAG sich in weiten Teilen darauf beschränkt, bis dato unverbindliche Anregungen des DCGK in das AktG zu überführen. Angesichts des hohen Befolgungsgrades des Kodex bestand hierzu streng genommen kein Anlass. Es hätte daher ausgereicht, der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex die Möglichkeit zu geben, den DCGK an aktuelle Entwicklungen anzu-passen63 und die darin enthaltenen vergütungsbezogenen Aspekte mit Empfehlungscharakter auszustatten.

61 Gewinn nach Kapitalkosten.62 Deutsche Post AG, Geschäftsbericht 2009, S. 114; abrufbar unter www.dp-dhl.com/de/investoren/publikationen/geschaeftsberichte.html.63 So Schüppen, ZIP 2010, 905, 908.

Gleichzeitig hat das VorstAG – allerdings eher auf der tat-sächlichen Ebene – bereits Auswirkungen auf die Vergü-tungspraxis gezeigt. Dies belegt die in den Vergütungsbe-richten der Gesellschaften dokumentierte Befassung der Aufsichtsräte mit dem VorstAG und den entsprechenden Anpassungen der Vergütungsstruktur. Gerade eine der als am kritischsten beurteilten Neuregelungen des VorstAG, die Einführung des Vergütungsvotums durch die Haupt-versammlung (Say on Pay) in § 120 Abs. 4 AktG, findet in der Praxis überwältigende Akzeptanz. Bei zahlreichen Unternehmen hat die Verwaltung die Beschlussfassung über die Billigung des Vergütungssystems auf die Ta-gesordnung gesetzt64. Die Zahl der Unternehmen, bei denen diese Beschlussfassung auf Verlangen der Akti-onäre auf die Tagesordnung gesetzt wurde, ist dagegen gering. Offensichtlich fürchten die Unternehmen negati-ve Presseberichterstattung, die bei Aufnahme dieses Ta-gesordnungspunkts auf Verlangen der Aktionäre und bei Verweigerung des Billigungsvotums die unweigerliche Folge wäre, so sehr, dass sie lieber proaktiv den Schul-terschluss mit den Aktionären suchen und die Billigung des Vergütungssystems von sich aus zur Abstimmung stellen. Es bleibt abzuwarten, ob am Ende des Tages das Say on Pay diejenige Regelung des VorstAG ist, die den meisten Einfluss auf die Veränderung der Vergütungs-struktur deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften haben wird.65

64 Eine nicht abschließende Auflistung von Dax 30-Unternehmen, die die-sen Tagesordnungspunkt aufgenommen haben, findet sich bei Schüppen, ZIP 2010, 905, 908.* Dr. Jan Hermes ist Rechtsanwalt bei der Sozietät GLADE MICHEL WIRTZ in Düsseldorf.

Page 34: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201034

Wechselbezügliche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament

Von Verena Lerch, Frankfurt a.M.*

A. EinleitungDas Gesetz eröffnet den Ehegatten – und nur diesen – gemäß § 2265 BGB die Möglichkeit, ihre letztwilligen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament festzuhalten. Diese Testamentsform bietet die Möglich-keit zu einer Nachlassgestaltung, die im Gegensatz zum beurkundungspflichtigen Erbvertrag nicht so stark form-gebunden ist, sowie die Möglichkeit, die Versorgung des länger lebenden Ehegatten zu regeln. Diese Regelung, die den Eheleuten eine privilegierte Testamentsgestal-tung ermöglicht, ist Ausdruck des Gesetzgebers, das In-stitut der Ehe zu schützen.

Innerhalb des gemeinschaftlichen Testaments sind die Ehegatten nach Maßgabe der §§ 2265 ff. BGB in ihren letztwillig getroffenen Verfügungen frei. Im Gegensatz zum Einzeltestament ergibt sich im gemeinschaftlichen Testament die Besonderheit, gemäß der §§ 2270 f. BGB wechselbezügliche Verfügungen zu treffen, die ihrem In-halt nach so eng miteinander verknüpft sind, dass sie nur gemeinsam bestehen können. Sie werden im Vertrauen aufeinander abgegeben und bedürfen daher eines beson-deren gesetzlichen Schutzes.

Ein Problem in der Praxis stellt – wenn festgestellt wur-de, dass es sich um ein gemeinschaftliches Testament handelt – vor allem die Feststellung des Willens des Erb-lassers dar, ob die Verfügungen als wechselbezüglich von den Eheleuten gewollt sind oder nicht. Die Unterschei-dung fällt teilweise selbst Experten schwer, besonders wenn das Testament nicht mithilfe eines Notars erstellt wurde. Trotz der Formfreiheit sollten die Erblasser das Testament also dennoch gut – und am besten mit fach-licher Beratung – erstellen, gerade da im Zeitalter der Computertechnik viele Testamentsvorlagen im Internet zu finden sind, die der Laie übernimmt, ohne sie exakt zu lesen. Die Wechselbezüglichkeit wird in diesen Vorlagen oft nicht beschränkt, sodass der Erblasser mit Erstellen des Testaments ungewollt seine Testierfreiheit verliert.

B. Zustandekommen und Inhalt des gemeinschaft-lichen TestamentsDas gemeinschaftliche Testament ist die Zusammen-fassung von gemeinschaftlich getroffenen letztwilligen Verfügungen mehrerer Personen1. Das Wesen dieser Testamentsform besteht darin, dass es aufgrund eines gemeinsamen Entschlusses gemeinschaftlich errichtet 1 Erman/Schmidt, Vor § 2265 Rdn. 1 BGB.

wird, was gemäß § 2265 BGB allein Ehegatten vorbehal-ten ist. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die ein-getragene Lebenspartnerschaft (LPartG) am 01.08.2001 kann ein gemeinschaftliches Testament jedoch nicht nur von Ehegatten, sondern auch von Lebenspartnern errich-tet werden, § 10 Abs. 4 S. 1 LPartG. Verlobte oder nichteheliche Partner können kein gemein-schaftliches Testament errichten, sondern vor Eheschlie-ßung nur einen Erbvertrag vereinbaren. Sofern sie ein Testament errichten, das – da es nicht dem Erfordernis des § 2265 BGB genügt – kein gemeinschaftliches ist, können die getroffenen Verfügungen eines Beteiligten als einseitige letztwillige Verfügungen aufrecht erhalten werden, falls sie nach dem Willen des Testierenden nicht wechselbezüglich sind und den Formerfordernissen eines Einzeltestaments entsprechen2. Rechtlich charakterisiert liegt das gemeinschaftliche Te-stament zwischen dem einseitigen Testament und dem Erbvertrag. Das Unterscheidungskriterium zwischen allen bildet die jeweils unterschiedlich ausgeprägte Bin-dungswirkung. So unterscheidet sich das gemeinschaft-liche Testament vom Erbvertrag vor allem darin, dass der Erbvertrag eine Doppelnatur hat – er ist nämlich sowohl Vertrag, als auch Verfügung von Todes wegen – wohin-gegen das gemeinschaftliche Testament nur Verfügung von Todes wegen und kein Vertrag ist3. Selbst wenn wechselbezügliche Verfügungen vorliegen, hat das ge-meinschaftliche Testament keinen vertraglichen Charak-ter, da es die Ehegatten zu Lebzeiten gerade nicht bindet, § 2271 Abs. 1 BGB. Das einseitige Testament ist hin-gegen bis zum Tod des Erblassers frei widerruflich und danach anfechtbar4.

Der Begriff der „Gemeinschaftlichkeit“ des Testaments wurde in der Literatur und Rechtsprechung oft verschie-den interpretiert. So war es nach der heute nicht mehr vertretenen objektiven Theorie erforderlich, dass die Erklärungen inhaltlich aufeinander Bezug nahmen und äußerlich in einer Urkunde zusammengefügt waren5. Die Ansicht ist heute vor allem deshalb nicht mehr über-zeugend, da sie auf dem § 2267 a.F. BGB beruhte, dem-gemäß der Ehegatte, der die Erklärung für das gemein-schaftliche Testament nicht eigenhändig aufgeschrieben hatte, eine ausdrückliche Beitrittserklärung abgeben

2 OLG Düsseldorf FamRZ 1997, 771.3 Erman/Schmidt, Vor § 2265 Rdn. 1 BGB.4 Erman/Schmidt, § 2271 Rdn. 1 BGB.5 Erman/Schmidt, Vor § 2265 Rdn. 1 BGB; RGZ 72, 204 f.

Page 35: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 35

musste6. Nach § 2267 n.F. BGB genügt es zur Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments daher, dass beide Ehegatten das Testament eigenhändig unterschreiben. Die Gemeinschaftlichkeit des Testaments ist nach heute vertretener Ansicht also nicht mehr an den äußerlichen Merkmalen des Testaments fest zu machen, sondern es ist allein auf den Willen des Erblassers abzustellen.

C. Wechselbezügliche Verfügungen von Todes wegen In einem gemeinschaftlichen Testament trifft zunächst jeder Ehegatte für sich letztwillige Verfügungen. Diese können aber auch aufeinander bezogen sein und sind dann wechselbezüglich7.

I. Begriff der Wechselbezüglichkeit Letztwillige Verfügungen, die Ehegatten in einem ge-meinschaftlichen Testament getroffen haben, sind gem. § 2270 Abs. 1 BGB dann wechselbezüglich, wenn an-zunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen „stehen und fallen“ soll8. Das Gesetz regelt wechselbezügliche Verfügungen nur für das gemeinschaftliche Testament, welches nur von Ehegatten und Lebenspartnern errichtet werden kann. Verfügungen beispielsweise von Nichtehegatten, fallen daher nicht unter § 2270 BGB, sondern können aller-höchstens nach § 2078 Abs. 2 BGB oder durch eine Be-dingung gemäß § 158 BGB eine der Wechselbezüglich-keit ähnliche Wirkung entfalten9. Da § 2270 BGB nur für gemeinschaftliche Testamente gilt, findet die Vorschrift keine Anwendung, wenn zwei Erblasser getrennt testie-ren wollen.

Die Wechselbezüglichkeit ist charakterlich eher so zu deuten, dass die beiden Testierenden bei ihrer Verfügung gleiche Motive haben, als dass es sich um wechselseitige Bedingungen handelt oder gar um Leistung und Gegen-leistung wie bei gegenseitigen Verträgen10. Es ist daher nicht notwendig, dass die Ehegatten sich gegenseitig be-denken, sondern auch möglich, dass Dritte im Rahmen wechselbezüglicher Verfügungen im Testament bedacht werden11. II. Gegenstand der WechselbezüglichkeitNach § 2270 Abs. 3 BGB können nur die Erbeinset-zung, das Vermächtnis oder die Auflage wechselbezüg-

6 Erman/Schmidt, § 2267 Rdn. 1 BGB.7 Erman/Schmidt, Vor § 2265 Rdn. 5 BGB.8 Frieser/Dingerdissen, § 2270 Rdn. 1 BGB; Zimmer, NJW 2009, 2364.9 Soergel/Wolf, § 2270 Rdn. 2 BGB.10 MünchKomm/Kanzleiter, § 2270 Rdn. 4 BGB.11 Erman/Schmidt, § 2270 Rdn. 2.

lich verfügt werden. Die Erblasser können selbst durch eine ausdrückliche testamentarische Anordnung für an-dere letztwillige Verfügungen keine Wechselbezüglich-keit herbeiführen12. Andere als die in Abs. 3 genannten Verfügungen wie z.B. die Enterbung (§ 1938 BGB), die Pflichtteilsentziehung (§§ 2333 ff. BGB), die Vormund-bestellung (§ 1777 Abs. 3 BGB) etc. können daher auch nach dem Tod des erstverstorbenen Ehegatten frei wider-rufen werden13. Darunter fällt grundsätzlich auch die Testamentsvoll-streckung. Der überlebende Ehegatte kann in der Regel den Testamentvollstrecker, der im gemeinschaftlichen Testament benannt ist, für seinen Nachlass auswechseln oder die Testamentsvollstreckung aufheben14. Etwas an-deres muss jedoch gelten, wenn die spätere Regelung die durch eine wechselseitige Verfügung eingesetzten Erben beeinträchtigt15. Dies gilt insbesondere bei einer nach-träglichen erstmalig angeordneten Testamentsvollstre-ckung, weil hierin ein unzulässiger Widerruf einer sonst beschränkten Erbeinsetzung liegt, es sei denn die Ausle-gung des gemeinschaftlichen Testaments lässt eine ent-sprechende Befugnis des Überlebenden erkennen16. Das bloße Auswechseln des Testamentsvollstreckers stellt nach allgemeiner Ansicht keine Beeinträchtigung des Er-ben dar – die Einsetzung eines weiteren Testamentsvoll-streckers hingegen schon. Auch die Teilungsanordnung kann keine wechselbezüg-liche Wirkung gemäß § 2270 Abs. 3 BGB entfalten und somit noch nachträglich vom überlebenden Ehepartner widerrufen werden. Nach Auffassung des BGH ist dem überlebenden Ehegatten daher eine nachträgliche erstma-lige Anordnung der Teilungsanordnung, bzw. ihre „Aus-wechslung“ selbst dann erlaubt, wenn dem überlebenden Ehegatten diese Berechtigung im gemeinschaftlichen Testament oder im Erbvertrag nicht ausdrücklich vorbe-halten worden ist17.

III. Die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGBWenn die Testamentsauslegung nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, § 133 BGB, zu keinem eindeu-tigen Ergebnis führt und nach Prüfung aller Umstände immer noch Zweifel an der Wechselbezüglichkeit beste-hen, kann die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB Anwendung finden18. Gemäß § 2270 Abs. 2 BGB ist die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen im Zweifel anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen

12 Soergel/Wolf, § 2270 Rdn. 14.13 Erman/Schmidt, § 2270 Rdn. 6.14 OLG Hamm DNotZ 2001, 713; KG Berlin FamRZ 1977, 485; Staudin-ger/Kanzleiter, § 2270 Rdn. 19.15 BayObLG FamRZ 1991, 111; OLG Frankfurt WM 1993, 803; OLG Hamm ZEV 2001, 271.16 OLG Frankfurt WM 1993, 803; Saarl ObLG Saarbrücken FamRZ 1992, 111, 113; Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rdn. 16.17 BGH NJW 1982, 441.18 OLG Hamm FamRZ 2004, 662; MünchKomm/Musielak, § 2270 Rdn. 9.

Page 36: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201036

Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Ver-fügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht.

1. Gegenseitige Zuwendung der Ehegatten, § 2270 Abs. 2 Alt. 1 BGBNach § 2270 Abs. 2 Alt. 1 BGB können sich die Ehe-gatten gegenseitig bedenken. Dies kann entweder durch Erbeinsetzung oder Vermächtnis geschehen19. Es genügt hierbei, dass ein Ehegatte den Anderen zum Erben ein-setzt und dieser ihn dann mit einem Vermächtnis be-denkt20. Eine in der Praxis oft vorkommende Konstellation ist, dass die Eheleute sich gegenseitig als Erben einset-zen und die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben des Letztversterbenden bestimmen. Fallen die Schlusserben jedoch weg und sind keine weiteren Bestimmungen im Testament getroffen, müssen die Ersatzerben durch Aus-legung ermittelt werden. Das Gesetz bietet hierzu einige Auslegungsregeln. Da § 2270 Abs. 2 BGB selbst auch eine Auslegungsregel ist, könnte die kumulative Anwen-

19 Palandt/Edenhofer, § 2270 Rdn. 7.20 OLG Hamm FamRZ 1994, 1210, 1212.

dung weiterer Auslegungsregeln jedoch gesperrt sein.

a) Anwendung der allgemeinen Auslegungs-grundsätzeDie Testamentsauslegung nach den allgemeinen Ausle-gungsgrundsätzen ist nach allgemeiner Auffassung aner-kannt21.

b) Anwendung des § 2069 BGBEine Anwendung der Auslegungsregel des § 2069 BGB ist hingegen umstritten. Rechtsprechung und Litera-tur lehnen die Anwendung des Abs. 2 in diesem Fall ab, wenn die Auslegungsregel des Abs. 2 mit der des § 2069 BGB kumuliert. Die Schließung der Erbenlü-cke durch die Ersatzberufung der Abkömmlinge müsse vom Erblasser gewollt und erkennbar sein. Sofern die Ersatzerbenberufung allein auf die Auslegungsregel des § 2069 BGB gestützt werden muss – weil sie sich durch Auslegung nicht anders ermitteln lässt – gelte § 2270 Abs. 2 BGB nicht, da dies nichts über eine Bin-dung des überlebenden Ehegatten besagt22. Das Kumu-lationsverbot könne allerdings dann nicht gelten, wenn

21 Palandt/Edenhofer, § 2270 Rdn. 7; Frieser/Dingerdissen, § 2270 Rdn. 19; Erman/Schmidt, § 2270 Rdn. 5.22 BGH NJW 2002, 1126; BayObLG FamRZ 2004, 1671; Frieser/Dinger-dissen, § 2270 Rdn. 20.

Anwalt der Anwälte

Die DAV-Anwaltausbildung – fürs Referendariat, fürs Examen, für den Beruf. Jetzt mit LL.M. „Anwaltsrecht und Anwaltspraxis“. Weitere Informationen unter www.dav-anwaltausbildung.de.

Erfolg ist planbar.Mit dem neuen LL.M.

„Anwaltsrecht und Anwaltspraxis“.

NeuerLL.M.

Page 37: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010

Anwalt der Anwälte

Die DAV-Anwaltausbildung – fürs Referendariat, fürs Examen, für den Beruf. Jetzt mit LL.M. „Anwaltsrecht und Anwaltspraxis“. Weitere Informationen unter www.dav-anwaltausbildung.de.

Erfolg ist planbar.Mit dem neuen LL.M.

„Anwaltsrecht und Anwaltspraxis“.

NeuerLL.M.

37

weitere Umstände des Einzelfalls auf eine gewollte Wechselbezüglichkeit hindeuten, und § 2069 BGB nur zu ihrer Manifestierung herangezogen werden muss. Denkbar ist dies beispielsweise, wenn eine enge Bindung der Erblasser zu ihrem Enkelkind als Ersatznacherbe be-steht23.

c) Anwendung des § 2102 Abs. 2 BGBNachdem der BGH sich für ein Kumulationsverbot des § 2069 BGB ausgesprochen hat, ist fraglich, ob dann die Anwendung des § 2102 Abs. 2 BGB neben § 2270 Abs. 2 BGB Platz findet. Der Unterschied zu § 2069 BGB besteht allerdings darin, dass der Nacherbe nach § 2102 Abs. 2 BGB der Ersatzerbe werden könnte, von dem Erblasser selbst benannt wurde, sodass hier der Wille des Testierenden recht eindeutig ist. Die Anwendung des § 2102 Abs. 1 BGB abzulehnen, macht daher – im Ge-gensatz zu § 2069 BGB – wenig Sinn.

d) Anwendung des § 2018 Abs. 2 S. 1 BGBEine kumulative Anwendung des § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB zur Bestimmung des Ersatznacherben ist möglich, wenn dieser Ersatznacherbe eine nahe stehende Person ist. Im Gegensatz zu § 2069 BGB, der nur im Zweifelsfall an-zuwenden ist, enthält § 2108 Abs. 2 BGB den Regelfall und kollidiert daher nicht mit der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB24.

2. Zuwendung an Verwandte des anderen Ehe-gatten, § 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGBDie zweite Alternative des Abs. 2 greift in dem Fall, dass ein Ehegatte dem anderen etwas zuwendet und dieser für den Fall seines Überlebens einen Verwandten oder eine sonst nahe stehende Person des Erstverstorbenen be-denkt. Die Wechselbezüglichkeit wird darin gesehen, dass der zugewendete Ehegatte als eine Art Gegenleistung zu-gunsten Verwandter oder nahe stehender Personen des anderen Ehegatten Zuwendungen macht25. Folglich ist die Einsetzung eigener Verwandter des zugewendeten Ehegatten durch diesen selbst nicht von der Auslegungs-regel des Abs. 2 erfasst26. Wer mit dem Erstverstorbenen verwandt ist, regelt § 1589 BGB. Das Verwandtschafts-verhältnis muss dabei im Zeitpunkt der Testamentserstel-lung noch nicht bestanden haben. Statt eines Verwandten kann auch eine Person vom erst-versterbenden Ehegatten begünstigt werden, die ihm „nahe steht“, zu der also zumindest der begünstigende Ehegatte eine enge, persönliche, innere Beziehung hat, die mindestens dem üblichen Verhältnis zu nahen Ver-wandten entspricht27. Der Begriff des „Nahestehens“

23 OLG Hamm ZEV 2004, 68; BayObLG 2004, 244, 245.24 Frieser/Dingerdissen, § 2270 Rdn. 21.25 OLG Koblenz FamRZ 2007, 1917.26 Erman/Schmidt, § 2270 Rdn. 5.27 MünchKomm/Musielak, § 2270 Rdn. 13.

wird hierbei jedoch streng ausgelegt, um die Auslegung nicht zum Regelfall werden zu lassen28. Gute Nachbar-schaft29 genügt hierbei genauso wenig wie die Beziehung zu noch nicht geborenen Kindern, zu denen ebenfalls kein nahes Verhältnis i.S.d. § 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGB be-stehen kann30. Auch zwischen verschwägerten Personen kann nicht ohne weiteres ein nahes Verhältnis angenom-men werden – es ist jeweils im Einzelfall aufgrund des zwischen den Personen bestehenden Verhältnisses zuei-nander zu entscheiden.

IV. Wechselbezügliche Verfügungen im Berliner Te-stamentEine besondere Form des gemeinschaftlichen Testaments ist das sog. Berliner Testament, in welchem die Ehegatten sich gegenseitig und einen Dritten zu Erben des Überle-benden einsetzen31. Die Wechselbezüglichkeit ist bei dieser Testamentsform zwar in aller Regel – gerade bei intakten Familienver-hältnissen – der Fall, muss jedoch immer durch Ausle-gung überprüft werden, da es auch möglich ist, dass der Erblasser die Wechselbezüglichkeit eben nicht gewollt hat32. Denkbar ist die in der Praxis häufig auftretende Kon-stellation, dass die Ehegatten sich in ihrem Testament gegenseitig zu Erben einsetzen und für ihre Kinder eine sog. Pflichtteilsstrafklausel aufnehmen. Eine Pflichtteils-strafklausel bewirkt, dass der von beiden Ehegatten ein-gesetzte Erbe, der nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten den Pflichtteil fordert, auch nach dem Tod des letztverbliebenen Ehegatten nur den Pflichtteil be-kommt33. Damit soll der im Testament Begünstigte davon abgehalten werden, den Pflichtteil zu fordern. Haben die Ehegatten in dem Testament nun die Erb-einsetzung Dritter vergessen, kann die Pflichtteilsstraf-klausel als bindende Schlusserbeneinsetzung der Kin-der interpretiert werden34. Nimmt man dies an, muss dann in einem weiteren Schritt geprüft werden, ob diese Schlusserbeneinsetzung als wechselbezügliche Verfü-gung auszulegen ist.

Fraglich ist aber zunächst, ob beim Einsetzen der Kin-der als Erben und dem gleichzeitigen Aufnehmen einer Pflichtteilsstrafklausel überhaupt von einer Schlusser-beneinsetzung ausgegangen werden kann, auch wenn dies nicht ausdrücklich im Testament erwähnt ist. Nach Rechtsprechung und überwiegender Literatur kann ein Testament mit einer solchen Klausel dahingehend ausgelegt werden, dass die gemeinsamen Kinder als

28 OLG Hamm FamRZ 2001, 1647, 1649; BayObLG Rpfleger 1983, 155.29 OLG Hamm FamRZ 2001, 1647, 1649.30 KG Berlin FamRZ 1983, 98, 99.31 Erman/Schmidt, § 2269 Rdn. 1.32 Erman/Schmidt, § 2270 Rdn. 2.33 Bambring/Mutter, C.VI.5.34 Frieser/Dingerdissen, § 2270 Rdn. 10.

Page 38: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201038

Schlusserben der Eheleute benannt sind35. Auch wenn die Schlusserbeneinsetzung der Kinder im Testament nicht ausdrücklich erfolgt ist, so sei sie dennoch in der Pflichtteilsstrafklausel konkludent enthalten und von den Eheleuten beim Aufnehmen dieser Klausel als selbstver-ständlich gewollt. Sie ausdrücklich im Testament zu er-wähnen sei daher nicht erforderlich36. Während diese Auslegung des Testaments besonders von der Rechtsprechung befürwortet wird37, gibt es aber auch Stimmen in der Literatur, die diese Ansicht nur unter der Einschränkung vertreten, dass die Pflichtteilsstrafklausel zwar ein Hinweis auf die Schlusserbeneinsetzung sein kann, zu ihrer Annahme jedoch weitere Anhaltspunkte vorliegen müssen38. Die Ehepartner können nämlich mit der Pflichtteilsstrafklausel einzig die Absicht verfolgt haben, den überlebenden Ehegatten davor zu schützen, dass ein Kind nach dem Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangt, was beispielsweise dann sinnvoll ist, wenn die vererbte Vermögensmasse vor allem aus Im-mobilien besteht, die der verbliebene Ehegatte veräußern müsste, um die Auszahlung des Pflichtteils möglich zu machen. Insoweit kann die Klausel auch Sinn machen, wenn sich hinter ihr keine Schlusserbeneinsetzung der Kinder verbirgt. Es könne daher aus der Pflichtteilsstraf-klausel allein nicht der Schluss gezogen werden, dass die Kinder, die den Pflichtteil nicht verlangen, zu Schlusser-ben eingesetzt sind39.

Folgt man aber nun der Argumentation der Rechtspre-chung, gelangt man also bei der Auslegung des Testa-ments zu dem Ergebnis, dass neben der Pflichtteilsstraf-klausel auch die Einsetzung der gemeinschaftlichen Kinder als Schlusserben gewollt war, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, ob es sich hierbei um eine wechselbezügliche Verfügung i.S.d. §§ 2270, 2271 BGB handelt. Dabei ist auch hier durch Auslegung nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen für jede Verfügung zu ermitteln, ob eine Wechselbezüglichkeit von den Erb-lassern gewollt war oder nicht40. Geht man nun davon aus, dass eine Wechselbezüglichkeit nicht vorliegt, be-schränkt sich die Pflichtteilsstrafklausel dann darauf, das Kind auf den Pflichtteil des überlebenden Ehegatten zu setzen, – wenn es beim erstversterbenden Ehegatten seinen Pflichtteil schon verlangt – was der überlebende Ehegatte nach dem Tod des erstverstorbenen Ehegatten nachholen könnte. Liegt jedoch Wechselbezüglichkeit bezüglich der Schlusserbeneinsetzung der Kinder vor,

35 BayObLGZ 1960, 216; OLG Frankfurt FamRZ 2002, 352; OLG Saar-brücken NJW-RR 1994, 844; Staudinger/Kanzleiter, § 2269 Rdn. 24.36 DNotI-Report 2002, 97; SaarländObLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 844.37 BayObLG FamRZ 1988, 878; MünchKomm/Musielak, § 2269 Rdn. 12; Soergel/Wolf; 2269 Rdn. 14; Staudinger/Kanzleiter, § 2269 Rdn. 24.38 Staudinger/Kanzleiter, § 2269 Rdn. 24.39 OLG Karlsruhe ZEV 2006, 409.40 SaarländObLG Saarbrücken NJW-RR 1994, 844; DNotI-Report 2002, 97.

besteht diese Möglichkeit für den überlebenden Ehegat-ten nicht. Es spricht also mehr dafür – wenn bereits die Schlusserbeneinsetzung wegen der im Testament enthal-tenen Pflichtteilsstrafklausel bejaht wurde – auch von der Wechselbezüglichkeit auszugehen. Sofern die Pflicht-teilsstrafklausel als Erbeinsetzung auszulegen ist, wird in der Regel auch die Wechselbezüglichkeit hinsichtlich dieser Erbeinsetzung gewollt sein41.

D. Bindungswirkung der Wechselbezüglichkeit, § 2271 BGBIm Gegensatz zu den einseitigen Verfügungen im gegen-seitigen Testament, die vom Erblasser gemäß § 2253 Abs. 1 BGB jederzeit widerrufen werden können, unterliegen die wechselbezüglichen Verfügungen von Todes wegen den Bindungswirkungen der §§ 2270 Abs. 1, 2271 Abs. 1, 2 i.V.m. § 2289 Abs. 1 BGB analog. Die Bindungs-wirkung zeigt sich darin, dass ein Widerruf nur zu Leb-zeiten beider Ehegatten nach Maßgabe des § 2271 Abs. 1 BGB möglich ist und das Recht zum Widerruf gemäß § 2271 Abs. 2 BGB mit dem Tod des anderen Ehegatten erlischt. Die Vorschrift regelt nur den Widerruf wech-selbezüglicher Verfügungen i.S.d. § 2270 BGB. Einsei-tige Verfügungen kann jeder Ehegatte für sich nach den §§ 2254 ff. BGB widerrufen. Ferner gelten die Beschrän-kungen des § 2271 BGB nur für den einseitigen Widerruf eines Ehegatten; für den gemeinschaftlichen Widerruf von wechselbezüglichen Verfügungen gelten ebenfalls die §§ 2254 ff. BGB.

I. AbhängigkeitswirkungDie Verfügungen sind insofern voneinander abhängig, als sie bei ihrem Widerruf nach § 2271 BGB auch die Unwirksamkeit der anderen wechselbezüglichen Ver-fügung zur Folge haben. Es bedarf dazu keiner geson-derten Widerrufserklärung, sondern die Unwirksamkeit tritt kraft Gesetzes ein, § 2270 Abs. 1 BGB. Hierin wird umso mehr der Unterschied zum Erbvertrag deutlich, dessen vertragsmäßige Verfügungen auch bei Lebzeiten des anderen Ehegatten nicht frei widerrufen werden kön-nen, § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB. Werden also Verfügungen in einem als gemeinschaftlich bezeichneten Testament getroffen und gleichzeitig darin vereinbart, dass sie nicht widerrufen werden oder nur mit beiderseitiger Einwilli-gung abgeändert werden können, ist dies – bei Wahrung der Form des § 2276 BGB – eher als Erbvertrag auszu-legen42.

II. Gemeinsame WiderrufsmöglichkeitenSofern beide Eheleute widerrufen wollen, können sie dies durch ein neues gemeinschaftliches Testament tun, entweder durch Widerrufstestament, § 2254 BGB, oder 41 OLG Hamm FamRZ 2005, 1592, 1594; OLG Frankfurt 2002, 352, 353; Frieser/Dingerdissen, § 2270 Rdn. 10.42 Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rdn. 1; Soergel/Wolf, § 2271 Rdn. 4.

Page 39: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 39

durch ein neues – den ursprünglichen Anordnungen wi-dersprechendes – Testament, § 2258 BGB. Ein Widerruf des gesamten Testaments ist weiterhin möglich durch gemeinsame Rücknahme des notariellen Testaments aus der besonderen amtlichen Verwahrung (§§ 2256, 2272 BGB), durch gemeinschaftliche Ver-nichtung der Testamentsurkunde, (§ 2255 BGB) sowie durch den Abschluss eines Erbvertrags (§ 2289 Abs. 1 S. 1 BGB). Das Erstellen eines einseitigen Testaments des einen Ehegatten mit bloßer Zustimmung des anderen reicht hingegen nicht aus43.

III. Einseitiger Widerruf zu Lebzeiten beider Ehe-partner1. Formelle VoraussetzungenDer einseitige Widerruf einer wechselbezüglichen Ver-fügung von Todes wegen erfolgt gemäß § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB zu Lebzeiten der Ehepartner nach den für den Rücktritt von einem Erbvertrag geltenden Regelungen des § 2296 BGB, also durch persönliche notariell beur-kundete Erklärung gegenüber dem anderen Ehegatten. Der Widerruf durch eine von einem Partner gemachte neue Verfügung von Todes wegen ist nicht möglich, § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB. Es soll hierdurch ein heimlicher Widerruf verhindert werden. Zweck der Regelung ist, dass der Ehepartner, demgegenüber widerrufen wird, die Möglichkeit haben muss, auf den Widerruf entsprechend zu reagieren, indem er z.B. dann auch andere von ihm gemachte wechselbezügliche Verfügung widerruft.

Im Übrigen erfolgt der Widerruf zwingend durch Er-klärung gegenüber dem Ehegatten, § 2296 Abs. 2 S. 1 BGB. Der Widerrufende muss dem anderen Ehegatten daher die Urschrift oder eine Ausfertigung der notariell beurkundeten Widerrufserklärung durch den Gerichts-vollzieher zustellen lassen. Dies folgt aus den §§ 130, 132 Abs. 2 BGB, 166, 171 ZPO44. Die Zustellung einer beglaubigten Abschrift reicht nach Auffassung des BGH nicht aus45.

2. HöchstpersönlichkeitsgebotDa im Erbrecht das Höchstpersönlichkeitsgebot gilt, §§ 2064, 2274, 2377 Abs. 2 BGB, gibt es für Einzeltesta-mente, gemeinschaftliche Testamente und Erbverträge nicht die Möglichkeit der rechtsgeschäftlichen oder ge-setzlichen Vertretung. Damit ist nicht nur jedwedes Te-stieren, sondern auch die Ausübung der Widerrufsrechte gemäß §§ 2253 ff. und § 2271 BGB sowie das erbver-tragliche Rücktrittsrecht gemäß §§ 2293 ff. BGB durch den Betreuer und auch für den Vorsorgebevollmächtig-ten im Namen des geschäftsunfähigen Betreuten bzw.

43 Soergel/Wolf, § 2271 Rdn. 5.44 Soergel/Wolf, § 2271 Rdn. 6.45 BGHZ 48, 374; auch nach Auffassung der Literatur, so: Jauernig/Stürner, § 2271 Rdn. 2.

des Vollmachtgebers ausgeschlossen46. Anderes gilt nur für das Anfechtungsrecht des gesetzlichen Vertreters und damit auch des Betreuers gemäß §§ 2281, 2282 Abs. 2 BGB sowohl beim Erbvertrag, als auch beim gemein-schaftlichen Testament47. Insoweit muss dem Bevoll-mächtigten ebenfalls die Anfechtungsmöglichkeit für den Betreuten offen stehen. Dies ergibt sich – mittelbar – aus dem Subsidiaritätsprinzip gemäß § 1986 Abs. 2 S. 2 BGB. Die Rechtsbefugnisse, die dem mit einer umfas-senden Vollmacht ausgestatteten Vorsorgebevollmächtig-ten zustehen, dürfen demnach nicht kürzer greifen, als diejenigen des Betreuten48.

3. Widerruf gegenüber dem geschäftsunfähigen EhepartnerProbleme ergeben sich beim Widerruf von wechselbe-züglichen Verfügungen, wenn der Widerrufsadressat geschäftsunfähig ist. In der Praxis ist diese Frage des-halb von Bedeutung, weil der Ehepartner gegenüber dem geschäftsunfähigen Ehepartner nicht nur in den Fällen widerrufen möchte, in denen sich die gemachten Verfü-gungen später als nachteilig für ihn herausstellen, son-dern auch dann, wenn sich aufgrund der Geschäftsunfä-higkeit des Ehepartners bei gegenseitiger Einsetzung zu Alleinerben dem Sozialhilfeträger Zugriffsmöglichkeiten eröffnen und der geschäftsfähige Ehepartner dies verhin-dern möchte49.

a) Zulässigkeit des Widerrufs Der Widerruf erfolgt50 durch Übersendung der Urschrift oder der Ausfertigung der notariell beurkundeten Wi-derrufserklärung. Das Gesetz verlangt hierbei weder Geschäfts- noch Testierfähigkeit des Widerrufsgegners. Durch den wirksamen Zugang des Widerrufs werden die betreffenden Verfügungen des geschäftsunfähigen Wi-derrufsgegners unwirksam, und zwar nicht durch eine neue Verfügung seinerseits, welche die Testierfähigkeit nämlich voraussetzen würde, sondern kraft Gesetzes ge-mäß § 2270 Abs. 1 BGB. Nach Ansicht des BGH soll das Erfordernis des Wi-derrufszugangs zu Lebzeiten dem Widerrufsgegner die Möglichkeit geben, gemäß der veränderten Sachlage ent-sprechende Verfügungen zu treffen51. Konsequenterweise müsste, wenn man die Ansicht des BGH auf die vorliegende Fallkonstellation überträgt, ein Widerruf bei Geschäftsunfähigkeit des Ehepartners dau-erhaft ausgeschlossen sein, da dieser ohnehin nicht mehr aufgrund seiner Geschäftsunfähigkeit angemessen da-rauf reagieren kann. Dies widerspricht jedoch dem Cha-rakter der wechselbezüglichen Verfügungen, bei denen

46 Lange, ZEV 2008, 313, 316.47 Lange ZEV 2008, 313, 316.48 Lange ZEV 2008, 313, 316.49 Zimmer, ZEV 2007, 159.50 Es wird auf die Ausführungen unter E. III. 1. verwiesen.51 BGHZ 48, 374; 30, 265.

Page 40: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201040

eine vertragliche Bindung im Gegensatz zum Erbvertrag gerade nicht besteht, und es dem Ehepartner daher mög-lich sein muss, sich von der erbrechtlichen Verpflichtung zu lösen52. Der Vertrauensschutz gebietet es allein, dass der Wider-ruf an eine bestimmte Form gebunden ist, §§ 2296 Abs. 1, 130 ff. BGB; weitere Erfordernisse knüpft das Gesetz nicht an den Widerruf. Zudem kann der geschäftsunfä-hige Ehepartner auch im Rahmen eines Erbvertrags ge-bunden sein, zu dessen Zweck der § 2282 Abs. 1 BGB normiert ist, der für den Geschäftsunfähigen die Anfech-tung des Erbvertrags regelt. Insoweit hat das Recht des widerrufserklärenden Ehepartners Vorrang, sich noch zu Lebzeiten des anderen Ehegatten von einer sonst dro-henden erbrechtlichen Bindung zu lösen. Kommt man zu dem Ergebnis, die Widerrufsmöglichkeit bei bestehender Geschäftsunfähigkeit des Widerrufsgeg-ners zu verneinen, besteht damit für beide Partner eine Bindung an die Verfügungen schon zu Lebzeiten, was der gesetzlichen Regelung widerspricht, dass die Bindungs-wirkung erst nach dem Tod des einen Ehegatten eintreten soll, § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. Dem BGH ging es im be-treffenden Fall auch vielmehr um das Problem, dass der Widerrufsgegners vor Zugang der Widerrufserklärung stirbt. Überwiegende Gründe sprechen also dafür, den Widerruf auch dann zuzulassen, wenn der Widerrufsgeg-ner geschäftsunfähig ist. Soweit der Widerruf gegenüber einem Geschäftsunfä-higen von der Rechtsprechung erörtert wurde, ist er auch durchgängig bejaht worden53. Die Literatur hat sich die-ser Meinung ebenfalls angeschlossen54.

b) Ehepartner als BetreuerNicht selten besteht zwischen dem Betreuer und dem Ehepartner, der den Widerruf aussprechen will, Perso-nenidentität. Es handelt sich hierbei meist – was gerade auch für einseitige Rechtsgeschäfte gilt – um unzulässige In-sich-Geschäfte55, weshalb in derartigen Fällen der Be-treuer sowohl als Erklärender als auch als Erklärungs-empfänger auftritt und deshalb von der gesetzlichen Ver-tretung des Betreuten ausgeschlossen ist, § 1908 i Abs. 1 S. 1 i.V.m. §§ 1795 Abs. 2, 181 BGB. Es ist dann ein Ergänzungsbetreuer nach § 1899 Abs. 4 BGB zu bestel-len, dessen Aufgabenkreis nur soweit reicht wie die Ver-hinderung des Hauptbetreuers besteht.

IV. Bindungswirkung nach dem Tod des erstverstor-benen Ehepartners Mit dem Tod eines Ehegatten tritt die Bindung des Über-lebenden an seine Verfügungen ein, § 2271 Abs. 2 S. 1

52 Reimann/Bengel/Mayer, § 2271 Rdn. 17.53 BayObLG FamRZ 1993, 736, 737; BayObLG DNotZ 1993, 130; BayO-bLG NJW-RR 2000, 1029.54 Scherer/Siegmann, § 9 Rdn. 33; Bamberger/Roth, § 2271 Rdn. 14; Soer-gel/Wolf, § 2296 Rdn. 3.55 AnwK-BGB/Heitmann, § 1903 Rdn. 17.

BGB. Der überlebende Ehegatte ist gemäß § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB insofern gebunden, als er seine wechselbezüg-lichen Verfügungen grundsätzlich nicht mehr aufheben oder ändern kann. Er ist somit in seiner Testierfähigkeit beschränkt, was bedeutet, dass eine von ihm – im Üb-rigen auch schon zu Lebzeiten des anderen Ehegatten – errichtete Verfügung zwar nicht nichtig, aber unwirksam ist, soweit sie im Widerspruch zu den Verfügungen des wechselseitigen Testaments steht56. Genauer betrachtet bedeutet dies, dass die Verfügungen dann unwirksam sind, wenn sie die Rechte der aus dem gemeinschaft-lichen Testament bedachten Personen beeinträchtigen. Dies gilt auch für die – bereits diskutierte – Anordnung einer Testamentsvollstreckung, allerdings nicht für de-ren nachträgliche Aufhebung oder Auswechslung57. Eine Beeinträchtigung liegt ebenfalls in der Anordnung einer Teilungsanordnung, wenn diese zu Wertverschiebungen zu Lasten des Bedachten führt58. Auch ist es dem über-lebenden Ehegatten untersagt, den Erben mit einem Ver-mächtnis zu beschweren59 oder eine Nacherbfolge anzu-ordnen, indem er z.B. die Rechte des Schwiegersohns am Erbteil von Tochter und Enkeln ausschließt. Pflichtteilsentziehungen gehören gemäß § 2270 Abs. 3 BGB nicht zu den wechselbezüglichen Anordnungen. Der überlebende Ehegatte ist also insoweit nicht gebun-den, als er die von beiden Ehegatten gemachte Bestim-mung aufhebt, wonach den Kindern der Pflichtteil ent-zogen wurde, und bestimmt, dass die Kinder zumindest den Pflichtteil aus seinem Nachlass erhalten, auch wenn hierdurch andere wechselbezüglich Bedachte wirtschaft-lich beeinträchtigt werden60.

V. Bindungswirkung nach Ehescheidung Neben der Widerrufsmöglichkeit zu Lebzeiten beider Ehegatten drängt sich die Frage auf, ob ein Widerruf überhaupt erklärt werden muss, wenn unvorhergesehene Umstände wie die Ehescheidung eintreten, oder ob die Wechselbezüglichkeit mit dem rechtskräftigen Schei-dungsurteil endet. Die Diskussion um das Fortbestehen der Wechselbezüglichkeit nach dem Ende der Ehe hat vor allem durch das Urteil des BGH vom 07.07.2004 an Ak-tualität gewonnen.

1. Rechtsauffassung vor dem BGH Urteil Das gemeinschaftliche Testament verliere seine Gültig-keit, wenn die Ehe der Erblasser anders als durch den Tod, wie durch Ehescheidung, gelöst wird61. Da es näm-lich nur von Ehegatten errichtet werden kann, besteht nach der Ehescheidung kein Rechtfertigungsgrund dafür, es aufrecht zu erhalten, und zwar weder nach dem Wort-

56 Soergel/Wolf, § 2271 Rdn. 31.57 KG FamRZ 1977, 485; Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rdn. 33.58 Festschr. Coing, S. 3, 69; Soergel/Wolf, § 2271 Rdn. 16.59 BayObLG FamRZ 1989, 1234.60 Soergel/Wolf, § 2271 Rdn. 18.61 BayObLG DNotZ 1996, 302.

Page 41: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 41

laut der Normen noch nach ihrem Sinn und Zweck. Im Übrigen entspricht die Unwirksamkeit des gemein-schaftlichen Testaments einer Norm im preußischen ALR, die schon den Fall der Ehescheidung regelte. Nach § 489 im „ersten Titel“ des „zweythen Theils“ verlor das ganze wechselseitige Testament von selbst seine Gültig-keit, wenn die Ehe unter den „wechselseitig testirenden“ Eheleuten durch Scheidung getrennt worden war. Allerdings sollten die in einem gemeinschaftlichen Te-stament gemachten wechselbezüglichen Verfügungen62 nach Meinung der Rechtsprechung63 und der überwie-genden Literatur64 über § 2268 Abs. 2 BGB aufrecht er-halten werden können, wenn dies dem wirklichen oder hypothetischen Willen der Verfügenden entspricht. In einem zweiten Schritt stellte sich dann die Frage, ob die über § 2268 Abs. 2 BGB aufrecht erhaltenen Verfü-gungen auch nach der Ehescheidung wechselbezüglich i.S.d. §§ 2270 f. BGB bleiben. Auch dies wurde von Rechtsprechung und der überwiegenden Literatur be-jaht65. Bei näherer Betrachtung steht diese Ansicht aller-dings im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung, wie auch von einigen Stimmen in der Literatur vertreten66. Hätte der Gesetzgeber das Bestehenbleiben der wechsel-bezüglichen Verfügungen gewollt, hätte dies in § 2271 BGB geregelt werden müssen.

2. Meinungsumschwung aufgrund des BGH Urteils vom 07.07.2004Das Urteil des BGH vom 07.07.200467 entfachte wie-derum eine neue Diskussion über den Fortbestand der Wechselbezüglichkeit nach der Ehescheidung. Das Kam-mergericht Berlin sprach sich als Vorinstanz zum BGH zunächst noch gegen eine fortbestehende Wechselbe-züglichkeit nach der Ehescheidung aus und schloss sich damit den ebenfalls kritischen Stimmen in der Literatur an68.Der BGH gibt in seinem Urteil schon im Leitsatz zu erkennen, dass über § 2268 Abs. 2 BGB fortgeltende wechselbezügliche Verfügungen auch nach Eheschei-dung ihre Wechselbezüglichkeit behalten und nicht nach § 2271 Abs. 1 S. 2 BGB durch einseitige Verfügung von Todes wegen aufgehoben werden können. Nach Ansicht des BGH sind Verfügungen allgemein damit entweder nach § 2268 Abs. 1 BGB unwirksam oder gemäß § 2268 Abs. 2 BGB weiterhin wirksam – ungeachtet des wirk-lichen oder hypothetischen Willen des Erblassers – und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch hinsichtlich ihres

62 Auf die Ausführungen von Rechtsprechung und Literatur zu dem Fortbe-stand einseitiger Verfügungen kann im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden.63 BayObLG NJW 1996, 133; OLG Hamm in OLGZ 1994, 326.64 Soergel/Wolf, § 2268 Rdn. 3; Lange/Kuchinke, § 38 I 2.65 Soergel/Wolf, § 2268 Rdn. 3.66 Muscheler, DnotZ 1994, 733, 741; Dittman/Bengel/Reimann, § 2268 Rdn. 5; Staudinger/Kanzleiter, § 2268 Rdn. 11.67 BGH NJW 2004, 3113 ff.68 Bes. Muscheler, DnotZ 1994, 733, 741.

rechtlichen Charakters, was bedeutet, dass wechselbe-zügliche Verfügungen auch wechselbezüglich bleiben und nach Ehescheidung nicht als einseitig umzudeuten sind. § 2268 Abs. 2 BGB spreche insofern eindeutig für die Wechselbezüglichkeit – für die Beschränkung der Wechselbezüglichkeitsgeltung gebe es hingegen keine gesetzlichen Hinweise69. Ein Teil der Literatur schloss sich dieser „Alles-oder-Nichts“-Lösung des BGH an70. Es gibt allerdings auch Stimmen in der Literatur, die den Fortbestand der Wechselbezüglichkeit weiterhin von dem Willen der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentser-richtung abhängig machen71. Um den Forbestand der Wechselbezüglichkeit zu verneinen wird allerdings ein aus dem Testament klar erkennbarer Wille gefordert72, was in der Praxis bedeutet, dass im Testament ausdrück-lich vermerkt sein sollte, dass die wechselbezüglichen Verfügungen nach einer Ehescheidung als nicht wechsel-bezüglich fortgelten sollen. Der BGH verneint weiterhin die von der Rechtsprechung und teilweise Literatur vertretene These, dass die wäh-rend der Ehe bestehende Wechselbezüglichkeit nach der Scheidung automatisch verloren gehe, aufgrund des Unvermögens geschiedener Eheleute, ein gemeinschaft-liches Testament zu errichten73. Die Mehrheit der Litera-tur schloss sich in weiteren Kommentierungen zu dieser Frage dem Urteil des BGH an74. Den Fortbestand wech-selbezüglicher Verfügungen mit diesem Argument zu verneinen, überzeuge nach Ansicht der Literatur schon allein deshalb nicht, weil die Reihenfolge der getroffenen Regelungen (§ 2268 BGB vor § 2271 BGB) und der in § 2271 BGB verwendete Begriff „Ehegatten“, der nach ei-ner Ehescheidung nicht mehr zutreffe, wohl kaum über-zeugende Belege für diese Auffassung seien75.

3. Argumente für die GegenansichtDie Anwendung des § 2268 Abs. 2 BGB, welche für den Fortbestand der wechselbezüglichen Verfügungen spre-chen soll76, wäre allerdings genauso aus den Angeln zu heben, wenn man die Gesetzessystematik betrachtet: denn mit der Wechselbezüglichkeit und ihren Rechtsfol-gen befassen sich erst und nur die §§ 2270, 2271 BGB. Gegenstand des § 2268 BGB sind Verfügungen, und da Abs. 2 sogar an § 2077 Abs. 3 BGB anknüpft, spricht umso mehr dafür, dass § 2268 Abs. 2 BGB Verfügungen nur inhaltlich aufrecht erhalten will und eine Anwendung der Norm auf wechselbezügliche Verfügungen nach Ehe-scheidung daher nur zu dem Ergebnis kommen kann,

69 BGH NJW 2004, 3114.70 LMK 2004, 208, 209; Schlitt, ZEV 2005, 96, 98.71 MünchKomm/Musielak, § 2268 Rdn. 8.72 MünchKomm/Musielak, § 2268 Rdn. 8.73 BGH NJW 2004, 3114.74 MünchKomm/Musielak, § 2268 Rdn. 8; Palandt/Edenhofer, § 2268 Rdn. 2; Müller, Rpfleger 2005, 493, 496; anders hingegen Erman/Schmidt, § 2268 Rdn. 5, der dies verneint, ebenso wie Kanzleiter, ZEV 2005, 181.75 Schmucker, ZNotP 2006, 414, 420.76 Nach Meinung des BGH in NJW 2004, 3113 ff.

Page 42: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201042

dass diese inhaltlich weiterhin bestehen bleiben, ihr rechtlicher Charakter, nämlich die Wechselbezüglichkeit, aber nicht zwingend aufrecht erhalten werden muss77.

Wechselbezüglich errichtete Verfügungen erzeugen zu Lebzeiten keine vertragliche Bindung, sondern bauen auf dem Vertrauen beider Partner auf, dass jeder seine Verfü-gung in Abhängigkeit der vom anderen Partner gemach-ten Verfügungen errichtet, was auch die strenge Form des Widerrufs78 bestätigt. Anknüpfungspunkt für diesen Vertrauensschutz ist die zwischen den Partnern bestehen-de Ehe. Mit dem Auflösen der Ehe entfällt aber dann die Rechtfertigung dieses Vertrauensschutzes, sodass eine weitere Bindung an die Verfügungen keinen Sinn mehr macht79. Weiterer Anhaltspunkt ist § 2271 Abs. 1 BGB, der es beiden Partnern ermöglicht, die Verfügungen zu wider-rufen. Folgt man nun der Ansicht des BGH und nimmt den Fortbestand der Verfügungen als wechselbezüglich an, müsste man den in § 2271 Abs. 1 BGB verwende-ten Begriff des „Ehegatten“ sehr weit auslegen und eher als „Erblasser“ denn als Ehegatte interpretieren, da die Partner eben gerade geschieden sind. Noch abwegiger wäre es, den Widerruf nach Ehescheidung gar nicht zu ermöglichen, wenn man § 2271 Abs. 1 BGB streng aus-legt. Man könnte darin entweder eine Gesetzeslücke se-hen oder ein Argument dafür, dass eine fortbestehende Wechselbezüglichkeit nach der Ehescheidung vom Ge-setz nicht verlangt wird.

4. FazitDer BGH gab mit seinem Urteil vom 07.07.2004 eine klare Linie vor, die sowohl die Literatur als auch die wei-tere Rechtsprechung weitestgehend verfolgte und um-setzte. Lässt man die juristische Argumentation des BGH unbeachtet und beschränkt sich auf die Praxistauglich-keit der Ansicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, so ergibt sich beispielsweise das Problem, dass die mei-sten Ehepartnern eher ein Interesse an der Aufhebung als am Fortbestehen der Verfügungen als wechselbezüglich haben; gerade im Hinblick auf den Fall, dass einer der Ehegatten nach der Scheidung wieder heiraten und dann mit dem neuen Partner ein gemeinschaftliches Testament errichten möchte, statt an die wechselbezüglichen Verfü-gungen mit dem alten Partner gebunden zu sein. Hinzu kommt hierbei das Problem, dass – im Falle des Wider-rufs nach §§ 2271 Abs. 1 S. 1, 2296 BGB – der Wider-rufszugang problematisch sein könnte, da der geschie-dene Ehepartner wohlmöglich an einen unbekannten Ort gezogen ist.

Abgesehen von den Problemen, die sich in der Praxis er-

77 Kanzleiter, ZEV 2005, 181, 182.78 Es wird zu den bereits gemachten Ausführungen über den Widerruf ver-wiesen, E. III. 1.79 Kanzleiter, ZEV 2005, 181, 184.

geben – und zwar sowohl für die „betroffenen“ Geschie-denen als auch für die weitere Rechtsprechung, die dieses Urteil des BGH nicht umgehen kann – soll dahingestellt bleiben, ob die juristische Argumentation des BGH wirk-lich schlüssiger und gesetzlich konsequenter ist, als die bisher vertretene Ansicht vor dem Urteil des BGH80. 81

80 Gemeint ist die bisher vertretene Ansicht sowohl von Rechtsprechung als auch Literatur, vor allem von Muscheler, DNotZ 1994, 733 ff.* Verena Lerch ist Studentin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Page 43: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 43

Women in LawAnwältinnen bei Baker & McKenzie in Düsseldorf

Von Iris Meinking, PR, Baker & McKenzie, Frankfurt a.M.Frauen erobern eine Männerdomäne: 37 Pro-zent der Anwälte, die bei Baker & McKenzie in Deutschland arbeiten, sind weiblich. Grund ge-nug, einige von ihnen genauer unter die Lupe zu nehmen. Was treibt diese Frauen an? Und wel-chen Herausforderungen stellen sie sich täglich? Drei Anwältinnen aus dem Düsseldorfer Büro der Kanzlei, das in den vergangenen Monaten gegen den Markttrend kontinuierlich gewachsen ist, nachfolgend im Portrait.

Wenn Dr. Barbara Deilmann aus dem Fenster ihres Büros auf den Düsseldor-fer Medienhafen schaut, erlebt sie eine der besten Aussichten auf die Rhein-metropole. Seit 2000 ist die Rechts-anwältin im Düsseldorfer Büro von Baker & McKenzie tätig und zählt da-mit zu den rund 30 Berufsträgern, die an diesem Standort arbeiten. Viel Zeit,

den grandiosen Ausblick zu genießen, bleibt der 48-Jährigen im Tagesgeschäft jedoch nicht: Sie berät ihre Mandanten im Gesellschafts-, Umwandlungs- und Kapitalmarktrecht, bei Restrukturierungen und Joint-Venture-Gestaltungen – und das erfordert höchsten Einsatz. Doch damit nicht genug: An Wochenenden schreibt sie häufig an aktuellen gesellschafts-rechtlichen Kommentaren oder Aufsätzen – nicht abrechen-bare Arbeiten, die ihr jedoch „viel Freude machen“, so die Equity-Partnerin.Sie ist ein Mensch der Tat, widmet sich neben ihrem eigent-lichen Job als Anwältin gerne weiteren Aktivitäten. Im Büro hat sie das Office Management auf Anwaltsebene übernom-men und ist Ansprechpartnerin, wenn es zum Beispiel um die Organisation von Veranstaltungen geht.

Feine Antennen gefragt„Ich gebe gerne gute Ratschläge, die auch über das rein Rechtliche hinausgehen“, sagt die Gesellschaftsrechtlerin, die vor ihrer Zeit bei Baker & McKenzie in einer anderen Kanzlei als klassische M&A-Anwältin tätig war. Sie schätzt an ihrer Arbeit, dass im Umgang mit ihren Mandaten feine Antennen und Einfühlungsvermögen gefragt sind. „Wenn ein Mandant die Geschäftsführung der Tochtergesell-schaften neu strukturiert, frage ich etwa schon mal, ob auch bedacht worden ist, wie der- oder diejenige als Geschäfts-führer von x Gesellschaften dies von der Arbeitsbelastung her bewältigen kann“, berichtet Barbara Deilmann aus ih-rem Berufsalltag. Als besonders spannend an ihrer Arbeit empfindet sie, dass sie innerhalb eines Unternehmens, das sie berät, mit un-terschiedlichen Ansprechpartnern in Kontakt kommt. „Ich tausche mich mit der Rechtsabteilung aus, spreche mit der

Geschäftsführung über aktuelle rechtliche Fragen und trete zudem mit den Wirtschaftsprüfern der Gesellschaft in Kontakt.“ Auch hier ist Feinge-fühl im zwischenmenschlichen Umgang angesagt: Es sei, so die Anwältin, schon einmal vorgekom-men, dass die Rechtsabteilung darauf bestanden habe, dass sie ausschließlich mit den Mitarbei-tern der Rechtsabteilung und nicht direkt mit der Geschäftsführung kommuniziere. Es kam dann,

wie es kommen musste, sie lief nach einem Treffen mit der Rechtsabteilung dem CFO des Unternehmens über den Weg und wurde prompt auf den aktuellen Stand des Projekts an-gesprochen. „In dieser Situation so zu reagieren, dass alle zufrieden sind, ist eine echte Herausforderung“, schmunzelt Barbara Deilmann.

Engagiert in NetzwerkenAm Ende eines langen Arbeitstages liegt es ihr jedoch fern, abends auf der Couch die Füße hochzulegen. Seit vielen Jahren engagiert sie sich in einer Reihe von Netzwerken, zum Beispiel im Landesvorstand Rheinland des Verbands Deutscher Unternehmerinnen. Im Rahmen dieses Netz-werks fördert und unterstützt sie junge Frauen auf ihrem Karriereweg. „Ihnen zu zeigen, wie sie ihren beruflichen Weg gestalten und mögliche Hürden aus dem Weg räumen können, ist mir ein besonderes Anliegen“, sagt die geborene Münsteranerin. Und wenn sie sich doch einmal Ruhe gönnt, dann am lieb-sten mit einem guten Krimi oder bei „aktiver Entspannung“ beim Laufen oder Radfahren.

Eigene Abteilung am Standort Düsseldorf aufgebaut Zwei Jahre nach Barbara Deilmann, im Jahr 2002, startete die heutige In-tellectual Property (IP)-Partnerin Dr. Andrea Schmoll nach ihrer Zulassung als Anwältin bei Baker & McKenzie im Frankfurter Büro; 2006 wechsel-te sie zum Düsseldorfer Standort, um dort die Düsseldorfer IP-Abteilung ins Leben zu rufen. „Es reizte mich, den

IP-Bereich der Kanzlei weiter auszubauen und ich habe da-her diese Gelegenheit, die sich mir geboten hat, sofort am Schopf gepackt“, sagt die 37-jährige Anwältin. In der er-sten Zeit galt es, Kontakte zu potenziellen Mandanten zu knüpfen und am Markt visibel zu werden. „Das war sehr zeitintensiv, aber gleichzeitig unglaublich spannend“, blickt Andrea Schmoll auf ihre Anfangszeit im Düsseldorfer Büro zurück. In Sachen Akquise komme es nicht zuletzt darauf an, dass die persönliche Chemie zwischen dem künftigen Mandanten und dem rechtlichen Berater stimme, so die Rechtsanwältin.

Page 44: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201044

Die Begeisterung für ihre Arbeit hält bis heute an. „Man bekommt in der IP-Branche sehr viel über das Innenleben eines Unternehmens mit“, berichtet die Partnerin. So gehört es beispielsweise zu ihrem Tagesgeschäft, sich mit den Pro-duktentwicklern ihrer Mandanten über neue Technologien und mögliche Ein- und Auslizenzierungen auszutauschen.

Beruf und Familie unter einem Hut Wie Barbara Deilmann ist auch Andrea Schmoll eine ak-tive Netzwerkerin. Sie ist z.B. Mitglied der Deutschen Ver-einigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), der Licensing Executive Society (LES) und der Deutsch-Chinesischen Juristenvereinigung. Doch die zwei-fache Mutter engagiert sich nicht nur in öffentlichen Netz-werken, sie hat auch privat ihr eigenes Netzwerk aufgebaut, wenn es um die Betreuung ihrer beiden Kinder geht. Dieses reicht von der Tagesmutter über die Großeltern bis hin zu einigen Babysittern. Als Andrea Schmoll 2009 zur Partnerin gewählt wurde, war ihr Sohn zwei Jahre alt, ihre Tochter kam im Sommer 2010 zur Welt. Wie bei ihrem Sohn plant sie auch beim zweiten Kind eine Elternzeit von rund acht Monaten, dann will sie wieder zu 80 Prozent in ihrem Beruf arbeiten. Dank des Homeoffice, das ihr die Kanzlei bietet, und einer gut organisierten Kinderbetreuung ist dies für sie möglich. Mit dem Thema Kinder geht sie im Berufsleben völlig of-fen um. Oft sei dieses Thema „im Small Talk sogar ein Eis-brecher“, hat die Rechtsanwältin beobachtet. Und als sie in ihrem Homeoffice eine Telefonkonferenz mit einem Man-danten hielt und ausnahmsweise ihr Sohn im Hintergrund zu hören war, habe dieser sehr locker und freundlich rea-giert. Andrea Schmoll ist es gelungen, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren – nicht zuletzt, weil ihr Baker & McKenzie ein entsprechendes Teilzeitmodell angeboten hat. „Das ist für eine Großkanzlei keine Selbstverständlich-keit“, weiß die IP-Expertin aus Erfahrung. Networking betreibt sie natürlich auch innerhalb der Kanz-lei – und zwar vom ersten Tag an. „Wichtig ist es, von Be-ginn an Kontakte zu Kollegen aufzubauen und zu pflegen und im Berufsalltag Augen und Ohren offen zu halten“, rät die erfahrene Anwältin Berufseinsteigern. Dass sich diese Offenheit und Neugierde auszahlt und zum Erfolg führt, hat Andrea Schmoll bewiesen.

Vorstellungsgespräch in „reiner Frauenrunde“Im Herbst 2008 ist Frauke Strybny als Associate im Düsseldorfer Büro von Baker & McKenzie eingestiegen und berät seitdem Mandanten bei Unter-nehmensverkäufen und -käufen sowie in allen Fragen des Gesellschafts-rechts. Ihrem Start gingen zwei per-sönliche Vorstellungsrunden mit ihren heutigen Kollegen voraus. Eines davon

fand in einer „reinen Frauenrunde“ statt, in der sie auf drei Anwältinnen ihrer heutigen Praxisgruppe traf – eine von ihnen war Barbara Deilmann. „Wer denkt, M&A sei eine Männerdomäne, hat weit gefehlt“, sagt die 29-Jährige.

Als Frauke Strybny in der Kanzlei begann, war sie eine blu-tige Anfängerin in Sachen M&A. Während ihres Studiums an der Universität Hannover hatte sie sich nicht auf das Ge-sellschaftsrecht spezialisiert. Dies stand ihrem erfolgreichen Start in der Sozietät jedoch nicht entgegen. „Wichtig ist, dass man fit ist in der juristischen Methodik, darauf kann man dann im Berufsalltag aufbauen. Der Rest ist training on the job “, bringt es Frauke Strybny auf den Punkt. Von An-fang an stand ihr ein Mentor, der noch heute ihr Ansprech-partner ist, mit Rat und Tat für sämtliche Fragen zur Seite, was die Anwältin als „enorm hilfreich“ empfindet.

Optimale Bedingungen für den BerufsstartNicht zuletzt die – für eine Großkanzlei – überschaubare Anzahl von Anwälten, die am Düsseldorfer Standort tätig sind, war für ihren Berufseinstieg geradezu ideal: „Ich habe schnell sämtliche Kollegen, auch aus anderen Praxisgrup-pen, kennen gelernt, mit denen ich heute eng zusammen-arbeite“, berichtet die M&A-Anwältin. Dass der Teamge-danke bei Baker & McKenzie groß geschrieben wird, hat sie von Beginn an gespürt: Treffen innerhalb der Corporate-Gruppe stehen fast wöchentlich auf der Agenda – auch per Videokonferenz mit den anderen drei deutschen Büros der Kanzlei. Darüber hinaus finden regelmäßig Meetings mit europäischen Kollegen statt. „Wir hatten ein sehr interes-santes Meeting in Amsterdam und bald steht ein Treffen in London an“, sagt Frauke Strybny. Besonders schätzt sie an solch internationalen Treffen, dass man dort Teammitglie-dern, die man mitunter nur vom Telefon her kennt, persön-lich gegenübertritt. Apropos persönlich: Für Frauke Strybny ist mit dem Start bei Baker & McKenzie ein besonderer Wunsch in Erfüllung gegangen. Sie hat Freude daran, für die Interessen ihrer Mandanten einzutreten. Diese Möglichkeit hat sie in ihrem Beruf jeden Tag aufs Neue – manchmal auch nachts: Mit-unter dauern Verhandlungen bis in den späten Abend und in die Nacht hinein. „In diesen Situationen ist man extrem gepusht und wächst als Team noch enger zusammen“, weiß die junge Anwältin aus eigener Erfahrung. Last but not least sind in solchen Verhandlungen mit überwiegend männlichen Verhandlungspartnern Soft Skills wie Fingerspitzengefühl und Sensibilität gefragt. „Als Frau geht man manchmal an Dinge anders heran, als Männer es tun“, lacht die Anwältin.

Kontakt für Bewerber:

Claudia Trillig Director Strategic Development Baker & McKenzie Partnerschaftsgesellschaft Tel.: 069/29908-483 E-Mail: [email protected]

Page 45: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 45

Auszug aus: Wem gehört eigentlich ... der Kölner Dom? – 66 juristische Kuriositäten

Von Dr. Christian Rauda, Hamburg & Dr. Jochen Zenthöfer, Freiburg i.Br.

Wem gehört eigentlich

... ein absenderloser nicht zustellbarer Brief?

A dem Postunternehmen □

B niemandem □

C dem Empfänger, auch wenn es diesen nicht gibt □

D dem Absender, auch wenn man nicht weiß, wer das ist □

Ein Brief ohne Absender und ohne korrekte Anschrift – das ist kein Spaß für die Postunternehmen. Wohin mit einem solchen Brief? Die Deutsche Post AG versucht, je-den Brief zu dem korrekten Empfänger zu bringen. Täg-lich ändern sich Anschriften durch Umzüge, Personen wechseln ihren Namen durch Heirat, manch einer mussseine gemütliche Wohnung gegen eine Gefängniszel-le tauschen. Kann die Post all das wissen? Sie versucht es. Dabei hilft eine sogenannte Postreferenzdatei mit 95 Millionen Privatadressen. Hinzu kommen Daten aus Nachsendeaufträgen und anderen Umzugsinformationen. Manchmal werden auch Einwohnermeldeämter befragt. Ein ausgeklügeltes System findet so fast jeden Empfän-ger.Aber eben nur fast. Manche Briefe finden einfach kei-nen Empfänger. Diese Briefe werden an den Absender zurückgeschickt. Denn der Absender ist Eigentümer des Briefes – so lange, bis der Brief korrekt zugestellt ist. Manche Leute vergessen allerdings, einen Absender anzugeben. Diese Briefe können nicht zurückgeschickt werden. Sie lagern bei der Briefermittlungsstelle der PostAG in Marburg. Dort werden diese Briefe geöffnet. Es wird versucht, darin Adressbestandteile zu finden. Fast detektivische Arbeit erfordert das. Hilft auch das nicht weiter, wird der Brief ein Jahr lang aufbewahrt. In die-ser Zeit kann der Absender einen Nachforschungsantrag stellen. Folgt kein Nachforschungsauftrag, wird der Brief nach Ablauf des Aufbewahrungsjahres vernichtet.Für Pakete gilt übrigens das Gleiche. Meldet sich nie-mand, wird der Inhalt – bei neuer Ware – aber nicht so-fort vernichtet, sondern versteigert.Eigentümer des Briefes bleibt während der gesamten Zeit

übrigens der Absender. Das wird auch aus den Entschä-digungsregelungen ersichtlich: Wird ein Brief beschä-digt und ist dies die Schuld des Postunternehmens, muss dieses dafür Schadenersatz zahlen1.

Lösung:

A Falsch. Das Postunternehmen übermittelt nur den Brief.

B Falsch.

C Falsch, eine nicht existente Person kann kein Eigentum erwerben. Eine existierende Per- son kann zwar Eigentum erwerben, muss dazu aber den Brief übergeben bekommen.

D Richtig.

Wem gehört eigentlich

... eine orange Notrufsäule an einer Autobahn oder Landstraße?

A auf Autobahnen: dem Gesamtverband der Deutschen Versicherer (GDV), auf Land- straßen: der Björn-Steiger-Stiftung und der Jürgen-Pegler-Stiftung □

B dem ADAC □

1 § 39 Abs. 4 Postgesetz regelt, dass «unanbringliche Postsendungen» ge-öffnet werden dürfen, um den Empfänger oder den Absender zu ermitteln. Dies sind Briefsendungen (von Standard-kompakt bis Maxi-Brief-Format), die nach einem vergeblichen Zustellversuch des Postboten mit Zustellver-merk (falsche, unvollständige oder keine Adresse des Empfängers sowie keine Absenderangaben auf der Außenseite des Briefes) direkt an ein Ser-vicecenter in Marburg weitergeleitet werden. Es handelt sich um circa 16 000 Sendungen am Tag, bei rund 70 Millionen Briefen am Tag ist das eine verschwindend geringe Menge. Trotzdem erfordert die Bearbeitung der 16 000 Sendungen einen hohen personellen und technischen Einsatz. Die Deutsche Post DHL ist dazu übrigens nicht verpflichtet. Pressesprecher Thomas Kutsch sagte uns dazu: «Unser Unternehmen sieht es als einen besonderen Service für den Kunden an, diese Sendungen zu ermitteln und dann dem ermittelten Empfänger oder Absender (als unseren Vertragspart-ner) zuzustellen – dies im übrigen kostenlos in einem besonderen Briefum-schlag der Briefermittlung mit dem passenden Hinweis auf der Rückseite: ‹Vergiss es nicht beim nächsten Mal – mit Absender und Postleitzahl!› ».

Buchrezensionen

Page 46: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201046

C den jeweils nächstgelegenen Krankenhäusern □

D niemandem □

Es ist der 3. Mai 1969. Auf dem Heimweg vom Schwimm-bad wird der achtjährige Björn Steiger von einem Auto erfasst. Passanten alarmieren sofort nach dem Unglück Polizei und Rotes Kreuz. Trotzdem dauert es fast eine Stunde, bis der Krankenwagen eintrifft. Björn stirbt nicht an seinen Verletzungen, er stirbt am Schock. Seine El-tern Ute und Siegfried Steiger gründen wenig später die Björn-Steiger-Stiftung als gemeinnützigen Verein. Sein Ziel ist, den Aufbau der Notfallhilfe in Deutschland an-zuregen. In diesem Zusammenhang entstehen im Laufe der Jahre an vielen Landstraßen die bekannten orange-farbenen Notrufsäulen.Auch die Jürgen-Pegler-Stiftung engagiert sich für die Verkehrssicherheit und betreibt zahlreiche Notrufsäulen. An Autobahnen werden diese vom Gesamtverband der Deutschen Versicherer abgefragt. Eingehende Notrufe werden vom Zentralruf der Autoversicherer an die zu-ständige Rettungsleitstelle, einen Pannendienst oder die Autobahnmeisterei weitergeleitet. Die Straßenbau- und Autobahnverwaltungen sichern den technischen Unter-halt der Notrufsäulen.Könnten die Notrufsäulen dank der heute vorhandenen Handys abgeschafft werden? Wohl nicht. Denn nur die wenigsten Handys verfügen über eine automatische Standorterkennung. Daher kommt es bei Unfallmel-dungen oft zu falschen Standortangaben. Der zeitlich schnelle «Handy-Notruf» verwandelt sich dadurch oft ins Gegenteil, und die Zeiten, bis der Rettungsdienst am Unfallort eintrifft, erhöhen sich bei Verkehrsunfällen dra-matisch2.

Lösung:

A Richtig.2 Juristisch ist es eine schwierige Frage, ob die Notrufsäulen wirklich den Stiftungen gehören oder ob sie nicht vielmehr so fest mit dem Grundstück verbunden sind, dass sie Teil desselben werden. Dann würden sie aber dem Eigentümer des jeweiligen Grundstücks gehören.§ 946 Bürgerliches Gesetzbuch lautet: «Wird eine bewegliche Sache mit einem Grundstück dergestalt verbunden, dass sie wesentlicher Bestandteil des Grundstücks wird, so erstreckt sich das Eigentum an dem Grundstück auf diese Sache.» Was ist aber nun ein «wesentlicher Bestandteil» eines Grundstückes? Ein dort geparktes Mofa sicher nicht, ein fest installierter Zaun aber schon. Ein Weinbergpfahl nicht, ein Flutlichtmasten schon. Über die Frage, ob Notrufsäulen Bestandteil des Grundstücks sind, gibt es kei-ne uns bekannte Rechtsprechung. Deshalb fragen wir nach dem Sinn und Zweck der Norm. Dazu hilft § 93 Bürgerliches Gesetzbuch: «Bestandteileeiner Sache, die voneinander nicht getrennt werden können, ohne dass der eine oder der andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird (wesent-liche Bestandteile), können nicht Gegenstand besonderer Rechte sein.» Zur Notrufsäule lässt sich sagen: Man könnte sie abmontieren ohne die Säule selbst oder das Grundstück zu zerstören. Auch eine Wesensveränderung des Grundstücks würde nicht daraus folgen. Insofern gehören die Säulen – unserer Ansicht nach – den Stiftungen.

B Falsch. Der ADAC hat mit den Notrufsäulen nichts zu tun.

C Falsch. Die Krankenhäuser hätten nicht die Kapazitäten, dies zu übernehmen.

D Falsch.

Wem gehört eigentlich

... das Treppenhaus eines Hauses mit Eigentumswohnungen?

A niemandem □

B dem Eigentümer mit der größten Wohnung □

C allen Eigentümern zu gleichen Teilen □

D allen Eigentümern in der Höhe ihres Anteils an der gesamten Immobilie □

Der Streit um die Sauberkeit des Treppenhauses scheint so alt wie die Treppenhäuser selbst. Bereits in der Anti-ke gab es Wohnhäuser mit mehreren Stockwerken. Nach deutschem Recht gehören dem Eigentümer eines Grund-stücks alle darauf errichteten Gebäude. Ein Eigentums-recht an einer bestimmten Wohnung existiert dagegen nicht. Um dennoch Eigentumswohnungen zu ermögli-chen, hat man sich einen Trick ausgedacht. Immobilienmit Eigentumswohnungen gehören Eigentümergemein-schaften. Das führt dazu, dass die Immobilie allen Eigen-tümern gemeinsam gehört. In einem Teilungsplan sind jedem Teilhaber dann bestimmte Flächen zugewiesen. Das Eigentum an den Fluren, Treppenhaus und sonstigen gemeinsam genutzten Flächen steht allen gemeinsam zu, und zwar in der Höhe ihres Anteils an der gesamten Im-mobilie.Unabhängig davon, wem das Treppenhaus gehört, sind die Pflichten, es sauberzuhalten. In Württemberg hat sich die Kehrwoche etabliert. Dies bedeutet, dass im Mietver-trag festgelegt ist, dass die Mieter im Wechsel das Trep-penhaus zu reinigen haben3.

3 Die Rechtsverhältnisse von Wohnungseigentümern sind im Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht geregelt. § 1 Abs. 2 lau-tet: «Wohnungseigentum ist das Sondereigentum an einer Wohnung in Ver-bindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigen-tum, zu dem es gehört.» Das Treppenhaus ist gemeinschaftliches Eigentum nach § 5 des Gesetzes, nämlich «die Teile, Anlagen und Einrichtungen des Gebäudes, die nicht im Sondereigentum oder im Eigentum eines Dritten stehen.»

Buchrezensionen

Page 47: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 47

Buchrezensionen

Lösung:

A Falsch.

B Falsch. Dieser Eigentümer hat zwar auch den größten Teileigentumsanteil an dem Treppenhaus, ihm gehört das Treppenhaus allerdings nicht allein.

C Falsch.

D Richtig.

Wem gehört eigentlich

... Lotto?

A dem Deutschen Lotto- und Totoblock □

B den Bundesländern □

C niemandem □

D einer Privatperson, deren Name nicht bekannt ist □

Was glauben Sie, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, in Deutschland im Lotto 6 aus 49 den Jackpot zu knacken? Lotto bringt uns zum Träumen, wir überlegen, wie sich unser Leben ändern könnte, wenn wir auf einen Schlag Millionär würden. Schon vor langer Zeit wurde mit die-ser Faszination viel Geld verdient. Das Lottospiel geht bis ins 15. Jahrhundert zurück. In Genua wurden die Ratsherren mittels einer Zufallsziehung bestimmt: 90 Zettel mit Kandidatennamen kamen in eine Urne, fünf davon wurden gezogen und zu Ratsherren gemacht. Der findige Geschäftsmann Benedetto Gentile kam 1620 auf die Idee, die Namen durch Zahlen zu ersetzen und Wetten auf das Ergebnis anzunehmen. So wurde das Lottospiel geboren, quasi ein «5 aus 90».

Lotto wurde eine Erfolgsstory und breitete sich immer weiter in Europa aus. Das erste deutsche Zahlenlotto wurde 1735 in Bayern veranstaltet. 1763 wurde das Lot-to in Preußen verstaatlicht, weil Friedrich der Große die Spielfreude seiner Untertanen nutzen wollte, um seine Staatsfinanzen zu sanieren. Nach einem Verbot um 1800 wurde das Zahlenlotto erst 1953 wieder eingeführt, als «5 aus 90». Im Oktober 1955 fand schließlich die erste große Ziehung nach dem System «6 aus 49» statt. Da dasGlücksspiel dem Staat vorbehalten ist, gründeten die Bundesländer Lottogesellschaften. Lotto gehört also diesen staatlichen Unternehmen. Sie sind zudem im Deutschen Lotto- und Totoblock organisiert, um die

staatlichen Glücksspielangebote bundesweit nach ge-meinsamen Grundsätzen zu organisieren.

Die Hälfte der Einnahmen wird an alle Gewinner ausge-zahlt, knapp ein Viertel wird für Sportförderung, Jugend-projekte oder den Umweltschutz verwendet. Der Rest entfällt auf Lotteriesteuer und Provision für die Lotto-annahmestellen. Wer trotz der niedrigen Gewinnchancen Lotto spielt, sollte sich wenigstens Zahlen aussuchen, die selten gewählt werden. So ist im Fall eines Gewinns zumindest die Gewinnsumme höher. Kreuzen Sie daher keine Zahlen an, die auf dem Tippschein Muster ergeben. Angeblich werden auch die Zahlen 16, 40 und 41 selten gewählt. Ach ja, Sie wollten ja noch die Wahrscheinlich-keit für den Gewinn des Jackpots wissen. Sie liegt bei er-nüchternden 1 zu 139 838 160, das sind 0,000 000 72 %4.

Lösung:

A Falsch. Der Deutsche Lotto- und Totoblock ist eine Vereinigung der Lottogesellschaften der Bundesländer.

B Richtig. Jedes Bundesland hat eine eigene Lottogesellschaft gegründet, Hessen z. B. die Lotterie-Treuhandgesellschaft mbH Hessen.

C Falsch.

D Falsch.

4 § 10 Abs. 4 des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland lau-tet: «Es ist sicherzustellen, dass ein erheblicher Teil der Einnahmen aus Glücksspielen zur Förderung öffentlicher oder gemeinnütziger, kirchlicher oder mildtätiger Zwecke verwendet wird.»

Mehr juristische Ku-riositäten gibt es in:

„Wem gehört eigentlich ... der Kölner Dom?“ von Dr. Christian Rauda und Dr. Jochen Zenthöfer, 2010, 167 Seiten, ISBN 978-3-406-60706-6, C.H. Beck Verlag: 10,95 Euro

Page 48: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201048

Buchrezensionen

Examens-Repetitorium Sa-chenrecht, Mathias Haber-sack, 6. Aufl. 2010, C.F. Müller Verlag, 19,95 Euro

Das Werk von Ma-thias Habersack zum Sachenrecht deckt ein weiteres Rechtsge-biet der besonderen

UNIREP JURA-Reihe ab, die der Vorbereitung auf die juristischen Staatsexamina dienen. Das Buch setzt Grundkenntnisse im Sachen-recht voraus und hat daher als Zielgruppe vor allem den fortge-schrittenen Studenten und den Ex-amenskandidaten, der examensre-levante Bereiche des Sachenrechts wiederholen und vertiefen will. Inhaltlich stehen besonders der Er-werb, der Verlust und der Schutz des Eigentums, Sicherungsrechte an beweglichen Sachen (neben dem Pfandrecht also der Eigen-tumsvorbehalt und das Siche-rungseigentum), das allgemeine Grundstücksrecht und die Grund-pfandrechte im Vordergrund. Da Vorsatz des Autors ist, den Leser auf das Examen vorzubereiten, werden im Zusammenhang mit den genannten Themen auch exa-mensrelevante Kombinationen des Sachenrechts mit beispielswei-se dem Verbraucherkreditgesetz, Vorschriften des AGB-Gesetzes und den im Zusammenhang mit den Sicherungsrechten besonders gefragten Rechtsbehelfen in der Zwangsvollstreckung und in der Insolvenz besprochen. Die Gestaltung entspricht der eines Lehrbuchs, ist allerdings nicht all-gemein gehalten, sondern konzen-triert sich in seinen Ausführungen vor allem auf die fachlichen Pro-bleme, die für das Examen relevant sind. Zur Kontrolle und Veran-schaulichung dienen die insgesamt 63 in den verschiedenen Themen-blöcken verteilten Fälle, deren Lö-sungen sich jeweils einige Seiten weiter an der thematisch passenden Stelle finden.

Fazit: Das Buch ist – was positiv auffällt – trotz seiner fachlichen Fülle sehr übersichtlich gestaltet und angenehm zu lesen. Zum wis-senschaftlichen Arbeiten ist es we-gen seiner zahlreichen Fußnoten und hervorgehobenen BGH Ent-scheidungen ebenso geeignet wie zur Schulung für anspruchsvolle examensrelevante Fallkonstellati-onen.

Verena Lerch

Strafprozessrecht, Sabine To-fahrn, 2009, C.F. Müller Verlag: 12,95 Euro

Ergänzungsfragen in der strafrechtlichen Klausur im Ersten Staatsexamen sind kei-ne Seltenheit – Grund-kenntnisse im Strafpro-

zessrecht sind daher unabdingbar. Das Werk aus der JURIQ-Reihe vermittelt dem Studenten die Grundzüge des Strafprozessrechts, ohne dabei in wissenschaftliche Detailfragen abzudriften und ist sowohl für Studienanfänger als auch für höhere Semester geeignet. Das Buch komplettiert die bisher in der Verlagsreihe im Bereich des Strafrechts erschienen Skrip-ten und folgt dabei der besonde-ren „JURIQ-Lernmethode“, die die Vorzüge eines klassischen Lehrbuchs mit der didaktischen Erfahrung eines Repetitoriums zu einem umfassenden Lernkonzept aus Skript und Online-Training verbindet. Das Skript gibt einen kurzen Über-blick über das Strafverfahren und behandelt im Hauptteil das Er-kenntnisverfahren erster Instanz, dabei vor allem den Ablauf, die Verfahrensbeteiligten, Verfahren-sprinzipien und Zwangsmittel. In einem dritten Teil wird dem Stu-denten ein Überblick über die or-dentlichen und außerordentlichen Rechtsbehelfe gegeben. Die Inhalte und Themenstellungen sind dabei nach Prüfungsrelevanz ausgewählt und gewichtet. Der Student wird beim Lernen durch nach didaktischen Gesichtspunk-ten ausgewählte visuelle Effekte unterstützt. So helfen beispielswei-se übersichtliche Grafiken, hervor-gehobene Definitionen oder auch Lerntipps als Randbemerkung den Stoff zu verinnerlichen. Damit ab-straktes Wissen auch in der Klau-sur angewendet werden kann, ent-hält jeder Lernabschnitt kleinere Beispielsfälle. Besonders zu erwähnen sei noch der Online-Wissens-Check von JURIQ, anhand dessen der Student seinen Wissenstand kontrollieren und seine strafprozessrechtlichen Kenntnisse überprüfen kann.

Fazit: Unter den juristischen Skripten für Studenten stechen die JURIQ Skripten heraus. Positiv anzumerken ist insbesondere die ansprechende Gestaltung und die Fülle an Material, welches den-noch komprimiert und auf das We-sentliche beschränkt wird. Auch in dem vorliegenden Werk ist dies ge-lungen. Es ist daher für Studenten zur unterstützenden Klausurvorbe-reitung und zum Wiederholen der Materie auch für fortgeschrittene Studenten absolut zu empfehlen.

Verena Lerch

20 Probleme aus dem EBV, Karl-Heinz Gursky, 8. Aufl. 2009, Carl Heymanns Verlag: 16,90 Euro

Das Buch von Gursky gehört in die Reihe „Klausurprobleme“ des Heymanns Verlags. Es enthält eine Auswahl

der wichtigsten und bekanntesten und deshalb in Hausarbeiten und Klausuren immer wieder vor-kommenden Streitfragen aus dem Bereich des Eigentümer-Besitzer Verhältnisses. Grob unterteilt ent-hält es Problematiken zum Heraus-gabeanspruch nach § 985, zu den sachenrechtlichen Schadensersatz-ansprüchen sowie zum Verwen-dungsersatz. Jedem der zwanzig Probleme ist ein eigenes Kapitel gewidmet, das mit einem kurzen Beispielsfall einführt. Darauf wer-den dem Studenten kurz die Grund-begriffe zu diesem Thema erklärt sowie die Problematik daran knapp dargestellt. Im Anschluss daran stellt der Autor die einzelnen Theo-rien zu dem Problem dar sowie die Argumente, die der Student in einer Hausarbeit oder Klausur ebenfalls anführen können sollte. Nach der mehrseitigen Erörterung am Ende des Kapitels steht der Student aller-dings immer noch alleine mit dem Problem da. Er muss aus der Fül-le der Lehrbuchtheorien selbst zu einem Schluss kommen und selbst überlegen, wie er in einer Klausur galant den Abschluss einer solchen Argumentation darstellen soll; da es in einer Klausur wohl nicht reicht, allein die Argumente dar-zustellen, sondern vom Studenten immer eine eigene Stellungnahme erwartet wird, hat das Buch dahin-gehend eine Lücke. Gerade da das Buch dem Studenten beim Lösen eines Klausurfalls helfen soll, es allerdings selbst die Problematiken nicht klausurvorbildlich darstellt und sich um eine eigene Stellung-nahme jedes mal windet, ist es insofern nicht anzuraten, sich im Klausurfall vollkommen auf das Buch zu verlassen.

Fazit: Das Buch ist – gerade für den fortgeschrittenen Studenten, der noch einmal in aller Kürze einen Überblick über einige Pro-bleme des EBV erhalten will – gut geeignet. Für Klausuren oder das Schreiben von Hausarbeiten ist es mit Bedacht zu verwenden und kann keineswegs 1:1 übernommen werden. Der Preis ist nicht hoch, aber dann doch – auch angesichts der Fülle – nicht angemessen.

Verena Lerch

Familienrecht, Rainer Wörlen,

2008, 244 Seiten, Carl Hey-manns Verlag: 20 Euro

Der Autor vermittelt in seinem Werk alles Wissenswerte, was der Student für das Familienrecht benöti-

gt. Das Werk zählt zu den neuen Lehrbüchern der Verlagsreihe mit dem Konzept „Lernen im Dialog“. Der Leser wird hierbei nicht wie bei den klassischen Lehrbüchern mit Informationen in einem vor-tragsähnlichen Monolog geradezu überschüttet, sondern vielmehr wird ihm der Rechtsstoff in Form eines Lehrgesprächs vermittelt. Durch diese lebendige Darstellung, die den Leser ständig fordert, prägt sich der zu vermittelnde Stoff nicht nur schneller, sondern auch nach-haltiger ein. Das Buch von Wörlen behandelt alles examensrelevante zum Eherecht, Verwandschafts- und Kindschaftsrecht, Vormund-schaft, Pflegschaft sowie zu den außerehelichen Lebensgemein-schaften. Jedes Kapitel enthält vor allem kleinere Übungsfälle, aber auch Übersichten sowie weiterfüh-rende Literaturempfehlungen. Das Buch ist nicht romanartig geschrie-ben, sondern versucht mit teilweise schlichten Darstellungsweisen wie Markierungen und Stichpunkten, den Studenten die wichtigsten Punkte schnell erblicken zu las-sen. In das Werk wurden neben der aktuellen Rechtsprechung und Literatur auch die Neuerungen des Gesetzes zur Änderung des Un-terhaltsrechts eingearbeitet sowie andere aktuelle Änderungen im Bereich des Familienrechts.

Fazit: Das Konzept der Lehrbuch-reihe „Lernen im Dialog“ und die Darstellung der Materie ist nicht vergleichbar mit anderen Lehrbü-chern. Das Buch will nicht wissen-schaftlich komplex sein, sondern dem Studenten das Familienrecht auf leichte, verständliche und sogar unterhaltsame Art und Weise näher bringen, was mit diesem Werk ab-solut gelungen ist.

Verena Lerch

Examens-Repetitorium Staats-recht, Max-Emanuel Geis, 2010, 281 Seiten, C.F. Müller

Verlag: 20,95 Euro

Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich weder um ein Lehr-buch, noch um ein

Skript. Trefflicher scheint hier die Bezeichnung als Fallsammlung. Anhand von 21 kurzen bis mittel-langen Sachverhalten behandelt

Page 49: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010 49

Buchrezensionen

der Autor in seinen Lösungswegen Themenbereiche des Staatsorgani-sationsrechts (Teil 1), der Grund-rechte sowie des Verfassungspro-zessrechts (beides Teil 2).Teil 1 deckt die Schwerpunkte der Geltung und Reichweite von Staatszielbestimmungen, Probleme um Status, Rechte und Pflichten von Staatsorgangen sowie Fragen des Gesetzgebungsverfahren ab. Einer kurzen zweiseitigen Ein-leitung in das Thema folgen auch schon die ersten Fälle. Diese be-finden sich jedoch nicht annähernd auf Examensniveau und eignen sich daher bloß zur Einarbeitung oder Wiederholung der Herange-hensweise bei der Fallbearbeitung. Die Lösung ist auch nur als solche zu verstehen und weist keine Mög-lichkeiten auf, den Lernstoff zu repetieren.Die kurzen oberflächlichen Ex-kurs-Absätze sowie Prüfungssche-mata nach dem jeweiligen Fall sind bloß eine nette Ergänzung. Ähnlich aufgebaut ist auch der zweite Teil dieses Buches.

Fazit: Das Buch passt dank seines Aufbaus und des Inhaltes nicht in das gewohnte Konzept der Ver-lagsreihe Examens-Repetitorium. Es ist ein reines Fallbuch: Zur Übung nicht schlecht, für die Ex-amensvorbereitung nicht ausrei-chend.

Alexander Junkov

Fälle zum Handels- und Gesell-schaftsrecht Band II, Wolfram Timm/Torsten Schöne, 7. Aufl. 2010, 242 Seiten, C.H. Beck Verlag: 21,50 Euro

Die Theorie alleine reicht häufig nicht aus, um eine (Examens-)Klausur mehr als be-friedigend zu meistern.

Der Griff nach dem richtigen Fall-buch ist häufig verfehlt. Wer sein erlerntes Wissen in die Praxis um-setzen will, dem ist in der Materie des Handels- und Gesellschafts-rechts das zweibändige Fallbuch von Wolfram Timm und Torsten Schöne zu empfehlen.Band eins der Reihe beschäftigt sich mit dem Recht der Personen-gesellschaften und den Grundlagen des GmbH-Rechts. Band zwei da-gegen legt seinen Schwerpunkt auf die Kapitalgesellschaften sowie das Konzern- und Umwandlungs-recht.Legen wir den Fokus auf den zwei-ten Band mit seinen 17 Fällen. Den Fall einleitend findet sich eine Kurzübersicht über die Prüfungs-schwerpunkte. Der anschließende

Sachverhalt lässt sich sodann mit einem anderen Blick analysieren. Die Fälle sind komplex aufgebaut und bieten jeweils bis zu sieben unterschiedliche Schwerpunkte. Das merklich hohe Niveau und die Vergleichbarkeit zu einem ent-sprechenden Examensfall fallen spätestens beim Durcharbeiten der Musterlösung auf. Das Buch bie-tet keine Lösungsskizze, sondern steigt umgehend in die vollständig ausformulierte Musterlösung ein. Der Aufbau des Lösungswegs ist übersichtlich; für weiterführende Literatur verweisen die Verfasser in den Fußnoten auf ihre Quellen. Dies ist für das Fallbuch aber in-soweit überflüssig, als dass es sich sehr angenehm auch als Lehrbuch zum Handels- und Gesellschafts-recht lesen lässt.

Fazit: Timm/Schöne bleibt weiter-hin als Fallbuch ungeschlagen. Das Werk bereitet ausreichend auf die Examensklausur im Handels- und Gesellschaftsrecht vor und bietet eine wunderbar zweiseitige Lek-türe: zum einen als Fallbuch, zum anderen auch als Lehrbuch geeig-net.

Alexander Junkov

Gesellschaftsrecht, Carsten Schäfer, 2010, 277 Seiten, C.H. Beck Verlag: 21,90 Euro

Gesellschaftsrecht von Carsten Schäfer ist als Lehrbuch für Wirt-schaftswissenschaftler und Studierende an

Fachhochschulen ausgeschrieben. Es behandelt in seiner Kürze die wesentlichen Grundlagen der Per-sonen- und Kapitalgesellschaften. Jedem einzelnen Kapitel liegt eine der Rechtsformen zugrunde. Der Verfasser behandelt die Materie klar strukturiert, den Text ergän-zend veranschaulichen insgesamt 50 kurze Fälle samt Lösung jede einzelne Problemkostellation.Trotz der Zielgruppe des Buches, eignet es sich sehr wohl auch für Studenten der Rechtswissenschaft, die beide Staatsexamina anstreben. Es liest sich einfach am Stück und kann als Skript für die Wiederho-lung und selbständige Abfrage des Wissensstands angewandt werden. Beherrscht man den gesamten Schäfer, so hat man mindestens eine solide Grundlage im Gesell-schaftsrecht erlangt.

Fazit: Das Buch ist ideal geeignet für die schnelle Wiederholung des Gesellschaftsrechts: Ein Buch, das sich neben einem umfangreicheren Lehrbuch lohnt.

Erbrecht, Mathias Schmoeckel, 2. Aufl. 2010, 282 Seiten, No-mos Verlag: 22 Euro

Das Lehrbuch zum Erbrecht ist nunmehr in der zweiten Auf-lage erschienen und enthält somit alle neu-

en Gesetzesänderungen wie das Erbschaftssteuerrecht, das neue FamFG sowie das am 2.7.2009 beschlossene Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts. Inhaltlich deckt das Buch – nach einer ausführlichen Einleitung, die dem Studenten vor allem die Prin-zipien und Grundbegriffe des Erb-rechts erklärt – die gesetzliche und die gewillkürte Erbfolge ab (hier vor allem: das Pflichtteilsrecht, das gemeinschaftliche Testament, den Erbvertrag, das Testament, die Auslegung letztwilliger Ver-fügungen und testamentarische Anordnungen) sowie in weiteren Teilen die Erbengemeinschaft, die Haftung der Erben und den Erb-schaftskauf. Jeder Abschnitt führt in die The-matik mit einer Wissensfrage oder einem kurzen Minifall ein und schließt mit einer Reihe von Wie-derholungs- und Vertiefungsfragen ab, die nach Lesen des Kapitels leicht zu beantworten sind und dem Studenten zur Überprüfung dienen, ob das Gelesene tatsächlich ver-standen wurde.

Fazit: Das Werk von Schmoeckel tritt nicht neben die bereits be-kannten umfassenden Lehrbücher zum Erbrecht, da es dem Studenten vorrangig eine Grundlage zum Verständnis der Materie geben will. Die Themen, die im Buch behandelt werden, werden jedoch nicht nur oberflächlich abgehan-delt, sondern so ausführlich be-sprochen, dass das Buch zur Vor-bereitung auf Klausuren absolut empfohlen werden kann.

Amer Issa

Examensklausurenkurs im Zi-vil-, Straf- und Öffentlichen Recht, Wilfried Schlüter/Holger Niehaus/ Ulrich Jan Schröder, 2009, 326 Seiten, C.F. Müller Verlag: 23 Euro

Der vorgestellte Exa-mensklausurenkurs ist ein Fallbuch, das Fäl-le zu den drei großen Rechtsgebieten enthält,

die zum Examen schulen sollen. Insgesamt enthält der Kurs 22 Fäl-le, näher betrachtet acht Fälle zum Zivilrecht und jeweils sieben Fälle zum Öffentlichen Recht und zum

Strafrecht. Jedem Sachverhalt ist eine schlagwortartige Übersicht der im Fall behandelten Thematik vorangestellt, die auch schon im Inhaltsverzeichnis zu finden ist und so das Suchen nach dem ge-eigneten Fall erleichtert. Wie auch dem Studenten zur Klausurlösung empfohlen wird, beginnen die Ver-fasser mit einer groben Gliederung, bevor sie den Fall in gutachter-licher Form lösen. Die Lösungen selbst entsprechen der Breite, die eine vom Studenten ausformu-lierte Lösung haben sollte und geben insofern einen hilfreichen Leitfaden. Das Gutachten selbst enthält – farblich hervorgehoben – Anmerkungen, die dem Studenten helfen, den Schwerpunkt des Falls und Abgrenzungsprobleme zu er-kennen. Die Klausuren befinden sich auf Examensniveau und sind inhaltlich überwiegend bereits gestellten Ex-amensklausuren nachempfunden, sodass der Bearbeiter einen au-thentischen Eindruck vom Schwie-rigkeitsgrad im Examen bekommt.

Fazit: Der Leser wird mit an-spruchsvollen Fällen konfrontiert und von den Verfassern Schritt für Schritt und mit allem nötigen Erklärungsaufwand sicher durch die Lösung geführt. Das Buch ist daher besonders für Studenten zu empfehlen, die die Theorie bereits beherrschen und vor dem schein-bar unlösbaren Problem des Klau-surenschreibens stehen.

Verena Lerch

Familienrecht, Marina Wellen-hofer, 2009, 363 Seiten, C.H. Beck Verlag: 24,90 Euro

Das 2009 erstmalig erschienene Buch zum Familienrecht richtet sich sowohl an Stu-denten als auch an

Rechtsreferendare und soll Grund-wissen auf dem Gebiet des Fami-lienrechts vermitteln sowie der Wiederholung dienen. Die Auto-rin ist Professorin und langjährige Prüferin im Ersten Staatsexamen und damit mit den besonderen Ex-amensproblematiken und der stu-dentenfreundlichen Vermittelung des Stoffs bewandert. Inhaltlich ist das Buch in acht große Kapitel unterteilt. Nach einer ausführlichen Einleitung in das Familienrecht folgen The-menblöcke zum Verlöbnis und der Eheschließung, der ehelichen Lebensgemeinschaft, dem Zuge-winnausgleich, der Ehescheidung, der Eingetragenen Lebenspart-nerschaft sowie dem Kindschafts-

Page 50: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/201050

RedaktionJakob Hübert, Raquel Hubrich, Irma Kaplanskaja, Timur Kukuliev, Viktoria Lerch, Oliver Miltzner, Niko Tsolakidis

Stellv. RedaktionsleitungAmer Issa, Verena Lerch

ChefredakteurAlexander Junkov

Verantwortliche des AnzeigenteilsAmer Issa, Timur Kukuliev

Layout / CoverAlexander Junkov

Herausgeberin / V.i.S.d.P.Fachschaft Rechtswissenschaft

AnschriftRedaktion Law Zone / FachschaftGoethe-Universität FrankfurtHauspostfach 34 / Grüneburgplatz 160629 Frankfurt am Main

DruckHornberger Druck GmbH79689 Maulburg

[email protected]

Internetwww.lawzone-online.de

BildnachweiseTitelfoto: © Frankwalker.de - Fotolia.com

Meinungsbeiträge geben die Auffassung der einzelnen Autoren wieder. Ein großer Dank geht an unsere Partner und Spon-soren, die diese Ausgabe der Law Zone er-möglicht haben.

I M P R E S S U M

Buchrezensionen

recht und der Vormundschaft. Die Schwerpunktsetzung in den ein-zelnen Kapiteln richtet sich dabei nach der Examensrelevanz und der Aktualität. Dabei werden – da Anliegen der Autorin ist, dem Studenten den ex-amenstauglichen Umgang mit dem Familienrecht zu lehren – immer wieder Verknüpfungen mit dem Schuldrecht und dem Sachenrecht hergestellt. Da auch anspruchs-volle verfahrensrechtliche Bezüge hergestellt werden, ist das Buch auch im Referendariat und für das zweite Staatsexamen hilfreich. Zusätzlich enthält das Buch am Ende jedes Kapitels zahlreiche Kontrollfragen, deren Antworten – im Gegensatz zu vielen anderen Lehrbüchern – von der Autorin ausformuliert wurden und sich am Ende des Buchs finden sowie wei-terhin Klausurfälle, deren Lösung über eine Gliederung hinausgeht und dem Studenten genau erklärt, welche Normen für die Lösung re-levant sind. Trotz seiner Fülle ist das Buch sehr übersichtlich gestaltet und unter-stützt den Studenten mit optischen Lernhilfen wie Prüfungsschemata sowie Verständnisübersichten zu den Normen. Für das inhaltliche Verständnis hilfreich sind kleinere mehrzeilige Beispielsfälle, die sich in fast allen Kapiteln finden.Das Buch befindet sich auf dem Gesetzesstand vom 1.9.2009 – die wichtigen Gesetzesänderungen, vor allem das neue FamFG und das Versorgungsausgleichsgesetz sind daher mit berücksichtigt.

Fazit: Das Werk ist vom Umfang des Materials für den fortgeschrit-tenen Studenten, aber auch beson-ders zur Examensvorbereitung sehr zu empfehlen. Nicht nur die inhalt-

liche Fülle, sondern gerade die mit viel Mühe und bis ins Detail erklär-ten Probleme des Familienrechts machen das Buch zu einem absolut gelungenen Lernbuch.

Verena Lerch

Examens-Repetitorium Allge-meines Schuldrecht, Jens Pe-tersen, 4. Aufl. 2009, 228 Sei-ten, C.F. Müller Verlag: 19 Euro

Das Buch von Jens Petersen erscheint in der Reihe Unirep Jura, die, ähnlich einem Re-petitorium, den bereits

fortgeschrittenen Studenten auf das Examen vorbereiten will. Grund-kenntnisse in der Materie werden vorausgesetzt, sodass im Vorder-grund die gezielte Wiederholung der prüfungsrelevanten Bereiche im Schuldrecht steht. Dabei wer-den vor allem – und das unterschei-det das Buch von einem Lehrbuch zum Schuldrecht – immer Bezüge des Allgemeinen Schuldrechts zum Besonderen Teil, zu anderen Bü-chern des BGB und zu den Neben-gebieten dargestellt. Eine lehrbuchartige Darstellung des Stoffs wird durch Hervorhe-ben bestimmter Schlagworte und Anspruchsvoraussetzungen sowie durch zahlreiche in den Kapiteln befindlichen Beispielsfällen und nicht zuletzt auch durch den ange-nehmen Schreibstil verhindert, der der Erzählweise eines Repetitors ähnelt. Trotz der Fülle an Material lässt sich das Buch daher leicht le-sen, ohne dass man an einer Stelle den Überblick oder gar das Interes-se verliert.

Fazit: Einem Studenten, der sich in Examensnähe befindet ist und

statt eines Lehrbuchs im mono-tonen Schreibstil eine umfassende und belebte Möglichkeit sucht, den Stoff zu wiederholen, ist dieses Buch sehr zu empfehlen.

Martina S. Wodrich

Ein Organisationsmodell zur Regulierung der Rating-Agen-turen, Denise Alessandra Bau-er, 2009, 268 Seiten, Nomos Verlag: ca. 65 Euro

Die vorliegende Dis-sertation gehört zu den aktuellen Veröffentli-chungen zum Thema Rating-Agenturen. Die

Verfasserin setzt sich mit dem The-ma der Regulierung der Agenturen auseinander und versucht anhand von theoretischen Ansätzen, näm-lich der regulierten Selbstregulie-rung, ein eigenes Organisations-modell zu entwickeln.Einleitend wird im ersten Kapitel auf die Tätigkeiten der Rating-Agenturen eingegangen. Die Ver-fasserin beschreibt ausführlich die Rating-Verfahren, die Haftungs-risiken der Agenturen gegenüber dem Emittenten sowie Anlegern und problematisiert bereits hier die Stellung der Agenturen als Inter-mediäre. Regulierte Selbstregulie-rung lautet die Anwort und ist das Thema der folgenden Kapitel.

Fazit: Das Buch gibt einen idealen Überblick über die Materie und eignet sich zur Vorbereitung auf auf das Thema der Rating-Agen-turen im Schwerpunktstudium.

Bürgerliches Recht, Dieter Me-dicus / Jens Petersen, 22. Aufl. 2009, 504 Seiten, C.H. Beck Verlag: 23,90 Euro

1968 kam die erste Auflage des Medicus heraus und liegt nun bereits in der 22. Auf-lage vor. Das Erfolgs-rezept liegt klar auf der

Hand: Das Buch bietet die Materie des BGB zusammengefasst, gut strukturiert und auf das Wesent-liche reduziert.Die Verfasser behandeln in erster Linie die ersten drei Bücher des Bürgerlichen Gesetzbuches, wei-chen jedoch bei Bedarf auf Neben-gesetze oder das Familien- oder Erbrecht aus. Die Themenblöcke, die sich der Reihenfolge nach den Anspruchsgrundlagen im BGB ori-entieren, sind kurz und klar formu-liert. Jedes weitere Ausführen wäre hier überflüssig. Komplexe Stellen erweitern die Verfasser zum bes-seren Verständnis und zur Veran-schaulichung mit Schaubildern.Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen Anhänge zum Buch. Neben einem ausführlichen Ge-setzes- und Sachregister bietet der Medicus eine wertvolle Übersicht über besprochene Gerichtsent-scheidungen. Als Ergänzung wer-den zusätzlich in einer weiteren Übersicht besonders wichtige Ent-scheidungen samt Fundstellen und Kurzkommentaren geboten.

Fazit: Der Medicus eignet sich nicht nur für die Examensvorbe-reitung, sondern sollte als idealer Begleiter bereits zu Anfang des Studiums angewandt werden. Das Buch verwirrt den Leser weder durch überflüssige Ausführungen, noch fehlt es an relevanten Details. Zur Vorbereitung auf die staatliche Pflichtfachprüfung sollte der Me-dicus als Pflichtlektüre angesehen werden.

Alexander Junkov

Page 51: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010

Do you think out of the bo

Das Kapital einer guten Kanzlei sind gute Köpfe. Charaktere. Menschen, die anders denken. Vor allem nicht in Schablonen. Fühlen Sie sich angesprochen? Welcome to Latham & Watkins!

Für unsere Teams in Frankfurt, München und Hamburg suchen wir Praktikanten/Praktikantinnen &Referendare/Referendarinnen.

Auf Ihre Bewerbung freut sichKarin Schumacher, [email protected], Tel. +49.69.6062.6000www.lw.com/zukunft

Page 52: LawZone 2/2010

LawZone Nr. 2/2010

Interesse an M&A/Gesellschaftsrecht, Finanz- undKapitalmarktrecht, EU-/Kartellrecht, Steuerrecht,Arbitration/Litigation?

Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung.

Insbesondere für unser Frankfurter Büro suchen wir laufendhervorragend qualifizierte und engagierte Referendare (m/w),juristische Mitarbeiter (m/w) und Praktikanten (m/w).

www.clearygottlieb.com

Außergewöhnlich ...international, kreativ, kollegial, engagiert, flexibel und beständig

NEW YORK

WASHINGTON

PARIS

BRÜSSEL

LONDON

MOSKAU

FRANKFURT

KÖLN

ROM

MAILAND

HONGKONG

PEKING

Büro FrankfurtDr. Gabriele ApfelbacherMain TowerNeue Mainzer Straße 5260311 Frankfurt am MainTel (069) 97103 0

Büro KölnDr. Romina PolleyTheodor-Heuss-Ring 950668 KölnTel (0221) 80040 0

Büro BrüsselDr. Till Müller-IboldRue de la Loi, 571040 BrüsselTel +32 2 287 2000

[email protected]

10.0819.02_Außergewöhnlich AdR5a_Layout 1 8/20/10 4:02 PM Page 1


Recommended