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KOMMT FÜR DIE KATHOLISCHE KIRCHE JEDE RETTUNG ZU …

Date post: 29-Nov-2021
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KOMMT FÜR DIE KATHOLISCHE KIRCHE JEDE RETTUNG ZU SPÄT? Reflexionen eines Kirchenhistorikers von GEORG DENZLER Vermutlich hat Sie schon der fragende Titel meines Vortrags provoziert und auch gleich zu einer von Wunschdenken bestimmten Antwort animiert : Nein, niemals, das kann nicht sein. Oder: Ja, warum nicht, schon lange fällig. Bibelkundige Katholiken nehmen ihre Zuflucht schnell zu Matthei am Letzten, das heißt, zum Schluß des Matthäus-Evangeliums. Der vom Tod auferstandene Jesus versammelte seine elf Jünger auf einem Berg in Galiläa: „Als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder. Einige aber hatten Zweifel. Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern. Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. SEID GEWISS: ICH BIN BEI EUCH ALLE TAGE BIS ZUM ENDE DER WELT“ (Mt 28, 16-20). Derselbe Evangelist Matthäus hat noch eine andere Garantie, wenn er im Blick auf die Berufung des Petrus versichert: „Du bist Petros, und auf diesem
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KOMMT FÜR DIE KATHOLISCHE KIRCHE JEDE RETTUNG ZU SPÄT?

Reflexionen eines Kirchenhistorikers

von

GEORG DENZLER

Vermutlich hat Sie schon der fragende Titel meines Vortrags provoziert und

auch gleich zu einer von Wunschdenken bestimmten Antwort animiert : Nein,

niemals, das kann nicht sein. Oder: Ja, warum nicht, schon lange fällig.

Bibelkundige Katholiken nehmen ihre Zuflucht schnell zu Matthei am Letzten,

das heißt, zum Schluß des Matthäus-Evangeliums. Der vom Tod auferstandene

Jesus versammelte seine elf Jünger auf einem Berg in Galiläa: „Als sie Jesus

sahen, fielen sie vor ihm nieder. Einige aber hatten Zweifel. Da trat Jesus auf

sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der

Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen

Jüngern. Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen

Geistes. Und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. SEID

GEWISS: ICH BIN BEI EUCH ALLE TAGE BIS ZUM ENDE DER

WELT“ (Mt 28, 16-20).

Derselbe Evangelist Matthäus hat noch eine andere Garantie, wenn er im

Blick auf die Berufung des Petrus versichert: „Du bist Petros, und auf diesem

Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Tore der Unterwelt werden sie

nicht überwältigen“ (Mt 16,18).

Was bedeuten demgegenüber Drohungen mit Untergang der Kirche von

Voltaire über Napoleon bis Hitler und Stalin!

Trotzdem bleiben Bedenken und Zweifel. So fragte der katholische

Soziologieprofessor KARL GABRIEL schon vor fast 20 Jahren in seinem

Buch „Christentum zwischen Tradition und Moderne“: „Was ist los mit dem in

den Kirchen zur Institution gewordenen Christentum? Sind wir seit zwanzig

Jahren Zeugen des Anfangs seiner zu Ende gehenden Geschichte?... Immer

mehr Menschen lassen sich nicht mehr durch die in den Kirchen Gestalt

gewordene Lebensmacht des Christentums bestimmen, sondern bestimmen

selbst ihr Verhältnis zu den Kirchen und deren Ansprüche an ihre

Lebensführung.“ Das ist die allgemeine Situation, zumindest in den Kirchen

Europas.

Bischof GEBHARD FÜRST von Rottenburg-Stuttgart, früher Direktor der

Katholischen Akademie des Bistums Rottenburg, gibt sich, was die Kirche in

Deutschland betrifft, alles andere als optimistisch und siegessicher. Wichtig für

die Kirche sei vor allem, sagte er beim Neujahrsempfang seines Bistums, auf

junge Christen zuzugehen. „Heute und in der kommenden Generation sind sie

die Kirche. Oder sie sind es nicht. Und dann sind wir als Kirche nicht mehr.“

Der von der evangelischen zur katholischen Kirche konvertierte Priester und

Theologe HENDRIK WILLEM VAN DE POL äußerte in seinem Buch „Die

Zukunft von Kirche und Christentum“ (Freiburg 1970) die bedenkenswerte

Ansicht: „Es könnte sogar der Fall sein, daß Kirche und Christentum in ihrer

traditionellen Form zur Gänze oder teilweise zum Verschwinden verurteilt

sind, wenn sie nicht mehr in das von der Menschheit erreichte Kulturstadium

passen und daher nicht mehr ein geeignetes Mittel zur Verbreitung des

Glaubens, sondern ein ernstes Hindernis für die Verkündigung und das

Wirksamwerden des Evangeliums und des christlichen Glaubens bedeuten.“

Deutlicher noch sagt es der brasilianische Befreiungstheologe LEONARDO

BOFF: „Warum soll es nicht möglich sein, daß nicht nur die katholische

Kirche, sondern das Christentum in Europa genau so untergeht wie das einst

blühende Christentum der Spätantike in Kleinasien oder Nordafrika. Wenn die

Kirche sich nicht ändert, wird sie verschwinden wie einst die Dinosaurier.“

Bei allen Krisen- und Untergangsreden sollten wir jedoch eine wichtige

Unterscheidung des Münchener Soziologieprofessors ULRICH BECK nicht

vergessen. „Nicht das Christentum stirbt aus“, meinte er, „sondern das

europäische Christentum. In einigen seiner Hochburgen, auch in Deutschland,

ist es mit einer rapiden Entleerung der Kirchen konfrontiert.“ Nach seiner

Meinung läuft die Säkularisierung nur „auf eine Enteuropäisierung des

Christentums hinaus. Das außereuropäische Christentum blüht auf, das

europäische verwelkt (obwohl es auch hier neue Knospen gibt).“ In der Tat,

die Dechristianisierung in europäischen Ländern vollzieht sich zeitgleich mit

dem Anwachsen des Christentums in Afrika, Asien und Lateinamerika.

Frage I

IST DIE KATHOLISCHE KIRCHE SELBST SCHULD AN IHRER

GEGENWÄRTIGEN MISERE?

Bibelwissenschaftler stimmen heute darin überein, daß Jesus keine Kirche

gegründet hat und deshalb auch keine genaue Kirchenverfassung vorliegen

kann, auf die die unter seinem Namen entstandenen Kirchen bis zum heutigen

Tag verpflichtet wären. Jeschua oder Jehowa, der heilend und predigend durch

Israel ziehende Prophet aus Nazareth, sah seine primäre Aufgabe darin, das

Volk Israel, dem er selbst angehörte, zum Glauben und Gehorsam gegenüber

Gott, seinem Vater, zu bekehren. Daß es schon bald im Lauf der Ablösung von

Israel zum Entstehen einer Kirche aus Juden und Heiden kam, war eine Folge

der Ablehnung der Jesuspredigt durch die Führer des Volkes Israel.

Auch wenn Jesus „nicht irgendeine für alle Zeiten gültig festgelegte

Verfassungsform oder Amtsinstitution gestiftet hat“, wie es der Bamberger

Exeget PAUL HOFFMANN formulierte, so verkündete er doch eine Lehre,

die Botschaft vom Reich Gottes, die für sein Programm konstitutiv bleibt.

Wenn nun die im Sinn Jesu entstandene Institution Kirche untergehen sollte,

bedeutet dies nicht gleichzeitig, daß auch die Jesus-Botschaft untergeht. Das

heißt letztlich, daß wir auch ohne Kirche Anhänger Jesu sind, solange nur sein

Evangelium unser Denken und Leben bestimmt.

JOHANNES XXIII. sprach bei der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils im

Oktober 1962 von „Zeichen der Zeit“, die es zu erkennen gelte. Inmitten von

viel Finsternis erblickte der greise Papst Anzeichen der Hoffnung. Er hielt

nichts von „Unheilspropheten“, „die überall das Unheil voraussagen, als ob die

Welt vor dem Untergang stünde.“ Und noch weniger hielt er von

Prophezeiungen, die ein baldiges Ende der Kirche vorhersagten.

Wenn wir heute, ein halbes Jahrhundert später, nach „Zeichen der Zeit“

Ausschau halten, vernehmen wir auf den ersten Blick wenig Zeichen der

Hoffnung, sondern eher Vorboten einer langsam schwindenden Kirche. Es ist

einfach nicht zu übersehen, daß die Kirche mit ihrer Lehre nur noch wenig

Gehör findet und das Christentum eines langsamen, aber sicheren Todes

dahinzusterben scheint.

Zur Beruhigung mag es dienen, daß die Kirche zu keiner Zeit, auch nicht im

viel gepriesenen christlichen Mittelalter, ihre Idealform erreicht hat. Der

französische Religionssoziologe GABRIEL LE BRAS bezweifelte sogar, ob

jemals eine totale Christianisierung bestanden habe. Angesichts der Defizite

und Sündhaftigkeit der Kirche erging darum zu allen Zeiten der Ruf nach

Reform: Ecclesia semper reformanda.

Die einst prominente, heute fast ganz vergessene Schriftstellerin IDA

FRIEDERIKE GÖRRES nahm gegen Ende des Pontifikats von Papst Pius XII.

(+ 1958) in einer Sendereihe des SÜDWESTRUNDFUNKS Stellung zum

Thema Kritik an der Kirche: „Man braucht nur auf den Knopf zu drücken, ich

glaube, jeder von uns kann im Schlaf die ganze betrübliche Litanei

herunterrasseln: Misere von Predigt und Religionsunterricht, Verwilderung

oder Erstarrung der Liturgie, Index und römischer Zentralismus, bischöfliche

Bürokratie, Schäden der Priesterbildung, der Klostererziehung, politischer

Konformismus, Moraltheologie unter besonderem Hinblick auf Atombomben

und Sexualfragen, lateinische Kultsprache, Priesterskandale, Manager- und

Tagungsrummel in den Organisationen, Thomismus, Rationalismus,

Marianismus, Wallfahrtsgeschäft und …“

URSACHEN FÜR DIE HEUTIGE KIRCHENKRISE

(1) Bei der Suche nach Ursachen für die gegenwärtige Misere müssen ir zuerst

einmal das äußere Erscheinungsbild der Kirche auf den Prüfstand stellen. Mit

Recht nehmen hier viele Mitglieder und Beobachter der Kirche Ärgernis. Dies

empfanden auch schon Teilnehmer des 2. Vatikanischen Konzils.

ELIAS ZOGHBY, melchitischer Pariarchalvikar von Antiochien, sprach am

21. Oktober 1964 in der Konzilsaula von St. Peter offen aus: „Die heutige

Welt erkennt nur eine einzige Autorität an, die des Dienstes. Vermeiden wir

deshalb auch Redensarten wie ‚Kirchenfürst’ und ‚Bischöfliches Palais’, die an

Ehrenerweise und Herrschaft erinnern. Hören wir auf, den ersten Stellvertreter

des gekreuzigten Jesus als den ‚glorreich Regierenden’ zu bezeichnen.“

Der Bischof von Rennes in Frankreich, PAUL GOUYON, richtete während der

1. Konzilsperiode seine Kritik auf die Formen des Gottesdienstes: „Was man

den Abfall der Massen nennt, ist zum großen Teil nur die Folge der

Unverständlichkeit der liturgischen Riten und eines pomphaften Äußeren des

Gottesdienstes, das gewiß seine historischen Grundlagen hat, aber den

Geschmack unserer Zeit nicht mehr entspricht. Heutzutage kennen zahllose

Menschen die Kirche nur noch aus dem Kino, dem Fernsehen und den

Illustrierten, das heißt vom Apparat ihrer Zeremonien, ihrer Prachtentfaltung,

ihres Aufwands… Prächtige Formen sind ein Widerspruch gegen Christus,

während ein schlichter Gottesdienst Zeugnis für das Evangelium ablegt und die

Türen zur Einheit der Christen aufschließt. Möchten wir Bischöfe uns daran

erinnern, daß wir nicht Fürsten, sondern Hirten, nicht Herren, sondern Diener

sind. Dies ist die richtige Stunde, um alles zu vereinfachen, was vereinfacht

werden kann, denn alle Welt stimmt heute darin überein, daß im Leben des

Priesters und Bischofs Einfachheit, ja Armut herrschen soll… weisen wir doch

alle das als Mißbrauch zurück, was die Eitelkeit fördert und darum dem Wesen

der Liturgie als der Verkündigung der Offenbarung Gottes zuwiderläuft.“

Kurz vor Konzilsende im Dezember 1965 fanden sich in der Domitilla-

Katakombe zu Rom 40 Bischöfe zusammen – die meisten aus Südamerika -

und einigten sich auf eine Reihe von „Selbstverpflichtungen“. Darin hieß es

unter anderem: „Als Bischöfe, die sich bewusst geworden sind, wie viel ihnen

noch fehlt, um ein dem Evangelium entsprechendes Leben in Armut zu führen,

nehmen wir ….. folgende Verpflichtung auf uns: Wir werden uns bemühen, so

zu leben, wie die Menschen um uns her üblicherweise leben, im Hinblick auf

Wohnung, Essen, Verkehrsmittel und alles, was sich daraus ergibt. - Wir

verzichten ein für alle Mal darauf, als Reiche zu erscheinen wie auch wirklich

reich zu sein, insbesondere in unserer Amtskleidung (teure Stoffe, auffallende

Farben, übertriebene Amtskleidungen) und bei unseren Amtsinsignien

(kostbare perlenbesetzte Mitras, Hirtenstäbe und Bischofssitze usw.) die nicht

aus kostbarem Metall – weder Gold noch Silber – gemacht sein dürfen,

sondern wahrhaft und wirklich dem Evangelium entsprechen müssen. - Wir

werden weder Immobilien oder Mobiliar besitzen noch mit eigenem Namen

über Bankkonten verfügen, und alles, was an Besitz notwendig sein sollte, auf

den Namen der Diözese bzw. der sozialen und caritativen Werke

überschreiben. - Wir lehnen es ab, mündlich oder schriftlich mit Titeln oder

Bezeichnungen angesprochen zu werden, in denen gesellschaftliche Bedeutung

oder gar Macht zum Ausdruck gebracht wird (Eminenz, Exzellenz,

Monsignore …). Stattdessen wollen wir als „Padre“ angesprochen werden, eine

Bezeichung, die dem Evangelium entspricht. Wir werden in unserem Verhalten

und in unseren gesellschaftlichen Beziehungen jeden Eindruck vermeiden, der

den Anschein erwecken könnte, wir würden Reiche und Mächtige privilegiert,

vorrangig oder bevorzugt behandeln (z.B. bei Gottesdiensten und bei

gesellschaftlichen Zusammenkünften, als Gäste oder Gastgeber). - In pastoraler

Liebe verpflichten wir uns, das Leben mit unseren Geschwistern in Christus zu

teilen, mit allen Priestern, Ordensleuten und Laien, damit unser Amt ein

wirklicher Dienst wird.“

Diesen 40 Initiatoren schlossen sich ungefähr 500 weitere Bischöfe an. Was

ist daraus geworden? Wieder zu Hause, setzten die meisten Oberhirten ihren

gewohnten Stil fort. Gewiss fehlte es zu keiner Zeit, auch heute nicht, an

Prälaten, die von jenem Domitilla-Geist erfüllt sind. Ich denke z.B. an die

Bischöfe Kräutler, Helder Camara, Oscar Romero, Kardinal Martini , Bischof

Kamphaus und die Befreiungstheologen Ernesto Cardinal und Leonardo Boff.

Im Vatikan freilich merkt man nichts von diesem Geist, auch nicht beim

jetzigen Papst Benedikt XVI., obwohl er früher als Theologieprofessor frei von

Eitelkeiten und irgendwelchen Allüren gewesen ist.

(2) Weitaus schädlicher erweist sich das Festhalten an veralteten Strukturen.

Um Reformen vorzunehmen, bedarf es zuerst der Einsicht, dass Veränderungen

notwendig sind, und dann des Mutes, um neue Schritte zu wagen. Es hilft

nichts, überholte Strukturen schön zu polieren, um sie als neu erscheinen zu

lassen. Kirchliche Autoritäten müssen bereit sein, auf überholte Formen des

christlichen Lebens und unverständlich gewordene Formeln der christlichen

Lehre zu verzichten und den Aufbruch zu neuen, unbekannten Ufern zu wagen.

(3) Vor allem die traditionelle Ehe- und Sexualmoral der Kirche trägt einen

Großteil Schuld an der wachsenden Entfremdung und Entfernung zwischen der

Institution Kirche und der jungen und mittleren Generation. Es soll hier

genügen, auf den Sühnetod Jesu, auf das Verständnis der Sakramente,

inbesondere des Ehesakraments, auf die Behandlung gescheiterter Ehen, auf

das Verbot künstlicher Empfängnismittel und auf undifferenzierte Urteile in

puncto Homosexualität hinzuweisen.

(4) Im Brennpunkt heutiger Auseinandersetzungen steht wieder einmal das

Zölibatsgesetz für Priester. Die vom 2. Laterankonzil im Jahr 1139

beschlossene Verpflichtung aller Priester zu Ehelosigkeit ist umstritten, seit sie

in Geltung ist. Als Bischof Altmann von Passau den Priestern seiner Diözese

bei einer Synode im 11. Jahrhundert die Enthaltsamkeitsforderung Papst

Gregors VII. verkündete, hätten ihn aufgebrachte Kleriker tot geschlagen,

wenn nicht weltliche Große den Bischof beschützt hätten. Den Teilnehmern

des 2. Vatikanischen Konzils war eine Diskussion dieses Themas verboten.

Papst Paul V. behielt sich eine offizielle Stellungnahme vor, die zwei Jahre

nach Konzilsende mit der Enzyklika „Sacri caelibatus“ (1967) erfolgte. Der

steigende Mangel an Priestern verschlimmert die Situation der Seelsorge in den

einzelnen Pfarrgemeinden von Jahr zu Jahr. Und die Bischöfe wissen

angesichts ihrer Machtlosigkeit gegenüber dem Papst keinen anderen Rat als

Aufforderung zum Gebet um Priesterberufe, als ob Gott selbst für die Notlage

verantwortlich sei.

Unlängst meldeten sich acht prominente CDU-Politiker und Mitglieder des

Zentralkomitees der deutschen Katholiken zu Wort und forderten die Bischöfe

auf, angesichts „der Not vieler priesterloser Gemeinden, in denen die

sonntägliche Messfeier nicht mehr möglich ist“, in Rom mit Nachdruck für die

Zulassung sog. viri probati zur Priesterweihe einzutreten. Doch Papst und

Kurie verhalten sich so, als ob es bei dieser Verpflichtung um das heiligste

Gesetz der Kirche gehe. Es besteht doch theologisch keinerlei Zweifel, daß die

Ehelosigkeit vom Evangelium her nur als frei gewählte Berufung (Charisma)

zu verstehen ist und und keiner bestimmten Personengruppe als ein allgemein

verbindliches Gesetz auferlegt werden kann. Fanatische Verteidiger diese

Verpflichtung aber tun so, als handle es sich dabei sogar um eom Dogma. Der

erst jüngst kreierte Kardinal WALER BRANDMÜLLER, früher Ordinarius für

Kirchengeschichte an der Universität Augsburg, verstieg sich in seiner

Reaktion auf den Vorstoß der acht CDU-Politikern bzw. Mitgliedern des

Zentralkomitees zu der Aussage, mit ihrem Vorhaben und Ansinnen würden sie

Jesus Christus, den Sohn Gottes, selbst beleidigen, und mit ihm all jene

Priester, die als Jünger nichts anderes täten, als sich die Lebensweise des

Meisters zu eigen zu machen. Und der Münchener Pastoraltheologe ANDREAS

WOLLBOLD behauptete gegen biblische und kirchenhistorische Zeugnisse,

der Enthaltsamkeits-Zölibat gehe auf die Praxis und Weisung des Herrn Jesus

und seiner Apostel zurück. Wenn die Auseinandersetzung auf einen derart

theologischem Tiefpunkt angelangt ist, kann man nicht mehr von historischer

Wissenschaft, sondern nur von ideologischer Verfälschung der Geschichte im

Namen Jesu sprechen.

JOSEPH RATZINGER hat fünf Jahre nach dem Konzil als

Theologieprofessor in Regensburg mit nüchternem Blick in die nächste

Zukunft der Kirche konstatiert: „Aus der Krise von heute wird auch dieses Mal

eine Kirche von morgen hervorgehen, die viel verloren hat. Sie wird klein

werden … Sie wird viele der Bauten nicht mehr erfüllen können, viele ihrer

Privilegien in der Gesellschaft verlieren…. Sie wird auch gewiss neue Formen

des Amtes kennen und bewährte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern

weihen. In vielen kleineren Gemeinden wird die normale Seelsorge auf diese

Weise erfüllt werden.“ Inzwischen ist aus dem Theologieprofessor und

langjährigen Präfekten der Glaubenskongregation in Rom Papst Benedikt XVI.

geworden, der heute quasi als Monarch der Kirche verwirklichen könnte, was

ihm damals prophetisch vor Augen gestanden ist. Doch es geschieht nichts.

(5) Die Wurzeln der gegenwärtigen Krise der Kirche liegen aber viel tiefer.

Worum es heute geht ist eine Krise des religiösen Bewußtseins, eine Krise des

christlichen Glaubens. Auch und gerade der religiöse Mensch von heute

begegnet mit Argwohn und Mißtrauen einem objektiven, autoritären System

von Tabus, Pflichten und Glaubensartikel. Die Distanz zwischen den Formen

unseres Gottesglaubens und den Weisen, in denen wir unsere menschliche

Existenz erfahren, ist riesengroß geworden. Die Kirchenlehrer – damit meine

ich alle, die in irgendeiner Weise mit der Verkündigung des christlichen

Glaubens zu tun haben – haben es nicht verstanden, mit dem Fortschritt der

Wissenschaft, auch und vor allem der theologischen Wissenschaft, Schritt zu

halten. Der wissenschaftlich orientierte Mensch von heute läßt sich das, was er

für wahr halten soll, nicht mehr ohne weiteres und ungeprüft von

Glaubensinstanzen vorschreiben. Er will zuerst wissen, ob und aus welchem

Grund die vorgelegten Lehren des Glaubens tatsächlich auf Offenbarung

beruhen. Damit, daß man die Etikette „Heiliger Geist“ aufklebt, ist es nicht

getan.

Der Übergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild zu Beginn

der Neuzeit wurde zu einer Anfrage, ja, zu einem ersten Angriff auf die

Autorität der Bibel. Unvergessen ist bis heute, daß der Astronom Galileo

Galilei seinen astronomischen Theorien im Namen der Bibel abschwören

mußte und mit Hausarrest bestraft wurde.

Von der Wissenschaft her fragt man, ob die eucharistischen Wandlungsworte

„Das ist mein Fleisch“ und „Das ist mein Blut“ noch ontologisch (seinshaft) zu

verstehen seien oder ob nicht ein symbolisches Verständnis möglich sei.

Übrigens, ein Streit, der schon im 9. Jahrhundert seinen Anfang genommen

hat.

Zweifelhaft erscheint die Unsterblichkeit der Seele. Wenn man von einer

Untrennbarkeit von Seele und Leib ausgeht, hört dann nicht auch die Seele zu

existieren auf, wenn der Leib mit dem Tod endet? Oder wenn der Mensch als

Ganzes, mit Leib und Seele, stirbt, muß man dann die Auferstehung am

Jüngsten Tag als eine Neuschöpfung des Menschen verstehen?

Die wichtigsten Herausforderungen gehen von Vertretern der Bibelwissenschaft

aus. Für sie gilt als sicher, daß die Evangelien keine pure Geschichtsschreibung

darstellen, sondern den Glauben der ersten Christengemeinde widerspiegeln.

Und was ist, wenn Grabes- und Auferstehungsberichten der Bibel jeder

historische Charakter abgesprochen würde? Stünde dann nicht das Wesen des

christlichen Glaubens auf dem Spiel?

(6) Das kirchliche Lehramt hält unter Ignorierung neuer Erkenntnisse der

Wissenschaft, auch der theologischen, vornehmlich der Bibelwissenschaft, aber

auch auf dem weiten Feld der Kirchengeschichte, an vielen überholten

Meinungen und Lehren unentwegt fest.

Der Bamberger Neutestamentler PAUL HOFFMANN beklagt in seinem

lesenswerten Taschenbuch „Das Erbe Jesu und die Macht in der Kirche.

Rückbesinnung auf das Neue Testament“, wie schon der berühmte Tübinger

und später Münchener Kirchenhistoriker JOHANN ADAM MÖHLER (1838)

im 19. Jahrhundert, die Geringschätzung der Heiligen Schrift durch das

kirchliche Lehramt . Es bestehe immer die Gefahr, argumentiert Hoffmann,

„daß nicht mehr der Text die Norm für die Wahrheit der Auslegung ist,

sondern der lehramtliche Ausleger darüber befindet, was Wahrheit des Textes,

gegebenenfalls auch, was historisch wahr zu sein hat.“

Frage II

IST DIE MODERNE GESELLSCHAFT SCHULD AN DER

GEGENWÄRTIGEN MISERE DER KIRCHE?

„Nicht der Mensch ist böse, sondern die Gesellschaft ist schlecht“, befand

JESAN-JACQUES ROUSSEAU in seinem „contract sociale“ (1762) schon vor

250 Jahren. Doch die Gesellschaft setzt sich zu allen Zeiten aus vielen

Einzelmenschen zusammen, und die können gut oder böse sein.

Von dem Politiker GREGOR GYSI, einem bekennenden Atheisten aus DDR-

Zeiten, stammt das überraschende Bekenntnis: „Auch als Nichtgläubiger

fürchte ich eine gottlose Gesellschaft.“ Der bekannte Schauspieler und TV-

Moderator JOACHIM FUCHSBERGER bekannte, auf den Unfall-Tod seines

Sohnes angesprochen, in einem Interview mit dem Magazin der Süddeutschen

Zeitung: „Es wäre schön, wenn man jetzt an einen Gott glauben könnte. Aber

ich kann es nicht. Ich beneide alle Menschen, die ihren Trost in einem starken

Glauben suchen und finden.“

Eine eigenartige Situation: Auf der einen Seite schmerzliche Glaubenslosigkeit

und Sehnsucht nach Glauben an Gott und auf der anderen kalter Atheismus.

Das Hauptproblem unserer Gesellschaft ist ohne Zweifel die Gottesfrage. Gibt

es den, den wir Gott nennen, und wer ist er? Und wenn doch ein persönlicher

Gott ins Blickfeld gerät, dann erhebt sich sogleich die Frage, ob dieses

transzendente Wesen zur individuellen und gesellschaftlichen

Kontingenzbewältigung beitragen kann. Das Kriterium der Brauchbarkeit, des

Nutzens spielt die Hauptrolle: Hilft dieser große Unbekannte bei meiner Angst-

und Lebensbewältigung? Also: Welchen Nutzen bringt es, wenn ich glaube?

Wieviel Profit wirft Glauben für mein irdisches Leben ab? Die andere Frage,

ob es noch ein Leben nach diesem Leben gibt, liegt meilenweit entfernt.

Der Frankfurter Großstadtseelsorger ALFONS KIRCHGÄSSNER, ein

hervorragender theologischer Schriftsteller, beschrieb schon vor einem halben

Jahrhundert aus kirchlicher Perspektive den gesellschaftlichen Wandel

folglendermaßen: „Wir Städter leben schon seit Generationen in dieser

Schizophrenie und bemühen uns angestrengt, eine Harmonie zu finden

zwischen unserm Alltag und dem ‚Tag des Herrn’, wie einmal der Name des

Sonntags hieß. Das heißt, viele von uns haben es aufgegeben, nach einer

Verbindung der beiden Welten zu suchen: sie haben entweder die Tradition des

Kirchgangs und der Sakramente über Bord geworfen – oder sie üben noch, was

ihre Väter übten, aber ohne recht zu begreifen warum, ohne einen

Zusammenhang zu erkennen zwischen der Welt ihrer Arbeit und der Welt

gregorianischer Melodien und prunkvoller Zeremonien, zwischen der Sprache

der Geschäftsleute, der Politiker, der Techniker und der Sprache der Priester,

der Gesangbücher, der Bibel. Unsere Kirchen stehen zwar noch imposant an

den Plätzen und Straßen, aber gut drei Viertel der Bevölkerung gehen nicht

mehr hinein, und in manchen Gegenden sind es längst keine zehn Prozent

mehr. Die Feiertage sind wohl noch im Kalender verzeichnet, aber es sind

Tage zum Ausruhen und Ausfliegen, nicht mehr Tage des Gebets und der

öffentlichen Gottesverehrung. Mag das Christentum in der Gesellschaft noch

ein gewichtiger Faktor sein, der christliche Kult ist eine Sache von kleinen

Gruppen geworden, eine Wunderblüte hinter der Mauer.“ Eine

Bestandsaufnahme aus dem Jahr 1962, das Jahr, in dem in Rom das 2.

Vatikanische Konzils begann.

Ich bin dennoch der Meinung, daß unsere Gesellschaft ist nicht gänzlich

unchristlich ist, sondern in einer spezifischen Weise nachchristlich; denn soviel

ist gewiss: Das mittelalterliche Christentum mit seiner religions- und

kulturgeschichtlich einmaligen Verflechtung von Gesellschaft und Religion

gehört unwiderruflich der Vergangenheit an. Die religiös legitimierte, durch

eiserne „Kirchendisziplin“ zusammengehaltene und alle Lebensbereiche

bestimmende Lebensführung ist passé. Wer früher außerhalb der Kirche stand,

befand sich außerhalb der Gesellschaft. Und wer nicht alle Glaubenslehren

akzeptierte, galt als Ketzer, der Gefahr lief, aus dem Leben geschafft zu

werden. Heute haben wir eine neue Sozialgestalt des Christentums vor uns.

Bürgergemeinde und Kirchengemeinde decken sich nicht mehr, sie klaffen weit

auseinander. Zu einem totalen Bruch aber sei es doch nicht gekommen,

behauptet der Religionswissenschaftler KARL GABRIEL. Das Bürgertum

entwickelte eine neue Sozialform von Religion, die weder die christliche

Tradition gänzlich hinter sich ließ noch alle Verbindungen zum kirchlichen

Christentum abbrach. Religion wurde mehr und mehr zu Religiosität und damit

zur Privatsache. Allerdings zu einer recht komischen, weshalb der

amerikanische Kolumnist IRV KUPCINET fragen konnte: „Was ist von einer

Gesellschaft zu halten, für die Gott tot ist, Elvis aber lebt?“

Worin liegt der Hauptgrund für diese grundlegende Veränderung der sozialen

Verhältnisse? Der Erfurter Kultur- und Sozialwissenschaftler Prof. HANS

JOAS gab bei einem Vortrag in der Katholischen Akademie München diese

Erklärung: „Wo wirtschaftliches Wachstum stattfindet und wissenschaftlicher

und technischer Fortschritt eine große Rolle spielen, verliert Religion, und

zwar alle Religion, fortlaufend an Bedeutung.“ Dies geschehe, meinte er, „mit

einer Art eingebauter eherner Notwendigkeit“, und zwar auf Dauer und derart

radikal, daß es zu einem „vollständigen Verschwinden des Christentums von

dieser Erde“ kommen könne.

Das soziologische Umfeld, in dem die Institution Kirche und ihre Mitglieder

leben und handeln müssen, stellt ein vielseitiges Geflecht aus Meinungen und

Lebensformen dar: in theoretischer Sicht eine Informations- und

Wissensgesellschaft ohne große Leitlinien für die Zukunft und im praktischen

Leben eine kurzweilige Erlebnisgesellschaft nach dem Motto funny, healthy

und sexy. Wie soll auf solchem Boden der Samen des Evangeliums aufgehen

und Frucht bringen?

Und doch bräuchte unsere Gesellschaft nichts notwendiger als die Kunde vom

liebenden und rettenden Gott. „Ich bin gekommen“, sagt Jesus, „damit sie das

Leben haben, damit sie es in Fülle haben.“ Doch von Seiten der Kirche waren

Jahrhunderte lang andere Töne zu vernehmen. Da war mehr die Rede vom

strafenden, rächenden Gott. Wenn wir heute von einem menschenfreundlichen

Gott Kunde geben, dann müßte dem aber auch das Kirchenbild entsprechen.

Doch gerade hier erleben die Menschen immer noch allzu häufig ein

Kontrastbild. Von dem Volksschriftsteller PETER ROSEGGER stammt der

Spruch: „Auf Erden gibt es die kämpfende Kirche, im Fegfeuer die leidende

Kirche, im Himmel die triumphierden Kirche.“ Daran knüpfte er die bange

Frage: „Wo aber ist die liebende Kirche?“

Frage III

GIBT ES EINEN AUSWEG AUS DER GEGENWÄRTIGEN KRISE DER

KIRCHE?

Eine Richtung, die man die konservative oder auch fundamentalistische nennen

könnte, will die nach ihrer Überzeugung nur scheinbar unaufhaltsame

Entwicklung stoppen, indem sie die traditionellen Positionen der Kirche bis

zur letzten Patrone verteidigt. So geschah es übrigens schon an der Wende vom

19. zum 20. Jahrhundert im sog. Modernismus-Streit, der die römisch-

katholische Kirche tief erschütterte und das Papsttum zu rigorosen Maßnahmen

veranlasste. Der sog. Antimodernismus-Kampf unter Papst Pius X., der allen

Geistlichen den inzwischen abgeschafften Antimodernismus-Eid abverlangte,

trug, gestützt auf Mittel der Verurteilung und des Zwangs, noch einmal den

Sieg davon. Der fortan von der Obrigkeit gesteuerte Kurs dauerte im Grunde

bis zu dem von Papst Johannes XXIII. einberufenen 2. Vatikanischen Konzil

(1962-1965). Jetzt erst nahm eine Mehrheit der zum Konzil in Rom

versammelten Bischöfe und Äbte die Herausforderung durch die neue,

moderne Zeit ernst, während eine Minderheit konservativer Konzilsväter

weiterhin auf Tradition setzte. Deshalb kam es auch zu manchen

kompromisshaften Konzilsdokumenten, die gerade in unseren Tagen heftige

Kontroversen über das richtige Verständnis einzelner Dokumente auslösen.

Ein besonders sprechendes Beispiel dafür bieten die

gegenwärtigenVerhandlungen zwischen dem Vatikan und der

ultrakonservativen Priesterbruderschaft Pius X., die kein gutes Ende verheißen.

Letztlich geht es um den prinzipiellen Konflikt zwischen traditioneller Kirche

(inclusive konservativer Theologie) und moderner Gesellschaft.

Die andere Richtung, die sich progressiv oder fortschrittlich nennt, wird nicht

müde, immer wieder dieselben Reformen zu fordern: Ende des

Zölibatsgesetzes, Ordination für Frauen, Zulassung geschiedener und

wiederverheirateter Eheleute zur Kommunion, Billigung der künstlichen

Empfängnisverhütung, differenzierte Beurteilung der Homosexualität u.s.w. So

auch jüngst wieder mehrere Hundert Dozenten und Professoren der Theologie

mit dem Memorandum „Kirche 2011“.

Der Tübinger Theologe HANS KÜNG bietet in seinem demnächst

erscheinenden Buch mit dem Titel „Ist die Kirche noch zu retten?“ eine

ökumenische Therapeutik an. Darin zählt er eine Reihe ganz verschiedener

Rettungsmaßnahmen auf:

nicht ein selbstfabriziertes Kirchenrecht, sondern den in der Heiligen Schrift

bezeugten Jesus Christus selber

bei der Wahl eines neuen Bischofs wieder Klerus und Laien einschalten

Priestern und Bischöfen die Ehe erlauben

Frauen zu allen kirchlichen Ämtern zulassen

katholischen und evangelischen Christen Mahlgemeinschaft gewähren

das Kirchenrecht nicht nur verbessern, sondern von Grund auf erneuern

die Inquisition nicht reformieren, sondern abschaffen

alle Formen von Repression beseitigen

Bemühen des Papst um Gemeinschaft mit der Kirche

die römische Kurie nicht zerstören, aber nach dem Evangelium gestalten

statt Günstlingswirtschaft mehr kompetentes Fachpersonal

Glasnost und Perestroika für die Kirchenfinanzen

fromme Phrasen, falsche Ausreden und tendenziöses Verschweigen durch eine

Sprache der Wahrhaftigkeit ersetzen

Wenn ich nur einen dringenden Wunsch anfügen darf:

Die Kongregation für Selig- und Heiligspechung ganz abschaffen

Der Jesuitenpater EBERHARD VON GEMMINGEN, bis vor kurzem noch

Leiter der deutschsprachigen Sektion von Radio Vatikan offerierte bei einem

Statement in der Katholischen Akademie in Bayern einen Reformkatalog mit 8

Punkten:

1. Das Hauptproblem in Mitteleuropa ist nicht der Mangel an Priestern,

sondern unser Unvermögen, den Glauben an die nächste Generation

weiterzugeben.

2. Konflikt über viri probati müsste im Heiligen Geist ausgetragen

werden

und nicht mit Schlagworten.

3. Die Denkweisen und Mentalitäten der Katholiken in den einzelnen

Ortskirchen sind außerordentlich verschieden, und das erschwert den

inneren Zusammenhalt der Weltkirche sehr.

4. Der Vatikan braucht Strukturreform, die Weltkirche braucht

Dezentralisierung.

5. Die deutschen Bischöfe brauchen bessere interne Kommunikation.

6. Papst Benedikt hat es als Nachfolger von Papst Johannes Paul II.

besonders schwer.

7. Zwei Themen müssten im Lauf der nächsten Jahre international auf

hoher Ebene und mit großer Kompetenz diskutiert werden: Methode

des

Konklaves und Methode eines Konzils.

8. Sexueller Missbauch muss aufgearbeitet und für die Zukunft nach

Möglichkeit verhindert werden.

Es hilft gewiß nicht weiter, wenn man den Fragen nach Vertiefung des

christlichen Glaubens und nach vielfältigen praktischen Reformen der Kirche

mit dem Slogan „Streben nach Heiligkeit“ begegnet. So unlängst Bischof

KÜNG von St. Pölten. Und ähnlich der Kölner Kardinal Meisner und der

Bamberger Erzbischof, der mit Bedauern feststellt: Was der Kirche heute fehlt,

sind Heilige, und dazu ermuntert: Wir alle sollen Heilige werden. Solche

abgegriffenen Parolen nützen nichts.

Und selbst wenn alle gut gemeinten Reformen erfüllt würden, wäre die Kirche

nicht aus der Krise. Das A und O ist und bleibt die Kernbotschaft Jesu vom

Reich Gottes auf Erden. Die Kirche müßte imstande sein zu zeigen, daß es für

das Christsein entscheidend auf eine echte Verbundenheit mit Jesus Christus

nicht als historische Person, sondern lebendem Herrn ankommt. Voraussetzung

dafür ist, dass die Kirche ihr Zeugnis von Gott und seinem

Offenbarungshandeln so authentisch vorträgt, daß der heutige Mensch es

versteht und aufnimmt. Das bedeutet gleichzeitig, daß sie alle aus vergangenen

Jahrhunderten stammenden und inzwischen zum Ballast gewordenen Formen

und Formeln aufgibt. Und besonders wichtig: Dass sie sich um Aussagen

bemüht, die der Mentalität, dem Wissen und der Erfahrung des heutigen

Menschen entsprechen.

Der genannte Professor JOAS ging bei seinem Vortrag in der Katholischen

Akademie München auch auf die Herausforderung für die Verkündigung des

Glaubens und für die Bildungsarbeit in unserer Zeit näher ein. Als erstes

nannte er eine radikale Neuartikulation der christlichen Botschaft, weil der

traditionelle Jargon der Kirche heute keine Chance mehr habe verstanden und

ernst genommen zu werden. Natürlich sei es eine schwierige Kunst, das

wesentliche Erbe Jesu dem heutigen Menschen sprachlich nahezubringen.

Worte wie Seele, Sünde, Buße, Hölle, Sühnetod Jesu, Erlösung, Heiligkeit,

Himmelreich, ewiges Leben besitzen keine Aussagekraft mehr, ganz zu

schweigen von Festtagsbezeichnungen wie Himmelfahrt, Unbefleckte

Empfängnis und DreiKönige. Papst Johannes XXIII. appellierte in seiner

Eröffnungsrede des Konzils im Jahr 1962 zum aggiornamento, d.h. darauf zu

achten, was die Stunde geschlagen hat. Auf die christliche Botschaft

angewandt, meinte der Papst: „Etwas anderes ist das Depositum fidei oder die

Wahrheiten, die in der zu verehrenden Lehre enthalten sind, und wieder etwas

anderes ist die Art und Weise, wie sie verkündet werden, freilich im gleichen

Sinn und der derselben Bedeutung.“

Die mit der Neuartikulation verbundene Problematik hat der Ottobrunner

Pfarrer CHRISTOPH NOBS vor Tagen in einem Leserbrief an die SZ

(10.2.2011) treffend zum Ausdruck gebracht. Er spricht von einem

„kompletten theologischen Umbau, Teil-Abriss und Neubau“, der in breiten

Bevölkerungskreisen vor sich gehe und vor allem konservative Gläubige bis ins

Mark hinein erschüttere, weil sie „mit nicht mehr haltbaren Glaubens- und

Kirchenverständnissen, mit mythologischen Welt- und Gottesbildern, die seit

der aufgeklärten Moderne längst überholt sind, mit Liedern und liturgischen

Modulen, die vernunftbegabten Zeitgenossen nicht mehr vermittelbar sind“,

leben (müssen) . Und dann konstatiert der klarsichtige Pfarrer prinzipiell:

„Man tut so, als ob man nicht wüsste, dass ein neues Gottesbild für unser

heutiges Weltverständnis erforderlich ist, als göttlich-mystische

Tiefendimension in jedem Menschen, auch ohne Kirche, Priester und

Pflichtzölibat. Die gesamte Glaubensinterpretation des Christentums befindet

sich in einem Paradigmenwechsel.“ Und zum Schluß zieht er die kritische

Konsequenz: „Ein wirklich zeitgenössischer Glaube respektiert, dass Menschen

heute selbstbestimmt ihren Glaubensweg erfahren. Dabei entdecken sie neue

Gottes- und Kirchenbilder, während die Kirchenregierung krampfhaft ‚am

Alten’ festhalten will. Sie wird damit scheitern.“

Es ist kein Geheimnis, daß die christliche Verkündigung, vom Elternhaus über

Unterricht in der Schule bis zu den Predigten iin der Kirche und der

Berichterstattung in den Medien, auf dem Nullpunkt angekommen ist.

Beängstigender noch als eine weltfremde Ausdrucksweise ist das geringe

Engagement, das vielen Sonntagspredigern anzumerken ist. Wichtiger als die

Quantität der Priester ist deren Qualität. Und in diesem Zusammenhang wäre

auch die Ausbildung der Religionslehrer zu hinterfragen.

Tausendmal wichtiger aber als die zeitgemäße Verkündigung ist die

Verwirklichung der Botschaft, die den christlichen Glauben ausmacht. Für

alle, die den Namen Christen tragen, is es unerlässlich, daß sie im alltäglichen

Leben Zeugnis geben von ihrem letzten Vertrauen auf Gott und Jesus Christus

und von ihrer Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod.

MITSCHKE-COLANDE, einst Mitarbeiter der Unternehmensberatung

McKinsey, zuletzt Berater der Deutschen Bischofskonferenz und einzelne

Bistümer, weiß um die schwere Krise, in der sich die Kirche - alle Kirchen –

befinden. Er ist der Meinung: „Die Kirche steckt in der schwersten Krise der

Nachkriegszeit…. Die Kirche habe sich immer verändert, sie muss sich auch

jetzt verändern, wenn sie nicht jeden gesellschaftlichen Einfluß verlieren will.“

Als Ausweg aus der gegenwärtigen Krise gibt es für zwei Möglichkeiten:

(1) Die Kirche beharrt auf ihren Jahrhunderte alten Traditionen, sieht das

Schrumpfen ihrer Mitgliederzahl als unausweichlich an, richtet sich auf eine

kleine Herde ein und zieht sich zu ihrem eigenen Schutz in die Wagenburg

zurück. Oder

(2) die Kirche überprüft ihre Lehraussagen, gibt vom Evangelium her neue

Antworten auf Fragen unserer Zeit und geht mit missionarischem Engagement

in die Offensive.

Nur wenn die Kirchenautoritäten sich für die zweite Möglichkeit

entschließen, meint Mitschke-Colande, können sie mit Zukunft rechnen.

Beginnen müßte alles mit einer ehrlichen, ausgangsoffenen Bestandsanalyse

und einer Null-Fehler-Toleranz, was bedeutet, die Heiligkeit der Kirche nicht

nur predigen, sondern im Alltag unter Beweis stellen. Mit einem besonderen

Appell wendet Mitschke-Colande sich hier an die Bischöfe, Mut und

Führungsstärke zu zeigen und einem breiten Dialog über dringende

Reformfragen nicht auszuweichen.

Alle Reform sollte damit beginnen, daß die Kirchenbediensteten, um sie einmal

so zu nennen, in ihrem äußeren Auftreten dem anspruchlosen Jesus von

Nazareth gleichen, auf jeden Pomp und Prunk verzichten und in ihrem Reden

wieder glaubwürdig erscheinen. Viele Menschen, auch Katholiken, fühlen sich

von dem Glamour bei gottesdienstlichen Feiern und kirchlichen

Veranstaltungen abgestoßen.

Und zweitens, was die Lehre und Verkündigung betrifft, sollte man alle

Lehrbücher der Dogmatik, der Moraltheologie und des Kirchenrechts

wegwerfen und allein die Bibel des Neuen Testaments als prinzipielle

Lebensorientierung sprechen lassen. Die Botschaft, die Jesus Christus mit der

Lehre vom Reich Gottes in die Welt gebracht hat und durch die Kirche

weitergeben will, läßt sich auf einen Fingernagel niederschreiben. Einem

jungen Mann, der fragt, was er tun müsse, um das ewige Leben zu erlangen,

antwortete Jesus lapidar: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben, mit deinem

ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit all deinen Gedanken und all

deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie

dich selbst. Es gibt kein größeres Gebot als diese beiden.“ Dieses Hauptgebot

konkretisierte Jesus in der Bergpredigt (Mt 5) mit acht Seligpreisungen. Wir

sollten sie wieder einmal hören, um sie befolgen zu können:

„Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.

Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.

Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.

Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit; denn sie werden satt

werden.

Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.

Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.

Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.

Selig, die m der Gerechtigkeit willen verfolgt werden;denn ihnen gehört

das

Himmelreich.

Alle Menschen guten Willens, allen voran aber wir, die wir uns Christen

nennen, werden am Ende am Hauptgebot und an den Seligpreisungen gemessen

werden. Es verwundert nicht, , wenn GÜNTER GRASS, ein politischer

Unruhestifter seit eh und je, zuerst an die Politiker denkt, die das C im Namen

ihrer Partei stehen haben. Bei einer Rede im Dresdner Staatsschauspiel 1997

ging er mit den den C-Parteien energisch ins Gericht, indem er konstatierte:

„Im welcher Schublade ist die Bergpredigt von jenen Parteien abgelegt

worden, die sich unverdrossen auf den Sozialrevolutionär Jesus Christus

berufen?“ Wenn das Wort „gotteslästerlich“ noch einen Sinn mache, treffe es

„auf den gegenwärtig regierenden Heuchlerverein zu.“ Das war 1997. Und ist

es heute viel anders? Erst kürzlich kündigten ein evangelischer und ein

katholischer Pfarrer in Schweinfurt ihre Mitgliedschaft in der CSU wegen

deren Sozialpolitik, die sich in den Bestimmungen zu Hartz IV konkret

darstelle.

Frage IV

WER IST EIN CHRIST?

JOSEPH RATZINGER beantwortete 1970 als Theologieprofessor diese Frage

in seinem Buch „Glaube und Zukunft“ auf eine Weise, wie sie auch einer

seiner schärfsten Rivalen, der Tübinger Dogmatiker Hans Küng, in seinem

neuen Buch „Was ich glaube“ fast ebenso zum Ausdruck gebracht hat.

Ratzinger schrieb damals: „Ein Mensch bleibt solange Christ … solange er das

fundamentale Ja des Vertrauens zu geben versucht, selbst wenn er viele

Einzelheiten nicht einzuordnen vermag. Es wird Augenblicke im Leben geben,

wo in vielerlei Dunkel der Glaube sich zusammenzieht auf das einfache Ja: Ich

glaube dir, Jesus von Nazareth; ich traue darauf, daß in dir sich jener göttliche

Sinn gezeigt hat, von dem her ich getrost und gelassen, geduldig und mutig

mein Leben bestehen kann. Solange diese Mitte gesetzt ist, steht der Mensch im

Glauben, auch wenn ihm noch so viele von seinen Einzelaussagen für den

Augenblick unvollziehbar sind.“ Ist das nicht eine tröstliche Auskunft für uns

alle, die sich bemühen, nicht bloß Christen zu heißen, sondern es auch im

Leben zu sein?

Der große Theologe KARL RAHNER sah vor 30 Jahren die Problematik

tiefer. Die Zukunft der Kirche unserer europäischen Völker lasse sich nur

schwer oder gar nicht prognostizieren. Zum Schluß eines Vortrag vertrat er die

Meinung: „Wenn die europäischen Völker, wenn wir die Fackel des Glaubens,

der Hoffnung und der Liebe fallen ließen, dann würden andere Völker sie

weitertragen durch die Geschichte bis zu ihrem Ende. Die Zukunft der Kirche

ist Gott und so das ewige Leben für uns.“

An der Wand vor dem Grab ROMANO GUARDINIS in einer Seitenkapelle

von St. Ludwig in München stehen die Worte, die das Lebensprogramm des

großen Religionsphilosophen und Priesters prägnant zum Ausdruck bringen:

„Im Glauben an Jesus Christus und seine Kirche. Im Vertrauen auf sein

gnädiges Gericht.“ Solange wir, Sie und ich, ebenso glauben, lebt die Kirche

noch. Ob aber auch unsere Kinder noch Christen sein werden, steht in den

Sternen.


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