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Kann Rationierung fair sein? Ethische Überlegungen zur Gerechtigkeit im Gesundheitssystem

Date post: 31-Oct-2016
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Z.a ¨ rztl. Fortbild. Qual.Gesundh.wes. (ZaeFQ) 101 (2007) 356–361 Schwerpunkt Kann Rationierung fair sein? Ethische U ¨ ber- legungen zur Gerechtigkeit im Gesundheits- system Michael Rosenberger Institut fu ¨ r Moraltheologie, Linz, O ¨ sterreich Zusammenfassung Wa ¨ hrend die O ¨ konomie das Problem der knappen Gu ¨ ter durch Rationali- sierungen, d.h. Effizienzsteigerungen zu lo ¨ sen versucht, geht die Ethik den Weg der gerechten Verteilung dieser Gu ¨ ter, der die Rationierung nach transparenten und fairen Kriterien notwendig einschließt. Wie aber kann die Rationierung im Gesundheitswesen konkret vollzogen werden? Außermedizinische Kriterien wie gesellschaftliche Funktion oder Alter der PatientInnen oder auch der Ausgleich fu ¨ r schon erlittene Krankheiten ko ¨ nnen, obwohl sie zahlreich diskutiert werden, nicht u ¨ berzeugen. Einzig medizinische Kriterien ko ¨ nnen hier eine dauerhafte Lo ¨ sung bringen. Die Modelle der QALYs oder DALYs sind derartige Versuche. Entscheidend wird sein, die in ihnen angewandten Maßsta ¨ be der Lebensqualita ¨ t ent- sprechend sorgfa ¨ ltig zu reflektieren und in einigen wenigen Bereichen fu ¨r flankierende Abfederungen zu sorgen. Schlu ¨ sselwo ¨ rter: Gerechtigkeit, Rationierung, QALY, Lebensqualita ¨ t, Effizienz Can Rationing be Fair? Ethical Considerations Regarding Justice in the Healthcare System Abstract While economy tries to solve the problem of scarcity by rationing, i.e. increasing efficiency, ethics reflect the path of the just distribution of scarce goods, necessarily including the means of transparent and fair rationing. But how can such rationing be realised in a healthcare system? Non-medical criteria such as the patient’s social function or age, though vividly discussed, are inappropriate. Only medical criteria can bring sus- tainable solutions. The QALY and DALY models are such an attempt. Careful reflection of these measures of quality of life and, in some aspects, accompanying rules to avoid extreme unfairness will be critical to their success. Key words: justice, rationing, QALY, quality of life, efficiency ’’ Rationierung darf es im Krankenhaus bestenfalls im Blick auf die ’’ Hotelkom- ponente’’ geben, niemals aber im Blick auf die medizinischen Leistungen. Denn das wu ¨ rde gegen das Prinzip der Menschenwu ¨ rde verstoßen.’’ So sagte es vor einigen Wochen ein anerkannter Politiker bei einer o ¨ ffentli- chen Veranstaltung zur Zukunft des www.elsevier.de/zaefq ARTICLE IN PRESS Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Theol. Michael Rosenberger, Institut fu ¨ r Moraltheologie, Bethlehemstr. 20, 4020 Linz, O ¨ sterreich. E-Mail: [email protected]. Z.a ¨ rztl. Fortbild. Qual.Gesundh.wes. 101 (2007) 356–361 www.elsevier.de/zaefq 356.e1
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Page 1: Kann Rationierung fair sein? Ethische Überlegungen zur Gerechtigkeit im Gesundheitssystem

ARTICLE IN PRESS

�Korrespondenzadresse:E-Mail: michael.rosenbe

Z.arztl. Fortbild. Quwww.elsevier.de/za

Z.arztl. Fortbild. Qual.Gesundh.wes. (ZaeFQ) 101 (2007) 356–361

www.elsevier.de/zaefq

Schwerpunkt

Kann Rationierung fair sein? Ethische Uber-legungen zur Gerechtigkeit im Gesundheits-systemMichael Rosenberger�

Institut fur Moraltheologie, Linz, Osterreich

Zusammenfassung

Wahrend die Okonomie das Problem der knappen Guter durch Rationali-sierungen, d.h. Effizienzsteigerungen zu losen versucht, geht die Ethik denWeg der gerechten Verteilung dieser Guter, der die Rationierung nachtransparenten und fairen Kriterien notwendig einschließt. Wie aber kanndie Rationierung im Gesundheitswesen konkret vollzogen werden?Außermedizinische Kriterien wie gesellschaftliche Funktion oder Alter derPatientInnen oder auch der Ausgleich fur schon erlittene Krankheiten

Prof. Dr. Theol. Michael Rosenberger, Institut fur [email protected].

al.Gesundh.wes. 101 (2007) 356–361efq

konnen, obwohl sie zahlreich diskutiert werden, nicht uberzeugen. Einzigmedizinische Kriterien konnen hier eine dauerhafte Losung bringen. DieModelle der QALYs oder DALYs sind derartige Versuche. Entscheidendwird sein, die in ihnen angewandten Maßstabe der Lebensqualitat ent-sprechend sorgfaltig zu reflektieren und in einigen wenigen Bereichen furflankierende Abfederungen zu sorgen.

Schlusselworter: Gerechtigkeit, Rationierung, QALY, Lebensqualitat, Effizienz

Can Rationing be Fair? Ethical Considerations Regarding Justice in the HealthcareSystem

Abstract

While economy tries to solve the problem of scarcity by rationing, i.e.increasing efficiency, ethics reflect the path of the just distribution ofscarce goods, necessarily including the means of transparent and fairrationing. But how can such rationing be realised in a healthcare system?Non-medical criteria such as the patient’s social function or age, though

vividly discussed, are inappropriate. Only medical criteria can bring sus-tainable solutions. The QALY and DALY models are such an attempt.Careful reflection of these measures of quality of life and, in some aspects,accompanying rules to avoid extreme unfairness will be critical to theirsuccess.

Key words: justice, rationing, QALY, quality of life, efficiency

’’Rationierung darf es im Krankenhaus

bestenfalls im Blick auf die’’Hotelkom-

ponente’’ geben, niemals aber im Blick

auf die medizinischen Leistungen.Denn das wurde gegen das Prinzipder Menschenwurde verstoßen.’’ So

logie, Bethlehemstr. 20, 4020

sagte es vor einigen Wochen einanerkannter Politiker bei einer offentli-chen Veranstaltung zur Zukunft des

Linz, Osterreich.

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Gesundheitssystems. Und vermutlichwurden ihm viele KollegInnen ebensowie ein großer Teil der Bevolkerung in-tuitiv zustimmen.Aber stimmt das? Ware es tatsachlichunethisch, Leistungen auch dort zu ra-tionieren, wo es um Leben und Ge-sundheit, mithin um Grundguter desMenschen geht, und nicht nur um ei-nen bestimmten Komfort wie das Ein-oder Zweibettzimmer? Zur Beantwor-tung dieser Frage mochte ich in einemersten Schritt die Aufmerksamkeit dar-auf lenken, dass es klassischer Weisezwei Wissenschaften gibt, die sich mitKnappheitsproblemen beschaftigen.Erst dann mochte ich aus ethischerPerspektive fur beide WissenschaftenHinweise geben, unter welchen Bedin-gungen die

’’Verwaltung’’ der Knapp-

heiten in der einen wie in der anderenWissenschaft gerechtfertigt werdenkann.

1. Knappheit alsGegenstand zweierWissenschaften

1.1. Okonomie: Effizienzsteigerung(Rationalisierung) als Beitrag zurLosung des Knappheitsproblems

Spontan wurden die meisten von unsvermutlich die Okonomie als jene Dis-ziplin nennen, die sich mit Knappheitenbefasst. Und es stimmt ja auch: Per de-finitionem hat sie, das kann man in je-dem Lehrbuch lesen, die Knappheit derGuter zum Materialobjekt. Wo Uber-fulle herrschte, brauchte es keineOkonomie, kein

’’Haushalten’’. Und

wenn man ein solches versuchenwurde, wurde es nicht greifen, weil eskeinerlei Druckmittel gabe, die zumsparsamen Umgang mit den Dingenanhalten wurden. Okonomie geht alsoselbstverstandlich davon aus, dass dieBedurfnisse nach den allermeisten Gut-ern immer großer sein werden als de-ren tatsachliches Zuhandensein.Nun hat die Okonomie ebenfalls perdefinitionem ein ganz bestimmtes For-malobjekt: Sie betrachtet das Knapp-heitsproblem unter der Perspektive derEffizienz, d.h. der Minimierung desKosten-Nutzen-Verhaltnisses. Insofern

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kann sie zwei Wege zur Losung desProblems einschlagen: Entweder suchtsie mit gegebenen Mitteln den erstreb-ten Nutzen zu maximieren (Maximum-Variante) oder ein gegebenes Zielmit minimalen Mitteln zu erreichen(Minimum-Variante) [12, 2]. Beide We-ge entsprechen dem Gebot der Effizi-enz, das optimale Kosten-Nutzen-Verhaltnis zu erreichen. Aus ihnenergibt sich unmittelbar das Gebot derRationalisierung. Es gilt Maßnahmenzu ergreifen, die in der Organisationder Arbeitsablaufe und Kommunikati-onsprozesse zu Effizienzsteigerungenfuhren.

1.2. Ethik: Freie und faire Selbstbe-grenzung (Rationierung) als Beitragzur Losung des Knappheitspro-blems

Neben der Okonomie, die schon in ih-rer Definition vom Knappheitsproblemspricht, gibt es aber noch eine zweiteWissenschaft, die sich mit diesem be-schaftigt: Die Ethik. Auch sie hat dieKnappheit der irdischen Guter als Ma-terialobjekt. Denn sie reflektiert die Fra-ge, wie der Mensch angesichts der Be-grenztheit seiner selbst wie seiner Um-welt (theologisch nennen wir dasGeschopflichkeit) ein erfulltes Lebenfinden kann. Auf diese Weise wird dieGuterabwagung zum Ursprung undStandardfall normativer Ethik: Ob in-traindividuell (

’’Soll ich heute Abend ins

Kino gehen oder meine kranke Mutterbesuchen? Beides schaffe ich ange-sichts der knappen Zeit nicht!’’), inter-individuell (

’’Soll die eine vorhandene

Spenderniere dem Patienten A oderdem Patienten B gegeben werden, diesie beide hochst dringlich brauchen?’’)oder interkollektiv (

’’Sollen wir mehr in

die Bildung der jungen Generation in-vestieren oder in die Gesundheit deralteren?’’) – immer geht es um dieAbwagung von Gutern, die selbst beioptimaler Effizienz nicht alle optimalverwirklicht werden konnen. Denn im-mer konnte sich der Mensch ein erstre-benswertes Mehr an Lebensqualitatvorstellen, das die vorhandenenMoglichkeiten ubersteigt.

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Allerdings hat die Ethik ein vollkommenanderes Formalobjekt als die Okon-omie: Wahrend diese durch Effizienz-steigerungen den Umfang notwendi-ger Guterabwagungen

’’technisch’’ zu

minimieren sucht, nimmt die Ethik dieUnausweichlichkeit von Guterabwa-gungen zur Kenntnis und fragt, wieder Mensch nicht nur trotz diesen, son-dern in ihnen und durch sie zu Gluck,Erfullung und Selbstverwirklichung ge-langen kann. Ethik kreist seit ihren Urs-prungen um die Frage nach dem rech-ten Umgang mit Begrenzungen. Sowar die Maßhaltung als das In-Ein-klang-Bringen von Einzelmensch (

’’See-

le’’), Gesellschaft (’’Polis’’) und Schop-

fung (’’Kosmos’’) in der griechischen

Antike die Tugend par excellence, unddie Gerechtigkeit, d.h. die feste undbestandige Absicht, jedem das Seine zugeben, ihr nach außen gewandtesSpiegelbild.Der ethische Weg zur Losung desKnappheitsproblems ist also die maß-volle Selbstbeschrankung – um dereigenen und fremden Selbstwerdungsowie um der Gemeinschaft willen. Imsozialen und politischen Bereich, furden seit Aristoteles die Verteilungsge-rechtigkeit das Kernmaß darstellt, heißtdas insbesondere die faire Verteilungvon Lasten und Entlastungen, von Kos-ten und GewInnen. Genau dies ist mitdem Begriff der Rationierung ange-sprochen. Sie bedeutet die Verteilungknapper Guter nach transparenten undgerechten Kriterien und ist aus ethi-scher Sicht folglich ein absolutes Muss!Zu sagen, es durfe keine Rationierunggeben, weil diese der Menschenwurdewiderspreche, ist kurzsichtig. Gegendie Menschenwurde ware es vielmehr,wenn Zuteilungsbegrenzungen intrans-parent, heimlich und unter Ansehender konkreten Person vollzogen wur-den, wenn also der beste Freund einesArztes Leistungen erhielte, die derselbeArzt anderen PatientInnen vorenthaltenmuss, bloß weil er eben der besteFreund ist. Das ware in der Tat gegendie Menschenwurde. Aber eine trans-parente, demokratisch legitimierte Leis-tungsbegrenzung, die von den betrof-fenen Personen absieht, ist genau das,worauf Ethik zielt und wozu es ethischeErwagungen braucht.

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2. Die ethischenImplikationen derRationalisierung

Gesundheit ist ein Basisgut, das unsMenschen durch

’’Zufall’’ zufallt, d.h.

das niemand verdienen oder machenkann. Daher wurde es von jeher als so-ziale Verpflichtung aller angesehen,einander in Krankheit beizustehen. Me-dizin und Pflege sind folglich Ausdruckvon Solidaritat und ethisch betrachtetprimar Gegenstand der Verteilungsge-rechtigkeit, nicht der Leistungsgerech-tigkeit, wenngleich die Frage offenbleibt, bis wohin Solidaritat sinnvollerWeise gefordert werden kann und wosie an ihre Grenzen kommt.Gleichwohl kann ein okonomischerBlick auf das Gesundheitssystem sehrheilsam sein. Vermeidbare Ineffizienzensind in diesem System immer (!) unge-recht, denn es muss sie jemand

’’be-

zahlen’’, der sie nicht verantwortet hat,– ob er will oder nicht. Effizienzsteige-rungen sind folglich automatisch ge-rechter – allerdings nur, wenn drei Be-dingungen beachtet werden:

2.1. Qualitat als Maßstab verant-worteter Rationalisierung

Zunachst muss geklart werden, an wel-chem Maßstab wir die Effizienz desGesundheitssystems messen: Was wirdals Kosten und was als Nutzen erach-tet? Das Geld steht ja bestenfalls (!) alsSymbol fur jene Werte, die wir eigent-lich erstreben – es hat keinen Eigen-wert, ist kein Selbstzweck. Vielmehrmuss die Gesellschaft ihre Werte ver-einbaren – in einem ethischen Diskurs!Fur das Gesundheitssystem definiertz.B. die WHO als Ziel einen

’’Zustand

vollstandigen korperlichen, geistigenund sozialen Wohlbefindens’’. Mithingeht es um medizinisch-pflegerisch-ge-samtmenschlich optimale Lebensqua-litat. Daran mussen sich Rationalisie-rungsmaßnahmen messen lassen. Esdarf z.B. nicht einfach die Zeit furmenschliche Zuwendung und Gesprachgestrichen werden. Weiterhin muss dieNachhaltigkeit der erzielten Qualitatgarantiert sein. Es gilt sie auf langeSicht zu messen, nicht nur am Entlass-

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tag aus dem Krankenhaus. MonetareEffizienzsteigerungen zu Lasten derlangfristigen Qualitat sind keine Effizi-enzsteigerungen. Sie sind zwar kosten-effizient, aber weder nutzeneffizientnoch effizient im Blick auf das Kosten-Nutzen-Verhaltnis.

2.2. Die gerechte Verteilung derRationalisierungslasten und -gewin-ne

Wie alle Guter sind auch Rationalisie-rungsgewinne gerecht zu verteilen: Je-der, der zu ihnen etwas beitragt, sollauch von ihnen profitieren. Eine Effizi-enzsteigerung muss all jene Gruppenfordern, die fur die vorherige Ineffizienzmitverantwortlich waren, und all jeneGruppen begunstigen, die fur die vor-herige Ineffizienz nicht verantwortlichwaren. Meist aber werden die Verant-wortlichkeiten fur eine Ineffizienz nichtso klar zuzuweisen sein. Dann gilt es,die Effizienzerzeugungskosten wie dieEffizienzgewinne auf alle beteiligtenGruppen zu verteilen.

2.3. Die Grenzen der Okonomisie-rung bzw. Rationalisierung

Jede Rationalisierung eines gesell-schaftlichen bzw. okonomischen Teil-systems hat ihre Grenzen. Die Welt isteinfach zu komplex, als dass sich dieTeilsysteme menschlichen Zusammen-lebens lupenrein voneinander trennenließen. Insofern wird es in Solidarsyste-men immer Raume geben, die nichtdurchrationalisiert werden konnen. Ins-besondere denke ich hier an die Tatsa-che der

’’Benachteiligung der kleinen

Zahl’’: In dunn besiedelten Landstrichenwird ein Krankenhaus nie so effizientwirtschaften konnen wie im Ballungs-raum einer Großstadt. Die Erforschungextrem seltener Krankheiten wird nie sogewinnbringend sein konnen wie dieEntwicklung von Medikamenten gegensog.

’’Volkskrankheiten’’. Und doch

empfanden wir es als einen Verstoßgegen die Solidaritat, wurde die kon-sequente Rationalisierung des Gesund-heitswesens ganze Menschengruppenausschließen. Insofern werden wir Kli-niken auf dem Land in der einen oderanderen Weise subventionieren’’, und

’’

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wir werden auch in die Erforschungseltener Krankheiten eine gewisseGeldmenge stecken.Uber Strategien zur Effizienzsteigerungim Gesundheitswesen (Ansetzen beiden Ursachen, nicht bei den Sympto-men; Anreizstrukturen, um kreativeProzesse in Gang zu setzen) kann ichhier aus Zeitgrunden nicht sprechen.Ich habe das an anderer Stelle getan –wer mag, lese es dort nach [31, 32]. Eswird aber im Folgenden vorausgesetzt,dass Rationierungsmaßnahmen erstdann gesetzt werden durfen, wenndie Rationalisierungspotenziale (weit-gehend) ausgeschopft sind.

3. Ethische Leitlinien derRationierung

Bereits seit zehn Jahren, also seit 1996,ist die Mehrheit deutscher ArztInnendavon uberzeugt, dass es so etwas wie

’’Rationierung’’ im Gesundheitswesen

gibt (DABl 96 (1999) A-117): Damalsstimmten 59%, 1998 sogar schon73% aller MedizinerInnen dieser Aus-sage zu. Dabei handelt es sich meistnicht um echte Rationierung, d.h. umLeistungseinschrankungen nach Re-geln, die im transparenten und demo-kratischen Diskurs gewonnen sind, son-dern um verdeckte, nicht rationalbegrundete und damit letztlich unethi-sche

’’Rationierung’’. Deren tuckischste

(und ineffizienteste!) Form ist freilich inDeutschland noch relativ wenig ver-breitet: Wartelisten, die in etlichenLandern Europas das Mittel der

’’Wahl’’

sind, um knappe Kassen von allzugroßem Druck zu entlasten. Sie als ge-rechtes bzw. ethisch verantwortbaresMittel anzusehen halt, so weit ich essehen kann, niemand fur vernunftig.Denn das klassische Prinzip

’’wer zuerst

kommt, mahlt zuerst’’ ist (in der ur-sprunglichen Anwendung der mittelal-terlichen Getreidemuhlen) ein Grund-satz der Leistungs-, nicht der Vertei-lungsgerechtigkeit.Rationierung im Gesundheitswesensetzt drei Bedingungen voraus, die ichhier nicht diskutiere, die aber notwen-dig vollzogen sein mussen: 1) Es mussgeklart sein, in welchem Umfangdie Solidargemeinschaft Geld in ihr

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Gesundheitssystem investiert, damitnicht andere, ebenso wichtige Solidar-aufgaben zu kurz kommen. In der Re-gel wird man in Industriegesellschaftenvon ca. 8–10% des BIP als Rahmen-budget fur solidarische Gesundheits-leistungen ausgehen konnen und mus-sen. 2) Es muss geklart sein, was allesunter die WHO-Definition von Gesund-heit gerechnet werden und damit Ge-genstand von Leistungen des Solidar-systems sein soll (und umgekehrt, wasguten Gewissens in den Bereich frei-williger Zusatzversicherungen gerech-net werden darf). 3) Es muss klar sein,dass prinzipiell jedeR an der solidari-schen Grundsicherung des Gesund-heitssystems teilhat ( ¼ das Seineerhalt) und zu ihrer Finanzierung ange-messen beitragt ( ¼ das Seine leistet).Nun tritt Rationierung im Gesundheits-wesen per se vorrangig im Gewand derPriorisierung auf. Es gilt eine bestimmteMenge Geld zu verteilen. Aber es istnicht klar, welche Krankheit wie oftauftaucht und welche Kosten konkretanfallen. Insofern kann man nur Rang-listen festlegen, gemaß denen zunachsteinmal die hoher gereihten Krankhei-ten behandelt werden und nur bei gu-ter Kassenlage auch die niedriger ge-reihten. Wie also konnte eine solcheRationierung oder Priorisierung ausse-hen?

3.1. Priorisierung nach außermedi-zinischer Kriterien?

Zwar wenden sich einzelne KollegInnengenerell gegen das Prinzip der Priori-sierung (so etwa Gunther Poltner [26],301 unter Berufung auf Gerhard Luf).Hier wurde die Menschenwurde quan-titativ nach

’’Wurdigkeiten’’ bemessen

und damit relativiert. Allerdings warKant nicht dagegen, den Trager derWurde auch (!) unter Nutzenaspektenzu betrachten. Einzig die aus-schließliche Sicht von den

’’Wurdigkei-

ten’’ her lehnte er ab. Insofern gehe ichwie die Mehrheit der EthikerInnen da-von aus, dass eine Priorisierunggrundsatzlich verantwortbar ist. Ent-scheidend ist freilich, nach welchen Kri-terien sie geschieht. Und hier werden inder Tat die unterschiedlichsten Vor-schlage gemacht. In einem ersten

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Schritt mochte ich die zur Diskussionstehenden nichtmedizinischen Kriterienkurz darlegen, um zu zeigen, dass sieallesamt bestenfalls als nachgeordneteKriterien in Frage kommen, wenn allemedizinischen Parameter zu keiner kla-ren Vorzugslage fuhren.- Ein erstes denkbares Kriterium waredie gesellschaftliche Funktion der Pati-entInnen: Vorzugsweise werden vonder Solidarversicherung Therapien vongesellschaftlich wichtigen Personen fi-nanziert. Doch der Versuch von BeatSitter-Liver, dies zumindest fur Mutterkleiner Kinder zu begrunden, weil dieseals Personen

’’unersetzlich’’ seien [35],

zeigt, dass eine solche Herangehens-weise notwendig scheitern muss: Werist schon wirklich unersetzlich? Aucheine Mutter kann – Gott sei Dank – er-setzt werden, z.B. wenn sie stirbt.- In weit großerer Zahl wird der zweiteVorschlag vertreten, das Alter einesMenschen zum Kriterium zu erheben.So argumentiert Norman Daniels be-reits 1985 vertragstheoretisch: Wennman die Menschen unter dem Schleierdes Nichtwissens einen Solidarvertraguber das Gesundheitswesen schließenließe, wurden sie dafur votieren, ab ei-nem bestimmten Lebensalter nur nochMaßnahmen zu setzen, die derSchmerzlinderung dienten, auf lebens-verlangernde Therapien jedoch zu ver-zichten [7]. Sie hatten schließlich zudiesem Zeitpunkt ihr Leben gelebt, undso waren sie kaum bereit, fur eine wei-tere Lebensverlangerung noch sehr vielGeld einzusetzen (das ihnen dann inder Zeit vorher letztlich fehlen wurde!).In Deutschland hat dies zuletzt JoachimWiemeyer [39] als die einzig sinnvolleGeneralperspektive bezeichnet. Andersals Daniels argumentiert er aber mitdem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit:Jeder solle in etwa so viel aus der Kran-kenversicherung herausbekommen,wie er eingezahlt habe. Wenn also diemeisten nicht ubermaßig viel einbezah-len wollten, sei es nur gerecht, teureVersicherungsleistungen jenseits derSchmerztherapie auf ein bestimmtesAlter zu begrenzen: Das bedeute auchkeine Altersdiskriminierung, denn:

’’Im

Alter gelten fur alle die gleichen Re-geln.’’ [39]. Die scharfe Kritik, die dieserVorschlag in der Offentlichkeit erfuhr,

Z.arztl. Fortb

konnte womoglich ein Indikator dafursein, dass es mit der behaupteten Ge-rechtigkeit dieses Kriteriums so weitnicht her ist. Denn ist es gerecht, dassein Sterbender im Alter von 79 Jahreneinen Anspruch auf maximale Therapiehat, wahrend ein insgesamt kernge-sunder 81-Jahriger kein neues Huftge-lenk mehr bekommt, obwohl er viel-leicht 90 oder 100 Jahre alt wird? Nein,in einem Solidarmodell ist eine fixe Al-tersgrenze ungerecht. Und am gesell-schaftlichen Gesamtnutzen gemessenauch ineffizient.- Ein drittes vorgeschlagenes Kriteriumist das der ausgleichenden Gerechtig-keit: Wer im Laufe seines Lebens schonviele Krankheiten erlitten hat, soll imZweifel den Vorzug erhalten. Doch Die-ter Birnbacher, der diesen Vorschlagvertritt, schrankt ihn selbst ein und willdas Kriterium nur als den medizinischenKriterien nachgeordnetes zulassen [3].- Schließlich schlagt der Gesund-heitsokonom Jens Hohmeier vor, dasBehandlungsoptimum bei allen Patien-tInnen um den selben Prozentsatz derKosten zu kurzen [15]. Bei einer sol-chen proportionalen Kurzung fur allewurde allerdings mancher Patient ex-trem teuer noch ein paar Tage langeram Leben gehalten, wahrend der an-dere sofort sterben musste, etwa weilihm eine 80%-prozentige Herztrans-plantation nichts nutzt. Wurden das dieMenschen im Rawls’schen Urzustandvereinbaren, wie Hohmeier behauptet?

3.2. Priorisierung nach medizini-schen Kriterien

Die bisherigen Versuche, eine Priorisie-rung von Gesundheitsleistungen aufnichtmedizinischen Kriterien zu basie-ren, mussen daher als gescheitert gel-ten. Sie erinnern an analoge Uberlegun-gen im Bereich der Zuteilung vonSpenderorganen. Dort hat sich (jenseitsdes politisch bedingten Kriteriums einernational ausgeglichenen Bilanz von inden Eurotransplant-Pool gegebenenund daraus empfangenen Organen)als einziges nicht streng medizinischesKriterium fur die Organallokation dieWartezeit etabliert, die mit je nach Or-gan unterschiedlichem Gewicht in dieVorzugsentscheidung einfließt. Sie

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ahnelt dem Kriterium ausgleichenderGerechtigkeit, das Birnbacher vor-schlagt. Allerdings ist sie zugleich auchein medizinischer Indikator: Abgesehenvon dringlichen Fallen, die bei der Or-ganzuteilung eine Vorzugsbehandlungerfahren, sagt die Wartezeit ja auch et-was uber den Progressionsgrad der Er-krankung. Erst recht folgt die Entschei-dung der NotfallarztInnen, wem sie imFall eines Massenunfalls zuerst eine Be-handlung geben, ausschließlich medizi-nischen Kriterien. Alles andere ware inder Kurze der Zeit ohnehin vollig un-angemessen. Konnte es also sein, dassdie Beschrankung auf medizinische Kri-terien im Fall der Zuteilung von Ge-sundheitsleistungen der gerechtesteWeg ist – nicht nur pragmatisch, son-dern aus systematischen, sachimma-nenten Grunden?In der Praxis folgten bisher jedenfallsalle Versuche der Priorisierung dieserStrategie. So prasentierte der weltweiterste Versuch, der Oregon’s RationingPlan mit dem Titel

’’Prioritization of

Health Services’’, der seit 1994 in Kraftist, eine Liste von siebzehn Kategorien,in die alle Krankheiten einzuordnensind. Dann entscheiden die Verantwort-lichen des allgemeinen Gesundheitssys-tems alljahrlich je nach Budgetlage, biszu welcher der 17 Stufen Krankheitenaus dem allgemeinen Geldtopf finan-ziert werden konnen und ab wo dieKranken selbst bezahlen mussen. Unterdem Motto

’’allen etwas, aber nicht al-

len alles geben’’ zielt der Plan auf eineRationierung der Leistungen, nicht derEmpfangerInnen – an sich eine sehrgerechte Maxime. Allerdings ist einesolche Liste sehr burokratisch, die 17Kategorien folgen keiner erkennbareninneren Logik und konnen daher einengewissen Eindruck von Willkur nichtvollig von der Hand weisen.Eine in dieser Hinsicht klarere Strategieverfolgen Versuche, die die Priorisie-rung am Kosten-Nutzen-Verhaltnis aus-richten, genauerhin an den Kosten furein durch die Therapie gewonnenesgutes Lebensjahr. Es wird also in einemersten Schritt die durch eine medizini-sche Maßnahme erzielte Lebensqua-litatssteigerung mit der Zeitdauer mul-tipliziert, in der sie prognostiziert wird.Kann also durch eine Maßnahme die

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Lebensqualitat eines Kranken fur dieDauer eines Jahres von der Halfte desDurchschnittswerts gesunder Men-schen auf diesen Durchschnittswert ge-steigert werden, so wird dies ebensogewichtet wie die Lebensverlangerungum ein halbes Jahr mit normaler Le-bensqualitat. Im zweiten Schritt errech-net man dann die Kosten fur jedeMaßnahme und streicht jene Maßnah-men aus dem Finanzierungskatalog, dieden schlechtesten Kosten-Nutzen-Fak-tor aufweisen. Pointiert gesagt legt dieGesellschaft auf diese Weise fest, wieviel sie sich ein Lebensjahr mit guterLebensqualitat kosten lassen kann undwill.Das Modell wird in zwei Varianten ver-treten: Die eine bemisst den medizini-schen Nutzen einer Maßnahme durchsog. QUALYs (

’’quality adjusted life

years’’ ¼’’qualitatsbereinigte Lebens-

jahre’’), wobei der Akzent fur die Le-bensqualitat stark auf dem subjektivemWohlbefinden liegt. Diese Methodeschlagt z.B. das Manifest einer Arbeits-gruppe der Schweizer Bundesarzte-kammer von 1999 vor (Manifest fureine faire Mittelverteilung im Gesund-heitswesen, in: Schweizer Arztezeitung45/1999/ Beilage, 1–9). Die andere Me-thode misst den medizinischen Nutzendurch sog. DALYs (

’’disability adjusted

life years’’ ¼’’unfahigkeitsbereinigte

Lebensjahre’’). Hier liegt der Akzentauf den fur das jeweilige Alter einesMenschen normalen Fahigkeiten, seinLeben zu gestalten und Grundvollzugeeigenstandig zu realisieren. DiesenWeg praktiziert die Weltgesundheitsor-ganisation der UNO, die WHO, seitdem World Development Report von1993.Beide Modelle bedurfen einer Skala, diedie Lebensqualitat bzw. deren Be-eintrachtigung misst. Eine solche fest-zulegen, die dann qualitative Wertent-scheidungen in quantitative Messgro-ßen (ausgedruckt in der Qualitatszahl,die zwischen 0 ¼ keinerlei Lebensqua-litat und 1 ¼ volle Gesundheit oderumgekehrt liegt) ubersetzt, ist Aufga-be eines ethischen Diskurses. M.E. soll-te dieser primar von Fachleuten gefuhrtund von im weiteren Sinne politischenGremien entschieden werden. Hiergeht es v.a. um folgende Werte, die

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ich relativ ubereinstimmend zwei aner-kannten Skalen, namlich dem EQ-5D(EuroQol 5 Dimensions) und dem HUI-II(Health Utility Index Mark II) entnehme(auch umfangreichere Kriterienkatalo-ge wie der SF-36 waren denkbar!):Mobilitat; Sinneswahrnehmungsfahig-keit; Kognition/geistige Fahigkeiten;Vollzug normaler Tatigkeiten; Schmer-zen; psychisches Befinden (Emotionen,Angst, Depressiony); Selbstfursorge.Ethischerseits geht es erstens darum,diese Gesichtspunkte untereinanderentsprechend zu gewichten und zwei-tens darum, innerhalb jedes Gesichts-punkts eine Skala von beobachtbarenBeeintrachtigungen unterschiedlicherSchwere festzulegen.Auf den ersten Blick haben beide Vari-anten der Priorisierung von Gesund-heitsleistungen gemaß ihres Kosten-Nutzen-Verhaltnisses einen gravieren-den Nachteil: Sie sind

’’utilitaristisch’’.

Denn sie streben nach dem großtmogli-chen Gesamtnutzen, der sich mit ei-nem begrenzten Gesundheitsbudgeterzielen lasst. Und da kann es in derTat vorkommen, dass einzelne Men-schen

’’geopfert’’ werden und vom Ku-

chen nichts abbekommen, damit ande-re umso gesunder und besser lebenkonnen. Das aber ist fur die kontinen-taleuropaischen Gesellschaften nochimmer ein unverzeihlicher Makel. Inso-fern scheint es fast ein wenig hilflos,wie sich das Manifest der SchweizerArztekammer gegen den Ruch des Uti-litarismus wehrt und in der Berufungauf John Rawls Zuflucht sucht.Zwei Dinge aber werden im Utilitaris-musvorwurf vollig ubersehen, die einegrundlegende Differenz ausmachen:Erstens wird in allen Modellen der DA-LYs und QUALYs selbstverstandlich vor-ausgesetzt, dass jedes Mitglied der Ge-sellschaft am Gesundheitssystem teil-hat. Die Frage, ob um der großerenNutzensumme willen einzelne Perso-nen aus der Gesundheitsversorgungganzlich ausgeschlossen werden soll-ten, stellt sich fur sie uberhaupt nicht.Genau genommen werden also imErnstfall knapper Kassen nicht Men-schen geopfert, sondern konkreteMoglichkeiten von Menschen. Nichtmehr und nicht weniger. Zweitens istes ebenso entscheidend, dass hier allein

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Therapien im engen Sinn gegeneinan-der abgewogen werden (vgl. Regel 2des Schweizer Manifests). Die Abwa-gung konfligierender Guter betrifft hiernur jene Maßnahmen, die Krankheitenheilen. Schonheitsoperationen undWellnessangebote, so sehr sie auchzur Lebensqualitat von Menschen bei-tragen konnen, gehoren nicht in diesolidarische Pflichtversicherung. DasOpfer, das jemand also ggf. durch denVerzicht auf eine hilfreiche Therapie er-bringen muss, wird zugunsten andererhilfreicher Therapien fur andere krankeMenschen vollzogen – nicht um desnoch großeren Spaßes von Gesunden!Insofern hat Wolfgang Kersting mit derBehauptung Recht, Nutzlichkeitserwa-gungen durften im Rahmen von Ge-rechtigkeitserwagungen sehr wohl eineRolle spielen, wenn sie nur in den Kon-text eines egalitaren Verteilungssystemsimplementiert seien [18].Welche Priorisierung ermoglicht mit be-grenzten Mitteln die aufs Ganze gese-hen optimale Wirkung? Diese Frageleitet mit Erfolg seit Jahrzehnten dieUberlegungen der Notfallmedizin imEinsatz bei Massenunfallen und die All-okationssysteme der Organtransplanta-tion. Sie empfiehlt sich analog auch furdie Priorisierung der Leistungen einerzukunftsfahigen Grundversicherung im

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Gesundheitswesen. Sie ist transparent,rational und – ich hoffe es gezeigt zuhaben – gerecht.

’’Rationierung darf es im Krankenhaus

bestenfalls im Blick auf die’’Hotelkom-

ponente’’ geben, niemals aber im Blickauf die medizinischen Leistungen.Denn das wurde gegen das Prinzipder Menschenwurde verstoßen.’’ DieseAussage des Politikers verkennt dieWirklichkeit. Nicht die echte, ehrlicheund demokratisch vereinbarte Rationa-lisierung stellt ein ethisches Problemdar – im Gegenteil. Das eigentlicheProblem ist vielmehr die Heimlichkeitund Willkur von Leistungsbegrenzun-gen. Sie sind tatsachlich entwurdigend– fur die dadurch Benachteiligten, aberauch fur die Bevorzugten – und fur je-ne, die sie zu exekutieren haben, d.h.die ArztInnen.

Kirchliche Dokumente:Deutsche Bischofskonferenz, Kommis-sion fur gesellschaftliche und sozialeFragen und Kommission fur caritativeFragen 2003, Solidaritat braucht Eigen-verantwortung. Orientierungen fur einzukunftsfahiges Gesundheitssystem,Bonn.Evangelische Kirche in Deutschland,Kammer fur soziale Ordnung 2002, So-lidaritat und Wettbewerb. Fur mehr

Z.arztl. Fortb

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Arztliche und politische Stellung-nahmen:Unabhangige, interdisziplinare Arbeits-gruppe

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Linkseite: http://www.bag.admin.ch/kv/links/d/massnahmen.htm

Literatur

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ild. Qual.Gesundh.wes. 101 (2007) 356–361www.elsevier.de/zaefq

Page 7: Kann Rationierung fair sein? Ethische Überlegungen zur Gerechtigkeit im Gesundheitssystem

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