+ All Categories
Home > Documents > Jörg Flecker (Hrsg.) (2012): Arbeit in Ketten und Netzen. Die dynamische Vernetzung von Unternehmen...

Jörg Flecker (Hrsg.) (2012): Arbeit in Ketten und Netzen. Die dynamische Vernetzung von Unternehmen...

Date post: 23-Jan-2017
Category:
Upload: franz
View: 214 times
Download: 2 times
Share this document with a friend
3
REZENSIONEN Österreich Z Soziol (2014) 39:163–165 DOI 10.1007/s11614-014-0123-9 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 F. Höllinger () Institut für Soziologie, KFU Graz, Universitätsstraße 15 Bauteil G/IV, 8010 Graz, Österreich E-Mail: [email protected] Jörg Flecker (Hrsg.) (2012): Arbeit in Ketten und Netzen. Die dynamische Vernetzung von Unternehmen und die Qualität der Arbeit Berlin: Edition Sigma, 349 Seiten, € 22,90 Franz Höllinger Eine der wichtigsten Entwicklungen des gegenwärtigen kapitalistischen Wirtschaftssys- tems ist die Auslagerung bestimmter Funktionen und Produktionsbereiche von großen Wirtschaftsbetrieben zu Tochtergesellschaften, Zulieferbetrieben, Leiharbeitsfirmen u. dgl. In der ersten Phase dieses Prozesses handelte es sich vor allem um die Verlagerung einfacher industrieller Fertigungsarbeiten von den hochentwickelten Industrienationen in Billiglohnländer. In den letzten Jahrzehnten hat sich diese Entwicklung vom Produktions- bereich auf den Bereich der privaten und öffentlichen Dienstleistungen ausgeweitet und betrifft sowohl niedrigqualifizierte als auch höherqualifizierte Tätigkeiten. Im europäi- schen Forschungsprojekt WORKS wurde untersucht, wie sich die Umstrukturierung wirt- schaftlicher Wertschöpfungsketten und Produktionsnetzwerke auf die Qualität der Arbeit (Arbeitsinhalte, Belastungen, Arbeitszeit, Flexibilitätsanforderungen, Lohnhöhe, Arbeits- platzsicherheit) in den verschiedenen Teilbereichen dieser Netzwerke auswirkt. Mittels eines komplexen Forschungsdesigns von ca. 60 Fallstudien, verteilt auf fünf Branchen (Bekleidung, Nahrungsmittel, IT, öffentliche Verwaltungs- und Dienstleistungsbetriebe), fünf Unternehmensfunktionen (Forschung & Entwicklung, Produktion, Logistik, Kun- denservice, IT) und zwölf europäische Länder, sollten sowohl gemeinsame Tendenzen als auch länder- und branchenspezifische Besonderheiten dieses Wandels ermittelt wer- den. Im vorliegenden Buch präsentieren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des WORKS- Projekts aus Österreich, Deutschland, Belgien und Großbritannien die Ergebnisse ihrer international vergleichenden Studie. Der erste Teil des Buches besteht aus acht Beiträgen, in denen die ausgewählten Wirt- schaftsbranchen und Unternehmensfunktionen bzw. Berufsgruppen im Detail untersucht werden. In diesen Analysen erhält der Leser einen plastischen Einblick in die Art und Weise, wie die betriebliche Umstrukturierung und Reorganisation der Arbeit in den ein-
Transcript

Rezensionen

Österreich Z Soziol (2014) 39:163–165DOI 10.1007/s11614-014-0123-9

© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

F. Höllinger ()Institut für Soziologie, KFU Graz,Universitätsstraße 15 Bauteil G/IV,8010 Graz, ÖsterreichE-Mail: [email protected]

Jörg Flecker (Hrsg.) (2012): Arbeit in Ketten und Netzen. Die dynamische Vernetzung von Unternehmen und die Qualität der ArbeitBerlin: Edition Sigma, 349 Seiten, € 22,90

Franz Höllinger

Eine der wichtigsten Entwicklungen des gegenwärtigen kapitalistischen Wirtschaftssys-tems ist die Auslagerung bestimmter Funktionen und Produktionsbereiche von großen Wirtschaftsbetrieben zu Tochtergesellschaften, Zulieferbetrieben, Leiharbeitsfirmen u. dgl. In der ersten Phase dieses Prozesses handelte es sich vor allem um die Verlagerung einfacher industrieller Fertigungsarbeiten von den hochentwickelten Industrienationen in Billiglohnländer. In den letzten Jahrzehnten hat sich diese Entwicklung vom Produktions-bereich auf den Bereich der privaten und öffentlichen Dienstleistungen ausgeweitet und betrifft sowohl niedrigqualifizierte als auch höherqualifizierte Tätigkeiten. Im europäi-schen Forschungsprojekt WORKS wurde untersucht, wie sich die Umstrukturierung wirt-schaftlicher Wertschöpfungsketten und Produktionsnetzwerke auf die Qualität der Arbeit (Arbeitsinhalte, Belastungen, Arbeitszeit, Flexibilitätsanforderungen, Lohnhöhe, Arbeits-platzsicherheit) in den verschiedenen Teilbereichen dieser Netzwerke auswirkt. Mittels eines komplexen Forschungsdesigns von ca. 60 Fallstudien, verteilt auf fünf Branchen (Bekleidung, Nahrungsmittel, IT, öffentliche Verwaltungs- und Dienstleistungsbetriebe), fünf Unternehmensfunktionen (Forschung & Entwicklung, Produktion, Logistik, Kun-denservice, IT) und zwölf europäische Länder, sollten sowohl gemeinsame Tendenzen als auch länder- und branchenspezifische Besonderheiten dieses Wandels ermittelt wer-den. Im vorliegenden Buch präsentieren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des WORKS-Projekts aus Österreich, Deutschland, Belgien und Großbritannien die Ergebnisse ihrer international vergleichenden Studie.

Der erste Teil des Buches besteht aus acht Beiträgen, in denen die ausgewählten Wirt-schaftsbranchen und Unternehmensfunktionen bzw. Berufsgruppen im Detail untersucht werden. In diesen Analysen erhält der Leser einen plastischen Einblick in die Art und Weise, wie die betriebliche Umstrukturierung und Reorganisation der Arbeit in den ein-

164 F. Höllinger

zelnen Branchen bzw. Arbeitsbereichen vor sich geht und auf welche Weise sich die Qua-lität der Arbeit durch diese Prozesse ändert. In einigen Fällen gelang es auch, die Effekte von Offshoring-Projekten auf die Arbeitsbedingungen sowohl im Stammbetrieb als auch in den involvierten Betrieben in anderen europäischen Ländern zu untersuchen. Im zwei-ten Teil werden die zentralen Dimensionen und Tendenzen des Wandels der Arbeitsbe-dingungen in branchenübergreifender Perspektive erörtert. Die gemeinsame Betrachtung der Fallstudien bestätigt, dass eine wesentliche Folge der Umstrukturierung darin besteht, dass sich die Qualität der Arbeit und die Arbeitsbedingungen in den Betrieben, die die auslagerten Produktionsbereiche bzw. Betriebsfunktionen übernehmen, gegenüber der ursprünglichen Situation im Stammbetrieb verschlechtern. Die Erhebungen zeigen aber auch, dass diesbezüglich zwischen den einzelnen Branchen erhebliche Unterschiede bestehen und dass die Effekte der Umstrukturierungen wesentlich vielfältiger sind, als es das arbeitssoziologische Modell der Aufspaltung des Arbeitsmarkts in einen privi-legierten primären und einen benachteiligten sekundären Sektor suggeriert. Große Unter-schiede zwischen Kernbelegschaft und ausgelagerter Randbelegschaft im Hinblick auf die Qualität der Arbeit, die zeitlichen Flexibilitätsanforderungen und die Arbeitsplatz-sicherheit fanden die Autoren der Studie im Textil- und Bekleidungssektor sowie bei den Callcentern; im Bereich der IT-Dienstleistungen sind die Unterschiede hingegen wesentlich geringer. Die Umstrukturierung wissensbasierter Tätigkeiten erfolgt vielfach im Sinne einer funktionalen Konzentration, beispielsweise durch die Errichtung eines gemeinsamen Logistik- oder IT-Zentrums für mehrere Betriebe oder sämtliche Abtei-lungen eines Großbetriebs. Derartige Veränderungen bringen häufig einen höheren Grad an Aufgabenspezialisierung und monotonere Tätigkeiten mit sich. Die Einengung des technischen Kompetenzbereichs wird aber zum Teil dadurch kompensiert, dass die Ver-netzung zwischen verschiedenen Organisationseinheiten und Betrieben ein höheres Maß an Kommunikation und sozialer Kompetenz im Umgang mit Geschäftspartnern (aus ver-schiedenen Ländern) erfordert. In mehreren Beiträgen und im abschließenden Resümee wird betont, dass die Restrukturierung der Wertschöpfungsketten – nicht nur in den aus-gelagerten Bereichen, sondern auch in den Kernbelegschaften – in der Regel mit einer Intensivierung und Beschleunigung sowie mit einem höheren Maß an Standardisierung und Kontrolle der Arbeitsprozesse (durch exakte Vorgaben für die Durchführung und maximale Dauer bestimmter Tätigkeiten, elektronische Überwachung u. dgl.) einhergeht. Höherqualifizierte Beschäftigte haben meist flexible Arbeitszeiten. Die grundsätzliche Möglichkeit zur Selbstbestimmung der Arbeitszeiten wird jedoch durch die zuneh-mende Entgrenzung der Arbeitszeit konterkariert, die die vernetzte und projektbasierte Arbeitswelt erfordert. Nach Ansicht der Autorinnen eines der Beiträge verschlechtert sich dadurch letztlich die work-life-balance und es wird für Frauen eher schwieriger als leich-ter, Beruf und Familie zu vereinbaren.

Die Beiträge des Buchs ergeben insgesamt ein sehr konsistentes und vielschichtiges Bild der Veränderung der Arbeitsqualität in der neuen vernetzten Arbeitswelt. Durch die Präsentation ähnlicher Befunde und Diagnosen in verschiedenen Kapiteln wird der Ein-druck der Konsistenz und Gültigkeit der Befunde noch verstärkt; zum Teil sind die Wie-derholungen allerdings redundant, so zum Beispiel, wenn in mehreren Kapiteln immer wieder die Konzeption des WORKS-Projekts vorgestellt wird. Auch wenn in verschie-denen Kapiteln darauf hingewiesen wird, dass die geschilderten Entwicklungen und

Jörg Flecker (Hrsg.) (2012): Arbeit in Ketten und Netzen 165

Tendenzen je nach Branche und Unternehmensfunktion unterschiedlich stark ausgeprägt sind und zudem durch länderspezifische Traditionen der staatlichen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik und der industriellen Arbeitsbeziehungen modifiziert werden, wird der Fokus insgesamt etwas einseitig auf die problematischen Aspekte, d. h. auf die Ver-schlechterung der Qualität der Arbeit in der dynamisch vernetzten Arbeitswelt, gelegt, wie schon der treffend gewählte Titel des Buchs „Arbeit in Ketten und Netzen“ andeutet: Der strukturelle Wandel in der gegenwärtigen Wirtschaft ist nach Ansicht der Autorin-nen und Autoren des Buchs letztlich durch eine Intensivierung und Beschleunigung des Arbeitstempos, eine Verschlechterung der work-life-balance infolge höherer zeitlicher Flexibilitätsanforderungen, gleichzeitig aber auch durch eine Rückkehr zu tayloristischen Arbeitsformen und eine verstärkte bürokratische Kontrolle gekennzeichnet.


Recommended