Comarapa, 4. August 2014
Jou. Meine Lieben, das wird erst mal mein letzter Rundbrief.
Ja, und nun bin ich am Tschüssn. Und Halloen;
Am 9.8. morgens geht mein Flug nach Deutschland; wenn alles glatt läuft, bin
ich am Sonntag, den 11. August in Frankfurt angekommen. In Gerlingen bin ich
dann ab Mitte der Woche anzutreffen!
Und was dann passiert wird sich zeigen…
Natürlich breche ich mit einem weinenden und einem lachenden Auge auf.
Die Kids selbst trösten mich einfach mit ihrer Art zu leben:
Ich freu mich, euch alle mal wieder zu sehen und danke für das treue Verfolgen, euer Interesse, das
Mitdenken und euer Gebet.
Im folgenden Rundbrief habe ich noch mal meine Beobachtungen zum Verhältnis zwischen Mann
und Frau, noch einmal generelles zur Gesundheit, meine letzte Reise, unser Kleinprojekt und meinen
Abschied.
Viel Spaß beim Lesen! Wünscht euch
Mirjam
Mann - Frau
Liebe, Sex und co. war und ist für Menschen natürlich immer ein
großes Thema. So auch in Bolivien. Es fängt an bei den Kindern, die
anzügliche Tanzbewegungen machen und lauthals die Schlager
mitsingen;
„un movimiento sexy par’ abajo“ (eine sexy Bewegung nach unten“)
„cuando tuviamos sexo…“ (“als wir Sex hatten...”)
“solo quiero darte un beso” (“ich will dir nur einen Kuss geben...”) Frau und Mann – Im Tanz als Partner
gleichgestellt (hier bei der
tarijeñischen Cueca)
Zoe tröstet den weinenden
Cousin Mattias John-Elmer kann schon Auto
fahren ☺ - im Spiel!
Alle halten stolz ihre Kärtchen
hoch, die sie sich gegenseitig zum
Tag der Freundschaft schenken.
Pfiffe, anlock -“tsch!!” , “Luft-Knutscher”, “hey baby!”, “bonitaa!”, “Katcha warmis!“ (Quechua),
davon ist hier keine Frau ausgenommen.
Ja, der Machismo ist hier doch noch verbreitet. Der Mann ist eben stark, die Frau soll Kochen
(Faszinierend finde ich, dass auch die (bolivianische) Hermana Maria davon überzeugt ist; die Frau
muss Hausfrau sein, kochen MUSS ihr Spass machen!).
Manche Frauen werden immer noch geschlagen.
Es gibt auch gravierende Geschlechts-Unterschied in den kleinen Dörfern aufm Land; z.B. können die
Männer Spanisch, viele Frauen lernen es jedoch nicht oder kaum, die sprechen dann eben nur
Quechua oder ihre Indigenas-Sprache.
Sehr erschrocken habe ich mich, als eine Frau erzählte, dass sie ihr Kind lange Zeit nicht ins
Krankenhaus bringen durfte, weil ihr Mann das nicht wollte (er hatte wohl schon mal ein Kind im
Krankenhaus verloren).
Es gibt natürlich auch „starke“ Frauen; die eine Köchin im Kloster hat sich von ihrem Mann getrennt
(Betonung liegt auf SIE SICH!), eine Lehrerin im Kindergarten, die einen Klischeemäßigen
„Männerhaarschnitt“ trägt, ist (nicht nur) ihrem Mann gegenüber sehr dominant.
Gesundheit
Ich glaube, ein paar von euch habe ich schon mal von der Taubstummen Montserrat im Kindergarten
erzählt. Das Mädel hat jetzt ein Hörgerät (für 8 000 Bs, das sind fast 800€, extrem viel Geld für hier,
aber irgendwie konnte sich‘s die Familie leisten (vgl: Die Kindergartenlehrerinnen verdienen
monatlich Ca. 3000 Bs)) dessen Lautstärke langsam hochgeschraubt wird. Man erkennt aber schon
einen deutlichen Unterschied, was Sprachversuche angeht; Montserrat realisiert, wann die Profesora
etwas fragt und wenn dann alle Kinder im Chor antworten, gibt auch sie ihren Senf dazu (noch ist es
unverständliches Gebrabbel, aber ich hoffe, mit dem entsprechenden Gehörgerät-Unterricht wird sie
hoffentlich recht bald besser differenzieren können).
Der eine Sohn einer Kloster-Köchin ist, wie ich vor ein paar Wochen erfahren habe, auch behindert.
Er hat glaube ich Downsyndrom und ist zusätzlichen an den Rollstuhl gebunden. Und an diesem Tag
bin ich Zeugin von guter Kollegenschaft, Kinderliebe und Recht geworden. Damit die Mutter einen
Ausweis für ihren behinderten Sohn abholen konnte, mit dem sie verschiedene Vorteile für ihren
Sohn erkämpfen kann, setzten sich alle Köchinnen zusammen und sagten, sie würden an dem einen
Nachmittag alle für sie mitarbeiten. „Eso es el derecho del niño“, sagte die Küchen-älteste; „das ist
ein Recht für Kinder“, gleiche Chancen zu haben, egal ob behindert oder nicht-behindert.
Schön, oder?!
In den Kindergartenferien hatte ich noch mal das Glück, eine Woche lang Reisen zu können.
Diese Reise unternahm ich allein, und mit dem Vorsatz, noch einmal Kraft für den „Endspurt“ zu
sammeln und auch etwas zu reflektieren, auch um mich auf meine Rückkehr einzustellen.
Ich besuchte den Christo in Cochabamba, meine Freunde in Sucre, die Minen in Potosí, und zu guter
(!) Letzt die wunderschöne, saubere (Wein)Stadt Tarija.
Noch ein paar Worte zu den Minen; Beeindruckt hat mich, dass mir vor dem Besuch in Potosí wie
vermutlich vielen Besuchern der Einfluss Potosis in der Welt im 16. Und 17. Jhdt. zwar bekannt aber
nicht so bewusst war. Und es war auch spannend zu sehen, auf welche Weise das Silber heute aus
dem Gestein gewonnen wird, das da aus dem „Cerro Rico“ heraustransportiert wird. Für meine
europäischen Augen sahen die mit Plastiktüten und Bändern zusammengehaltenen Rohre
unproduktiv und vor Allem „primitiv“ aus. Aber es scheint zu funktionieren, und bis heute arbeiten
viele der Arbeiter (mind. 1/3 der potosineñischen Bevölkerung) tatsächlich im Berg weil es sehr
lukrativ ist, also man verdient gut.
„Schwierigkeiten, Erfolge,
Beobachtungen während des
Freiwilligen-Jahres“ „Wie fühlte ich mich in Deutschland
bevor ich kam, wie fühle ich mich
jetzt, bevor ich gehe?“
Mitfreiwilliger Jakob und ich beim
Waffelverkauf
Vorher; die
Matschgruben
füllen sich bei Regen
rasch mit Wasser
Wir bereiten die
Erde vor, um
Holzhackschnitzel
in die
Matschgruben zu
füllen
Pünktlich zum WM-Finale war ich wieder in Comarapa und gemeinsam mit den (pro-deutschen)
Schwestern zündeten wir ein paar Böller, so wie man das hier bei jeder möglichen (und unmöglichen)
Okkasion macht…
Reflektieren konnten wir Freiwilligen aber auch bei unserem
letzten Seminartag in Santa Cruz
– Unabhängig von dem
Nachbereitungsseminar
mussten wir zunächst einfach
noch einen Seminartag abfeiern,
aber unsere neue Koordinatorin
entwickelte daraus die gute
Idee, das vergangene Jahr ein
bisschen zu reflektieren. Was
mir persönlich allerdings etwas
fehlte, war ein Austausch auf den bevorstehenden Kulturschock.
Aber vielleicht kann man sich darauf auch einfach nicht vorbereiten.
Kleinprojekt
Wie angekündigt können die Weltwärts-Freiwilligen ein oder
mehrere Kleinprojekte in und für ihre Projekte organisieren und
bekommen dafür auch Geld zur Verfügung gestellt. Mit meinen
zwei Mitfreiwilligen beantragten wir also finanzielle Hilfe für ein
Spielplatzprojekt und ein Bastelprojekt und verdienten mit
einem Waffelverkauf noch etwas Geld dazu;
Mit Holzhackschnitzeln in den Matschgruben unter der Rutsche
und bei den
andern
Spielgeräten
möchten wir den
Kindergartenspielplatz auch in der Regenzeit
bespielbar machen.
Und als Bastelprojekt machte ich einen kurzen
Jonglier-Workshop mit den älteren
Kindergartenkids nach dem Konzept, das in der
gerlinger Jonglier-AG
entwickelt wurde..
Meine zwei
Mitfreiwilligen
Caro und Jakob;
mit ihnen habe
ich das Treffen
organisiert
Weil die Malaktion
mitten in die WM fiel,
wurde natürlich auch
Fußball geschaut
Die Hausmeisterin hebt stolz den
Brokkoli hoch; dieses Jahr ist er
besonders prächtig!
Zur Zeit turnen im Kindergarten 9
Praktikantinnen herum, die im 1. Oder 2.
Studienjahr sind. Sie halfen beim Essen
servieren
Allerdings hatte ich nicht mit so viel Unterrichtsausfall gerechnet (insgesamt hatten wir jetzt 4 Wo-
chen keinen Unterricht, wegen den „Plurinationalen Spielen“ und regulären „Winterferien“), so wur-
de aus dem Jonglier-Workshop eine kurze Ball-Bastelaktion und eine mini-Einführung in Umgang mit
einem Ball. Zwei mal kann ich mit zwei Gruppen noch mit ihren „Mehl-Luftballon-Bällen“ spielen.
Ein großer Teil des Geldes ging auch für Farbe zum Bemalen des Sportplatzes im Kindergarten drauf.
Dazu kamen unsere Mitfreiwilligen im Umkreis von 6 Stunden für ein Wochenende nach Comarapa,
und wir malten fast professionell den gesamten Betonsportplatz mitsamt Sitz-
plätzen an.
Weil wir das Geld großzügig kalkuliert haben blieben fast 150
Euro übrig, davon werden wir Spindeln und Schafswolle für das
Altenheim kaufen. Einige Omas können so auch noch etwas
„Nützliches“ tun und Fäden zwirbeln. Der größte Teil wird je-
doch für einen guten Holzschrank für das neue Klassenzimmer,
das erst noch gebaut werden muss, drauf gehen.
Die Überlegung war auch, Feuchttücher zu kaufen, weil es diese
nicht für alle Omas und Opas gibt, sondern nur für jene, deren
Familien dafür Geld übrig haben oder wo es sehr wichtig ist.
Allerdings befürchte ich, dass, wenn wir Freiwilligen solch es-
senzielle Dinge (wie Feuchttücher für Alle) einführen, es nicht
weitergeführt wird. Vielmehr muss so etwas (und auch das Geld
dafür) von „oben“ aus (also von der Altenheim-Leitung) kom-
men. Das hat die zuständige Ordensschwester glücklicherweise auch eingesehen.
Die „Plurinationalen Spiele Evo Morales“
Fünf von sechs Tagen bekoch-
te das Kindergartenpersonal
vergangene Woche Jugendli-
che aus den umliegenden
Provinzen, die an den „Pluri-
nationalen“ Spielen in Coma-
rapa teilnehmen – sie kamen
aus den umliegenden Provin-
zen, sind Vertreter ihrer je-
weiligen Sportgruppe und
tanzten, spielten, sportelten um die Wette. Der Kindergarten wur-
de in dieser Zeit umfunktioniert zur Herberge, und die Küche ausgeweitet. Für uns, das Personal war
das eine sehr anstrengende Zeit; das Frühstück musste ab 6.30
Uhr vorbereitet werden und aufgeräumt wurde oft bis mindes-
tens 21 Uhr.
Links: Die Lehrerinnen und Helferinnen aus der einen
Schicht (alles Personal außer der Schwester, der
Hausmeisterin und mir hatte alle zwei Tage einen Tag frei)
Abschiedsessen (pl)
Wir Voluntarios (Freiwilligen) luden vergangenen
Montag unsere sämtlichen Arbeitskollegen aus
Kindergarten und Altenheim zu einem Abendes-
sen ein und bekochten sie. Das coolste war wohl
der Vanille-Nachtisch (siehe Foto links). Am
Samstag folgte ein Abschiedsessen mit den vier Frauen die mich mindes-
tens 300 Tage bekocht haben; die Köchinnen des Klosters. Ich versuchte
ihnen zuliebe eine große Maultaschen-
produktion (für das Kloster und das
Krankenhaus gleich mit…) (die ersten
Versuche siehe links, später wurden sie
dann besser). Am Sonntag wurde ich wiede-
rum von den Schwestern eingeladen, nach-
mittags durfte ich bei meinen Freunden aus
„la Jarra“ lernen, wie man Schweinefleisch à
la Boliviana zubereitet und abends bekoch-
ten mich die Kindergarten-Lehrerinnen mit
meinem bolivianischen Lieblingsessen (Grillfleisch, Papa Waicha, Mais-
Paprika-Bolivianischer Käse- Salat und Käse-Milchreis).
Hiermit verabschiede ich mich fürs erste von euch, die nachfolgende Seite habe ich noch mit ein paar
schönen Bildern gefüllt.
Viel Spaß damit!
Eure Mirjam
PS: Für die, die sich fragen, wie ich jetzt auf einmal doch Fotos machen konnte, wo mir doch meine
Kamera geklaut wurde; an dieser Stelle ein fettes Danke! An meine Chefin, Hermana Maria, die mir
großzügiger Weise für den letzten Monat die Kindergarten-Kamera lieh. Muchas Gracias!
Personalwechsel beim
BKHW: meine neue
Koordinatorin Laura ist
einfühlsam nett und
einfühlsam
Die jüngste Schwester;
Hermana Maria Selva
arbeitet als
Krankenschwester im
Altenheim
Zufällig in Comarapa gesehen, Juli 2014
Meine zwei lieben Mitfreiwilligen
Jakob und Caroline auf einer „Bad-
taste-party“
Eure Mirjam hat ihren
Haarschnitt mal wieder ans
Klima angepasst… ;) Hier mit
Papagei „Toledo“
Ein etwas überladenes Moto-car, gesehen in
Comarapa, Juli 2014
Neujahr der Aymara am 21.06. in Samaipata.
Im Vordergrund; Bolivianische Flagge und
Whipalla – die Flagge des plurinationalen
Staates