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Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln Einführungsseminar WS 2004/05 Lioba Lenhart...

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Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln Einführungsseminar WS 2004/05 Lioba Lenhart 10.01.2005 21. Sitzung: Politik und Recht
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Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln

Einführungsseminar WS 2004/05Lioba Lenhart

10.01.2005

21. Sitzung: Politik und Recht

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Peoples & Bailey, Kapitel 12: „The Organization of Political Life“

Themen:(1) Formen der politischen

Organisation

(2) Soziale Kontrolle und Recht

(3) Rechtssysteme

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(1) Formen der politischen Organisation

Politische Organisation meint die Art der bzw. Mittel zur Erhaltung von Ordnung und Kon- formität in einer Gesellschaft; beinhaltet die Zuteilung von Macht und Autorität, um über die

persönliche Ebene hinausgehende Entscheidungen zu treffen – also Entscheidungen, welche eine Gruppe als Ganzes betreffen; dies betrifft Gruppen-interne Angelegenheiten; sowie Angelegen- heiten im Hinblick auf andere Gruppen/äußere Angelegenheiten.

In zahlenmäßig kleinen Gesellschaften ist politische Führung informell; Individuen treten oft nur in spezifischen Situationen, die Entscheidungen verlangen, sichtbar als Führer hervor.

Je größer eine Gesellschaft ist, umso formalisierter ist Führung und umso komplexer die politische Organisation.

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Politische und kulturelle Einheiten

• Politische und kulturelle Einheiten müssen sich nicht decken !

• Bsp.: Comanche, Great Plains, USA – sprechen eine gemeinsame Sprache, teilen das Bewusstsein und Gefühl der Zugehörigkeit zu einer ethnischen/kulturellen Einheit, waren politisch jedoch immer nur auf lokaler Ebene organisiert.

• Bsp.: USA, Indien, Indonesien und viele andere Länder der Welt (das andere Extrem!) – sind hochgradig zentralisierte politische Einheiten, die eine große Zahl von kulturell und sozial unterschied-lichen Gruppen inkorporieren.

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Vier Grundformen der politischen Organisation

Vier Grundformen der politischen Organisation (nach Elman Service 1962, 1966) sind:

• Band, auch: Horde (engl: band),

• Stamm (engl.: tribe),

• Häuptlingstum (engl.: chiefdom),

• Staat (engl.: state).

Bands werden weiter unterteilt in:

• einfache Bands (engl.: simple bands)

• zusammengesetzte Bands (engl.: composite bands)

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Bands: Einfache Bands und zusammengesetzte Bands• vermutlich die älteste Form politischer Organisation;• Band-Gesellschaften sind egalitäre Gesellschaften.

Einfache Bands

• typische Organisationsform von mobil lebenden Jäger-Sammler-Gruppen in Gegenden mit geringer Bevölkerungsdichte und konstantem Ressourcenaufkommen (z.B.: !Kung San, Aka).

• Merkmale:• zwischen 25 bis 50 Mitglieder - meist eine erweiterte

Familiengruppe,• informelle Führerschaft durch den ältesten Mann oder eines der

älteren männlichen Familienmitglieder auf der Basis von beson-deren Fähigkeiten,

• Konsens als Prinzip der Entscheidungsfindung, an der Männer und Frauen in gleicher Weise beteiligt sind,

• Gruppenbildung auf Basis von Verwandtschaft; da alle Mit- glieder durch Deszendenz oder Heirat verwandt sind, herrscht in der Regel Exogamie.

Mehrere solcher Bands in einer Region sind ökonomisch und politisch voneinander unabhängig, sozial aber verflochten!

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… Bands

Zusammengesetzte Bands

• typische Organisationsform von Gruppen, die auf das saisonale Jagen größerer Tierherden spezialisiert sind, deren Jagd Kooperation erfordert (z.B. Comanche).

• Merkmale:• mehrere erweiterte Familien, einschließlich nicht-verwandter

Familien, zwischen 50 und mehreren hundert Mitgliedern,• Führerschaft durch so genannte big men - eine inoffizielle

Führungsposition, die nicht durch formale Regeln des Innehabens und der Sukzession/Nachfolge gekennzeichnet ist;

• das Erwerben und Erhalten dieser Position hängt einzig von der Persönlichkeit und besonderen Fähigkeiten/Leistungen ab,

• die Führung eines big man stützt sich auf Einfluss, nicht auf Autorität (in dem Sinne wie bei Peoples & Bailey definiert).

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Einfluss, Autorität, Macht

• Einfluss: die Fähigkeit einer Person, andere Personen zu überzeugen, so zu handeln, wie sie es vorschlägt/nahelegt;

• Autorität: das allgemein anerkannte Recht eines Individuums, Kontrolle auszuüben und bestimmte Verhaltensweisen zu erzwingen oder zu unterbinden (= Macht).

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Big man, primus inter pares, headman

• big man – Terminus wurde eigentlich zur Bezeichnung informeller Führer in egalitären melanesischen Gesellschaften (Neuguinea und Nachbarinseln) geprägt, deren Mitglieder sesshaft sind und Gartenbau betreiben:

• Die dortigen big men zeichnen sich durch Redegewandtheit, Charisma, Organisationstalent, kriegerisches Geschick usw. aus;

• ihre Führungsrolle beruht einzig auf ihren Fähigkeiten und schwindet mit diesen.

• andere Bezeichnungen für diese Art der informellen Führung:

• primus inter pares, Gleicher unter Gleichen;

• headman.

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Stämme

• Stammesgesellschaften sind weitgehend egalitäre Gesellschaften, es gibt wenig Spezialisierung und wenige Besitzunterschiede; die Haushalte sind wirtschaftlich von einander unabhängig.

• Merkmale:

• aus mehreren lokalen Gruppen bestehend, zwischen 1.000 und 20.000 Mitglieder,

• formelle Institutionen, welche die räumlich verstreut lebenden Gemeinschaften verbinden - so genannte Sodalitäten (sodalities) -, gewährleisten den inneren Zusammenhalt der gesamten Gesell- schaft und deren Verteidigung gegenüber äußeren Bedrohungen; diese Sodalitäten basieren auf Deszendenzgruppen oder Altersklassen u. ä.

• Es existieren formale politische Ämter mit institutionalisierter Autorität, die mitunter erblich sind, aber besonders auch auf individueller Eignung beruhen.

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… Stämme

• Die politische Integration wird eher durch nichtwirtschaftliche Faktoren, vor allem die Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung mit benachbarten Gruppen, gefördert.

• Beispiel: Cheyenne – Sodalitäten: The Council of Forty-Four und die warrior societies.

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Häuptlingstümer • Häuptlingstümer sind Ranggesellschaften;

• häufig handelt es sich um Gartenbaugesellschaften mit gewissem Grad an handwerklicher und regionaler Spezialisierung.

• Merkmale:

• aus mehreren lokalen Gruppen bestehend, zwischen wenigen tausend und bis zu 30.000 Mitglieder,

• zentralisiertes politisches System mit einem Häuptling (chief) an der Spitze, dessen Amt mit formaler Autorität ausgestattet ist;

• Amt des Häuptlings wird in bestimmter Verwandtschaftsgruppe vererbt; Vorrechte der Verwandtschaftsgruppe, die den Häuptling stellt, sind übernatürlich verankert (z. B. als Nachfahren von Göttern);

• Aufgabe des Häuptlings ist Zuweisung von Nutzungsrechten und Sammeln von Tributen zur Redistribution.

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… Häuptlingstümer

• präkolonial verbreitet in Ozeanien, Karibik, südamerikanischer Küste und Nordwestküste, prähistorisch auch in Europa;

• Beispiel: präkoloniales Tahiti, dort mit Tabuvorstellungen verknüpft.

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Staaten

• Staaten umfassen stratifizierte Gesellschaften.

• Merkmale:• zwischen Zehntausenden und mehreren Millionen Mitglieder,• zentralisiertes politisches System mit einem Führer an der

Spitze, dessen Amt mit formaler Autorität ausgestattet ist;• dieser Führer wird von einer Bürokratie unterstützt, welche die

Redistribution von Steuern und Tributen regelt;• Staat beansprucht Gewaltmonopol - Staat und seine Vertreter

(Polizei, Armee, Justizorgane) sind die einzigen, die legitim Gewalt ausüben dürfen.

• große Bandbreite der Legitimierungsweise:• historisch häufig war erbliche Herrschaft, nicht selten mit reli-

giös/übernatürlich legitimierter Macht,• heute sind gewählte Regierungen häufig; armeegestützte

Diktaturen haben zahlenmäßig abgenommen.

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… Staaten

• Beispiel Inkareich

• Besonderheit: kein Marktaustausch, komplett redistributiv;

• die spanische Eroberung war u. a. deshalb so „effektiv“ (aus Sicht der Eroberer!), da die Eroberer an den alten Strukturen anknüpfen/diese in ihr System inkorporieren konnten.

• Anders als im Inka-Reich: in allen anderen Staaten gibt es den Marktaustausch (wird in bestimmten Theorien sogar als wesentlicher Grund für Entstehung von Primärstaaten betrachtet).

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Formen der politischen Organisation: Idealtypen

• wichtig: es handelt sich bei den vier Formen der politischen Organisation um Idealtypen:

• viele reale Fälle lassen sich nicht exakt zuordnen;• heute gibt es überall auf der Welt Staaten - allerdings bleiben in

diesen Staaten Elemente der anderen politischen Organisa-tionsformen durchaus erhalten;

• daher implizieren die vier Formen auch keine evolutionäre Stufenfolge!

• Politikethnologie beschäftigt sich mit mehr als nur der Typisierung von Organisationsformen,

• sie betrachtet die Verschachtelung dieser Formen, d. h. was z. B. mit westlichen politischen Formen (Parlamente, Parteien o. ä.) in anderen kulturellen Kontexten passiert;

• zudem werden allgemeine Theorien zu kollektiven Entscheidungsprozessen und zu Macht formuliert.

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(2) Soziale Kontrolle und Recht

Soziale Kontrolle

Alle Gesellschaften verlangen ein Mindestmaß an Konformität von ihren Mitgliedern und entwickeln aufgrund dessen Mechanismen sozialer Kontrolle, durch die das Verhalten der Mitglieder beschränkt und in allgemein akzeptierte Kanäle gelenkt wird.

Soziale Kontrolle Überwachung der Einhaltung von Normen;

Sanktionen Bestrafung bei Übertretung der Normen.

Recht(ssprechung)

ist eine Form der sozialen Kontrolle; legale Bestrafung wird in der Regel für gravierende Normverletzungen herangezogen.

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… Soziale Kontrolle

• In allen Gesellschaften gibt es informelle Mittel der sozialen Kontrolle und Sanktionierung;

• Hierzu gehören in Gesellschaften ohne formalen Rechtsapparat (aber nicht nur in diesen!) Klatsch, Androhung von übernatürlich bewirktem Unheil (Hexerei/ Angst vor Hexerei) sowie soziale Meidung und Ausgrenzung.

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Recht

Definitionen von Hoebels 1954 und Pospisil 1958:

• Recht (law) als eine Form der sozialen Kontrolle liegt vor, wenn bei Nichtbeachtung einer sozialen Norm in sozial anerkannter Weise Vergünstigungen entzogen oder psychische und physische Schmerzen zugefügt werden.

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Grundmerkmale des Rechts

Pospisil formuliert vier Grundmerkmale des Rechts:

• Autorität (authority): es gibt eine öffentlich anerkannte Autorität, die vermittelt oder straft, diese kann feststehen (Gerichte und Gefängnisse) oder ad hoc bestimmt werden.

• Absicht der universalen Anwendung (intention of universal application): Recht wird in vergleichbaren Fällen gleich angewendet.

• Willfährigkeit (obligatio): die Konfliktparteien, die eine rechtliche Autorität (wie z. B. ein Gericht) anrufen, unterwerfen sich ihrer Entscheidung.

• Sanktionen (sanctions): Rechtsverstöße werden bestraft.

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Arten des Rechts

(vgl. ältere Ausgabe des Lehrbuchs!)

• Prozedurales Recht (procedural law):

hier geht es darum festzulegen, ob ein Rechtsbruch vorliegt und in welcher Form damit umzugehen ist.

• Substantielles Recht (substantive law):

hier geht es darum, die verschiedenen Arten von Verhalten zu bestimmen, die als abweichend gelten sollen; sowie die damit einhergehenden Sanktionen festzulegen.

Das substantielle Recht unterteilt sich in

• Strafrecht (criminal laws)

hier geht es um Normbrüche, die den Staat oder die ganze Gesellschaft betreffen;

• Zivilrecht (civil laws)

hier geht es um Normbrüche, die nur einzelne Personen oder Gruppen betreffen.

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(3) Rechtssysteme

In Bezugnahme auf die Autorität, die Recht ausübt, unterscheidet man:

• Selbsthilfesysteme (self-help systems),

• Gerichtssysteme (court systems).

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Selbsthilfesysteme

• Selbsthilfesysteme findet man in nicht/wenig zentralisierten Gesellschaften (Bands und Stämme);

• Es gibt keine formalen/zentralen rechtlichen Institutionen.

• Rechtsfälle beziehen sich nur auf die betroffenen Parteien, die weitgehend allein zu einer Lösung kommen müssen.

• Es gibt zwei Arten von Selbsthilfesystemen:

• familiäre Selbsthilfesysteme,

• Mediatoren-basierte Selbsthilfesysteme.

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Familiäre Selbsthilfesysteme

• Im Falle von familiären Selbsthilfesystemen müssen sich die Geschädigten selbst zu rechtlichen Autoritäten machen;

• oft müssen sie dazu Unterstützung von anderen Verwandten suchen;

• die verhängten Maßnahmen orientieren sich am Rechtsempfinden der Gemeinschaft.

• Beispiel: Comanche, „wife steeling“

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Mediatoren-basierte Selbsthilfesysteme

• Im Falle dieser Selbsthilfesysteme gibt es Personen, die in Streitfällen die Vermittlung übernehmen (Mediatoren);

• es bleibt jedoch bei der Vermittlung, da die Vermittler - anders als Richtern - keine formale Autorität haben.

• Beispiel: leopard-skin chief der Nuer, Mediation im Falle von Fehden zwischen lokalen Gruppen.

• Häufig gelten Rechtsnormen für den Umgang in der eigenen Gemeinschaft, aber nicht für den mit Fremden oder Feinden.

• Beispiel:Jívaro

• diese führen mit anderen Jívaro bei Konflikten regelgeleitete Fehden (feuds): bei Hexerei-bedingtem Mord gibt es genau einen Rachemord (ein Toter für einen Toten);

• diese Regeln gelten in Bezug auf benachbarte Gruppen jedoch nicht: keine Beschränkung der möglichen Mittel und Opfer.

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Gerichtssysteme

• Gerichtssysteme finden sich nur in zentralisierten politischen Gebilden mit formaler politischer Autorität (Häuptlingstümer und Staaten).

• Die rechtliche Autorität ist das Gericht, das Fälle verhandelt und Sanktionen verhängt; sowie (von Peoples und Bailey nicht erwähnt) die Institutionen des Strafvollzugs, z. B. Gefängnisse.

• Gericht hat formale Sitzungen und folgt bestimmten festgelegten Prozeduren.

• Es wird – wie schon gesagt – unterschieden zwischen• Strafrecht (criminal law), d. h. Verstöße gegen die gesellschaftliche

Ordnung, die vom Staat, z. B. durch Staatsanwalt, verfolgt werden); und

• Zivilrecht (civil law), d. h. rechtliche Konflikte zwischen zwei Parteien, die nur dann verhandelt werden, wenn eine von diesen beiden klagt.

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Gerichtssysteme

Drei Arten von Gerichtssystemen werden unterschieden:

• Proto-Gerichte (incipient court systems),

• Schiedsgeriche (courts of mediation),

• Regulierungsgerichte (courts of regulation).

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Protogerichte, Schiedsgerichte, Regulierungsgerichte

• Proto-Gerichte - incipient court systems: politische Organe (wie z.B. der „Rat der Vierundvierzig“ der Cheyenne) behandeln nebenher auch Rechtsfälle, wenn diese auftreten.

• Schiedsgerichte - courts of mediation: Gerichte verlassen sich weniger auf Gesetzestexte, sondern auf gründliche Abwägung des Einzelfalls, wobei die Versöhnung der Konfliktparteien gegenüber Sanktionen im Vordergrund steht (Beispiel: Barotse, Sambia) – Voraussetzung: Konsens über Werte und Normen (schwierig bei heterogenen Gesellschaften).

• Regulierungsgerichte - courts of regulation: Gerichte operieren nach kodifiziertem Recht/Gesetz; es geht nicht um eine personenbezogene Vermittlung, sondern um abstrakte Gerechtigkeit durch Anwendung eines Gesetzesapparates. Erforderlich in Staaten mit komplexen Gesellschaften und oft fehlendem Normen- und Werte-Konsens.

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Rechtspluaralismus und Rechtsethnologie

• Aber: auch in komplexen Gesellschaften (wie der unseren) existieren verschiedene Rechtssysteme nebeneinander (Akteure: z.B. Schiedsleute, Mediatoren – außergerichtlicher Vergleich).

• Die Rechtsethnologie untersucht u.a.• die Art und Weise, in der traditionelles Recht lokaler

Gemeinschaften in das des Staates eingebunden ist,• die Koexistenz verschiedener Rechtssysteme, etwa eines

formalen, staatlichen Rechtssystems mit traditionellen oder religiösen Rechtsvorstellungen und informellen Konflikt-lösungsstrategien,

• Devianz, Kriminalität und involvierte subkulturelle Gruppen.• Zudem ist sie eingebunden in das Forschungsfeldes der Friedens-

und Konfliktforschung.

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Zur nächsten Stunde Kapitel 13 des Lehr-buchs (Seiten 254-271) lesen !

„Social Inequality and Stratification“


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