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Hochzeitsnacht mit Dracula

Date post: 07-Jan-2017
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Mac KinseyBand 3

Jake Ross

Hochzeitsnacht mit Dracula

Joan Masters erschauerte, als der Mann plötzlich vor ihr in der Boutique stand. Seine Kleidung war dezent, aber sündhaft teuer. Dafür hatte sie einen unbestechli-chen Blick.Weltmännisches Flair umgab ihn. Er war der Typ, nach dem sich bestimmt viele Frauen heimlich umdrehten – Mitte Vierzig, graue Schläfen, sonnengebräunte Haut.Doch Joan hatte Angst vor ihm. Etwas Dämonisches ging von ihm aus. Er war nicht gekommen, um etwas zu kaufen. Er brachte etwas. Das Grauen!Das Grauen war er selber. Denn als er lächelte, sah Joan fingerlange Eckzähne in seinem Mund blitzen. Vampir-zähne!

***

Sie stieß einen gellenden Schrei aus. Haltsuchend griff sie hin-ter sich.

Der grauenhafte Kunde verzog den Mund zu einem noch breiteren Lächeln. Die entsetzlichen Zähne wurden immer län-ger.

»Schreien Sie, soviel Sie wollen, meine Liebe, niemand hört Sie!« sagte er und kam auf sie zu.

Seine Augen glühten unheimlich. Seine hochgerafften Lip-pen spannten sich. Seine Blicke wurden unverschämt und durchdringend. Joan spürte sie wie Feuer auf der nackten Haut brennen.

Lähmendes Entsetzen würgte ihren Schrei ab.Sie wich vor ihm zurück, bis sie gegen einen vollbehängten

Kleiderständer stieß. Ihre Flucht war schon gestoppt.

Ihr gehetzter Blick flog zu den beiden Schaufenstern und der gläsernen Eingangstür. Sah denn niemand, was hier los war? Erschrak niemand über den Mann, dessen obere Eckzähne schon fast bis zum Kinn herabreichten?

Die Passanten trotteten vorbei. Ihnen fiel nichts auf. Eine Frau warf einen längeren Blick in die Fensterauslage und sagte etwas zu ihrem Begleiter. Der bekam sofort einen leicht ge-quälten Gesichtsausdruck. Der Preis der Ware schien ihm nicht zu gefallen.

Joan Masters wünschte, die Frau könnte ihn umstimmen. Aber die wandte sich ab und folgte ihm.

Tretet doch ein! flehte Joan innerlich. Ihr bekommt es zum halben Preis!

Das Paar verschwand, und der unheimliche Kunde grinste triumphierend, als könnte er sehen, was hinter seinem Rücken draußen vor dem Geschäft geschah.

Er kam näher.Joan drohten die Knie nachzugeben. Aus seiner dezent-ele-

ganten Kleidung stieg ein Geruch von Moder und Fäulnis. Er streckte die Hände nach ihr aus.

Wieder schrie sie gellend und hilfeheischend.Der unheimliche Kunde lächelte nur spöttisch. »Sie sind un-

belehrbar, meine Liebe!« Tadelnd schüttelte er den Kopf. Sein Gesicht nahm einen lüsternen Ausdruck an.

Joan hatte hier schon alles mögliche erlebt – Ladendiebe, Kassenräuber und schäbige kleine Erpresser, die Schutzgeld kassieren wollten, aber so ein Kerl hatte bisher nie den Fuß über die Schwelle gesetzt.

Sie wollte sich aus den Kleidern des fahrbaren Ständers be-freien.

Blitzschnell schossen seine Hände hoch und packten sie an den Oberarmen.

Die Sinne drohten ihr zu schwinden. Es waren keine Hände. Es waren Krallen mit entsetzlich langen Fingernägeln, die sich schmerzhaft in ihr Fleisch bohrten. Die Haut war grau und schuppig und sah aus, als würde sie faulen. Der abstoßende Geruch wurde durchdringend. Er entströmte nicht nur der Kleidung. Der ganze Mann roch so.

»Was – was wollen Sie?« stieß Joan in größter Not hervor.Er ließ ihre Oberarme los und haschte nach ihrem langen

Haar. Genüßlich ließ er es durch seine grauenhaften Finger gleiten.

»Sie will ich, meine Liebe!«, sagte er. »Ich werde Sie heira-ten.«

»Nein!« Ihre Stimme brach, Joan flog am ganzen Körper. Sie wollte dem unheimlichen Kunden die kleinen Fäuste ins Ge-sicht schlagen. Sein Blick lähmte sie. »Doch«, sagte er und lä-chelte geduldig. »Übermorgen um Mitternacht. Ich werde pünktlich sein.« Er ließ ihr Haar los. »Falls Sie die Stadt verlas-sen wollen – ich weiß Sie überall zu finden.«

»Wer sind Sie?« Joans Stimme war wie ein verwehender Hauch.

»Oh, entschuldigen Sie, ein unverzeihlicher Fehler.« Er schob die Krallenhände in die Manteltaschen. Dazu machte er eine leichte Verbeugung. »Natürlich sollen Sie wissen, wen Sie hei-raten. Ich bin Graf Dracula.«

»Dracula!« Die Sinne drohten Joan zu schwinden.»Übermorgen!« sagte er, und seine Zähne zogen sich lang-

sam zurück. »Punkt Mitternacht.«

*

Begonnen hatte es damit, daß Frauen gebissen wurden. Immer waren es junge hübsche Frauen. Immer wurden sie in den

Nacken gebissen.Zunächst war es eine reine Angelegenheit der Londoner Poli-

zei, ich hörte nur zufällig davon.Der unheimliche Beißer schlug nachts zu. Mal an einer einsa-

men Bushaltestelle, mal in der U-Bahn, wenn kaum noch Fahr-gäste unterwegs waren, mal auf einem dunklen Parkplatz oder in einem unbeleuchteten Hausflur.

Die Spur zog sich quer durch London. Ein System war nicht zu erkennen.

Nachdem ich vom vierten oder fünften Fall dieser Art hörte, fand ich die Sache doch eigenartig. Ich sprach mit meinem Chef über den geheimnisvollen Genickbeißer.

Sir Horatio Merriman tat die Vorfälle als absonderliches Trei-ben eines Spinners ab, der sich gerne in den Sensationszeitun-gen gedruckt sehen will, und er führte Beispiele an.

Wir hatten in der Stadt schon Burschen gehabt, die ahnungs-lose Passanten mit Säure aus einer Spritzpistole beschossen und ihnen Löcher in die Kleidung ätzten. Es hatte schon den Kerl gegeben, der den Mädchen die Zöpfe abschnitt. Und einen Mann, der mit Vorliebe in vollbesetzten Bussen Frauen mit einem Rasiermesser Röcke und Kleider aufschlitzte. Er war ein verkrachter Anwalt.

Es hörte sich ganz schlüssig und einleuchtend an, was Sir Horatio an Erklärungen aus dem Handgelenk schüttelte. Mir fielen auch keine Gegenargumente ein.

Meine Bedenken und Zweifel jedoch konnte der Chef nicht ausräumen, und wenn er zehnmal der Boß vom britischen Ge-heimdienst war.

Jemand, der möglicherweise abartig war, biß keine jungen Frauen ins Genick. Er mied überhaupt jedes Risiko.

Und die Gefahr, vom Freund einer jungen Frau erwischt und verdroschen zu werden, war jederzeit gegeben.

Solchen Situationen setzten sich Leute mit einem Knacks nicht aus.

Ich hatte einen ganz anderen Verdacht. Einen furchtbaren Verdacht. Daß nämlich ein Blutsauger am Werk war. Einer, der sich vorerst noch damit begnügte, seine Opfer ein wenig zu beißen und fast zu Tode zu erschrecken.

Aus dem dämonischen Spiel konnte leicht und schnell teufli-scher Ernst werden.

Ein Blutsauger bedeutete für London eine tödliche Gefahr.Ich tippte bei Sir Horatio noch einmal in dieser Richtung an,

stieß aber erst auf Unglauben und dann auf taube Ohren.Also handelte ich auf eigene Faust und Verantwortung.

Schließlich bin ich meine eigene Spezialabteilung beim Secret Service. Meine Hauptaufgabe ist es, mich um Phänomene ganz besonderer Art zu kümmern.

Bei der Londoner Polizei und bei Scotland Yard habe ich Freunde. Solche Verbindungen sind ungemein nützlich, wenn der offizielle Fluß der Informationen gehemmt ist.

Die Ursache dafür ist meist kleinkariertes Konkurrenzden-ken. Die Polizei möchte gern einen ungeschmälerten Erfolg vorzeigen, der Yard aber auch. Darum bleiben die Schotten dicht.

Oder die Gründe sind im Bereich der öffentlichen Sicherheit zu suchen.

Ich spitzte meine Freunde an. Berichte über neue Untaten des Genickbeißers landeten ungefärbt und ungesiebt und ziemlich schnell bei mir.

Es passierte genau das, was ich befürchtet und wovor ich ins-geheim gezittert hatte. Nicht meinetwegen. Der Stadt London und ihrer Menschen und insbesondere ihrer jungen hübschen Frauen wegen.

Der Blutsauger machte aus seinem Spiel blutigen Ernst!

Sein erstes richtiges Opfer wurde Dru Palmer. Die junge Frau war vor einer Woche auf dem Heimweg ins Genick gebissen worden. Mit einem Mordsschrecken, einer befleckten Bluse und einem Pflaster über die Bißstelle war sie da noch davonge-kommen.

Jetzt hatte er ihr wieder aufgelauert. Sein Biß saß diesmal im Hals.

Dru Palmer lag zwei Tage in der Agonie.Gegen Ende des zweiten Tages alterte sie innerhalb weniger

Stunden in erschreckendem Maße. Um rund fünfzig Jahre. Zu-gleich vollzog sich an ihr ein grauenhafter Austrockungspro-zeß. Sie wog noch geschätzte fünfzig Pfund.

Am Morgen war sie spurlos aus dem Pflegezimmer ver-schwunden.

Eine Rekonstruktion ergab, daß sie zwischen Mitternacht und drei Uhr früh abgeholt worden sein mußte. Von Unbe-kannten.

Denn daß sie aus eigener Kraft fortgefangen war, hielt man in Anbetracht ihrer Hinfälligkeit für ausgeschlossen.

Ich hatte eine andere Meinung. Bloß wollte die niemand hö-ren.

Dru Palmer blieb jedenfalls verschwunden.Inspektor Peter Woods von Scotland Yard schien aber eine

Spur aufgetan zu haben. Eine recht erfolgversprechende oben-drein. Er konzentrierte seine Ermittlungen auf den Stadtteil Finsbury.

Warum er sich in den Fall verbiß, blieb unklar. Vielleicht ging es ihm einfach gegen den Strich, daß eine Frau, die dem Tod schon auf der Schippe saß, sang- und klanglos verschwand.

Seit zwei Tagen wurde nun auch Peter Woods vermißt.Bei Scotland Yard herrschte Ratlosigkeit im Wechsel mit hel-

ler Aufregung. Woods war ein kriminalistisches Talent, man

wollte ihn wiederhaben. Und er galt als korrekt und gewissen-haft.

Seinen Vorgesetzten erschien es unbegreiflich, warum er sich nicht aus der Versenkung meldete.

Mir schwante Unheil.Darum hatte ich mich heute in seiner Wohnung umgesehen.

Vor mir war bereits jemand auf diesen Gedanken gekommen. Die Spuren der Durchsuchung waren unübersehbar.

Ich wollte niemand etwas unterstellen und hoffte, daß Kolle-gen von ihm die Wohnung auf den Kopf gestellt hatten.

Ich verzichtete darauf, das Durcheinander zu vergrößern. Wenn Peter Woods irgendeinen Hinweis in seinen vier Wän-den aufbewahrt hatte, dann hatten ihn seine Kollegen gefun-den.

Aber wissen wollte ich es doch, weil man von Vermutungen nicht leben kann. Aus der Hausmeisterwohnung rief ich beim Yard an.

Seine Kollegen wollten nicht so recht mit der Sprache raus. Erst als ich ihnen auf den Kopf zusagte, sie seien in der Woh-nung gewesen, räumten sie ein, daß sie nach seinem Verbleib geforscht hätten.

Diese Auskunft fiel kleinlaut aus. Haarscharf schloß ich, daß sie demnach nichts gefunden hatten, das eine Erklärung für sein Verschwinden hergab.

Ich stand schon halb auf der Straße, als mir sein Briefkasten einfiel. Der Kasten hing in einer Reihe mit anderen unten im Hausflur.

Ich grinste, als ich sah, daß er Post enthielt. An alles hatten die Leute vom Yard eben doch nicht gedacht.

Der Kasten ließ sich leichter öffnen als eine Dose Ölsardinen.Peter Woods hatte die üblichen Wurfsendungen erhalten.

Dazu eine Rechnung seiner Wäscherei. Dann eine Einladung

zum Wochenende nach Luton. Die Handschrift verriet eine Dame als Absender. Außerdem entströmte dem Papier ein de-zenter Parfümduft. Warum auch nicht? Peter Woods hatte das Recht wie jeder andere, Mensch zu sein.

Mir fiel noch der Brief einer Camden-Hausverwaltung in die Hände. Der elektrisierte mich förmlich.

Dem Wortlaut entnahm ich, daß Woods Auskunft über das Haus Nummer 37 in der Hardwick Street und über den Besit-zer beziehungsweise die Mieter erbeten hatte.

Finsbury! Bei mir Zündete es.Auf den Stadtteil hatte er doch seine ganzen Nachforschun-

gen wegen Dru Palmer konzentriert!Die Antwort der Camden-Hausverwaltung hob mich fast aus

den Schuhen. Da stand:… können wir nicht bestätigen, daß es sich bei dem fraglichen Gebäude in der Hardwick Street um ein Spukhaus handeln soll. Der Verwaltungsvertrag mit unse-rer Gesellschaft endete außerdem bereits vor zwanzig Jahren. Nach unseren Informationen ist das Haus durch Ableben des erbenlosen Besitzers seit langem schon herrenlos. Da uns die katastrophale Bausubstanz bekannt ist, nehmen wir nicht an, daß das Gebäude von illegalen Bewohnern genützt wird. Falls Sie Bedarf…

Es folgte der übliche Schmus, mit dem die Camden-Leute Pe-ter Woods eine von ihnen verwaltete Wohnung andrehen woll-ten.

Spukhaus!Woods mußte auf etwas gestoßen sein, das ihn zu dieser

nicht alltäglichen Formulierung veranlaßt hatte.Ich klopfte mir zweimal auf die Schulter, daß ich meine Nase

in seinen Briefkasten gesteckt hatte.Die Adresse hatte ich.Ich brauste nach Finsbury hinauf. Eine innere Stimme sagte

mir, daß sein Verschwinden mit diesem Haus zu tun hatte. Vielleicht war ihm dort etwas zugestoßen.

Den Brief hatte er ja nicht mehr gelesen. Katastrophale Bau-substanz konnte bedeuten, daß das Haus über ihm zusam-mengebrochen war. Oder eine Decke war eingestürzt. Viel-leicht hatte auch eine Treppe unter seinem Gewicht nachgege-ben. Und jetzt lag er dort. Hilflos eingeklemmt. Seit zwei Ta-gen.

Es dunkelte, als ich oben war. In den Häusern und Geschäf-ten gingen die Lichter an. Die Straßenbeleuchtung folgte spä-ter. Londons Stadtverwaltung steuerte ein eisernes Sparpro-gramm.

Den MG parkte ich der Nummer 37 gegenüber.Das Herz sackte mir tiefer, als ich die Bruchbude musterte.

Spukhaus war noch ein schmeichelhafter Ausdruck. In den Gemäuer wollte ich nicht mal mein Bild hängen wissen.

Woods mußte mit dem Wort aber etwas anderes gemeint ha-ben.

Die Hardwick Street war in diesem Abschnitt schon keine einladende Gegend. Es gab jede Menge baufällige Häuser.

Ich griff die Taschenlampe aus dem Wagen und schickte den Strahl auf die Hauseingänge.

Einige waren mit Brettern vernagelt. Das erklärte, warum hinter den Fenstern kein Licht brannte.

Ungefähr zweihundert Schritte entfernt auf meiner Seite blitzte die Lichtreklame einer Automatenspielhalle. Sie paßte in diese trostlose Gegend wie die Faust in den Suppentopf. Hier wohnten die Ärmsten der Armen, und irgendein Schwei-nehund zog mit seiner lichtflimmernden Spielhalle den Leuten die letzten Pennies aus der Tasche.

Und die Leute erlagen gern der Verlockung. So entflohen sie für eine Stunde der tristen Umgebung.

Ein paar Halbwüchsige standen dort vor der Tür, vom stän-dig wechselnden zuckenden Licht übergossen, und peilten in meine Richtung.

Um den MG hatte ich keine Sorge. Der war mit ein paar Tricks aus der ›Klempnerwerkstatt‹ des Secret Service gegen Diebstahl geschützt.

Sorgen machte ich mir um Peter Woods. Gut, das Haus war nicht über ihm zusammengekracht, aber drinnen konnte ihm allerhand zugestoßen sein.

Während ich über die Straße ging, spürte ich unzählige Bli-cke. Die Bewohner der intakten Häuser hatten mich gehört und waren natürlich neugierig. In so einem Viertel mußte man immer wissen, was lief.

Auch die Tür von Nummer 37 war mit rohen Brettern verna-gelt. Ebenso die Fenster im Erdgeschoß. Das Haus hatte nie ein Geschäft beherbergt.

Ich schickte den Lichtstrahl an der Fassade hoch. Im ersten Stock waren die meisten Scheiben eingeworfen. Als Junge hat-te ich auch Zielübungen auf alte Fenster gemacht.

Im zweiten und dritten Stock waren die Fenster blind und verdreckt.

Unter den Fenstern liefen Stuckgesimse her. Teile davon hat-ten sich von der Hauswand gelöst und waren heruntergebro-chen. Der Rest würde wohl bald folgen.

Wind und Wetter hatten den Mörtel aus den Fugen der Mau-ersteine geholt. Die Dachrinne fehlte auf die halbe Länge der Hausfront. Das Regenwasser hatte am Mauerwerk schon seine Spuren hinterlassen und war wahrscheinlich auch ins Haus gelaufen.

Mir zog es die Haut zwischen den Schulterblättern zusam-men. Jetzt hatte ich einen Begriff davon, was man unter kata-strophaler Bausubstanz zu verstehen hatte.

Abfall, Unrat, eine verrostete Blechtonne mit Mauerschutt, alter Maschendraht und ein zerdrückter Kunststofflampen-schirm waren rechts und links vom vernagelten Eingang ver-teilt.

Als ich den Lichtstrahl darüberzucken ließ, flitzten zwei Rat-ten davon und suchten Unterschlupf in einem Kellerloch.

Die vorgenagelte Bretterwand sah aus, als würde sie länger halten als das Haus. Ich drückte probehalber gegen das Holz.

Sieh an! Einige Bretter waren unten gelöst, ich brauchte sie nur beiseite zu schieben. Die Haustür dahinter war unver-schlossen, der Glaseinsatz sauber herausgelöst.

Die zwei Scheiben waren sicher nicht das einzige, das Lieb-haber gefunden hatte.

Ich zwängte mich hinein und erschrak über das dumpfe Echo, das meine Schritte auslösten.

Ich hätte es mir denken können, daß das Haus ausgeräumt war. Auf der ganzen Welt klingen Schritte in einem leeren Haus gleich. Nämlich hohl und irgendwie geisterhaft. Denn nichts dämpft den Schall.

Ich leuchtete herum.Ach, du meine Güte! Hier sah es lieblich aus.Im Flur war Unrat verfault und im Laufe der Zeit zu einem

undefinierbaren Etwas geworden. Schäbige Tapeten hingen in schimmeligen Fetzen von der Wand.

Es roch nach Moder und Fäulnis und – ich konnte mir nicht helfen – irgendwie auch nach Grab.

Der dumpfe Geruch strömte aus dem Boden.Kein Wunder, denn das Haus war noch von der alten Mach-

art und besaß Holzfußböden. Die moderten ungestört vor sich hin.

An einigen Stellen waren die Bretter schon eingebrochen. Nicht ganz von selbst, wie es mir schien. Die Löcher sahen

mächtig nach Fußtritten aus.»Woods?« rief ich im ersten Impuls.Vielleicht war er auf der Treppe nach oben gestiegen und

durch eine morsche Decke ganz fix wieder herabgekommen.Nur meine Stimme geisterte als Echo durchs Haus. Und ir-

gendwo knackte es, als sei ein Holzwurm erschrocken.Ich leuchtete herum und sah mich dann um. Dabei bemühte

ich mich, die Balken zu treffen, die unter dem modernden Fußboden lagen.

Alles, was nicht niet- und nagelfest war, war von und aus den Wänden gerissen. Stromleitungen sowieso, aber auch Wasserleitungen.

Die Möbel waren längst fortgeschafft. Da und dort zeigte ein heller Fleck an einer Wand an, daß mal Bilder aufgehängt wa-ren.

Als das Haus noch in Betrieb war, mußte es eine ganz wohn-lich-heimelige Atmosphäre gehabt haben. Besonders beim Schein des Kaminfeuers.

Aber selbst der Kamin war abgebaut.Durch den Schacht waren wahre Regenfluten ins Haus ge-

drungen und hatten die Rußablagerungen herunterge-schwemmt. Die Lachen waren ausgetrocknet, aber der Dreck hatte sich überall am Boden verteilt.

Ich spitzte die Ohren.Von Peter Woods hörte ich keine Antwort. Auch kein Rö-

cheln oder Stöhnen oder ein Klopfen, falls er eingeklemmt war.

Aber ich wußte nicht einmal, ob er hier war. Ich verspürte nur eine unheimliche Beklemmung. Als ob die Luft dünner und mein Kragen enger würde.

Man konnte wirklich auf den Gedanken kommen, diese Bruchbude für ein Spukhaus zu halten.

Die Durchsuchung des Erdgeschosses förderte nichts zutage, das auch nur im leisesten die Annahme erhärtet hätte, Woods sei hiergewesen.

Das Haus hatte ein erstes und ein zweites Stockwerk und si-cher auch noch einen Speicher. Mit halben Sachen gab ich mich nicht zufrieden. Ich stieg die Treppe hinauf.

Sie war schmal und steil. Hier mit Möbeln zu rangieren muß-te eine Tortur gewesen sein.

Das geschnitzte Geländer war wurmstichig. Ich traute ihm nichts mehr zu und hielt mich an der Wandseite. Wenigstens die Stufen waren noch gut, wenn auch stark ausgetreten.

Der muffige Modergeruch verstärkte sich, je höher ich kam.Ich wollte mir gerade das erste Zimmer im ersten Geschoß

vornehmen, als ich Schritte hörte. Wie angewurzelt blieb ich stehen.

Es klang, als würde draußen jemand vorbeigehen. Das war aber nicht der Fall. Die Schritte ertönten nicht einmal im Erd-geschoß, sondern noch tiefer. Aus dem Keller.

Den hatte ich mir zum Schluß vorknöpfen wollen. Ein Fehler, wie sich zeigte.

»Woods, sind Sie das?« rief ich und leuchtete hinab.Die Schritte tappten näher. Ich hörte sie sehr viel deutlicher.

Das waren mehr als nur einer. Mindestens drei.Morsche Bodenbretter knarrten.Mir war nicht besonders zumute. Woods war nicht dabei, der

hätte geantwortet. Woher kamen sie? Wenn es wenigstens noch Türen gegeben hätte! Aber die waren auch fortgeschleppt wie die übrige Ausstattung.

Und, zum Teufel, wo befand sich überhaupt der Zugang zum Keller?

Meine innere Stimme riet mir dringend, abzuhauen, solange ich noch konnte.

Hier stimmte etwas nicht, das war mir klar.Aber ich war ja nicht losgezogen, um Fersengeld zu geben,

sobald es mulmig wurde, sondern um Peter Woods zu finden. Oder seine Spur.

Ich versuchte die Ecke ausfindig zu machen, wo sie auftauch-ten. Immer nervöser leuchtete ich die gähnenden Türlöcher ab, die ins Treppenhaus mündeten.

Ich hörte Geräusche. Ein Schlurfen. Dann ein seltsames Jam-mern und Stöhnen. Bevor ich begriff, daß es Totenstimmen waren, tauchten sie auf.

Vier Gestalten.Sie zwängten sich aus den Türlöchern und sammelten sich

zwischen dem Treppenfuß und der Haustür. Sie bildeten eine Sperre. Der Fluchtweg war mir abgeschnitten.

Dann schauten sie herauf. Das Lampenlicht vermochte sie nicht zu blenden. Ich wußte auch, warum.

Sie waren Zombies. Untote!Drei Männer und eine Frau.Ihre Körper waren nahezu völlig ausgetrocknet. Die Gesich-

ter sahen wie verschrumpelte Äpfel aus. Das Haar war spröde und strähnig und die Kleidung staubig und verkommen. Die der Männer.

Die Frau hatte verzweifelt wenig an. Eine Art Shorty oder so. Der letzte Modehit war's aber auch nicht.

Sie ging auf nackten Füßen. Ihre Beine bestanden fast nur aus Knochen mit etwas getrockneter Haut drum herum.

Ein würgendes Gefühl stieg mir in die Kehle.Sie setzten sich wie auf Kommando in Bewegung. Langsam,

aber nicht aufzuhalten. Sie hatten mich in der Falle. Das wuß-ten sie.

Das einzige an ihnen, das normal war, waren die Augen. Die waren nicht vertrocknet. Sie begannen unheimlich zu funkeln.

Voller Gier und Lust.Ich sah den Tod darin glänzen.Diesen grauenerregenden Geschöpfen entkam ich nicht.

*

Kathleen Burke zuckte zurück, als sie eine Männerstimme im Laden sagen hörte: »Übermorgen. Punkt Mitternacht.«

Eine dämonische Freude schwang in dieser Stimme mit.Kathleen war von ihrem Hauptgeschäft in Covent Garden

herübergekommen, um mit Joan Masters die Tageskasse zu machen. Wie üblich hatte sie hinter dem Haus geparkt und war durch die rückwärtige Tür eingetreten.

Und jetzt diese Stimme!Sie erschauerte. Aber sie riß sich zusammen und streifte das

unangenehme Empfinden ab wie Wassertropfen von der Haut.Wovon redete der Kerl? Traf er mit Joan etwa eine Verabre-

dung? Das war doch nicht gut möglich, niemand verabredete sich doch um Mitternacht.

Oder war da eine ganz andere Sache im Gange? Trieb Joan ein unehrliches Spiel? Wollte sie mit dem Mann übermorgen um Mitternacht die Boutique leerräumen? Sie hatte ja alle Schlüssel. Das machte keinen Lärm und fiel keinem Hausbe-wohner auf.

Kathleen empfand eine tiefe Enttäuschung. Sie kannte Joan als ehrliche und fleißige Mitarbeiterin, die nicht sofort nach der Handtasche griff, wenn der Feierabend gekommen war.

Konnte sie sich in der Beurteilung eines Menschen derart ir-ren?

Es ging ihr irgendwie gegen den Strich. Nein, dachte sie, der Mann redet von etwas anderem! Seit wann hat sie überhaupt einen Freund? Warum hat sie mir nicht von ihm erzählt?

Die Tür zum Laden war nur angelehnt, außerdem befand sich eine Scheibe darin. Ein gehäkelter Vorhang spannte sich darüber.

Man konnte aus dem Hinterzimmer in den Laden blicken, ohne von dort gesehen zu werden.

Das Hinterzimmer diente als Lager und Büro, als Teeküche und auch dazu, mal für ein paar Minuten die Beine hochzule-gen. Vom Parkplatz hinter dem Haus trat man direkt hier ein.

Kathleen wollte sich bemerkbar machen, weil es ihr un-schicklich erschien, heimliche Lauscherin zu spielen. In diesem Moment hörte sie den Mann mit seiner dämonischen Stimme sagen: »Und damit Sie nicht vergessen, meine Liebe, daß wir hiermit verlobt sind, hinterlasse ich mein Zeichen.«

Verlobt? In Kathleens Kopf ging es für einen Moment wüst her.

Sicher sind es Kunden, die draußen reden, sagte sie sich.Durch den Häkelvorhang sah sie eine schattenhafte Bewe-

gung im Laden.Es war nur ein Schatten.Dann hörte sie ein leises Seufzen, fast ein Stöhnen. Ganz klar

kam es aus einer Frauenkehle. Und dann fiel etwas zu Boden.Was ging draußen vor?Kathleen bekam die Dinge nicht geordnet. Vorsorglich griff

sie erst einmal nach einer langen spitzen Schere auf dem über-ladenen kleinen Schreibtisch. Sie faßte sie wie einen Dolch. So eine Schere konnte eine ganz nützliche Waffe sein.

In diesem Moment war sie froh, daß sie die Hintertür nicht hatte zufallen lassen. Auf Zehenspitzen huschte sie zur Verbin-dungstür und spähte durch den Vorhang.

Es stand nur ein Kunde im Laden. Ein Mann. Er lächelte auf eine satanische Weise.

Bei seinem Anblick verkrampfte sich alles in Kathleen. Ob-

wohl er gut gekleidet war. Sein Mienenspiel war es, das sie ängstigte. Und der Ausdruck seiner Augen.

Er blickte schräg vor sich zu Boden.Kathleen reckte sich, um zu erkennen, was dort war.Sie zuckte zusammen.Sie sah zwei hochhackige Schuhe und bestrumpfte Beine und

einen Rocksaum. Joan! Die Verkäuferin lag am Boden.Das also war das dumpfe Fallgeräusch gewesen!Hatte der Mann sie niedergeschlagen?Ein grausames Lächeln kräuselte seine Lippen. Er beugte

sich nieder.Joans Oberkörper war hinter aufgehängten Textilien verbor-

gen. Der Mann schob die Hände unter sie und richtete ihren Oberkörper auf.

Jetzt war Joan in Kathleens Blickfeld.Der Mann bog den Kopf der jungen Frau etwas zur Seite.

Joan schien gar nicht zu spüren, was mit ihr geschah. Sie war leichenblaß und hielt die Augen geschlossen.

Ohnmacht, konstatierte Kathleen und faßte die Schere noch fester. Wenn er ihr etwas zuleide tut, spieße ich ihn auf!

Der Mann strich Joans Haar beiseite und beugte den Kopf auf ihren Nacken. Einen Atemzug lang verharrte er so.

Dann richtete er sich auf.Kathleen erschrak bis ins Mark!Sie sah eine rote Bißstelle an Joans Nacken, und von den

grausam und triumphierend verzogenen Lippen des Mannes tropfte Blut!

Der Beißer!Kathleen begriff. Der unheimliche Mensch, der jungen Frau-

en ins Genick biß und von dem die Zeitungen immer wieder berichteten, war im Laden!

Er hatte ein neues Opfer gefunden! Joan!

Kathleen war wie gelähmt. Sie vergaß, daß sie die Schere in der verkrampften Hand hielt. Sie stand nur und starrte aus weit aufgerissenen Augen.

Der Mann ließ Joan auf den Boden zurücksinken, stand auf, leckte die Lippen ab und lachte leise.

Es war ein grauenhaftes Lachen voller Tücke und Bosheit.Er wandte sich ab, näherte sich der Ladentür.Da sah Kathleen seine Hände!Nur mit Mühe konnte sie einen Schrei unterdrücken. Das Ge-

sicht des unheimlichen Mannes sah kerngesund aus, aber sei-ne Hände waren grau und blaß und wirkten wie verfault. Und die Fingernägel waren lang wie Krallen.

Das war kein Mensch von dieser Welt.Das war ein grauenhaftes Wesen, das nur wie ein Mensch

aussah.O Gott, warum ist Mac jetzt nicht hier? dachte Kathleen vol-

ler Furcht. Er versteht doch etwas von Geistern und unheimli-chen Wesen, er bekämpft sie doch!

Die Knie zitterten ihr.Der unheimliche Beißer hatte die Ladentür geöffnet. Er

schaute nach rechts und links, wandte sich um und machte eine Handbewegung, der etwas Gebieterisches anhaftete.

Mit einem Schlag erlosch die Beleuchtung. Laden und Schau-fenster lagen in Dunkelheit. Auch das Licht im Hinterzimmer ging aus.

Undeutlich sah Kathleen den Unheimlichen draußen am lin-ken Schaufenster vorbeigehen. Scheinwerferlicht vorüberrol-lender Autos streifte ihn.

Kathleen erwachte aus ihrer Erstarrung.Sie atmete kurz und heftig und faßte einen Entschluß. Außer

daß sie in den Nacken gebissen wurde war Joan nichts pas-siert. Die Ohnmacht ging vorüber, und sie konnte sich ja nach-

her um die junge Verkäuferin kümmern.Vordringlicher war im Augenblick, herauszufinden, wer der

unheimliche Beißer war und wohin er sich wandte. Damit Mac ihm das Handwerk legte und künftig junge Frauen vor ihm si-cher waren.

So mutig allerdings, ihm durch die Ladentür nachzulaufen, war Kathleen nicht.

Der unheimliche Kerl mußte aber an der Parkplatzausfahrt vorbeikommen!

Kaum hatte sie es gedacht, tastete sich Kathleen durch den Raum zur Hintertür und eilte auf den dunklen Parkplatz hin-aus. Die Schere hielt sie noch immer fest gepackt.

Vorne an der Ausfahrt zur Straße brannte eine Bogenlampe. Der Mann tauchte dort auf, blieb stehen, schaute zurück und machte einen irgendwie unentschlossenen Eindruck.

Dann ging er weiter.Schon wollte Kathleen loslaufen, um ihn nicht aus den Au-

gen zu verlieren, als er einbog. Er kam auf den Parkplatz!Kathleen spürte ihr Herz ein paar rasende Schläge machen.

Hatte er sie entdeckt? Merkte er, daß sie ihn beobachtete?Er besaß übersinnliche Kräfte, er hatte mit einer Handbewe-

gung sämtliche Lichter im Laden verlöschen lassen, sicher spürte er auch einen Verfolger.

Kathleen zwängte sich zwischen die abgestellten Wagen, wo es ganz dunkel war, und ging etwas in die Knie. Durch die Au-toscheiben sah sie ihn näherkommen.

Sie wünschte, ihr Herz würde nicht so laut wummern. Sie meinte, er müßte es hören, obgleich der Verkehr auf der Straße brauste und lärmte.

Die Furcht wich von ihr, als sie ihn vom Hauptweg abbiegen sah. Er strebte dem abgelegenen Teil des Parkplatzes zu.

Er ist mit einem Wagen da, schoß es Kathleen durch den

Kopf. Die Autonummer! Ich muß sie aufschreiben! Die bringt Mac auf seine Spur!

Sie richtete sich auf und huschte dem Unheimlichen hinter-her. Gerade betraten drei Leute den Parkplatz. Sie strebten in verschiedene Richtungen, wo eben ihr Fahrzeug geparkt war.

Das Knirschen des Schotters kam Kathleen wie gerufen, es vertuschte ihre Schrittgeräusche.

Der unheimliche Beißer war plötzlich verschwunden, als hät-te ihn die Erde verschlungen. Vom Eingang fiel nur wenig Licht bis in diesen Teil des Platzes.

Kathleen lauschte angestrengt. Nichts.Sie richtete sich auf – und tauchte sofort wieder weg. Der

Schreck und die Aufregung schnürten ihr fast die Kehle zu.Der Mann stand nur eine Autolänge entfernt an der Rücksei-

te eines schwarzen Kastenwagens. Deshalb hatte sie ihn nicht rechtzeitig gesehen. Seine dunkle Kleidung hob sich vom Schwarz des Fahrzeuges nicht ab.

Er hantierte dort an der Hecktür herum.Ein Stück entfernt wurde ein Wagen gestartet. Der Motor

brummte tief, dann knirschte Schotter unter Reifen, die Licht-finger eines Scheinwerferpaares glitten über den unheimlichen Mann hinweg.

Jetzt schwang die Hecktür auf.Ein unwirklich rötliches Licht drang heraus. Ganz dunkel.

Gruselig. Unheimlich.So etwas hatte Kathleen noch nie gesehen.Sie konnte auch die Quelle dieses geisterhaften Lichtes nicht

ausmachen. Es gab keine Lampe oder Leuchtröhre im Wagen-inneren. Das rote Licht sickerte förmlich aus den Wänden.

Und drinnen –!Kathleen bekam Gänsehaut am ganzen Körper. Drinnen

stand eine schwarze Totenkiste auf einer Art Podest, das mit

Tuch bespannt war.Wie ein Katafalk. Fertig aufgebahrt. Nur die Leiche fehlte.Der Sarg war ausgeschlagen, der Deckel lag daneben.Kathleen spürte und hörte, wie ihre Zähne aufeinanderschlu-

gen. Wie im Schüttelfieber.Sie wollte weglaufen. Die Beine versagten ihr den Dienst. Sie

stand wie angewurzelt und erlebte das Grauen auf knappe Di-stanz mit.

Der Unheimliche bestieg den Wagen. Das geisterhafte Licht umfloß ihn weich und warm, als würde es ihn willkommen heißen.

Er trat auf das Podest und legte sich in den Sarg. Ein sieges-gewisses Lächeln überzog sein Gesicht.

Seine faulenden Krallenhände krochen tastend aus der To-tenkiste, ergriffen den Deckel und stülpten ihn über den schwarzen Sarg. Ein dumpfes Rütteln und Poltern, und der Deckel saß fest.

Das rote Licht erlosch.Kathleen sagte sich, daß das alles gar nicht wahr war, daß sie

bloß schlimm träumte und wahrscheinlich daheim im Bett lag.Es nützte aber nichts, daß sie sich in eine Ausrede flüchtete.

Sie lag nicht im Bett, sondern stand auf dem Parkplatz neben ihrer Filiale. Und sie hatte gesehen, wie der unheimliche Ge-nickbeißer, den ganz London fieberhaft suchte, in einen Sarg geklettert war!

Die Nummer! Ich muß die Nummer aufschreiben! hämmerte es in ihrem Kopf. Vielleicht steht auch ein Name auf der Seite des Wagens! Eine Firma!

Gerade, als sie zwischen den geparkten Fahrzeugen heraus-gleiten wollte, schwangen die beiden Flügel der Hecktür laut-los zu. Kathleen erstarrte wieder.

Das ging alles längst nicht mehr mit rechten Dingen zu.

Hatte der Unheimliche aus der Totenkiste heraus die Tür zu-gehen lassen? So, wie er im Laden durch eine Handbewegung die Beleuchtung gelöscht hatte?

Da waren dämonische Kräfte im Spiel.Vor denen fürchtete sie sich. Dann und wann machte Mac

zarte Andeutungen über die finsteren Mächte, gegen die er kämpfte. Aber selbst diese kleinen Hinweise waren unvorstell-bar. Grauenhaft.

Und sie erlebte hier ein Stück Wirklichkeit.Der Motor des Wagens wurde gestartet, die Lichter gingen

an.Hatte jemand am Steuer gewartet, bis der Unheimliche, zu-

rückkehrte? Oder konnte das dämonische Wesen aus seiner Totenkiste heraus auch noch den Wagen lenken?

Sie hielt es für möglich. Aber sie wollte es genau wissen. Da-mit sie Mac möglichst viele Informationen geben konnte.

Der Wagen stieß rückwärts und wurde haarscharf vor Stoß-stange und Grill eines Vauxhall gebremst. Dann ruckte er vor, hielt, zuckelte wieder zurück.

Kathleen verfolgte gebannt dieses Manöver. Es wurde reich-lich ungeschickt ausgeführt. Ein Wunder, daß der Wagen nicht andere Fahrzeuge beschädigte.

Wieder blendeten die Bremslichter auf.Kathleen vergaß alle Vorsicht und trat aus dem Schutz der

geparkten Autos. Die Nummer mußte sie haben!Wie Eisfinger kroch es ihr den Rücken hinauf. Der schwarze

Kastenwagen hatte keine Nummer!Sie hastete an die Seite. Sie hoffte, einen Namen zu finden.

Eine Nummer. Eine Adresse. Irgend etwas.Da stand nichts.Der Wagen hatte jetzt die richtige Position gewonnen und

wollte zur Ausfahrt rollen. Kathleen schnitt ihm den Weg ab.

Sie trat hart neben das linke Vorderrad und starrte durch die Windschutzscheibe.

Sie war richtig erleichtert, als sie eine Gestalt hinter dem Lenkrad erkannte. Dabei hatte sie schon mit dem Schlimmsten gerechnet – mit einem Geisterauto, das führerlos durch Lon-don brauste.

Die Gestalt am Steuer machte heftige Bewegungen. Der schwarze Wagen reagierte auf den Lenkereinschlag und drängte gegen Kathleen. Sie erwischte vom Kotflügel einen derben Stoß und trat einen Schritt zurück.

Weiter ging es nicht. Sie stieß gegen ein geparktes Auto.Jetzt verstand sie. Der Lenker wollte sie einklemmen und

zerquetschen!Sie war zu neugierig gewesen. Das wurde auf der Stelle be-

straft.Der schwarze Wagen schob sich mit seiner ganzen Masse

heran. Der Spalt zwischen ihm und dem geparkten Auto, wur-de immer schmaler.

Kathleen stieß einen Schrei aus. Sie hatte den sicheren Tod vor Augen. Das Blech drückte schon gegen ihre Hüfte.

In ihrer Todesangst tat sie das richtige – sie machte sich dünn und flach, so gut es eben ging, setzte einen Fuß auf das Tritt-brett des Vauxhall und schnellte sich in die Höhe.

Sie trieb Sport, ihr Körper war durchtrainiert. Sie kam auf das Dach der Limousine zu sitzen. Aber sie bekam das Über-gewicht und drohte nach vorn zu stürzen. Unter den unheim-lichen schwarzen Kastenwagen.

Sie schleuderte die Füße nach vorn, verlor einen Schuh, fand aber Halt. Kräftig stieß sie sich von der Tür des Kastenwagens ab und rutschte auf dem Dach ein Stück nach innen.

Der unheimliche Wagen wurde gestoppt, ein gleichmäßig lei-erndes Geräusch mischte sich in das Klappern des Motors. Der

Fahrer, von dem Kathleen immer noch nicht mehr als den Schatten sah, kurbelte das Seitenfenster herunter.

Zu spät begriff Kathleen. Als sie die Beine heranreißen woll-te, hatte der Unbekannte schon zugepackt.

Sie stieß einen entsetzten Schrei aus.Das waren keine Hände. Es war weich, schwammig, teigig,

formlos, aber es drückte mit mörderischer Kraft zu. Und es zog sie unwiderstehlich vom glatten Dach des Vauxhall zum Führerhaus hinüber.

In der Dunkelheit hinter dem Lenkrad glühten zwei Punkte auf. Dort, wo sich ungefähr der Kopf des Fahrers befinden mußte.

Das Glühen wurde stärker, der Widerschein begann das Füh-rerhaus mit matter Helligkeit zu füllen. Es waren Augen, die derart unheimlich leuchteten.

»Nein! Nein! Nein!« schrie Kathleen halb wahnsinnig vor Grauen, als sie das Gesicht sah. Es war so teigig und schwam-mig wie die Greifwerkzeuge, die ihre Fußknöchel unbarmher-zig gepackt hielten.

Ständig veränderte es sein Aussehen. Die Formen waren flie-ßend, schleimig, ekelhaft, und Tropfen sonderten sich ab.

Bestialischer Gestank drang aus dem offenen Fenster und schlug Kathleen entgegen.

Sie begann zu strampeln, als der Zug immer rücksichtsloser wurde. Sie schrie ihre Angst heraus.

Ein Geräusch wie ein boshaftes Lachen kam aus dem Fenster. Die Greifwerkzeuge ließen nicht los, im Gegenteil, sie ver-stärkten den Druck.

Es bricht mir die Knöchel! schoß es Kathleen durch den Kopf. Es bricht mir alle Knochen, was immer es ist! O Gott, hilft mir denn niemand?

Die schleimigen ekelhaften Massen begannen zu pulsieren.

Kathleen ahnte den Ruck, bevor er kam. Das entsetzliche We-sen hinter dem Lenkrad wollte sie vom Dach reißen. Und ins Führerhaus hinein oder unter den Kastenwagen, damit es sie totfahren konnte.

In ihrer grenzenlosen Not schnellte Kathleen ihren Oberkör-per nach vorn und stützte sich mit beiden Händen am Dach des Führerhauses ab. Die Schere!

Die hatte sie die ganze Zeit in der rechten Hand gehalten.Sie faßte sie mit der Spitze abwärts, holte aus und stach in

die schwammigen schleimigen Massen, die ihre Fußknöchel umschlossen wie stählerne Fesseln.

Das Monster im Führerhaus stieß ein dumpfes Gurgeln aus, und aus dem Laderaum drang ein hartes Poltern, als sei die Totenkiste samt dem Beißer vom Podest gefallen.

Kathleen riß die Schere heraus und stach wieder zu.Die schleimigen Massen gaben ihre Knöchel nicht frei.In wilder Verzweiflung stieß sie die Schere durch die Fens-

teröffnung nach dem Monster. Ob sie die Augen traf oder das triefende Horrorgesicht war ihr gleichgültig.

Bis zu den Fingergriffen drang die Schere ein.Ein grauenhafter Schrei brach über Kathleens Lippen.Denn schwarz und stinkend schoß es aus dem Monster her-

aus und bespritzte sie. Monsterblut! Sie war davon getroffen. Sie wußte, was das hieß.

Das grauenhafte Wesen konnte sie ebenfalls zum Monster machen. Jetzt. In dieser Minute. Auf dem Parkplatz.

*

Die Untoten kamen die ausgetretene Treppe herauf. Ich hatte nichts, womit ich sie aufhalten konnte.

Nicht einmal ein Möbelstück, das ich ihnen auf den Kopf

schleudern konnte.Außer der Taschenlampe. Aber die behielt ich lieber. Als

Wurfgeschoß und Keule taugte sie wenig. Zudem könnte ich die Untoten nicht damit aufhalten.

Auch nicht mit meiner Automatic aus dem Schulterholster. In einen Untoten konnte man so viele Kugeln hineinschießen, wie man wollte, es warf ihn nicht um.

Vor allem hielt es ihn nicht auf.Meine einzige Chance sah ich darin, bis zum Dach hinaufzu-

spurten und zu versuchen, über Dach ins Nachbarhaus zu ent-kommen.

Aber irgendwie hatte ich das böse Gefühl, daß sie vorgesorgt hatten und daß ich nicht bis ins Nachbarhaus gelangte.

In diesem Moment wünschte ich, eine Sprengladung dabei zu haben. Die hätte ich auf der Treppe gezündet, und wenn es die Untoten durcheinanderwirbelte, wäre ich getürmt.

Auch ohne Woods.Wenn er hergefunden hatte, dann hatten die vier Schreckens-

gestalten ihn längst erwischt. Oder er war gar nicht da. Dann war er glücklicher dran als ich.

Denn mir hatten sie den Fluchtweg zur Haustür und zur Straße verlegt.

Ich wußte, daß Untote sich fast so schnell wie Menschen be-wegen. Aber eben nur fast.

Was sie zu verlieren hatten, wußte ich nicht, und es kümmer-te mich auch nicht.

Was für mich auf dem Spiel stand, konnte ich mir am Dau-men abzählen. Die brachten mich um. Oder sie verarbeiteten mich ebenfalls zu einem Untoten.

Wie das war und was man dabei empfand, auf diese Erfah-rung verzichtete ich lieber.

Denn sobald ich untot war, hatte ich aufgehört, als Mensch

zu existieren. Dann war es vorbei mit mir.Ich wechselte die Taschenlampe in die linke Hand und angel-

te die Automatic aus dem Holster. Mit einer Fingerbewegung überzeugte ich mich, daß der Sicherungshebel fest eingerastet war. Weil ich mich nicht auch noch selber erschießen wollte.

Die Pistole packte ich am Lauf. Sie lag kühl und schwer in meiner Hand. Eine vorzügliche Schlagwaffe. Zu mehr taugte sie in dieser Situation nicht.

Bei einem heftigen Schlag war schon ungewollt mancher Schuß losgegangen. Mir war das noch nicht passiert. Ich war indes nicht scharf darauf, eine unkontrollierte Kugel herum-zwitschern zu hören.

Die Untoten verständigten sich mit jammernden weinerli-chen Stimmen. Es klang fast wie auf einer Säuglingsstation in der Klinik.

Aber so war ihre Sprache.Mir kam es vor, als trieben sie sich gegenseitig an.Besonders eifrig war die ausgetrocknete Frau in diesem selt-

sam kurzen Gewand. Sie hetzte und schürte den Haß der männlichen Zombies.

Die waren gierig darauf, mich in die Finger zu bekommen. Ich sah es am Glanz der Augen. .

Die Untote bildete jetzt den Schluß der Horrorprozession. Auf ihrer linken Halsseite sah ich ein rotes Bißmal. Es leuchte-te so hell wie ein Rubin, in den starkes Licht fällt.

Die männlichen Zombies hatten dieses Mal nicht.Ich stutzte und hatte so eine ungute Ahnung. Als die Untote

eine Bewegung zur Seite machte, sah ich für den Bruchteil ei-ner Sekunde ein zweites Bißmal. Das hatte sie im Nacken.

Ihr strohiges, Haar fiel wieder darüber, aber ich wußte jetzt mit ziemlicher Sicherheit, wer sie war.

Das Gewand auf ihrer vertrockneten Figur war kein Shorty,

sondern ein Bettkittel, wie man ihn Patienten im Krankenhaus überzieht. Die Dinger werden hinten gebunden oder geknöpft, und vorne reichen sie gerade bis zum halben Oberschenkel hinab.

Das Opfer des unheimlichen Beißers und Blutsaugers, das zweimal angegriffen worden war, hatte in aussichtslosem Zu-stand in einem Krankenhaus gelegen. Von dort war es spurlos verschwunden.

Die Untote war Dru Palmer!Darauf wollte ich meinen MG wetten.Mit diesem Spukhaus hatte Peter Woods eine brandheiße

Spur gefunden, das stand fest.Nur nützte mir das jetzt verteufelt wenig.Der erste Zombie nahm die letzte Stufe. Ich wich zwei Schrit-

te zurück. Scharf beobachtete ich seine Bewegungen. Etwas Automatenhaftes hing ihnen an. Der Bursche ging wie ein Ro-boter.

Ein weinerlicher Laut drang aus seinem abscheulichen Mund, der nur aus einem vertrockneten Loch und blanken Zähnen bestand. Zugleich schleuderte er die Arme nach mir.

Vor seinen Händen mußte ich mich hüten. Was Untote ein-mal gepackt hatten, gaben sie nicht so ohne weiteres wieder her.

Ich tauschte ihm meinen weiteren Rückzug vor, sprang aber blitzschnell schräg nach vorn und schlug ihm die Automatic auf den Schädel.

Es klang, als hätte ich auf einen Kürbis geklopft. Mir prellte es die Hand.

Himmel, der schien einen Schädel aus Beton zu haben!Er sah seine Chance und wollte mich mit beiden Armen um-

schlingen.Wenn sein Kopf schon unglaublich hart war, dann mußten

seine Arme wie die Backen eines Schraubstockes sein. Ich wich zurück, schlug ihm die Waffe auf den Arm und traf ihn mit ei-nem artistischen Fußstoß an der Schulter.

Er kippte nach hinten, verlor das Gleichgewicht und stürzte gegen seine untote Gefolgschaft.

Die reagierte – so etwas kannte ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht!

Im Nu wichen sie beiseite, und er sauste kopfüber die Treppe hinab. Und riß nicht eine Gestalt mit sich.

Darauf hatte ich aber spekuliert.Die anderen drängten herauf.Mit einem blitzschnellen Tritt konnte ich noch einen hinabbe-

fördern. Danach hatten sie sich auf meine Taktik eingestellt.Von unten drangen Geräusche herauf. Ich schickte einen

Lichtstrahl hinab.Die beiden untoten Männer hatten durch den Sturz keinen

Schaden genommen. Sie stapften bereits wieder zu mir empor.Mir hatte mal jemand gesagt, einen Untoten könnte man

auch vom Big Ben werfen, und er würde unten aufstehen und sich schütteln und davongehen, als sei nichts gewesen.

Ich wünschte bloß, die zwei Kerle wären gegangen. In den Keller, von wo sie offensichtlich gekommen waren. Daran dachten sie aber gar nicht.

Ich war ihre Beute. Und die galt es zu holen.Mir war klar, daß ich ihnen auf Dauer nicht standhalten

konnte. Ich mußte höher hinauf. Vielleicht wurde da oben die Treppe noch enger, wo ich die grausige Gesellschaft dann auf einen Schlag die Stufen herabstürzen konnte und genug Luft bekam, um mich über das Dach fortzumachen.

Dru Palmer stimmte ein greinendes Lachen an. Sie schob den männlichen Untoten vor sich her.

Mir dämmerte, daß die größte Gefahr von ihr ausging. Sie

war neu in der Welt dieser Geschöpfe, sie mußte sich bewäh-ren. Dazu war sie bereit.

Der Zombie hatte ein maskenhaft starres Gesicht. Es drückte keine Regung aus.

Deshalb gelang es ihm, mich um ein Haar zu packen. Ich warf mich zurück. Aber die aufgesetzte linke Tasche meiner Ja-cke behielt er zwischen den Fingern.

Meine Zigaretten fielen zu Boden. Das Feuerzeug hinterher. Und es kollerte auch noch über den Boden und hüpfte dann die Stufen hinab.

Der Zombie schleuderte den Stofflappen über das Treppen-geländer und rückte gegen mich vor. Er wollte mehr von mir haben. Alles, nach Möglichkeit.

Meine Position war denkbar schlecht.Ich fintierte, damit er annahm, ich würde ihm auch mit ei-

nem Fußstoß kommen. Zum Glück fiel er darauf herein. Seine trockenen Hände fuhren hoch, um meinen Fuß zu packen.

Der Fußstoß kam nicht. Meine Faust dafür um so präziser. Ich wischte ihm eine ans Kinn, die mir bei einem offiziellen Kampf ganz ohne Frage den Meistertitel eingebracht hätte.

Durch die Erfahrung mit dem betonharten Schädel war ich gewarnt. Deshalb langte ich auch nicht gestochen hin, sondern wischte ihm am Kinnwinkel entlang.

Es riß ihm den Kopf zurück. Mehr geschah nicht.Aber ich hatte Luft gewonnen. Bevor sich Dru Palmer auf

mich stürzen konnte, flitzte ich die Treppe zum zweiten Stock-werk hoch.

Unterwegs versuchte ich einen Trick. Ich knipste die Ta-schenlampe aus.

Die Untoten fanden sich auch in der Finsternis zurecht. Sie rumorten auf der Treppe. Sie kamen.

Ich wünschte sie in den Keller zurück und einen Berg Schutt

über sie, so hoch wie das höchste Gebirge der Welt.Leider wurde mein Wunsch nicht erhört. Ich mußte um mein

Leben laufen.Fast war ich im zweiten Stockwerk angelangt, als ich ein

schreckliches Poltern von oben hörte. Es war ein Krachen und Bersten und Splittern, daß ich im ersten Moment fürchtete, der Dachstuhl würde zusammenbrechen.

Dann begriff ich, daß etwas die Treppe herabgesaust kam. Et-was Großes, Schweres.

Ich schickte den Strahl der Taschenlampe aufwärts.Mir richtete es jedes Haar einzeln auf!Ein schwarzer Sarg polterte die Stufen herab.Jetzt steckte ich mit Haut und Haar in der Falle.Die Untoten hatten mich nicht erwischt – noch nicht. Aber

die pechschwarze Totenkiste mußte mich zerquetschen. Aus-weichen konnte ich ihr nicht. So viel Platz war auf der schma-len Treppe nicht.

Ich stieß eine Verwünschung aus.Der Sarg prallte auf den letzten Treppenabsatz über mir, daß

die ganze Holzkonstruktion zitterte und bebte. Dann sprang er hoch und schoß auf mich zu wie ein Torpedo.

*

Kathleen schrie immer noch, während das schwarze Monster-blut über sie spritzte und an ihren Beinen abwärts lief.

Irgendwo aus der Ferne hörte sie aufgeregte Stimmen. Jetzt reagierte man endlich auf ihre Schreie. Aber zu spät wohl. Bis Hilfe kam, gewann das Monster Macht über sie.

Licht zuckte am entgegengesetzten Ende des Parkplatzes auf. Ein Scheinwerferpaar sandte seine Helligkeit heran.

Kathleen drehte es fast den Magen um, als sie das Monster in

seiner ganzen Scheußlichkeit erblickte. Sie hatte es mit der Schere unterhalb des schwammigen teigigen Kopfes getroffen. Die Augen glühten nicht mehr so hell.

Aus der Stichwunde spritzte es immer noch schwarz und stinkend und klebrig warm.

Das Monster ließ ihre Fußknöchel los. Aber nur, um nach den Knien zu greifen.

Wenn ihm das gelang, dann war sie verloren. Dann konnte die Ausgeburt des Schattenreiches sie durch die Fensteröff-nung ins Führerhaus reißen. Von dort gab es dann kein Zu-rück mehr.

In höchster Not entsann sich Kathleen, was Mac einmal über einen Zweikampf mit einem dämonischen Monster gesagt hat-te. Er war auch drauf und dran gewesen, in dem Duell auf Le-ben und Tod zu unterliegen. Und da hatte er zwei Hölzer ge-packt und mit ihnen das Kreuz gebildet und dem Dämon ent-gegengehalten.

Sie hatte keine Hölzer. Sie kam auch an keine heran.Aber sie hatte die Schere. Mit der konnte sie doch – ja, das

ging!Schon spürte sie die ekelerregende Berührung der teigigen

Masse an ihren Knien, als sie die Schere öffnete und zu einem Kreuz stellte.

Instinktiv drückte sie dieses Metallkreuz dem Monster ins Gesicht.

Das Wesen stieß ein greuliches Zischen und Brüllen aus. Es schnellte zurück. Und endlich verschwand die schauderhafte Berührung von ihren Beinen.

Die Masse zog sich zurück. Die Greifwerkzeuge schnellten wie Tentakel eines Tiefseeungeheuers durch die Fensteröff-nung hinein.

Die Schreie des Monsters wurden quälender und durchdrin-

gender. Kathleen war von der nervenzerfetzenden Vorstellung gefangen, daß das Wesen sie zum Monster umwandelte, wenn sie ihm nur den Zipfel einer Chance ließ.

Deshalb preßte sie das Scherenkreuz tief und tiefer in die triefende Monsterfratze.

Aus dem schwarzen Aufbau drang ein Laut, als würde ein Tiger brüllen.

Das unheimliche Fahrzeug begann zu schwanken und zu ächzen, als sei es ein lebendiges Wesen.

Auch das hielt Kathleen in ihrer Angst für möglich. Sie ent-sann sich eines Gebetes, das sie als Kind immer abends aufge-sagt hatte. Sie sprach es mit angstbebender, aber lauter Stim-me.

Das Gebrüll aus dem schwarzen Kasten wurde wütender und wilder. Und das Monster hinter dem Lenkrad kreischte wie eine Horde Teufel, die ins Weihwasser gefallen ist.

Das Scherenkreuz wurde warm und sehr schnell heiß. Kath-leen biß die Zähne zusammen. Das Monster und der unheimli-che Kerl in dem Sarg hinten wollten doch nur, daß sie die Schere fallen ließ.

Damit sie endgültig verloren war.Eine unbekannte Kraft schob sie unvermittelt weg von dem

Führerhaus. Ziemlich grob. Sie fand sich auf dem Dach des Vauxhall sitzend. Mitten drauf. Mit der heißen Schere in Hän-den.

Der klappernde Motor des pechschwarzen Kastenwagens jaulte auf, knirschend wurde der Gang eingelegt. Das Fahr-zeug ruckte an und fuhr mit zunehmender Geschwindigkeit vom Parkplatz.

Jetzt erst verstand Kathleen die Rufe. Sie klangen schon sehr viel näher. Drei Männer eilten herbei. Dahinter kamen zwei Frauen mit Einkaufstüten behängt.

Die Leute wollten helfen, sich irgendwie nützlich machen. Sie glaubten, ein Handtaschenräuber würde seinem miesen Job nachgehen. Denn ein Mann schrie zu Kathleen hinauf: »Wohin ist er abgehauen? Können Sie ihn beschreiben?«

Was die Frau auf dem Dach einer verdammt teueren Limou-sine zu suchen hatte, kratzte ihn nicht die Bohne.

Die Leute erwarteten eine Antwort. »Dort in dem Wagen!« sagte Kathleen mit schwacher Stimme. Sie zeigte zum Aus-gang. Dort fädelte sich der pechschwarze Wagen gerade in den Verkehr ein.

»Na, so ein Pech aber auch!« bedauerte der Mann. »Man müßte die Burschen zusammenschlagen, sobald man sie auf frischer Tat ertappt. So richtig, daß sie drei Tage lang krank sind. Vor Gericht faßt man sie ja mit Samthandschuhen an. Darum machen sie es immer wieder.«

»Ja, ja«, machte Kathleen. »Es ist schon alles gut, ich bin in Ordnung.«

Sie suchte nach einem Abstieg, ohne den Lack zu beschädi-gen.

Die Leute wunderten sich noch immer nicht. Sie wandten sich ab und strebten auseinander. Jetzt hob die Suche nach den entsprechenden Autos an.

Kathleen streifte den anderen Schuh auch ab, rutschte über die Frontscheibe und die Motorhaube und erreichte den Bo-den. Zitternd lehnte sie sich gegen das kostbare Fahrzeug.

Der ekelhafte Geruch des triefenden Monsters wollte nicht aus ihrer Nase weichen. Ihr war speiübel.

Die kühle Abendluft half ihr dann aber doch über den Tief-punkt hinweg. Sie raffte sich auf, suchte ihre Schuhe zusam-men, schloß die Hand um die Schere und ging zum Hinterein-gang ihrer Filiale zurück. Ihre Schritte waren unsicher und schwankend. Das Grauen steckte ihr immer noch in allen Fa-

sern des Körpers.Im Hinterzimmer und im Laden brannte wieder die Beleuch-

tung.»Joan?« fragte Kathleen besorgt.Keine Antwort. Die Verkäuferin war noch ohnmächtig. Ein

Blick durch die Häkelgardine ins Geschäft bestätigte das.Zum Glück waren auch keine Kunden mehr gekommen.Kathleen schaute an sich hinab. Bluse und Rock waren ver-

dorben. Die schwarzen Flecken gingen durch und durch.So konnte sie keinem Menschen unter die Augen kommen.

Joan schon gar nicht. Die mußte ebenso Fürchterliches erlebt haben.

Ein Blick auf die Uhr sagte Kathleen, daß der Ladenschluß überschritten war. Sie wagte es und betrat das Geschäft. Sie hoffte, daß nicht ausgerechnet jetzt noch jemand durch die La-dentür trat.

Die Schere legte sie in einen leeren Karton. Dann huschte sie hinaus und drehte mit zitternden Fingern den Schlüssel um. Geschafft! Fürs erste jedenfalls.

Sofort kümmerte sie sich um Joan.Die Verkäuferin lag halb auf der Seite. Aus der kleinen Biß-

wunde waren Blutstropfen gesickert und schon geronnen. Die junge Frau atmete tief und regelmäßig.

Zusätzliche Verletzungen konnte Kathleen nicht feststellen. Joan hatte einen Schock erlitten.

Und was für einen!Kathleen hatte den unheimlichen Kunden ja in den pech-

schwarzen Sarg steigen sehen. Und davor hatte er mit einer einzigen Handbewegung das Licht im Geschäft verlöschen las-sen.

Der Kerl war ebenfalls ein Monster!Vielleicht hatte er sich in seiner wahren Gestalt der Verkäufe-

rin gezeigt. Das erklärte die Ohnmacht.»Joan!« Kathleen beugte sich nieder und tätschelte der jun-

gen Frau sanft die Wangen. »Komm zu dir. Er ist fort. Joan – hörst du mich?«

Die junge Frau bewegte sich schwach. Sie kehrte aus dem Reich der Dunkelheit langsam zurück. Ihre Brust hob sich un-ter einem tiefen Atemzug.

Dann schlug sie die Augen auf, in denen das nackte Entset-zen wohnte. Sie zitterte, riß die Augen unnatürlich auf und stieß einen gellenden Schrei aus.

»Nicht doch – ich bin's, Kathleen! Er ist fort, du brauchst dich nicht zu fürchten!«

Joan streckte abwehrend die Hände aus. Das Grauen wich nicht aus ihren Augen.

Kathleen begriff endlich. Joan hielt sie selber für ein Monster. Der Grund waren die Spritzer schwarzen Blutes, mit denen sie übersät war.

Sie erhob sich. Joan erkannte jetzt ihre Chefin. Ihr Schrei brach ab.

»Was – was ist geschehen?« stieß sie gehetzt hervor.»Genug.« Kathleen schilderte ihr mit knappen Worten, was

sie durch das Fenster beobachtet hatte und wie sie dem un-heimlichen Kunden gefolgt war. Und wie sie um ein Haar Op-fer des gräßlichen Monsters hinter dem Lenkrad geworden wäre.

Joan lauschte atemlos. Sie setzte sich auf und betastete ihren Nacken. Ihre Fingerspitzen fühlten die harten Blutstropfen.

»Er hat dich gebissen«, erklärte Kathleen. »Er ist der geheim-nisvolle Beißer, vor dem alle Frauen in London zittern.

Wer ist der Kerl? Kennst du ihn? Er hat mit dir eine Verabre-dung getroffen.«

Joan lehnte sich sitzend gegen die Wand. Sie zitterte wie Es-

penlaub.»Er will mich heiraten. Übermorgen. Um Mitternacht. Er ist

Graf Dracula.«Die Antwort verschlug Kathleen die Sprache.Jetzt ging ihr das ganze Ausmaß der Gefahr auf, in der sie

selber geschwebt hatte. Und sie verstand nun auch die Zusam-menhänge. Die Beleuchtung, die durch einen geistigen Impuls des Unheimlichen verlöscht war, das dunkle rote Licht im Kas-tenwagen, der Sarg, in den der Mann gestiegen war – der alte böse Blutsauger war zurückgekehrt!

Diesmal trieb er in London sein Unwesen.Der unheimliche Beißer, der jungen Frauen auflauerte, war

der Fürst aller Vampire!»Heiraten? Dich?« Kathleen spürte, wie es ihr am ganzen

Körper kalt wurde. »Das werden wir ihm versalzen.«Sie hatte auch schon eine Idee. Sie mußte zu Mac. Mit Joan.

Sie mußte ihm alles berichten.Joan hob schnuppernd die Nase. So allmählich kam sie wie-

der in Gang. Wenn auch das Entsetzen noch tief bei ihr saß.»Was riecht hier so seltsam? War – er das?«Der ekelhafte Geruch umschwebte Kathleen wie eine Wolke.

Sie hatte die Spritzer im Verdacht. »Ich. Ich habe das Monster gestochen.«

Wo die Flecken bis auf die Haut durchgegangen waren, spür-te sie ein Kribbeln und Brennen.

Das Zeug mußte herunter. Mochte der Himmel wissen, was sonst mit ihr geschah. Die Furcht kehrte zurück, sie könnte sich in ein Monster verwandeln.

Mit sicherem Griff nahm sie einen Folklorerock samt Bluse und ärmelloser Weste aus dem Hängeständer. Die hochhacki-gen Schuhe würden nicht dazu passen. Darauf kam es jetzt aber nicht an.

Aus der Schublade griff sie einen Tangaslip und ging in den kleinen Waschraum, der zum Geschäft gehörte.

Sie zerrte die verdorbene Kleidung vom Körper. Wo das Monsterblut durchgeschlagen hatte, war es bereits in die Haut eingedrungen. Die Ränder hatten sich gerötet. Wie bei einer Entzündung. Das Kribbeln und Brennen wurde immer stärker.

Kathleen seifte sich von Kopf bis Fuß mit kaltem Wasser ab. Ein Warmwassergerät gab es nicht. Auf den Monsterblutfle-cken rubbelte sie intensiv herum.

Sie wollte fast verzagen, als die schwarze Farbe nicht so-gleich verblaßte. Immer wieder probierte sie es. Viel half es nicht.

Nur das Kribbeln und Brennen hörte auf. Auch die Rötung ging zurück.

In ihrer Verzweiflung verfiel sie auf den Gedanken, es noch einmal mit einem Kreuz zu versuchen. Mit der Schere hatte es doch auch geklappt.

Sie huschte ins Hinterzimmer nebenan, ergriff zwei Bleistifte und band sie mit einem Gummi zu einem Kreuz zusammen.

Es war nicht geweiht, es war ein Notbehelf. Sie baute aber darauf, daß allein das Symbol ein Wunder bewirkte.

Langsam strich sie mit dem Kreuz über die verfärbten Haut-stellen.

Sie schrie leise auf. Wie Feuer lief es durch ihren Körper. Kräfte des Bösen waren in sie eingedrungen. Sie wehrten sich gegen ihre Vertreibung.

Die heftige Reaktion signalisierte Kathleen, daß sie auf dem richtigen Weg war. Sie ließ nicht nach und bestrich die dunklen Partien immer wieder.

Wie durch Zauberei sickerte das schwarze Monsterblut aus den Poren heraus, sammelte sich zu Tropfen, die abscheulich stanken.

Sie wischte sie ab und schob die unbrauchbare Kleidung in den äußersten Winkel des Waschraumes. Nur weit weg damit. Sie graulte sich davor.

Es gelang ihr, alle Rückstände des Monsterblutes aus der Haut zu zwingen. Die Stellen rubbelte sie noch einmal gründ-lich ab.

Dann zog sie sich an. Auf einen BH verzichtete sie. Das konnte sie sich leisten. Sie hatte eine Figur wie aus dem Mo-dellkatalog.

Mit Packpapier faßte sie die verdorbene Kleidung und steck-te sie in den Karton zu der Schere. Mac wußte am besten, wie dieses Zeug zu vernichten war.

Joan Masters hatte sich soweit erholt, daß Kathleen mit ihr die Kassenabrechnung vornehmen konnte. Die Verkäuferin war unkonzentriert. Ihr war deswegen kein Vorwurf zu ma-chen. Nach dem, was sie durchgestanden hatte.

Immer wieder überlief es sie wie Schüttelfrost, und dann schaute sie ängstlich zur Ladentür, als könnte Graf Dracula zu-rückkehren und durch die verschlossene Tür eintreten.

»Fertig!« Kathleen steckte die Tageseinnahmen in eine Tüte. »Du fährst bei mir mit.« Sie zog den Hauptschlüssel ab.

»Aber mein Auto –« wandte Joan ein. Nicht sehr heftig. Sie hatte Angst, sie wollte jetzt nicht allein sein. »Wohin?«

»Laß es auf dem Parkplatz stehen. Wofür bezahlen wir jeden Monat schließlich zehn Pfund? Wir fahren zu Mister Kinsey. Er muß erfahren, was geschehen ist.«

Kathleen klemmte sich den Karton unter den Arm.Sie benützten die Hintertür wie immer.Kathleen zögerte, als sie nach dem Lichtschalter griff. Sie

machte eine Handbewegung, wie sie an Graf Dracula gesehen hatte, als der die Beleuchtung verlöschen ließ.

Natürlich funktionierte es nicht.

Kathleen schüttelte den Kopf und knipste das Licht auf die herkömmliche Art aus.

Ihre Nobelkarosse stand nicht weit entfernt.Joan fürchtete sich in der Dunkelheit und hielt sich ganz

dicht an ihre Chefin.Die hat Mut, dachte sie. Sticht einfach mit der Schere auf ein

Monster los! Ich wäre gestorben vor Angst!Als sie im Wagen saßen, aus dessen feiner Polsterung der

Duft von Antilopenleder stieg, löste sich unweit des Hinterein-ganges eine Gestalt aus dem dunklen Schatten.

Sie pirschte sich näher an den Wagen mit den beiden Frauen heran. Die Augen begannen unheimlich zu glühen.

Dann huschte sie zurück, zwängte sich in ein klappriges Auto und startete es. Im Schrittempo lenkte sie die Kiste dem noblen Wagen nach.

Bei der Ausfahrt fiel für Sekunden Licht ins Wageninnere und auf ein grauenhaftes Zombiegesicht.

Draculas Braut stand unter dämonischer Überwachung.

*

Wie eine Rakete zischte die schwarze Totenkiste auf mich her-ab.

Ich handelte instinktiv. Zum Überlegen blieb gar nicht die Zeit. Ich warf mich auf die alten ausgetretenen Holzstufen, daß mir die Rippen knackten.

Das sonderbare Geschoß, das mich auf der Treppe hätte zer-quetschen sollen, streifte meinen Rücken. Aber wie! Ich fürch-tete, mir würde die Wirbelsäule vorne zur Brust herausfliegen.

Japsend schnappte ich nach Atem. Feurige Kringel drehten sich vor meinen Augen.

Der Luftzug der Totenkiste verbog mir die Ohren.

Aber sie raste vorbei, und das war die Hauptsache.Ich wälzte mich halb herum und leuchtete dem ungewöhnli-

chen Mordinstrument hinterher.Dru Palmer, die Untote, hatte ihren Kollegen beiseite gesto-

ßen. Sie bog ihre vertrocknete Schreckensgestalt weit über das morsche Treppengeländer und wich dem rasenden Sarg aus.

Keine Zeitung ging dazwischen, so knapp flog er vorbei.Dru Palmer öffnete den schrecklichen Mund. Jetzt sah ich,

was wirklich aus ihr geworden war. Ein Vampir!Ihre Eckzähne schnellten auf geisterhafte Weise hervor, wur-

den lang und länger, Speichel troff aus den trockenen Mund-winkeln.

Sie hatte Durst auf Blut. Auf meines.Ich durchschaute den teuflischen Plan. Die verdammte To-

tenkiste hätte mich in die Arme der Untoten schleudern sollen. Tot oder lebendig. Selbst als frische Leiche hätte ich noch eine Menge warmes Blut hergegeben.

Durch die Rechnung hatte ich ihnen einen dicken Strich ge-macht.

Die Totenkiste rammte nämlich den Zombie, dem ich mit der Faust den Kinnwinkel gestreichelt hatte. Der Bursche kriegte das Ding in den Magen und hing vorne drauf wie Münchhau-sen auf der Kanonenkugel.

Die beiden Untoten, die ich die Stufen hinabbefördert hatte, klommen schon wieder emsig aufwärts. Aber sie waren etwas langsamer als Menschen und dadurch im Nachteil.

Ihr untoter Partner und der pechschwarze Sarg krachten mit-ten in sie hinein. Mit furchtbarem Getöse purzelte die ganze Gesellschaft hinab.

Der Sarg durchbrach das Geländer und stürzte fast senkrecht in den Flur ab. Holzwurmmehl stäubte in einer Wolke auf.

Von unten ertönte ein Krach, daß mir angst und bange wur-

de. Die Totenkiste war angekommen. . Das mußte ich unbe-dingt sehen.

Ich schnellte auf die Füße, behielt Dru Palmer im Sichtwinkel und beugte mich über das Geländer. Mein Lichtstrahl fraß sich durch den Staub.

Der Deckel des Sarges war aufgesprungen. Sonst war an der Totenkiste aber erstaunlich wenig entzwei.

Wie gebannt starrte ich auf die Gestalt, die aus dem umge-kippten Sarg kroch und mühelos auf die Füße kam.

Woods!Bei dem Sturz hätte er sich doch eigentlich alle Knochen bre-

chen müssen.

*

Immer häufiger schaute Kathleen in den Rückspiegel. Sie wur-de nervös. Und so fuhr sie auch.

Jetzt merkte auch Joan Masters, daß etwas nicht in Ordnung war. Sie zog sich ängstlich in den Beifahrersitz zurück. »Was ist denn los?«

»Jemand folgt uns«, sagte Kathleen, »und es gefällt mir nicht. Schnall dich an, dem werde ich es zeigen.«

Joan haschte nach dem Gurt und kämpfte mit ihm, bis ihr Kathleen mit einer Hand half. Schon preßte der Andruck sie ins Leder zurück. Kathleen trat einmal voll aufs Gaspedal.

Die Limousine schoß nach vorn. Die Lichter des Verfolgerau-tos fielen sofort weit zurück.

Am Holborn-Kreisel staute sich wie üblich der Verkehr. Der Verfolger holte auf und klemmte sich ungeniert hinter Kath-leens Wagen. Sie starrte in den Spiegel und versuchte, den Fahrer zu erkennen.

Die Sache konnte ganz harmlos sein. Nach dem schreckli-

chen Erlebnis sah sie hinter allem jedoch eine unheilvolle Be-deutung.

Sie nutzte eine Lücke und wechselte die Spur.Der Verfolger, den sie nicht erkennen konnte, folgte ihr nach.Kaum war sie aus dem Stau heraus, lenkte sie den Wagen in

eine verzweifelt schmale Gasse, die überwiegend von Anliefe-rern benützt wurde. Auch jetzt standen Wagen dort.

Der Verfolger blieb an ihr dran.Das war kein Zufall mehr. Das war Absicht.Kathleen kurvte um einen Getränkewagen herum. Es wurde

verzweifelt eng. Aber sie schaffte es, sie brachte ihren Wagen durch.

Ein Arbeiter schimpfte hinter ihr drein.Der Verfolger hatte keine Mühe.Seine Lichter rückten dicht auf.Kathleen konnte nur erkennen, daß eine Person im Wagen

saß.Sie fädelte sich an der Gassenmündung in den Abendverkehr

ein und steuerte in die Gegend der Fleet Street. Dort war jetzt am meisten los, dort hoffte sie, den hartnäckigen Burschen ab-hängen zu können.

Es war wie verhext. Der Bursche schien zu ahnen, wenn sie blitzschnell die Spur wechselte. Sofort war er wieder hinter ihr.

»Zur Polizei!« jammerte Joan. »Fahr doch bitte zur Polizei!«»Die unternimmt doch nichts«, wehrte Kathleen ab. »Wir

müssen uns vielleicht auch noch anpflaumen lassen von we-gen Verehrer und daß so etwas nicht ungewöhnlich sei.«

Sie hegte einen wachsenden Groll gegen den unbekannten Verfolger und eine Angst, die sie auf das Erlebnis auf dem Parkplatz schob.

Am Ausgang der Fleet Street wechselte sie ohne Änderungs-anzeige die Richtung und lenkte den Wagen nach Norden. Ein

wütendes Hupkonzert schallte hinter ihr her. Und hinter dem Verfolger. Der hatte das Manöver nachvollzogen.

Keine Sekunde hatte er gezögert.Kathleen überquerte die Marylebone Road, fuhr eine Schlei-

fe, brauste über die knackvolle Verkehrsader zurück und wur-de durch einen herumkurvenden Lastwagen auf den Parkplatz zwischen dem Bahnhof Paddington und dem Sankt Marys-Krankenhaus abgedrängt.

»Mist!« sagte sie etwas undamenhaft und kurbelte das Lenk-rad, um nicht geparkte Autos im Dutzend zu rammen. Auf der Schotterfläche war bremsen tödlich. Sie ging vom Gas und hielt den Wagen auf dem Hauptweg.

Voraus schimmerten die Lampen, die das Paddington-Was-serbecken säumten. Das Becken war ein Anhängsel vom Grand Union-Kanal, und ein paar Snobs hielten darauf ihre Boote, weil sie es für todschick fanden, innerhalb von London auf dem Wasser herumzuschippern.

Bascom Galsworthy hatte sein Flußboot meist hier liegen.Kathleen war mal zu einer öden Party dagewesen. Sie hoffte

inbrünstig, daß Bascoms Boot am Steg festgemacht hatte. Den kleinen dicken Widerling wollte sie gerne in Kauf nehmen, wenn sie und Joan nur erst mal in Sicherheit waren.

Denn der unheimliche Verfolger war schon wieder hinter ih-nen. Er rückte dichter auf. Er war die Unverfrorenheit in Per-son.

Ein Wagen startete aus einer Parkreihe. Seine aufgeblendeten Scheinwerfer leuchteten für zwei Sekunden voll in das Verfol-gerfahrzeug.

Kathleen stieß einen angstvollen Laut aus und umklammerte das Lenkrad. Hinter ihr in dem Auto saß eine grauenhafte Fi-gur. Ein vertrockneter Mensch. Das Gesicht sah wie zerknitter-tes Pergamentpapier aus.

Und die Augen –!Sie glühten wie Kohlen.Noch ein Monster!Sie hütete sich, Joan davon etwas zu sagen. Deren Nerven

spielten dann wahrscheinlich nicht mehr mit. Ihre hielten aber auch nicht mehr lange.

Sie fuhr bis an die Absperrung heran..Bitte, laß das Boot da sein! flehte sie unhörbar.Es war da. Und es war beleuchtet. Bascom Galsworthy ließ

wieder eine Party steigen, wie die vielen Gestalten verrieten. Er hielt sich für den größten Casanova Londons, und der Him-mel mochte wissen, wie er es anstellte, daß er immer genü-gend Mädchen für seine blöden Feste auftrieb.

»Komm, wir besuchen jemand!« sagte Kathleen und trat et-was hart auf die Bremse. Der Wagen brach aus und rutschte mit dem Heck herum.

»Wohnt dieser Mister Kinsey hier?« Joan schaute etwas irri-tiert in die Gegend.

»Der nicht, aber ein anderer Bekannter. Mach schon!«Joan kämpfte wieder mit dem Gurt. Sie fand den Knopf nicht

auf Anhieb.Kathleen spähte in den Innenspiegel. Ihr war zumute, als

müßte sie schreien. Der Verfolgerwagen wurde gestoppt, die Tür schwang auf. Aber die Innenbeleuchtung ging nicht an.

Sie wollte schwören, daß die unheimliche Gestalt mit dem vertrockneten Gesicht und den glühenden Augen schon die Beine aus dem Auto gesetzt hatte.

Sie würde ihnen folgen. Alles deutete daraufhin.Wenn es mir gelingt, den Kerl auf das Boot zu locken, sind

wir fein heraus, überlegte Kathleen. Bascom hat immer ein paar handfeste Freunde um sich versammelt. Die werden es ihm schon geben!

Sie liebäugelte auch mit der Chance, daß Bascom sie und Joan vielleicht mit einem kleinen schnellen Boot fortbrachte, wenn sie ihn lieb darum bat. Der Wagen konnte auf dem Park-platz bleiben. Den konnte sie morgen abholen.

Der unheimliche Verfolger würde ganz dumm schauen, wenn sie ihm über das Wasser entkamen.

Joan schälte sich endlich aus dem Gurt und stieg aus. Kath-leen steckte den Schlüssel ins Türschloß. Der Wagen hatte Zen-tralverriegelung.

»Da runter!« sagte Kathleen und lockte Joan vor den Kühler-grill des Autos, damit die junge Frau ja nicht auf den Gedan-ken kam, einen Blick rückwärts zu werfen.

Kathleen aber tat's.Fast knickten ihr die weichen Knie weg. Der Verfolger war

ausgestiegen. Er folgte in einigem Abstand. Dabei kam er den Lampen näher.

Sie merkte, daß sie sich nicht verguckt hatte. Der Verfolger war ebenfalls ein grauenhaftes Wesen. Auch ein Monster.

Nur sah er anders aus als jenes im Führerhaus, mit dem sie gekämpft hatte.

Eine nie erlebte Kaltblütigkeit zog in Kathleens Herz ein.Verlier jetzt bloß nicht die Nerven, sagte sie sich. Mac ist

nicht da, er kann nicht helfen, also muß ich mir selber helfen! Dieses Ungeheuer wird es nicht wagen, aufs Boot zu folgen! Wir verschwinden über das Wasser und nehmen uns irgend-wo ein Taxi!

Joan schaute fasziniert auf das hell erleuchtete Flußboot, von dem Musikfetzen herüberwehten. Ein breiter Steg schob sich ins Wasser hinaus. Ein knutschendes Pärchen stand am Fuß der Laufplanke, die vom Steg aufs Boot führte.

Sie hielt das für die große Welt. Die Chefin kannte wirklich feine und reiche Leute.

Kathleen hatte für das Boot keinen Blick übrig. Aus den Au-genwinkeln behielt sie das Ungeheuer im Blick. So vertrocknet und eingeschrumpft wie das Gesicht waren auch die Hände. Das ganze gräßliche Wesen schien eingelaufen zu sein, denn die Kleidung schlotterte ihm um den Körper.

Weil es wie ein Mensch aussah, schloß Kathleen, daß es wirk-lich auch einmal ein Mensch gewesen war.

Das Grauen packte sie wieder und schüttelte sie, als sie über-legte, daß diese schreckliche Verwandlung vielleicht durch Monsterblut geschehen war.

In welcher furchtbaren Gefahr hatte sie geschwebt!Hätte sie das ekelhafte stinkende schwarze Blut nicht mit

Hilfe des Bleistiftkreuzes aus ihrer Haut gezwungen, wäre sie jetzt vielleicht auch schon so ein Ungeheuer!

Sie riß den Kopf herum. Sie konnte den Anblick der Monster-kreatur nicht länger ertragen.

»Das Schiff?« fragte Joan. Sie sprach ruhig. Demnach hatte sie den grauenhaften vertrockneten Kerl gar nicht bemerkt.

»Es gehört einem Bekannten«, sagte Kathleen rasch und faßte Joan am Arm. »Laß dich von dem Kerl nicht anmachen. Er probiert es mit jeder.«

Das gewaltige Becken war mit Steinmauern eingefaßt. Trep-pen führten in regelmäßigen Abständen hinunter.

Am Steg lagen auch andere Boote, aber sie hatten nur kleine Beleuchtung gesteckt. Um Diebe, Einbrecher, Stadtstreicher und anderes Volk abzuschrecken.

Die beiden Frauen stiegen die Steintreppe hinab. Hier unten roch es nach Wasser und Moder und ein wenig nach Fisch und Dieselöl.

Gerade hatten sie die Füße auf den Holzsteg gesetzt, als Joan stehenblieb.

Ihre Augen weiteten sich schreckhaft. »Wo ist der Verfolger

geblieben?« Sie wollte den Kopf wenden und zur Mauer hoch-schauen.

Kathleen zog sie schnell weiter. Nur das nicht! Einen zweiten Schock verkraftete Joan bestimmt nicht.

»Abgehängt. Der Lastwagen hat sich zwischen uns und ihn geschoben. Ich denke nicht, daß er uns hier findet.«

»Wer?« Joans Lippen zitterten. Ihre Stimme auch.Es hatte keinen Zweck, ihr etwas vorzumachen.»Es hat mit Graf Dracula zu tun, denke ich mir. Er komman-

diert seine Gefolgsleute.«»Ja? Dann können sie doch überall sein!«»Nicht auf dem Schiff«, sagte Kathleen.Bei ihrem Herannahen verdrückte sich das knutschende Pär-

chen aufs Boot.Auf der ›Rosebud‹, der Rosenknospe, wie Bascom Galswor-

thy seine schwimmende Jungfrauenfalle getauft hatte, ging es hoch und laut her. Ein Betrunkener stolperte am Heck herum. Er suchte frische Luft. Er hätte sie früher suchen sollen.

Schritte näherten sich von Land her auf dem Steg. Das Holz zitterte, aber nicht allein vom glucksenden Wellenschlag gegen die Pfähle.

»Was ist das?« fragte Joan furchtsam.»Der Steg«, schwindelte Kathleen. »Der schwankt immer so.«Sie schob Joan die Laufplanke hinauf. Die junge Frau mußte

erst einmal in Sicherheit sein. Dann konnte man weitersehen.Der böse Zufall wollte es, daß ausgerechnet in diesem Au-

genblick Bascom Galsworthy mit einem Glas in der Hand auf Deck trat. Er war klein und fett und guckte oben aus seinem bluten weißen Anzug heraus wie ein Ferkel aus einem Deck-bett.

Sogar die Hängeohren hatte er.»Hallo, ihr Schönen der Nacht, das nenne ich aber eine riesi-

ge Überraschung!« Er verzog sein Schwabbelgesicht zu einem öligen Lächeln und wechselte das Glas in die andere Hand, um die Frauen begrüßen zu können.

Die Ringsteine an seinen Wurstfingern sprühten im Schein der Decksbeleuchtung.

Widerwillig reichte Kathleen ihm die Hand. Sie meinte, einen Frosch anzufassen. Feuchter konnte der auch nicht sein.

Sie wurde an das entsetzliche stinkende Schleimmonster er-innert.

»Das ist mein alter Bekannter Bascom Galsworthy«, machte sie bekannt. »Und Joan Masters. Sie verkauft in meiner Filiale. Du könntest mal deinen Harem dorthin ausführen.«

»Ha, für dich kommt immer zuerst das Geschäft und dann erst das Gefühl.« Bascom lachte. Dazwischen holte er pfeifend Atem. Es hörte sich gerade so an, als würde sich jemand auf einen schadhaften Polsterstuhl setzen. »Das ist ein Fehler, Dar-ling. Du kommst auch noch dahinter.«

»Das erlebst du nicht«, versetzte Kathleen spitz. »Kümmere dich um Joan.«

»Sie ist wirklich reizend, meine liebe Kathleen«, versetzte Bascom boshaft. »Dabei war ich mal mit ihr verlobt.«

»Im Traum. Das hättest du gern gehabt.« Kathleen wurde är-gerlich. Bascom hatte sich kein Stück verändert. Er war noch immer der alte Widerling.

Er seufzte. Dann grinste er wieder. »Es ist eine große Auf-merksamkeit, nehme ich an, daß du Joan zu mir bringst. Also, was steckt dahinter? Ich kenne dich.«

»Aufpassen sollst du auf sie, sonst gar nichts.« Kathleen stand wie auf glühenden Kohlen. Die harten Schritte des Un-geheuers klangen schon ganz nah. Sie sah die dunkle Schlott-ergestalt auf dem Steg.

Wenn das Monster etwa an Bord kam?

Das mußte sie verhindern. Sonst kam es zu einer Panik.Ihr Blick saugte sich an der Laufplanke fest. Wenn sie die –!»Kommen Sie, Joan, wir sind unerwünscht«, spottete Bascom

und reichte seinen dicken Arm der jungen Frau. »Die eiserne Kathleen gewährt uns keine Audienz.«

Er lächelte Kathleen an, sie ihn. So, wie sich zwei alte Feinde anlächeln, die wissen, was sie voneinander zu halten haben.

Bascom verschwand mit Joan durch eine Tür, aus der unbe-schreiblicher Lärm schlug.

Kathleen biß die Zähne zusammen. Die Schritte waren ver-stummt.

Sie trat in den schützenden Schatten eines hochkant gestell-ten Floßes und spähte zum Steg hinab.

Das vertrocknete Monster stand unten. Es hielt den Kopf auf die Seite gelegt und schaute herauf. Die Augen glühten in ei-nem unheimlichen Feuer.

Dann betrat es die Laufplanke.Verzweifelt schaute sich Kathleen nach den Tauen um, die

die Planke hielten. Sie mußte verhindern, daß das Ungeheuer an Bord kam.

Die dicken Taue waren fest verknotet, und die Laufplanke. war zudem mit eisernen Haken in Haltevorrichtungen an Deck eingehängt.

Kathleen erkannte, daß sie ohne Hilfe die Planke niemals lö-sen konnte. Dazu mußten mindestens zwei kräftige Männer her, die außerdem noch dieses Handwerk verstanden.

Ein seltsames Geräusch ließ sie zusammenfahren. Eine wei-nerlich klingende verwehende Stimme. Wie aus dem Jenseits.

Aber sie kam nicht aus einer unsichtbaren Welt. Sie stammte von dem Monster. Trotz des jammernden Tonfalles drückte sie eine tödliche Drohung aus.

Die Laufplanke schwankte. Das Wesen kam unaufhaltsam

herauf.Kathleen ergriff eine Stange, die am Floß in Schlaufen steck-

te. Sie hielt's für ein Ruder. Es war aber eine Art Bootshaken.Mit einem Ruck riß sie ihn heraus und duckte sich in den

Schatten.Das Ungeheuer hielt sich in auffälliger Weise in der Mitte der

Planke. Als hätte es Angst, ins Wasser zu fallen.Aufmerksam registrierte Kathleen, daß es sogar einen Schritt

zurücksprang, als Wasserspritzer von unten hochschlugen und die Planke benetzten.

Wasser schien es gar nicht zu mögen.Es blieb stehen, schaute herauf, als überlegte es sein weiteres

Vorgehen. Das Licht vom Boot lag voll auf seinem vertrockne-ten Knittergesicht. Der grauenhafte Mund verzog sich. Das Knistern, das dabei entstand, war lauter als der Wellenschlag gegen Boot und Steg.

Mit angehaltenem Atem wartete Kathleen, daß die Schritte wieder aufklangen. Ihr Herz pochte zum Zerspringen.

Jetzt: Das Ungeheuer kam!Sie zählte mit.Bei ›sieben‹ schoß sie aus ihrer Deckung und hielt den Boots-

haken wie ein mittelalterlicher Lanzenkämpfer.Das Wesen hatte höchstens noch zwei Schritte zu machen, bis

es an Deck war. Es reagierte. Seine dürren Arme fuhren herum und wollten den Stoß des Bootshakens ins Leere lenken.

Kathleen ahnte die Gefahr, in die ein fehlgehender Stoß sie brachte.

Dann taumelte sie dem Monster direkt in die Arme!Darum riß sie den Haken zurück und setzte noch einmal an.Sie traf das Ungeheuer mitten auf die Brust.Ein knarrender Laut kam aus dem vertrockneten Körper. Die

Gestalt schwankte, die Arme ruderten und versuchten das

Gleichgewicht herzustellen. Vergeblich.Mit einem seltsam kreischenden Schrei kippte das grauen-

hafte Wesen hinterrücks von der Planke und klatschte ins Was-ser.

Kathleen traute der Situation nicht. Vorsorglich richtete sie den Bootshaken auf die Wasserfläche, als sie an die Laufplanke trat.

Das Ungeheuer trieb dicht unter der Wasseroberfläche, das Gesicht nach oben gekehrt. Das Licht vom Boot fiel auf die Szene und zeigte Kathleen jede scheußliche Einzelheit.

Das Monster hatte jetzt den dürren vertrockneten Mund weit aufgerissen. Luftblasen blubberten an die Wasseroberfläche. Nadelspitze Zähne schnappten zu und bekamen außer Wasser doch nichts zu fassen.

Mit Armen und Beinen strampelnd, versuchte das grauen-hafte Wesen, dem Zug in die Tiefe zu entgehen.

Aber eine unsichtbare Faust schien das Ungeheuer langsam hinabzuholen in das dunkle feuchte Reich.

Das Wasser hatte geringe Strömung.Kathleen sah, wie der zuckende tobende Körper langsam ab-

getrieben wurde, während er tiefer sank.Sie hörte noch einmal einen grauenhaften Schrei, hielt es aber

für eine Sinnestäuschung. Wie konnte ein Wesen schreien, dort drunten, drei oder vier Yards tief bereits?

Die Formen begannen zu zerfließen. Als ob sich der Körper auflöste.

Kathleen konnte nicht sagen, ob es so war. Wenn doch, dann war sie froh und glücklich.

Wenn nicht, dann blieb der Körper dieses Wesens hoffentlich für alle Ewigkeit dort unten im Schlamm liegen und kam nie wieder ans Tageslicht.

Sie warf den Bootshaken an Deck, als hätte sie sich an ihm

die Hände verbrannt. Sie fühlte sich nicht gut.Sie wünschte, daß die Aufregungen dieses Abends vorüber

waren. Was sie brauchte, war ein vernünftiges Gespräch mit Mac. Für die entsetzlichen Vorgänge mußte es doch eine Erklä-rung geben. Und es mußte sich doch ein wirksamer Schutz ge-gen die dunklen Machenschaften dieses Grafen Dracula finden lassen.

Joan mußte in jedem Falle mitkommen. Die war ihres Lebens nicht sicher in dieser riesigen Stadt. An jeder Ecke konnte ein anderes Geschöpf lauern, das dem Fürsten aller Vampire ge-horchte.

Kathleen machte sich auf, um Joan von Bascom Galsworthy zu befreien.

Der kleine dicke Widerling war fast noch lästiger wie das Wesen, das ihnen so hartnäckig gefolgt war und das jetzt drau-ßen im dunklen Wasser trieb.

Bascom war bemüht, Joan unter Alkohol zu setzen. Damit sie auf dem Tisch tanzte. Das war eine Spezialität von Bascom. Darauf stand er.

Irgendwo hatte eben jeder seine Macke.Kathleen nahm ihm das randvoll gefüllte Glas aus der Hand,

das er eben Joan an die Lippen setzen wollte. Er hatte die jun-ge Frau in seinen Salon geschleppt und auf einer Ledergarni-tur deponiert, und dort belagerte er sie.

Er hatte Routine, die Situation sagte es.»Aufpassen sollst du auf sie, nicht anmachen!« sagte Kath-

leen. »Und Alkohol ist unfair. Aber was verstehst du schon da-von?« Sie zog Joan von den Polstern hoch. »Wetten, daß er dir schon von seinem Feriensitz auf den Bermudas vorge-schwärmt hat und daß er dir den demnächst zeigen möchte?«

»Ja, aber…«Kathleen stellte das Glas außerhalb Bascoms Reichweite ab.

»Was glaubst du, wie viele Mädchen in London herumlaufen, die alle schon mal das Ferienhaus auf den Bermudas gezeigt bekommen sollten. Das ist auch eine von seinen Maschen. Komm jetzt, wir ziehen eine Ecke weiter. Diese Party ist be-scheuert wie alle Partys davor.«

»Hör mal!« protestierte Bascom schwach. »Niemand hat dich gezwungen, herzukommen. Und ich kann mich auch nicht entsinnen, dich eingeladen zu haben. Wenn eine Party nicht gelingt, liegt es nur an euch faden Weibern. Du kannst ver-schwinden.«

»Das könnte dir so gefallen. Joan kommt mit.«Bascoms Augen funkelten hinterlistig, boshaft und gemein.

Jetzt saß er da wie eine giftgeschwollene Kröte. »Ach, ist das so? Hältst du dir jetzt niedliche kleine Freundinnen?«

Kathleen regte sich nicht einmal darüber auf. »Du bist und bleibst ein dummer Mensch, Bascom. Bis zum nächstenmal!«

Sie schob Joan aus dem Salon hinaus.Weit kamen sie nicht.Ein dumpfer Laut schallte übers Wasser. Nicht ganz wie eine

Explosion, eher wie eine starke Verpuffung.Bascoms Gäste liefen an Deck. Über dem Parkplatz stand

eine Feuersäule. Schwarzer Qualm und Funken wurden weit hinaus in den Nachthimmel gerissen.

Etwas war in die Luft geflogen und brannte.Kathleen war voller Sorge um ihren teuren Wagen. Sie

drängte sich mit Joan durch die gaffenden Partygäste, die sich an Deck und vor der Laufplanke stauten.

Niemand dachte daran, zum Parkplatz zu eilen und zu se-hen, ob irgendwie zu helfen war.

Bascoms Gäste überließen Hilfeleistungen anderen. Sie wa-ren gekommen, um sich zu amüsieren, nicht, um zu arbeiten.

Aber Kathleen und Joan liefen los.

Kathleen warf einen scheuen Blick ins dunkle Wasser, von dem Wesen war nichts mehr zu sehen. Es war wohl unterge-gangen. Bewegt hatte es sich zum Schluß jedenfalls nicht mehr.

Ihre Schritte hämmerten über den Steg.Wie von Furien gehetzt kletterten sie die Steintreppe in der

Mauer hoch.Kathleen stieß einen mächtigen Seufzer aus, der ihre ganze

Erleichterung zum Ausdruck brachte. Nicht ihr nobles Auto brannte, sondern der Wagen, mit dem das Ungeheuer die Ver-folgung aufgenommen hatte.

Er stand vom Kühler bis zum Heck in hellen Flammen.Kathleen begriff, daß Draculas gewaltige Dämonenkräfte

dieses Feuer ausgelöst hatten. Es sollten wichtige Spuren ver-nichtet werden. Alle Spuren.

Und vielleicht war das Feuer auch als Warnung gedacht. Als Warnung für sie und vor allem für Joan.

Denn die war ja Draculas Braut.

*

Ich war so perplex, Woods zu sehen, daß ich Dru Palmer zu wenig Aufmerksamkeit schenkte.

Außerdem stand sie in der Dunkelheit, denn meine Taschen-lampe leuchtete in den Treppenschacht hinab.

Ich spürte einen plötzlichen Luftzug, hörte ihren Bettkittel rascheln und duckte mich instinktiv.

Sie fiel fast auf mich. Und sie krallte ihre dürren Knochenfin-ger in meine Kleidung.

Ihr abscheulicher Atem wehte mir um den Kopf.Ich machte einen Buckel wie ein bockendes Pferd und schaff-

te es, die Untote abzuwerfen.Zwei Schritte sprang ich zurück und leuchtete Dru Palmer

an.Sie hatte den schrecklichen Mund weit aufgerissen und droh-

te mit den spitzen Vampirzähnen wie eben schon.Und diesmal hätte sie es fast geschafft, diese nadelspitzen

Zähne in meinen Hals zu schlagen. Mich packte das Grauen und schüttelte mich wie einen nassen Lappen.

Glück gehabt, alter Junge, dachte ich, aber gerade so eben noch! Mach nicht den Fehler und unterschätze diese Geschöp-fe! Sie sind alle gefährlich! Einen Fehler machst du nur einmal. Zu einem zweiten kommst du nicht mehr!

Ich bekam ihren Arm zu packen, als sie mich wieder mit ei-ner ungeahnten Wildheit angriff. Sie war von der Blutgier be-sessen.

Ich hatte keine Skrupel. Sonst gehe ich mit Frauen sehr sanft um, meine Freundin Kathleen Burke kann das bestätigen. Aber Dru Palmer war kein Mensch mehr. Sie war übergewechselt ins Reich der Untoten. Sie war zum Dämon geworden. Sie war der Feind eines jeden lebenden Geschöpfes.

Deshalb wirbelte ich sie herum.Wieder stieß sie dieses weinerliche Jammern aus. Es klang

anders als vorhin. Auch Untote können ihren Zorn äußern.Und sie war zornig. Sie hatte mich schon in der Falle gese-

hen, und doch war ich ihr und ihren Partnern daraus ent-schlüpft.

Ich ließ den Arm los, als ich ihr genügend Schwung gegeben hatte.

Daß ich ihr die dünnen Unterarmknochen brach, brauchte ich nicht zu befürchten. Untote sind robust, die halten eine Menge aus.

Dru Palmer sauste in den Flur vom zweiten Stockwerk hin-ein. Sie kam zu Fall. Ich hörte, wie sie sich überschlug.

Der Weg nach unten war frei – bis zum Hausflur. Dort aber

standen die drei , Zombies – und Peter Woods.Teufel, wie war er überhaupt in die Totenkiste gekommen?

Und wie war er das enge Treppenhaus herabgesaust? Von al-lein doch nicht.

Das bedeutete, daß oben noch jemand war. Jemand, der der Totenkiste einen Stoß versetzt hatte!

Wäre ich nach oben gelaufen, wäre ich ebenso in eine Falle gerannt.

Das drückte meine Stimmung. Dieses Spukhaus schien ein wahrer Hort von dämonischen Gestalten zu sein. Ein Treff-punkt mitten in London.

Was mich oben erwartete, wußte ich nicht. Was unten auf mich zukam, sah ich.

Ich gehe niemals ein vermeidbares Risiko ein.Die Zombies drunten waren noch ziemlich durcheinander.

Ich wartete nicht, bis sie sich zusammenrotteten, sondern spurtete die Treppen hinab.

Einen überrannte ich einfach. Er schlug einen Salto und riß den hinter ihm stehenden Untoten mit sich.

Den dritten fegte ich mit einem Heumacher beiseite. Jedem Lebenden wäre danach hören und sehen und überhaupt alles vergangen. Aber der Zombie erhob sich und tappte schon wie-der in meine Richtung.

Ich wünschte mir eine brauchbare Waffe gegen diese Schre-ckensgestalten.

Der Taschenlampenstrahl geisterte überall herum.Oben hörte ich Schritte. Dru Palmer war schon wieder auf

den nackten Füßen.Neben der Treppe erklang ein scharrendes Geräusch. Ich

leuchtete hin.Peter Woods hatte die Totenkiste aufgerichtet und den De-

ckel draufgelegt. Jetzt schob er sie mit dem Fuß an die Wand.

Und er räumte sogar die Trümmer des Treppengeländers bei-seite.

Ein ordentlicher Mensch, alles, was recht ist.Er schaute zu mir her und blinzelte. Das Licht störte ihn.Ich suchte an ihm nach gewissen Anzeichen, an denen ein

Zombie erkennbar war. Sie traten in allen möglichen Erschei-nungsformen auf. Meist waren sie vertrocknet und verschrum-pelt. Es gab auch Welche, die sahen fast wie normale Men-schen aus.

Woods kam mir etwas blaß vor. Aber das war kein Wunder nach der sausenden Fahrt mit dem Sarg und dem mörderi-schen Sturz durchs Treppenhaus.

Seine Haut hatte einen gewissen Schimmer, als könnte sie bald durchsichtig sein.

Aus den Augenwinkeln sah ich, daß die Zombies zurückwi-chen. Sie mußten einen Befehl empfangen haben, den ich nicht hören konnte. Ich verstand ja auch ihre Totenstimmen nicht.

Blitzschnell ließ ich den Lichtstrahl über sie gleiten. Ihre Au-gen funkelten noch begehrlich, gierig, hungrig. Aber sie zogen sich zurück.

Es mußte hier irgendwo ein Loch geben, aus dem sie gekro-chen waren. Dorthin kehrten sie zurück. In den Keller dieses Spukhauses wahrscheinlich.

Ich leuchtete die Treppe hinauf.Wie eine Traumwandlerin kam Dru Palmer herunter. Auch

ihre Augen drückten immer noch die Gier nach meinem Blut aus, aber sie schritt steif und friedfertig an mir vorüber und tauchte in der Dunkelheit des Hauses unter.

Ich konnte es nicht fassen. Diese ganze gräßliche Prozession zog kampflos ab!

Ohne sich noch einmal auf mich zu stürzen! Ohne mir eine neue Falle zu stellen!

Soviel Glück machte mich skeptisch.Peter Woods stäubte sich Holzwurmmehl von der Kleidung.

Er kam näher. Ich beobachtete ihn scharf.Er hinkte nicht, er verzog nicht schmerzhaft das Gesicht. We-

nigstens einige anständige Prellungen hätte er von der sausen-den Fahrt und dem Absturz zurückgehalten müssen.

Aus der Nähe kam mir seine Haut auch viel blasser vor. Wächsern, fast durchscheinend. Ich suchte nach den Adern und sah sie nicht.

»Wurde aber auch Zeit, daß Sie kommen, Kinsey«, sagte er.Und da zündete es bei mir.Zur Hölle, wie konnte er wissen, daß ich es war? Mein Ge-

sicht hatte er doch nicht gesehen. Und meinen Namen hatte ich nicht genannt.

Ich konnte mich auch nicht erinnern, daß der Lichtstrahl mein Gesicht getroffen hätte.

Er blieb einen Schritt vor mir stehen und grinste.Und da sah ich es – Bißspuren an seinem Hals!Woods gehörte auch schon nicht mehr zu uns!Die Untoten hatten ihn in ihr Reich geholt. Jetzt nahm er an

ihrer Jagd auf die Lebenden teil.Ich war fassungslos. Er hatte eine Spur gefunden, die richtige

Spur, wie ich jetzt wußte. Er hatte Dru Palmer gefunden. Aber welchen Preis hatte er bezahlen müssen.

Er war in eine Falle gegangen.Sein Grinsen wurde breiter. Es ließ ihn mit einem Schlag häß-

lich aussehen. Und gefährlich.Seine Lippen zogen sich zurück.Er hatte auch schon die nadelspitzen Vampirzähne, wenn

auch sein Körper noch nicht die totale Umwandlung mitge-macht hatte. Vielleicht war es auch bestimmt, daß er diese Ge-stalt behielt.

Die Ratschlüsse der finsteren Mächte waren immer ein Rät-sel.

Daß Woods mich erkannte, war der letzte Beweis für seine untote Existenz. Zombies waren in der Lage, auch in der Dun-kelheit zu sehen. Sie brauchten überhaupt kein Licht.

Er hatte mich erkannt. Oder die dunklen Mächte hatten ihm zu verstehen gegeben, wer in das Spukhaus eingedrungen war.

Ich zögerte einen Herzschlag zu lange. Und ich hatte Woods zu dicht an mich herankommen lassen.

Plötzlich schleuderte er die Arme vor und packte mich.Daß er etwas gegen mich im Schilde führte, war mir schon

klar. Daß es so schnell geschah, überraschte mich.Er riß den Mund weit auf. Die spitzen Zähne schoben sich

weit hervor. Sein widerlicher Atem stieß mir ins Gesicht. Er hatte mich an den Oberarmen gepackt und riß mich zu sich heran.

Ich hielt immer noch die Automatic in der rechten Hand.Irgendwie schaffte ich es, die Waffe richtig herum in die Fin-

ger zu bekommen. Mit dem Daumen drückte ich die Siche-rung heraus.

Woods mörderisches Vampirgebiß war kaum noch handbreit von meinem Hals entfernt, als ich die Pistole klar hatte. Ich drückte ab und feuerte ihm drei Kugeln von unten her in den Brustkorb.

*

Die Kugeln gingen dorthin, wo ein Mensch das Herz hat.Ich wußte nicht, was Woods jetzt dort hatte. Ein Herz be-

stimmt nicht.Die Wucht der Kugeln stieß ihn lediglich zurück, aber die

Projektile verletzten ihn nicht.Ich hatte aufgesetzt geschossen. Sein Hemd qualmte, der

dreimalige Feuerstrahl hatte den Stoff angesteckt.Er faßte nicht einmal mit der Hand auf die getroffene Stelle,

geschweige brach er zusammen.Er kam schon wieder auf mich zu.Seine Absichten waren nicht freundlicher geworden.»Warum, Woods?« schrie ich ihn an. Ich hatte noch nie mit

einem Untoten diskutiert. Aber er hatte mich angesprochen, da konnte ich annehmen, daß er mich hörte und verstand.

»Er hat mich gerufen, und ich bin gekommen. Ich bin in sei-ne Heerschar eingetreten.« Er sagte es so daher. Locker und lässig.

»Er? Wer ist er, Woods?«Seine Brauen gingen in die Höhe und drückten scharfen Ta-

del aus. Er schien es nicht zu begreifen, daß ich so dumm war und nicht wußte, wen er meinte.

Er ließ sich doch zu einer Antwort herab. »Der Fürst.«Das fehlte noch. Die Kälte fuhr mir ins Mark.Aber Fürsten gab es viele. Es mußte ja nicht gleich der Teufel

sein, der der Fürst der Hölle war.»Welcher Fürst, Woods?« fragte ich.Wieder gingen seine Brauen hoch. »Der Fürst aller Vampire.«»Der ist tot, vergangen, zu Staub zerfallen und in alle Winde

zerblasen!« schrie ich ihn an. »Sie sind einem Dämon aufgeses-sen, der sich für den Fürsten der Vampire ausgibt.«

So etwas kam auch im Schattenreich vor, das war mir be-kannt. Dort herrschten ebenso Lug und Trug wie auf der Erde, und auch dort wurde mit allen lausigen Tricks um die Macht gerangelt.

Woods schüttelte beharrlich den Kopf. »Er ist der rechtmäßi-ge Fürst. Seine treuen Vasallen haben seinen Staub gesammelt,

er ist auferstanden und sammelt seine Heerscharen. Er ruft uns. Auch Sie, Kinsey. Kommen Sie, überwinden Sie Ihre Furcht.«

»Einen Dreck werde ich!« sagte ich scharf. Dabei beobachtete ich, wie sich der Glutfleck auf seinem Hemd ausbreitete. Der glimmende Rand fraß sich weiter.

Er spürte noch nichts. Mir kam es darauf an, zu sehen, wie er auf Feuer reagierte. Ich mußte lernen. Das war nötig, um im ständigen Kampf mit den Mächten des Bösen und der Finster-nis überleben zu können.

Woods hatte mir sein Angebot unterbreitet. Ich schlug es aus. Er versuchte es jetzt wieder mit Gewalt. Er griff an und drang auf mich ein.

Es war zwecklos, die restlichen Kugeln zu verschießen. Sie hielten ihn doch nicht auf.

Ich hieb ihm die Waffe auf den Arm, der nach meiner Kehle griff, und stieß ihm zugleich die Taschenlampe ins Gesicht.

Er taumelte zurück. Das verschaffte mir die Chance, die ich brauchte, um aus diesem verteufelten Spukhaus zu verschwin-den.

Mit mächtigen Sprüngen jagte ich auf die Tür los.Hinter mir lachte Woods, daß es mir fast die Haare vom Kopf

zog. So niederträchtig und gehässig und gemein klang es.Und dann verstand ich auch, warum er sich fast ein Loch in

den Bauch freute.Die Haustür war verschlossen. Vorhin war sie es nicht gewe-

sen.Es steckte kein Schlüssel drauf. Aber es gab die Rechtecke wo

einmal die Scheiben gesessen hatten. Und draußen befand sich die Wand mit den gelockerten Brettern.

Ich streckte eine Hand durch ein Rechteck und drückte ge-gen die Bretter. Sie rührten sich nicht. Sie saßen fest wie frisch

angenagelt.Irgendwie hatte ich das erwartet. In diesem seltsamen Haus

steckten noch viel mehr Helfer und Diener dämonischer Her-kunft, als ich zu Gesicht bekommen hatte.

Während ich auf der Treppe in Atem gehalten wurde, hatte hier eine Kreatur die Tür dichtgemacht.

Peter Woods lachte wieder. Er mußte mein Erschrecken auf geheimnisvolle Weise spüren. Es bereitete ihm Freude.

Mir nicht.Ich warf einen Blick über die Achsel. Er kam hinter mir her.

Er ließ sich Zeit. Er hatte mich ja endgültig in der Falle fest.Aber dann blieb er stehen, senkte den Kopf und schaute an

sich hinab. Er hatte gemerkt, daß sein Hemd glimmte. Er stieß einen grausigen Schrei aus und schlug vorsichtig und ängst-lich auf die Glutnester, als seien seine Hände noch empfindli-cher und mehr gefährdet als sein Bauch.

Bisher hatte ich nur gewußt, daß fließendes Wasser Untote und Vampire und Werwölfe zu töten vermochte.

Vampiren kam man auch bei, wenn man sie pfählte. Das heißt, wenn man sie an dem Platz überraschte, an dem sie tagsüber ruhen mußten, weil sie das Tageslicht nicht vertrugen und leicht zu Staub zerfielen, wenn die Sonne auf sie schien. Man mußte ihnen im Ruhezustand einen angespitzten Pfahl durch das Herz treiben. Mit einem Schlag am besten.

Es sollte ein Eichenpfahl sein. Oder einer aus Mistelholz. Und gut war es außerdem, wenn der Pfahl geweiht war. Dann konnte der Vampir ihn nicht herausreißen. Was auch schon vorgekommen war.

Ich hatte keinen Pfahl zur Hand, keinen aus Eiche und kei-nen von der Mistel, und Woods lag auch nicht in seiner pech-schwarzen Totenkiste und ruhte.

Er vollführte lieber sausende Fahrten in engen Treppenhäu-

sern.Aber jetzt war sein Hemd in Brand geraten. Und das versetz-

te ihn in Panik. Wenn ein Vampir überhaupt in Panik geraten kann.

Er konnte es.Er kreischte wie alle Höllenteufel zusammen und versuchte,

die glimmenden Flecken zu ersticken.Hätte ich das früher gewußt, hätte ich nach meinem Feuer-

zeug gesucht, das irgendwo hier herumlag, und hätte Woods tüchtig eingeheizt.

Immerhin war er jetzt mit sich selber beschäftigt. Das ver-schaffte mir die Zeit, die ich für die Tür brauchte.

Ich fingerte gar nicht erst nach meinem Spezialbesteck, das mich immer begleitet. Das hielt mich zu lange auf.

Ich trat fünf Schritte zurück, nahm einen Anlauf und schnell-te mich mit der Schulter gegen die Tür.

Sie krachte aus Schloß und Angel und prallte mit mir gegen die vorgenagelte Bretterwand. Die hielt dem Ansturm auch nicht stand.

Zusammen mit ein paar Brettern segelte ich kopfüber auf den schmutzüberladenden Gehsteig, rollte mich ab und nahm dem Anprall die Wucht.

Ich schrammte mir nur die Knöchel der rechten Hand etwas auf, in der ich immer noch die Automatic hielt.

Die Straße war menschenleer. Die Halbwüchsigen waren vor der Spielhalle verschwunden, die immer noch ihr zuckendes Reklamelicht in die nächtliche Straße schleuderte.

Vielleicht hatten sie meine Schüsse im Haus gehört.In dieser Gegend lief man nicht gleich neugierig los, sobald

es gekracht hatte. Lieber verschwand man erst mal von der Bildfläche. In bestimmten Situationen war das auch vernünf-tig.

Ob sie die Knallerei aber wirklich gehört hatten, darüber war ich mir nicht einmal sicher. Diesem Spukhaus traute ich alles Schlechte zu. Auch, daß es alle Geräusche festhielt und keinen Laut auf die Straße dringen ließ.

Mir war das jetzt auch völlig gleichgültig. Ich war heraus, ich war gerade noch einmal davongekommen. Und ich hatte Dru Palmer und Peter Woods gefunden.

Bei Scotland Yard würden sie mich wahrscheinlich den schlimmsten Lügner aller Zeiten nennen, wenn ich ihnen be-richtete, was mit ihrem Inspektor geschehen war.

Besser, ich stimmte mich vorher mit Sir Horatio ab. Vielleicht übernahm er es, den Yard zu informieren.

Den Scotland Yard-Beamten wollte ich sehen, der den Chef des Geheimdienstes einen verdammten Lügner nannte!

Ich leckte die blutenden Knöchel ab, sammelte meine Kno-chen auf und lauschte ins Haus hinein.

Kein Laut drang heraus.Es war wohl so, wie ich vermutete. Es konnte aber auch sein,

daß Woods sein Hemd inzwischen gelöscht hatte.Hierher kehrte ich zurück, das schwor ich mir. Am Tag. Bei

Sonnenschein. Und ich brachte Pflöcke und angespitzte Pfähle mit, daß ich ein ganzes Heer von Vampiren und Untoten fest-nageln konnte.

*

Mein MG stand unversehrt gegenüber. Ich klaubte zwei Bret-ter von der Straße und warf sie vor den Eingang des Spukhau-ses. Nägel schauten aus dem Holz. Für jeden Autofahrer war es bitter, wenn er in einen Nagel fuhr.

Was ich mir nicht wünschte, sollte auch keinem anderen zu-stoßen.

Ächzend klemmte ich mich hinter das Lenkrad meines Sportflitzers, genoß das Gefühl, davongekommen zu sein, und kramte Zigaretten aus dem Handschuhfach. Meine angebro-chene Packung lag drüben im Spukhaus, wie das Feuerzeug.

Aber ich hatte ja noch den elektrischen Anzünder.Tief inhalierte ich den Rauch. Die ersten Züge kostete ich

aus. Das Leben kam mir wie neu geschenkt vor.Wenn man immer und immer wieder gegen die Mächte des

Bösen ankämpft, wird man bescheiden. Auch wenn man beim Geheimdienst ist. Dann gibt man sich auch mit Teilerfolgen zufrieden. Denn selbst ein solcher ist ein kleiner Sieg des Gu-ten.

Ich startete den Wagen und ließ den Motor auf röhren.Langsam rollte ich aus der Hardwick Street und kam auf der

Rosebery Avenue am Sadler's Well-Theater vorbei. Da war Aufführung, ich merkte es an den zugeparkten Bürgersteigen. Zwei Polizisten gingen herum und schraubten den schlimms-ten Übeltätern die gefürchteten Radsperren ans Auto.

Den Schlüssel dafür gab's auf der nächsten Wache, und der war teuer. Die Leute hatten aber auch ein Gemüt. Sogar die Zufahrtswege für die Feuerwehr hatten sie zugestellt. Wenn es da mal im Theater brannte, dann gute Nacht.

Weiter im Norden bog ich auf die Pentonville Road ein und gewann schließlich am King's Cross-Bahnhof den York Way. Das war meine Hausstrecke. Da ging es raus nach Stanmore, wo ich wohne.

Ich dachte über die spärlichen Informationen nach, die ich von Woods hatte. Eigentlich gaben sie mir mehr Rätsel auf, als sie Erklärungen lieferten.

Der Fürst aller Vampire!Wen hatte er gemeint?Es kamen einige berüchtigte Blutsauger in Betracht. Der

schlimmste von allen war Dracula gewesen. Aber der war doch längst erledigt.

Oder nicht?Seine treuen Vasallen hatten seinen Staub in allen Himmels-

richtungen zusammengesucht, hatte Woods mir an den Kopf geworfen.

Und auferstanden war er.Es konnte hinhauen.Soweit mir bekannt, war Dracula der einzige Vampir, dessen

Staub in alle Himmelsrichtungen fortgeblasen worden war.Zwei andere Sauger hatte man gepfählt, und dabei waren sie

zu Asche zerfallen. Diese Asche hatte man in geweihte Gefäße getan und an geweihtem Ort begraben, um für alle Zeiten vor den grauenhaften Wesen sicher zu sein und um zu verhindern, daß sie sich wieder zusammenfügen konnten.

Mit Dracula wäre man besser auch so verfahren.Ein Rest Ungewißheit blieb. Ich hoffte nur, daß Woods einen

anderen meinte und nicht gerade den Blutgrafen.Für Dracula war es auch nicht typisch, daß er seine Opfer

erst einmal ins Genick biß. Gerade, als wollte er sich von der Güte des Blutes überzeugen.

Aber eine Parallelität zu dem Treiben des unheimlichen Ge-nickbeißers sah ich doch.

Vielleicht spielte Dracula mit seinen künftigen Opfern.Dru Palmer war ja auch erst nur in den Nacken gebissen

worden. Bis dann der zweite Überfall erfolgte. Da war es um sie geschehen. Da hatte der Beißer seine Zähne in ihren Hals geschlagen und hatte sie zur Untoten werden lassen.

Eine Katze spielte auch mit der Maus, die sie gefangen hat. Weil sie weiß, daß sie doch am Schluß gewinnt und daß ihr die Maus nicht mehr entrinnen kann.

Ich drückte aufs Gaspedal. Ich hatte plötzlich höllische Ängs-

te um all die jungen hübschen Frauen von London, die von dem Beißer angeknabbert worden waren.

Es war schon spät, aber ich riskierte es, Sir Horatio anzuru-fen. Auch mitten in der Nacht. Die Polizei und der Yard muß-ten verständigt werden. Die bisherigen Beißopfer benötigten Schutz. Sofort.

Sonst erlitten sie das Schicksal von Dru Palmer.Eine halbe Stunde später setzte ich den Wagen in die Garage

und stieg zu meiner Junggesellenwohnung hinauf.Ich legte mir ein paar nette Worte für den Chef zurecht, da-

mit er nicht allzusehr einschnappte über meinen späten Anruf.Der Wohnungsschlüssel ließ sich nur einmal drehen. Ich

glaubte, am Morgen aber zweimal umgeschlossen zu haben. Mit den Gedanken war ich aber bei ganz anderen Dingen.

Ich griff zum Lichtschalter- und faßte auf eine Hand, die dort in der dunklen Wohnung an der Wand lauerte.

Der eisige Schreck fuhr mir bis ins Mark.

*

Sie sind schon da! schoß es mir durch den Kopf. Klar, sie wis-sen alles, sogar, wo ich wohne! Ich bin ihnen auf die Schliche gekommen, jetzt müssen sie mich erledigen, damit ich nichts verrate. Woods hat ja sofort gewußt, wer ich bin, obgleich er mein Gesicht noch gar nicht gesehen hatte!

Ich riß meine Hand zurück, als hätte ich eine heiße Ofenplat-te angepackt. Bevor mich eine Zombiekralle erwischte und in die dunkle Wohnung zerrte.

Die Taschenlampe hatte ich im Wagen gelassen.»Mac?« wisperte es drinnen.Meine gesträubten Haare legten sich sofort. Die Stimme

kannte ich.

»Bist du des Teufels?« fragte ich nicht gerade höflich. »Warum machst du kein Licht, Kathleen?«

»Wir verstecken uns«, hauchte sie. »Komm schnell herein. Vielleicht wird deine Wohnung beobachtet.«

Mir war nichts aufgefallen, ich hatte aber auch nicht darauf geachtet.

»Wer ist wir?« Ich trat ein. Ein strenger, geradezu widerlicher Geruch schlug mir entgegen. So ähnlich hatten Dru Palmer und Woods gerochen.

Himmel, war ich schon wieder in eine Falle getappt? In mei-ner eigenen Wohnung?

Ich machte einen Satz zur Seite und trat die Tür zu. Ich taste-te mich zu einem Sideboard. Dort hatte ich in einem Fläsch-chen den Rest einer Zaubertinktur aufbewahrt, die mir ein al-ter schottischer Arzt kürzlich gegeben hatte. Da hatte ich das Geheimnis der toten Augen von Balmoral gelüftet, und die Zaubertinktur, die man auch trinken konnte, hatte mir fabel-hafte Dienste geleistet.

Falls Schattenwesen in meiner Wohnung waren, konnte ich ihnen mit dem Zauberelixier den Garaus machen.

»Joan Masters und ich«, wisperte Kathleen. »Du kennst sie doch.«

Ich entsann mich, daß ihre Verkäuferin in der neuen Filiale so hieß.

Aber das war noch immer keine Gewähr, daß ich nicht doch in der Falle war. Die Kreaturen des Bösen beherrschten die Kunst der Verstellung perfekt.

»Mach Licht!« verlangte ich und lauschte. Raschelte es da nicht? Knisterte da nicht welke Haut? Und der Geruch!

Ich riskierte nichts und griff das Fläschchen heraus. Ent-schlossen zog ich den Stöpsel, damit ich sofort von dem Zau-berwasser verspritzen konnte.

»Mac, wir haben Entsetzliches hinter uns!« Kathleens Stim-me schwankte. »Jemand ist uns gefolgt. Bitte, schau erst nach, ob die Wohnung beobachtet wird.«

»Immer langsam. Was riecht hier so teuflisch?«»Meine Kleider, Mac. Ich habe andere angezogen. Ich bin mit

Monsterblut bespritzt worden. O Gott, Mac, ich kann nicht mehr!«

Sie stand bei der Tür, sie hatte sich nicht von der Stelle ge-rührt, nachdem ich ihre Hand auf dem Lichtschalter berührt hatte. Sie hatte verhindert, daß ich das Licht anknipste.

Das klang ziemlich einleuchtend.Ich behielt das Fläschchen in der Hand und trabte durch mei-

ne Wohnung. Die kannte ich, darin fand ich mich sogar im Schlaf zurecht.

Im Sessel in der Ecke saß jemand. Ich spürte die Körperwär-me und hörte das Atmen. Das mußte Joan Masters sein.

Sie bewegte sich. Ihre Kleidung knisterte. Es klang doch et-was anders als das Geraschel der trockenen Zombielippen und der pergamentenen Haut.

Ich trat ans Fenster und peilte hinab auf die Straße und die Vorgärten gegenüber.

Eine Katze strich auf einer Mauer entlang. Um eine Laterne schwirrte eine Fledermaus auf der Jagd nach unvorsichtigen Schwärmern. Ein Nachbar lenkte gerade sein Auto auf den Stellplatz vor dem Haus. Die Katze sah ihm zu. Als er die Tür zuknallte zuckte sie zusammen und war mit einem Sprung von der Mauer herunter.

Sonst bewegte sich unten nichts.Ich wartete ein paar Minuten und zog die Vorhänge zu.»Du kannst jetzt Licht machen.«Kathleen knipste die Beleuchtung an. Ich wandte mich um

und empfand tiefe Betroffenheit. Kathleen und Joan Masters

sahen aus, als wären sie dem Teufel persönlich begegnet. Ihre Gesichter waren grau. Aber sie hatten nicht die blasse, fast durchscheinende Haut der Untoten.

Ich stöpselte das Fläschchen zu und verschloß es im Side-board.

Dann musterte ich Kathleen. Sie hatte einen Schlüssel zu meiner Wohnung. Ich einen zu ihrer.

Sie mußte wirklich in der Klemme stecken, daß sie das Wag-nis eingegangen war, mit ihrer Verkäuferin bei mir aufzukreu-zen und zu warten, daß ich irgendwann heimkam.

»Wer ist euch gefolgt?« Ich wies auf einen Sessel, sie sollte Platz nehmen. Im Sitzen sprach's sich leichter.

»Ein Ungeheuer. Ich – ich habe es ertränkt, glaube ich.« Kath-leen bekam es nun doch noch mit den Nerven. Das hat man häufig.

Wenn die Gefahr vorbei ist, kommt erst die Reaktion. Ich hat-te Kollegen beim Secret Service, die waren durch haarsträu-bende Situationen gegangen, als sei es nichts, und dann, als al-les vorbei war, klappten sie zusammen.

Ich mixte erst einmal drei solide Drinks. Die zwei Frauen sa-hen aus, als könnten sie einen Seelenwärmer gebrauchen. Ich hatte ebenfalls einen nötig.

»Erzähle!« forderte ich dann Kathleen auf.Sie berichtete. Knapp, ohne Ausschmückungen. Sie war Ge-

schäftsfrau, eine verdammt gute, wie ihre Konkurrenz einge-stand. Das verhalf ihr, sich aufs Wesentliche zu beschränken.

Ich unterbrach sie nicht.Joan war also gebissen worden. In den Nacken.Und Kathleen hatte das schwammige teigige triefende Mons-

ter hinter dem Lenkrad mit der Schere gestochen.»Wo ist der Karton?« Ich sah ihn in der Wohnung nicht, ich

roch nur den Gestank.

»Im Bad. Wir wären sonst erstickt, Mac.«Ich schaute mir die Sache an. Und ich kniff gehörig die Nase

zu und kämpfte gegen aufkommende Übelkeit an.Schwarzes Blut. Monsterblut!Nach der Beschreibung hatte Kathleen eine Begegnung mit

einem Ghoul gehabt. Das sind schlimme Wesen, ich konnte ein Lied davon singen. Sie sind noch widerlicher als Zombies.

Kathleen hatte mehr Glück als Verstand gehabt. Ihre instink-tive Handlung, die Schere zum Kreuz aufzuklappen, hatte ihr das Leben gerettet. Und auch ihre Geistesgegenwart, das in die Haut eingedrungene Monsterblut mit einem Bleistiftkreuz auszutreiben.

Denn es hätte die Gefahr bestanden, daß sie sich bei lebendi-gem Leib selber in einen Ghoul verwandelte!

Das konnte ich ihr nicht sagen. Nicht jetzt, wo sie gerade den heillosen Schrecken ausgestanden hatte.

Das Wesen, das ihr und Joan Masters gefolgt war, war ein Zombie gewesen. Einer aus der Heerschar der finsteren Mäch-te. Ein Vasall des Fürsten der Vampire.

Ich entdeckte immer mehr lose Zusammenhänge. Das sah nach einer Offensive aus. Der Fürst der Blutsauger war zum Sturm auf London angetreten, und er ordnete seine Truppen.

Woods hatte er auch schon. Und Dru Palmer sowieso.Das waren nur die, die ich kannte.Kathleen hatte instinktiv richtig gehandelt, als sie den ver-

trockneten Zombie ins Wasser gestoßen hatte. Und ein schick-salhafter Zufall obendrein war es, daß sie mit Joan gerade ans Wasser geraten war.

Weniger gefiel mir bei der Sache, daß sie Bascom getroffen hatte, diesen aufgeblasenen Frosch der soviel Geld wie Fett hatte.

Auf den Kerl war ich nicht eifersüchtig, er lag mir nicht. Das

war's. Und er erzählte in seinem Club immer herum, mit wem er wieder im Bett gewesen war. Demnach war er der reinste Liebesroboter.

Wenn er über Kathleen ein unfeines Wort verlauten ließ, war er reif für eine umfassende Zahnbehandlung. Die erste kriegte er von mir, die zweite von seinem Zahnarzt.

»Ist er ertrunken?« fragte Kathleen. Daß sie ein Wesen ins Wasser gestoßen hatte, auch wenn es dämonischer Natur war, setzte ihr arg zu.

»Untote ertrinken nicht in unserem Sinne«, belehrte ich sie; Joan lauschte atemlos, die Augen weit aufgerissen und mit Furcht darin. »Sie hören auf zu existieren. Sie sterben. Aber nur im fließenden Wasser. Du hast Glück gehabt, das kann ich dir nur flüstern. In jeder Hinsicht.«

»Wenn man das Becken abfischt – würde man ihn finden?«»Nein. Er ist nicht mehr da. Seine Existenz ist beendet. Selbst

wenn ein paar Minuten später nach ihm gesucht worden wäre, hätte man keine Spur mehr von ihm zu sehen bekommen. Was war das für ein Fahrzeug, das er benützte?«

»Ich weiß es nicht. Die Farbe war dunkel. Blau vielleicht. Oder ein sattes Grün. Es ist doch verbrannt.«

»Eben.« Ich ging zum Telefon und suchte die Nummer der dort zuständigen Polizeiwache heraus.

Ich hatte Glück, der Sergeant, der den Fall bearbeitete, war gerade da und hatte die Unterlagen auf dem Tisch.

Er war sehr kooperationsfreundlich.Der Wagen war total ausgebrannt. Die Ursache war dafür

völlig unklar. Ein Kabelbrand schied ebenso aus wie Entzün-dung des Aschenbecherinhaltes. Man ermittelte in Richtung Brandstiftung.

Der Wagen war dunkelbraun gewesen. Sehr ungewöhnlich.Die dickste Überraschung servierte mir der Sergeant zum

Schluß.»Sir, das Fahrzeug besitzt kein Nummernschild, und die

Blicknummer ist ebenso entfernt wie die Fahrgestellnummer. Irgendwie herausgeätzt. Das ist ganz ungewöhnlich.«

Das fand ich auch.Ich bedankte mich für die Auskünfte. Er hatte mir erspart,

jetzt noch einmal loszufahren, was ich ursprünglich vorgehabt hatte. Um mir den ausgebrannten Wagen anzusehen.

Herausgeätzt! Da hatte man nur einen Ghoul hinstellen müs-sen, damit die stinkenden Tropfen, die er absondert, auf Block- und Fahrgestellnummer fielen. Und schon war jeder Hinweis vernichtet.

Die Flüssigkeit, die Ghouls ausschwitzten, war scharf wie Schwefelsäure. Und genau so wirksam.

Ein unbegreiflicher Metabolismus verhinderte, daß Ghouls sich selber auflösten.

Eine Spur, die ich rückwärts verfolgen konnte, gab es also nicht. Keine Nummer, nichts. Die Polizei kam auch nicht wei-ter, das wußte ich jetzt schon.

Der Sturm auf London wurde geschickt vorbereitet und nichts dem Zufall überlassen.

Ich strich den ausgebrannten Wagen.Kathleen hielt mir das leere Glas hin. Ich mixte ihr noch

einen Seelenwärmer.»Sie auch, Joan?«Die Verkäuferin schüttelte den Kopf. Sie hatte ihr Glas noch

nicht mal zur Hälfte geleert. Sie machte einen bedrückten Ein-druck. Das konnte ich verstehen.

Sie schüttelte plötzlich den Kopf. »Das habe ich gar nicht ge-wußt – daß du so ein Ungeheuer ins Wasser gestoßen hast. Da war doch der Lastwagen…«

»Das habe ich nur gesagt, um dich nicht noch mehr zu ängs-

tigen«, erklärte Kathleen. »Das Monster ist uns gefolgt. Es war immer hinter uns. Es wäre sogar aufs Boot gekommen.«

Joan versank ins Brüten.Innerhalb weniger Stunden hatte sie an diesem Abend Dinge

erlebt, die einem anderen Menschen im ganzen Leben nicht widerfuhren.

»Kannst du eine brauchbare Beschreibung des schwarzen Kastenwagens geben?« bedrängte ich Kathleen. »Ich muß doch irgendwo den Hebel ansetzen.«

»Der hatte auch keine Nummer. Deshalb bin ich doch über-haupt auf den Parkplatz geschlichen. Ich wollte sie mir auf-schreiben. Und da haben die was gemerkt. Es stand auch nichts auf den Seiten des Wagens. Und er war ziemlich alt.«

Daß der unheimliche Kunde sich Joan gegenüber als Graf Dracula vorgestellt hatte, hatten sie mir schon erzählt. Und Kathleen hatte berichtet, wie der Bursche in den Sarg gestiegen war und den Deckel über sich gezogen hatte. Und wie das sat-te dunkelrote Licht schließlich verlöschte.

Dracula!Das war kein Witz, kein grimmiger Spaß.Jetzt begriff ich. Woods hatte ihn gemeint, als er vom Fürsten

aller Vampire sprach! Graf Dracula, der König der Blutsauger, war zurückgekehrt, um ein neues Reich des Schreckens und Entsetzens aufzurichten!

Er sammelte seine Anhänger, und er rekrutierte neue Vasal-len wie Dru Palmer und Peter Woods.

Aber wieso hatte er sich gerade für London entschieden?Das verstand ich nicht. Ich nahm mir vor, mich darum zu

kümmern. Vielleicht war das der Schlüssel zu dem grauenvol-len Treiben, das unverkennbar einem Höhepunkt zustrebte.

Graf Dracula hätte sich für jeden Ort auf der Welt entschei-den können, aber nein, London mußte es sein!

Kathleen schaute in ihr Glas. Dann warf sie den Kopf hoch, daß sich ihre gesteckte Frisur auflöste. »Er will sie, heiraten.«

»Was? Wer?«»Dracula. Er hat Joan einen Antrag gemacht. Es hat sich aller-

dings sehr drohend angehört. Übermorgen um Mitternacht.« Sie schaute auf die Uhr. »Nein, schon morgen. Die Zeit fliegt dahin.«

Ich schaute die zwei Herzchen nicht gerade sanftmütig an. »Könnt ihr das nicht eher sagen, zum Donnerwetter? Habt ihr noch mehr dieser lieblichen Überraschungen auf Lager? Dann heraus damit, jetzt ist Bescherung.«

Joan senkte den Kopf. Kathleen schaute aufsässig. »Und? Was hätte es gebracht? Du hättest gar nichts ändern können, Mac. Also mach dich hier nicht zum Riesen. Ich habe gehört, wie er sagte, er werde pünktlich sein.«

»Etwas anderes erwarte ich von ihm auch nicht.« Ich steckte mir eine Zigarette an und rauchte hastig.

Dracula auf Freiersfüßen! Das hatte es noch nie gegeben.Wenn der alte Blutsauger ein Mädchen haben wollte, dann

nahm er es sich und fragte nicht erst höflich um die Hand an.Ich vermutete eine böse Taktik dahinter. Es hatte mit seinem

Plan zu tun, ein Schreckensregiment aufzurichten.Die Menschen sollten Angst vor ihm haben, so erbärmliche

Angst, daß sie schon zitterten und sich im Boden verkrochen, wenn sein Name nur erwähnt wurde.

Und er fühlte sich vollkommen sicher. Denn es war schon eine ziemliche Frechheit, zwei Tage im voraus seine mitter-nächtliche Hochzeit anzukündigen.

Er fürchtete nichts und niemand. Das drückte er mit seinem Versprechen aus.

Und es war auch eine Variante seiner alten Gepflogenheiten. Früher hatte er sich die Mädchen geraubt oder rauben lassen.

So oder so waren sie bei ihm gelandet.Heute heiratete er. Das war der blanke Zynismus. Aber es be-

wies, daß ihm das Spiel mit der Macht gefiel, die ihm wieder gegeben war. Er fing an, Manieren zu entwickeln. Manieren al-lerdings, die eine Verspottung der gültigen Werte darstellten.

»Er heiratet Sie natürlich nicht«, sagte ich und kippte mir noch einen ein. »Joan, haben Sie Verwandte außerhalb von London?«

»Ich soll verreisen, ich verstehe. Nach Manchester könnte ich rauf. Oder nach Liverpool.« Sie schaute bekümmert.

»Verstehen Sie mich recht«, sagte ich, »ich möchte Sie gerne schützen, aber ich habe alle Hände voll zu tun. Eben in dieser Sache. Sie dürfen ihm nicht in die Finger fallen.«

»Darum kümmere ich mich schon«, sagte Kathleen. »Du Feind aller unverheirateten Frauen, wie steht es mit einem Nachtquartier für uns? Nimmst du uns auf?«

Nach dem Schrecklichen, das beide erlebt hatten, konnte ich sie nicht auf die Straße jagen. Und es war wohl auch zweckmä-ßig, daß ich mir erst ihre Wohnungen anschaute, bevor sie dorthin zurückkehrten.

Ich konnte nicht ausschließen, daß Dracula seiner Braut einen Aufpasser hingesetzt hatte, nachdem Kathleen seinen Zombie im Paddington-Bassin ertränkt hatte.

Und daß er sich für Kathleen eine grausame Strafe für diesen Frevel ausgedacht hatte.

Meine Wohnung war groß genug, um drei Menschen unter-zubringen, daß sie sich nicht gegenseitig auf die Füße traten.

»Meine Behausung gehört euch«, sagte ich. »Aber zuvor möchte ich noch die Müllbeseitigung vornehmen.«

Ich schloß mich im Bad mit dem Karton ein.Die Badewanne erschien mir geeignet. Ich schichtete Kath-

leens Wäsche darin auf, legte die beschmierte Schere obenauf

und sprach drei mächtige Bannflüche.Sie waren grauenhaft und niemals für fremde Ohren be-

stimmt.Ihre Kraft zeigte sich sofort. Das längst erhärtete Monsterblut

begann wieder zu fließen.Ich sprach den Feuerzauber über die Wäsche und hielt ein

Streichholz an die Textilien.Eine blaue Flamme zuckte auf und fraß sich in den Stoff. Wo

sie die schwarzen Flecken oder die rinnenden Tropfen erfaßte, färbte sie sich grün.

Ein böses Wispern und Raunen umgab mich. Die Macht des Bösen reichte weit, sie begleitete sogar noch das vergossene Blut des Ghoulmonsters.

Aber den Feuerzauber konnten die finsteren Kräfte nicht bre-chen.

Die Flamme verzehrte Kathleens Kleidung und alle Spuren des Ghouls, sie glühte auch die Schere aus.

Ich warf noch den Karton ins Feuer, weil er innen be-schmutzt war.

Es blieb sehr wenig Asche zurück. Ich spülte sie in den Ab-fluß und entfernte die gelben Flecken, die das Feuer in der Wanne hinterlassen hatte.

Das Fenster öffnete ich weit zur besseren Lüftung, denn in den ekelhaften Gestank mischte sich nun noch der Geruch meiner Feuerwerksdarbietung.

Bald zehn Minuten harrte ich am offenen Fenster aus.Mir lag nichts daran, daß sich ein Nachtvogel hereinverirrte

und sich häuslich niederließ, der sich dann gar nicht als echter Nachtvogel entpuppte, sondern als Geschöpf von Dracula.

*

Es störte mich überhaupt nicht, daß es eine Stunde nach Mit-ternacht war, bis ich Sir Horatio erreichte. Seine Stimme klang, als hätte er einen Zug durch sämtliche Clubs gemacht, in de-nen er Mitglied war. So richtig schön verdrückt eben.

Er kam aber direkt aus dem Bett, wie er mir ergrimmt versi-cherte.

Ich konnte ihn nur allgemein informieren. Meine Wohnung war hellhörig, und ich wünschte nicht, daß Joan Masters mehr mitbekam, als ihren Ohren guttat.

»Sir, ich bin fündig geworden«, ließ ich ihn wissen.»In Öl?« Seine Laune war noch immer nicht gut.»In Sachen Genickbeißer.«»Den bearbeiten wir nicht. Das ist Sache von Scotland Yard,

Mac. Hören Sie mir überhaupt zu? Was bedeutet der Anruf? Wissen Sie überhaupt, wie spät es ist?«

»Nicht zu spät, Sir, hoffentlich noch nicht zu spät.«Meiner Stimme hörte er nun endlich an, daß mir nicht nach

Scherzen zumute war. Außerdem wehten ihn bestimmte Ah-nungen an. »Wollen Sie mir auf diese Weise zu verstehen ge-ben, daß das jetzt unser Fall – ich meine, Ihr Fall ist, Mac?«

»Erraten, Sir Horatio, veranlassen Sie, daß ab sofort alle Op-fer des Genickbeißers unter Polizeischutz gestellt werden. Die Frauen müssen abgeschirmt werden, so gut es eben geht. Es ist niemand an sie heranzulassen. Fremde schon gar nicht.«

»Wie stellen Sie sich das vor?«»Ich verlange eine Menge von Ihnen, Sir, das weiß ich, aber

ich weiß auch, was auf dem Spiel steht. Der Fürst der Vampire ist zurückgekehrt.«

»Wer?« bellte er los. Dann hörte ich nur sein hartes Atmen. Und endlich fragte er: »In Ordnung, Mac, Sie sagen mir, in welchem Pub Sie festhängen, ich schicke jemand vorbei und lasse Sie abholen und heimschaffen.«

Er glaubte doch im Ernst, ich hätte ein paar zuviel zur Brust genommen!

»Sir, ich fürchte, Sie erfassen den Ernst der Lage nicht! Nach Mitternacht pflege ich keine dummen Witze zu machen. Schon gar nicht, wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen. Ich be-finde mich in meiner Wohnung und habe Kathleen Burke und ihre Verkäuferin Joan Masters bei mir. Die Frauen haben eini-ges hinter sich, sie sind dem Beißer begegnet.«

Jetzt wurde er richtig munter. Und neugierig. »Berichten Sie!«

»Geht jetzt schlecht, Sir. Ich würde das gerne heute früh in Ihrem Büro nachholen.«

»Verstehe. Dann erwarte ich Sie zur Berichterstattung, Mac. Gleich um neun Uhr. Seien Sie bloß vorsichtig. Haben Sie Un-terstützung nötig? Soll ich jemand vorbeischicken?«

Das war rührend, aber mir nützte niemand, der sich nicht auf den Kampf gegen Dämonen verstand.

Außerdem hatte ich die Sache vorerst im Griff.»Nicht erforderlich, Sir. Für den Rest der Nacht stehen die

Frauen unter meinem Schutz. Und am Tag sind sie nicht in Ge-fahr.«

Dachte ich.Aber ich kannte Dracula und sein finsteres Heer nicht. Ich

irrte mich noch nie so gründlich.Sir Horatio brummte überaus skeptisch, wünschte eine gute

Nacht und legte auf.Ich kümmerte mich um meine unfreiwilligen Gäste. Kathleen

hatte inzwischen bestimmt, daß sie mit Joan mein Schlafzim-mer bezog. Für mich war die Couch im Wohnzimmer gedacht.

Bis früh um fünf kriegte ich aber kaum ein Auge zu. Immer wieder trieb mich die gräßliche Vorstellung hoch, ein Zombie oder ein Ghoul sei in die Wohnung eingedrungen und im Be-

griff, sich über Kathleen und Joan Masters herzumachen.Ich kontrollierte jedesmal Türen und Fenster, ob sie auch

noch zu wären, und lauschte an der Schlafzimmertür, bis ich beide Frauen atmen hörte. Einfach reinlatschen ging ja nicht.

Auch stand ich minutenlang am Fenster und spähte durch den Gardinenspalt auf die Straße.

Die Schatten kamen mir schwärzer vor als sonst, und ich meinte, in den finstersten Ecken herrschte ein geheimnisvolles Weben und Treiben, ein Fließen und Vergehen.

Wenn dann aber ein spätes Auto durch die Straße fuhr und seine Scheinwerfer in die dunklen Winkel leuchteten, war dort gar nichts.

Meine Nerven narrten mich. Kein Wunder nach dem Erleb-nis im Spukhaus. Und was Kathleen und Joan zugestoßen war, war ja auch kein Pappenstiel.

Zwischen den Häusern gegenüber konnte ich die Lichter der Londoner City sehen. Über dem Zentrum wölbte sich eine Lichtglocke.

Irgendwo dort war der Fürst der Vampire, der schreckliche Dracula.

Und draußen in der Nacht zogen die teuflischen Wesen um-her, die ihm treu und ergeben dienten.

Erst als kurz nach fünf Uhr der Zeitungsbote in der Straße aufkreuzte, fand ich in den Schlaf. Die Stadt erwachte, immer mehr Leute waren jetzt unterwegs.

Die Geschöpfe der Finsternis würden sich hüten, jetzt noch in Erscheinung zu treten. Denn je näher der Morgen rückte, desto größer wurde die Gefahr, daß sie irgendwo aufgehalten und dann vom Tageslicht überrascht wurden.

Tageslicht und gar Sonnenschein bedeutete den Tod. Für die meisten von ihnen jedenfalls.

*

Selbst gegen acht Uhr traute ich dem Frieden noch nicht. Nach einem soliden Frühstück sondierte ich erst einmal die genaue Lage vor der Haustür, bevor ich Kathleen und Joan in den üb-lichen Londoner Frühdunst entließ.

Mit einem einigermaßen ruhigen Gewissen ließ ich die bei-den ziehen. Kathleens vornehmer Wagen war weder aufgebro-chen noch verändert, er wurde nur neugierig betrachtet.

Immerhin kostete die Karosse das hübsche Sümmchen von fünfzigtausend Pfund, wofür eine alte Frau lange stricken muß, was das betrifft.

Und in meiner Wohngegend leben Leute, die fünfzigtausend Pfund, wenn sie sie hätten, nicht gerade in ein Auto investie-ren.

Ein paar ganz und gar unfreundliche Gedanken gegen mich und die beiden jungen Frauen schlugen bei mir durch. Äußerst schmerzhaft sogar.

Das war die Schattenseite meiner ›Gabe‹, die mich hin und wieder die Gedanken und Empfindungen anderer Menschen empfangen ließ. Gerade, als hätte ich im Körper verborgen eine ganz besondere Antenne eingebaut.

Ich wußte nicht, wie es funktionierte. Ich wußte nur, daß es gelegentlich funktionierte.

Die Gedanken, die ich jetzt eben empfing, gaben mir zu ver-stehen, daß man mich für einen üblen Tunichtgut hielt, für ein liederliches Subjekt gar, das jetzt schon zwei Mädchen nachts mit nach Hause brachte.

Ich pfiff auf die Meinungen. Dagegen machen konnte ich oh-nehin nichts. Denn Gedanken sind bekanntlich frei.

Ich wartete, bis Kathleen und Joan abgefahren waren. Ab-sichtlich fuhr ich jetzt etwas die Fühler aus. Für den Fall, daß

sich gegen mich etwas zusammenbraute.Aber meine Nachbarn verloren die Lust und das Interesse,

nachdem die beiden appetitlichen Steine des Anstoßes im Wa-gen davongerollt waren.

Und andere Gedankenströme, etwas von einem Dämon oder einem Schattenwesen, nahm ich nicht wahr. Was mich auch et-was gewundert hätte. Denn die Sonne schaffte es tatsächlich, ein paar Strahlen durch die Dunstdecke zu senden.

Schattenwesen konnten jetzt keine mehr unterwegs sein.Ich holte den MG aus der Garage und sah zu, daß ich nach

Whitehall kam. Ich wollte pünktlich sein. Neun Uhr, hatte Sir Horatio gesagt.

Seine beiden Sekretärinnen schauten mich ihrem Tempera-ment und ihrer Natur entsprechend an. Barbara Hicks, als hät-te ich in der vergangenen Nacht eigenhändig die Kronjuwelen aus dem Tower geklaut.

Aber so schaute sie mich immer an. Sogar, wenn ich ein blü-tenreines Gewissen hatte. Das war ihr Dienstblick. Und böse Zungen behaupteten, anders könne sie gar nicht schauen, weil sie nämlich schon als Sauertopf auf die Welt gekommen sei.

Damit tat man Barbara bestimmt schreiendes Unrecht an. Das Gesicht und den Blick hatte sie sich ja nicht selber ausge-sucht.

Sie hatte nur versäumt, etwas aus sich zu machen. Jetzt ver-sprühte sie ungefähr soviel Charme und Sex wie ein vertrock-neter Apfelbaum.

Sheila, genannt die Schwarze, hatte dafür fast zuviel Charme und Sex. Und so schaute sie mich auch an.

»Hallo, ihr Prinzessinnen, wünsche einen sonnigen Morgen!« Ich grinste fröhlich, und als Barbara Hicks mich böse anstarrte, warf ich ihr Kußhändchen zu.

Sie griff zur Schere. Das veranlaßte mich, schleunigst bei Sir

Horatio einzutreten, denn es hätte ihn mächtig schockiert, wenn sein bester Spezialagent in seinem Vorzimmer mit einer Schere erdolcht worden wäre.

»Morgen, Mac, Morgen«, begrüßte er mich und wies auf einen Sessel. »Es hörte sich alles recht konfus an, was Sie mir diese Nacht zu Gehör brachten.«

Ich fürchtete fast, er hatte am Telefon noch ein wenig ge-schlafen und das beste verpennt.

»Konfus, Sir? Da bin ich anderer Meinung.«Der Chef setzte sich hinter den Schreibtisch und legte die

Fingerspitzen zusammen. »Schießen Sie los, Mac. Ich möchte alles wissen. Also bitte.«

Warum sollte ich ihm etwas verschweigen? Ich sagte ihm all das, was ich in der letzten Nacht am Telefon nicht losgewor-den war. Er hörte mir zu und unterbrach mich nicht ein einzi-ges Mal.

Nur sein grauer gestutzter Schnurrbart sträubte sich.»Sie hatten zwar keinen Auftrag, Mac, aber ich billige Ihr

Vorgehen«, meinte er, als ich nichts mehr zu berichten hatte. »London also! Was, um Himmels willen, bewegt diesen Dracu-la, sich ausgerechnet in London einzurichten?«

»Das weiß ich noch nicht, Sir. Ich hoffe es aber herauszufin-den.«

»Und wie lange wird das dauern?«Ich hob die Achseln. Und dann sagte ich kühn: »Notfalls

werde ich ihn selber fragen.«»Dracula? Sind Sie nicht gescheit, Mac?«»Denken Sie an Ihren Blutdruck, Sir. Jede Aufregung schadet.

Morgen um Mitternacht will er Joan Masters heiraten.«»Richtig, diese junge Frau, aber nicht Sie. Schlagen Sie sich

das also aus dem Kopf.«»Ich werde bei dem Fest mitmischen. Als Trauzeuge gewis-

sermaßen. Und da werde ich ihn fragen. Ist ganz einfach.«Er schaute mich so eigenartig an. Dann griff er zum Telefon

und ließ Barbara seinen Dienstwagen bestellen. Und so neben-bei eröffnete er mir: »Dieses Spukhaus schaue ich mir an. Ich wollte mich schon immer mal von Ihrer Arbeit überzeugen, Mac. Und vielleicht ist es gut, wenn wir uns dort umschauen, bevor andere Leute etwas finden.«

»Sie denken an Woods?« Bei mir fiel der Penny sofort, ich war ja nicht auf den Kopf gefallen.

»Es wird einen sehr schlechten Eindruck machen, wenn ein Angehöriger von Scotland Yard mit drei Kugeln aus der Waffe eines Mitarbeiters des Geheimdienstes gefunden wird, meinen Sie nicht auch?«

In diesem Punkt wollte ich ihm nicht widersprechen. Das wäre wirklich eine häßliche Affäre geworden.

Aber Woods war längst ein Untoter, dem man mit Kugeln nicht mehr beikommen konnte. Ich war mit ihm in der vergan-genen Nacht zusammengeraten, ich wußte, was mit ihm los war. Wozu also sollte ich mit Sir Horatio streiten? Ich erlebte wirklich eine Zeit der Überraschungen. Denn der Chef rückte die Krawatte zurecht und fragte: »Haben Sie Ihr Auto in der Nähe geparkt?«

»Bitte?«»Ich wäre gerne mal in Ihrem Sportwagen mitgefahren«, be-

kannte Sir Horatio.Jetzt war ich aber fast platt. »Und Ihre Leibwächter, Sir?« gab

ich zu bedenken. Wenn die auch mitfahren wollten, und an-ders ging es ja gar nicht wegen der Sicherheitsvorschriften, dann brach mein armer MG mitten auf der Straße zusammen.

»Die folgen uns mit der Limousine.« Der Chef gestattete sich ein winziges Lächeln.

Er war entschlossen und bereit. Ich noch nicht. »Sir, ich

möchte gewisse Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, wenn Sie schon dieses Haus betreten wollen. Darf ich Ihr Telefon benüt-zen?«

»Erlegen Sie sich keinen Zwang auf, Mac.« Seine Hand wies zum Apparat.

Ich rief unsere technische Abteilung an, die wir nur die Klempnerwerkstatt nannten. Dort bauten Genies ihres Faches noch genialere Werkzeuge, Hilfsmittel und andere nette Sä-chelchen zusammen.

Ich bestellte ein Dutzend unterarmlange Pflöcke aus altem Eichenholz, scharf angespitzt, dreikantig, und dazu zwei Dut-zend handelsübliche Badezimmerspiegel, mit Stativ. Und auch noch ein Gerät, mit dem ich etwas Feuer um mich herum ver-teilen konnte.

Dabei dachte ich an den Brandfleck auf Woods Hemd. Als der Stoff durch meine Schüsse geglimmt hatte, war der untote Inspektor von Scotland Yard in Panik geraten.

Ich war ein hoffnungsloser Fall, wenn Ich mir seine Furcht vor Feuer nicht zunutze machte.

Die Leute in der technischen Abteilung wunderten sich nicht. Sie waren es gewohnt, noch ganz andere Aufträge zu bekom-men. Nicht von mir. Aber der Geheimdienst war ja ein mächti-ger Laden und bestand nicht bloß aus meiner Ein-Mann-Abtei-lung.

Sie versprachen, das Zeug in einer halben Stunde bereit zu haben.

Sir Horatio gab sich nicht die Blöße, den Mund vor Staunen aufzuklappen. Nur seinen Augen sah ich an, daß er irritiert war.

»Planen Sie ein Grillfest, Mac, oder wollen Sie einen Frisier-salon eröffnen?« erkundigte er sich schließlich.

»Es wäre bodenloser Leichtsinn, Sir, mit leeren Händen in

dieses Haus zu gehen.«Er war gespannt wie ein alter Regenschirm, das merkte ich

ihm an.

*

Kathleen und Joan fuhren erst einmal nach Chelsea.In Kathleens Wohnung staffierten sie sich erst einmal mit an-

derer Kleidung aus und brachten sich auch sonst in Form. Dann fuhren sie nach Covent Garden zum Hauptgeschäft. Kathleen mußte sich ihrem Personal zeigen, damit die Verkäu-ferinnen nicht glaubten, sie könnten sich einen gemütlichen Tag machen.

Als der Laden lief, fuhren die beiden weiter zur Filiale, wo sie gestern die schrecklichen Erlebnisse hatten.

»Angst?« fragte Kathleen.»Ein wenig mulmig ist mir schon«, gestand Joan. »Ob dieser

gräßliche Kerl wieder vorbeikommt?«»Ich bleibe da – heute, morgen und übermorgen. Und du

schläfst natürlich nicht in deiner Wohnung, du kommst mit zu mir.«

Das war sicher besser so. Joan nickte. Sie war der Chefin dankbar für diese Fürsorge.

In der Filiale hatte sich nichts verändert. Sie öffneten das Ge-schäft. Zwei Kundinnen warteten bereits ungeduldig und machten ihrem Unmut auch laut Luft.

Kathleen schwieg. Die Kundinnen brachten Geld in die Kas-se, und wer Geld ausgab, hatte immer recht.

Später ging sie hinaus auf den Parkplatz und suchte die Stel-le, wo sie mit dem schleimigen Triefmonster gekämpft hatte.

Da waren keine Spuren. Auch nicht von dem grauenhaften schwarzen Blut.

Kathleen schaute über den Parkplatz hin. Sie hielt nach ei-nem schwarzen Kastenwagen ohne Kennzeichen und Beschrif-tung Ausschau. Aber so ein Fahrzeug war nicht da. Das wäre auch zuviel verlangt gewesen.

Gegen elf Uhr betrat ein Mann den Laden, der kaum als Kunde in Betracht kam. Kathleen und Joan hatten einen Blick dafür. Der Mann schenkte den exklusiven Textilien in den Vi-trinen und auf den Ständern auch keine Beachtung.

Seine Augen schauten eine Spur zu starr, um ihn auf Anhieb sympathisch zu finden. Schlecht sah er aber nicht aus. Etwas blaß, ja. Seine Haut wirkte irgendwie durchsichtig.

»Womit können wir Ihnen helfen?« fragte Kathleen, als Joan wie versteinert stand und kein Wort über die Lippen brachte.

Ein Lächeln stahl sich in das Gesicht des Mannes. Jetzt wirk-te er schon wesentlich gewinnender.

Er griff in die Tasche und brachte ein kleines Ledermäppchen zum Vorschein. Das klappte er auf und hielt es Kathleen ent-gegen.

»Peter Woods von Scotland Yard«, sagte er. »Inspektor Woods. Man hat uns über – über gewisse Vorgänge hier infor-miert. Ich möchte Sie beide bitten, mit mir zum Yard zu kom-men, damit wir Ihre Aussagen aufnehmen können.«

»Oh, hat Mister Kinsey schon mit Ihnen gesprochen?«»Hat er.« Woods schüttelte tadelnd den Kopf. Sachen gibt es

– kaum zu glauben.«»Dann bearbeitet Mister Kinsey den Fall nicht weiter?«»Wir bearbeiten ihn«, erklärte Woods. »Er weiß es doch. Er

hat uns ausdrücklich gebeten, Sie zu den Vorfällen zu hören.«»Ja, dann.« Kathleen war beruhigt. Sie schaute auf die Uhr.

»Ich kann das Geschäft aber nicht einfach zumachen; Ich muß jemand herbitten.

»Tun Sie das.« Woods lächelte verständnisvoll. »Sie sind Miß

Burke, nicht wahr? Dann ist das Miß Masters. Sie sehen, Kin-sey hat uns bestens informiert.«

Kathleen telefonierte mit dem Hauptgeschäft in Covent Gar-den und beorderte eine erfahrene Verkäuferin her.

Während sie warteten, plauderten sie mit Inspektor Woods. Er entpuppte sich als guter Gesellschafter. Nur über seine Ar-beit beim Yard sprach er nicht.

Er schlug auch die Tasse Tee aus, die Kathleen ihm anbot. Dabei konnte sie genau beobachten, wie sich seine Nasenflügel weiteten und wie er den Duft einsog. Sie verstand es nicht.

Die Verkäuferin kam nach einer halben Stunde und über-nahm die Filiale. »Für wie lange?« wollte sie wissen.

Kathleen wandte sich fragend an Woods.Der hob die Achseln. »Schwer zu sagen, aber selbstverständ-

lich werden wir uns beeilen. Können wir jetzt?«Kathleen war bereit. »Falls etwas ist, können Sie mich ja bei

Scotland Yard erreichen. Inspektor Woods«, sagte sie zu der Verkäuferin aus dem Hauptgeschäft. Sie hängte sich ihre Ta-sche über die Achsel. »Dann wollen wir es hinter uns bringen.«

Joan Masters war auch bereit.Woods war mit einem alten schwarzen Wagen gekommen. Er

fuhr selber.Als er für die beiden jungen Frauen den Wagenschlag auf-

hielt, klaffte sein Jackett auseinander. Kathleen runzelte die Brauen.

Ein sonderbarer Aufzug für einen Inspektor von Scotland Yard, dachte sie. Kann der nicht sein Hemd wechseln? Wie sieht das denn aus? Als sei ein Loch hineingebrannt!

Woods merkte, wohin Kathleens Blicke gingen. Er grinste süßsauer und knöpfte das Jackett zu. Er fand es aber für unnö-tig, eine Erklärung abzugeben.

Als der Wagen schon fuhr und auf die Straße einbog, fiel

Kathleen auf, daß das Auto keinen Funk hatte. Zudem kamen ihr die Polster reichlich vergammelt vor.

So stellte sie sich einen Dienstwagen vom Yard nicht vor.Nach zehn Minuten schaute sie bewußt hinaus. Und da

merkte sie, daß Woods nicht die Richtung zu Scotland Yard fuhr, sondern nordwärts.

Ein seltsames Gefühl beschlich sie.»Inspektor, Sie haben die falsche Richtung erwischt«, sagte

sie energisch zu Woods.Der beugte sich vor und drückte auf einen Knopf am Arma-

turenbrett.Mit leisem Surren hob sich die Glasscheibe aus der Versen-

kung, mit der sich der Fahrerraum vom Fahrgastraum trennen ließ.

»Was machen Sie? Was bedeutet das?« fragte Kathleen wü-tend. »Halten Sie sofort an, Inspektor!«

Die Scheibe schloß sich, das Surren verstummte.Woods wandte sich langsam um und lächelte seine beiden

Passagiere an. Auf eine Weise, die Kathleen und Joan das Blut in den Adern erstarren ließ.

Dann wurde sein Grinsen breiter. In seinen Augen trat ein gieriger Ausdruck. Seine Lippen hoben sich und zogen sich von den Zähnen zurück. Oben und unten schoben sich die Eckzähne vor, wurden immer länger. Sie waren nadelspitz.

Joan Masters stieß einen gellenden Schrei aus.Es fehlte nicht viel, und Kathleen hätte eingestimmt. Woods

war ein Vampir!Er wollte sie gar nicht zu Scotland Yard bringen. Er hatte sie

in die Falle gelockt!Und sie hatten es ihm auch noch einfach gemacht.Dreh jetzt nicht durch, sagte sich Kathleen, behalte ruhig

Blut! Laß dir was einfallen! Dem Schleimmonster hast du zu-

gesetzt, du wirst doch diesem Woods auch seine nadelspitzen Vampirzähne ziehen können!

Sie kramte sofort in ihrer Handtasche. Eine Waffe hatte sie nicht, sie besaß gar keine. Aber sie hatte Make-up-Stifte dabei.

Mit zweien formte sie ein Kreuz wie am Abend zuvor mit den Bleistiften. Das Kreuz drückte sie gegen die Trennscheibe.

Woods starrte geradeaus. Er schien zu spüren, daß sie ihm das Symbol des Guten zeigen wollte.

Kathleen klopfte gegen das Fenster.Woods dachte nicht daran, einen Blick nach hinten zu wer-

fen. Er zog wie im Fieber die Achseln hoch und den Kopf ein und fuhr, als würde hinter ihm die Straße in hellen Flammen stehen.

Es ging in die Gegend von Finsbury, wenn Kathleen nicht al-les täuschte. Voraus tauchte eine große Kreuzung auf. Ein Bob-by regelte den Verkehr. Woods mußte anhalten.

»Raus!« rief Kathleen und gab Joan einen aufmunternden Schubs. Nach dem gellenden Schrei hatte die wie erstarrt da-gesessen, die Augen ganz weit aufgerissen und blaß wie eine Figur aus dem Wachsfigurenkabinett.

Kathleen packte den Türöffner. Nichts.Sie rüttelte daran.Die Tür ließ sich nicht öffnen!Ein böses Lachen schallte durch die Trennscheibe. Woods

amüsierte sich. Er bekam irgendwie mit, was sich hinter sei-nem Rücken abspielte.

Kathleen warf sich halb über Joan und rüttelte an der ande-ren Tür.

Ein teuflischer Mechanismus hielt auch diese verschlossen.Es war aus. Sie saßen in der Falle.Noch gab Kathleen nicht auf. Sie hämmerte gegen die Seiten-

scheibe, um benachbarte Autofahrer aufmerksam zu machen.

Der Bobby schaute her. Sie winkte verzweifelt.Er verstand sie nicht und grüßte mit der Hand am Helm-

rand.Kathleen schrie.Niemand draußen hörte sie.Sie warf sich zurück, stemmte den Rücken fest gegen das

gammelige Polster und trat mit den Schuhen gegen die Seiten-scheibe.

Die hielt, und draußen wunderte sich niemand, plötzlich Frauenfüße zu sehen. Der Bobby hatte sich schon abgewandt. Er gab jetzt die Fahrtrichtung frei.

Kathleen schwenkte die Beine herum und trat mit aller Macht gegen die Trennscheibe.

Die fiel nicht aus den Führungsleisten, und sie zersplitterte auch nicht.

Mit grausamer Deutlichkeit ging Kathleen auf, daß sie zu-sammen mit Joan in einem Wagen gefangen saß, der voller dä-monischer Tricks steckte.

Und daß sie beide nicht entrinnen konnten.Dracula, der Joan zu seiner Braut erklärt hatte, würde sie be-

kommen – und auch heiraten. Wie er es angedroht hatte.Was aus ihr selber wurde, daran mochte Kathleen lieber

nicht denken.Die Furcht überwältigte sie. Sie zitterte.Woods mußte auf unerklärliche Art spüren, was hinter ihm

geschah und was in den jungen Frauen vorging. Er drückte einen Knopf, er schaltete die Sprechanlage ein.

Seine Stimme drang aus einem Lautsprecher an der Decke: »Morgen, um Mitternacht, und keine Sekunde früher! Aber wir haben jetzt zwei Bräute.« Er lachte schaurig. »Das gibt eine Doppelhochzeit. Da fällt für uns mehr ab. Der Fürst erweist sich immer als großzügig –«

Jetzt stieß auch Kathleen einen von Furcht gepeitschten Schrei aus.

*

Argwöhnisch beguckte ich den Bretterverschlag vor der Haus-tür Hardwick Street Nr. 35.

Von meinem gestrigen Wirken war nicht die Bohne zu sehen. Alle Bretter waren da, und alle waren festgenagelt.

Der Unrat, der gestern hier rechts und links vom Eingang ge-standen hatte, war fort, als hätte ihn ein sanftes Lüftchen fort-gepustet.

Ich konnte nicht behaupten, daß mir die Sache gefiel. Den-noch lud ich unverdrossen die Schätze aus, die mir die Klemp-nerwerkstatt ausgehändigt hatte.

Die Pflöcke aus altem Eichenholz schnürte ich zu einem Bün-del und hängte es mir um, so daß ich jederzeit einen Pflock herausziehen konnte. Falls Bedarf bestand.

Die zwei Dutzend Spiegel hatten wir im Kofferraum von Sir Horatios betagter Dienstlimousine untergebracht. Mein MG hätte sie gar nicht schleppen können.

Ich schaffte sie vor die Haustür. Die beiden Leibwächter mei-nes Chefs schauten mir zu, als wollte ich jetzt gleich von der Straße abheben und über London dahinzischen oder etwas in der Art jedenfalls.

Vielleicht dachten sie auch bloß, ich hätte einen Sprung in der Schüssel. Die Finger verbogen sie sich jedenfalls nicht.

Sie waren nur dafür da, um jeden Ärger von Sir Horatio fern-zuhalten. Wenn dabei geschossen werden mußte, übernahmen sie auch das. Jedenfalls hatten sie mächtige Beulen unter den Achseln.

An einem zweiten Riemen hängte ich mir die kleine Stahlfla-

sche um, von der ein Plastikschlauch mit Stahldüse baumelte. Die Flasche enthielt hochkomprimiertes Gas, und ein Zündme-chanismus sorgte dafür, daß das aus der Düse zischende Gas in Brand geriet und eine fünf Schritte weitreichende höllenhei-ße Flamme produzierte.

Das Ding war nicht schwerer als drei Pfund. Unsere Klemp-ner haben auf dem Gebiet etwas los, das walte der Teufel!

Ich riß ein paar Bretter aus dem Verschlag und stutzte nun richtig.

In der Haustür saßen Scheiben.Mit rechten Dingen ging das nicht mehr zu. Jemand hielt

mich zum Narren.Sir Horatio merkte, daß ich unmutig wurde. »Ist etwas,

Mac?«»Als ich gestern abend hier die Kurve kratzte, sah das alles

ein wenig anders aus, Sir. Na, schauen wir uns drinnen um.«Ich baute ein Stativ auf und stellte den ersten Spiegel so dar-

auf, daß er Tageslicht auf die Haustür warf. Mit meinem Be-steck überlistete ich das Schloß. Abgeschlossen war natürlich auch.

Drinnen kam mir die Galle hoch.Keine Spur von dem Sarg, mit dem Woods als Untoter das

Treppenhaus herabgesaust und durch das Geländer gebrochen war. Auch von den Geländerresten war hier unten nichts zu entdecken.

Ich baute weitere Spiegel auf und schickte Tageslicht in alle Ecken. Und , auch ins Treppenhaus hinauf.

Verdammt, hatte ich wirklich einen Sprung im Gehirn? Oder hatte ich gestern alles nur geträumt?

Das Geländer war unversehrt.Meine Zigaretten waren nicht da. Mein Feuerzeug auch

nicht. Nicht einmal die abgerissene Tasche von meiner Jacke.

»Mir scheint, man hat aufgeräumt«, sagte Sir Horatio vor-sichtig. Er kniff ein Auge zu, peilte die Wand an und ging langsam hinüber.

»Und das gründlich.« Der Ärger brach aus mir heraus.Wie stand ich jetzt da?Die beiden Leibwächter grinsten wie Honigkuchenpferde.

Sir Horatio sagte nichts, seine Gedanken konnte ich nicht fas-sen, als ich's versuchte, aber sehr günstig waren sie gewiß nicht für mich.

Der Chef bückte sich und hob etwas auf. Er lächelte fein und kam zurück. »Nicht gründlich genug, Mac. Hier wird ver-sucht, uns die Augen zu wischen.« Er hielt mir die Hand hin. Ein Projektil lag darin. Nicht verformt. Ohne den geringsten Kratzer. »Ich möchte wetten, daß diese Kugel aus Ihrer Auto-matic kam. Die hat man übersehen.«

Ich machte sicher kein besonders schlaues Gesicht. Aber mein Ruf war gerettet, meine Glaubwürdigkeit wiederherge-stellt. Das tat gut.

Mit doppeltem Eifer baute ich die Spiegel auf.Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme, und sie diente allein

dem Zweck, genügend Tageslicht ins Haus zu lenken, damit wir vor Angriffen der Vampire und Untoten sicher waren. Vielleicht befand sich hier sogar der Unterschlupf des schlei-migen Ghouls, der Kathleen auf dem Parkplatz angegriffen hatte.

Vor allem aber die Bleibe des Vampirfürsten Dracula.Fünfzehn Spiegel brauchte ich, damit wir sicher bis hinauf

unters Dach kamen. Dort begannen wir mit der Suche.Aber wir fanden nichts. Nicht den mindesten Anhaltspunkt

dafür, daß sich in den letzten Jahren irgendwelche Leute oder Wesen hier aufgehalten hatten.

Im zweiten Stockwerk dasselbe Bild. Die verkommenen Räu-

me waren öd und leer.Nicht einmal dort, wo ich mit Dru Palmer gerungen hatte,

ließ sich etwas entdecken. Auch nicht an der Stelle, an der sie sich nach meinem Schleudergriff überschlagen hatte.

Im ersten Stockwerk und im Erdgeschoß konnten wir natür-lich auch nichts finden. Die Absicht, mich zum Narren zu stempeln, war so deutlich und offensichtlich, daß ich sie fast greifen konnte.

Ich baute die Spiegel in den oberen Stockwerken ab und suchte den Zugang zum Keller.

Sir Horatio entdeckte ihn, er war hinter einem verstaubten Regal kaum auszumachen. Spinnweben hingen herab.

Wieder baute ich mit den Spiegeln eine schützende Licht-bahn. Dann drangen wir in den Keller vor.

Die Stufen waren feucht und glitschig. Der Chef fegte Spinn-weben beiseite, die aussahen, als seien sie hundert Jahre alt.

Ich war schon ziemlich mutlos, als mir ein ekelhafter Geruch in die Nase stach. Sir Horatio nahm ihn im selben Augenblick wahr. Er wandte mir den Kopf zu und schaute so indigniert, als hätte ich ihn in die übelste Kaschemme von London ge-führt.

Aber mit war nun völlig egal, was er dachte. Ich war alar-miert. Das Jagdfieber packte mich.

So hatten Kathleens verdorbene Kleider gestern gerochen, bevor ich sie in meiner Badewanne vernichtete.

Das Monsterblut hatte den bestialischen Geruch verströmt. Hier im Keller roch es noch intensiver.

»Sir, halten Sie sich hinter mir und lassen Sie den Spiegel nicht fallen, gleichgültig, was geschieht.«

Er verzog das Gesicht. »Ja, ein zerbrochener Spiegel bedeutet sieben Jahre Pech.« Er hatte den Nerv, noch zu scherzen.

Wir stiegen weiter hinab.

Ich stellte zwei Spiegel auf und fingerte nervös an meinem Miniflammenwerfer herum. Mit einem Ghoul hatte ich mich schon einmal herumgeschlagen. Den Sieg über den Ghoul hat-te ich mit Hilfe einer Zauberwurzel gewonnen.

Diesmal hatte ich keine magischen Hilfsmittel bei mir. Ich war auf die technischen Errungenschaften angewiesen. Und ob die ausreichten, mußte sich erst zeigen.

Die Kellerräume waren leer. Ich hatte erwartet, jede Menge Totenkisten zu finden. Mit aufgelegtem Deckel.

Und in den Särgen des Untoten, die Zombies und die Krea-turen von Dracula.

Ich hatte eine riesengroße Niete gezogen. Wenn die Figuren hier gewesen waren, und davon war ich felsenfest überzeugt, dann hatte Dracula sie in Sicherheit gebracht.

Was soviel bedeutete, daß er über meine Absichten ziemlich genau im Bilde war.

Nur – wohin waren seine Vasallen entwischt?Hinaus ins Tageslicht garantiert nicht. Dort wären sie zu

Staub zerfallen.Mit der rechten Hand hielt ich die Düse und hatte den Zünd-

knopf unter dem Daumen, mit der linken Hand bewegte ich den Spiegel. Zollweise leuchtete ich die Wände ab.

Ein Loch in der Wand des kleinsten Raumes erregte meine Aufmerksamkeit.

Ich pirschte mich heran und lenkte Tageslicht in das nacht-schwarze Loch. Sir Horatio folgte mir neugierig.

Er hatte die Nase sogar ein Stück weiter vorn als ich und schaute zuerst hinein. Mit einem Schrei prallte er zurück.

In dem engen Loch kauerte ekelhaft, stinkend, teigig und schleimtriefend eine Horrorgestalt, der ein weißes Kreuz mit-ten im Gesicht prangte.

Wir hatten den Ghoul gefunden, dem Kathleen das Scheren-

kreuz ins Gesicht gepreßt hatte.Er war geschwächt. Er wurde das Kreuzzeichen nicht los,

das sich auf unerklärliche Art bei ihm eingebrannt hatte. Aber er lebte. Und er war zum Kampf bereit.

Mit einem widerlichen Lachen schoß er aus dem Loch her-aus.

*

Woods lachte gemein und weidete sich an der Angst der bei-den Frauen im Fahrgastraum, die immer noch versuchten, aus dem rollenden Gefängnis zu entkommen. Sie rüttelten immer wieder an den Türen oder traten gegen die Scheiben, die sich nicht öffnen ließen.

Joan Masters gab schließlich auf. Kathleen kämpfte weiter, bis ihre Füße schmerzten und die Absätze der Schuhe abgebro-chen waren. Ermattet lehnte sie sich zurück.

Joan weinte herzzerreißend. Sie lehnte sich schutzsuchend an Kathleen. Der war selber zum Heulen. Aber sie sann immer noch auf einen Ausweg.

Sie merkte sich die Gegend, durch die Woods den Wagen lenkte. Es war wirklich Finsbury. Kathleen kannte ein paar Ecken.

Plötzlich roch sie einen eigenartigen Geruch. Anders als ges-tern auf dem Parkplatz, er war schwer und betäubend und leg-te sich wie eine zähe Masse auf die Lungen.

Sie und Joan bäumten sich auf. Sie glaubten, ersticken zu müssen.

Kathleen sah, daß Woods den Finger auf einen Knopf ge-drückt hielt. Der Schuft mit den Vampirzähnen hatte ihnen ein Gas ins Fahrgastabteil geschickt!

Kathleen versuchte den Atem anzuhalten, damit sie mög-

lichst wenig von dem Zeug inhalierte.Sie sah draußen eine Gasse, die eher nach Soho paßte als

nach Finsbury. Dreck und Unrat türmten sich rechts und links hüfthoch.

Plötzlich riß Woods das Lenkrad scharf herum. Der Wagen gehorchte und raste auf ein Gittertor zu, hinter dem es finster war. Als ginge es in ein mächtiges Gewölbe.

Der Kerl war übergeschnappt! Er ging nicht mit der Ge-schwindigkeit herunter, er fuhr stur auf das Gitter zu.

Jetzt –!Kathleen schloß die Augen. Jetzt mußte der Krach kommen,

der mörderische Ruck, das schrille Reißen von Blech. Woods hatte das Gitter doch voll gerammt!

Es passierte überhaupt nichts.Der Wagen glitt einfach durch das verrostete Eisengitter hin-

durch. Samt seiner menschlichen Fracht. Ein unvorstellbarer Vorgang.

Hier waren übersinnliche Kräfte am Werk, die Kathleens Vorstellungsvermögen überstiegen.

Joan fiel schwer gegen sie. Die junge Frau war dem tücki-schen Gas erlegen, sie war in Besinnungslosigkeit gefallen.

Tapfer kämpfte Kathleen. Es war ein aussichtsloser Kampf.Ihre Sinne begannen zu schwinden.Sie sah noch, daß Woods den Knopf losließ und an den Ar-

maturen hantierte.Dunkles rotes sattes Licht schimmerte plötzlich vor der

Windschutzscheibe. Woods fuhr darauf zu.Der schwarze Kastenwagen!Das erfaßte Kathleen noch. Die beiden Flügel der Hecktür

standen weit auf. Drinnen stand auf dem Podest der pech-schwarze Sarg.

Aber der Deckel lag daneben. Der Sarg war leer.

Mit wegdämmernden Sinnen sah Kathleen eine Gestalt in den roten Lichtschimmer treten. Das Gesicht kannte sie. Das war der Kerl der Joan gebissen hatte.

Graf Dracula!Der Fürst der Vampire war zum Empfang seiner Opfer er-

schienen. Ein satanisches Grinsen überzog sein Gesicht, raffte seine Lippen hoch und entblößte seine nadelspitzen Vampir-zähne.

Kathleen tat einen tiefen Seufzer und taumelte in den schwarzen Abgrund des Vergessens.

*

Sir Horatio stand wie erstarrt.Er rührte keinen Finger, als das schleimige grauenhafte

Monster mit den fließenden Formen ihn angriff.Er ging mir auch nicht aus dem Weg. Wenn ich jetzt auf Zün-

dung drückte, verbrannte ich ihm alle rückwärtigen edlen Tei-le. Das nahm er mir bestimmt übel.

Ich war mit einem Sprung neben ihm und fegte ihn mit einer wilden Armbewegung zur Seite, daß es ihn fast an die gegen-überliegende Wand klebte. Sein schwacher Protest ging im gurgelnden Wutschrei des Ghouls unter.

Das Horrormonster attackierte jetzt mich. Ich hatte ihm die sichere Beute noch entrissen.

Ich sprach einen Bannfluch gegen die Schreckensgestalt. Sie war durch das Kreuz gezeichnet, vielleicht war sie darum nicht von Dracula mitgenommen worden. Ich durfte hoffen, daß der Bann den Ghoul lähmte.

Weit gefehlt. Mein Fluch schien seine Energie anzustacheln.Oder es war der dämonische Zorn auf die anderen Kreatu-

ren, die ihm das Mitkommen verwehrt hatten. Einer, der in der

Heerschar des Bösen mitging und das Kreuzzeichen trug, war immer ein unsicherer Bundesgenosse. Auf den verzichtete man lieber.

Deshalb konzentrierte sich seine ganze Wut auf mich. An mir konnte er sich reiben.

Seine Gliedmaßen formten Krallen mit messerscharfen En-den. Ehe ich auch nur einmal blinzeln konnte, hatte mir das Horrorwesen das Bündel mit den Eichenpflöcken von der Schnur gefetzt.

Daumenbreit mehr nach innen, und die Monsterkrallen hät-ten mich von oben bis unten aufgeschlitzt.

Ich drückte den Knopf für die Zündung.Aus der Düse schoß brausend eine Flammenzunge.Wütend hieb der Ghoul in den Feuerstrahl. Es sah so aus, als

würde er die Hitze und die Flamme nicht fürchten.Ich richtete die Düse gegen sein Gesicht.Er prallte zurück und suchte nach einer Chance, mich doch

noch zu packen. Er war aufgeregt, er sonderte ätzenden stin-kenden Schleim ab und verschleuderte ihn auf dem Boden. Sein Gesicht nahm alle Augenblicke eine andere Form an, aber das eingebrannte Kreuz verschwand nicht.

Ich rückte gegen ihn vor und trieb ihn mit der fauchenden Flamme gegen das Loch, in dem er gehockt hatte.

Er merkte, daß er dort in die Klemme geriet. Er schnellte sich auf die Seite und kam Sir Horatio wieder gefährlich nahe. Mein Chef kriegte den Mund nicht mehr zu. Die Augen sowie-so nicht. Ich sah das blanke Entsetzen darin.

»Den Spiegel, Sir!« schrie ich. »Richten Sie den Spiegel! Er muß Tageslicht sehen!«

Jetzt erwachte Sir Horatio aus der Erstarrung. Er stieß sich von der Wand ab und entwischte dem zupackenden Ghoul mit knapper Not.

Ich zündete wieder und griff das Monster an.Dabei machte ich eine wertvolle Erfahrung. Sobald ich die

heiße Flamme längere Zeit auf ein und dieselbe Stelle richtete, schien er Mißempfindungen zu haben.

Hitze mochte er also nicht.Wenn sie lange genug einwirkte, brachte sie ihn vielleicht so-

gar um.Ich richtete die Flamme auf seinen teigigen Wabbelkörper,

von dem Kaskaden von Schleim troffen. Sein Maul öffnete sich zu einem gräßlichen Zornesschrei.

Ich hörte danach Sir Horatio mit jemand herumschreien. Ich schätzte, er legte sich mit seinen Leibwächtern an, die noch im-mer herumstanden und dumm grinsten, weil sie mich und vielleicht auch ihn für übergeschnappt hielten.

Wieder richtete ich die Flamme auf das Gesicht.Länger als drei Atemzüge hielt der Ghoul nicht stand. Er

zuckte zurück, seinem scheußlichen Mund entrang sich ein Wutschrei, der an den Kellerwänden rüttelte.

Es gefiel ihm nicht, wie ich mit ihm umsprang. Aber mir. Ich wußte jetzt, wie ich ihn kleinkriegte.

Ich hielt die Flamme auf seinen Kopf ohne Rücksicht auf Ver-luste.

Plötzlich riß er die quellenden Arme hoch und schützte sich. Seine Absonderungen spritzten bis zu mir.

Ich brannte ihm mit der Flamme auf die Arme, bis er sie sin-ken ließ.

Er vollführte einen gewaltigen Sprung in meine Richtung – und mitten in die Flamme hinein. Im selben Moment sah ich gespiegeltes Licht aufblitzen. Sir Horatio war es endlich gelun-gen, einen Spiegel in die richtige Position zu bringen. Tages-licht wurde in den Keller gelenkt. Es traf den Ghoul.

Er schrie auf, daß es mir fast die Schuhe auszog.

Mit atemberaubender Schnelligkeit begann er zu schrump-fen. Ich unterstützte diesen Vorgang, indem ich die Flamme draufhielt.

Die Schreckgestalt schmorte regelrecht zusammen, bis sie nur noch ein Viertel der ursprünglichen Masse ausmachte. Sie war jetzt trocken und sah aus wie altes gepreßtes Papier.

Ich richtete noch einmal den Flammenstrahl darauf.Der Ghoulkörper geriet in Brand wie eine Fackel. Und genau

so verbrannte er auch – hell lodernd und qualmend.Der Vorgang dauerte keine zwanzig Sekunden.Glühende Asche sammelte sich am Boden. Sie leuchtete noch

einmal auf – und dann löste sie sich vor unseren Augen auf. Von dem Ghoul blieb rein gar nichts übrig. Außer dem Ruß und dem brenzligen Gestank.

Sir Horatio hatte die Lippen zu einem messerrückendünnen Strich zusammengepreßt. Er hatte sich zum ersten Male aktiv an einem Kampf gegen ein nicht irdisches Wesen beteiligt.

Das Erlebnis schockte ihn. Er setzte mehrmals zum Sprechen an.

»Lassen Sie nur, Sir«, sagte ich. »Mir ging es bei meinem ers-ten Kampf genau so. Man kann es kaum begreifen und soll es geistig verdauen.«

»Lieber Himmel, was war das für ein Ungeheuer, Mac? Ich fürchte, es wollte mich umbringen.«

»Uns beide, Sir. Es war ein Ghoul, er sah anders aus als jener im Erbbegräbnis Ihrer Familie.«

Dort hatte ich kürzlich auch einen Ghoul zur Strecke ge-bracht, der sich gerade über die Leiche der Lieblingstante von Sir Horatio hermachte.

Die Ghouls waren nicht streng an ein und dieselbe Erschei-nungsform gebunden. Es gab welche mit flachem Kopf und eingesunkenem Trichtergesicht, aus dem sich der Mund mit

den tödlichen Zähnen wie eine Trompete vorwölbte. In der Mehrzahl jedoch waren sie schleimige Ungeheuer, die mit ei-nem bestialischen Gestank auf ihr Vorhandensein hinwiesen. Und manche nannte man auch Schmatzer.

Die Geräusche die sie machten, waren so widerlich, daß sie einen noch nächtelang im Traum verfolgten.

Der Spiegel in der Hand des Chefs begann zu zittern. Ich griff zu, bevor das gute Stück zu Boden klirrte und zerbrach und einer von uns fortan sieben Jahre im Pech steckte.

Ich brachte den Spiegel in die richtige Position und leuchtete in das Loch, aus dem der Ghoul gekommen war. Es war nicht mehr als eine Nische. Vielleicht hatte man einst hier etwas vor-gehabt. Es war aber beim Plan geblieben. Schlecht behauene Steine waren ohne Mörtel aufeinandergelegt. Und ein Teil von ihnen war sogar schon herausgefallen. Feuchtes Erdreich war nachgerutscht.

Von Dracula und seinen Geschöpfen. fanden wir wirklich keinen Hemdenzipfel.

Als ich die Spiegel zusammentrug, wurde ich das Gefühl nicht los, einem gigantischen Bluff aufgesessen zu sein. Mir war, als würden tausend höhnische Fratzen aus den Wänden schauen und sich über mich lustig machen.

Ich wirbelte herum und lenkte noch einmal hereingespiegel-tes Tageslicht auf die Mauern und nassen schimmelüberzoge-nen Steine.

Da waren keine Fratzen, keine Dämonengesichter. Es waren nur die Steine. Die Art, wie sie behauen waren, täuschte Ge-sicht vor.

Und es lag auch am Schimmel, der hier überall wucherte.

*

Nach Whitehall zurückgekehrt, lag eine böse Nachricht auf dem Tisch vor Sir Horatio.

Die Bewachung der Opfer des Beißers war offensichtlich sehr nachlässig gehandhabt worden. Und irgendwo hatte eine Poli-zeidienststelle zudem noch auf dieser brandheißen Nachricht geschlafen.

Eine Lucy Drummond aus Hoxton war gestern nacht auf dem Heimweg vom Kino wieder von dem unheimlichen Bei-ßer überfallen worden. Diesmal hatte er ihr in den Hals gebis-sen.

Das kannte ich schon. Es war wie bei Dru Palmer. Nur was danach passiert war, wich ganz erheblich ab.

Dru Palmer war binnen zwei Tagen ausgetrocknet bis zur Hinfälligkeit und dann auf mysteriöse Weise verschwunden. Als sie nach medizinischen Erkenntnissen schon nicht mehr in der Lage war, sich aus eigener Kraft zu erheben.

Lucy Drummond hatte sich, so die Aussage der Eltern und jüngeren Geschwister, elend gefühlt, aber einen Arzt hatte sie wegen des Bisses nicht dahaben wollen. Sie hatte sogar sehr heftig reagiert.

Zwei Stunden später war sie streitsüchtig gegen ihre Eltern geworden, hatte getobt und war plötzlich in eine totenähnliche Starre gefallen.

Man hatte nun doch den Hausarzt verständigt. Der stand vor einem Rätsel und wollte Lucy lieber im Krankenhaus wissen. Er bestellte den Krankenwagen.

Der kam, aber Lucy Drummond war aus der Wohnung ver-schwunden. Spurlos.

Das war morgens gegen fünf geschehen. Zu einem Zeitpunkt also, als Sir Horatio schon die Alarmmeldung wegen der be-sonderen Schutzbewachung der Opfer hinausgeschickt hatte.

Er sagte nicht viel, aber sein Gesicht wurde hart und grau.

Die Dienststelle, die den Alarm verschlafen hatte, konnte sich gratulieren!

Dru Palmer. Woods. Jetzt Lucy Drummond.Der Fürst der Vampire hielt reiche und grausige Ernte.Morgen wollte er Joan holen.Ich schwor hoch und heilig, ihm das zu versalzen. An diese

Hochzeit sollte er denken bis in alle Ewigkeit. Oder bis seine Asche noch einmal in alle Winde zerstob, dann aber so, daß sie niemals mehr gesammelt werden konnte.

Ich ging in mein Büro hinüber und arbeitete einige Berichte auf. Immer wieder schweiften meine Gedanken ab, ich konnte mich nicht konzentrieren. Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, im Haus in der Hardwick Street etwas übersehen zu haben.

Hoxton?Das war ein Viertel im Stadtteil Shoreditch, und der grenzt

exakt an Finsbury an.Ich wollte künftig mit einem Blindenstock herumlaufen,

wenn das noch ein Zufall war.Ich klemmte mich ans Telefon. Es dauerte eine Weile, bis ich

die Wache am Draht hatte, von der die Meldung über Lucy Drummonds Verschwinden stammte.

Sicherheitshalber ließ ich mir eine Beschreibung des Mäd-chens geben.

Lucy war dreiundzwanzig und eigentlich kein Mädchen mehr, blond mit langem Haar, das sie gern zu einem Pferde-schwanz band, und unverschämt hübsch. Sie war ohne Papiere unterwegs, Wie mir der Sergeant versicherte.

Ich fürchtete, sie war inzwischen dort, wo niemand mehr Pa-piere brauchte. Bei den Untoten nämlich.

Wie der Sergeant auf mein Befragen einräumte, mußte Lucy praktisch den Eltern und dem Doktor unter der Nase weg ab-handen gekommen sein.

Länger als zwei Minuten war sie nicht unbeaufsichtigt ge-blieben.

Es hatten keine Fenster und keine Türen nach draußen offen gestanden.

Ich hätte ihm erzählen können, daß Fenster und Türen einen zu allem entschlossenen Dämon, einen Zombie oder einen Ghoul nicht aufhielten.

Der Sergeant spürte irgendwie, daß sich etwas zusammen-ballte. Das Donnerwetter war also noch nicht auf seine Wache niedergegangen. Das konnte bald geschehen.

Ich ließ mich auf keine Diskussionen ein und rief bei Scot-land Yard an. Dort wurde ja offiziell noch der Fall des unheim-lichen Beißers geführt.

Ich ließ mir die Adressen und Namen aller gebissenen Opfer geben und notierte die Daten säuberlich.

»Ich weiß aber nicht, ob Inspektor Woods damit einverstan-den sein wird, daß ich die Namen und Adressen herausgege-ben habe, Mister Kinsey. Sie verstehen mich?«

Ich verstand ihn sehr gut. Er hatte Angst davor, einen auf den Hut zu kriegen. Von Woods natürlich.

Aber der kam nie wieder. Bloß konnte ich das dem Yard nicht sagen. Nicht jetzt.

»Sie können ganz beruhigt sein, ich habe bereits alles wieder vergessen. Besonders vergeßlich bin ich bei Namen von Infor-manten.« Ich trieb die Sache auf die Spitze. »Woods ist noch nicht wieder aufgetaucht?«

»Nein Mister Kinsey, ist er nicht. Das versteht kein Mensch.«»Ich höre auch mal herum«, versprach ich. Das hörte sich gut

an und verpflichtete mich zu nichts.Nach dem Gespräch mit dem Yard starrte ich eine Zigarette

lang auf die Liste. Und dann tat ich das, was ich von Anfang an hätte machen sollen. Ich steckte eine Karte von London an

die Wand.Jemand hatte mir die Markierungsnadeln gemopst.Ich nahm die Wurfpfeile vom Dartspiel und piekste sie über-

all dort ein, wo eine junge Frau überfallen worden war.Das erledigte ich mit den roten Pfeilen.Grüne verwendete ich dazu, die Orte zu markieren, wo die

Opfer wohnten. Und mit den blauen Pfeilen zeigte ich an, wo sie arbeiteten. Oder gearbeitet hatten.

Aus zehn Schritt Entfernung betrachtete ich mein Bild des Grauens.

Joan! Joan Masters hatte ich vergessen. Und Kathleen, die so tapfer mit der Schere um sich gestochen und schließlich noch einen Zombie im Paddington-Bassin versenkt hatte.

Ich steckte auch hierfür noch Pfeile. Bis auf einen. Ich wußte nämlich nicht, wo Joan Masters wohnte.

Die Arbeitsplätze ergaben keinen Sinn und kein vernünftiges Bild. Ich schloß sie aus meinen Erwägungen aus, entfernte die Pfeile und betrachtete das neue Bild.

Mir kribbelte es zwischen den Schulterblättern und entlang der Unterarme, als ich das veränderte Bild vor Augen hatte.

Alle Pfeile bis auf einen steckten rings um Finsbury!Der für Woods steckte mitten drin. In der Hardwick Street

nämlich.Das Spukhaus war der zentrale Punkt, um den sich alles

drehte! Davon ließ ich mich jetzt nicht mehr abbringen.Und wer auch immer in der Hardwick Street Nr. 35 sein

Hauptquartier aufgeschlagen hatte, er saß dort wie die Spinne im Netz. Er hatte seine Fäden ausgespannt, und überall drau-ßen waren die Opfer daran hängengeblieben.

Jetzt mußten sie nur noch an diesen unsichtbaren Fäden her-angeholt werden!

So einfach war das.

Ein seltsames Gefühl überkam mich. Ich griff mit der flachen Hand in den Nacken, weil ich glaubte, dort eine Berührung zu spüren. Gerade wie von jemand, der im Begriff ist, einen ins Genick zu beißen.

Unsinn, dachte ich, du bist auf dem besten Weg, durchzudre-hen! Du hängst nicht an den unsichtbaren Fäden!

Aber fast, widersprach ich mir. Eine lächerliche Information, ein Wort nur hat dich in das Netz gelockt. Spukhaus – das war das Zauberwort!

Ich sammelte die Wurfpfeile ein und verstaute sie im Schrank, damit sie sich nicht auch noch auf wundersame Wei-se auflösten wie die Markierungsnadeln.

Ein Gedanke ging mir im Kopf herum. Warum ausgerechnet die Hardwick Street Nr. 35? Es gab schaurige Adressen in Lon-don. Und bessere.

Kurz entschlossen rief ich die Camden-Verwaltungsgesell-schaft an.

Ich hatte Glück, die Leute arbeiteten noch, auch wenn es stramm auf den Feierabend ging. Die hatten eben auch er-kannt, daß es gar nicht einfach war, ah anderer Leute Geld zu kommen. Selbst dafür mußte man hart arbeiten.

Nach einigen hin und her landete ich bei Mister Camden höchstselbst.

Er klappte den Deckel zu wie eine verschreckte Auster, als ich ihn wegen des Spukhauses in die Enge trieb. Aber ich ließ mich nicht mit allgemeinem Geschwätz abspeisen.

Schließlich meinte er, wir könnten uns in seinem Club tref-fen. Er gab mir die Adresse und das Versprechen, daß ich ein-gelassen werde; er wolle dafür sorgen.

Eine Stunde später stand ich ihm gegenüber. Sein Club war Mittelmaß, die Getränke allerdings, die gereicht wurden, wa-ren hochprozentig und gediegen.

Mr. Camden war ein kleiner hagerer Mann mit einem schloh-weißen Haarkranz um eine rosig schimmernde Glatze. Sein Händedruck war lasch und ließ mich an welkes Laub denken.

Er erzählte mir, daß er eigentlich Künstler hätte werden wol-len, aber daß sein Vater ihn hartherzig in jenes Leben getaucht habe, das Lebenskampf heißt und Gelderwerb und Vermö-gensmehrung und harte Arbeit mit anderen Worten.

Er taute auf, ich glaubte ihm sogar, daß er eine künstlerische Ader besaß und einiges auf dem Kasten hatte.

»Ja, und was ist nun mit diesem Haus, Mister Camden?« drängte ich etwas ungeduldig. Er war ein alter Mann, er hatte Zeit, ich nicht.

»Das mit dem Spukhaus erklärt sich so«, hob er an. »Sie ken-nen doch Bram Stoker, den Schriftsteller? Na, der die schreck-lichen Geschichten über Dracula geschrieben hat.«

Ich nickte, ich spürte, wieder das Kribbeln. Ich witterte eine Fährte. »Kenne ich«, sagte ich. »Und was weiter?«

»Na, damals sind eine Menge Leute ins Land Transsylvanien gereist. Wollten alle den Grafen oder sein unheimliches Schloß finden. Jedenfalls hat sich eine richtige Völkerwanderung nach Rumänien in Marsch gesetzt. Und jeder hatte Bram Stokers Buch in der Tasche und eine Handvoll Knoblauchzehen. Die sind nämlich gut gegen Vampire.« Er kicherte. Und ich schaute auf die Uhr.

Wenn ich mich beeilte, bekam ich im nächsten Supermarkt noch Knoblauchzehen.

»Wir sind aber immer noch nicht beim Spukhaus«, sagte ich. »Dafür sind wir in Rumänien angekommen.«

Mr. Camden lächelte fein. »Sie sind auch einer von den ganz schnellen Burschen, die immer auf dem Sprung stehen und keinem anderen den Vortritt lassen wollen. Was ich sagen will – jedermann, der was auf sich hielt, kaufte Stokers Buch, und

der wurde darüber reich.. Samt seinem Verleger. Er hat hier in London für einige Jahre Wohnung genommen.«

»Zu raten brauche ich aber nicht, wo das war«, sagte ich und bemühte mich, meine Stimme unbeteiligt klingen zu lassen.

»Genau die Adresse ist es.« Mr. Camden freute sich diebisch. »Weil er so gruselige Sachen geschrieben hat und dort wohnte, deshalb nannten die Leute das Haus bald das Spukhaus. Na ja, und es sollen später, als Bram Stoker schon fortgezogen war, ein paar seltsame Dinge vorgekommen sein. Vielleicht war's richtiger Spuk, vielleicht ist's auch bloß in den Köpfen der Leute toll hergegangen.

Er strich über die Glatze, eine Bewegung, die ausdrückte, daß er selber nicht wußte, welcher Meinung er anhängen soll-te.

»Das war alles mächtig interessant, Sir«, sagte ich. »Aber nicht das, was ich brauche. Tut mir leid. Aber Sie haben einen netten Club. Alles respektable Leute.«

Mein viel zu dick aufgetragenes Lob ging ihm runter wie zerlassene Butter. Vielleicht blieb auch eine Spur Mißtrauen zurück, daß ich mir erst fast ein Bein ausgerissen hatte, um ihn zu treffen, und dann so wenig Interesse an den alten Geschich-ten zeigte.

Mein Interesse war schon da. Ich wollte aber jeden eventuel-len Neugierigen vom Haus in der Hardwick Street fernhalten.

Die Antwort, warum dort der Angelpunkt der grauenvollen Vorgänge war, hatte ich nun. Dracula hatte dort sein Haupt-quartier aufgeschlagen, wo der Mann gewohnt hatte, der über ihn unheimliche Geschichten verfaßte.

Ein makabrer Scherz. Aber eines Dracula durchaus würdig.Und dort bereitete er seinen großen Schlag gegen London

vor.Ich schaffte es gerade noch, einen Zopf Knoblauchzwiebeln

zu erstehen. Eine Weile hockte ich im MG und überlegte, wo-hin sich Dracula mit seiner Heerschar gewendet haben konnte.

Das Spukhaus war geräumt, davon hatten Sir Horatio und ich uns überzeugt. Bloß den Ghoul hatte man zurückgelassen. Ein Geächteter unter der dämonischen Schar.

Dieses Haus mußte eine ungeheurere Faszination auf Dracu-la ausüben.

In der Nachbarschaft gab es auch noch unbewohnte und recht baufällige Häuser. Ich glaubte richtig zu sehen, wie er seine Vasallen dorthin geführt hatte, irgendwo zu einem siche-ren Platz in der Nachbarschaft. Aber dem Spukhaus und sei-ner Ausstrahlung blieb er nahe.

Jetzt hinzufahren und mit der Suche zu beginnen war vor-sätzlicher Selbstmord. Es war schon wieder Nacht, und da wa-ren sie mir über. Da gewannen sie ihre dämonische Stärke, die sie über die Lebenden stellte. Vor allem, wenn sie in Massen auftraten.

Morgen, gelobte ich, morgen fange ich mit der Suche an. Und Gnade euch der Himmel!

Ich fuhr nach Hause und erwartete so halb, daß Kathleen und Joan Masters wieder bei mir aufgekreuzt waren. Das war nicht der Fall.

Ich rief bei Kathleen an. Sie nahm nicht ab.Heute war an und für sich nicht der Abend, an dem sie ge-

sellschaftliche Verpflichtungen hatte.Wahrscheinlich war sie mit Joan Masters nach Manchester

gefahren. Oder nach Liverpool. Raus aus der Gefahr.Es freute mich, daß Joan so vernünftig war. Und daß Kath-

leen sich so schwesterlich um sie kümmerte. Brave Mädchen!Wie ich Kathleen kannte, kehrte sie noch in der Nacht nach

London zurück Ihre Geschäfte ließ sie nicht gern allein. Darin verstand sie keinen Spaß.

Wenn ich sie im Laufe des Tages anrief, würde sie mir schon ausführlich berichten.

Ich legte die Knoblauchzwiebeln aus, weil ich dachte, es könnte nicht schaden, und ging beizeiten zu Bett.

*

Als Kathleen zu sich kam, hatte sie jegliches Gefühl für Zeit und Raum verloren. Ihr war kalt, sie fror, und die Knie taten ihr weh. Sie mußte gestürzt sein. Sie erinnerte sich nicht, wo.

Ein geisterhaftes rotes Licht umgab sie. Es floß von allen Sei-ten, ohne daß sie die Quellen entdeckte.

Das kannte sie!Der Schreck ließ sie aufspringen.Sie schien sich in einer Höhle zu befinden. Undeutlich sah sie

Fels. Nein, es war keine Höhle, eher ein großes Gewölbe, halb in Fels geschlagen, zur anderen Hälfte aus dicken Quadern ge-baut.

Die Luft war nicht gut, sie roch feucht und muffig. Irgendwo tropfte Wasser zu Boden.

In das eintönige Platschen mischte sich ein Seufzen, dann ein Ruf des Entsetzens.

Joan!Joan Masters befand sich auch hier.Kathleen wandte den Kopf. Ein paar Schritte entfernt sah sie

eine Gestalt am Boden, die sich aufrichten wollte. Sie eilte hin.Es war Joan. Sie griff sich an den Kopf und schaute verständ-

nislos um sich. Endlich erkannte sie Kathleen Burke.Sie schluchzte laut auf. »Wo sind wir nur, wohin hat man uns

verschleppt?«»In ein sehr dunkles Reich, fürchte ich.« Kathleens Stimme

drückte tiefe Resignation aus. Die Frau entsann sich des letz-

ten bildhaften Eindrucks, bevor ihr die Sinne geschwunden waren.

Der schwarze Kastenwagen mit weit offener Hecktür hatte plötzlich vor dem Auto gestanden. Und drinnen hatte sie auf dem Podest den Sarg gesehen – leer. Der Deckel lehnte dane-ben.

Dann war Graf Dracula in ihr Blickfeld getreten.Dieses rote Licht –! Eine Gänsehaut wuchs ihr am ganzen

Körper.Ängstlich schaute sich Kathleen um. Gottlob, der entsetzliche

Sarg war nicht zu sehen. Sie dachte, er müßte vorhanden sein, weil auch das rote Licht von allen Seiten heranflutete.

»Kommen wir nicht wieder heraus?« Joans Stimme war kaum zu verstehen.

Kathleen schwieg. Sie sah selber keine Chance, je wieder die-se unheimliche Welt zu verlassen. Nicht aus eigener Kraft.

Sie wußte ja nicht einmal, wo sie sich befand. Unter der Erde. Aber wo? In London? In der Provinz?

Joan bekam einen Weinkrampf, als sie Kathleens Schweigen richtig deutete.

Nach einiger Zeit wurde sie ruhiger. Ihre Augen gaben keine Tränen mehr her.

»Laß uns doch nach einem Ausgang suchen«, wisperte sie, und seltsam, jetzt entwickelte sie Tatendrang und Energie. »Es muß doch irgendwo einen Ausgang geben. Man hat uns doch auch hereingebracht.«

Das klang logisch.Die beiden jungen Frauen machten sich auf die Suche.Sobald sie den Quadern oder den Felsen zu nahe kamen, er-

hob sich ein unheimliches Brummen. Zuerst wichen sie immer schreckhaft zurück. Schließlich wurden sie mutiger.

Aber da verwandelten sich die Quader in scheußliche Dämo-

nenfratzen und Ungeheuerköpfe, die mit Fauchen und Spu-cken die Frauen zurücktrieben.

Schreiend flüchteten Kathleen und Joan in die Mitte des Ge-wölbes. Dort waren sie in Sicherheit. Vorläufig.

Wenn es einen Ausgang gab, dann war er unerreichbar für sie. An diesen schrecklichen Monstern kamen sie niemals vor-bei. Nicht lebend.

Mutlos und verzagt setzten sie sich auf den feuchten kühlen Boden. Die Nässe schlug schnell durch die Kleidung und ließ sie noch mehr frösteln.

Plötzlich mischten sich tappende Schritte in das eintönige Tropfen des Wassers und das gelegentliche Fauchen eines Monsterkopfes.

Hoffnungsvoll hoben Kathleen und Joan den Kopf. Sie hoff-ten, daß die Rettung nahte.

Vor Entsetzen schrien sie auf und klammerten sich aneinan-der, als sie Woods erkannten. Und neben ihm Graf Dracula.

Die beiden kamen mit zielsicheren Schritten dahin, wo sie am Boden kauerten, eng aneinandergeschmiegt.

»Sind das nicht zwei wunderbare Täubchen, o Fürst?« fragte Woods und ließ seine furchterregenden Vampirzähne heraus-wachsen.

Joan schrie gellend auf.Dracula hatte einen schwarzen Umhang um die Schultern

geworfen. Er raffte ihn mit zwei Fingern und machte eine leichte Verbeugung vor den Frauen.

»Er besitzt keine Manieren, ich bitte um Vergebung, meine Damen. Und er ist zu gierig. Ich werde ihn kürzer halten müs-sen, fürchte ich.«

Woods begann in jammervollen Klagetönen zu lamentieren. Aber Dracula scherte sich nicht darum. Als ihm das Jammern zu laut wurde, stoppte er es mit einer heftigen Handbewe-

gung.Dann reichte er Joan den Arm. »Darf ich Sie zu einem ganz

besonderen Ereignis führen, verehrte Braut?« Er lachte. »Und die schöne Trauzeugin dazu? Kommen Sie, meine Liebe, fol-gen Sie uns. Oder wollen Sie mit Woods zurückbleiben?«

Kathleen sprang auf, als hätte sie auf Schlangen gesessen. Dracula lag ihr zwar auch nicht, aber er benahm sich gut. An-ders als dieser Vampir Woods, der falsche Inspektor, der sie so niederträchtig in die Falle gelockt hatte.

Keine Sekunde wollte sie mit dem zusammenbleiben.Dracula führte Joan durch das Gewölbe. An der hinteren

Wand brüllten und tobten sofort wieder die Ungeheuer los. Dracula brachte sie mit einer einzigen Handbewegung zum Verstummen. Und dann zogen sie sich sogar zurück, und nur noch Stein war dort zu sehen.

»Meine Wachhunde«, sagte Dracula lächelnd. »Es ist noch nie jemand an ihnen vorbeigekommen, wenn ich das nicht wollte.«

Sein Lächeln erschien Kathleen, die hinter den beiden ging, mit einem Male ungeheuer grausam. Teuflisch. Böse. Nieder-trächtig. Ihr fielen gar nicht so viele Worte ein, wie sie dem Fürsten aller Vampire an den Kopf werfen wollte.

Die Steinwand öffnete sich und gab einen Gang frei, der ebenfalls von dem roten unheimlichen Licht durchflutet war.

Nach zwei Dutzend Schritten mündete der Gang in einen weiten Saal, in dem allerorten Bewegung herrschte.

Das Entsetzen packte Joan, als sie sah, daß der Saal angefüllt war mit Monstern und Ungeheuern, wie sie sich solche in der wildesten Fantasie nicht vorzustellen gewagt hätte.

Weinerliche Klagelaute stiegen da und dort auf. Es waren To-tenstimmen – unwirklich, fern, grauenhaft.

Kathleen wäre am liebsten in den Gang zurückgelaufen.

Aber die Wand begann sich zu schließen. Sie wußte nicht, ob die Steine sie einquetschten. Darauf ankommen lassen wollte sie es nicht.

Sie stöhnte vor Angst und lehnte sich haltsuchend an einen Pfeiler.

Rings um den Saal trugen solche Säulen die Decke.Die gräßliche Versammlung dieser Dämonenschar, dieser

Schleimmonster, Untoten und Vampire schien zu einem beson-deren Ereignis zusammengekommen zu sein. Denn die Ver-sammlung der scheußlichen Kreaturen drückte eine lüsterne Erwartung aus.

Kathleen wünschte, in eine Ohnmacht zu sinken. Plante Dra-cula mit ihnen etwas?

Er trat an eine Balustrade und hob gebieterisch die Hand. So-fort trat Grabesstille ein.

»Ergebene Diener, Vasallen, treue Freunde«, hob er dann an und ließ einen Stein in einem Ring an einem Finger im roten Licht blitzen, daß es wie Blutspritzer über die Wände und Dä-monenfratzen zuckte. »Wieder werde ich mich einer Braut ver-mählen, auf das unsere Schar größer wird und an Stärke ge-winnt, bis wir unüberwindlich geworden sind. Wir werden die Herrschaft über diese Stadt erringen, dann über das ganze Land, und eines Tages wird uns die Welt der Lebenden ganz gehören. Denn wir sind die rechtmäßigen Erben. Früher war es die Schattenwelt, in die nie ein Lichtstrahl fiel. Dann ließen abtrünnige Magier das Licht ein, und sie wurden immer mäch-tiger und verdrängten uns. Jetzt holen wir uns zurück, was uns gehört. Die Lebenden zahlen den Tribut mit ihrem Blut.«

Ohrenbetäubender Beifall ließ den Saal erzittern. Die Dämo-nenversammlung schrie und stampfte, klatschte und brüllte, quiekte und hüpfte. Es war der wahrste Hexensabbat. Viel-leicht noch schlimmer.

Joan hatte nur verstanden, daß Dracula heiraten wollte. Sie – das hatte er ihr schon im Laden gesagt.

War der Zeitpunkt schon gekommen?Ihre Knie gaben nach. Sie sackte zusammen.»Nicht doch, meine Liebe, Sie heirate ich erst morgen«, sagte

Dracula mit satanischer Freude in der Stimme. »Heute heirate ich eine andere Braut. Lucy Drummond – vielleicht kennen Sie sie?«

Joan bekam es kaum richtig mit.Kathleen dafür um so besser. Dieser Satan mit seinem öligen

Lächeln teilte freundlich und in bester Stimmung einer Braut mit, daß er eben noch eine andere heiraten werde!

Das – das war unaussprechlich! Das war perfekte Grausam-keit.

Dracula streifte den Arm von Joan ab und lehnte sie gegen die Balustrade. Kathleen sprang hinzu und stützte die junge Frau, die umzusinken drohte.

Dracula lächelte nur – eiskalt und höhnisch. Dann schritt er quer durch den Saal zu einem erhöhten Platz. Seine grauen-hafte Heerschar machte ihm gehorsam Bahn.

Die Erhöhung war eine Art Rondell, mit Tuch beschlagen. Dort stand ein Stuhl, der Kathleen mit Schaudern an eine Art Folterstuhl denken ließ.

Schwere Schlaufen von Leder und Tauwerk hingen herab.Dracula stellte sich vor dem Stuhl in Positur, reckte die Arme

gegen die Decke und sprach mit beschwörender Stimme et-was, das sich seltsam anhörte.

Eine fremde Sprache, dachte Kathleen erst. Dann erkannte sie an einem Wort, das Dracula alles von hinten nach vorn auf-sagte. Ein Gebet! Er sprach ein Teufelsgebet in der frevelhaften Form!

Seine Kreaturen spendeten ihm tosenden Beifall.

Dann gab Dracula ein Zeichen. Erwartungsvolle lüsterne Stil-le trat ein.

Drei Gestalten mit steifen Bewegungen und maskenhaftem Gesicht schleppten ein Mädchen herein, daß sich mit Leibes-kräften wehrte und schrie und bettelte. Gegen die rohen Kräfte der drei Knechte konnte es jedoch nichts ausrichten.

Als es der atemlos lauschenden und starrenden Versamm-lung ansichtig wurde, schrie es noch viel mehr und bäumte sich auf.

Dracula gebot den Knechten, das Mädchen auf den Stuhl zu setzen und dort festzuschnallen.

Kathleen erschauerte. Das mußte Lucy Drummond sein. Sie wünschte, sie hätte dem armen Geschöpf helfen können. Aber sie und Joan steckten in derselben ausweglosen Lage. Und morgen schon waren sie an Lucys Stelle!

Das bedauernswerte Mädchen wurde festgebunden. Seine Bewegungen wurden schwächer, seine Widerstandskraft er-lahmte zusehends. Als die letzte Fessel festgezogen war, hing Lucy Drummond mit aufgerissenem Mund und schreckhaft geweiteten Augen auf dem Stuhl. Der Mund schwieg, und vielleicht sahen die Augen nicht mehr.

Dracula wandte sich um und schwang den Umhang um Lucy Drummond, so daß sie beide unter dem Stoff verborgen waren. Ein Vibrieren schüttelte den sichtbar gebliebenen Kopf des Mädchens.

»Dein Blut sei mein Blut, und mein Blut ist dein Blut«, sagte der Fürst der Vampire mit tönender Stimme. »Ich nehme dich zum Weib und erhebe dich in den Stand der Vampire. Mehre den Schrecken und finde stets das beste Blut der Lebenden. Gib dich jetzt ganz hin, denn wir sind eine einzige große Fami-lie.«

Er zog den Umhang weg und beugte sich zu Lucy Drum-

mond hinab. Kathleen konnte sehen, wie er ihr seine langen schauderhaften Zähne in den schlanken Hals grub und zubiß und trank wie ein Verdurstender.

Als er abließ, war das Mädchen in sich zusammengesunken. Die Fesseln hielten es im Stuhl fest. Dracula trat zurück und überließ Lucy Drummond seiner furchtbaren Heerschar. Mit Heulen und Brüllen und Schreien stürzten sich die Ausgebur-ten des Schattenreiches auf Draculas neue Frau.

Kathleen kniff sich verstohlen in den Arm. Sie glaubte zu träumen. Aber der Schmerz sagte ihr, daß sie die entsetzliche Wirklichkeit vor Augen hatte.

Unter einer Hochzeit stellte sie sich etwas anderes vor. Erst recht unter einer Hochzeitsnacht.

Was hier geschah, war eine dämonische Orgie, in der es al-lein um das warme Menschenblut von Lucy Drummond ging. Um sonst nichts.

Sie warf sich herum, sie wollte nichts mehr hören, nichts mehr sehen. Sie riß Joan mit sich, die fast ohnmächtig war.

Gräßliche Ungeheuer standen hinter den beiden Frauen und verwehrten ihnen die Flucht. Sie mußten ausharren. Im Hin-tergrund tauchte Woods auf. Er grinste niederträchtig, ließ sei-ne Zähne hervorwachsen und machte ein widerlich schlurfen-des Geräusch, als hätte er seine Zähne schon am Hals von Joan oder Kathleen.

O Gott, nur das nicht! dachte Kathleen. Eher bringe ich mich um! Ich werde schon etwas finden! Auf den Stuhl lasse ich mich nicht binden! Sie sollen nicht mein Blut trinken! Auch dieser alte böse Vampir Dracula nicht! Himmel, hilf mir, gib mir ein Zeichen! Ich muß es auch für Joan tun, sie hat nicht mehr die Kraft! Es ist Sünde, aber besser eine Sünde begehen, als so zu sterben!

Ihre Gedanken waren zu deutlich, die Ungeheuer wurden

unruhig und brüllten schrecklich auf. Woods verzog das Ge-sicht und duckte sich, als erwarte er einen strafenden Blitz, der auf ihn niederzuckte.

Kathleen konnte nicht sagen, wie lange die Entsetzlichkeit gedauert hatte. Stunden wahrscheinlich.

Jetzt lösten die Knechte die Fesseln. Lucy Drummond erhob sich. Sie bewegte sich steif, wie eine Marionette. Sie war von einer zerbrechlichen Durchsichtigkeit – zart, schön – und zu-gleich abstoßend.

Nun war Lucy eine Untote.Sie ging vom Rondell herunter und mischte sich unter das

grauenhafte Festvolk, das aus den Winkeln des Schattenrei-ches zusammengekommen war.

Drüben erschien wieder Dracula. Er grüßte höhnisch zur Ba-lustrade herüber und machte eine Handbewegung.

Kathleen und Joan fühlten sich im nächsten Moment von den stinkenden Ungeheuern gepackt und durch den sich öffnen-den Gang zurückgestoßen in das feuchte muffige Gewölbe.

Die Wächter in der Wand brüllten und geiferten.Kathleen ließ sich einfach auf den Boden fallen. Sie war am

Ende ihrer Kraft. Ein verzweifelter Schrei brach noch aus ih-rem Mund, bevor ihr wieder die Sinne schwanden.

Joan war schon früher ohnmächtig geworden. Sie hatte das bessere Teil erwischt.

*

In meiner Wohnung roch es ziemlich aufdringlich.Richtig, nach Knoblauch. Ich peilte auf die Uhr. Gerade die

richtige Zeit, um Kathleen anzurufen.Sie meldete sich daheim immer noch nicht.Das fand ich eigenartig. Wenn sie mir den Laufpaß geben

wollte, dann sagte sie mir das ins Gesicht. So hatten wir es aus-gemacht.

Vielleicht war ihr auf dem Rückweg von Manchester oder Li-verpool etwas zugestoßen!

Ich probierte es noch einmal. Sie hob nicht ab.Ungeduldig wartete ich, bis ich ihr Geschäft in Covent Gar-

den erreichen konnte. Vielleicht war sie schon dorthin unter-wegs. Man sollte nie das Schlimmste annehmen.

Endlich nahm man ab.Als ich nach Kathleen fragte, löste ich einen mittleren Volks-

aufstand aus. Es dauerte, bis ich mir Gehör verschaffen konn-te.

»Bitte, was ist sie? Ich verstehe Sie so schlecht, bei Ihnen ist zu viel Lärm.«

Die Frau ermahnte die Verkäuferinnen zur Ruhe und sagte dann: »Mister Kinsey, wir sind in größter Unruhe. Wir haben schon bei Scotland Yard angerufen…«

»Wieso?« Mir lief es heiß und kalt den Rücken runter. Ich konnte nicht sagen, warum, aber ich spürte, daß etwas gründ-lich schiefgegangen war.

»Dahin ist sie doch gestern abgeholt worden, Mister Kinsey. Und Joan Masters auch. Ein Inspektor ist extra gekommen und hat sie mitgenommen. Wegen einer Aussage, glaube ich.«

»Dann ist ja alles in Ordnung. Scotland Yard wird ja wissen, welcher Inspektor dafür abgestellt war.« Mir fiel ein Stein von der Seele.

»Das ist es eben!« Die Frau bekam eine Zitterstimme. »Die sagen dort, der Inspektor werde seit Tagen schon vermißt, und sie könnten sich nicht erklären, wieso er plötzlich auftaucht, Zeugen abholt und nicht auf seiner Dienststelle erscheint und auch die Zeugen nicht mitbringt.«

Mir war, als würde mir jemand den Fußboden unter den

Sohlen wegziehen.»Wie heißt der geheimnisvolle Inspektor?« fragte ich keu-

chend. Ich ahnte die schreckliche Wahrheit, aber ich wollte sie von der Frau hören. Ich hoffte noch eine Winzigkeit.

»Woods«, sagte sie. »Inspektor Woods.«Das winzige Fünkchen Hoffnung erlosch wie ein Streichholz

in der Regenflut.Woods, der Untote, der Vampir, hatte Kathleen und Joan ab-

geholt!Nicht zum Yard. Natürlich nicht.Er hatte sie verschleppt! In den neuen Schlupfwinkel von

Dracula!Ich rechnete blitzschnell. Heute um Mitternacht lief die Frist

ab. Dann heiratete Dracula die arme Joan. Und vielleicht Kath-leen gleich mit dazu. Sozusagen als Dreingabe. Warum sonst hatte Woods sie denn mitgenommen?

Ein Untoter als Kidnapper!Das mußte ich erst einmal Sir Horatio in schonenden Portio-

nen beibringen.Ich steckte den Knoblauch ein, das Fläschchen mit dem

schottischen Zauberelixier und ein eisernes Keltenkreuz, das mir ein Magierzirkel verehrt hatte, als ich dort angeklopft und um einen guten Rat gebeten hatte.

Für einen Streit mit Woods oder Dracula oder wer immer meinen Weg kreuzte war ich miserabel ausgerüstet, aber ich hatte mehr als die nackten Hände. Das war schon etwas.

Und ich hatte Wut. So groß, so stark, daß es mich glatt hätte zerreißen können.

Ich schwor mir in dieser Wut, das erstbeste dämonische Ge-schöpf, das ich in die Finger bekam, in der Luft zu zerreißen und verkehrt herum wieder zusammenzusetzen, damit Dracu-la lernte, was Angst ist.

Es war mein Glück, daß ich in diesen Momenten nicht wuß-te, wo ich den Gegner suchen mußte. Irgendwo in der Hard-wick Street, das war mir schon klar. Aber mehr wußte ich nicht.

Ich fuhr nach Whitehall, gerade so, wie ich es verantworten konnte, um schnell beim Chef zu sein und auf der anderen Sei-te keine Anzeigen wie einen Kometenschweif einzuheimsen.

Ich riß die Vorzimmertür auf und sagte nur: »Morgen zu-sammen!«

Sheila rutschte mit dem Lippenstift ab und malte sich einen Strich am Kinn herab, und Barbara Hicks kurbelte ausdrucks-voll die schmalen Brauen in die Höhe und sagte: »Ah, ich wußte, daß er eines Tages überschnappt. Jetzt ist's passiert!«

Ich hörte es noch. Aber mir war alles egal. Heute konnte sie sagen, was sie wollte, an mir prallten solche Kleinigkeiten ab.

»Sir, Woods hat Kathleen und Joan Masters!« platzte ich drinnen heraus. »Seit gestern schon.«

Sir Horatios Schnurrbart sträubte sich. »Wo hat er die Da-men?«

»Das weiß ich nicht, Sir. Ich vermute es nur. In der Nachbar-schaft von Nummer fünfunddreißig. In dem Haus hat übri-gens mal Bram Stoker gewohnt, darum scheint Dracula eine Vorliebe für die Bruchbude entwickelt zu haben.«

»Interessant«, meinte der Chef. »Wie kommen Sie auf Nach-barschaft? Ich würde sagen, Ihr spezieller Freund Dracula hat sich gar nicht sehr aus seiner Aufmarschstellung bewegt?«

»Wie soll ich das verstehen, Sir?«»Wir hätten in dem Loch nachschauen müssen, Mac.«»Das ist kein Loch, sondern nur eine Nische.«»Vielleicht sollen wir das denken, Mac. Sie sagten, der Ghoul

sei ausgestoßen worden, weil er das Kreuzsymbol aufgedrückt bekam. Ich bin Militär, und ich kann dazu auch etwas sagen.

Die Nachhut haben wir oft genug von Leuten machen lassen, – die wußten, daß sie nicht durchkommen würden. Verwundete. Ein Himmelfahrtskommando. Sie wußten, was sie erwartet. Vielleicht wußte der Ghoul es auch.«

»Der Schleimberg als Nachhut?« Ich dachte nach. So unsin-nig klang das gar nicht.

Ich spähte auf die Uhr. Es ging schon auf zehn. In vierzehn Stunden lief die Frist ab. Für Joan. Und wahrscheinlich auch für Kathleen.

Für mich lief sie schon früher ab. Um acht Uhr. Das waren noch zehn Stunden. Um acht Uhr wurde es dunkel, dann wa-ren die Dämonen der Finsternis mir wieder über. Wenn ich Kathleen und Joan herausholen wollte, mußte ich das schaffen, solange Tageslicht herrschte. Das schützte uns einigermaßen.

Woods war gestern allerdings am hellen Tag unterwegs ge-wesen, und er war nicht zu Staub zerfallen. Dracula mußte es gelungen sein, eine neue und wesentlich widerstandsfähigere Existenzform für seine Kreaturen zu finden.

Wenn er damit erfolgreich war und sich mit Eifer um weitere solche Geschöpfe bemühte, dann waren die Tage unserer Erde schon gezählt.

Ich hängte mich ans Telefon und gab den Klempnern meine Bestellung durch. Ich benötigte wieder die Eichenpflöcke – für alle Fälle. Dann den Mini-Flammenwerfer. In erster Linie aber brauchte ich zwei oder drei handliche Bomben, die beim Deto-nieren einen Lichtblitz erzeugten, der die Bestandteile des Ta-geslichts enthielt und auch mindestens so hell war.

Sie versicherten mir, es sei eine Freude, für mich arbeiten zu dürfen. Ich konnte mir nicht helfen, es hörte sich ganz schön sarkastisch an.

Für solche Untertöne hatte ich jetzt keinen Nerv.Ich mußte den Schlupfwinkel der Untoten finden. Von

Woods, von Dracula. Von den Ghouls und Zombies und Vam-piren.

Und sie durften mich nicht erwischen.Sir Horatio erhob sich. »Ich stelle soviel Leute ab, wie Sie ha-

ben müssen, Mac.«»Ich gehe alleine rein, Sir. Könnte schon sein, daß Sie recht

haben mit der Nische. Wenn die Sache schief geht, ist bloß ein Mitarbeiter auf der Trauerliste. Aber wenn die Jungs Bewe-gung haben wollen, dann sollen sie die Gegend absperren.«

»Das nehme ich in die Hand«, sagte Sir Horatio mit tiefem Ernst.

»Sir, das gestern war ein Spaziergang gegen das, was mir heute bevorsteht!«

Er schlug meine Warnung in den Wind. »Ich habe den Ghoul überlebt, ich werde auch den Fürsten der Vampire überleben.«

»Das walte der Secret Service!« Rutschte es mir heraus. Es klopfte.

Zwei unserer unvergleichlichen Techniker brachten eine Kis-te und stellten sie vorsichtig auf den Boden, als enthielte sie rohe Eier.

»Das Liebesgabenpaket aus der Klempnerwerkstatt, Sir Ho-ratio!« sagte einer. »Ist für Mac. Der macht irgendwo 'n Feuer-werk, scheint's.« Er ließ sich die Übergabe bescheinigen und sah zu, daß er mit seinem Kumpel von der Etage verduftete. Ich hatte allerlei unheilvolle Ahnungen.

Hoffentlich blies ich nicht versehentlich halb London in den Mittagshimmel.

*

Sir Horatio behielt recht.Die Nische war eine Finte, eine Täuschung. Ich konnte die

Steine mit der Hand herausziehen. Es rutschte nur wenig Erd-reich nach. Ich leuchtete in ein Loch, das sich ins Erdreich hin-ein fortsetzte.

Ich lauschte und schnupperte. Zu hören war nichts, aber zu riechen. Es roch nach Ghoul. Ganz schwach, aber immerhin.

Ich kroch in die Röhre. Sie weitete sich nach kurzer Strecke, so daß ich aufrecht gehen konnte.

Dann hallten meine Schritte. Ich war auf Fels getreten.Verblüfft leuchtete ich mit der Taschenlampe um mich.Der Gang war sauber aus dem Fels herausgehauen. Er führte

offensichtlich parallel unter der Erde her, denn ich konnte nicht feststellen, daß sich der Boden senkte.

Ich schnupperte wieder. Der Ghoulgeruch wurde deutlicher.Aber plötzlich sprang mich ein Untoter an.Ich fackelte nicht lange, ich besprengte ihn mit ein paar Trop-

fen des Zauberelixiers.Er kreischte auf und taumelte vor mir her. Er begann sich

aufzulösen und verlor sich Stück für Stück unterwegs. Es war ein fürchterlicher Anblick.

Er torkelte auf die Wand zu. Ich sah ihn schon stürzen und am Boden vergehen, als die dicke Felswand auseinander wich. Dunkles rotes Licht flutete heraus.

Sofort fiel mir Kathleens Schilderung ihres Erlebnisses auf dem Parkplatz ein.

In diesem Augenblick wußte ich, daß ich am Ziel war. Ich hatte Draculas heimliches Hauptquartier gefunden.

Und ich spürte noch mehr auf.Undeutlich sah ich zwei Gestalten am Boden kauern. Die

eine kam mir irgendwie bekannt vor. Das Gesicht. Die Hal-tung!

»Kathleen?« fragte ich vorsichtig.Meine Stimme dröhnte vielfach verstärkt durch ein feuchtes

muffiges Gewölbe.Die Gestalt straffte sich, dann stand sie auf. Und dann lief sie

taumelnd auf mich zu.Kathleens Stimme schwankte, als sie sagte: »Mac, du hast

lange auf dich warten lassen.«Dann versagte ihr aber doch die Stimme. Kathleen fiel mir in

die Arme. Ich gab ihr fünf Sekunden. Ich war gerührt, daß ich sie gefunden hatte. Aber dies war nicht der Ort, um sich Ge-fühlen und Sentimentalitäten hinzugeben.

Der sterbende Untote brüllte um so lauter, je weniger er wur-de.

Aus den Wänden fuhren Ungeheuer und brüllten um die Wette. Ein Spektakel hob an, daß ich um mein Gehör fürchtete.

Die zweite Gestalt dort am Boden schoß hoch und stürzte auf uns zu. Ich erkannte Joan Masters.

Mein Blick ging sofort zu ihrem Hals. Nichts. Ich atmete auf. Noch war ihr nicht das Schicksal von Dru Palmer beschieden.

Ich kontrollierte auch Kathleen. Ich mußte es tun. Es war meine Pflicht, denn ich durfte keine Untote mit mir hinausneh-men. Nicht jetzt, wo Dracula zum ersten großen Schlag aushol-te.

Kathleen war nicht einmal in den Nacken gebissen.Der Spalt im Fels begann sich wieder zu schließen.Kathleen entdeckte es, schrie entsetzlich und zeigte darauf.

»Der einzige Ausgang – Mac! Schnell – um Gottes willen, schnell doch!«

Sie schien sich auszukennen. Ich schnappte sie rechts und Joan links und spurtete los.

Die Frauen hatten einiges mitgemacht, ich spürte es. Sie lie-ßen sich hängen, sie liefen nicht richtig mit.

Das Gebrüll der Ungeheuer wurde stärker. Ich sah Monster-fratzen aus dem Boden fahren. Geifer spritzte uns entgegen.

»Weiter!« schrie ich. »Durch!«»Halt!« donnerte eine gebieterische Stimme durch das Ge-

wölbe.Augenblicklich verstummte der infernalische Krach. Ich

blieb stehen und wandte mich mit den Mädchen um.Woods kannte ich. Er stand keine zwanzig Schritte entfernt

und hatte Böses im Blick.Dru Palmer im kürzesten Hemd aller Zeiten war ebenfalls

zur Stelle. Sie entblößte die Zähne und ließ Speichel aus den Mundwinkeln fließen. Und die Zombies aus dem Geisterhaus fehlten auch nicht.

Eine zarte junge Frau, zerbrechlich und durchscheinend wie Glas, schritt von der Seite heran.

Ich starrte auf sie. Sie kam mir irgendwie bekannt vor. Sie faszinierte mich. Und sie lächelte.

Ich fiel förmlich in ihre Augen hinein.Bis Kathleen an meiner Seite zischte: »Das ist Lucy Drum-

mond, Mac. Wir wohnten ihrer Hochzeit mit Dracula bei. Der Graf und seine Kreaturen haben sie leergesaugt bis auf den letzten Tropfen Blut. Und sie lebt dennoch!«

Ich kam zu mir.Hinter Lucy Drummond sah ich jetzt ihn stehen – Dracula,

den Fürsten aller Vampire und Blutsauger!Er hatte den Umhang um sich gerafft, als sei ihm kalt. Er

blickte mich vernichtend an. Ich schätzte, er wußte, wen er vor sich hatte.

Langsam streckte er den Arm gegen mich aus. »Niemand be-tritt ohne meinen Willen den Hort der wahren Herren, und niemand verläßt ihn, der der Rasse der Lebenden angehört.«

Greinende Totenstimmen erhoben sich. Es hörte sich fast bei-fällig an.

»Ich hätte mich gerne an der Pforte angemeldet«, sagte ich,

»aber sie war nicht besetzt.«Woods kam schnell näher. Ich schätzte, er wollte gesondert

mit mir abrechnen. Immerhin hatte ich ihm drei Kugeln durchs Hemd geblasen. Sie hatten ihm nichts anhaben können, aber es wurmte ihn halt.

»Ergreift den Frevler!« brüllte Dracula. »Wir vermählen ihn unserer lieben Schwester Lucy, und ich werde diese zwei Frau-en heiraten. Bereitet alles vor!«

»Ihre Uhr geht falsch«, sagte ich. Sein theatralischer Auftritt, seine Kostümschau ließ mich an ein Schmierentheater denken. »Mitternacht, sagten Sie. Es ist noch lang bis dahin. Oder ist das Wort des Fürsten aller Vampire weniger wert als ein Dreck?«

Er grinste diabolisch. »Schlau gesprochen, Freund. Aber ein Fürst muß seine Entscheidungen zum Nutzen seines Volkes treffen. Da muß er auch mal ein Wort brechen.«

Das war sein Plan gewesen.Ich spähte hinter mich. Der Gang hatte sich nicht geschlos-

sen. Als der Befehl des Vampirfürsten erklungen war, war auch der Fels stehengeblieben.

»Okay, Mädchen, wenn ich sage, ihr sollt loslaufen, dann zischt ihr ab, als sei diese ganze heiße Meute hinter euch her, klar? Ihr dreht euch nicht um, egal, was ihr seht oder hört. Ihr bleibt erst stehen, wenn ihr die Hardwick Street unter den Fü-ßen habt«, raunte ich Kathleen und Joan zu.

Ich hatte den richtigen Moment erwischt. Auf Draculas Wink hin stürzten sich acht oder zehn Untote auf uns.

Lucy lächelte. Sie lockte. Mir gefror fast der Mund ein.Ich schüttelte den Bann nur mit Mühe ab. »Lauft!« brüllte

ich. »Los mit euch!«Kathleen und Joan zischten wirklich ab wie die Raketen.Ich angelte mit der linken Hand das alte Keltenkreuz aus

dem umgehängten Tuchbeutel, in dem ich meine Überra-schungen transportierte.

Das Symbol ließ Dracula wütend und lästerlich fluchen. Rückwärts.

Auch sonst schien das Kreuz Kraft zu besitzen. Die heran-schnellenden Untoten wurden unsicher. Ich sah ihr Zögern.

Langsam zog ich mich in Richtung Gang zurück.Ich stieß schon rechts und links mit den Ellbogen an, Viel

Luft war nicht mehr.Als ich Dracula die Hand heben sah, roch ich den Braten. Er

wollte dem Fels den Befehl geben, sich zu schließen. Ich sollte jämmerlich zerquetscht werden.

Ich schleuderte eine Tageslichtbombe, wie unsere Klempner die gänseeiergroßen Kapseln getauft hatten, in Richtung Woods, der sich in Bewegung gesetzt hatte und mich noch aus dem Spalt herausreißen wollte.

Dann wollte ich schon lieber vom Fels zermalmt werden, als Woods in die Krallen fallen.

Eine zweite Tageslichtbombe schleuderte ich gegen Dracula.Aber im selben Augenblick sah ich ihn fast durchsichtig wer-

den. Und dann war er verschwunden.Er hatte sich aufgelöst. Er hatte sich in Sicherheit gebracht. Er

hatte gelernt. Mächtig viel. Zu viel.Ich schnellte herum und rannte, was meine Füße hergaben.Mit einem Knirschen schloß sich der Fels. Aber ich war

durch. Die Falle hatte mich nicht mehr erwischt.Im nächsten Augenblick dachte ich, der Fels rechts vom

Gang würde durchsichtig. Er begann zu leuchten. Für einige Sekunden. Ich sah halbe Ungeheuer rückwärts aus dem Stein fahren. Sie fielen zu Boden oder erstarrten noch halb in der Wand und hingen dort wie groteske Tropfengebilde.

Die beiden Lichtbomben waren detoniert.

Ich war sicher, daß Draculas Heerschar einen hohen Tribut zahlen mußte. Und ich hoffte, daß keine seiner Kreaturen das Lichtgewitter überstanden hatte.

Nachprüfen konnte ich es nicht.Mich wurmte, daß Dracula entwischt war. Sorgsam hielt ich

die dritte Lichtbombe in der Hand, damit ihr nichts passierte. Von diesem Tag an sollte sie mich immer begleiten bis zu der Stunde, in der ich Dracula wieder gegenüberstand.

In der enger werdenden Erdröhre direkt vor dem Keller von Bram Stokers Spukhaus kauerten Kathleen und Joan. Sie wa-ren gelaufen, bis sie nicht mehr konnten. Und jetzt schluchzte Joan fortwährend: »Nein, nein, nicht mehr…«

»Was ist denn?«»Das Monster!« schluchzte Joan. »Da ist noch ein Monster!«

Sie zeigte aus der Öffnung.Ich dachte an Dracula und wollte schon die Lichtbombe wer-

fen, als ich das Gesicht von Sir Horatio draußen vor dem Loch erkannte.

Er hatte meine Stimme gehört und beugte sich vor. Er kam ganz nah.

Joan stieß einen gellenden Schrei aus. Und Kathleen gleich mit.

»Da haben wir's!« sagte ich vorwurfsvoll zu Sir Horatio. »Sie hätten Ihr Gesicht nicht zeigen sollen. Sir. Die jungen Damen halten Sie für ein Monster.«

»Ich, ah –« die Schreie hatten ihn verwirrt. Aber dann zünde-te es. »Was ist das? Mein Gesicht? Ich ein Monster? Der Teufel soll Sie holen, Mac!«

»Der Tag wird kommen, das walte der Secret Service«, erwi-derte ich und schob Kathleen hinaus.

Sir Horatio knurrte: »Über Ihre Witze kann ich überhaupt nicht lachen!«

»Dann lachen Sie über die Rettung der jungen Damen. Und sagen Sie was Nettes. Das läßt das Dämonengesicht am schnellsten vergessen.«

Er holte tief Atem, zögerte – und ließ die Luft wieder ab.»Sie Teufelsbraten, Mac! Machen Sie mich mit den Damen

bekannt, wenn ich bitten darf!«Er war ein Kavalier der alten Schule. Er durfte bitten. Und

ich erfüllte ihm den Wunsch.

ENDE

In vierzehn Tagen erhalten Sie den packenden Mac Kin-sey-Gruselkrimi Nr. 4. Carter Flynn hat ihn geschrieben. Er heißt:

Die Disco zum Grünen Tod

Hier eine kleine Kostprobe:Ein eigenartiges Gefühl überkam Edgar Conroy, als er sein Taxi um den Picadilly Circus herumschnurren ließ. Gerade, als würde ihm eine Armee von Spinnen über den Rücken krabbeln.Er schob es auf seine Fahrgäste. Mit denen stimmte etwas nicht.Es war ein Pärchen, er um die dreißig, so ein typischer Aufreißer, und sie noch längst keine zwanzig.Vermutlich hatten ihre Eltern keinen blassen Schimmer, wo sie sich herumtrieb.

So eine Tochter müßte ich haben, dachte Edgar ergrimmt. Der würde ich was husten! Läßt sich einfach von so einer Teenager-Spätlese anmachen!Er fuhr seit zwanzig Jahren Taxi, er kannte sich in dem Geschäft aus. Die tollsten Fuhren hatte er schon gemacht und die merkwürdigsten Fahrgäste gehabt.So leicht brachte ihn nichts mehr aus dem seelischen Gleichgewicht.Diese zwei da hinten beunruhigten ihn jedoch.Er lenkte das Taxi in die Regent Street hinein. Der Mann hatte als Fahrtziel eine Adresse in Wembley draußen ge-nannt. Seine Wohnung vermutlich.So eine Fahrt lohnte sich. Und Edgar war auch nicht als Moralapostel angestellt. Was seine Fahrgäste trieben, ging ihn nichts an, sofern es nicht gerade im Taxi gesch-ah.Er blickte in den Innenspiegel.Die zwei waren so dicht zusammen wie die Blätter eines Buches. Sie knutschten. Klar, andere taten's auch.Er hatte das Pärchen vor der Disko ›Magic Flower‹ aufge-lesen. Der Schuppen war in. Da strömte derzeit alles hin, was etwas zu sehen kriegen oder gesehen werden wollte.Was an der »Zauberblume« jedoch zauberhaft sein sollte, ging Edgar über das Verständnis. Das war genau so ein Krachschuppen wie die anderen Läden auch. Vom Hin-hören flogen einem schon die Ohren fort, und von den Lichtshows wurde einem ganz dämlich vor den Augen.Ein unheimliches Knirschen ließ Edgar zusammenfahren.Ein Blick in den Spiegel – die zwei waren immer noch hautnah beisammen. Sollte der Kerl –?»He, Mister, wenn Sie das Mädchen ausziehen, schmeiße ich Sie hochkant raus! Das gibt's bei mir nicht.«

Keine Antwort. Aber das Knirschen war wieder zu hören. Und dazu ein Geräusch, als würde Stoff reißen.»He, was gibt das? Sind Sie schwerhörig?«Edgar erhielt keine Antwort, und das Pärchen rührte sich nicht.Das kam ihm spanisch vor. Er schaltete die Innenbeleuch-tung ein und drehte den Kopf nach hinten.Soweit die Leseprobe aus dem neuen Mac Kinsey-Grusel-Thriller, den Sie in vierzehn Tagen erhalten. Dann ist wie-der Kinsey-Time!


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