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Handferngläser: Anwendung, Bewertung und Auswahl · Kapitel 1 Anwendungsprofile für...

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Handferngläser: Anwendung, Bewertung und Auswahl Holger Merlitz 4. August 2011
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Page 1: Handferngläser: Anwendung, Bewertung und Auswahl · Kapitel 1 Anwendungsprofile für Handferngläser Abbildung 1.1: Das Swarovski 8.5x42 EL (Swarovision, links) und sein Vorgänger

Handferngläser:

Anwendung, Bewertung und Auswahl

Holger Merlitz

4. August 2011

Page 2: Handferngläser: Anwendung, Bewertung und Auswahl · Kapitel 1 Anwendungsprofile für Handferngläser Abbildung 1.1: Das Swarovski 8.5x42 EL (Swarovision, links) und sein Vorgänger

Inhaltsverzeichnis

1 Anwendungsprofile für Handferngläser 3

1.1 Die Generalisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.2 Ferngläser für Reise und Wanderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.3 Ferngläser für Nacht und Dämmerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51.4 Handferngläser in der As-tronomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.5 Militärferngläser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.6 Ferngläser zur See . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121.7 Fergläser mit Bildstabilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.8 Die Kompakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161.9 Operngläser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

2 Testen von Ferngläsern 19

2.1 Labortests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192.2 Der Schnelltest am Ladentisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

2.2.1 Der allererste Eindruck: Design, Haptik, Ergonomie . . . . . . . . . . . . 212.2.2 Check auf weitere Ausschluß-Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212.2.3 Bewertung der optischen Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

2.3 Testen im Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242.3.1 Streulichtresistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242.3.2 Geisterbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272.3.3 Randschärfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292.3.4 Dämmerungsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302.3.5 Chromatische Aberration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312.3.6 Ergonomie und Haptik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

3 Kleine Kaufberatung: Was brauche ich? 34

3.1 Was die Premiumklasse bietet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353.2 Die Mittelklasse: Suche nach dem Kompromiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363.3 Schnäppchenjagd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393.4 10 Gebote zur Fernglaswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

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Vorwort

Dieses Manuskript ist Bestandteil eines Bu-ches mit dem Titel Handferngläser, das sichin einem (langsamen) Prozeß der Entstehungbefindet. Innerhalb dieses Buches formt es dendritten und letzten Teil, der sich vornehmlichmit der Fernglaspraxis beschäftigt. Geplantist, daß diesem Text in dem fertigen Buch einTeil zur Fernglasoptik, und ein zweiter Teil zurvisuellen Optik und Wahrnehmungspsycholo-gie vorangestellt werden. Ich habe den vor-liegenden Abschnitt als eigenständiges Manu-skript ausgekoppelt, weil er weitgehend selbst-tragend ist und als eigenständiges, kompaktesKompendium zur Fernglaspraxis von Interes-se sein mag. Dieser Teil des Buches ist freiverfügbar, unterliegt jedoch dem Urheberrechtund darf ohne Genehmigung des Autors nicht,auch nicht in Teilen, für kommerzielle Zweckeverwendet werden.

Holger Merlitz, August 2011

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Kapitel 1

Anwendungsprofile für Handferngläser

Abbildung 1.1: Das Swarovski 8.5x42 EL(Swarovision, links) und sein Vorgänger(rechts) gehören zu den Top-Allzweckgläsern.Sehfeld: 133m/1000m bzw. 130m/1000m

1.1 Die Generalisten

Als Generalisten betrachtet man im allgemei-nen Ferngläser mit 8x bis 10x Vergrößerungbei Objektiven um die 40mm Durchmesser.Dies hat natürlich seine Gründe:

Zunächst muß beachtet werden, daß ein sol-ches Fernglas typischerweise 700-800 Grammwiegt und somit noch relativ leicht und kom-pakt ist, so daß es sich uneingeschränkt frei-händig verwenden läßt. Selbst wenn es überlängere Zeit um den Hals getragen werdenmuß, erfordert das noch keine sportlichen Ex-tremleistungen. Darüberhinaus sind die Ob-jektive bereits groß genug, um bei den übli-chen Vergrößerungen noch relativ weite Aus-trittspupillen zu garantieren — bei einemder häufig zu findenden 8x42 sind es so-

gar 5.25mm, die das Fernglas bereits däm-merungstauglich machen. Wer stattdessen aufhöhere Vergrößerungen setzt, der hat mit ei-nem 10x42 noch immer mehr als 4mm Aus-trittspupille, genug um bei normalem Tages-licht auch Tiere im Wald oder Vögel in einemschattigen Dickicht zu beobachten. Es ist da-her nicht überraschend, daß dieses 40mm Kali-ber die beliebtesten Instrumente der Ornitho-logen stellt, und daß die Hersteller des Premi-umsektors sich mit ihren Innovationsanstren-gungen primär auf diese Instrumentenklassekonzentrieren. Folglich gibt es eine sehr großeAuswahl an hochklassigen Ferngläsern dieserKategorie, und jeder potentielle Käufer dürftehier dem Inhalt seiner Brieftasche angemessenfündig werden.

In Fernglasforen wird nicht selten davon be-richtet, das 40mm Fernglas sei den Gerätender 30mm Klasse aufgrund einer höheren Auf-lösung überlegen. Das ist mitnichten der Fall.Wie an anderer Stelle bereits angesprochen,kommen Handferngläser niemals in die Berei-che der Maximalvergrößerung, so daß zumin-dest bei der Tagesbeobachtung die Auflösungausschließlich durch die Vergrößerung und dasAuge beeinflußt wird. Ein 40mm Fernglas lie-fert bei gegebener Vergrößerung größere Aus-trittspupillen als ein 30mm Fernglas, genaudas ist sein Vorteil. Damit wird sein Anwen-dungsbereich zu schwächeren Lichtverhältnis-sen hin erweitert. In der Dämmerung kannman dann in der Tat behaupten, das Fernglasmit größeren Objektiven zeige mehr Details —nicht aufgrund einer höheren Auflösung, son-

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Abbildung 1.2: Das 8x30 EII von Nikon (Seh-feld: 154m/1000m), ein sehr kompaktes Reise-fernglas mit erstaunlich weitem Sehfeld

dern weil die kleinere Optik dann schon nichtmehr ausreichend Licht liefert.

1.2 Ferngläser für Reise und

Wanderung

Bei Ferngläsern der 30mm Klasse steht dieMobilität im Vordergrund, wobei man, andersals bei den Kompaktferngläsern, noch keine si-gnifikanten Leistungseinbußen in Kauf zu neh-men hat. Die Geräte der 30mm Klasse sinddaher die idealen immer dabei Ferngläser fürdie Reise oder für ausgedehnte Wanderungen.Den besten Kompromiß für die Vergrößerungfindet man dabei mit der Wahl eines 8x Ge-rätes, weil man auf diese Weise die Vortei-le eines weiten Sehfeldes, eines ruhigen, zit-terfreien Bildes (auch nach körperlicher An-strengung) und einer noch relativ weiten Aus-trittspupille vereint. So bieten viele Fernglä-ser der 8x30 oder 8x32 Klasse Sehfelder von140m/1000m, und die Austrittspupillen von3.75mm bzw. 4mm erlauben Beobachtungenauch in schattigen Bereichen oder an trübenTagen. Der entscheidende Vorteil dieser Fern-gläser ist natürlich deren Gewicht, das sichmeist im Rahmen von 500-600 Gramm be-wegt.

Neben den Ferngläsern mit 8x bieten eini-ge Hersteller auch die 10x Versionen des Ka-

libers 30mm an. Hier ist zu berücksichtigen,daß man sich den erhöhten Vergrößerungsfak-tor mit einer kleinen Austrittspupille um die3mm erkauft, so daß sich der Einsatzbereichdieser Ferngläser auf die Tagesbeobachtungreduziert. Umgekehrt gab es in der Vergangen-heit wiederholt Versuche, Ferngläser der Spe-zifikation 7x30 oder gar 6x30 auf den Marktzu bringen. Diese wären in der Tat nützlicheAlternativen zum 8x30, mit erheblich verbes-serten Dämmerungseigenschaften. Leider er-fordern solche Ferngläser aufgrund des an an-derer Stelle bereits diskutierten Zwischenbild-durchmessers

d = F ·Sehfeld in m

1000 m(1.1)

größere Prismendimensionen, wenn man denreduzierten Vergrößerungen entsprechend wei-tere Sehfelder fordert, denn die Objektiv-brennweite F läßt sich nicht beliebig her-unterfahren — der Strahlengang würde ein-fach zu kurz und auch die Aberrationen wä-ren kaum noch beherrschbar. Mit entspre-chend dimensionierten Prismen würden sol-che 6x30 Ferngläser ihren Gewichtsvorteil ge-genüber der 40mm Klasse weitgehend ein-büßen. Als Beispiel sei das russische Kronos6x30 Weitwinkel Fernglas der Firma ZOMZ(Zagorsky Optiko-Mekhanichesky Zavod) ge-nannt, das mit reichlich 11 Grad zwar einenangemessen weiten Sehwinkel bot, dafür aber750 Gramm auf die Waage brachte und so-mit im Gewichtsbereich eines typischen 40mmFernglases lag. Aus diesem Grunde hat sichdie 6x30 oder 7x30 Spezifikation mit angemes-sen weiten Sehfeldern auf dem Markt nichtdurchsetzen können.

Eine interessante Zwischenstufe zwischenden Generalisten und den mobilen Fernglä-sern stellt das 7x35 Format dar. Dieses warin den 1960er und 1970er Jahren weit ver-breitet, wurde dann aber zunehmend von den8x32 und 8x42 Formaten verdrängt. Das 7x35kombiniert die Vorteile seiner relativen Kom-paktheit, selbst bei weiten Sehfeldern, mit ei-ner guten Dämmerungstauglichkeit und der

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Abbildung 1.3: Das Leitz 7x35 Trinovid (Seh-feld: 150m/1000m), aus heutiger Sicht ein Hy-brid zwischen Generalist und Wanderglas, mitUppendahl Prismen

für 7x Ferngläser typischen enormen Schärf-entiefe. Es gibt also einige Argumente, diefür dieses Format als ein alternatives Univer-salformat sprechen, zumindest für diejenigenAnwender, denen es nicht auf hohe Vergrö-ßerungen ankommt. Legendär war das LeitzTrinovid 7x35 B mit Uppendahl Prismen, dasvon 1965 bis 1983 gebaut wurde und bei ei-nem Sehfeld von 150m/1000m nur 550g wog(dabei allerdings nicht wasserdicht war). Lei-der ist das 7x35 inzwischen vollständig ausdem Marktsektor hochwertiger Ferngläser ver-schwunden.

1.3 Ferngläser für Nacht und

Dämmerung

Wie an anderer Stelle diskutiert, sollten Fern-gläser für die Dämmerung Austrittspupillenvon mindestens 5mm, und Nachtgläser Aus-trittspupillen von mehr als 6mm aufweisen.Um unter diesen Randbedingungen dennocheine ausreichend hohe Vergrößerung erzielenzu können, sind diese Ferngläser mit Objek-tiven von mindestens 40mm auszustatten. Soliefert ein Fernglas der Spezifikation 7x40, ty-pisch für ein Militärfernglas des WarschauerPakts, eine Austrittspupille von 5.7mm und

ist daher ein ausgezeichnetes Dämmerungs-fernglas. Nachtgläser benötigen noch größereObjektive. Als Standardglas für den Jäger aufdem Nachtansitz gilt das 8x56, das mit 7mmAustrittspupille reichlich Reserven liefert, dieviele Menschen mittleren Alters sogar schonnicht mehr vollständig nutzen können.

Anders als bei Ferngläsern für die Tagesbe-obachtung genießt bei den Dämmerungs- undNachtferngläsern die Transmission eine beson-dere Relevanz: Mit zunehmender Dunkelheitkommt es auf jedes einzelne Photon an, dasein solches Fernglas passieren kann. Grund-sätzlich sind hier Ferngläser mit verkittetenPorro- oder Abbe-König Prismen im Vorteil,weil sie die geringste Anzahl an Luft-GlasÜbergängen aufweisen. Bei Schmidt-PechanPrismen ist eine Verspiegelung erforderlich,die nur unter großem Aufwand eine Effizienzerreicht, die derjenigen einer Totalreflexion zu-mindest nahe kommt. Aus diesem Grunde zei-gen Schmidt-Pechan basierte Dachkantgläseroft eine charakteristische Transmissionskur-ve, die wesentlich von den Eigenschaften die-ser Verspiegelung mitbestimmt wird. Hier istauch zu berücksichtigen, daß das menschlicheAuge in der Dämmerung allmählich vom Tag-essehen der Zapfen zum Nachtsehen der Stäb-chen wechselt. Letztere haben ihre Empfind-lichkeitskurve zu kürzeren Wellenlängen hinverschoben, und ein gutes Nachtglas wird die-sen Umstand in seiner Transmissionskurve be-rücksichtigen, d.h. den für Metallverspiegelun-gen typischen Einbruch in den kurzwelligenBereichen des Spektrums weitgehend vermei-den.

Weite Sehwinkel sind ebenfalls, oder gerade,in der Nacht von Bedeutung, weil die rezepti-ven Felder der Retina sich in den peripherenBereichen differenzieren und dabei wertvolleInformationen zum Nachtsehen beitragen, et-wa bei der Konturerkennung, Bewegungser-kennung, und der Unterdrückung von Rau-schen durch Bündelung der Rezeptoren. Es istdaher als Nachteil zu werten, daß viele Stan-dardnachtgläser der 8x56 (oder auch 7x50)Klasse aus Gewichtsgründen meist mit kleinen

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Abbildung 1.4: Schnittmodell des 8x50 No-bilem Super von Carl Zeiss Jena (Sehfeld:140m/1000m), ein Nachtglas mit großem Seh-feld und breiter stereoskopischer Basis

Sehwinkeln um die 50 Grad ausgerüstet sind.Ein klassische Jägerglas, das 8x56 Dialyt vonHensoldt, fällt in diese Kategorie, während das8x56 Zeiss Victory FL einen scheinbaren Seh-winkel von immerhin 60 Grad liefert und sichdamit positiv aus der Masse der engsichti-gen Nachtgläser hervorhebt. Beiden Beispie-len ist gemeinsam, daß sie als Dachkantgläserrelativ eng zusammenstehende Objektivlinsenaufweisen, was sich nachteilig auf die stereo-skopische Tiefenwahrnehmung auswirkt. Hierist zu beachten, daß unser visuelles System ge-rade im Falle fortgeschrittener Dunkelheit nurnoch begrenzt Informationen zur Tiefenwahr-nehmung zur Verfügung hat, weil etwa Ober-flächendetails, die die plastische Form des Ge-genstandes betonen, nicht mehr sichtbar sind,und das Detailsehen folglich durch ein Kon-tursehen ersetzt wird. Die zuverlässigste In-formation zur Tiefenstaffelung der Umgebungstammt dann aus der stereoskopischen Wahr-nehmung, und hier sind die Ferngläser desPorro-Typs von Vorteil.

Zusammenfassend kann man sagen, daß dasNachtfernglas idealerweise ein Porro Fernglasmit weitem Sehfeld und Austrittspupille jen-seits 6mm sein sollte. Als positives Beispiel seidas 8x50 Nobilem Super genannt, das in den

frühen 1980er Jahren von Zeiss Jena gebautwurde. Es hatte mit 6.25mm zwar etwas we-niger Austrittspupille als ein 8x56, aber die-ser Unterschied ist nur noch in Ausnahmefäl-len signifikant. Dafür bot das Nobilem jedochstolze 64 Grad scheinbaren Sehwinkels, und,wegen seiner breiten Bauweise, ein hervorra-gendes 3D-Sehen, Eigenschaften, die das Auf-finden und Identifizieren von Objekten in fort-geschrittener Dunkelheit unterstützen.

1.4 Handferngläser in der As-

tronomie

Grundsätzlich eignen sich alle Ferngläser auchfür den Einsatz am Sternhimmel. So ist esein besonderes Vergnügen, in perfekter Dun-kelheit mit einem niedrig vergrößernden Weit-winkelfernglas die Bereiche der Milchstraße zudurchstöbern. Andere Objekte kommen erstbei mittleren Vergrößerungen zur Geltung,und wieder andere sind so kompakt, daß sieidealerweise durch ein montiertes Großfern-glas bei hohen Vergrößerungen betrachtet wer-den.

Auch bei astronomischen Beobachtungenkommt der Austrittspupille eine besondereBedeutung zu. Anders als beim Teleskop, dasnicht selten für Detailbeobachtungen an Mondoder Planeten im Bereich der Maximalvergrö-ßerung eingesetzt wird, benutzt der Astronomdas Handfernglas jedoch meist für Übersichts-beobachtungen ausgedehnter Sternfelder oderGasnebel, oder für das Auffinden schwäche-rer Objekte, die anschließend mit größeren In-strumenten im Detail betrachtet werden. DieAustrittspupille des Handfernglases sollte aufjeden Fall groß genug sein, um das Nacht-sehvermögen des Auges ideal zu nutzen. In-teressanterweise ist dies nicht unbedingt beider Maximalpupille von 7mm der Fall, dennauch das Auge bildet ja nicht ideal, sondernmit Aberrationen ab, und diese Aberrationennehmen in den äußeren Bereichen der Augen-pupille überproportional zu. Beim normalenNachtsehen spielt das keine Rolle, da es in der

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Dunkelheit ohnehin an Feinstrukturen man-gelt, die aufzulösen man noch in der Lage wä-re. Bei astronomischen Beobachtungen ist dasanders: Hier gibt es jede Menge feiner Sterne,an denen sich die Aberrationen des Auges, ins-besondere die sphärische Aberration und derAstigmatismus, negativ bemerkbar machen.Es ist daher von allzu großen Austrittspupil-len im allgemeinen abzuraten, wenn man nichtgerade sehr ausgedehnte, lichtschwache undstrukturarme Himmelsobjekte, wie etwa denNordamerikanebel, Cirrusnebel, oder Galaxi-en wie M33 ins Visier nehmen möchte. In sol-chen Fällen kann man getrost auch zu seinem7x50 Fernglas greifen und die maximale Aus-trittspupille nutzen. In den meisten Situatio-nen bietet jedoch eine Austrittspupille von et-wa 5mm einen besseren Kompromiß zwischenmaximalem Licht und guter Abbildungsleis-tung des Auges.

Ein weiterer Faktor, der in Astronomenkrei-sen oft diskutiert wird, hängt mit der Leucht-dichte des Himmelshintergrunds zusammen:In Stadtnähe oder bei Mondlicht ist der Him-mel nie perfekt dunkel, sondern zeigt aufgrundeiner Restleuchtdichte eine leichte Graufär-bung. Nun wird gelegentlich behauptet, licht-schwache Himmelsobjekte kämen in dieser Si-tuation bei kleinerer Austrittspupille besserzur Geltung, weil dann der Himmelshinter-grund durch das Fernglas schwarz erscheineund somit der Kontrast optimal sei. Andern-falls würde das Objekt regelrecht im Hin-tergrundlicht “absaufen”. Eine simple Berech-nung der Kontrastfunktion stellt diese Be-hauptung allerdings in Frage: Sei LH dieLeuchtdichte des Himmelshintergrunds, undLG > LH die Leuchtdichte einer zu beobach-tenden Galaxie. Dann berechnet sich der Kon-trast als Quotient aus Differenz und Summebeider Leuchtdichten, also

K =LG − LH

LG + LH

. (1.2)

Jetzt nehmen wir an, daß wir die Austrittspu-pille ein wenig vergrößern, so daß deren Flächesich um den Faktor d vergrößert. In diesem

Abbildung 1.5: Fujinon 10x50 FMT-SX2 (Seh-feld: 114m/1000m), ein klassisches Fernglasfür die freihändige Himmelsbeobachtung

Falle erhöhen sich die Leuchtdichten LH undLG gleichermaßen um den Faktor d, und derKontrast bleibt identisch K. Es ist wohl eherder Fall, daß eine große Austrittspupille auchbei aufgehelltem Himmelshintergrund die Be-obachtung von ausgedehnten Objekten nichtentscheidend behindert. Dafür kommt aller-dings eine ästhetische Komponente zur Gel-tung: Objekte erscheinen vor einem schwarzenHimmel einfach schöner.

Der Kontrast hängt jedoch sehr wohl vonder Qualität des Instruments ab, und schlech-te Vergütungen, unvollständig auspolierteLinsenflächen oder fehlende Streulichtblendenkönnen den Kontrast und damit die Wahrneh-mungsschwelle für lichtschwache Objekte ent-scheidend beeinflussen. Von allzu preisgünsti-gen Angeboten der bekannten Supermarktket-ten sollte man daher die Finger lassen — auchbei der Himmelsbeobachtung führt die Inves-tition in Qualität zu deutlich sichtbaren Leis-tungssteigerungen.

Ein weiterer für die Astronomie relevan-ter Faktor ist die Grenzgröße der Sterne, diedas Instrument eben noch zeigen kann. Nunsind Sterne ganz besondere Beobachtungsob-jekte: Sie sind so weit entfernt, daß man sieals Lichtquellen nicht mehr aufzulösen ver-mag. Selbst wenn man durch ein Teleskop

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die Maximalvergrößerung erreicht, erscheintder Stern im Okular lediglich als Beugungs-scheibchen. Beim Fernglas bewegt man sichnochmals weit unterhalb dieser Maximalver-größerung, und das, was wir als Stern wahr-nehmen, ist stets die Punktbildfunktion un-seres Auges, die sich auch dann nicht ändert,wenn wir die Vergrößerung in einem vernünf-tigen Rahmen variieren. Dafür wird der Sternmit zunehmender Vergrößerung allerdings hel-ler, weil diese auf die Leuchtstärke denselbenEinfluß hat wie eine Änderung der Distanz.Somit wird klar, daß bei der Wahrnehmungpunktförmiger Objekte die Vergrößerung einentscheidender Faktor sein muß. In der As-tronomie hat sich der empirisch bestimmte,nach Alan Adler benannte Adlerindex als Leis-tungsfaktor für die Grenzgröße eines Ferngla-ses etabliert. Der Adlerindex ist das Produktaus Vergrößerung und der Wurzel aus der frei-en Öffnung, IA = m ·

√D, und man erkennt

hier sehr deutlich die Dominanz der Vergrö-ßerung über die Öffnung. Ed Zarenski hat inausführlichen Messungen die Gültigkeit desAdlerindex verifiziert und seinerseits zusätz-liche Faktoren eingeführt, mit deren Hilfe dieFernglasqualität ebenfalls berücksichtigt wer-den soll1. Was ist dann also das ideale Hand-fernglas für den Astronomen? Das in diesemAbschnitt Gesagte impliziert, daß das idealeFernglas für diesen Anwendungsbereich nichtexistiert — zu verschieden sind die Anforde-rungen, die unterschiedliche Beobachtungsob-jekte an das optische Instrument stellen. Werein gutes Fernglas besitzt, der wird es mit Er-folg auch in der Astronomie verwenden kön-nen. Wer sich ein Neues zulegen möchte, derwird wohl zuerst zu einem Fernglas der 10x50Klasse greifen: Eine große Öffnung, gepaartmit der eben noch freihändig nutzbaren Ver-größerung, idealerweise mit einem weiten Seh-winkel und mit guter Randschärfe. Es ist keinWunder, daß das 10x50 Fujinon FMT-SX2,das all diese Eigenschaften vereint und dar-

1Ed Zarenski, CN Report: Limiting Magnitude inBinoculars, auf www.cloudynights.com

überhinaus mit einer hochklassigen Vergütungausgestattet ist, einen Kultstatus unter denAstronomen genießt. Nach Erkenntnissen desAutors verwendet das 10x50 FMT-SX2, an-ders als das 7x50, sogar Triplets als Objekti-ve. Aber selbst das viel ältere und preisgünsti-ge 10x50 Dekarem (oder Jenoptem) von ZeissJena, mit hervorragender Mittenschärfe undsehr weitem Sehwinkel (bei allerdings gerin-ger Randschärfe), genießt noch immer den Re-spekt der Amateurastronomen, auch wenn esnur noch auf dem Gebrauchtwarenmarkt zufinden ist.

1.5 Militärferngläser

Über Militärferngläser kann man ganze Bü-cher schreiben, und glücklicherweise hat HansSeeger dies in überaus kompetenter Weise be-reits getan2. Daher können wir uns hier auf ei-nige Kernpunkte zu diesem interessanten The-ma beschränken.

Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges (undim Ostblock sogar bis in die späten 1980erJahre) war die Fernglasentwicklung maßgeb-lich auf den Militäreinsatz ausgerichtet, unddieser Umstand spiegelt sich in den besonde-ren Eigenschaften solcher Geräte wieder: Zu-allererst müssen Militärferngläser robust sein,was sich natürlich im Gewicht niederschlägt.Ferner sind Soldaten meist junge, gesundeLeute mit einer sehr weiten Akkommodations-breite. Aus diesem Grunde müssen die Op-tiken nicht übermäßig auf Bildfeldwölbungkorrigiert werden, so daß ältere Leute sichdann über die schlechte Randschärfe dieserFerngläser beklagen. Auch waren die Solda-ten in der Vergangenheit, anders als heute,nur selten Brillenträger, und viele Militär-ferngläser hatten daher Weitwinkelokulare miteher kurzem Austrittspupillen-Längsabstand.Ausnahmen gab es immer dann, wenn die

2Hans Seeger, Militärische Ferngläser und Fernroh-re in Heer, Luftwaffe und Marine/Military Binocularsand Telescopes for Land, Air and Sea Service, ISBN3-00-000457-2 (2002)

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Abbildung 1.6: Zeiss Jena EDF 7x40 der NVA(Sehfeld: 131m/1000m)

Optiken gemeinsam mit Gasmasken benutz-bar sein sollten. In solchen Fällen gab esreichlich Austrittspupillen-Längsabstand von20mm oder mehr.

Es fehlt hier der Raum, eine kompletteAuflistung der überaus reichhaltigen Palettean Militäroptiken vorzunehmen, selbst wennman sich auf die Phase nach den Weltkrie-gen beschränkt. Ganz allgemein kann manzusammenfassen, daß es in der Bundeswehrdrei Haupttypen von Handferngläsern gab,mit den Spezifikationen 8x30 (als weitaus häu-figstes Fernglas des Heeres), 10x50 (auch Ar-

tilleriefernglas genannt) und 7x50 (vornehm-lich bei der Marine, aber auch in anderen Tei-len der Streitkräfte als Nachtglas anzutreffen).In den Staaten des Warschauer Pakts warenFerngläser der Spezifikation 7x40 weit verbrei-tet, die sich sehr gut zur Beobachtung in derDämmerung eignen. Sie tauchten erst in denfrühen 1990er Jahren in größeren Stückzahlenauf den Flohmärkten der westlichen Staatenauf und waren wegen ihrer zum Teil beein-druckenden optischen Leistung nicht nur un-ter Sammlern, sondern auch unter Anwendernbegehrt. Im Folgenden soll, stellvertretend fürdie gesamte Klasse militärischer Handfernglä-ser, nur das EDF im Detail diskutiert werden.

Das Zeiss Jena 7x40 EDF (Einheits-

Doppelfernrohr) der Nationalen Volksarmee

Abbildung 1.7: EDF 7x40 (Tele-)Objektiv mitLuftspalt (Scan aus der Instandsetzungsvor-schrift)

der ehemaligen DDR erzielt auf dem Ge-brauchtwarenmarkt noch heute Preise um die500 Euro. Es ist ein gutes Beispiel für denenormen Aufwand, den man in Jena noch inden späten 1970er Jahren bei der Entwick-lung von Militäroptiken betrieben hat. Al-brecht Köhler berichtet auf seiner Webseite3,daß die Entwicklung dieses Fernglases, inklu-sive diverser Feldtests mit Versuchspersonen,nicht weniger als 10 Jahre in Anspruch genom-men hat. Das Resultat war ein recht kompak-tes Dachkantfernglas — ungewöhnlich für die-sen von Porro-Gläsern dominierten Einsatzbe-reich. Das EDF zeigt dennoch die für Militär-ferngläser typischen Merkmale: Die Einzelo-kularverstellung, die einerseits unkompliziertund robust ist und andererseits das Fernglassicher vor eindringender Feuchtigkeit schützt,eine dicke Gummierung zum Schutz gegen me-chanische Belastungen, und eine eingebauteStrichplatte zur Entfernungsmessung.

Guido Thürnagel liefert auf seiner Web-seite weitere Informationen zu diesem Fern-glas4. Dazu hat er die Instandsetzungsvor-schrift A050/1/501 der NVA ausgewertet, dieinteressante Details zu dem EDF enthält: Diekurze Bauform dieses Fernglases wird durch

3www.akoehler.de, EDF 7x404http://home.arcor.de/thuernagel/edf.htm

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Page 11: Handferngläser: Anwendung, Bewertung und Auswahl · Kapitel 1 Anwendungsprofile für Handferngläser Abbildung 1.1: Das Swarovski 8.5x42 EL (Swarovision, links) und sein Vorgänger

Abbildung 1.8: EDF 7x40 Okular: Eine unge-wöhnliche Bauart (Scan aus der Instandset-zungsvorschrift)

ein Tele-Objektiv Design mit Luftspalt erzielt,wodurch die mechanische Baulänge kürzer alsdie Brennweite ausfällt. Bei dem Okular mit3-1-1 Konstruktion (wobei die 3-er Gruppe so-gar noch einen Luftspalt zu haben scheint)muß es sich um eine komplett unabhängigeEntwicklung handeln — man achte insbeson-dere auf die konkaven Linsenaußenflächen so-wohl bei der Feld- als auch bei der Augenlinse.Es liefert einen sehr großen Austrittspupillen-Längsabstand von >20mm bei einem aller-dings nur mäßigen scheinbaren Sehwinkel von53 Grad. Die Abbildungsleisung ist dafür sehrhoch, und auch die Randschärfe fällt deutlichbesser aus als der bei Militärgläsern üblicheStandard. Das Umkehrsystem ist ein klassi-sches Schmidt-Pechan, noch ohne Phasenkor-rektur, was bei der geringen Vergrößerung von7x allerdings noch nicht ins Gewicht fällt.

Die Instandsetzungsvorschrift A050/1/501der NVA beschreibt die turnusmäßigen Prü-fungen anläßlich der jeweiligen Instandsetzun-gen des EDF:

• Dichtheit: Andrücken-Überdruck: In-nerer Überdruck 50.7 kPa. Forderung:Druckabfall unzulässig.

• Tauchwasserprüfung: Tauchtiefe: 1 m.

Wassertemperatur: 10◦C bis 15◦C nied-riger als Gerätetemperatur (dadurch Un-terdruck im Gerät). Dauer: 1 h. Forde-rung: kein Wasser und Beschlag im In-nenraum.

• Fallprüfung: Fallhöhe: 0,75 m. Rich-tung: auf Breitseite gestreckt liegend, 1Fall.

• Schlagprüfung: Beschleunigung 15 g.Impulsdauer: 5 bis 10 ms. Richtung: 250Schläge auf Objektiv stehend, 150 Schlä-ge auf Breitseite gestreckt liegend, 150Schläge auf Schmalseite gestreckt liegend.

• Schlagprüfung: Beschleunigung 120 g.Impulsdauer: 1 bis 5 ms. Richtung: 2Schläge auf Objektiv stehend, 4 Schlägeauf Breitseite gestreckt liegend, 4 Schlägeauf Schmalseite gestreckt liegend.

• Vibrationsbelastung: Frequenzbe-reich: 30 bis 80 Hz. Beschleunigung: 6 g.Dauer: 2 h auf Objektivseite stehend, 1h auf Breitseite gestreckt liegend, 1 h aufSchmalseite gestreckt liegend.

• Kältebeständigkeit: -50◦C, Dauer 2 h,nachdem die Geräte die geforderte Tem-peratur angenommen haben, Gummiteilebis -40◦C.

• Wärmebeständigkeit: +60◦C, Dauer 2h, nachdem die Geräte die geforderteTemperatur angenommen haben. Forde-rung: Kein Fettauslaufen.

• Zyklische Temperaturprüfung: obereTemperatur: +60◦C, untere Temperatur:-50◦C. Dauer: 5 Zyklen je 2 h. Forderung:Kein Fettauslaufen.

• Lagertemperatur: +80◦C, Dauer 1 h,nachdem die Geräte die geforderte Tem-peratur angenommen haben. Forderung:Kein Fettauslaufen.

• Beständigkeit gegenüber Seenebel:Temperatur: +27◦C. Dauer: 168 h. Zu-sammensetzung: Natriumchlorid 27 g/l,

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Magnesiumchlorid 6 g/l, Kalziumchlorid(wasserfrei) 1 g/l, Kaliumchlorid 1 g/l.Forderung: Keine Korrosion.

Die an Militärferngläser anderer Länder ge-stellten Anforderungen mögen in Details vari-ieren, bewegen sich aber grundsätzlich in ei-nem ähnlichen Rahmen wie die hier angeführ-ten Prüfbedingungen.

Das EDF hatte in seiner ursprünglichen Va-riante einen starken Gelbstich, bedingt durchspezielle Glassorten, die durch den Zusatz vonCeroxid strahlenresistent waren. Nach Aussa-gen Albrecht Köhlers wurde das EDF in denTests auch radioaktiver Strahlung einer Do-sis von 0.8 bis 1.2 × 104 Röntgen pro Stun-de (über eine Dauer von 10 Stunden) aus-gesetzt — für einen Menschen wäre dies das40-fache einer letalen Dosis. Damit sollten zu-mindest die Ferngläser einen nuklearen Aus-tausch überleben, wobei sich die Transmissi-on infolge von Strahlenschäden um nicht mehrals 50% reduzieren durfte. Der Gelbstich istdas Resultat einer hohen Absorption des kurz-welligen (violetten) Lichts und hat in der An-wendung durchaus auch Vorteile: Bei der Ver-wendung am Wasser oder über Schneeflächenwird ein Blenden durch reflektiertes Sonnen-licht verhindert, und bei trübem Wetter wirktder Farbstich kontrastverstärkend. Die effek-tive Gesamtransmission des Fernglases wirdwegen der geringen Gewichtung des Violettenbei der Wahrnehmung nur unwesentlich be-einträchtigt. Eine Vielzahl von Militärfernglä-sern wird aus diesem Grunde zusammen mitGelbfiltern ausgeliefert, die bei Bedarf einenganz analogen Effekt bewirken. Zum EDF gabes zusätzliche Graufilter für den Einsatz unterbesonders intensiven Lichtverhältnissen.

Eine Besonderheit stellen auch die Tele-skopaugenmuscheln aus Weichgummi dar, diesich perfekt der Gesichtsform anpassen undsomit das seitliche Eindringen von Streulichtverhindern. Brillenträger drücken diese Au-genmuscheln weiter zusammen, um den opti-malen Abstand zur Austrittspupille zu finden.Der komplette Fernglaskörper ist von einer di-

Abbildung 1.9: EDF 7x40 Strichplatte, Scanaus der Bedienungsanleitung

cken Gummierung ummantelt, die sich zumReinigen abnehmen läßt, und die Objektivelassen sich mit am Fernglas befestigten De-ckeln aus Hartlastik, die fest einrasten, sicherverschließen.

Das EDF ist, wie nahezu alle Militärfern-gläser, mit einer Strichplatte zum Abschätzenvon Entfernungen ausgestattet. Das militäri-sche Winkelmaß Strich entspricht dabei einerDistanz von einem Meter auf 1000 Meter Ent-fernung. Die Strichplatte enthält meist Mar-kierungen in Abständen von 5 Strich. Ein Sol-dat hat dann die Längen und Breiten von typi-schen Fahrzeugen zu kennen, etwa 2.5m Breiteeines Lastwagens, 4m Breite oder 10m Längeeines schweren Kampfpanzers. Die Entfernungdes Fahrzeugs wird dann mit der sogenanntenMKS-Formel berechnet:

E =M ·K

S, (1.3)

wo M die Breite des Zieles in Meter ist, S diean der Strichplatte abgelesene Breite in Strich,und K der konstante Umrechnungsfaktor 1000(entsprechend 1000m auf 1km). Erstreckt sichalso ein Panzer der Länge M = 10m überS = 5 Strich, dann wäre er etwa 2km entfernt,bei 20 Strich wären es nur 500m. Die Strich-platte des EDF hat als Besonderheit zusätz-lich vertikale Markierungen, die die scheinbareGröße eines Gegenstands der Höhe 2.5m fürunterschiedliche Entfernungen angibt. In ei-

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ner Ausführung des EDF kann die Strichplat-te nach Umlegen eines Hebels auch beleuchtetwerden, wobei als Lichtquelle eine integrier-te, mit radioaktivem Tritium gefüllte und miteiner fluoreszierenden Leuchtschicht umman-telten Glaskapsel dient.

Das Fernglas hat zusätzlich einen internenFilter zur Infraroterkennung, der sich etwasumständlich über das linke Okular einschwen-ken läßt. Dieser Filter war bei den Militärfern-gläsern des Wahrschauer Paktes weit verbrei-tet, in seinem Nutzen allerdings beschränkt:Am Tage läßt er sich über ein Sichtfensterdurch das Tageslicht aktivieren. Dabei werdenElektronen in einer Leuchtschicht durch diePhotonen des Tageslichts in einen angeregtenZustand gehoben, der metastabil ist, weil eindirekter Übergang in den Grundzustand ver-boten ist. Photonen des nahen Infrarot (diedas Sichtfenster aber nicht passieren können)heben diese Elektronen dann in einen weite-ren Zustand, von dem aus sie unter Abgabesichtbaren Lichts zurück in den Grundzustandfallen. In der Nacht lassen sich mit dem ein-geschwenkten Filter auf diese Weise Infrarot-scheinwerfer orten — sie erscheinen als verwa-schener Lichtfleck durch das ansonsten dunkleOkular (der eingeschwenkte Filter läßt prak-tisch kein sichtbares Licht passieren). Gemäßder Bedienungsanleitung des EDF war es aufdiese Weise möglich, einen Infrarotscheinwer-fer der Leistung 45W aus einer Distanz von1500m aufzuklären. Inzwischen sind diese Fil-ter völlig überflüssig, weil keine Armee mehreine Schußfeldbeleuchtung mit Infrarotschein-werfern vornimmt, seitdem sich die Wärme-bildgeräte im Nachteinsatz durchgesetzt ha-ben.

Ein Nachfolger des EDF wird noch heutegebaut, unter dem Namen 7x40 B/GA vonder Firma Docter in Eisfeld. Allerdings hat esinzwischen keine strahlenresistenten (und gel-ben) Gläser mehr, Infraroterkennung und Tri-tiumbeleuchtung sind ebenfalls entfernt, unddie Strichplatte ist nur noch optional vorhan-den. Eine Version mit der Spezifikation 10x42existiert ebenfalls. Diese Geräte gehören sicher

zu den robustesten Ferngläsern, die man fürGeld kaufen kann, allerdings sind das Gewichtvon rund 1kg und die etwas umständliche Ein-zelfokussierung nicht jedermanns Geschmack.

Für die Beobachtung in der Nacht werdenbeim Militär seit langem auch Nachtsichtgerä-te eingesetzt. Diese spielen im zivilen Markt-sektor jedoch eine untergeordnete Rolle undsollen hier nicht im Detail ausgeführt werden.

1.6 Ferngläser zur See

An optische Instrumente, die auf Binnenge-wässern oder gar auf dem offenen Meer Ver-wendung finden, werden besondere Anforde-rungen gestellt. Sonnenlicht wird vielfach ander Wasseroberfläche reflektiert und findetleicht seinen Weg in den optischen Strah-lengang — ausgezeichnete Streulichtresistenzsteht daher ganz oben im Pflichtenheft ei-nes Marinefernglases. Ein solches Fernglas hatauch wasserdicht zu sein, insbesondere aufdem Meer, wenn die Gischt das aggressiveSalzwasser auf dem Instrument verteilt. Beihohem Seegang geht es auch schon mal rup-pig zu, die mechanischen Anforderungen einesMarineglases sind daher mindestens so hochwie die eines Militärfernglases.

Ansonsten sind die gebräuchlichen Spezi-fikationen abhängig von der Dimension desSchiffes: Auf einem Luxusdampfer oder einemFlugzeugträger mit Lagestabilisierung lassensich, fast wie auf dem Festland, montierteGroßferngläser mit hohen Vergrößerungen ein-setzen. Auf kleineren Schiffen macht der See-gang aber jede Beobachtung zu einem schwie-rigen Balanceakt. Das klassische Bootfernglasist daher das 7x50, das eine niedrige Ver-größerung mit einer weiten Austrittspupillevereint. Letztere erleichtert das schnelle An-setzen des Fernglases und den instantanen

Blick, ohne daß die Augenpupillen auf demschwankenden Schiff umständlich auf die Aus-trittspupillen abgestimmt werden müssen. EinPorro-Design erhöht die stereoskopische Tie-fenwahrnehmung, die jedoch auf dem offenen

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Meer wegen der z.T. großen Distanzen nureingeschränkt nutzbar ist. Viele Marinefern-gläser sind zusätzlich mit einem integriertenKompaß ausgestattet, der über ein Sichtfens-ter die Beobachtungsrichtung anzeigt.

Über der Wasseroberfläche macht sich diebei Handferngläsern übliche kissenförmigeVerzeichnung besonders unangenehm bemerk-bar, weil sich während der Beobachtung, beimHeben und Senken des Fernglases, die Hori-zontlinie ständig durchbiegt. Diese Verzeich-nung der Kimm wird als besonders unnatür-lich und unästhetisch empfunden. Es wurdedaher vorgeschlagen, speziell für den Marine-gebrauch verzeichnungsfreie Ferngläser einzu-setzen5, da auch der Globuseffekt über derflachen Wasseroberfläche praktisch nicht zumTragen kommt.

Legendär waren die U-boot Ferngläser ausder Zeit des zweiten Weltkrieges von Zeiss(blc), mit der Spezifikation 8x60, die wei-te Sehfelder mit einer großen Austritts-pupille und einen weiten Austrittspupillen-Längsabstand kombinierten. Dazu wurden beider sog. zweiten Bauform Porro II Prismeneingesetzt, die das Fernglas weniger klobigausfallen ließen. Nach Einschätzung mancherFernglasexperten repräsentieren diese Geräteeinen historischen Höhepunkt der Fernglas-technik, weil kein Handfernglas jemals wiederähnlich hohe Standards bzgl. Einblickverhal-ten und Beobachtungskomfort erreichen konn-te.

Gute, auf den Marinebedarf spezialisierteFerngläser gibt es allerdings auch heute noch.Auf keinen Fall sollte man hier alternativ zubilligen Importen aus Fernost greifen — Pro-bleme mit eindringendem Seewasser, Streu-licht und mechanischen Schäden sind unterdiesen Umweltbedingungen vorprogrammiert.Ein Beispiel für ein hochwertiges Marineglasist das Docter 7x50 NAVIDOC, das mit seiner

5Börries von Breitenbuch, persönliche Korrespon-denz, und Hans Seeger, Militärische Ferngläser undFernrohre in Heer, Luftwaffe und Marine/Military Bi-noculars and Telescopes for Land, Air and Sea Service,ISBN 3-00-000457-2 (2002)

Abbildung 1.10: Docter 7x50 NAVIDOC mitKompaß (Sehfeld: 128m/1000m). Auffälligsind die Teleskopaugenmuscheln, die das vonder Seite einfallende Streulicht effektiv ab-schirmen.

Einzelfokussierung absolut wasserdicht ist. Eshat Teleskopaugenmuscheln aus Weichgummi,die das allgegenwärtige seitliche Streulicht ef-fektiv abschirmen, und Prismen, die mitein-ander verkittet sind, was die Anzahl der Luft-Glas Übergänge reduziert und die Justiersta-bilität erhöht. Das NAVIDOC hat auch einegeringe Verzeichnung und vermeidet auf dieseWeise die unatürlichen Krümmungen der Ho-rizontlinie. Unter Seglern beliebt ist auch das7x40 EDF der ehemaligen NVA (Abbildung1.6), das kompakter ausfällt und daher auchmit einer Hand ans Auge geführt werden kann.

In den letzten Jahren wurden zunehmendauch im nicht-professionellen Bereich bildsta-bilisierte Handferngläser eingesetzt, die insbe-sondere auf kleineren Booten ihre Vorteile aus-spielen. Diese werden im folgenden Abschnittseparat diskutiert.

1.7 Fergläser mit Bildstabili-

sierung

Versuche ergaben, daß bei freihändiger Beob-achtung ein durchschnittlicher Beobachter sei-ne maximale relative Fernglasleistung bei ei-ner Vergrößerung von 8x erreicht6. Wie an an-

6Jürgen Nolting, Markus Kiesel: Verwackelt? Be-stimmung der Sichtlinienstabilität stabilisierter Fern-

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derer Stelle bereits diskutiert, ist die relativeFernglasleistung definiert als VF /(m · VA) mitdem Visus VA des unbewaffneten Auges, demVisus VF mit Fernglas (freihändig) und derVergrößerung m. Jenseits von 8x wird die Auf-lösung zunehmend von der Handunruhe beein-trächtigt. Bis zu einer Vergrößerung von etwa10x lassen sich Ferngläser noch sinvoll freihän-dig einsetzen. Von der Fensterbank aus, wenndie Ellenbogen aufgestützt werden können, isteine Erhöhung auf 12x oder, in selten Fällen,bis 15x noch möglich. Dennoch sollte man beiVergrößerungen jenseits 10x lieber zum Stativgreifen, um die Leistung des Fernglases vollausschöpfen zu können. So jedenfalls laute-te die klassische Lehre — mit dem Aufkom-men der Bildstabilisierung sind der freihändi-gen Beobachtung inzwischen jedoch neue Be-reiche erschlossen worden.

Es klingt wie ein Traum, der endlich in Er-füllung geht: Man kombiniert die Bildruhe ei-nes Stativs mit der Flexibilität und Dynamikder freihändigen Beobachtung. Es erscheintdaher auf den ersten Blick seltsam, daß nichtbereits alle hochwertigen Ferngläser mit einerBildstabilisierung ausgestattet sind. Auch da-für gibt es natürlich Gründe: Die Bildstabi-lisierung erfordert eine komplexe Mechanik,und es ist daher extrem schwierig, ein sol-ches Fernglas hinreichend robust für den Be-obachtungsalltag auszulegen. Ein bildstabili-siertes Fernglas ist daher stets empfindlicherals ein konventionelles Fernglas, oder aber er-heblich teurer. Auf jeden Fall ist es schwererund klobiger. Dazu kommt, daß ein solchesGerät (mit wenigen Ausnahmen) eine Strom-versorgung benötigt, die integrierten Batteri-en erfordern zusätzlichen Platz und erhöhendas Gewicht, und bei längeren Touren müs-sen auch noch Ersatzbatterien stets griffbereitmitgeführt werden.

Die vermutlich ersten bildstabilisiertenFerngläser wurden in den 1970er Jahren vonder US-amerikanischen Firma Fraser-Volpe

gläser, DOZ 7, S. 34 (2004)

für das Militär entwickelt7. Unabhängige Ent-wicklungen erfolgten von der weißrussischen(damals sowietischen) Firma Peleng und vonFujinon. Diese erste Generation von Bildsta-bilisierung beruhte auf Prismen, die von derBewegung des Gehäuses entkoppelt werdenkonnten und durch schnell rotierende Krei-sel stabilisiert wurden. Aufgrund der Drehim-pulserhaltung widersetzt sich ein solcher Krei-sel einem äußeren Zwang, und werden mehreredieser Kreisel, die in unterschiedlichen Ebenenrotieren, an das Prisma gekoppelt, so bleibtdieses lagestabil innehalb des vorgegebenenmechanischen Spielraums. Diese kreiselstabi-

lisierten Ferngläser waren extrem teuer undschwer, und bis zum Zusammenbruch der So-wietunion, als die ersten Peleng Modelle aufdem Gebrauchtwarenmarkt auftauchen, nichtauf dem freien Markt zu erwerben.

Im Jahre 1990 stellte Zeiss dann einen kom-plett unterschiedlichen Ansatz zur Bildstabi-lisierung vor: Beide Prismen sind hier festmiteinander verbunden und gemeinsam übereine federgedämpfte kardanische Aufhängungmit dem Gehäuse gekoppelt. Bewegt sich dasGehäuse, so reagiert das Prismensystem auf-grund seiner Massenträgheit mit Verzögerung,und die überdämpfte Federung wirkt wie einTiefpaßfilter, der hochfrequente Schwingun-gen unterdrückt. Diese Trägheitsstabilisierung

benötigt keine Stromquelle und wurde imZeiss 20x60 S eingesetzt. Das Zeiss funktio-niert gut, ist aber mit 1660 Gramm rechtschwer und unhandlich und noch immer zuteuer für den durchschnittlichen Konsumen-ten. Eine Variation dieser Bauweise, bei derallerdings das Lichtbündel durch viel zu klei-ne Prismen erheblich beschnitten wurde, gabes auch aus russischer Herstellung.

Erst mit der Integration moderner Mi-kroelektronik in den späten 1990er Jahrenwurden stabilisierte Ferngläser leichter, bil-liger und somit interessant für den nicht-professionell orientierten Marktsektor. Auch

7G. Parker, The story of stabilized binoculars, NewScientist, p. 5441, Nov. 1978

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Abbildung 1.11: Canon 18x50 IS (Sehfeld:65m/1000m), ein Gerät mit einem relativ ge-ringen Gewicht von 1200g. Foto: Canon Inc.

hier existieren unterschiedliche Ansätze fürden Mechanismus der Stabilisierung: Beimsog. Vari-angle Prinzip befindet sich im Strah-lengang eine doppelte Glasscheibe, deren Zwi-schenraum mit einer ölartigen Flüssigkeit ge-füllt ist. Dieser Zwischenraum ist von einemflexiblen Balgen umschlossen, der das Öl amAuslaufen hindert. In der Nullstellung ste-hen die Platten parallel zueinander, so daßdas gesamte optische Bauelement sich wie ei-ne einzige planparallele Platte verhält. UnterVerwendung von Elektromagneten lassen sichdie Platten gegeneinander verkippen, wodurchder Lichtkegel anstelle einer Planplatte jetztein Prisma durchläuft und entsprechend seit-lich versetzt wird. Auf diese Weise lassen sichZitterbewegungen des Gehäuses ausgleichen,die gleichzeitig über elektronische Beschleu-nigungssensoren registriert werden. Diese Me-thode der Stabilisierung ist in den Canon ISModellen realisiert, die sich durch ein rela-tiv geringes Gewicht auszeichnen, allerdingsfür einen harten Einsatz nicht ausgelegt sind.Ein anderer Zugang zur Stabilisierung ist überein direktes Verstellen der Umkehrprismen un-ter Verwendung kleiner Elektromotoren mög-lich. Diese Methode wird unter anderen in denTechno-Stabi Ferngläsern von Fujinon verwen-det.

Die Arbeitsgruppe um Jürgen Nolting vonder Fachhochschule Aalen hat Messungen

durchgeführt, in denen die Effektivität derverschiedenen Stabilisierungssysteme vergli-chen wurde8. Dabei wurden die Ferngläservon Versuchspersonen so gehalten, daß nur einOkular zur Beobachtung genutzt wurde, wäh-rend eine kleine Videokamera durch das zwei-ten Okular jede Zitterbewegung aufzeichnete.Verglichen wurde das 14x40 Techno-Stabi vonFujinon mit dem 18x50 IS von Canon unddem 20x60 S von Zeiss. Die Vorteile der Sta-bilisierung wurde bei allen drei Exemplarenklar aufgezeigt. Die elektronische Stabilisie-rung zeigte sich jedoch der mechanischen ins-gesamt überlegen: Beim Zeiss gab es spezielleVibrationsfrequenzen, etwa um 4.5 Hz, 11 Hzund 17 Hz, die sehr effektiv unterdrückt wur-den, während bei 7 Hz, 14 Hz und 21 Hz dieStabilisierung praktisch wirkungslos war. Diessind typische Eigenschaften eines mechanischgedämpften Systems, das unvermeidbare Re-sonanzen aufweist. Mit den elektronisch sta-bilisierten Ferngläsern war die Dämpfung beiFrequenzen jenseits von 5 Hz stets nahezu per-fekt. Das Fujinon zeigt dann noch Vorteile ge-genüber dem Canon bei Schwingungen großerAmplitude, und das Canon kann den Vorteileiner schnelleren Antwort nach Drücken desStabi-Knopfes für sich verbuchen.

Zusammenfassend kann man sagen, daß dieelektronische Stabilisierung, die von Canon,Fujinon und inzwischen auch von einigen wei-teren Herstellern eingesetzt wird, den rein me-chanischen Ansatz von Zeiss überlebt hat, undletzterer nur dann noch von Vorteil ist, wennauf die Stromversorgung unbedingt verzichtenwerden muß. Das Vari-angle System von Ca-non funktioniert sehr gut bei hochfrequentenZitterbewegungen kleiner Amplituden von we-niger als 1 Grad, d.h. freihändige Beobach-tung, auf festem Untergrund stehend. Dar-über hinaus sind die Canon IS Modelle rechtleicht und preiswert, aber nicht sonderlich ro-bust. Die Fujinon Techno-Stabi Modelle (und

8Jürgen Nolting, Markus Kiesel: Verwackelt? Be-stimmung der Sichtlinienstabilität stabilisierter Fern-gläser, DOZ 7, S. 34 (2004)

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nahezu identische, unter dem MarkennamenNikon angebotene Modelle) sind eher für denprofessionellen Gebrauch ausgelegt, kompen-sieren auch Schwingungen größerer Amplitu-den bis etwa 5 Grad und können somit auchvon Fahrzeugen oder kleinen Booten aus ver-wendet werden. Im Vergleich zu den Canon ISgelten sie als robuster, sind dafür aber auchrecht schwer und teuer. Mittlerweile gibt essogar kreiselstabilisierte Ferngläser, die für zi-vile Anwendungen konzipiert sind, wie das Fu-jinon Stabiscope oder das Fraser-Volpe Avia-tor. Diese Ferngläser sind nochmals robusterausgelegt, aber auch entsprechend schwer: Mit40mm Objektiven wiegen sie um die 2kg. Beiextremen Vibrationen, wie sie etwa in Hub-schraubern auftreten, bieten diese kreiselsta-bilisierten Ferngläser jedoch die einzige befrie-digende Lösung, weil hier auch die Techno-Stabi Geräte aufgrund der Drehzahlbegren-zung der Stellmotoren überfordert sind.

Aus Kreisen der Amateurastronomen gibtes durchwachsene Berichte über die Vorteilestabilisierter Handferngläser. Auf der positi-ven Seite wird ein Gewinn bei der Grenzgrößelichtschwacher Sterne verbucht. Auf der an-deren Seite gibt es auch Berichte über eineunsaubere Sternabbildung bei aktivierter Sta-bilisierung. Es ist wohl so, daß ein stabilisier-tes Handfernglas bei der astronomischen An-wendung keinen vollwertigen Ersatz für einmontiertes Fernglas darstellt. Dazu kommt,daß diese Ferngläser meist zu kleine Aus-trittspupillen aufweisen, um für die astrono-mische Beobachtung von Nutzen zu sein. Tat-sächlich fällt der Haupteinsatzbereich dieserFerngläser in die Tagesbeobachtung, entwe-der von schwankendem Untergrund aus, oderwann immer weite Distanzen überbrückt wer-den müssen. Ein klassisches Beispiel für denletzteren Fall wäre eine Kreuzfahrt, auf derman vom Schiff aus kilometerweit entfernteKüstenstriche beobachten möchte.

Das letzte Wort zur Bildstabilisierung beiHandferngläsern ist noch lange nicht gespro-chen. In den kommenden Jahren ist ein weite-rer Fortschritt auf diesem Gebiet der Fernglas-

technologie schon vorprogrammiert, so daßman in absehbarer Zeit mit kompakten, leich-ten und hochklassigen Stabi-Ferngläsern rech-nen darf, die den Vergrößerungsbereich zwi-schen 8x und 20x revolutionieren werden.Noch höhere Vergrößerungen werden auch inZukunft von einem Stativ aus genutzt werden,weil die erforderlichen Objektivdurchmesserdas Instrument zu schwer für den Handge-brauch machen.

1.8 Die Kompakten

Kompaktferngläser definieren eine Klasse vonOptiken, die, etwas salopp gesprochen, für dieWestentasche konzipiert sind. Diese Gerätehaben meist Objektivdurchmesser im Bereichvon 20-25mm und wiegen typischerweise nur300-400 Gramm. Sie sind auf maximale Mo-bilität ausgelegt, und es ist nicht erstaunlich,daß man dabei Abstriche in der Leistung sowieim Beobachtungskomfort hinnehmen muß.

Der kleine Objektivdurchmesser führt zukleinen Austrittspupillen: Ein 8x24 Fernglashat noch 3mm, ein 10x24 nur noch 2.4mm Pu-pillendurchmesser. Dies sind daher ausgespro-chene Tageslicht-Spezialisten: Selbst in derfrühen Phase der Dämmerung, im Wald, oderbei trübem Wetter muß man damit leben, daßdie Austrittspupille bereits die Augenpupillebeschneidet und somit ein dunkles, detailar-mes Bild liefert. Um Gewicht einzusparen, ver-zichten nahezu alle Hersteller von Kompakt-ferngläsern auf weite Sehfelder, und scheinba-re Sehwinkel von 50 Grad sind daher Standard— ein Panoramablick ist ausgeschlossen. Fer-ner bleibt in den engen Tuben wenig Platz fürStreulichtfallen, so daß diese Ferngläser un-ter Gegenlichtbedingungen nicht selten Pro-bleme mit dem Kontrast bekommen. Die klei-nen Objektive implizieren meist auch kürzereBrennweiten, und die Okulare müssen wegenm = F/f ebenfalls eine kürzere Brennwei-te haben, um die vorgegebene Vergrößerungzu liefern. Kurzbrennweitige Okulare implizie-ren aber meist auch kurze Austrittspupillen-

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Abbildung 1.12: Sowietisches 6x24 der FirmaKOMZ (Sehfeld: 200m/1000m), eine sinnvolleVariante des Kompaktfernglases.

Längsabstände, wodurch die Kompakten ei-nen schlechten Einblick bekommen, insbeson-dere für Brillenträger. Schließlich ist auch klar,daß solche Ferngläser nicht besonders robustausfallen, da man aus Gewichtsgründen aufeine solide Fokussiermechanik oder schwereGummiarmierungen verzichten muß. Das Fo-kussierrad ist filigran und mit Handschuhenkaum zu bedienen, und es bereitet Mühe, daskleine und leichte Fernglas bei Vergrößerun-gen von 8x bis 10x ruhig zu halten.

Aus all diesen Gründen sollte man Kom-paktferngläser stets als eine Notlösung be-trachten. Als solche leisten sie gute Dienste,denn es ist immer besser, ein kompaktes Glasmit Abstrichen in der Leistung dabei zu ha-ben als gar kein Fernglas. Man möge keines-falls in die Falle tappen und glauben, die De-fizite dieser Fernglasklasse durch die Wahl ei-nes teuren Premiumglases eliminieren zu kön-nen: Die oben angesprochenen Einschränkun-gen sind physikalischer Natur und lassen sichgrundsätzlich nicht vermeiden. Allerdings gabes in der Vergangenheit bereits Lösungen, beidenen einige dieser Nachteile vermieden wer-den konnten. Der wichtigste Zugang zur Pro-blemlösung ist die Wahl einer Vergrößerung,die den relativ kleinen Objektivdurchmesserndieser Fernglasklasse Rechnung trägt.

Als positives Beispiel sei zunächst das so-wietische 6x24 Fernglas der Firma KOMZ

genannt: Passend zum Objektivdurchmesservon 24mm wurde eine relativ geringe Ver-größerung von 6x gewählt. Das Fernglas hatauf diese Weise eine ordentliche Austrittspu-pille von 4mm, einen gewaltigen Sehwinkelvon 11.4 Grad (etwa 68 Grad scheinbarenSehwinkels), ist ruhig und stabil zu halten,und der Austrittspupillen-Längsabstand von15mm bewegt sich in Bereichen, wie man sievon 8x30 Ferngläsern her kennt. Ein Nach-teil ist sein verhältnismäßig hohes Gewichtvon knapp 500g, mit dem es ebenfalls beinahein den Bereich der leichtesten 8x30 Fernglä-ser vordringt. Eine noch genialere Lösung wardas Leitz 6x24 Amplivid, ein Dachkantglasmit einem kompakten Spiegel-Prisma Um-kehrsystem, das sogar einen 12 Grad wei-ten Sehwinkel liefern konnte, bei allerdingskurzem Austrittspupillen-Längsabstand von11mm. Dafür brachte es nur 350g auf die Waa-ge. Ein echtes Fliegengewicht war das Zeiss Je-na 6x18 Kompaktglas, dessen 170g allerdingsmit einem Tunnelblick und viel Plaste erkauftwerden mußten.

Die erwähnten positiven Ansätze für Kom-paktferngläser werden heutzutage, zumindestim Marktsektor hochwertiger Geräte, leidernicht mehr umgesetzt. Die Premiumherstellerbieten ausschließlich engsichtige Kompaktglä-ser mit zu hohen Vergrößerungen und zu klei-nen Austrittspupillen an. Offensichtlich han-delt es sich hier um ein Marketingproblem:Ferngläser mit niedrigen Vergrößerungen las-sen sich nicht so leicht an den Mann brin-gen. Hier herrscht Aufklärungsbedarf, denndie Botschaft, daß weniger in manchen Fäl-len mehr bedeutet, gilt ganz besonders für denVergrößerungsfaktor bei den Kompaktfernglä-sern.

1.9 Operngläser

Eine eigene Sonderkategorie der Kompakt-ferngläser bilden die Operngläser. Sie dienendem Zweck, einem Betrachter das Geschehenauf der Bühne heranzuführen, ohne dabei den

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Abbildung 1.13: 2.3x40 Opernglas (Sehfeld:>400m/1000m), original aus sowietischer Her-stellung, hier ein chinesisches Fabrikat.

Sehwinkel allzu sehr zu beschneiden, damitder Überblick nicht verlorengeht. Aus diesemGrunde werden die Operngläser mit niedrigenVergrößerungen im Bereich 2-4x ausgestattet.Hier findet die galileische Bauform noch ih-re Nische, denn aufgrund der fehlenden Um-kehrprismen bauen sie extrem kurz und wir-ken daher weniger indiskret oder aufdringlich.Wie bereits angesprochen, befindet sich dieAustrittspupille bei diesen Ferngläsern im In-nern des Gerätes, und infolge dessen hängt dasSehfeld einer solchen Optik kritisch von derDistanz zwischen Auge und Okularlinse ab.Man neigt dazu, möglichst nah an das Gerätheranzurücken, und nimmt dennoch stets eineverwaschene, undefinierte Sehfeldbegrenzungwahr. Das Einblickverhalten dieser Opernglä-ser ist daher schlecht, und mit Brille zieht sichdas Sehfeld zu einem Tunnel zusammen.

Ein Beispiel für ein recht gelungenes Opern-glasdesign ist das von M. Rusinov entworfene2.3x40, das in den folgenden Jahrzehnten flei-ßig kopiert wurde9. Es liefert einen sehr wei-ten realen Sehwinkel von etwa 20 bis 25 Grad,wobei die Randunschärfe in einem noch er-träglichen Rahmen bleibt. Dieses Opernglasläßt sich durchaus auch in der Astronomie alsÜbersichtsglas einsetzen, das mit seinem Seh-winkel komplette Sternbilder erfassen kann.Dessen optischer Aufbau ist publiziert und in

9M.M. Rusinov, USSR Patent, LEOP, P81, 83-764333/37, SU-974-321

Abbildung 1.14: Aufbau des 2.3x40

Abbildung 1.14 gezeigt10. Es leistet dem Au-tor auch hervorragende Dienste auf Konferen-zen, wann immer die Präsentatoren einen zukleinen Schriftsatz verwenden oder allzu fili-grane Diagramme zeigen.

10Kaichang Lu, Yafei Zhu and Songgao Kang, Newtype of large-angle binocular microtelescopes, SPIEVol. 1527, Current Developments in Optical Designand Optical Engineering, p. 413 (1991)

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Page 20: Handferngläser: Anwendung, Bewertung und Auswahl · Kapitel 1 Anwendungsprofile für Handferngläser Abbildung 1.1: Das Swarovski 8.5x42 EL (Swarovision, links) und sein Vorgänger

Kapitel 2

Testen von Ferngläsern

Wer vor der Anschaffung eines neuen Fern-glases steht, der hat eine enorme Auswahl vonModellen zur Verfügung, unter denen er zuwählen hat. Selbst wenn Format und Preissek-tor bereits weitgehend bestimmt sind, bleibtnoch immer die Wahl zwischen diversen Mar-ken oder Herstellern. Ein Vergleich muß al-so her, der die endgültige Entscheidung fürein bestimmtes Modell erleichtert. Im Internetexistieren diverse Diskussionsforen mit zahllo-sen Erfahrungsberichten, geschrieben von An-wendern mit sehr unterschiedlichen Ansprü-chen und Erfahrungen. Es existieren auchTestberichte in Fachzeitschriften, manchmalmit langen Zahlentabellen, gewonnen in denLabors der einschlägigen Prüfstellen. All dieseInformationen sind hilfreich, sollten aber stetsmit einer gewissen Skepsis betrachtet werden:Am Ende des Tages ist man selbst mit demFernglas unterwegs, und was dann zählt isteinzig und allein die eigene Erfahrung mitdem Instrument. Es gibt daher keinen besse-ren Test als denjenigen, den man selber durch-geführt hat.

Dieses Kapitel soll einige Hinweise geben,wie ein solches Testen in der Praxis aussehenkann. Die hier vorgestellten Methoden sindin keinster Weise die einzig möglichen, habensich in der Praxis jedoch vielfach bewährt. DasKapitel ist in einzelne Abschnitte unterteilt, inderen Verlauf der Testaufwand sukzessive zu-nimmt, vom Schnelltest im Laden bis hin zuausgedehnten Feldtests, die auch ein seriöserHersteller seine Prototypen unterziehen soll-te, und die mehrere Tage in Anspruch neh-

men können. Hier hat jeder selbst zu entschei-den, wie weit er das Spiel treiben möchte. Ei-ne Warnung sei jedenfalls vorweg genommen:Das Testen kann auch zu einem Selbstzweckwerden und dabei am eigentlichen Gebrauchs-wert des Fernglases vorbeizielen. Schließlichsucht man in den einzelnen Prüfungen nachextremen Testsituationen, in denen das Her-vortreten subtiler Mängel provoziert werdensoll. Tritt unter diesen Bedingungen in derTat eine Schwäche zutage, so bedeutet dasnicht automatisch, daß das Fernglas auch beider normalen Anwendung Probleme bereitenmuß. Eine nüchterne und ausgewogene Ana-lyse der Resultate ist daher gefordert, ein As-pekt, den viele Erfahrungsberichte im Internetvermissen lassen.

2.1 Labortests

Labortests werden von den Fernglasherstel-lern routinemäßig im Rahmen der Qualitäts-kontrollen durchgeführt. Hier existieren inter-national genormte Prüfmethoden, nach de-nen sich der Tester zu richten hat. Ähnlichesgilt auch für manche Fachzeitschriften, die diePrüflinge im Rahmen ihrer Produkttests ent-weder in den Labors der Hersteller oder vonunabhängigen Prüfstellen kostenpflichtig un-tersuchen lassen. Die Prüflinge werden aufoptische Eigenschaften und mechanische Ro-bustheit untersucht.

Albrecht Köhler hat auf seiner Internetsei-te eine Aufstellung der Normen aufgelistet,nach denen die optischen Werte geprüft wer-

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Page 21: Handferngläser: Anwendung, Bewertung und Auswahl · Kapitel 1 Anwendungsprofile für Handferngläser Abbildung 1.1: Das Swarovski 8.5x42 EL (Swarovision, links) und sein Vorgänger

den1. Dazu gehören die Messung von Ver-größerung, Eintrittspupille, Austrittspupille,Sehfeld, Austrittspupillen-Längsabstand, Eig-nung für Brillenträger, Fehlsichtigkeitsaus-gleich und Nullpunkt der Dioptrieeinstel-lung (jeweils DIN ISO 14490-1), Grenz-Auflösungsvermögen (DIN ISO 14490-7),Bildgüte (DIN ISO 9336-3), Transmission(DIN ISO 14490-5), Streulicht (DIN ISO14490-6) und binokulare Justierung (DIN ISO14490-2). Die Bildgüte wird über die Kontra-stübertragungsfunktion bestimmt, deren Mes-sung jedoch aufwendig ist. Das Streulicht mißtman mit einer großen Photometerkugel, undzur Prüfung der Brillentauglichkeit gibt es ei-nen eigenen Adapter, der an das Okular ange-setzt wird.

Mechanische Robustheit und Wasserdichtewerden auf sehr ähnliche Weise geprüft wie andem Beispiel des EDF gezeigt (Abschnitt 1.5),also durch Rütteln, Schlagen, unter Wassertauchen, Einfrieren, Rösten und andere Miß-handlungen. Die Stiftung Warentest gibt in ih-rem Testheft (September 2006) einige weitereDetails preis, etwa die Umwelt- und Tempe-raturprüfungen (DIN ISO 10109-4 und DINISO 9022), Stoßprüfungen (DIN 58390) undAbrieb (DIN 58196-4).

Keine dieser Prüfmethoden ist dem Fern-glasbenutzer unmittelbar zugänglich. Wervorhat, sein Fernglas unter besonders niedri-gen Temperaturen zu verwenden, was insbe-sondere Astronomen betrifft, der wird es sichnicht nehmen lassen, den Prüfling mal für ei-ne Nacht in der Gefriertruhe zu lagern undanschließend zu testen, ob Fokussierung undandere mechanische Teile noch immer funkti-onsfähig sind. Ist das nicht der Fall, so wurdenungeeignete Schmiermittel verwendet, die inder Kälte gehärtet sind, was zu einem vorüber-gehenden Totalausfall des Instruments führenkann. Davon abgesehen bleibt dem Käufer je-doch nur die Wahl, den mechanischen Prüfun-gen der Hersteller zu vertrauen, in Internet-Foren nach Langzeiterfahrungen anderer Be-

1www.akoehler.de, Prüfen von Fernrohren

Abbildung 2.1: Weniger zu empfehlen: Testsauf mechanische Robustheit oder Wasserdich-te laufen nicht immer zerstörungsfrei ab (mitfreundlicher Genehmigung: Barry Simon)

sitzer zu suchen und beim Kauf wie auch imEinsatz einen gesunden Menschenverstand anden Tag zu legen. Wer bei seiner Auswahl all-zu sehr auf ein minimales Gewicht Wert legt,der kann nicht gleichzeitig die Robustheit ei-nes Militärglases erwarten, und ein Fernglasder 100 Euro Liga ist aller Wahrscheinlichkeitnach nie auf dem Rütteltisch des Herstellersgewesen.

2.2 Der Schnelltest am Laden-

tisch

In den seltensten Fällen wird ein Käufer dieGelegenheit haben, gleich mehrere Ferngläser,die für den Einkauf in Frage kommen, zwecksausführlicher Tests mit nach Hause zu neh-men. Es ist daher unumgänglich, eine Vorent-scheidung bereits im Laden zu treffen. Mit et-was Erfahrung ist es durchaus möglich, inner-halb von zehn Minuten erstaunlich viel überdie Eigenschaften eines Fernglases zu erfahren,und dieser Abschnitt soll eine kleine Anleitungfür einen solchen Laden-Schnelltest bieten.

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2.2.1 Der allererste Eindruck: De-

sign, Haptik, Ergonomie

Die Werbepsychologie weiß es seit langem,auch wenn der kritische Käufer es gern bestrei-ten mag: Entscheidend ist oft der erste Ein-druck: Bauchgefühl siegt über rationale Be-wertung der technischen Eigenschaften. Es istnicht zu bestreiten, daß ein Fernglas mit an-sprechendem Design und wertigem Äußereneinen bleibenden Eindruck hinterläßt, dessenGlanz auch einzelne technische Schwächen,die in der folgenden Testprozedur aufgedecktwerden mögen, zu überscheinen droht. Einewichtige Aufgabe des Schnelltests besteht alsoauch darin, Funktion vor Schönheit zu setzen,denn letztere wird im späteren Feldeinsatz ei-ne denkbar untergeordnete Rolle spielen.

Schon beim ersten Ansetzen des Fernglasessollten bereits folgende Faktoren Beachtungfinden:

• Läßt sich das Gerät mühelos anpassen,das heißt . . .

• . . . ist die Knickbrücke weder zu leicht-noch zu schwergängig?

• . . . lassen sich die Augenmuscheln, fallsverstellbar, auf einen vernünftigen Ab-stand stellen, so daß das Sehfeld desFernglases weitgehend überblickt werdenkann?

• Entspricht das Sehfeld den Erwartungen,oder hat man es mit einem Tunnelblickzu tun?

• Liegen die Ränder der Augenmuschelnirgendwo unangenehm auf, so daß manbei längerer Anwendung Druckstellen be-fürchten muß?

• Wie ist die Balance des Fernglases? Liegtes sicher und bequem in der Hand?

• Ist die Oberfläche griffig, damit das Fern-glas auch mit verschwitzten Händen odermit Handschuhen noch sicher bedientwerden kann?

Abbildung 2.2: Viele Fernglasanwender möch-ten ihre Geräte auch im Nahbereich einsetzen,daher ist die minimale Naheinstellung zu be-achten

Im nächsten Schritt folgt das Fokussieren aufein geeignetes Testobjekt. Dabei ist, insbeson-dere bei höheren Vergrößerungen, darauf zuachten, daß das Fokussieren ohne ein Umgrei-fen der Hände erfolgen kann und das Fernglaszu jedem Zeitpunkt der Manipulation in deroptimalen Haltung verbleibt. Das Fokussier-rad sollte leichtgängig, aber präzise und ohnejegliches mechanisches Spiel verstellbar sein.Bei dieser Gelegenheit sollte auch gleich derkomplette Fokussierbereich abgefahren wer-den, um zu verifizieren, daß das Fokussierradstets mit identischem Kraftaufwand dreht unddabei nirgends hakt oder anderweitig unre-gelmäßig läuft. Gleiches gilt für die Dioptrie-korrektur, die jedoch schwergängiger drehenoder, alternativ, arretierbar sein sollte, damitsie sich nicht unabsichtlich verstellen kann.

Hat das Fernglas diese ersten Hürden ge-nommen, kann man sich zunächst einem an-deren Kandidaten zuwenden, oder gleich in diezweite Phase der Prüfung übergehen.

2.2.2 Check auf weitere Ausschluß-

Kriterien

Es ist ratsam, sich vor dem Kauf eine Lis-te von KO-Kriterien zusammenzustellen, wel-che die Auswahl der möglichen Kandidatenvon vornherein einschränkt. Wer etwa Insek-

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Page 23: Handferngläser: Anwendung, Bewertung und Auswahl · Kapitel 1 Anwendungsprofile für Handferngläser Abbildung 1.1: Das Swarovski 8.5x42 EL (Swarovision, links) und sein Vorgänger

ten im Nahbereich beobachten will, der wirdein Fernglas, das eine minimale Fokusdistanzvon 5m hat, schnell wieder zur Seite legen. DieNahdistanz läßt sich glücklicherweise auch indem kleinsten Laden bereits überprüfen. Da-bei ist darauf zu achten, daß sich das Test-objekt bequem und ohne allzusehr schielen zumüssen anvisieren läßt. Ferngläser vom Por-ro Typ sind hier weniger geeignet, weil derenweite Objektivabstände wegen der damit ver-bundenen ausgeprägten Parallaxe das Anpei-len von Nahzielen erschweren. So erreicht manbei Dachkantgläsern typische Naheinstellun-gen von 2m oder noch etwas darunter, bei Por-ro Gläsern jedoch nicht unter 3m. Wer sich aneinen bestimmten Drehsinn des Fokussierra-des gewöhnt hat, und nicht vorhat, sich even-tuell umzustellen, der sollte an dieser Stelleüberprüfen, ob in diesem Modell die gewohn-te Drehrichtung vom Nahpunkt Richtung Un-endlich auch wirklich realisiert ist.

Ein unentbehrliches Hilfsmittel für denSchnelltester ist die handliche Taschenlampe,auch wenn diese nicht selten ein Stirnrunzelndes Verkäufers provoziert. Damit sollten al-le sichtbaren Linsenoberflächen auf eventuellvorhandene Schäden abgesucht werden, auchvon der Okularseite her in das Instrument ge-leuchtet und beim gleichzeitigen Blick durchdas Objektiv auf Verschmutzungen im Fern-glasinneren geachtet werden. Ein paar ein-zelne Staubkörner, oder auch Luftblasen imGlas, stellen jedoch kein Problem dar, weil siezu keinerlei Einschränkungen der Abbildungs-leistung führen. Bei dieser Gelegenheit kannauch ein Blick auf die Oberflächenvergütungengeworfen werden. Die verschiedenen Reflexe,hervorgerufen an den Glasoberflächen, soll-ten farbig und möglichst schwach, das heißtvon geringer Intensität sein. Ein heller, weißerReflex deutet hingegen auf eine unvergüteteOberfläche hin. Leuchtet man in den vorderenTubus hinein, so sollten möglichst keine metal-lisch glänzenden Teile zu sehen sein, die späterim Feldeinsatz zu Streulicht führen können.Stattdessen sollte man in matt lackierte Tu-ben blicken, die idealerweise mit zusätzlichen

Abbildung 2.3: Der Blick in den Tubus. Links:Imitat eines Militärfernglases mit metallischspiegelnden Wänden. Rechts: Streulichtblen-den im Zeiss Jena 7x40 EDF (die Reflexestammen vom Blitzlicht, das an den Objek-tiven reflektiert wurde)

Streulichtblenden ausgestattet sind.

Um die Kollimation des Fernglases zu prü-fen, sollte ein möglichst weit entferntes Zielanvisiert werden. Dies kann in einem kleine-ren Geschäftsraum zu Problemen führen, aberes sollte in solch einem Fall möglich sein, sichvor die Tür zu bewegen und ein markantesObjekt zu finden, sei es eine Kirchturmuhroder eine Dachantenne. Beim Fokussieren istdarauf zu achten, daß ausreichend Überhubvorhanden ist, das Fokussierrad also nicht be-reits nahe am Anschlag der maximalen Ent-fernungseinstellung angelangt ist, weil andern-falls bei noch größeren Entfernungen oder beiKurzsichtigkeit des Beobachters keine Reser-ven mehr vorhanden wären. Das Objekt soll-te nach sorgfältigem Einstellen des Ferngla-ses vollständig entspannt zu sehen sein. Ist einSchielen erforderlich, oder gar ein Doppelbildsichtbar, so ist das Fernglas nicht kollimiert.Besteht der Verdacht auf Dekollimation, so istfolgendermaßen vorzugehen: Man schließe einAuge und beobachte das Objekt für einige Zeitnur monokular. Dann öffne man das zweiteAuge. Sieht man für einen kurzen Augenblickdoppelt, so stimmt die Kollimation nicht, auchwenn beide Augen kurz darauf wieder eine Su-perposition beider Bilder erreichen. Ein sol-ches Fernglas würde während einer längerenBeobachtungsphase Kopfschmerzen oder trä-

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Abbildung 2.4: Glücklich darf sich schätzen,wer mehrere Ferngläser zum direkten Ver-gleich zur Hand hat

nende Augen verursachen.Hat das Fernglas alle KO-Kriterien passiert,

so ist es zu einem ernsthaften Anwärter fürden Kauf geworden. Es folgen einige Kurz-tests zur optischen Leistungsfähigkeit. An die-ser Stelle wird man vermutlich noch weiterepotentielle Kandidaten zur Hand haben, sodaß die folgenden Prüfungen idealerweise imdirekten Vergleich erfolgen, mit dem Ziel, dasam besten geeignete Gerät herauszufinden.

2.2.3 Bewertung der optischen

Leistung

Eine endgültige Bewertung der optischen Ei-genschaften ist nur während ausgedehnterFeldtests möglich, aber eine erste Einschät-zung läßt sich durchaus auch innerhalb vonzehn Minuten an einem Messestand, Kaufhausoder Optikfachgeschäft gewinnen.

Gute Testobjekte sind selbstleuchtende Re-klameschilder, die es in Kaufhäusern zuhaufgibt. Man fokussiere sorgfältig auf die Mittedes Sehfeldes und überprüfe dann die Rand-schärfe, indem man einen ausgesuchten Buch-staben langsam durch das Sehfeld schwenkt.Die Kante des Schildes wird im Randbereicheinen Farbsaum zeigen. Man schwenke dieseKante langsam in Richtung des gegenüber-liegenden Sehfeldrandes, währenddessen derFarbsaum in den zentralen Bereichen des Seh-

feldes zunächst verschwindet und dann wie-der auftaucht. Diese laterale chromatische Ab-erration (Farbquerfehler) ist unvermeidbar,sollte sich aber in Grenzen halten. Währenddieses Schwenkvorgangs wird man meist einDurchbiegen dieser Kante beobachten: Diebeiden Enden biegen sich zunehmend von derSehfeldmitte weg, während die Kante in dieRandbereiche des Sehfeldes bewegt wird. Diesist die kissenförmige Verzeichnung, die denGlobuseffekt eliminieren soll. Bleibt die Kan-te bei diesem Test stets schnurgerade, so istdas Fernglas verzeichnungsfrei, und mancheBeobachter werden beim Schwenken dann denGlobuseffekt wahrnehmen. Folgt man hier ei-nem Gegenstand beim Schwenken mit demAuge, so scheint dieser Richtung Rand auchein wenig zusammengedrückt zu werden, weilman in diesem Falle schräg auf den Bild-raum schaut. Die kissenförmige Verzeichnungerzeugt jedoch den Effekt eines konkav ge-krümmten Bildraumes, bei dem eine solcheStauchung nicht mehr auftritt. Diese Verzeich-nung ist daher nicht als Mangel des Fernglasesanzusehen, solange sie nicht zu stark ausfällt.

Befindet sich eine leuchtstarke, möglichstpunktförmige Lichtquelle in Sichtweite, sokann man auf Geisterbilder (Reflexionen anden Glasoberflächen) testen, indem man dieLampe anvisiert und gleichmäßig durch dasSehfeld schwenkt. Es ist auch sinnvoll, die Be-reiche in unmittelbarer Nähe dieser Lichtquel-le anzupeilen, und zwar derart, daß sich dieLampe gerade außerhalb des Sehfeldes befin-det. Auf diese Weise kann man die Resistenzdes Fernglases gegen Streulicht prüfen. Weite-re Details zu diesen Tests werden im nächstenAbschnitt im Rahmen der Feldtests behandeltwerden.

Farbtreue und Transmission des Fernglaseslassen sich am einfachsten mit dem Papiertestüberprüfen, der von Walter E. Schön bereitsvor Jahrzehnten an Fotoobjektiven demons-triert wurde: Man nehme ein weißes BlattPapier und ein Fernglas, das in umgekehr-te Richtung derart gehalten wird, daß dasPapier aus einigem Abstand durch das Ob-

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jektiv betrachtet werden kann. Das Umge-bungslicht sollte möglichst neutral sein, idea-lerweise Tageslicht, aber selbst bei künstli-chem Licht lassen sich bereits recht genaueAussagen über Transmission und Farbstichtreffen. Hier ist es sinnvoll, zwei Ferngläser,eines in der linken und das andere in derrechten Hand, direkt miteinander zu verglei-chen. Ferngläser können an dieser Stelle unter-schiedliche Farbnuancen zeigen, die entwederin Richtung gelb/orange (warme Farbabstim-mung) oder Richtung grün/blau (kühle Farb-abstimmung) tendieren. Eine solche Farbab-stimmung hängt von den charakteristischenTransmissionseigenschaften der Oberflächen-vergütungen oder, falls vorhanden, von derReflexionskurve der Prismenverspiegelung ab.Ein sehr leichter Farbstich ist nicht als Man-gel zu werten, da er bei der Beobachtung keinenachteiligen Folgen hat.

Hat sich während dieser Testprozeduren einKandidat herauskristallisiert, so sollte manabschließend noch einen Blick auf das mit-gelieferte Zubehör werfen. Der Trageriemensollte montiert und auch ausprobiert werden.Gleiches gilt für eventuell vorhandene Objek-tivschutzkappen, die nicht zu lose sein dür-fen. Falls eine Tasche mitgeliefert wird, solltediese nicht zu eng sein, damit das Fernglasschnell und ohne Verstellen der Knickbrückeverstaut werden kann, und gut schließen, sodaß sie sich beim Tragen im Feld nicht un-bemerkt öffnen kann. Mängel beim Zubehörsind jedoch nicht unbedingt als KO-Kriterienzu werten, weil man Zubehör notfalls auch inanderen Fachgeschäften nachkaufen kann.

2.3 Testen im Feld

Erst beim Feldeinsatz in freier Natur offenba-ren sich die subtileren Charaktereigenschafteneines Fernglases. Aus diesem Grunde gehör-ten einst zur Entwicklung eines neuen Fern-glases auch ausgedehnte Feldtests von Proto-typen mit freiwilligen Testern. Die dabei fest-gestellten Mängel konnten dann noch vor der

Abbildung 2.5: Die Natur bietet Lichtverhält-nisse, die sich in einem Labortest nur unzurei-chend simulieren lassen

Markteinführung des Gerätes beseitigt wer-den. Leider wird heutzutage auf eine solcheFeldtestphase aus Kostengründen meist ver-zichtet, und man verläßt sich in den Ent-wicklungsbüros weitgehend auf die Ergebnissevon Computersimulationen, die jedoch stetsnur ein idealisiertes Modell des real existie-renden Fernglases behandeln können. So istes praktisch unmöglich, das Streulichtverhal-ten der Optik allein durch das Raytracing ak-kurat zu beurteilen, denn dazu müsste dasProgramm die Oberflächeneigenschaften einesjeden Schräubchens berücksichtigen, und dieReflektivitäten aller Oberflächen als Funkti-on der Einfallswinkel kennen. Daher ist manzusätzlich auf standardisierte Labortests an-gewiesen, in denen man einige der Streulich-teigenschaften des Gerätes beurteilen kann —andere nicht. Schließlich bietet die freie NaturBeobachtungssituationen und Beleuchtungs-verhältnisse, die bei weitem vielfältiger sindals jeder genormte Labortest. Der Feldeinsatzstellt daher noch immer die eigentliche Feu-erprobe für das Instrument dar, und es istimmer wieder beeindruckend zu sehen, wieauch hochkarätige Premiumgläser in der frei-en Wildnis schon mal an ihre Grenzen stoßen.

2.3.1 Streulichtresistenz

Die Anfälligkeit für Streulicht ist eine sehrcharakteristische Eigenschaft jeder einzelnen

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Abbildung 2.6: Austrittspupillen. Links: Hen-soldt 10x50 Dialyt mit hell beleuchtetenPrismenrändern. Rechts: Zeiss (Oberkochen)10x50, mit gut abgeschirmten Prismen

Optik. Es gibt kein Fernglas, das perfekt ge-gen Streulicht geschützt ist, das auf solch viel-fältige Art und Weisen in den Strahlenganggelangen kann. Der Streulichttest sollte da-her nicht auf eine einzelne Testsituation be-schränkt bleiben, sondern als permanenter Be-standteil der kompletten Testprozedur unterallen erdenklichen Umständen durchgeführtwerden.

Im Prinzip kann Streulicht an jeder Stel-le des Strahlengangs auftreten, und es ist invielen Fällen sogar möglich, dessen Ursprungnäherungsweise zu lokalisieren, ohne das Fern-glas zu öffnen. Man nehme als Beispiel dieAbbildung 2.6, in der die Austrittspupillenzweier Ferngläser zu sehen sind. Man erkenntlinks beim Hensoldt, daß die Austrittspupil-le durch helle Strukturen eingerahmt ist: Hierhandelt es sich um die reflektierenden Kantendes Abbe-König Prismas, das nicht ordnungs-gemäß abgeschirmt wurde. Zusätzlich gibt es,etwa um 4 Uhr, nahe am Rand der Austritts-pupille, eine weitere helle Struktur, Nebenpu-

pille genannt. Diese entsteht, wenn Licht vonaußerhalb des Sehwinkels in das Prisma ein-dringt und über einen alternativen Strahlen-weg das Okular erreicht. In diesem Falle han-delt es sich um ein 10x50 Fernglas, so daßdie Austrittspupille 5mm mißt. Am Tage istdie Pupille des Beobachters stets kleiner als5mm und das Fernglas zeigt ein einwandfreiesBild. Erst in der Dämmerung, wenn die Au-genpupille sich öffnet und dabei Licht von der

Abbildung 2.7: Aufgeschnittenes Fujinon 7x50MTR (mit freundlicher Genehmigung: BillCook).

Nebenpupille und den Prismenrändern auf-nimmt, fällt der Kontrast des Bildes schlag-artig ab. Dies ist ein typischer Fall von Streu-licht, das sich erst unter bestimmten Beleuch-tungsverhältnissen bemerkbar macht.

In der rechten Hälfte von Abbildung 2.6sieht man die Austrittspupille des Zeiss 10x50Porros mit einer weit besseren Abschirmungdes Streulichts. Zwar gibt es auch hier außer-halb der Austrittspupille noch matt leuchten-de Bereiche, aber in einem ausreichend weitenAbstand, um harmlos zu bleiben: Erst wenndie Augenpupille sich deutlich über 6mm wei-tet, besteht die Gefahr, mit diesen Strukturenin Kontakt zu kommen — bis dahin ist es aberbereits so dunkel, daß die hier (bei Tageslicht)fotografierten Aufhellungen bereits nicht mehrzu sehen sind.

In Abbildung 2.7 ist eine Maßnahme zusehen, mit der man die oben angesproche-nen Streulichtprobleme auf effektive Weise mi-nimieren kann: Innerhalb des Objektivtubusexistiert ein zweiter, innerer Tubus, der mattschwarz lackiert und eng an den Strahlenver-lauf des Lichtkegels angepaßt ist. Auf dieseWeise wird Licht, das etwa von links untendurch das Objektiv einfällt, daran gehindert,auf direktem Wege in das obere Porro Prismaeinzudringen und somit unter Umständen eineNebenpupille zu erzeugen. Als weitere Maß-nahme könnte man hier auch direkt vor den

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Prismeneingang noch eine kurze Streulicht-blende plazieren, um die Innenwand des Streu-lichttubus, an der eventuell Reflexe durch sehrschräg streifendes Licht auftreten können, zuneutralisieren.

Ein solcher Streulichttubus ist sehr effek-tiv, erhöht jedoch das Gewicht des Ferngla-ses, so daß oft darauf verzichtet wird. Alter-nativ können stattdessen die matten Seiten-wände des oberen Prismas geschwärzt, unddie beiden reflektierenden Seiten durch einBlech abgedeckt werden. Dieses Blech mußdabei so am Prisma befestigt werden, daßes nicht aufliegt, weil andernfalls die Totalre-flexion verloren ginge. Porro Prismen solltenferner an der Basis eine kleine Kerbe besit-zen, um flach streifendes Streulicht abzufan-gen. Bei Schmidt-Pechan Prismen sollte sichin der Lücke zwischen beiden Prismen eineLochblende befinden, um mögliches Streulichtnochmals zu reduzieren.

Streulicht kann auch jenseits der Prismenam Okular entstehen. Dies ist sehr häufig zubeobachten, wenn das Fernglas für ein wei-tes Lichtbündel ausgelegt ist, das aber nichtvollständig genutzt wird. Ein klassisches Bei-spiel wäre ein 10x42, zu dem ein 8x42 der glei-chen Baureihe existiert. Aus Kostengründenbenutzen beide identische Gehäuse und unter-scheiden sich voneinander nur in den Okula-ren. Da das 8x42 meist ein weiteres Sehfeldhat, sind Blenden und Prismen auf das ent-sprechend weitere Lichtbündel ausgelegt. Dasgroße Zwischenbild wird bei der 10x42 Vari-ante erst durch das Okular beschnitten, weilman den Aufwand spart, sämtliche Streulicht-fallen an die 10x42 Konfiguration anzupassen.In diesem Falle werden spezielle Maßnahmenzur Streulichtunterdrückung im oder vor demOkular benötigt, weil andernfalls Okulartu-bus oder Linsenränder mitten im Strahlenke-gel liegen und somit beleuchtet werden. DieLinsenränder sollten mit einem Speziallack ge-schwärzt werden, was jedoch in Handarbeit er-folgen muß und daher aufwendig ist.

Eine effektive Situation zum Testen aufStreulicht findet man in der Dämmerung,

Abbildung 2.8: Waldrand nach Sonnenunter-gang: Der noch hell erleuchtete Himmel kannhier auf effektive Weise Streulichtproblemedes Fernglases offenbaren

wenn der Himmel noch hell erleuchtet istund Teile der Landschaft bereits im Dunkelnliegen, etwa ein Waldrand in Richtung desSonnenuntergangs. In der Dämmerung sinddie Augenpupillen bereits geweitet, so daßdie notorisch für Streulicht anfälligen Ränderder Austrittspupille von Relevanz sind. Beob-achtet man dann Strukturen im Bereich desWaldrandes, so erkennt man nicht selten ei-nen erheblichen Kontrastverlust, hervorgeru-fen durch schräg von oben (außerhalb des Seh-winkels) einfallendes Licht, das nicht effektivgenug abgeschirmt wird. Um die Wirkungs-weise eines solchen diffusen Streulichts zu ver-stehen, rufen wir uns die Kontrastfunktion inErinnerung:

K =L1 − L2

L1 + L2

. (2.1)

Hier steht L1 für die Leuchtdichte eines Ob-jekts (etwa ein Reh), das vor dem Hintergrundder Leuchtdichte L2 (Baumstämme) aufzuklä-ren ist. In der dargestellten Situation sind bei-de Leuchtdichten unter den Schatten spenden-den Bäumen bereits recht gering, und die Dif-ferenz L1 − L2 ist nochmals geringer. Jetztnehmen wir ein über das gesamte Sehfeld hin-weg homogenes Streulicht der Leuchtdichte Ls

an, das zu den beiden anderen Leuchtdichtenaddiert werden muß. Auf diese Weise erhalten

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Abbildung 2.9: Schematischer Aufbau des so-wietischen BPO 7x30 (aus dem beiliegendenHandbuch)

wir den neuen Kontrast zu

K =L1 − L2

L1 + L2 + 2 · Ls

, (2.2)

und dieser kann je nach Intensität Ls erheblichgeringer ausfallen.

Streulicht, das nahe am oder innerhalb desOkulars entsteht, erzeugt meist einen diffusenSchleier, der jedoch auf die Randbereiche desBildes begrenzt bleibt. Tritt das Licht nur vonoben in den Tubus ein, wie es beim Waldrandin der Dämmerung der Fall ist, so beobach-tet man oft einen diffus leuchtenden sichel-förmigen Schleier im unteren Randbereich desSehfeldes. Objektive mit Luftspalt sind eben-falls anfällig für Streulicht, insbesondere dann,wenn sie nicht perfekt auspoliert sind. In die-sem Falle beobachtet man einen nahezu gleich-förmigen Kontrastverlust des kompletten Bil-des (‘whiteout’), der sich jedoch mit selbst-gebastelten Streulichtblenden, die einfach aufdie Objektivfassungen geschoben werden, ef-fektiv eliminieren läßt. Die Hersteller solltensich diesen Effekt zunutze machen und aus-ziehbare Gegenlichtblenden, wie es sie seit vie-len Jahren bei Kameraobjektiven gibt, in Be-tracht ziehen. Das allgemeine Streulichtver-halten eines Fernglases könnte durch diesen —technisch betrachtet — recht simplen Zusatzerheblich verbessert werden.

2.3.2 Geisterbilder

Geisterbilder entstehen durch Reflexe hellerObjekte an Luft-Glas Übergängen. Streng ge-nommen handelt es sich bei Geisterbildernebenfalls um Streulicht, jedoch sollten sie auf-grund ihrer besonderen Entstehungsweise undihrer diagnostischen Relevanz separat behan-delt werden. Die Abbildung 2.9 läßt erahnen,an wievielen Stellen das einfallende Strahlen-bündel auf eine Glasoberfläche trifft, bevores schließlich die Austrittspupille erreicht. Ei-ne unvergütete Glasoberfläche reflektiert et-wa 5% des einfallenden Lichts, mit Einfach-vergütung sind es etwa 1.5%, mit modernerMehrfachvergütung weniger als 0.5%. Das re-flektierte Licht wird in die entgegengesetzteRichtung zurückgeworfen, kann dort abermalsauf eine Glasoberfläche treffen und im ungüns-tigsten Falle wieder in das einfallende Strah-lenbündel gelangen. Auf diese Weise entstehtein zweites, mehr oder weniger unscharfes Ab-bild eines Gegenstandes.

Die Entstehung eines solchen Geisterbildeserfordert daher eine gerade Anzahl von Reflek-tionen, wobei man im Falle von zwei Reflek-tionen von einem Geisterbild erster Ordnungspricht, im Falle von vier Reflektionen von ei-nem Geisterbild zweiter Ordnung, und so fort.Bei modernen Vergütungen sind nur Geister-bilder erster Ordnung von Belang, und die-se haben, bei einer Transmissivität von T =0.995 bereits eine um den Faktor (1 − T )2 ≈

0.000025 geringere Intensität als das direkteAbbild des Gegenstandes. Damit ist klar, daßsolche Geisterbilder nur in der Nacht an hellenLichtquellen zu beobachten sind. Der Faktor0.000025 entspricht in der Astronomie einerVerminderung um mehr als elf Größenklassen,so daß der Mond als einziges nächtliches Him-melsobjekt in der Lage ist, sichtbare Geister-bilder zu generieren.

Bei älteren Ferngläsern mit Einfachvergü-tung liegt die Transmissivität einer Glasober-fläche bei T = 0.985 und die Intensität desGeisterbildes um den Faktor (1 − T )2 ≈

0.00023 geringer als das Original, was einer

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Abbildung 2.10: Lichter unterschiedlicher In-tensität dienen dem Test auf Geisterbilder

Verminderung um neun Größenklassen ent-spricht, so daß die Venus unter ungünstigenUmständen bereits sichtbare Geisterbilder er-zeugen kann. Schlimmer wird es, wenn dasFernglas nicht vollvergütet ist, sondern ausKostengründen einzelne Oberflächen unvergü-tet bleiben. Dies ist bei billigen Ferngläsernnicht selten der Fall — oft verzichtet man hierauf die Vergütung der Prismenflächen. In die-sem Fall kann zwischen nicht-verkitteten Por-ro Prismen ein Geisterbild generiert werden,das sich von dem Originalbild um den Faktor(1 − 0.95)2 ≈ 0.0025 unterscheidet, und dassind nur noch etwas über sechs Größenklassen.Die hellsten Sterne und Planeten können hieralso bereits störende Reflexe erzeugen, und einStadtpanorama erzeugt in der Nacht dann einFeuerwerk von Geisterbildern.

Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, daßhelle, möglichst punktförmige Lichtquellen dieidealen Testobjekte für eine Analyse der Geis-terbilder darstellen. Dazu wird die Lichtquel-le, etwa eine 300m entfernte helle Straßen-laterne, durch ein langsames Schwenken desFernglases über das Sehfeld gefahren, und da-bei Anzahl und Intensität der Geisterbilderbegutachtet. Auf diese Weise ist es möglich,Erkenntnisse über die Qualität der Vergütun-gen zu Gewinnen. Allerdings muß betont wer-den, daß es noch weitere Faktoren gibt, dieihren Einfluß auf die beobachtbaren Geister-bilder geltend machen. Einzelheiten des opti-

schen Aufbaus des Instruments können Grö-ße, Intensität und Position der Geisterbilderbeeinflussen. Befindet sich eine Glasoberflächesehr nahe an der Fokalebene, so trifft an dieserStelle das Abbild einer punktförmigen Licht-quelle nahzu perfekt fokussiert und mit einerhohen Leuchtdichte auf das Glas, wobei ent-sprechend auffällige Reflexe entstehen können.Dies ist nicht selten bei Militärferngläsern zubeobachten, die an ihren Strichplatten beson-ders störende Geisterbilder generieren.

Bei Dachkantgläsern tritt in diesem Expe-riment ein weiterer Effekt auf, der bei PorroGläsern abwesend ist: Die Dachkante durch-teilt das Sehfeld wie ein sehr feiner Faden.Dabei entsteht ein Beugungseffekt, der sichbei der Beobachtung der Straßenlaterne alsein kurzer Lichtbalken bemerkbar macht, dermitten durch das Abbild der Lichtquelle läuft.Dieser ’Spike’ ist senkrecht zur Richtung derDachkante orientiert, und da beide Dachkan-ten des linken und rechten Tubus unterschied-liche Orientierungen haben, erscheint dieserBeugungseffekt beim binokularen Sehen wieein Lichtkreuz, in dessen Zentrum die Licht-quelle sitzt. Die Intensität dieser sich kreu-zenden Lichtbalken scheint eine Funktion derDachkanten-Dicke zu sein, so daß eine hoch-genau geschliffene Dachkante hier geringereReaktionen hervorruft als eine weniger auf-wendig geformte Dachkante. Es ist allerdingsauch der Fall, daß die für Dachkantgläser ty-pische Phasendifferenz beider Halbstrahlen ei-nen ganz ähnlichen strahlenartigen Effekt ver-ursacht2. Falls also die Phasenkorrektur nurunvollständig gelungen sein sollte, dürften An-teile dieses Spikes auch dem mangelhaften P-Belag angelastet werden.

Abgesehen von diesen Spikes müssen die Po-sitionen der Geisterbilder der Rotationssym-metrie des optischen Systems Rechnung tra-gen. Aus diesem Grunde liegen alle Geisterbil-der exakt übereinander, wenn das Abbild der

2Adolf Weyrauch und Bernd Dörband, P-Belag:Verbesserte Abbildung bei Ferngläsern durch phasen-korrigierte Dachprismen, Deutsche Optikerzeitung,Nr. 4 (1988)

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Straßenlaterne sich im Zentrum des Sehfeldesbefindet. Bewegt man das Bild von der Mit-te weg, so verschieben sich alle Geisterbilder,auf eine Weise, daß sie stets auf einer Geradenliegen, die durch das Abbild der Lichtquelleverläuft. Wird beispielsweise das Bild der La-terne nach links verschoben, so bewegen sichalle Geisterbilder, die diesseits der Fokalebene(Nahe dem Auge) entstehen, nach rechts, unddiejenigen Geisterbilder, die jenseits der Fok-alebene (Richtung Objektiv) entstehen, nachlinks, aber schneller als das Hauptbild, so daßsie stets eine gerade Linie bilden. Auf dieseWeise gelingt es mit etwas Erfahrung sogar,Informationen über den optischen Aufbau derInstruments zu gewinnen.

In manchen Fällen beobachtet man nebendem Bild der Laterne ein zweites, meist un-scharfes Abbild, dessen Position sich relativzum Hauptbild nicht ändert, auch wenn bei-de innerhalb des Sehfeldes verschoben werden.Dieses entsteht meist nur in einem der bei-den Tuben und verschwindet, wenn man mo-nokular durch das andere Okular beobachtet.Hier handelt es sich um einen Reflex, der auf-grund eines ungenau geformten Prismas ent-steht. Dies ist nicht selten bei billigen Dach-kantgläsern zu beobachten, falls die sehr gerin-ge Toleranz für den 90◦ Dachkantwinkel nichteingehalten wurde.

Der Test auf Geisterbilder liefert folglich ei-ne Fülle von Informationen über den Zustanddes optischen Istruments. Einschränkend soll-te aber darauf hingewiesen werden, daß es sichhier um einen extrem empfindlichen Test han-delt — die Diagnosen betreffen Reflexe, diezum Teil zehntausend mal schwächer sind alsdas Hauptbild. Das Auffinden einzelner Geis-terbilder an einer Straßenlaterne in der Nachtimpliziert also nicht unbedingt Qualitätsein-bußen bei der konventionellen Anwendung desFernglases, und ist daher auch nicht auto-matisch ein Grund zur Beunruhigung. Dahersollte man nicht der Versuchung erliegen, beieinem Vergleichstest hochwertiger Ferngläsereventuell beobachtete feine Unterschiede inden Geisterbildern als Qualitätskriterien her-

anzuziehen. Dieser Test dient vielmehr als einkurzer ‘Checkup’ weniger hochwertiger Fern-gläser auf möglicherweise unvergütete Glas-oberflächen, schlecht geschliffene Dachkantenoder unpräzise geformte Prismen.

2.3.3 Randschärfe

Ein Stern ist eine mathematisch perfektePunktlichtquelle, und daher ein ideales Test-objekt für die Güte der Abbildung. Zu beach-ten ist dabei, daß Abbildungsfehler sowohl imFernglas als auch im Auge auftreten, und daßman aus diesem Grunde bei der Interpretati-on der Beobachtungen mit Bedacht vorgehenmuß. Ein heller Stern erscheint den meistenBeobachtern nicht punktförmig, sondern et-was zerfasert, mit spitzen ‘Zacken’. Dies hängtmit der sphärischen Aberration des Auges zu-sammen und hat mit dem Instrument nichtszu tun. Dieser Effekt verschwindet jedoch beilichtschwächeren Sternen sehr schnell, so daßSterne zweiter bis dritter Größenklasse sichbesser als Testobjekte eignen als die allerhells-ten Sterne. Selbstverständlich sollte ein Be-obachter, der unter Astigmatismus leidet, nurmit seiner individuell angepaßten Brille beob-achten.

Jedes brauchbare Fernglas hat einen Sternin seiner Sehfeldmitte perfekt punktförmig ab-zubilden, und ist das einmal nicht der Fall,dann hat man es mit einer grob fehlerhaftenOptik zu tun, bei der man auf ein weiteresTesten bereits verzichten kann. Schwenkt manden Stern nun langsam Richtung Sehfeldrand,dann wird man eine zunehmend unscharfeAbbildung feststellen. Die Entscheidung, biswann ein Stern noch perfekt erscheint undab wann man ihn unscharf nennt, ist sehrindividuell, jedoch konsistent bei einem Be-obachter, der mehrere Ferngläser miteinandervergleicht und dabei dasjenige mit der bes-ten Randschärfe auszuwählen hat. Denkt mansich eine imaginäre radiale Linie vom Zen-trum bis zum Rand, versehen mit Markie-rungen von Null (Zentrum) bis 100% (Rand),so zeigt ein durchschnittliches Fernglas meist

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punktförmige Sterne innerhalb eines Berei-ches, der innerhalb der 60% Markierung liegt.Eine gute Randschärfe ist geboten, wenn sichdieser Bereich bis etwa 80% erstreckt, undin seltenen Fällen findet man punktförmigeSterne bis etwa 90% Richtung Sehfeldrand.Selbstverständlich schneiden hier Ferngläsermit kleinen Sehfeldern meist besser ab alsWeitwinkelgläser. Es kann daher bei einemVergleich mehrerer Ferngläser gleicher Vergrö-ßerung auch sinnvoll sein, anstelle des prozen-tualen Bereichs lieber den absoluten Bereichder perfekten Abbildung (in Grad) anzuge-ben.

Die beobachtbare Randunschärfe ist nahe-zu immer ein Resultat mehrerer Aberratio-nen, die gleichzeitig zum Tragen kommen. DieBildfeldwölbung ist nicht selten ein dominan-ter Faktor, sehr leicht daran zu identifizieren,daß man den Stern durch erneutes Nachfo-kussieren auch fernab der Sehfeldmitte wiederscharfstellen kann. Das Verwenden einer Bil-debnungslinse kann daher bei der Konstrukti-on des Okulars bereits zu einer erheblich ver-besserten Randschärfe führen. Ferner spielenKoma und Astigmatismus im Randbereich ei-ne zunehmende Rolle, und natürlich auch dielaterale chromatische Aberration.

Die Randunschärfe sollte, ausgehend vonder Sehfeldmitte, auch in mehreren Richtun-gen geprüft werden, da es in der Praxis durch-aus vorkommt, daß sie sich nicht vollstän-dig isotrop verhält. Weil das optische Systeman sich zentralsymmetrisch ist, kann es sichin einem solchen Fall nur um einen Justier-fehler handeln. Man beobachtet jedoch gele-gentlich, daß die besagte Asymmetrie in bei-den optischen Tuben genau gleich ausfällt,und zwar derart, daß die untere Sehfeldhälf-te schärfer erscheint als die obere. Hier liegtder Verdacht nahe, daß der Hersteller durcheine absichtliche Manipulation versucht, dieRandunschärfe seines Fernglases zu kaschie-ren, denn im Beobachtungsalltag hat man diedetailreichen Objekte, also Gegenstände inder Landschaft, meist in der unteren Sehfeld-hälfte, während im oberen Bereich der relativ

Abbildung 2.11: In zunehmender Dämmerunggehen Oberflächendetails verloren, und dasErkennen von Konturen und Bewegungen ge-winnt an Bedeutung

strukturlose Himmel liegt. Bei der Astrono-mie ist das natürlich nicht der Fall, und ei-ne unsymmetrische Unschärfeverteilung einesSternfeldes wirkt in einem hohen Maße unäs-thetisch.

Sternbilder lassen sich auch zur Abschät-zung des realen Sehwinkels heranziehen. Mansucht sich ein bekanntes Sternbild und wähltein Paar von Sternen derart, daß es geradenoch in das Sehfeld paßt, um anschließend un-ter Verwendung eines Sternkataloges den ent-sprechenden Winkelabstand zu bestimmen. Eskursieren auch Sternkarten im Internet, diesolche Winkelabstände bereits enthalten undausgedruckt werden können.

2.3.4 Dämmerungsleistung

Die Leistungsfähigkeit eines Fernglases sollteunter möglichst variablen Lichtverhältnissenbeurteilt werden. Die Dämmerung ist dahereine für den Tester besonders ergiebige Phase,bei der innerhalb von 1-2 Stunden der Über-gang von der Tages- zur Nachtbeobachtungstattfindet. Während dieser Übergangsphasefindet nicht nur eine kontinuierliche Änderungder Beleuchtung statt, sondern auch ein hochkomplizierter Transformationsprozeß bei deroptischen Wahrnehmung: Die Augenpupillenweiten sich und erreichen die peripheren Be-reiche der Austrittspupillen — welchen Ein-fluß dieser Sachverhalt auf das Streulichtver-

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halten haben kann, wurde in Abschnitt 2.3.1diskutiert. Die Eigenschaften unseres ‘Sensors’(der Netzhaut) ändern sich auf dramatischeWeise: Zunächst steigt lediglich die Empfind-lichkeit, dann treten Verschiebungen der Farb-wahrnehmung auf, während der Rotanteil inder spektralen Empfindlichkeitskurve herun-tergefahren wird. Dann wird das Zapfensehendurch das Stäbchensehen ersetzt, wobei dieFarbunterscheidung komplett verloren geht.Die Lichtempfindlichkeitskurve verschiebt sichals Ganzes in Richtung kürzerer Wellenlän-gen. Gleichzeitig nimmt das Auflösungsvermö-gen im zentralen Bereich des Sehfeldes drama-tisch ab und verteilt sich dabei homogener —Unterschiede zwischen fovealem und periphe-rem Sehen werden geringer. Während mit zu-nehmender Dunkelheit sämtliche Feindetailsverloren gehen, übernehmen rezeptive Felderneue Aufgaben bei der Wahrnehmung, wie et-wa das Erkennen von Konturen und Bewegun-gen, auch fernab der Sehfeldmitte.

Ein Fernglas, das keine vollständig flacheTransmissionskurve aufweist, ändert die spek-trale Zusammensetzung des Lichtes, und die-ser Umstand kann in der Dämmerung vonBelang werden. Optiken, die speziell für dieDämmerung optimiert sind, weisen geradeim kurzwelligen Bereich eine besonders ho-he Transmission im auf. Andererseits verlie-ren diejenigen Ferngläser, die am Tage miteiner herausragenden Korrektur der chroma-tischen Aberration glänzen, weitgehend ih-ren Vorteil in der Dämmerung, wenn starkeKontraste verschwunden sind. Dafür wird je-de Streulichtanfälligkeit jetzt zu einem ech-ten Problem, weil die ohnehin bereits geringeKontrastfunktion nochmals geschwächt wird.Eine hohe Gesamttransmission, am Tage oh-ne Belang, wird bei zunehmender Dunkelheit,wenn jedes zusätzliche Photon das Signal-zu-Rauschverhältnis positiv beeinflußt, zu einemVorteil.

Beim Dämmerungstest wird der Beobachterzunächst darauf achten, wie lange das Fernglasnoch eine möglichst akkurate Farbwiedergabegewährleistet, und anschließend die Wieder-

gabe von Details (Baumrinde, einzelne Blät-ter in Sträuchern) beurteilen. Eine sinnvolleBewertung ist hier allerdings nur im direk-ten Vergleich verschiedener Ferngläser mög-lich. Schließlich, in fortgeschrittener Dunkel-heit, sollte beurteilt werden, inwieweit eine all-gemeine Orientierung beim Blick durch dasFernglas noch möglich ist. Dazu gehört es,den Standort des Beobachters in Relation zuden umliegenden Objekten zu definieren undderen Entfernungen und Eigenschaften mög-lichst genau zu bestimmen. Unter solchen Be-obachtungsbedingungen sind weite Sehfeldervon Vorteil, die es erlauben, jedes einzelne Ob-jekt eingebettet in seiner Umgebung abzubil-den, und ferner eine weite stereoskopische Ba-sis, die es erleichtert, die dreidimensionale An-ordnung der Objekte zueinander zu finden. Esist höchst lehrreich, hier mit Ferngläsern un-terschiedlicher Formate und Eigenschaften zuexperimentieren. Entscheidend ist jedoch, daßdas Auge in jeder Phase der Beobachtung voll-ständig an die entsprechenden Lichtverhält-nisse adaptiert ist, was voraussetzt, daß mansich dem Einfluß künstlicher Lichtquellen ent-zieht.

2.3.5 Chromatische Aberration

Die CA fällt insbesondere dann ins Auge,wenn man es mit hohen Kontrastübergängenzu tun hat. Hochspannungsmasten sind idea-le Testobjekte, weil sie, von einem geeigne-ten Abstand aus betrachtet, zahlreiche solcherÜbergänge in allen Bereichen des Sehfeldes lie-fern. Zunächst sollte das Zentrum des Sehfel-des überprüft werden, in dem keinerlei Farb-säume zu sehen sein dürfen: Eine CA sollteparaxial nur in Form eines Farblängsfehlersauftreten, der aber bei den für Handfernglä-ser üblichen geringen Vergrößerungen unter-halb der Auflösungsgrenze des Auges bleibensollte. Mit anderen Worten: Bei Handfernglä-sern sollte das Sehfeldzentrum stets frei vonFarbsäumen sein. Ist das nicht der Fall, dannliegt das in den meisten Fällen daran, daß dieAugenpupille nicht konzentrisch auf der Aus-

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Abbildung 2.12: Hochspannungsmasten: Idealfür den Test auf Farbsäume

trittspupille liegt, weil etwa der Augenabstandan der Knickbrücke nicht stimmt, oder dasFernglas ungenau angesetzt wurde. Dies kannleicht passieren, insbesondere wenn die Aus-trittspupille des Fernglases groß ist. Hier sollteman jedoch pingelig sein, um nicht zu falschenErgebnissen zu kommen. Gibt es auch nachdem sorgfältigsten Ansetzen der Optik nochimmer Farbsäume in der Sehfeldmitte, dannist das Fernglas höchstwahrscheinlich dejus-tiert und sollte repariert werden. In einem sol-chen Falle ist es wahrscheinlich, daß beide Tu-ben unterschiedliche Resultate zeigen, weil dasdoppelte Auftreten einer identischen Dejusta-ge nicht zu erwarten ist.

Nachdem die Sehfeldmitte überprüft ist,kann man sich den Randbereichen zuwenden.Hier wird man durch jedes Fernglas mehr oderweniger starke Farbsäume erkennen — die la-terale CA, auch Farbquerfehler genannt, einResultat der chromatischen Vergrößerungsdif-ferenz. Doch selbst wenn es dem Hersteller ge-lingen sollte, diese Vergrößerungsdifferenz zueliminieren, ist noch immer nicht garantiert,daß diese Farbsäume endgültig verschwundensind: Beim Blick in den Randbereich rückt dieAugenpupille zur Seite und liegt somit nichtmehr konzentrisch auf der Austrittspupille.Diese Verschiebung der Augenpupille, verbun-den mit einer leichten Verkippung, ist danndie Hauptursache für die noch zu beobachten-den Farbsäume. Es dürfte technisch ein Ding

der Unmöglichkeit sein, diese Effekte vollstän-dig zu eliminieren, aber sie lassen sich zumin-dest reduzieren, und dieser Test dient dazu,herauszufinden, wie erfolgreich der Herstellermit seinen Bemühungen gewesen sein mag.

2.3.6 Ergonomie und Haptik

Nachdem der erste Eindruck zur Haptik desGerätes bereits beim Kauf im Laden gewon-nen wurde, kann es draußen im Feld dannnoch einmal zu Überraschungen kommen: DasFernglas, mit einem üppigen Vergrößerungs-faktor versehen, läßt sich nach einer mehrstün-digen Tour auf einmal nicht mehr so entspanntund ruhig halten wie noch am Ladentisch. DieFokussierung läuft in der Kälte plötzlich vielschwergängiger als zuvor, und der Tragerie-men, zuvor noch als unwichtige Beigabe be-trachtet, übernimmt auf einmal eine tragendeRolle, aber in einem anderen Sinne als erhofft,indem er nämlich fleißig drückt und scheuert.

Es kann nicht oft genug betont werden: Eineabschließende Bewertung von Ergonomie undHaptik eines Fernglases gewinnt man nichtdurch flüchtiges Herumfingern im Laden, undschon gar nicht bei endlosen Diskussionen inInternetforen. Und da jeder sein Fernglas aufindividuelle Art und Weise einzusetzen ge-denkt, ist es auch kaum möglich, hier allge-meingültige Hinweise zu geben, abgesehen vonder Binsenweisheit, daß jeder sein Fernglaserst beim Einsatz im Feld finden kann. Offen-sichtlich hängen die Ansprüche, die ein Beob-achter an Haptik und Ergonomie stellen, we-sentlich von dem Einsatzort des Gerätes ab:Wird es stationär verwendet, auf dem Ansitz,der Brücke eines Schiffes, oder der Fenster-bank, dann wird man weniger auf Gewichtund Ergonomie achten als beim mobilen Ein-satz, bei dem das Fernglas stundenlang amKörper bleibt. Die Testprozedur ist also denk-bar trivial: Man benutze es in einer Umge-bung, und in einer Art und Weise, in der manes auch in Zukunft zu verwenden gedenkt, undachte auf Probleme, die sich bei der Bedienungauftun, und die voraussichtlich nicht auf mitt-

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lere Sicht durch Gewöhnung und Erfahrungeliminierbar sind. Manche Unannehmlichkei-ten rücken erst nach mehrfachem Gebrauchin den Vordergrund, und dann ist es nicht sel-ten bereits zu spät, um das Fernglas noch ein-mal umzutauschen. Dies sollte, ohne Groll, alsLehrgeld verbucht werden, das unvermeidbarist für jeden, der sich schrittweise zu einemerfahrenen Fernglasanwender entwickelt.

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Kapitel 3

Kleine Kaufberatung: Was brauche

ich?

Wer sich ein Fernglas zulegen möchte, derwird idealerweise eine Kaufstrategie im Kopfhaben, auf die er bei seiner Produktwahl zu-rückgreifen kann. Eine sorgfältig vorbereiteteKaufentscheidung könnte man in drei Phaseneinteilen:

• Phase I: Welchen Fernglastyp sollte ichins Auge fassen? Hier kommt es auf ei-ne möglichst genaue Definition des ge-planten Anwendungsprofiles an, mit des-sen Hilfe die Spezifikation des zukünfti-gen Fernglases einzugrenzen ist.

• Phase II: Wieviel Geld bin ich bereitzu investieren? Für mehr Geld kann manmehr Leistung erwarten. Aber ist das im-mer so? Gibt es Einschränkungen, even-tuell auch Alternativen, mit denen ich dasOptimale für meinen Zweck herausholenkann, ohne gleich das Bankkonto zu plün-dern?

• Phase III: Nach Festlegen von Spezifi-kation und Preisbereich — für welcheskonkrete Modell soll ich mich entschei-den, und warum? Hier ist entscheidendzu wissen, wo genau man Kompromissebei den Eigenschaften und Leistungsda-ten des Gerätes akzeptieren kann, und wonicht.

Das Kapitel 1 sollte dazu dienen, Hilfestel-lungen für Phase I zu liefern. Im folgenden

Abschnitt wollen wir einige Details zu Pha-se II aufgreifen. Bei Phase III ist der Leserdann auf sich allein gestellt — niemand kannihm die endgültige Entscheidung für ein kon-kretes Modell abnehmen. Nach aufmerksamerLektüre der vorangegangenen Kapitel sollte esihm jedoch nicht schwerfallen, das seinen indi-viduellen Bedürfnissen entsprechend optimaleFernglas zu identifizieren.

Es sollte damit klar sein, daß es sich indiesem Kapitel um eine Kaufberatung, nichtum eine Kaufempfehlung handeln kann. Auchwenn in den folgenden Abschnitten einzelneModelle als ausgesuchte Beispiele vorgestelltwerden, so ist diese Auswahl alles andere alsvollständig und auch nicht als ein exklusiverGeheimtip zu verstehen. Es gibt schließlichnoch weit mehr empfehlenswerte Modelle aufdem Markt, und in jedem Jahr kommen neuehinzu. Die hier aufgeführten, allgemein gehal-tenen Regeln zum Kauf eines geeigneten Fern-glases sind jedoch weitgehend zeitlos und wer-den auch nach einigen Jahren noch ihre Rele-vanz behalten.

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3.1 Was die Premiumklasse

bietet

Ein Top-Fernglas kostet inzwischen über 1500Euro. Ist es das eigentlich wert? Die Antwortauf diese recht simple Frage ist von überra-schender Komplexität. Zuallererst muß mansich im Klaren darüber sein, an welchen Stel-len des Produktionsablaufs diese Kosten über-haupt auftreten.

Es besteht kein Zweifel daran, daß dieFerngläser der Premiumklasse auch die Leis-tungsspitze auf dem Markt repräsentieren —zahllose Vergleichstets der letzten Jahrzehn-te, durchgeführt von Experten aus unter-schiedlichsten Anwendungsbereichen, habendas wiederholt und mit konsistenten Ergebnis-sen demonstriert. Der Fernglasmarkt verhältsich also nicht wie etwa der Markt der Luxus-uhren, wo sich hohe Preise eher durch Marken-namen und Exklusivität als durch Leistungdefinieren. Es steckt eine aufwendige Techno-logie in den Top-Ferngläsern, mit der man diein diesem Marktsegment vorherrschenden ho-hen Preise weitgehend rechtfertigen mag.

Zusätzliche Kosten entstehen bereits bei derAuswahl des Materials: Ein ehrgeiziges opti-sches Design erfordert nicht selten die Verwen-dung teurer Spezialgläser, die einen erhöhtenAufwand sowohl bei der Herstellung als auchbei der Bearbeitung implizieren. So benötigenexotische Glassorten Zusätze, die perfekt indie Schmelze eingebracht werden müssen, wo-bei Schwierigkeiten bei der Homogenisierungauftreten können (Schlierenbildung). Spezial-gläser sind oft auch brüchiger als Standardglä-ser und somit schwieriger zu bearbeiten.

Hochwertige Prismen- und Linsenoberflä-chen erfordern einen langsamen Schleif- undPolierprozess, um mechanische Verformungdurch Wärmebildung zu vermeiden, und ei-ne lange Bearbeitungszeit, um hinreichendglatte Oberflächen zu garantieren. Es folgendie Oberflächenvergütungen, die bei billigstenFerngläsern aus einer einzelnen Schicht, beihochwertigen Gläsern aus einem Dutzend La-

Abbildung 3.1: Rotes Logo: Leica 8x32 Ultra-vid HD (Sehfeld: 135m/1000m), ein sehr leich-tes und kompaktes Fernglas mit einer hohenFarbsättigung des Bildes.

gen bestehen können. Im letzteren Fall wirddie spektrale Transmission der Oberfläche fürden sichtbaren Wellenlängenbereich auf über99.5% angehoben. Die Dachkantprismen erfor-dern den Phasenkorrekturbelag, der mitnich-ten das Resultat einer Standardprozedur ist.Auch hier gibt es qualitativ hochwertige Be-läge, die aufwendig zu fertigen und zu prüfensind. Prismen vom Schmidt-Pechan Typ erfor-dern die Verspiegelung einer Seitenfläche, undbei hochwertigen Ferngläsern handelt es sichdabei um eine dielektrische Verspiegelung, dieaus 30 oder mehr einzelnen Lagen bestehenkann, wodurch eine Reflektivität von 99% er-reicht wird.

Abgesehen von der Fertigung der optischenBauelemente ist auch eine präzise Plazierungdieser Elemente im Fernglaskörper notwendig.Hier ist zu beachten, daß ein anspruchsvollesoptisches Design auch sehr niedrige Toleran-zen mit sich führt, so daß jedes einzelne Bau-teil, jeder Distanzring und jede Fassung hoch-genau gefertigt werden muß. Diese Toleran-zen müssen auch unter erheblichen mechani-schen und thermischen Belastungen eingehal-ten werden, und dabei einen möglichst gleich-bleibenden Bedienungskomfort liefern — einkältestarrer Fokussierknopf wird bei einemPremiumglas genausowenig toleriert wie aus-

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Abbildung 3.2: Blaues Logo: Zeiss 8x32 Victo-ry FL (Sehfeld: 140m/1000m), liefert ein sehrhelles Bild und ist dabei nahezu frei von Farb-säumen.

gelaufenes Fett, nachdem das Fernglas eini-ge Stunden in einem sommerheißen Auto ver-bracht hat. Druckwasserdichte ist inzwischeneine Selbstverständlichkeit bei Ferngläsern indiesem Marktsektor. Erschwerend kommt hin-zu, daß unter den Top-Herstellern auch einKonkurrenzkampf um die leichtesten Gerätegeführt wird. Das Gehäuse sollte daher nichtnur robust, sondern auch noch möglichst leichtsein, was besonders hochwertige Materialienerfordert, die zum Teil dünnwandig und somitsehr präzise gefertigt werden müssen. Für denFall, daß dennoch etwas schief geht, bietet derHersteller eine langjährige Garantieleistung,und dazu müssen die Werkstätten über vieleJahre hinweg Ersatzteile auf Lager halten.

Die Premiumgläser haben also einiges anAufwand hinter sich und womöglich noch ei-niges vor sich, wenn sie fabrikneu ihren Be-sitzer finden. Doch zahlt sich all der Aufwandauch aus, bieten diese Ferngläser dann auchwirklich einen sichtbaren Mehrwert an opti-scher Leistung? Dies ist eine ausgesprochensubjektive Fragestellung. Von einem techni-schen Standpunkt aus gilt hier, wie immer, dasGesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs: Jemehr zusätzlichen Aufwand man in die Pro-duktion steckt, desto geringer wird die zusätz-liche Ausbeute. Das bedeutet, daß die Fernglä-ser mit erhöhtem Aufwand zwar immer besser

werden, aber eben immer langsamer besser.Nichtsdestoweniger ist der Kauf eines Pre-

miumglases die sicherste Methode, um an einsehr gutes Fernglas zu kommen. Man kann imPrinzip nicht viel falsch machen, denn tech-nisch gesehen sind diese Ferngläser auf demneuesten Stand und somit das Beste, was manfür Geld kaufen kann. Dazu kommt, daß die-se Ferngläser einen Namen haben, und somiteinen hohen Wiederverkaufswert, der positivzu Buche schlägt, wenn man nach Jahren desGebrauchs auf ein neueres Modell wechselnmöchte.

Entscheidend für die erfolgreiche Suchenach einem Fernglas ist jedoch, daß man alsKäufer seine Auswahl keinesfalls ausschließ-lich anhand der technischen Daten oder an-hand von Erfahrungsberichten trifft. Geradein der Premiumklasse sind die Ferngläser be-reits so ausgereift und liegen so eng beieinan-der, daß die wichtigsten Entscheidungskriteri-en oft subjektiver Natur sind: Gefällt mir derEinblick? Auch durch meine Brille noch? Wieist die Haptik und die Balance — liegt es ru-hig in der Hand, kann ich schnell und akkuratfokussieren, ohne dabei die optimale Haltungaufgeben zu müssen? Sagt mir das Zuberhörzu, oder muß ich gegebenenfalls Zubehör voneinem anderen Anbieter nachkaufen? Schließ-lich noch eine kritische Frage, die im Einzel-fall sehr viel Geld sparen kann: Brauche ichwirklich all die Leistung und all die Vorteile,ob offensichtlich oder scheinbar, oder könnteich eventuell auch mit einem weniger exklusi-ven Fernglas glücklich werden? Diese letztereFrage bringt uns zu den Ferngläsern der Mit-telklasse.

3.2 Die Mittelklasse: Suche

nach dem Kompromiß

Auf die Frage, welche Eigenschaften ein Mit-

telklassefernglas definieren, gibt es keine ein-deutige Antwort. Ein solches Fernglas soll-te deutlich preisgünstiger sein als ein durch-schnittliches Gerät der entsprechenden Premi-

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umklasse, dabei aber bereits alle grundlegen-den Qualitätsstandards erfüllen. Insbesonde-re sollte ein solches Gerät keine ausuferndeQualitätsstreuung, wie man sie nicht seltenbei Billiggläsern antrifft, aufweisen, also einwohl definiertes Leistungsniveau repräsentie-ren. Erfahrungsgemäß ist das bei Ferngläsernab etwa 300 Euro recht durchgängig der Fall,so daß man die Mittelklasse zwischen 300 Eu-ro und vielleicht 2/3 des in der Premiumklasseüblichen Preisniveaus ansiedeln mag.

Was unterscheidet ein solches Fernglas voneinem Top-Fernglas? Das komplette optischeDesign ist weniger anspruchsvoll, um dentechnischen Aufwand in einem angemessenenRahmen zu halten. Nicht selten weisen die-se Ferngläser etwas weniger Sehfeld auf, alsman es vom Premiumsegment her gewohnt ist.Damit erzielt man eine erträgliche Randschär-fe, ohne auf hochgradig komplexe Okularkon-struktionen zurückgreifen zu müssen. Gleich-zeitig reduziert man damit Größe und Ge-wicht der Prismen — eine Rücklage, die dazuverwendet wird, um das zusätzliche Gewichtteilweise zu kompensieren, das mit den weni-ger hochwertigen Gehäusematerialien einher-geht. Wer also mit einem reduzierten Sehfeldleben kann, oder alternativ mit einer reduzier-ten Randschärfe und einem höheren Gesamt-gewicht, der mag hier für sich bereits einengeeigneten Kompromiß gefunden haben.

In der Mittelklasse sind inzwischen Fernglä-ser mit dem ‘ED’ Siegel, mit dem eine Reduk-tion der chromatischen Aberration durch Ver-wendung von Spezialgläsern beworben wird,weit verbreitet. In der Praxis gibt es jedoch, obmit oder ohne ED, beträchtliche Unterschiedein der Quantität der chromatischen Aberrati-on. Hier ist es unerläßlich, im Detail zu prü-fen, ob das Fernglas sein Prädikat auch wirk-lich verdient. Allerdings benötigt auch nichtjeder Nutzer eine besonders aufwendige Kor-rektur der chromatische Aberration, die ih-ren Vorteil erst dann voll ausspielt, wenn manhäufig mit starken Kontrastübergängen zu tunhat: Schwarzer Vogel vor hellem Himmelshin-tergrund wäre ein klassisches Beispiel. Zwar

Abbildung 3.3: Edelporro: Nikon 10x42 SE(Sehfeld: 105m/1000m), optische Leistungfast auf Premium-Niveau, aber mit altmodi-schen Gummistülpmuscheln und nicht wasser-dicht

beobachtet man allgemein, daß eine gute Kor-rektur der chromatischen Aberration auch denMikrokontrast des Bildes verbessert, wobei dieFeinstrukturen von rauen Oberflächen schär-fer und ‘knackiger’ herausgestellt erscheinen.Wer jedoch meist im Wald, in der Dämme-rung oder gar in der Nacht beobachtet, fürden stellen Optiken mit konventionellen Glä-sern keine nennenswerte Einschränkung dar.Ferngläser für das Militär oder für die Jagd be-nötigen daher keine Spezialgläser zur Reduk-tion von Farbsäumen, und wer sein Fernglaszur Landschaftsbeobachtung meist im Fernbe-reich verwendet, kann ebenfalls mit chromati-scher Aberration leben, weil die atmosphäri-sche Extinktion bereits alle scharfen Kontrast-übergänge weichgewaschen hat. Dasselbe giltauch für die Astronomie, mit einer Ausnahme:Bei der Mondbeobachtung machen sich Farb-säume deutlich bemerkbar.

Vergütungen der Linsen und Verspiegelungder Schmidt-Pechan Prismen sind in der Mit-telklasse auf niedrigerem Niveau als man esvon der Premiumklasse her kennt, und hierbeobachtet man einen direkten Zusammen-hang mit dem Preis: Bei Ferngläsern der ge-hobenen Mittelklasse haben diese Unterschie-de noch einen marginalen Einfluß auf die Ge-

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Abbildung 3.4: Aus Tschechien: Meopta8x32 Meostar B1 (Sehfeld: 138m/1000m),ein kompaktes Gehäuse und ein guter Ein-blick, aber Prismen nur mit Silberverspie-gelung. Die Meostar Reihe bietet ein gutesPreis/Leistungsverhältnis in der gehobenenMittelklasse

samtleistung des Fernglases. Nicht selten spartman hier bei Dachkantglaesern des Schmidt-Pechan Typs an der Verspiegelung der Pris-men: Eine preisgünstige Silberverspiegelungtritt an die Stelle der teuren dielektrischenVerspiegelung. Diese Maßnahme ist mit ei-ner reduzierten Transmission im kurzen Wel-lenlängenbereich verbunden, was einen (sehrleichten) Gelbstich des Bildes erzeugen kann.Manche Beobachter stören sich daran und for-dern eine perfekt neutrale Farbwiedergabe.Andere nutzen die Vorteile dieses wärmerenFarbtons, der dazu führt, daß das Bild beiSonnenschein weniger stark blendet und, ins-besondere bei Beobachtungen im Fernbereich,einen geringfügig höheren Kontrast aufweisenkann, weil stark streuende kurzwellige Photo-nen unterdrückt werden.

An dieser Stelle sei auch daran erinnert,daß Ferngläser mit Porro Prismen weder Ver-spiegelungen benötigen noch Phasenkorrektu-ren, und dabei weit höhere Fertigungstoleran-zen ohne Einschränkungen der optischen Leis-tung erlauben. Porro Ferngläser bieten da-her nicht selten preisgünstige Alternativen zuDachkantgläser für diejenigen, die mit denNachteilen dieses Fernglastyps, etwa das höhe-

Abbildung 3.5: Klassiker: Das Zeiss 7x42 Dia-lyt (Sehfeld: 150m/1000m), mit weitem Seh-feld und hervorragendem Einblick, ist trotzseiner altmodischen Augenmuscheln und feh-lender Wasserdichte ein auf dem Gebraucht-warenmarkt hoch gehandeltes Fernglas

re Gewicht und die bei zentraler Fokussierungmeist eingeschränkte Wasserdichte, leben kön-nen.

Anders als im Premiumsegment stößt manin der Mittelklasse auch auf ‘schwarze Scha-fe’. Hier handelt es sich um Ferngläser, diesehr billig produziert, aber, mit vollmundi-gen Werbesprüchen versehen, für viel Geldangeboten werden. Meist erkennt man solcheTricks sehr schnell an der mangelhaften Qua-lität der Vergütung, die an hellen Lichtquel-len starke Geisterbilder erzeugt, an der unzu-reichenden Streulichtunterdrückung, oder ander mangelhaften Mechanik, wie etwa eine un-präzise Fokussierung oder wackelige Drehau-genmuscheln. Vorsicht ist geboten bei hoch-preisigen Angeboten mit wenig bekannten, oftdeutsch klingenden Markennamen, die sichauf den zweiten Blick als chinesische Impor-te einer Briefkastenfirma entpuppen.

Abschließend sei daran erinnert, daß esauch noch ehemalige Premiumgläser auf demGebrauchtwarenmarkt gibt. Viele davon er-reichen auch heute noch das Leistungsni-veau der gehobenen Mittelklasse und sind da-her als ernstzunehmende Alternativen anzuse-hen. Entscheidend bei der Auswahl eines Ge-brauchten ist, abgesehen von der notwendigen

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Vorsicht vor eventuell leicht zu übersehendenSchäden, das Baujahr des Veteranen. Hier istzu beachten, daß die Mehrfachvergütung Endeder 1970er Jahre flächendeckend in der Premi-umklasse etabliert war, und der P-Belag Endeder 1980er Jahre zum Standard wurde. Umein Gebrauchtfernglas hoher Leistungsfähig-keit zu erhalten, sollte man bei Dachkantglä-sern auf einen P-Belag bestehen und, falls essich um ein Porro handelt, auf das Vorhan-densein einer Mehrfachvergütung achten.

Gerade für den Fernglasfreund, der mehr alsnur eine spezielle Anwendung im Auge hat,bietet die Mittelklasse oft interessante Alter-nativen. Anstatt 1800 Euro für die ‘eierlegen-de Wollmilchsau’ aus dem Premiumsegmentauszugeben, mag es vorteilhaft sein, zwei bisdrei Ferngläser der Mittelklasse im Schrank zuhaben, und je nach Bedarf das am besten ge-eignete Gerät mit auf Tour zu nehmen. Beider Tagesbeobachtung hat man ein leichtes8x30 dabei, in der Dämmerung lieber ein 7x42,oder für den Sternhimmel ein 10x50. Diesedrei Geräte mögen zusammen weniger zu Bu-che schlagen als etwa ein 8x42 Premiumglas,dabei jedoch in ihren jeweiligen Anwendungs-bereichen deutlich mehr Leistung erbringen.

3.3 Schnäppchenjagd

Die Jagd nach dem billigen, aber dennoch hin-reichend leistungsfähigen Fernglas wird von ei-ner Vielzahl von Fernglasfreunden mit großerLeidenschaft betrieben. Dabei erfordert sie einhohes Maß an Erfahrung und Intuition, weilandernfalls mit hoher Zielsicherheit Fehlkäu-fe erfolgen und dabei mehr Geld in den Sandgesetzt wird als beim einmaligen Kauf einesguten Mittelklassefernglases.

Im Preisbereich unter 300 Euro hat manbei der Leistung des Fernglases immer er-hebliche Kompromisse in Kauf zu nehmen.Es kommt also darauf an, sich auf diejeni-gen Eigenschaften des Gerätes zu konzentrie-ren, die einem besonders wichtig sind, wohlwissend, daß manch andere Ansprüche nicht

Abbildung 3.6: Hart im Nehmen: Das Hen-soldt 8x30 Fero-D 16 der Bundeswehr (Seh-feld: 122m/1000m), wasserdicht und robust,dabei fast brillentauglich — ein preisgünstigesGebrauchtglas für die Reise

erfüllt werden können. Wenn es um optischeLeistung geht, sind in diesem Preissektor diePorro Gläser fast immer im Vorteil, weil espraktisch unmöglich ist, hinreichend präziseDachkantprismen mit halbwegs anspruchsvol-len Beschichtungen für so wenig Geld herzu-stellen.

Vorsicht ist bei Erfahrungsberichten gebo-ten. In diesem Preissektor ist mit einer erheb-lichen Qualitätsstreuung zu rechnen, denn ei-ne Endkontrolle des fertigen Produkts durchden Hersteller findet hier aus Kostengründenoft nicht mehr statt. Wenn also ein Fernglas-tester von bestimmten Mängeln seines Fern-glases berichtet, so mag das nächste Exemplarschon wieder an ganz anderen Stellen Proble-me haben. Die Endkontrolle findet beim Kun-den statt, und der sollte seine Aufgabe ernstnehmen, um sich später im Feldeinsatz Ent-täuschungen zu ersparen.

Es ist keine Überraschung, daß die Schnäpp-chenjagd zu einem wesentlichen Anteil auf denOnline-Auktionsplattformen ausgelebt wird.Hier kann man mit etwas Glück für wenig Geldein anspruchsvolles Fernglas vergangener Ta-ge erwerben. Es sei aber dringend geraten, sichvor der Auktion beim Verkäufer ein Rückga-berecht garantieren zu lassen. Lehnt er dieskategorisch ab, so ist davon auszugehen, daß

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Abbildung 3.7: Unendliche Weiten: AsahiPentax 8x40 (Sehfeld: 166m/1000m), einRelikt aus Zeiten, in denen leidlich guteSuperweitwinkel-Ferngläser noch marktfähigwaren, heutzutage nur noch als Schnäppchenzu finden

er von der Qualität seines Gerätes nicht über-zeugt ist. In diesem Falle darf man getrost dieFinger davon lassen.

Ferngläser der unteren Preisklassen sindmeist weder robust noch wasserdicht — auchwenn das nicht selten vollmundig versprochenwird. Ausnahmen sind gebrauchte Militärfern-gläser, die oft in großen Stückzahlen auftau-chen und für relativ wenig Geld zu erwerbensind. Solche Geräte garantieren eine ordent-liche Optik und sind gleichzeitig anspruchs-los in Umgang und Pflege. Nachteilig sindmeist das relativ hohe Gewicht, eine unbe-queme Einzelokularverstellung und gelegent-lich auch integrierte Laserfilter, die einen stö-renden Grünstich erzeugen können. Dafür er-hält man ein robustes Reiseglas, das man, an-ders als ein teures Premiumglas, ruhig auchmal im Hotelzimmer lassen kann.

Von allzu preisgünstigen Angeboten soll-te man auf jeden Fall Abstand halten. EinFernglas ist grundsätzlich ein Präzisionsin-strument, dessen Funktion nicht nur von prä-zise geformten Linsen abhängt, sondern auchvon einer akkuraten mechanischen Konstruk-tion, die dafür zu sorgen hat, daß die optischenBaugruppen mit zum Teil 1/100 MillimeterGenauigkeit aufeinander abgestimmt werden.

Das ist für wenige Euro nicht zu machen,auch in China nicht, und wer sich an solcheinem Billigimport versucht, der hat anschlie-ßend ein Gerät in der Hand, mit dem Kopf-schmerzen wegen unzulänglicher Kollimationvorprogrammiert sind. Letztlich trägt ein sol-cher Kauf daher nur zur globalen Umweltver-schmutzung bei. Wer mehr Geld investiert unddabei mit Bedacht vorgeht, indem er vor demEinkauf sein Anwendungsprofil analysiert, derkauft nur einmal und verbringt stattdessenwertvolle Sunden mit der Beobachtung.

3.4 10 Gebote zur Fernglas-

wahl

Zum Abschluß sollen die Erkenntnisse der vor-angegangenen Kapitel in einer kurzen Lis-te von Merkregeln zum Fernglaskauf konzen-triert werden:

1. Selber ausprobieren. Kein Internet-Erfahrungsbericht kann den individuellenEindruck beim Blick durch ein Fernglasersetzen.

2. Geiz ist ungeil. Wer Qualität kauft, derkauft nur einmal. Wer sein Anwendungs-profil kennt, der spart Geld, nicht an derLeistung.

3. Diversifizierung. Drei Mittelklasse-Ferngläser können eventuell mehr leistenals ein einzelnes Hochleistungsfernglas.

4. Vorsicht Vergrößerung. Weniger be-deutet mehr Sehfeld, Schärfentiefe und ei-nen ruhigen, entspannten Einblick.

5. Vorsicht Austrittspupille. Am Tageum die 4mm, in der Dämmerung mindes-tens 5mm, bei Nacht mindestens 6mm.Wer zuviel kauft, schleppt unnötig, werzuwenig kauft, verliert Detail.

6. Vorsicht Transmission. Eine hohe(und entsprechend teure) Transmissionmacht sich erst bei Dämmerungs- oderNachtgläsern voll bezahlt.

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7. Vorsicht Leichtgewicht. Gespart wirdoft am Sehfeld und an der Robust-heit/Präzision der Mechanik.

8. Vorsicht Dachkante. Gerade im un-teren und mittleren Preisbereich erhältman mit einem Porro oft eine höhere op-tische Leistung.

9. Vorsicht Zubehör. Zu enge Taschen, lo-se Objektivdeckel oder unbequeme Tra-geriemen sind häufig übersehene Ärger-nisse.

10. Vorsicht Gebrauchtwaren: Ein leis-tungsfähiges Gebrauchtglas benötigtMehrfachvergütung (ab etwa 1980), und,falls Dachkantglas, auch einen P-Belag(ab etwa 1990).

Dieser Text ist ein Auschnitt aus ei-

nem Fernglasuch, das sich im Prozeß der

Entstehung befindet. Alle Teile sind, wie

immer, urheberrechtlich geschützt . . .

Holger Merlitz, 2011

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