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„Guck mal, jetzt isser im Himmel“ – Kinder und der Tod · psychologe Jean Piaget sie in...

Date post: 18-Sep-2018
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15 Fachartikel | „Guck mal, jetzt isser im Himmel“ – Kinder und der Tod Es lassen sich viele Beispiele finden, wie Kinder ihrem Alter angemessen ihren Weg finden, um mit einer neu- en Erfahrung, die Einzug in ihre Lebenswelt hält, umzu- gehen und sie zu integrieren – nicht nur, aber auch mit dem Tod. „Das Kind versucht nun aktiv, kreativ, selbst- tätig ein Gleichgewicht zwischen eigenem Weltbild und den neuen Erfahrungen mit der Umwelt herzustellen.“ (Schwarz, 2003). Um Kindern in ihrer Trauererfahrung begegnen und sie begleiten zu können, braucht es im wesentlichen vier Punkte: 1. Fachliche Kenntnisse über die altersspezifischen Todesvorstellungen von Kindern, um adäquat und mit den richtigen Worten und Angeboten an Kinder herantreten zu können. 2. Fachliche Kenntnisse über Trauerreaktionen von Kin- dern, um achtsam und aufmerksam ein Kind beglei- ten und sein Verhalten richtig einschätzen zu können 3. Vertrauen und Zutrauen zum Kind, dass es die Res- source besitzt, eine Verlusterfahrung zu bewältigen. 4. Die eigene Auseinandersetzung mit dem Thema Tod und Sterben – Wo stehe ich selbst mit diesem The- ma? Bei Erwachsenen wird von einem „realistischen“ Todes- konzept ausgegangen, was die folgenden vier Dimensio- nen umfasst: Nonfunktionalität: Körperfunktionen wie Herz- und Lungenkreislauf sind zum Stillstand gekommen. Irreversibilität: Der Tod ist nicht mehr rückgängig zu ma- chen. Kausalität: Die Ursachen des Todes sind biologisch, d.h. eine Krankheit, ein Unfall haben den Tod verursacht. Universalität: Alle Lebewesen werden einmal sterben. Eine Vorstellung vom Tod und Sterben ist uns nicht an- geboren. Wir wachsen in eine realistische Vorstellung des Todes im Laufe unserer Entwicklung hinein. Es ist ein Zu- sammenspiel von kognitiven, altersspezifischen Ent- wicklungsprozessen, wie der Schweizer Entwicklungs- psychologe Jean Piaget sie in seinem Stufenmodell der Denkentwicklung des Kindes beschreibt, und dem, was Kinder konkret in ihrer Lebenswirklichkeit erleben, erler- nen und verarbeiten. So gibt es altersspezifische typische Vorstellungen vom Tod, die sich ganz allgemein bei al- len 8-Jährigen wiederfinden lassen. Gleichzeitig wird ein 8-jähriges Kind, das miterlebt hat, wie seine mit im Haus wohnende Oma stirbt, sicherlich eine andere Vorstellung, ein anderes innerliches Erfahrungswissen vom Tod haben, als ein 8-jähriges Kind, in dessen Lebenswirklichkeit der Tod noch nicht in so konkreter Weise Einzug gehalten hat. Befasst man sich mit dem Thema Tod, Sterben und Trau- erbegleitung von Kindern, ist man damit konfrontiert, sich mit etwas befassen zu müssen, was unfassbar ist, was widersprüchlich ist, was unterschiedlichste Gefühle und Reaktionen hervorruft - bei den Kindern, aber gera- de auch bei den Erwachsenen. Da das Thema in der Regel Angst auslöst, uns mit Hilflo- sigkeit, Ohnmacht und Ausgeliefertsein konfrontiert und es in der Gesellschaft immer noch zu den tabuisierten Themen gehört, ist es hilfreich und unterstützend, auf Petra Runggaldier „Guck mal, jetzt isser im Himmel“ – Kinder und der Tod Als vor ca. 10 Jahren mein heute fünfzehnjähriger Neffe dies zu mir sagte und mir dabei ein Bild zeigte, war ich doch ziemlich beeindruckt. Gerade mal fünf Jahre alt, hatte er soeben seine Vorstellung gemalt, wo der gestorbene Vater seines Freundes war – aus heutiger fachlicher Sicht gesehen, ein Beispiel einer der Möglichkeiten, wie Kinder mit Erfahrungen von Tod, Trauer und Verlust umgehen können. Weitere Informationen zu diesem Beitrag im Internet unter www.heilpaedagogik.de
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Kolummnentitel 15Fachartikel | „Guck mal, jetzt isser im Himmel“ – Kinder und der Tod

Es lassen sich viele Beispiele finden, wie Kinder ihrem Alter angemessen ihren Weg finden, um mit einer neu-en Erfahrung, die Einzug in ihre Lebenswelt hält, umzu-gehen und sie zu integrieren – nicht nur, aber auch mit dem Tod. „Das Kind versucht nun aktiv, kreativ, selbst-tätig ein Gleichgewicht zwischen eigenem Weltbild und den neuen Erfahrungen mit der Umwelt herzustellen.“ (Schwarz, 2003).Um Kindern in ihrer Trauererfahrung begegnen und sie begleiten zu können, braucht es im wesentlichen vier Punkte:1. Fachliche Kenntnisse über die altersspezifischen

Todesvorstellungen von Kindern, um adäquat und mit den richtigen Worten und Angeboten an Kinder herantreten zu können.

2. Fachliche Kenntnisse über Trauerreaktionen von Kin-dern, um achtsam und aufmerksam ein Kind beglei-ten und sein Verhalten richtig einschätzen zu können

3. Vertrauen und Zutrauen zum Kind, dass es die Res-source besitzt, eine Verlusterfahrung zu bewältigen.

4. Die eigene Auseinandersetzung mit dem Thema Tod und Sterben – Wo stehe ich selbst mit diesem The-ma?

Bei Erwachsenen wird von einem „realistischen“ Todes-konzept ausgegangen, was die folgenden vier Dimensio-nen umfasst:Nonfunktionalität: Körperfunktionen wie Herz- und Lungenkreislauf sind zum Stillstand gekommen.Irreversibilität: Der Tod ist nicht mehr rückgängig zu ma-chen.

Kausalität: Die Ursachen des Todes sind biologisch, d.h. eine Krankheit, ein Unfall haben den Tod verursacht.Universalität: Alle Lebewesen werden einmal sterben.

Eine Vorstellung vom Tod und Sterben ist uns nicht an-geboren. Wir wachsen in eine realistische Vorstellung des Todes im Laufe unserer Entwicklung hinein. Es ist ein Zu-sammenspiel von kognitiven, altersspezifischen Ent-wicklungsprozessen, wie der Schweizer Entwicklungs-psychologe Jean Piaget sie in seinem Stufenmodell der Denkentwicklung des Kindes beschreibt, und dem, was Kinder konkret in ihrer Lebenswirklichkeit erleben, erler-nen und verarbeiten. So gibt es altersspezifische typische Vorstellungen vom Tod, die sich ganz allgemein bei al-len 8-Jährigen wiederfinden lassen. Gleichzeitig wird ein 8-jähriges Kind, das miterlebt hat, wie seine mit im Haus wohnende Oma stirbt, sicherlich eine andere Vorstellung, ein anderes innerliches Erfahrungswissen vom Tod haben, als ein 8-jähriges Kind, in dessen Lebenswirklichkeit der Tod noch nicht in so konkreter Weise Einzug gehalten hat. Befasst man sich mit dem Thema Tod, Sterben und Trau-erbegleitung von Kindern, ist man damit konfrontiert, sich mit etwas befassen zu müssen, was unfassbar ist, was widersprüchlich ist, was unterschiedlichste Gefühle und Reaktionen hervorruft - bei den Kindern, aber gera-de auch bei den Erwachsenen.Da das Thema in der Regel Angst auslöst, uns mit Hilflo-sigkeit, Ohnmacht und Ausgeliefertsein konfrontiert und es in der Gesellschaft immer noch zu den tabuisierten Themen gehört, ist es hilfreich und unterstützend, auf

Petra Runggaldier

„Guck mal, jetzt isser im Himmel“ – Kinder und der Tod

Als vor ca. 10 Jahren mein heute fünfzehnjähriger Neffe dies zu mir sagte und mir dabei ein Bild zeigte, war ich doch ziemlich beeindruckt. Gerade mal fünf Jahre alt, hatte er soeben seine Vorstellung gemalt, wo der gestorbene Vater seines Freundes war – aus heutiger fachlicher Sicht gesehen, ein Beispiel einer der Möglichkeiten, wie Kinder mit Erfahrungen von Tod, Trauer und Verlust umgehen können.

Weitere Informationen zu diesem Beitrag im Internet unter www.heilpaedagogik.de

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theoretisches Wissen zurückgreifen zu können, was Halt vermittelt und uns ein Gefühl der Sicherheit zurückge-ben kann.

Altersspezifische Todesvorstellungen von Kindern:

Als grundlegendes Wissen zählt hierzu, die von Marie Nagy 1948 mit 378 Kindern durchgeführte Studie zu dem Thema, was Kinder unter Tod verstehen und welche Vor-stellung sie mit ihm verbinden. In dieser Studie finden sich die wesentlichen altersspezifischen Merkmale:

Kinder bis zu 3 Jahren: „Der Tod als Nicht-da-sein“Säuglinge und kleine Kinder haben noch keine konkre-te, kognitive Vorstellung vom Tod. Der Tod wird als ei-ne temporäre Abwesenheit empfunden. Da das eigene Wohlbefinden ganz unmittelbar mit dem Wohlbefinden der Bezugspersonen verknüpft ist, äußert sich die Reak-tion auf die Verlusterfahrung, indem auf die veränderte Stimmung der Bezugsperson reagiert wird.

3 bis 6-Jährige: „Der Tod als vorübergehender Zustand“Tod ist verbunden mit Vorstellungen von Schlaf und Aus-ruhen. Der Tote bewegt sich nicht mehr, er schläft bloß. Das ewige Leben und Unsterblichkeit sind noch fester Be-standteil in der Welt des Kindes. Der Tod betrifft in der Regel andere. Das Leben im Hier und Jetzt ist zentral, ein kontinuierliches Zeitverständnis von Vergangenheit, Ge-genwart und Zukunft bildet sich erst aus. Das Kind wirkt unbekümmert und unverstellt, wenn es Fragen oder Ideen zum Tod hat.

6 bis 10-Jährige: „Tod als Bestrafung“Nonfunktionalität wird erkannt – der Tote kann weder atmen, noch essen, noch fühlen. Irrerversibilität des To-des wird erkannt – wer einmal tot ist, kommt nicht mehr zurück.Oftmals wird der Tod als personifiziert dargestellt und als Bestrafung empfunden. Der Sensenmann, der Knochen-mann, Krankheit oder Unfall werden mit dem Tod in Ver-bindung gebracht. Ängste, Fragen treten auf, was pas-siert, wenn die eigenen Eltern sterben und es findet ei-ne Annäherung statt, dass der Tod auch das Kind selbst betrifft.

10 bis 14-Jährige: „Nahezu ein realistisches Todesver-ständnis“Das Kind nähert sich jetzt dem erwachsenen Verständnis vom Tod an, er wird mehr und mehr als etwas endgül-tiges, abschließendes begriffen. Biologische Fragen sind von Interesse und es rückt mehr in den Blickpunkt, was passiert nach dem Tod. Fragen nach dem Sinn und der Endlichkeit des Lebens rücken in den Vordergrund.

Jugendliche: „Realistisches Todesverständnis“Die vier Dimensionen des Todesbegriffs sind vorhanden. Die Sinnfrage des Lebens wird drängender und manch-mal rückt damit auch die Frage nach dem Tod deutlicher in die Auseinandersetzung mit dem Leben.

Dieses „Schema“ der altersspezifischen Todesvorstel-lung von Kindern, kann als eine Art Geländer dienen, an dem sich sowohl Eltern, nahe Bezugspersonen und auch Fachkräfte orientieren können, um Kindern eine sinnvol-le und unterstützende Begleitung zu sein. Es ist eine Ori-entierungshilfe, um zu schauen, wie wähle ich die Wor-te, was wird vom Kind schon verstanden, was nicht, was könnte ein Kind auch erschrecken, und gleichzeitig bietet dieses fachliche Wissen den Begleitern etwas Sicherheit und Stabilität in einer Situation, die gerade die Gefühle von Sicherheit und Stabilität massiv erschüttert.

Wie Kinder trauern:

„Die Trauer von Erwachsenen wird oft mit dem Waten durch einen Fluss verglichen, dessen Ufer nicht zu erken-nen ist. Kinder stolpern in Pfützen der Trauer hinein und springen wieder weiter.... Das Bild von der Trauerpfüt-ze, in welche das Kind springt, zeigt die Dynamik seiner Trauer. Manches Mal ist die Pfütze groß und besonders matschig, dann wieder spritzt es nur wenig. Kinder kön-nen einen Moment furchtbar traurig sein und im nächs-ten wieder ganz fröhlich, so als hätte man einen Schalter betätigt.“ (Fleck-Bohaumilitzky, 2005, S.7)Dieses Zitat zeigt sehr anschaulich das unterschiedliche Wesen der Trauer von Kindern und Erwachsenen auf. Trauerreaktionen von Kindern können vielfältig ausse-hen: Traurig sein, nicht alleine sein wollen, Regressi-on, wie erneutes Einnässen, Weinen, Rückzug, Schrei-en, Bauchschmerzen, Unlust, Appetitlosigkeit, schlechte-re Leistungen in der Schule, Konzentrationsschwierigkei-ten, Antriebslosigkeit, Übelkeit, aggressives Verhalten. Im Grunde alle „üblichen“ Reaktionen, die wir bei Kindern finden, wenn sie versuchen, Erlebtes zu bewältigen und in ihre bisherige Vorstellung von der Welt und dem Leben zu integrieren. Wenn man etwas als charakteristisch oder typisch für Trauerreaktionen von Kindern benennen will, so ist es, dass es einen schwankenden, plötzlichen Wechsel von Spiel und Freude zu Weinen, Rückzug und Traurigkeit gibt. „Längere Trauerzustände wären eine zu große Be-drohung für ihre Person, die sich ja erst im Aufbau befin-det.“ (Fleck-Bohaumilitzky, 2005, S.7). Zudem sind Kin-der in der Gegenwart orientiert und durchleben ihre Ge-fühle direkt und unmittelbar, d.h. sie halten sie nicht fest, sondern nachdem geweint wurde, ist Platz für das nächste Gefühl.Kinder leben uns es wunderbar vor, was es heißt, mit den eigenen Gefühlen in Kontakt zu sein. Ein 4-jähriges Mädchen, das mit dem Fahrrad gefallen ist und lautstark seinen Schmerz heraus brüllt, braucht eine Mama, die es tröstet, einfach da ist, es hält und das Spüren, Wissen, über den Körperkontakt vermittelt „Es ist gut und geht vorbei und Du schaffst es“. Ein Beispiel sein, das beglei-tet und Kindern vermittelt „Du kannst mit Deinen Gefüh-len umgehen, sie dürfen sein, sind aushaltbar und sie wandeln sich“.Ein weiteres wichtiges Merkmal ist, dass Kinder manch-mal vermeintlich wenig bis gar kein Traurigsein zeigen, viel Verantwortung übernehmen und erwachsen wirken.

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So kann der Eindruck entstehen, dass das Kind den Trau-erfall erstaunlich gut verarbeitet hat oder auch, dass das Kind gar nicht so tief vom Tod des Freundes getroffen ist. Hier gilt es, genau zu schauen, achtsam und aufmerk-sam zu sein. Denn dies ist oftmals der Versuch des Kin-des, das sehr wohl wahrnimmt und spürt, dass die Be-zugspersonen getroffen und instabil sind, nicht noch zu-sätzlich belasten zu wollen und so seinen Kummer, seine Trauer für sich zu behalten.Kindliches Verhalten orientiert sich nicht an Verhaltens-normen und an einem gesellschaftlichen Verhaltensko-dex, sondern im Verhalten drückt sich das Kind mit sei-nem Inneren unmittelbar aus und es obliegt den Eltern, den Bezugspersonen und Fachkräften wahrzunehmen, zu erspüren, zu erfragen, zu überlegen, was das Kind damit zum Ausdruck bringen möchte. Nimmt man Kinder ernst, wissen sie in der Regel sehr gut, was sie wollen und was sie brauchen.Auch der Trauerprozess von Kindern gestaltet sich alters-, entwicklungs- und erfahrungsabhängig und die Angebo-te, die Kindern gemacht werden, sollten sich daran ori-entieren. Kinder können Entwicklungsaufgaben, Krisen in der Re-gel gut bewältigen, wenn sie ein stabiles Umfeld ha-ben – so auch in einem Todesfall. „Auf die Frage danach, was in der Trauer am meisten geholfen hat, habe ich von Kindern und Jugendlichen mehrheitlich die Aussage er-halten: Familie und Freunde.“ (Melching, Heiner, 2012, S.6). Deshalb gilt es auf das gesamte System „Familie“ zu schauen, Eltern zu stabilisieren und dort gegebenenfalls mit Unterstützungsangeboten anzusetzen.

Kinder bis zu 3 Jahren:Körperkontakt anbieten, da Gefühle sprachlich noch nicht ausgedrückt werden können. Gleichbleibende, wieder-kehrende Abläufe, die Sicherheit und Stabilität vermit-teln, sind hilfreich. Familiäre Rituale können Halt ver-mitteln. Mit Worten Gefühle benennen und aussprechen, dass der Papa nicht wiederkommt, wenn das Kind den Papa sucht.

3 bis 6-Jährige:Sie erforschen ihre Umwelt aktiv und die Frage nach dem Warum ist hier ein wichtiges Instrument. Deshalb kind-gerechte Informationen geben, Antworten finden oder zurückfragen: „Was denkst Du, wo der Christian jetzt ist?“ Die Sprache wird noch wortwörtlich genommen und so kommt es vor, dass ein Kind Angst entwickelt, abends einzuschlafen, da es gehört hat, dass die Oma in der Nacht friedlich eingeschlafen ist. Mit einfachen kindge-rechten Worten, die Tatsachen benennen „Oma ist heu-te Nacht gestorben.“ Daraus kann sich dann ein Gespräch entwickeln, was damit gemeint ist.

6 bis 10-Jährige:Hier gilt es, offene und ehrliche Worte zu finden. Kinder sind hier schon gut in der Lage zu artikulieren, was sie wollen, z.B. die Mama nochmal sehen oder ein Bild ma-len, das mit in den Sarg gelegt werden soll. Schuldgefüh-le können hier Thema sein und sollten offen besprochen

werden. Ebenso können Wutgefühle auf den Toten sehr heftig auftreten.

10 bis 14-Jährige und Jugendliche:Sie brauchen Raum und Zeit und die Erlaubnis allein zu sein. Freunde und die Clique, in der sich ausgetauscht und die „Normalität“ als stabilisierender Faktor gelebt wird, spielen eine wichtige Rolle. Gesprächsangebote sollten gemacht, aber nicht aufgezwungen werden.

Kinder aller Altersstufen brauchen hier, was Menschen generell in Krisensituationen brauchen: Menschen, die da sind, die Tränen, Wut und Schmerz aushalten. Ver-traute, verlässliche Abläufe, die ein Gefühl von Stabili-tät und Sicherheit vermitteln. Regelmäßige Mahlzeiten, nicht alleine sein, Körperkontakt, Ohren, die zuhören, Verständnis, ehrliche Antworten, einen respektvollen und mitfühlenden Umgang. Hier kommen gerade auch dem Kindergarten und der Schule eine wichtige Bedeu-tung zu. Sie können einen erheblichen Stabilisierungs-faktor in solch einer Situation darstellen. Zum einen sind hier vertraute Abläufe, vertraute Personen gewährleistet und es bietet den Kindern auch einen Ort, der „erstmal“ ein Stück vom Trauerfall „frei“ ist, was Kinder auch als wohltuend und entlastend erleben können.

Wie man mit trauernden Kindern sprechen kann:

Oft wird die Frage gestellt, wie oder was soll ich meinen Kindern sagen. Es gilt abzuwägen, was für Kinder zumut-bar ist, wie die individuelle Situation sich darstellt und was angemessen erscheint. Eine gute Orientierung bietet folgender Satz Voltaires:„Nicht alles was wahr ist, muss gesagt werden, aber al-les, was gesagt wird, muss wahr sein.“

So kann einem 5-jährigen Kind durchaus gesagt werden, dass der Vater durch einen Unfall gestorben ist, dass ein Auto ihn überfahren hat. Selbstverständlich sollte dem Kind nicht mitgeteilt werden, dass der Vater noch 50 Me-ter weiter mitgeschleift, dabei verunstaltet wurde und erst später nach qualvollen Schmerzen im Krankenhaus gestorben ist. Bei der 15-jährigen Schwester des 5-jähri-gen sieht es da schon wieder anders aus.Sucht ein 2-jähriges Kind seine verstorbene Mutter und ruft fragend „Mama, Mama?“ dann ist es sinnvoll, dem Kind zu sagen: „Ich sehe, dass Du die Mama suchst und vermisst. Ich vermisse sie auch und bin traurig. Die Ma-ma ist tot und wird nicht wiederkommen“ – auch wenn es schwerfällt.So kann auch das konkrete Verhalten von Kindern im Kontakt mit einem Toten ganz unterschiedlich aussehen. „Ein zweijähriges Kind krabbelt womöglich durch den Saal oder fährt mit seinem Dreirädchen um den Sarg he-rum. Ein vier- oder fünfjähriges Kind versucht vielleicht, dem Opa wieder Wärme einzustreicheln, und erkennt, dass er tot ist. Es versteht dann, was Tod ist. Ein sie-benjähriges Kind weint und schreit, zeigt seine Gefühle und dreht sich im nächsten Moment möglicherweise um,

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wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und will ein Eis haben.“ (Roth, Fritz, 2012, S. 78).Stellt man sich die Trauer als ein Wesen vor, so kommt sie komplex und vielschichtig daher, ist in verschiedenarti-ge Gewänder gehüllt, mit unterschiedlichsten Charakte-ren und ambivalenten Gefühlen ausgestattet. Typisch für das Gefühl der Trauer ist, dass mit ihr niemand etwas zu tun haben will und sie eine negativ besetzte Emoti-on ist, die in unserer Gesellschaft eher abgewehrt wird. Damit verkennt man jedoch die Trauer. „Trauer trifft je-den, mal früher, mal später im Leben. Sie zum gewürdig-ten Teil des eigenen Lebens zu gestalten macht jemanden erst ganz menschlich.“ (Kachler, Roland, 2012, S. 9). Trau-er ist eine Ressource, eine Kompetenz, ein Gefühl, das uns Menschen zur Verfügung steht, um eine Verluster-fahrung in unsere Lebenswirklichkeit integrieren zu kön-nen. Kinder eingeschlossen. Das bedeutet nicht einfach, sie machen das schon, sondern es ist eine gesellschaft-liche Aufgabe und eine Verantwortung jedes Einzelnen, Kindern einen Raum zu öffnen, in dem sie ihr Recht auf Trauer leben können und dürfen, und ihnen die Zeit zu gewähren, sich dieser zutiefst menschlichen Herausfor-derung auf ihre Art und Weise – durch Spielen, Toben, Bewegung, Malen, Singen, Fragen, Weinen - annähern zu können.In diesem Sinne gilt es auch mit einem aufmerksamen, achtsamen, ernstnehmenden und raumgebenden Blick auf die individuelle Situation jedes Kindes zu schauen und abzuwägen, ob ein Angebot wie eine Trauergruppe für Kinder oder auch eine Therapie sinnvoll und hilfreich erscheint oder auch nicht notwendig ist.

Die eigene Auseinandersetzung mit dem Tod:

Natürlich bringt uns das Mädchen, das weint, weil sein Papa gestorben ist oder der Schuljunge, der seinen durch einen Autounfall verstorbenen Freund vermisst, mit un-seren eigenen Erlebnissen und mit unseren alten Wun-den in Kontakt. Traurige, trauernde Kinder lösen in uns Gefühle aus – wie auch lachende, singende und fröhli-che Kinder. Nur sind es in der Regel Gefühle und Erinne-rungen, mit denen wir nicht so gerne etwas zu tun ha-ben möchten oder die uns gerade fehl am Platz erschei-nen. Um Kinder gut begleiten zu können und ihnen eine gesunde, natürliche Erfahrung im Umgang mit Trauer zu ermöglichen, ist es wichtig, dass wir über uns selbst Be-scheid wissen. Das Wissen und die Erfahrung „Ich bin in der Lage meine traurigen, schmerzhaften Gefühle zu füh-len und auszuhalten“. Es gilt, einen Standort zu finden, um mit widersprüchli-chen Gefühlen und scheinbaren Widersprüchen zurecht-zukommen. Es ist in Ordnung, es häppchenweise anzu-gehen und zu schauen, was ist ein Zugang für mich. Es kann die ganz rationale Art und Weise sein. Jemand an-ders nähert sich über die Philosophen, über Religion. Ein Dritter spaziert über Friedhöfe und nimmt so Kontakt mit dem Thema auf. Ein anderer spürt seine Gefühle, wäh-rend er etwas über das Sterblichkeitswissen von Kindern liest. Manuel kommt mit seinen Gefühlen in Kontakt, als

er seinen toten Vater mit seinen Händen berührt. „Lang-sam ging er hin, betrachtete ihn lange und berührte ihn dann sehr vorsichtig. Papa sah so anders aus und fühl-te sich auch ganz anders an. Jetzt weinte Manuel bitter-lich und wollte sich von keinem trösten lassen.“ (Junker, Oliver, 2011, S. 21).Aufgrund dieser Auseinandersetzung mit mir selbst ha-be ich eine Basis für eine Haltung, mit der ich Kindern begegnen kann. Ich kann ihnen so ihr Recht auf Trauer, ihr Recht auf Fragen, ihr Recht auf ehrliche Antworten, ihr Recht, sich vom Toten zu verabschieden, ihr Recht, an der Beerdigung teilzunehmen, ihr Recht, ihre Gefühle fühlen zu dürfen, zugestehen. Dann kann ich das geben, was Kinder brauchen. Heilsam ist es, wenn Gefühle sein dürfen, sich bewegen, sich wandeln dürfen – für uns Er-wachsene manchmal schwer aushaltbar, aber im Grunde einfach und so heilsam.Trauer ist nichts, was man zwingen kann - im Gegenteil. Sie braucht Zutrauen, Offenheit, Raum und Zeit. Gerade der Zeitfaktor ist oftmals eine riesige Herausforderung für das gesamte Umfeld – jetzt müsste es doch langsam mal gut sein. Aber dem ist nicht so – heutige Traueransät-ze beschreiben, dass es ganz individuell ist, wie lange die Trauer dauert und wann sie sich zu wandeln beginnt. Auch dies gilt für Kinder.Ich möchte Mut machen, sich selbst mehr zuzutrauen in der Auseinandersetzung mit dem Thema Tod und Sterben und ich möchte Mut machen, Kindern mehr zuzutrau-en und ihnen den Raum zu geben, sich auch mit diesem Thema frei und unverstellt beschäftigen zu dürfen. Si-cherlich stellt der Tod neben dem Leben letztlich für uns Menschen die größte Herausforderung dar und ich fin-de, Kinder haben ein Recht darauf, auch hier mensch-lich, achtsam und aufmerksam begleitet zu werden, um in dieses Thema hineinwachsen zu können und zu inte-grieren – und wenn wir einmal die Perspektive umdre-hen, sind Kinder hier große Lehrmeister, von denen wir im Umgang mit Trauer lernen können.Verlusterfahrungen gehören zum Leben und der Trend heute, Kinder vor solchen Erfahrungen behüten zu wol-len, widerspricht dem Leben. Vielmehr ist es eine gesell-schaftliche Aufgabe, Kindern eine Auseinandersetzung auch mit dem Thema Tod zu ermöglichen. Dazu kann ganz hervorragend der Alltag von Kindern dienen. Kin-der machen ständig Verlusterfahrungen. Jeden Tag, wenn es im Kindergarten heißt, sich von der besten Freundin zu verabschieden, wenn im Urlaub Freundschaften ge-schlossen werden und jeder wieder zurück in seinen Hei-matort fährt, das Lieblingsstofftier, das auf dem Spiel-platz vergessen wurde. Überall ist die Erfahrung des Ver-lustes spürbar, schwingt und klingt das damit verbunde-ne Gefühl von Traurigkeit in seinen unterschiedlichen Fa-cetten mit. Auch hier üben Kinder sich.Fachkräfte müssen gar nicht alles wissen. Es gilt einen Raum zu öffnen, Fragen auftauchen zu lassen, nachzu-fragen und genauso schnell, wie das Thema oftmals auf-taucht und eine Bemerkung oder eine Gegebenheit er-zählt wird, ist schon ein anderes Thema wieder wichtig. So kann es sein, dass der Tod des Meerschweinchens im Morgenkreis Einzug in die Gruppe hält - neben dem tol-

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len neuen roten Fahrrad, das Luise zum Geburtstag be-kommen hat oder dem Streit, wer heute als erstes das Laufrad nutzen darf. „…reden, immer wieder reden, darüber reden, so übst du ein wenig das Sterben…“ schreibt Janosch in seinem Kinderbuch „Der alte Mann und der Bär“.

Literatur:(Die komplette Literaturliste finden Sie in den Online-Inhalten der aktuellen Ausgabe unter www.heilpaedagogik.de)

Vitageb. 1971, Diplom-Heilpädagogin, Kunsttherapeutin, Su-pervisorin (DGSv)Zunächst offene Kinder- und Jugendarbeit in Berlin-Kreuzberg, danach 10 Jahre heilpädagogische Arbeit als Therapeutin in einer Praxis für Kinder- und Jugendpsy-chiatrie.

Seit 2011 freiberuflich als Supervisorin und Coach tätig und ehrenamtliches Engagement als Sterbebegleiterin im Hospiz Steglitz in Berlin.

Kontaktwww.petra-runggaldier.deKontakt: [email protected]

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Rückfragen und Anmeldung:Rehazentrum Bathildisheim, Bathildisstr. 7, Brigitte Vernaleken, 34454 Bad ArolsenTel. 05691/899149, Fax 05691/899296, E-mail: [email protected], www.bathildisheim.de

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Veranstaltungshinweis der EAH

E 14 Was kommt nach dem Tod? Abschied, Trauer, Mut und Trost im heilpädagogischen Alltag mit Kindern und JugendlichenReferentin: Petra Runggaldier

13. – 14. Juni 2014 in BerlinWeitere Informationen finden Sie im EAH Programm auf Seite 19


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