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Gruene Hoelle am Amazonas

Date post: 11-Jan-2017
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Page 1: Gruene Hoelle am Amazonas
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O T T O ZIERER

BILD DER J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 19 EINZEL- UND 11 DOB'ELBÄNDEN

KLASSISCHER TAG ist der Titel des soeben erschienenen dritten Bandes dieses bedeutsamen Werkes. Er läßt den Leser die große klassische Zeit der griechischen Kultur and die Jahrzehnte des Niedergangs Athens und der Entzweiung miterleben.

Aul die weltweite Auseinandersetzung der alten und der neuen Völker in den Perserkriegen und den Sieg der Griechen folgt die glanzvolle Entfaltung hellenischen Wesens im Perikleischen Zeitalter. Aber der Höhepunkt äußerer Macht und inneren Reichtums ist zugleich der Beginn des Abstiegs. Eifersucht, Übermut, Uneinigkeit und Entgötterung bereiten den Untergang der schönen Welt Athens /or. In wildem Bruderkrieg der Griechen geht das

5= vorchristliche Jahrhundert zu Ende,

Auch dieser Band ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wieaei ausgezeichnete Kunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten. Er kostet in der gleichen gediegenen Ausstattung wie Band 1 und 2 in der kartonierten Ausgabe mit zweifarbigem, lackiertem Überzug DM 2.95 und in der herrlichen Ganzleinenausgabe mit Rot- und Goldprägung und farbigem

Schutzumschlag DM 3.60, Prospekt kostenlos vom

VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU/M ÜNCHEN

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K L E I N E B I B L I O T H E K D E S W I S S E N S

LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K U L T U R K U N D L I C H E H E F T E

FRANZ OTTO SCHMIDT

VERLAG SEBASTIAN LUX . MURNAU / MÜNCHEN

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Das Amazonas-Gebiet

Das Treibhaus der Welt Immer mehr richtet sich der Blick der Menschheit in ihrer Lebens­

und Raumnot auf die wüsten- und steppenartigen Gebiete, die in allen Erdteilen der Erschließung harren. Die Phantasie von Millionen hat bereits von diesen ungenutzten Erdstrichen Besitz ergriffen und sieht in ihnen die Länder der Zukunft. Wissenschaftler und For­schungsreisende widmen ihnen ihre Expeditionen und Unter­suchungen. Aus allen Ländern kommt der Ruf nach neuem Nah-rungs- und Siedlungsraum und neuen Rohstoff gebieten.

Wo aber könnten diese menschenleeren Gebiete liegen?! Nun, wir wissen es: In der brennenden Wüste der Sahara, in den ungenutz­ten Steppen der Polarzonen, in den verdorrten Grasländern Australiens und im unendlichen Urwald Amazoniens. Hier vor allem herrscht noch urwüchsigste Natur, die man bisher nur deshalb nicht der Menscliheit dienstbar machen konnte, weil das gewaltige Stromland abweisender ist als das Ewige Eis, die glühende Wüste, die un-

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endliche Steppe. Und doch gehört Amazonien zu den Zukunfts­hoffnungen und den Gebieten großer Planungen. Schon befaßt sich ein eigenes Amazonas-Institut der Vereinten Nationen mit diesem Treibhaus der Welt.

Dann sind es die Amerikaner selber, die den Stromriesen in ihre Pläne einbezogen haben — auf weite Sicht selbstverständlich und mit einem unerhörten Einsatz an modernen technischen Hilfs­mitteln. Schwimmende Sägewerke sollen sicli in den Dschungel ein-fressen, Mammutmaschinen Wurzeln ausgraben und den Boden aufreißen, Erntekolonnen von Spezialschiffen aus die Wälder durch­kämmen; liefert doch ein einziger Hektar in diesem ewigen Treib­haus jährlich 100—150 Tonnen nutzbarer Nahrung. Den Fisch­reichtum der Gewässer will man in schwimmenden Konserven­fabriken erfassen. Flugzeugen ist die Aufgabe zugedacht, die Heere der Insekten durch Abrieseln von Chemikalien zu vernichten, und große Dämme und Betonkanäle sollen an geeigneten Stellen die rie­sigen Wassermengen des Landes dirigieren. Ein phantastischer Plan!

Man stelle sich vor: Von viereinhalb Millionen — ja mit den Wäldern des Orinoco und Gran Chaco sogar von sieben Millionen Quadratkilometern Land würden dem Menschen weiteste Gebiete nutzbar und zugänglich gemacht! Ein unerschöpflicher Vorrat an Edel- und Harthölzern stände der Welt zur Verfügung und wertvolle Erze und Mineralien könnten erschlossen werden. Von riesigen Gummi-, Weizen- und Baumwollplantagen in den Hochgebirgslagen des Quellgebietes und den ölfeldern ganz zu schweigen! Aber — kann die Welt das alles wirklich erwarten — darf sie es? Steigt nicht die Erinnerung auf an die Zeit, als man die Landenge von Panama dem Verkehr erschloß, an diese menschenmordende Kanalzone, die bei nur 16 Kilometer Breite und 80 Kilometer Länge vor einem halben Jahrhundert unsägliche Strapazen, Mühen und Todesopfer gefordert hat? Denkt keiner mehr an das große Projekt Henry Fords, der mit gewaltigem Aufwand an einem Nebenstrom des Amazonas, am Rio Tapajoz, große Gummipflanzungen und Ver­arbeitungsbetriebe anlegte und der dann doch „Fordlandia" und „Belterra", jene einzigartigen Urwaldsiedlungen, aufgeben mußte, ehe das Werk überhaupt begann? Erinnert man sich niclit an die 30 000 Gummisucher, die im letzten Kriege in den Urivald am Amazonas gingen, und die fast alle der Malaria, den Schlangen oder den feindlichen Indios erlegen sind?

Wird man den unendlichen Urwald Amazoniens überhaupt jemals bezwingen können? Finden sich die Arbeiter — Millionen von

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Menschen —, die das mörderische Klima ertragen? Werden sich die mächtigen Ströme gebieten lassen und wird man dem Meer der Wälder Inseln der Fruchtbarkeit entreißen können? Werden die Pflanzen und wilden Tiere nicht zu Tausenden und Millionen, unterstützt und gestärkt von ihrem größten Bundesgenossen, dem Klima, immer und immer wieder übermächtig werden, zur Plage der Siedler? Oder wird man vielleicht durch den Eingriff in das Land-schaftsgefüge das Klima soweit verändern können, daß es erträg­lich wird?

Wir wissen es nicht — die Zukunft wird es entscheiden! Vielleicht wird einmal von den großen Plänen dieses und jenes gelingen — vielleicht! Denn heute noch, trotz Düsenflugzeugen und Atom­kräften, ist der Urwald Amazoniens zum größten Teil unerforscht und unzugänglich, ,

Auf den folgenden Seiten soll diese düstere und doch in allen Farben glühende Urweltlandschaft in einem erzählenden Bericht lebendig werden. Es können nur Streiflichter sein; das Land am Amazonas ist von solch wilder Großartigkeit, daß es immer nur am Rande ein wenig erhellt wird.

An Bord der „Toscau

Die Hitze trieb sie alle an Deck. Aber auch dort oben fanden sie keine Erfrischung oder Kühlung. Seit Tagen schon glitt die „Tosca", das italienische Auswandererschiff, unter dem Äquator entlang durch den spiegelglatten Atlantischen Ozean. Eric Nissen lag im schmalen Schatten eines der beiden Schornsteine auf seiner Decke und sah schläfrig und matt auf die Frauen, Kinder und Männer. Meist waren es Italiener, die, wie er, ein neues Leben, einen neuen Anfang in Brasilien suchten.

Der lange, blonde Mann streckte sich bequem aus und blickte auf das Meer, wo in einem leichten Dunst am Horizont Himmel und Wasser verschmolzen. Jetzt fuhr er schon das zweite Mal hin­über. Das erste Mal, ja, das war nun schon bald zwanzig Jahre her! Fünf Jahre hatte er es damals ausgehalten, irgendwo am Oberlauf der Rio Curua, und dann war er zu kurzem Besuch nach Europa, in seine nordische Heimat zurückgekehrt. Aus dem Besuch aber waren eineinhalb Jahrzehnte geworden; denn der Krieg brach aus und änderte vieles im Abendland und in der Welt. Dort aber, wo sie nun hinwollten, da war wohl alles das Gleiche geblieben.

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Nissen lächelte mitleidig. Mein Gott, was sich so die meisten Aus­wanderer vorstellen! Brasilien! . . .

Der dicke SignorMatuzzi aus Cremona trat zu ihm in den Schatten, klopfte ihm auf die Schulter und ließ sich neben ihm nieder.

„Madonna, Madonna", stöhnte er und wischte sich den Schweiß von Hals und Stirn, ,;Ist das eine Hitze, Signore Nissen! — Bei uns in Cremona . . ."

„. . ..Ja, da war es nicht so heiß, ich weiß" unterbrach ihn Nissen freundlich und bot dem kleinen schwarzhaarigen Mann eine Ziga­rette an. Er mochte ihn gern, den lebhaften Italiener, der immer schrecklich aufgeregt war.

„Puh", machte der und stieß den Atem erleichtert von sich, „Sie sind sehr klug, Signore, hier oben ist es am kühlsten — oh, wenn wir nur endlich die Beise hinter uns hätten! Nur noch zwei Tage, hat der dritte Offizier beim Mittagessen gesagt, nur noch zwei Tage, dann sind wir in Belem do Para!"

„Na und?" fragte Nissen. Matuzzi guckte den Norweger erstaunt an. „Dann sind wir doch

endlich in Brasilien, in der neuen Heimat!" „Aber doch nur in Belem do Para, in der Hafenstadt, und das ist

doch noch längst nicht alles!" „Wieso, Signore?" „Weil dann die Beise erst richtig beginnt. Oder glauben Sie etwa,

gleich da unten im' Amazonas-Delta oder im Staate Para siedeln zu können?"

„Oh Signore —." „Nein, mein Lieber, bis Sie dahin kommen, wo die Behörde Sie

hinsteckt, werden Sie Wochen brauchen!" Diese Aussicht auf neue, noch größere Unbequemlichkeiten war

dem kleinen Manne zuviel. Wie ein Wiesel rutschte er auf Deck hinunter, um mit seiner Frau die Hiobsbotschaft zu besprechen.

Tino Matuzzi war nicht der einzige, der mit nicht ganz klaren Vorstellungen in die neue Heimat reiste. Auf dem Papier, auf den Prospekten von Brasilien, sah alles sehr hübsch aus. Da waren Santos, Bio de Janeiro, Bahia, Pernambuco und Ceara, schöne große Städte, mit netten weißen Häusern, Palmengärten, gepflegten Asphaltstraßen und riesigen Hotels, Theater und Kinos. Aber, das waren nur die Hafenstädte, die großen Zentren zwischen Gebirge und Meer. Von dem eigentlichen Brasilien jedoch, von dem Inneren des riesengroßen Landes, vom Matto Grosso und der Amazonas-Niederung, davon hatte man keine festen Begriffe.

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Am Abend, als eine leichte Brise über den Ozean wehte, saß Nissen mit einigen der Auswanderer zusammen und mußte ihnen von Amazonien berichten, von jenem Gebiet, das nun, vielleicht ein Leben lang, ihr Schicksal werden sollte.

Das „grüne Meer" „Amazonien — so sagte er ihnen — das ist ein riesiger Urwald

— ein einziges, undurchdringliches grünes Meer aus Pflanzen, Bäu­men, Buschwerk und Lianen — eine Hölle voll stickiger, dumpfer Hitze und rauschendem Regen — ein Chaos von Dschungel, Sümpfen, Fieber, Schlangen, Insekten und wilden Indianern!

Was man von dieser Wildnis weiß, ist wenig. Was man von diesem Lande kennt, reicht kaum über seine Randgebiete, über die Ufer seiner vielen Flüsse hinaus. Halb so groß wie Europa, streckt es sich wie ein großes lauerndes Ungeheuer quer durch Südamerika und breitet seine unendlichen Wasser- und Waldebenen undurchdringlich und unerforscht von den Anden bis zum Atlantischen Ozean. Nur die Wasserläufe, Kanäle, Sümpfe und Seen durchbrechen das Ur­waldland Amazonien, das heute noch eines der großen Geheimnisse der Welt ist.

Und da ist der Amazonas selber, der dem Lande den Namen gab, einer der Riesenströme der Erde, das Rio Mar, das Fluß-Meer, wie er in der Sprache der Eingeborenen genannt wird, der Strom der tausend Flüsse und Inseln, der Vater des riesigen Regenwaldes. Hoch oben, im Eis der Peruanischen Anden, entspringt er in fünf­tausend Meter Höhe einem winzigen Bergquell. Als mächtiger Gebirgsbach mit dem Namen Maranon rauscht er in vielen Windun­gen durch die Felsschluchten des Gebirges nach Norden, bis er am Fuße der Anden, nach Osten abbiegend und immer breiter werdend, parallel zum Äquator in die große Tiefebene eintritt, die sich flach und weit bis zum Ozean dehnt. Über Tausende von Kilometern strömen nun seine Fluten durch den unendlichen Urwald. Zuletzt wälzt er, um die Wassermassen von zweihundert und mehr Neben­flüssen bereichert, seine ungeheure Flut aus einem zweihundertfünfzig Kilometer breiten Mündungstrichter in das Meer. Mehr als fünftausend Kilometer sind es von der Quelle bis zur Mündung. Der Amazonas und all die vielen hundert Flüsse, Kanäle und Ströme, die sich mit ihm vereinen, sie bilden die einzigen Straßen, die durch das Land führen, das sonst undurchdringlich und eigentlich gar kein Land ist, sondern nur Wald, Sumpf und Gestrüpp .. ."

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Der Mond war aufgegangen und stand als leuchtende Scheibe am violetten Himmel. Sein Licht ließ das glatte Meer wie Silber auf­blitzen. Die Nachtluft brachte einen leichten Hauch von Salzge­schmack mit. Die Männer hingen ihren Gedanken nach. Es war still an Deck. Nur das leise Zittern der stampfenden Maschine lief durch das Schiff, und ab und zu klang Musik aus dem Gesellschaftsraum herauf.

„So also ist das", hörte man jemanden sagen, es war ein älterer Mann. „Irgendwohin in diese Hölle wird man uns schicken!" Ernst und Sorge schwang in der Stimme mit.

„Ach was", sagte Nissen beruhigend, „direkt in den Urwald, mitten unter wilde Indianer, wird und kann euch keiner stecken. Ihr kommt sieher zu schon bestehenden oder neu gegründeten Siedlungen und Plantagen, und das bedeutet Verbindung mit der Außenwelt, Post-und Handelsverkehr, kurz gesagt, Zivilisation. Aber ihr werdet arbeiten müssen, mehr arbeiten als irgendwo in Europa. Und kämpfen — Tag für Tag, Nacht für Nacht, gegen den Urwald, den Regen, die ilumpffeuchte Hitze, und, was noch schlimmer ist, gegen die Insekten, die Ameisen, Moskitos, Zecken, Spinnen, Schlangen, ja, und gegen das Fieber, gegen die Malaria!"

Der Norweger beschönigte nichts, als er nun weiter von den Siedlungsgebieten und der Besiedlungsgeschichte des Amazonas­gebietes sprach.

„Bis vor einigen Jahrzehnten", so wußte er zu berichten „bis zu der Zeit der Kautschukentdeckung hatte man in der großen Welt kaum etwas von dieser Urwaldzone gewußt. Nur Forscher und Missionare, ein paar Abenteurer, Phantasten und zweifelhafte Ge­schäftemacher hatten bis dahin das geheimnisvolle fremde Gebiet durchstreift. Vor einigen Jahrzehnten noch, da fuhren nur die Ein­bäume, die Boote der Wilden, auf den Wassern der Flüsse und Kanäle, und ein paar armselige Hütten aus Bambus und Palm­blättern standen verloren und einsam hier und dort an den Ufern.

.Dann aber hatte man Kautschuk entdeckt, den Gummirohstoff, der überall wild im Dschungel wuchs, und die Welt hatte begonnen, sich um Amazonien zu kümmern."

„Es war aber nicht das erste Mal", fuhr Nissen fort, „schon.einmal hatte diese grüne Hölle Menschen in ihren Bann gezogen, weil man dort ein Eldorado, ein Goldland vermutete. Das war damals im Jahre 1540, als der spanische Admiral Pizarro aus Peru, dem eroberten Inkareich, aufbrach, weil ihm berichtet worden war, daß jenseits der Anden an einem großen Strome Gold und andere Reich-

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Urwald-Indianer am Lagerfeuer, das die Moskitos vertreibt

tiimer entdeckt worden seien. Erst nach monatelangen Strapazen erreichte er mit seiner aus 350 Soldaten und mehreren tausend indianischen Trägern bestehenden Streitmacht den Napo-Strom, der von den Anden her dem Amazonas zustrebt. Hier aber mußte er, , durch Krankheit und Hunger geschwächt, das Unternehmen ab­brechen. Zu groß waren die Enttäuschungen. Immer wieder hatten Eingeborene von reichen Städten erzählt, die an riesigen Flüssen liegen sollten, und immer hatte Pizarro nur Dschungel, Hitze, ver-seuchte Sümpfe und wilde Tiere gefunden.

Bevor Pizarro den Rückweg antrat, ließ er ein Schiff bauen, mit dem einer seiner Unterführer den Fluß hinabfahren sollte, um auf diesem Wege vielleicht doch noch das Goldland ausfindig zu machen. Francisco de Orellana war der Führer, der das Schiff befehligte. Wochen und Monate fuhr er den Napo entlang, bis er in einen mächtigen, breiten Strom, in ein Rio Mar, gelangte. Aber auch hier lagen die großen Städte und Siedlungen nicht, von denen die Indianer berichtet hatten. So fuhr der Spanier wagemutig auf dem großen Wasser weiter. Das Goldland fand er nie, wohl aber etwas anderes, das ihm nicht geringeren Ruhm einbringen sollte: Francisco de Orellana erreichte den Atlantischen Ozean, ihm war als Erstem die Durchquerung des riesigen südamerikanischen Dschungels gelungen. Den Rio Mar aber, jenes große Flußmeer, das ihn zum Ozean ge­führt hatte, taufte er — so weiß es eine indianische Sage — auf

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den Namen ,Amazonas', Strom der Amazonen, der kriegerischen Frauen, einen Namen, den der größte Strom der Erde heute noch trägt."

Der Norweger brannte sich eine Pfeife an. Einer aus der Runde sagte trocken: „Und in diesem Goldland, an diesem Strom der streit­baren Jungfrauen sollen wir siedeln!"

„Va bene, und vielleicht finden wir das, was der alte Spanier ver­geblich suchte!" ergänzte scherzend ein anderer.

Die trüben Gedanken waren verflogen. Was die Leute der frühen Entdeckerzeit mit unzulänglichen Mitteln gewagt hatten, das konn­ten sie als Menschen des 20. Jahrhunderts schließlich auch. „Ja, nach Gold in irgendwelcher Form haben sie fast alle gesucht, die in den Wald gingen", meinte Nissen. „Ob sie nun Kautschuk suchten, Orchideen, Schmetterlinge, Petroleum oder seltene Tiere!"

„Wenn ich Glück hab'", sagte ein Jüngerer, „wenn ich Glück hab'. ja wißt Ihr, was dann ist? Dann finde ich die alten versunkenen Städte, nach denen die Spanier da vor ein paar Jahrhunderten suchten und auch heute noch die Menschen suchen. Ich denke an den britischen Oberst, na, wie heißt er noch ."

„Meinen Sie Oberst Fawcett?" fragte Nissen. „Ja den", sagte der Junge. „Nicht wahr, Signore Nissen, das stimmt

doch, daß der an die alten Wunderstädte geglaubt hat und ausge­zogen ist, sie zu finden."

„Ja, das stimmt, die Zeitungen der ganzen Welt waren damals voll von Berichten über seine tollkühne Expedition, aber dann hat niemand mehr von ihm gehört."

„Er soll später bei weißen Indianern gesehen worden sein, wie man liest."

Nissen konnte dazu nichts Bestimmtes sagen — keiner wußte es oder würde es je genau erfahren. „Mehr oder weniger ist alles, was man über Fawcetts Schicksal erfahren hat, Gerücht", erklärte er. „Da ist zum Beispiel die Sache mit den weißen Indianern. Es gibt keinen Stamm weißer Indianer. Wohl kann es sein, daß sich das Blut irgendeines Spaniers aus der Zeit des Pizarro vererbt hat, oder daß manche Indianer Mangel an natürlichem Hautfarbstoff leiden und dadurch helle Haut und Haare haben. Ich glaube auch nicht, daß Fawcett bei den Indianern geblieben ist. Ich nehme an, daß er entweder durch Hunger und Entkräftung umgekommen, oder aber von den Indianern des Bezirks von Cuyaba, wo er zuletzt gesehen wurde, getötet worden ist."

')

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Über solchen Gesprächen war es Mitternacht geworden. Ein Pas­sagier nach dem andern wünschte gute Nacht. Zuletzt begab sich auch Nissen in seine Kabine.

Im UrwaldhaEen F a r a Der Dampfer „Tosca" befand sich schon im Bereich des süd­

amerikanischen Festlandes, ehe die Passagiere die Küste überhaupt zu Gesicht bekommen hatten. Zwar hatte die Schiffsleitung durch den Lautsprecher bekanntgegeben, daß das Schiff bereits die Amazonas-Mündung erreicht habe, aber keiner hatte es richtig glauben wollen. Immer noch war man, endlos weit, wie auf dem Meer, nur von Wasser umgeben; seine Farbe jedoch hatte sich ins Graubräunliche verändert. Dann tauchte plötzlich ein feiner schwar­zer Streifen am Horizont auf — Brasilien! Und jetzt lag endlich, vor einer grünen Urwaldsmauer, der Hafen von Para vor ihnen.

Belem do Para — eine reizende, freundliche Stadt mit hellen, luftigen Häusern, mit breiten Alleen von Mangobäumen und Kokos­palmen, mit Straßenbahnen, Autoverkehr, eleganten Geschäfts­häusern, Kaffees und Kinos. Die Stadt hätte sonstwo in einem zivilisierten südlichen Lande liegen können; am wenigsten erwartete man sie hier am Eingang zum geheimnisvollsten Gebiet der Erde. Es ist auch gar nicht so lange her, daß an dieser Stelle, wo sich auf dem einstigen sumpfigen Schwemmland die Häuser der Stadt er­heben, eine der gefurchtesten Brutstätten des Gelben Fiebers lag. Heute haben Zivilisation und Technik diese Geißel ausgerottet; nur im Altstadtviertel und in den Vorstädten fallen dem Reisenden Häuser auf, die zum Schutz gegen die große Plage des Ungeziefers, vor allem der Ameisen, auf hohen Stein- oder Holzpfählen errichtet sind.

Bei der Ankunft an Land hat sich die Reisegesellschaft der „Tosca" getrennt. Nissen wird nun seine Weiterreise allein machen. Ver­gnügt schlendert er, die Hände tief in die Taschen vergraben, durch die breiten Alleen des Urwaldhafens. Die „Tosca" liegt vertäut an der jenseitigen Küste von Marajo, jener riesengroßen Insel in der Flußmündung des Amazonas, wo am Morgen die Einwanderer einer strengen Kontrolle und Gesundheitsprüfung unterzogen worden waren.

In Belem do Para herrscht internationales Leben, von den etwa 200 000 Einwohnern sind die wenigsten Brasilianer. Viele Portu­giesen, Spanier, Italiener, aber auch Engländer, Amerikaner und Deutsche haben sich hier niedergelassen. Am stärksten jedoch sind

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die Caboclos, die Mischlinge, vertreten. Sie bilden den Bauern- und Arbeiterstand, während die weißen Einheimischen sich meist als Beamte betätigen. Die Berufe in Handel und Handwerk werden viel­fach von den Portugiesen oder Nordamerikanern ausgeübt.

In einem der vielen kleinen Kaffees, deren Tische bis auf den Boulevard stehen, läßt sich Nissen nieder und betrachtet den Ver­kehr vor sich, das Leben auf der Straße. Bunt und farbig fließt hier alles durcheinander. Elegante Damen in duftigen Kleidern, zer­lumpte Caboclos, Neger mit großen Strohhüten, selbstbewußte Brasilianer in dunkler Kleidung und weißem Hut, weißgekleidete Europäer schlendern an ihm vorbei durch die mittägliche Hitze. Belustigt sieht er an den Trambahnwagen die Schwärme von Straßenjungen, die frech und das Fahrgeld schindend, an den Tritt­brettern und Puffern hängen.

Plötzlich aber liegt die eben noch belebte Straße leer und aus­gestorben da. Und während der einsame Tischgast noch erstaunt um sich sieht, hört er ein fernes Rauschen, und schon klatscht unver­mittelt prasselnder Regen nieder.

Dieser tägliche Regen, er bildet die einzige klimatische Ab­wechslung in diesem subtropischen Land, das keinen Sommer noch Winter, weder Frühling noch Herbst kennt. Der Regen, der hier mehr als anderswo auf der Erde fällt, macht die Hitze nur noch dämpfiger, feuchter und schwüler. Regen, Sonne, Trockenzeit und Flut sind neben den Krankheiten und Insekten die Geißeln des Landes. Wenn von Beginn der Regenszeit im Dezember monatelang die Wasser vom Himmel stürzen und die Flüsse über die Ufer treten, dann ist der Wald Hunderte von Meilen weit ein riesiger See; erst im Juli verebbt die Regenflut und die Trockenzeit nimmt ihren An­fang. Immer tiefer sinkt dann der Spiegel, und in den austrocknen­den, ungeheuren Sümpfen beginnt der Vernichtungskampf, das große Sterben der Wassertiere. In dieser Zeit kann es sein, daß bei Neu­oder Vollmond ein anderes Unheil das Land überfällt: die Pororoca, die gefürchtete Springflut, die plötzlich mit haushohen Wasser­massen vom Meer herkommt, stromauf über das Land bricht, alles zerstörend, alles vernichtend, was sie findet: Häuser, Wälder, Men­schen und Tiere .. .

Zwei Tage bleibt Nissen noch in der Hafenstadt, um sich auszu­rüsten. Dann tri t t er auf einem Amazonas-Dampfer die Reise nach Manaos an, mehrere tausend Kilometer den Strom hinauf, wo der Farmer Nils Hansen, ein Landsmann und ein Freund aus alten Tagen auf ihn wartet.

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Au! dem Amazonas-Dampfer Fahrt auf dem Amazonas! Schon längst ist Para entschwunden. |

Nur die graubraunen Fluten des Flußmeeres bieten sich dem Auge. I bis näher oder ferner eine der unzähligen Inseln mit ihrem Ge­strüpp und Urwald vor den Blicken auftaucht; manchmal so nah. j daß die dumpf-feuchte Hitze, jener stickige, sauersüße Brodem der ' Fäulnis aus den Wäldern, vom Land herüberdringt und drückend über dem Strom liegt.

Nissen fährt nicht wie viele Weltenbummler und Vergnügungs­reisende, die zur Fahrt über den Amazonas einen Ozeandampfer nehmen und in Kabinen erster Klasse mit Ventilator und Eisschrank die 3600 Kilometer von der Mündung bis nach Iquitos in Peru hin­auf zurücklegen, um sagen zu können, auch sie wären in Amazonien gewesen. In Obidos, Manaos, Teffe, Sao Paulo de Olivenca oder Tabatinga steigen sie meist flüchtig an Land, langweilen sich in dem zerfallenen Glanz der aus der -reichen Kautschukzeit übrigge­bliebenen Riesenhotels, fahren vielleicht noch in Manaos mit der Tram bis an den Saum eines nahegelegenen Urwaldstreifens, um dann schleunigst wieder, Kühlung suchend, in ihr Hotel oder auf den Dampfer zurückzukehren.

Auf den üblichen, breiten, flachen Dampfern aber, die regelmäßig die Para-Iquitos-Route fahren, da sieht es ganz anders aus. Unend­lich langsam schiebt sich das nur mit Holz geheizte Schiff den mächtigen Strom hinauf. Fast überall, in jeder Bucht der an Inseln, Seitenarmen und Kanälen so reichen Amazonas-Niederung, hält der Dampfer an. Meist sind es nur armselige Ansiedlungen oder Holz­ladestellen. Aber an jeder dieser Anlegestellen kommen neue Passagiere an Bord, und während die neuen Fahrgäste sich mit Kind und Kegel niederlassen, wo nur ein Eckchen frei ist, schleppen Caboclos oder Indios schweres, eisenhartes Amazonasholz an Bord, damit die Dampfkessel für die nächsten Stunden genügend Feuerung haben.

An Bord des überfüllten Kastens herrscht ein tolles Durchein­ander. Weil man es in den Kabinen vor Gluthitze nicht aushalten kann, weilen alle, Frauen und Männer, Kinder und die unentbehr­lichen Hunde, Gelbe, Braune, Schwarze oder Weiße an Deck. Über­all hängen und schaukeln hier die Hängematten über- und durch­einander, und die Matrosen haben Mühe, in diesem Gewirr an ihre Arbeitsplätze zu kommmen.

So kriecht das Dampfboot in drückender Backofenhitze mit schwat-

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zenden Frauen, politisierenden Männern und schreienden Kindern, mit dem ganzen bunten Völkergemisch des Landes tagelang nach West stromauf.

Händler fahren mit und Verwaltungsbeamte, Plantagenarbeiter und Goldwäscher, Gummisucher, Waldläufer und Jäger. Kerle, die nach Petroleum oder Orchideen suchen; Männer aller Rassen. Männer, denen man ansieht, daß sie im Dschungel zu Hause sind; landkundige Leute, die wissen, daß einige hundert Meter ent­fernt im Urwald ungehobene Schätze verborgen liegen und daß dort das Leben in seiner üppigsten Entfaltung brodelt, wie es nur in der wuchernden, maßlosen Natur des Regenwaldes möglich ist.

Mit solch einem Urwaldkundigen steht Nissen an der Reling und starrt auf das Wasser, in dem Äste und Strauchwerk vorbeitreiben.

„Ist doch seltsam", sagt der Mann bedächtig und blickt dem davon-schwimmenden Gestrüpp nach, „in den Wochen und Monaten, die man abgezehrt und halbverhungert im Walde haust, da sehnt man sich raus aus dieser Hölle. Und wenn man dann wieder eine Zeit­lang in so einem Kaff war, dann zieht's einen mit aller Macht wieder zurück — fast wie einen Seemann, den das Meer auch ewig nicht losläßt!"

Wie um diesen Satz zu bekräftigen, spuckt der Fremde ins Wasser. Er sieht sein Gegenüber gar nicht an, spricht zu sieh selbst in einem hartklingenden Portugiesisch, das hier in Brasilien die Landessprache ist.

Nissen tippt auf einen Yankee. Die Art, wie der Fremde spricht und sich gibt, macht ihn dem Norweger sympathisch. Der andere aber, der nun endlich auftaut, scheint sich über seinen Partner noch nicht im klaren zu sein; denn der Norweger trägt den weißen Tropenanzug, der über seinen Träger gar nichts aussagt. Gewiß hält er Nissen für einen Neuling, der zum ersten Male im Lande ist.

„Ja, es geht wohl allen so", erwidert der Norweger, „hab's selber schon mitgemacht, und darum bin ich auch wieder zurückgekommen."

„Von wo?" fragte der Fremde überrascht. „Von Europa, Norwegen, meiner Heimat!" „Heimat!", der Mann wiederholt das Wort und lächelt dabei

etwas versonnen und verlegen. — „Heimat, das ist etwas, was ich schon gar nicht mehr kenne. Oder vielleicht doch, vielleicht ist es dies hier." Seine Hand macht einen unbestimmten Kreis zum Ufer hin. „Früher, da war es mal Boston — kennen Sie doch, wie?"

„Und ob ich Boston kenne!" bestätigt Nissen. „Ja — war eine feine Stadt, sag ich Ihnen, und ich war jung, als

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ich damals zum Amazonas trampte. Ich, Bob Bradley, wollte nach ein paar Jahren wiederkommen, — und wollte ein reicher Mann sein!" Der Fremde setzt sich mit einem Schwung auf die Reling, steckt sich eine Zigarette an und schnellt das Streichholz hinter sich in den Strom. „Aber — dabei ist es auch bis heute geblieben, bei diesem Vorsatz. Zuerst, da war ich zwei Jahre da oben am Rio Napo — mit dem Kanu zehn Tagereisen vom Zusammenfluß mit dem Rio Mar entfernt, auf einer Plantage. Wir zogen Baumwolle und Kaffee und Gummi und auch etwas Mais nebenher. War eine saubere Sache das! Aber, wie es so geht: Wenn's jemand zu wohl ist, sticht ihn der Hafer. Mit der Zeit ist es mir zu langweilig bei den Peruanern gewesen; als mir dann eines Tages in Iquitos, dem Zentrum des -peruanischen Amazonien, so ein verflixter Diamanten-sucher in den Weg lief, da beschloß auch ich, Diamanten und Gold zu schürfen. Hätte es lieber bleiben lassen und noch ein paar Jährchen da aushalten sollen, wo ich war; dann hätte ich jetzt schon ein Häuschen in Boston. Aber so habe ich dann ruhtergemacht, den Amazonas bis zum Rio Tapajoz."

Der Waldläufer kam in Fahrt und Nissen spürte: Hier war ein Mann, der um die Dinge im Urwald wußte. Und was konnte man Besseres tun auf der langweiligen Fahrt, als solch einem Urwald­mann zuzuhören. Denn bald würde Nissen keine Gelegenheit mehr zum Plaudern haben, würde für lange Zeit wieder allein sein und nur die Caboclos um sich sehen, mit denen es keine Verstän­digung gab.

„Tja — der Rio Tapajoz!" fuhr der Sprecher fort. „Den Amazonas hinunter — das war eine Vergnügungsfahrt, ich aber sage Ihnen heute, ich wäre keinen Zentimeter mehr weitergefahren, wenn ich damals gewußt hätte, was mir am Tapajoz noch alles bevorstand. Wissen Sie, Mann, was es heißt, so einen Strom wie den Tapajoz raufzupaddeln? — Man glaubt, daß einem das Rückgrat bricht und die Arme vom Leibe fallen. —- Vorwärts, immer nur vorwärts; der Schweiß läuft dir in Strömen den nackten Oberkörper runter, und die Moskitos sitzen in Schwärmen auf dir, und dein Körper juckt und brennt, als wäre er ein einziges Feuer. Mehr als drei Monate haben wir drei gebraucht, Stanislaus, der Diamantensucher, der mich überredet hatte, dann ein Caboclo, so ein Mischblut, und ich, bis wir an der Mündung des Rio Juruena an die Stelle kamen, wo der Rio Manoel in den Tapajoz fließt. — Mehr als drei Monate, hab ich gesagt, so 100 Tage und Nächte! Klingt einfach, wie? Ja wenn man die in einem sauberen Bett hätte verschlafen können!

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Amazonas-Indianer beim Feueranzünden

Das sagt man jetzt einfach so hin: raufgepaddelt den Rio Tapajoz. Wer es nicht einmal mitgemacht hat, macht sich keine Vorstellung von so einem Urwaldfluß."

Bob Brodley rutscht von der Reling und tritt näher auf Nissen zu, der am Geländer lehnt. „Die erste Zeit, da ging's noch. Da trafen wir hier und da noch kleine elende Siedlungen am Fluß, wo wir des Nachts ausschlafen konnten. Aber dann wurden auch die immer spärlicher, und wir waren auf uns gestellt. Allein, mitten in einem Gebiet, in das vielleicht noch kein Weißer seinen Fuß gesetzt hatte, wo wilde Indios jeden Augenblick mit vergifteten Pfeilen aus dem Hinterhalt des Dschungels schießen konnten! Aber all das war gar nichts gegen den Wald. Oh — er sieht herrlich aus, wenn du ihn so siehst vom Boot her mit seinen Bäumen, Sträuchern, Blüten, Schlingpflanzen und Blattdächern, die sich aus der grünen Mauer oft bis weit über das Wasser vorschieben. Oder — wenn du hinauf­guckst in die Wipfel — zwanzig, ja dreißig Meter hoch und höher. — Aber dann, wenn du an Land gehst — Fleisch zu jagen oder einen Lagerplatz auszusuchen! — Schwül und dumpf überfällt dich der Schwaden aus dem ewig dämmrig-grünen Zwielicht des Dickichts, packt dich, treibt dir den Schweiß aus, lähmt dich! Über Wurzeln, Schlingpflanzen, Büsche, Gezweig und Stämme, alles tausendfach

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ineinander verfilzt, muß jeder Schritt mit dem Haumesser erkämpft werden. Lianen, Stauden, Dornen, Farnkräuter und Schlangen­geflechte stehen dir im Weg. Deine Füße versinken bis an die Knöchel in stinkenden, fauligen Morast. Ja, und dann kommt das Schlimmste — dann kommt das, was dir beweist, daß du tatsächlich in einer Hölle bist. Myriaden von Insekten, summend und zirpend, fallen über dich her, zerstechen dich, und Ameisen und Zecken saugen gierig dein Blut. Wohin du auch blickst in diesem grünen Halb­dunkel, überall siehst du nur Blattwerk und Geäst, die sinnen­verwirrende, wildwuchernde Üppigkeit tausender Pflanzen. Selt­same, wunderschöne Blüten siehst du, aber sie stoßen dich durch ihren pestartigen Gestank von sich. Und wieder entdeckst du häß­liche, ganz einfache Blumen, die einen bezaubernden Duft aus­strömen. Überall huscht, kriecht, schlängelt sich etwas — aber nichts kannst du genau erkennen — kaum fällt ein Sonnenstrahl hier und da schmal und dünn durch die Blätter, aus denen ewig die Feuchtig­keit rieselt. Und dann, dann packt dich die Angst. Gespenster siehst du: ringelt sich da nicht eine Schlange durch den Busch — windet sich dort nicht ein langes Ungeheuer auf dich herab? — In jedem Schatten glaubst du einen Indio oder einen Jaguar zu erkennen. Und du hetzt weiter — es treibt dich, die Kleiderfetzen hängen dir vom Leib, Dornen schneiden dir blutige Streifen ins Fleisch. Jeder Augenblick wird zu einem Kampf gegen Millionen von Moskitos, Ameisen, Blutegeln, Tausendfüßlern, Skorpionen, Sandflöhen und Spinnen. Die feuchte Hitze aber pumpt dir die Lunge aus, daß der Atem röchelt, daß der Puls hämmert und der Kopf dröhnt."

Während er dies erzählte, blickte der Yankee verächtlich zum Vor­derdeck hinüber, wo sich unter dem Sonnensegel Passagiere gelang­weilt ausgestreckt hatten. Und wieder spuckteer in den Fluß. „Sag mir, Junge", fuhr er dann fort, „sag mir, ob die da davon überhaupt etwas ahnen? Ob die sich vielleicht nur vorstellen können, wie es nachts im Urwald ist, wenn das Feuer brennt, wenn der Lichtschein nur das nächste Farn, die nächsten Blätter und Lianen zuckend be­leuchtet und dahinter in dem undurchdringlichen Schwarz der nächt­liche Urwald erwacht — es knackt, es heult, hier ein grausiges Kräch­zen, dort ein Bellen und dann ein Schrei, so schrecklich, daß dir das Blut in den Adern stockt. Ganz plötzlich ist es dann vielleicht still, unheimlich ruhig, um dann wieder von vorn anzufangen mit dem Zirpen, Zischen und Gekeife. Und keiner weiß, was es für Tiere sind, j die da jetzt auf Raub ausgehen, die jetzt erst, in der schwülen Nacht, zum Leben erwachen.

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Dann lacht auf einmal dicht hinter dir jemand wie der Teufel, und kaum daß du dich voll Schreck umschaust, kichert es schaurig dir gegenüber, daß du voll Angst und Furcht und blinder Wut deine Flinte nimmst und wahllos in das Dunkle feuerst, -r— He — ob die das wissen, diese Sonntagsreisenden da drüben, die nachher alles kennen und gesehen haben wollen, wenn sie wieder zu Hause sind? Ob die von diesen Nächten im Urwald wissen, wenn man mit überreizten Sinnen daliegt, vom Fieber und Gewürm geschüttelt, und hinaushorcht in das unheimliche Dunkel, in dem es sich tausendfältig bewegt und rühr t?"

Über dem Plaudern des Waldläufers sind in Nissen tausend Er­innerungen wachgeworden, Bilder, Szenen, Schicksale aus jener Zeit, die er selber im Urwald verbrachte.

Er kennt den Dschungel, den Sumpf-Urwald, den die Indios Ipago nennen, jenen Wald an den Strömen und Flüssen, der durch die Überflutung immer unter Wasser steht. Hier sind die Brutstätten der Moskitos, der gefürchteten Übertrager der Malaria, hier gleitet dieAnaconda, die über 10 Meter große, gefährlichste Wasserschlange am seichten Ufer entlang. Wie ein Blitz schießt sie auf das Wasser­schwein zu, umklammert es und quetscht es mit der ungeheuren Kraft ihres Leibes zu Tode. Dann erst verschlingt sie das Opfer mit Haut und Haaren und liegt für die nächste Zeit, einem Ast oder einer Liane zum Verwechseln ähnlich, verdauend im Schlamm.

Nissen weiß auch von den anderen Tieren, die der Schrecken des Urwalds sind. Wie alte bemooste Baumstämme liegen da oft zu Hunderten die Krokodile in der Trübe der Flüsse, Seen und Tümpel und erfüllen die ohnehin schon drückende Luft mit ihrem pest­artigen Gestank. Auf dem Land und im seichten Wasser unbeholfen, schwerfällig und nur zu wuchtigen Schwanzschlägen bereit, sind sie im tiefen Wasser mit ihrem riesigen Maul und den großen scharfen Zähnen um so gefährlicher.

Was die großen Echsen im Wasser sind, das ist an den Ufern der Jaguar, die rötlich-gelbe Raubkatze des Dickichts. Tagsüber ruht sie verborgen im dichten Busch, erst in der Dämmerung und nachts geht sie in der Nähe von Flüssen, Sümpfen oder Waldrändern auf Raub aus. Wie ein Schatten, lautlos und schnell, schleicht der Jaguar durch den Dschungel, um plötzlich von einem Baum herunter oder hinter einem Busch hervor das Opfer anzuspringen.

Millionen von großen Wanderameisen fressen sich in breiten, end­losen Zügen durch den Busch. Nichts hält ihre Kolonnen auf, weder Wasser noch Feuer. Wehe dem Tier oder dem Menschen, der sich

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vor ihnen nicht retten kann! Selbst verwundete Krokodile werden in kurzer Zeit von ihnen zernagt.

Feuerameisen lassen durch einen Biß Höllenqualen entstehen, und winzig kleine Piumfliegen verstopfen im Nu zu Hunderten Mund, Ohren, Nase und Hals.

Wildschweine mit gewaltigen Hauern brechen in großen Herden durch den Dschungel, alles zerstampfend, was sich ihnen entgegenstellt.

AU diese Tiere, dazu die Satansaffen mit ihren scheußlichen Fratzen, die Zitteraale mit ihren lähmenden elektrischen Schlägen oder die ekelhaften Vogelspinnen, alle sind sie auch in der Varzea, jenem Waldgebiet zu finden, das nur wenige Monate in den Zeiten des Hochwassers unter Wasser steht.

Ipago, Varzea und Terra firme, der Trockenwald, diese drei Wald­arten bilden zusammen den Regenwald, jene grüne, üppige, dichte, unendliche Masse Dschungel, die in der Amazonas-Niederung zwischen den Anden und dem Atlantik zwei Millionen Quadratkilo­meter bedeckt.

Ans der Zeit des Kautschuk- und Goldrausches Um diesen Wald also, um diese Hölle, dreht sich das Gespräch der

beiden Männer auf dem Schiff. Bob Bradley und Nissen hocken an der Bar und schlürfen lau­

warmen Whisky und schlechtes Bier. Und wie andere von ihrem Heim oder von Geschäften reden, so erzählt der Amerikaner von „seinem" Wald, vom Dschungel, der ihm zur Leidenschaft geworden ist, den er verwünscht und doch nicht hassen kann.

Damals, als er mit Stanislaus und dem Mischblut auf Diamanten­suche den Rio Trapajoz hinaufgefahren war, da hatten sie im nörd­lichen Matto Grosso Station gemacht, jenem ungeheuren, vertrock­neten Steppen- und Buschland, das die riesigen Wälder der Amazonas­niederung nach Süden hin ablöst.

Um die Jahrhundertwende, als an den Flußläufen der Kautschuk hoch im Kurs stand, waren hier die Umschlagplätze, die Stapelhäuser für das kostbare Gummi, das aus den Quellgebieten des Rio Tocantins, des Trapajoz, Curua und Xingo geholt und den Paraguay hinunter nach Buenos Aires geschafft wurde. Gewiß, Geld floß in Strömen; aber in den Palmstroh- und Wellblechhütten und unter den Sammlern herrschte das Recht derer, die stärker waren. Und so strömte auch Blut. Dann lohnte sich eines Tages das Gummizapfen nicht mehr, weil in Ostindien in den Plantagen künstliche Gummi-

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baumwälder herangewachsen waren und weil man in den Hunderten von Bächen und Rinnsalen, und wo immer es Wasser in diesem Gebiete gab, Diamanten und Gold fand, das mehr einbrachte. An die Goldbäche ergoß sich nun die Flut all der Abenteurer und frag­würdigen Existenzen aus den Kautschukwäldern, und aus dem Kaut­schukrausch wurde der noch schlimmere Goldrausch. Doch nicht nur die Glücksritter kamen hierhin. Auch viele verarmte Bauern aus dem südlichen Matto Grosso, die in härtester Arbeit und unter den primitivsten Verhältnissen versucht hatten, das ausgedörrte Savannen- und Buschland des Südens zu kultivieren, sahen im Diamantenschürfen und Goldwaschen ihre letzte Rettung.

Und wieder gab es Enttäuschungen in Hülle und Fülle. Nur die wenigsten hatten die Chance, eine Ader zu finden, die alle Mühe und Arbeit belohnte. Sichere Nutznießer waren nur die Händler, die billigstes Werkzeug, brüchige Geräte und schlechte Nahrungsmittel zu hohen Preisen an die Ärmsten verschacherten.

An diesen Zuständen hatte sich nichts, aber auch gar nichts ge­ändert, damals als auch Bradley sein Glück versuchte.

Überall an den Flüssen und Bächen standen die Goldgräber und Diamantensucher bis zur Hüfte im Wasser, hackten in der brennen­den Hitze das Gestein los und wuschen es dann in mühseliger Arbeit in den einfachen Holzschüsseln und Sieben. Fieberhaft schufteten sie Wochen um Wochen von früh am Morgen bis in die plötzlich ein­fallende Nacht. Nur gering war meist die Ausbeute an kleinen Gold­oder Diamantensplittern. Und jeden Abend fielen die Männer er­schöpft in die Hängematten und tasteten in schreckhaftem, un­ruhigem Schlaf nach dem verschwitzten Beutel auf der Brust. Einzige Abwechslung war in dieser Wildnis der Einkauf von Lebensmitteln in der nächsten Ansiedlung. Dort tauschten sie hart erschafftes Gold gegen Trockenfleisch, Reis, Bohnen und Whisky ein. Und nach dem Kauf trafen sie sich in der schiefen Wellblechhütte eines Portugiesen, .der dort einen Ausschank unterhielt. Wenn sie nicht tranken oder Karten spielten, tanzten sie zu den Klängen eines uralten Grammolas feurige brasilianische Tänze. Immer aber ver­liefen diese kläglichen Nächte in Zank und Streit.

An solch einem Abend war es, als Bob Bradley einmal sehr spät zu seinem Lager zurückkehrte. Während er aber sonst schon von der Flußbiegung aus das Lagerfeuer erkannte, lag in dieser Nacht alles im tiefsten Dunkel. Nur flußauf sah er fern in der Dunkelheit das Feuer zweier Bolivianer brennen, die dort ihren Camp hatten. Auch als er näher kam, rührte sich nichts, kein Laut war zu hören, nur

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das nächtliche Geschrei der Tiere drang aus dem Busch. Waren die beiden Kameraden wider alle Gewohnheit weggegangen — hatte ein Überfall stattgefunden? Atemlos stürzte Bradley zu den Zelten . . .

Als der Waldläufer sein Feuerzeug ansteckte, sah er das Schreck­liche: Im verkohlten Feuer lag die Leiche des Caboclos — Blut sickerte in schwarzem Strom aus Hinterkopf und Kücken —. Jemand hatte den Kameraden von rückwärts erschossen.

Wo aber war der andere, wo war Stanislaus? War er rechtzeitig geflüchtet, war auch er ein Opfer des Mörders? Nirgendwo eine Spur. Stans Hängematte und sein Zelt fehlten; aber auch die einzige Petroleumlampe und Bradleys ganzes Arbeitszeug und, was noch schlimmer war, sein Beutel mit Diamanten und Gold waren ver­schwunden.

Das konnte nur einer getan haben: Stan! Erschüttert stand der Waldläufer vor dem Nichts. Der monate­

lange Marsch durch den Dschungel, die verzehrende, erschöpfende Arbeit hier — alles war umsonst gewesen. Ein Gefährte, dem man blindlings vertraut hatte, war vor einem Mord nicht zurückgeschreckt, nur um ein paar Körner mehr von dem verruchten Golde zu besitzen.

Bradley entschloß sich zum Rückmarsch. Die Vorräte und die Zelte, die er noch besaß, tauschte er gegen das Nötigste ein, was ein Waldläufer braucht: eine Machete, ein Haumesser. So ausgerüstet fuhr er mit einem Indio des friedlichen Nachbarstammes im schmalen Kanu den Rio Juruena hinunter.

Und wieder kamen endlose Tage und Nächte in dem grünen c Grauen des Urwaldes! Wieder die dumpfe bleierne Luft und die

erregende Spannung aller Sinne und Nerven. Mit dem Indio, einem gutmütigen Burschen, konnte sich Bradley nur durch Zeichen ver­ständigen. Dafür verblüffte der Sohn der Wildnis den Weißen, wenn er mit Pfeil und Bogen schneller und sicherer Fleisch aus dem Dschungel besorgte, als je ein Waldläufer mit seinem Gewehr. Lieb­lingsbraten des Indios waren Affen, die er lautlos mit dem Pfeil vom Baume schoß, im Nu geschickt abhäutete und über dem Feuer briet. Nur zögernd konnte sich der Weiße entschließen, von dem Fleisch zu essen, das süß, aber gut schmeckte. Tagsüber, wenn sie an einer der zahlreichen Sandbänke oder Inseln vorbeitrieben, stoppte Pedro, wie der Waldläufer den Indio nannte, das Boot und suchte im weichen heißen Strand Schildkröteneier für die nächste Mahlzeit.

Eines Tages — die beiden waren bei einem wolkenbruchartigen Regen an Land gegangen — entdeckte Pedro im wirren Dickicht der

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Äste, Knollen, Blätter und Lianen eine Horde lärmender, schimp­fender Affen. Ohne Machete, nur mit Pfeilen und Bogen bewaffnet, glitt der Indio wie eine Schlange in die dichtverflochtene Mauer des Dschungels. Dumpf brütend lag der Urwald da. Man hörte nur das Plätschern der Tropfen und das Gekreisch der Affen.

Wenige Minuten waren vergangen. Bradley hatte sich ein wenig niedergelegt, da gellte durch den Wald der Schreckensruf eines Menschen. Mit einem Satz war Bradley hoch und bahnte sich klet­ternd und stürzend einen Weg in das Dämmer. Jetzt hörte er das Rufen ganz nahe. Noch ein paar Hiebe mit dem Buschmesser, eine Lichtung tat sich auf.

Vor ihm, im sumpfigen Gras lag Pedro, von einer riesigen Boa umschlungen. Die König- und Abgottschlange hatte ihren muskulösen Leib um den fast Erschöpften gepreßt. Mit letzter Kraft hielt Pedro den Hals des gefährlichen Reptils dicht hinter den spitzen Haken der Zähne in beiden Fäusten, aber schon suchte sie von neuem vorzuschnellen. Bradley sprang hinzu. Mit wuchtigen Hieben zer­schlug er zuerst den Kopf der Riesenschlange und durchtrennte dann ihren Rumpf. Langsam löste sich der Druck der Umklam­merung, und Pedro richtete sich schwer atmend wieder auf.

Der Indio schüttelte seine Benommenheit ab. Aus seinem leb­haften Gestikulieren konnte Bradley sich allmählich ein Bild davon machen, was vorgefallen war. Pedro hatte Lauerstellung bezogen und wollte eben den Bogen anheben, um einen Affen herunter­zuschießen, als die Boa plötzlich vor ihm auftauchte, sich schaukelnd emporhob und dann jäh und wuchtig auf ihn zuschoß; sie schlug ihre Zähne in seine Brust und hatte ihn in Sekundenschnelle eisenhart umfaßt. Der Biß der Boa war nicht giftig. Viel schlimmer wäre eine Verletzung durch eine der vielen Giftschlangen gewesen!

Bradley unterbrach seine Erzählung, stellte seinen linken Fuß auf einen Hocker und schob die verwaschene Cordhose hoch. Dicht unter der Kniekehle kam eine männerfaustgroße, blutigrote Narbe zum Vorschein. „Hier", sagte er, und zeigte auf das gräßliche Loch, ,.hier, das habe ich als ewiges Andenken an eine Begegnung mit so einem Biest!"

„Das Loch haben sie dir wohl ausgeschnitten?" fragte Nissen und winkte dem schmierigen Mixer hinter der Bar. Der brachte zwei neue Gläser Whisky und stellte eine kleine Flasche mit lauwarmem Soda dazu. Der Mann mit der Narbe goß den Whisky mit einem Schluck hinunter. Das Soda blieb unberührt.

„Nein!" erwiderte er. ..Ausgebrannt! Beim Biß dieser Gift-

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schlänge hilft Ausschneiden nichts. Wir waren damals, nachdem die Sache mit Pedro und der Boa passiert war, in das Gebiet der Carajos-Indianer gekommen, der grausamsten, die es wohl im ganzen Urwald da oben gibt. Kaum, daß wir uns den Lagerplätzen der Carajos näherten, dröhnten auch schon dumpf die Trommeln. Wir verstanden das Signal: „Weißer Mann kommt das Wasser her­unter!" Unheimlich ist das, wenn man weiß, daß man überall be­lauert wird. Hinter jedem Busch, hinter jedem Baum kauert so ein Wilder, denkt man.

Wir ruderten in der Mitte des Flusses, um möglichst wenig Ziel zu bieten. Und immer ging das bösartige Trommeln mit, dum-dum-dum — mal näher, mal weiter entfernt. Schrecklich — es machte sogar meinen Indio nervös.

Wenn es Nacht wurde, wagten wir nicht, an Land zu gehen. Wir durften in der Dunkelheit aber auch nicht weiterfahren wegen der vielen im Wasser treibenden Baumstämme, Büsche und Inseln. So verhielten wir eine Nacht an einer Sandbank und blieben im Kanu. An Schlaf war nicht zu denken — Myriaden von Moskitos fielen über uns her, weil wir nicht rechtzeitig unter die Netze gekrochen waren."

„Ja, das kenne ich", bestätigte der Norweger, „in solchen Fällen braucht man Trinkwasser und einen sicheren Lagerplatz und am Abend, wenn die Stechmücken besonders wild sind, muß man die Moskitonetze aufspannen, sonst ist man ein armer Teufel im Busch."

Bradley bejahte. „Wenn man in der kurzen Zeit, in den wenigen Minuten des plötzlichen Übergangs vom Tag zur Nacht nicht schnell genug die Hängematten mit den Netzen gesichert hat, kommen die Viecher zu Hunderten mit unter's Netz! So war's auch auf der Sand­bank. Schon nach wenigen Minuten brannten mein Gesicht, die Hände und Arme wie tausend Feuer.

Am nächsten Tage sollte es noch schlimmer kommen. Diesmal hatten wir eine kleine, mit dichtem Buschwerk besetzte Insel ent­deckt und beschlossen, dort die Nacht zu verbringen. Pedro saß am Heck des Bootes, ich sprang in den Ufermorast und kletterte durch das Schilf- und Farngestrüpp, das Kanu hinter mir herziehend die Böschung hinauf. Plötzlich gibt es einen Schlag, und ich spüre einen brennenden Stich an der Wade. Im ersten Moment denke ich an einen Dorn oder Stachel, aber da war auch schon Pedro herzu­gesprungen. Ich sah im gleichen Augenblick vor mir in Brusthöhe eine wütend-steilaufgerichtete Schlange, die mich heimtückisch ange­fallen hatte und sich zu neuem Angriff bereit machte. Tja, was soll

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ich noch groß sagen", meinte der Waldläufer, „ehe ich mich recht fassen konnte, hatte der Indio ihr Gott sei Dank geistesgegenwärtig den Kopf abgeschlagen. — Sonst säße ich nicht mehr hier — guter Freund!"

„Prost!", sagte Nissen, „Glück muß man haben!" Aber nachher das Ausbrennen, was? War wohl sehr schmerzhaft?"

„Kann man wohl sagen! — Mein Indio brannte mir ein mächtig großes Stück Fleisch aus, das ordentlich stank, obwohl nur zwei kleine, blaurote, stecknadelkopfgroße Punkte in der Wade zu sehen gewesen waren."

„Eigentlich", überlegte Nissen, „hab ich mit den Biestern bisher immer Glück gehabt —. Aber da wir gerade von kleinen Punkten sprechen — hast du schon mal mit einem Vampir zu tun gehabt?"

„Mit einem Vampir?" Bradley blickte mit nicht mehr ganz klaren Augen auf Nissen, denn er hatte ziemlich viel getrunken. —- „Hab schon viel davon gehört, daß sie Schlafende anknabbern und ab­zapfen wie einen Gummibaum — aber in so einer Gegend mit Vampiren war ich noch nicht."

„Aber ich habe sie mal ganz fürchterlich erlebt, und das Schönste war, wir konnten uns mit nichts dagegen wehren", fing Nissen seine Geschichte an. Er sprach mit einem kleinen Zungenschlag, denn auch bei ihm begann der Whisky zu wirken. „Das war auf einer Expe­dition den Rio Negro rauf und dann in irgend so einen Nebenlauf

Gummibaum-Plantage mit Samenbeeten

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hinein. Wir fuhren damals, vier Mann hoch, mit einem Prospektor, der nach Petroleum suchte! Wir waren alle ziemlich fertig zu der Zeit, denn wir hatten anstrengende Tage an besonders schwierigen Wasserfällen hinter uns."

„Kennen wir", winkte der andere mit der Hand ab und wippte, die Zigarette im Mund, mit dem Barhocker hin und her! „Kenne das! Boot ausladen, schieben, drücken, dann, wenn der Wasserfall hinter einem liegt, wieder einladen. — Ist immer dasselbe!"

Nissen guckte unwillig auf einige Gäste der Bar, die irgendeinen Song anstimmten, und rückte näher an den Amerikaner heran.

„Aber bei uns war's besonders schlimm. Erst einmal hatten wir die ganze Ausrüstung, Geräte und Kanister mit Wasser und Nah­rungsmitteln an das Ufer geschleppt und sie dann ein paar hundert Meter durch den Dschungel weiter flußaufwärts geastet, bis die Felsenklippen im Strom aufhörten. Einen ganzen Tag brauchten wir dazu. Am nächsten Morgen zogen und schoben wir dann die Boote, bis am Hals in dem reißenden Wasser stehend, die Klippen der Stromschnelle hinauf. Es war ein verteufeltes Geschäft — wir selbst konnten uns nur schwer halten und die Kanus, die immer wieder auf Felsen stießen, nur mühsam von der Stelle bringen. Einige unserer Leute verloren den Halt und wurden weit abgetrieben, und es verging eine lange Zeit, bis sich dann die armen Kerle blutig und zerrissen zu uns zurückgearbeitet hatten.

„Na, und . . .?" knurrte der Amerikaner, „haben wir schon dutzendmal mitgemacht."

„Aber nun höre doch, Bradley", ereiferte sich Nissen, „was noch kommt,,Hinter der Felspartie also hatten wir wieder schönes Fahr­wasser vor uns. Fluß konnte man zu der Strecke zwar nicht gerade sagen — weil nämlich alles versumpft war; das Wasser zog sich in hunderterlei Kanälen, Seitenarmen und Bächen durch ein Gewirr von Inseln, Bänken und Anschwemmungen. Meilenweit stand der Urwald unter Wasser, alles schien ein einziger riesiger Sumpf, und es stank darin süßlich und faul wie die Pest. Krokodile wälzten sich im Schlamm, Anacondas fegten durchs Wasser, und tausend bunte Schmetterlinge gaukelten durch das grüne Blättergewirr. Wir schlängelten uns vorsichtig durch das Gestrüpp eines Seitenarmes, bis uns mit einemmale angeschwemmtes Buschwerk, das sich in einem umgestürzten Baum verfangen hatte, die Durchfahrt sperrte.

„Na, und?" fragte der Amerikaner wieder. „Das brauchtet ihr doch nur auseinander zu hauen."

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„ N u r , n u r ! " spöttelte Nissen. „Nämlich in diesem Augenblick, als zwei von uns ins Wasser wollten, um das Hindernis beiseite zu räumen, da sehe ich zufällig, wie ein Wasserschwein flüchtend vor uns in den Tümpel springt und an das andere Ufer will. Aber kaum ist das Vieh drin, da spritzt und brodelt das Wasser auf, schäumt und kocht, und die Gischt färbt sich rot von Blut — Pyranhas!"

„O weh!" Bradley vergaß vor Aufregung das Schaukeln. „Diese Bestien! Mordlustig und blutdürstig wie keine anderen

am ganzen Amazonas!" „Ja, zu Hunderten versammelten sich diese kleinen Raubfische

mit ihrem großen Maul und den rasiermesserscharfen Zähnen um das arme Schwein, von dem im Handumdrehen kaum noch etwa6 zu sehen'war. Sekunden nur dauerte das gräßliche Schauspiel, dann lag das Wasser wieder so ruhig da wie zuvor, und nur das sauber ab­genagte Gerippe des Tieres trieb langsam flußabwärts. Stell Dir vor, Junge, etwas später, und unseren beiden Männern, die ins Wasser steigen wollten, wäre es genauso ergangen! Und keiner hätte ihnen gegen diese Haie des Amazonas helfen können."

„Mein Freund ist durch diese Wasserhyänen draufgegangen", murmelte Bradley und sah vor sich hin. „Ging blitzschnell — er konnte nicht mal rufen, da hatten sie ihn schon zerfetzt, die Py­ranhas. Noch nicht mal ein Blutstropfen blieb übrig!"

Eine Weile war es still zwischen den beiden Männern. Die Bar hatte sich inzwischen langsam geleert. In der einen Ecke hatten sich einige Frauen mit ihren Kindern ihre Hängematten aufgespannt und kuschelten sich in den Schlaf. Ein paar Hunde strichen schnüf­felnd an den Tischen lang.

„Los! alter Knabe", scheuchte der Amerikaner den eingenickten Mixer hoch, „bring noch zwei — nein vier von dem elenden gelben Zeug, das du Whisky nennst!"

„Ein Prost, darauf, daß wir noch leben . . . ! ' ' Der Yankee schwang sein Glas.

„Cheerie, Senhor!" prostete Nissen müde zurück und lehnte sich gegen die Theke.

„Und wie war das mit dem Vampir? Das mußt du mir noch sagen. Freund", fragte der Waldläufer.

„Ach, laß mich in Ruh!" antwortete der Norweger schläfrig — er war das viele Trinken der Leute hier am Amazonas nicht mehr gewöhnt. Aber dann raffte er sich doch noch auf: „Das war auf jener Fahrt durch die Stromschnellen. Wir wurden von Tag zu Tag müder und schlapper, und wenn wir morgens aufstanden, brummte uns

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bös der Schädel. Erst dachten wir alle, es sei das Fieber — aber dann sagte uns ein alter Gummisammler, der sich unserer Expedi­tion angeschlossen hatte, was los sei: Es waren Vampire, große Fledermäuse, die uns, wenn wir schliefen, das Blut aussaugten und uns schwach und armselig machten. Gemerkt hatten wir nichts da­von — die Vampire haben einen so feinen Instinkt, daß sie nur an den rangehen, der wirklich tief schläft. Am liebsten zapfen sie mit ihren scharfen kleinen Augenzähnen Zehen, Nase oder Hände der Schlafenden an, so leise, so zart, daß man es nicht spürt. Die Fleder­maus läßt sich nicht etwa auf dich nieder, nein sie flattert geräusch­los auf der Stelle, bis sie genug herausgesaugt hat. Am nächsten Morgen findet man höchstens noch ein paar Flecken Blut am Kopf­oder Fußende, das sie zurückgelassen haben. Diese Blutsauger sind Sinnbild für die Heimtücke dieser Wildnis."

„Und so ist alles hier!" sagte der Waldläufer plötzlich sehr ernst. „Alles" und er stemmte die Faust wider die Tischkante, „alles hier am Amazonas macht dich fertig — alles ist gegen dich, die Natur, die Tiere, die Menschen! Geh wieder heim, Nissen, sag ich dir, ehe es zu spät ist — ehe dich der Bann gepackt hat und du nicht mehr loskommst aus der grünen Hölle."

Der Yankee meinte es ehrlich. „Sieh mich an!" sagte er, „sieh, was der Urwald aus mir gemacht

hat. Und doch muß ich wieder hinein in die Wälder, die mein Schick­sal sind." — Bradley stand auf und ging. Nissen aber saß noch lange und dachte nach über den Waldläufer, über das unheimliche Land, über die Menschen . ..

Am nächsten Tag legte der Dampfer bei einer kleinen Station an. Nissen und Bradley schlenderten durch das fieberverseuchte Nest, das einmal in der unglückseligen Kautschuk- und Diamanten­zeit eine Großstadt hatte werden wollen. Zwischen armseligen Palm-strohhütten standen verrostete alte Gaslaternen. Sie waren niemals angezündet worden. Der Urwald wucherte zwischen den geborstenen Mauern halbfertiger Gebäude, die vordem die Schule und den Magistrat hatten aufnehmen sollen. — Mischlinge standen untätig und mit den hohlen Augen und blauen Lippen der Fieberkranken vor den Hütten oder lungerten bettelnd an den Hafenkais.

Bei der Weiterfahrt auf dem trägen breiten Strom sind kaum die Ufer zu sehen. Dann taucht im flirrenden Dunst der Mittags­hitze Manaos, die Amazonashauptstadt, auf. Arme Caboclos-Hütten stehen, auf hohen Pfählen gegen plötzliche Hochwasser geschützt, am Ufer. Docks lösen mit großen eisernen Kranen das Bild der

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Armut ab. Hinter den Palmen und Mangobäumen der Uferstraße leuchten die weißen Mauern der Häuser.

Nissen ist am Ziel! — Nur ungern trennt er sich von Bradley, der nach dem peruanischen Teil von Amazonien weiter fahren will. Dort ist man dabei, den Urwaldgürtel zu kultivieren, der sich am Fuße der Anden in Höhenlagen von 600—1800 m hinzieht. Straßen werden dort gebaut und Rodungen vorgenommen, schon sind kleine Dörfer, Schulen und Plantagen mit Kaffee, Reis, Baumwolle und Kakao entstanden. Menschen aller Rassen arbeiten in diesem Gebiet, vor allem viele Japaner. Bradley will hier auf einer Pflanzung in Ruhe und in einem besseren Klima, als es die Amazonasniederung bieten kann, Arbeit finden; hier braucht er auf den Wald nicht zu verzichten, denn sein Saum reicht mit einigen Ausläufern bis an die Siedlungen heran.

Indianer-Aufstand In Manaos hätte man inzwischen beobachten können, wie herzlich

die Wiedersehensfreude der beiden Freunde Nissen und Hansen zum Ausdruck kam. Man sieht sie mit der elektrischen Straßenbahn, dem Überbleibsel aus der großen Glanzzeit, durch die hellen, freund­lichen Straßen der Urwaldzentrale fahren. Beglückt nimmt der Nor­weger den Anblick der Stadt auf. Alles scheint ihm wieder so ver­traut, als sei er niemals fortgewesen. Da steht noch immer die Kathedrale, dort liegt der Platz der Republik und dort das riesen­große, pompöse Theater mit der vergoldeten Kuppel, auch ein Erinnerungsstück, ein Zeuge von dem Reichtum in der Kautschukzeit.

Die Leute stehen in auffallenden Gruppen, heftig diskutierend, auf den Straßen, und schmutzige Zeitungsjungen rennen wild schreiend durch die Stadt. Die Indianerstämme fast im ganzen Amazonasgebiet sind in Aufruhr und überfallen Siedlung um Siedlung! Morden, was ihnen in den Weg kommt! Die Nachricht geht wie ein Lauffeuer durch den Ort, der selber nicht bedroht und auch genügend gesichert ist.

Am Abend, als sie im Wohnzimmer unter dem großen Propeller zusammensitzen der ihnen Luft zufächelt, geht Hansen auf den Indioaufstand ein. „Angefangen hat es vor ungefähr vier oder fünf Monaten", berichtet er, „da kamen mehr als sonst Meldungen von Überfällen aus dem Gebiet zwischen dem Rio Araguaya und Xingu, der schlimmsten Ecke, was die Indianer betrifft. Die Cayapos und Carajas benahmen sich wie die Teufel. Selbst alte Gummi- und Paranuß-Sammler, die sie bisher geduldet hatten, wurden nieder-

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gemetzelt oder verbrannt. Wochenlang dröhnten die Trommeln. Kein Weißer oder Mischling, ja nicht einmal die zahmen Indios wagten sich in den Wald. Curupira, der Dämon des Urwaldes, ging um. Sein böser Geist verhexe die Menschen, sagten sie. Na, ich kann mir vorstellen, daß die Medizinmänner diese bösen Geister waren, ihr Einfluß ist größer als die Macht der Häuptlinge. Ja, und dann fingen die Xavantes, Kolapolas, Anauqua an, und der Auf­stand zog sich bis an den oberen Amazonas, wo sich natürlich auch die Kopfjäger, die Huitolas und Ketschuas, beteiligten.

Jetzt hat die Regierung Truppen und Polizei mit Motorbooten die Flüsse hinaufgeschickt und die Fazendas, die Siedlerhäuser und Plantagen besetzen lassen. Aber was nützt das, diese Waldindianer sind kaum zu fassen — im Gegenteil, sie locken die Männer in den Dschungel und töten sie.

Die Hauptwaffe der meisten Indios ist das Blasrohr. Ihre Ge­schicklichkeit in der Anfertigung und dem Gebrauch dieser ge­fürchteten, lautlosen und tödlichen Waffe ist meisterhaft. Das drei Meter lange Rohr mit einem genau dem Mund angepaßten Mund­stück hat eine Bohrung von nur wenigen Millimetern. Eine er­staunliche Tatsache, wenn man sich die primitiven Handwerkszeuge, Steine, Muscheln und Tierzähne, der Eingeborenen vor Augen hält.

Fünfzig Meter und mehr trägt der aus dem Rohr geschossene Pfeil, mit dem ein geschickter Jäger selbst einen Kolibri im Fluge herunterholen kann. Die erstaunlich dünnen Pfeile sind stets mit Gift, mit dem unheimlichen Curare, bestrichen. Sie wirken, selbst wenn sie nur die Haut ritzen, immer tödlich; das Gift läßt den Tod in wenigen Minuten eintreten. Gewonnen wird es aus dem Saft einer Liane, der in einem langen Verfahren unter Mitwirkung des Medizinmannes so lange gekocht wird, bis er eine bräunliche Masse ergibt. Jeder Kriegszug gegen andere Stämme beginnt mit einer Zeremonie des Medizinmannes, der behauptet, in ständiger Ver­bindung mit den Wald- und Flußdämonen zu stehen. Deshalb zieht er mit in den Kampf, um die Feinde zu behexen und seinen Stamm vor dem gegnerischen Zauber zu schützen.

Der Kriegszug selbst ist nichts als ein hinterhältiger Überfall. Ein Kampf, Streitmacht gegen Streitmacht oder Mann gegen Mann, findet nur in den seltensten Fällen statt. Ist das feindliche Dorf von Kundschaftern ausgemacht, so folgt raubtierähnlich, gewandt und lautlos die Hauptmacht, die auf ein Zeichen des Häuptlings unter schrecklichem Gebrüll auf die ahnungslosen Bewohner losstürzt.

Was nun folgt, ist grausam wie die Wildnis selber. Ohne Gnade

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Indianer vom Rio Napo mit Blasrohr

und Barmherzigkeit wird alles, was sieh gewehrt hat, niedergemacht, die Hütten werden ausgeraubt und die Siedlung abgebrannt. Die überlebenden Frauen und Kinder aber treibt man als Gefangene zusammen. Gehört der angreifende Stamm zu den Kopfjägern, die in den Quellgebieten des Amazonas hausen, so gehen jetzt die Krieger von Leichnam zu Leichnam, ihre gräßlichen Siegestrophäen einzu­holen, das heißt, sie hacken die Köpfe ihrer toten Feinde ab.

Die Kopfjäger schleppen dann ihre grauenvollen Beutestücke, auf Bastfäden aneinandergereiht oder an den Haaren zusammenge­bunden, im Triumph ins heimatliche Dorf. Dort werden sie vom Medizinmann und unter der Teilnahme aller Krieger präpariert: heiße Steine und glühender Sand werden in die ausgehöhlten Schädel gesteckt. Die Köpfe schrumpfen dabei auf ein Drittel ihrer ehe­maligen Größe zusammen. Die grausige Handlung wird durch ein Fest abgeschlossen. Wüst und wild ist das Siegesgelage, und bis spät in die Nacht sieht man die Krieger, wie sie die auf Speere ge­steckten Köpfe umtanzen.

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Nur wenige Indiostämme, die längere Zeit mit Weißen Be­rührung hatten, sind über die Kultur der primitiven Jäger und Sammler hinausgekommen. Es sind Halbnomaden, die auf selbst ge­rodetem Waldboden Felder mit Kartoffeln, Mais, Juka, Jamswurzeln, Erdnüssen und Tabak bebauen.

Ein solches Feld anzulegen, ist eine ungeheure Leistung. Mit dem einzigen Werkzeug, der Steinaxt, müssen Gestrüpp, Lianen und Niederholz gekappt werden. Die riesenhaften Stämme von oft 30—40 Meter und mehr Höhe dagegen werden von einigen kräftigen Männern so lange bearbeitet, bis sie umstürzen. Wurzeln und Stämme bleiben liegen, damit die Sonne sie mürbe macht; dann werden sie verbrannt und die dicken Stämme, die nicht verkohlen, in den Urwald gerollt. In eine Ecke der so geschaffenen Lichtungen bauen sie ihre Hütten, die Wände sind aus Palmenstämmen und Blättern gefügt. Jeder Familie kommt eine Hütte zu, und zur Familie gehört neben den Kindern der Mann mit seinen vier bis sechs Frauen; denn bei den Indios herrscht wegen der männer­mordenden Kriegszüge noch immer die Vielweiberei. Damit es keinen Streit und Zank gibt, hat jede der Frauen im Innern der Hütte ihre eigene Feuerstelle. Gebraten und gekocht wird am Spieß oder in irdenen, gebrannten Töpfen, die von den Frauen ohne Drehscheibe geformt werden. Überhaupt ist die Arbeit fast ganz den Frauen aufgebürdet. Sie müssen unter den schwierigsten Ver­hältnissen das Feld bestellen, die immer wieder wuchernden giftigen und dornigen Pflanzen und schädlichen Insekten ausrotten, mit primitiven Webgeräten weben und spinnen, kochen, — auf dem Speisezettel stehen neben Mais und Früchten meist Affen und Fische — und Kassave kauen. Die Frucht Kassave, eine kartoffel­ähnliche Knolle, wird erhitzt und dann von den Frauen Stück für Stück im Mund zu einem Brei zerkaut und auf einen Haufen ge­spuckt. Diese eklige weiße Masse, ein Hauptnahrungsmittel der Indios, wird danach in Krüge gefüllt, wo sie, durch den Speichel konserviert, zum Gären kommt und monatelang frisch bleibt. Zur Mahlzeit wird sie mit Wasser vermischt und erhält dadurch das Aus­sehen und den Geschmack von Buttermilch.

Die Männer sind, wie es das Leben im Urwald verlangt, haupt­sächlich Krieger und Jäger. Außer dem Hütten- und Kanu-Bau etwas zu arbeiten, halten sie für unter ihrer Würde. Darum werden sie auch von Jugend an zum Herstellen von Speeren, Macheten, Blasrohren, Giftpfeilen und Einbäumen sowie dem Kriegs- und Jägerhandwerk erzogen.

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Das also sind die Menschen, die plötzlich wie auf einen einzigen Befehl aus den Tiefen des Urwalds heraus gegen die Weißen auf­gestanden sind. Wollen sie sich auf diese Weise gegen die großen nützenden Vögel wehren, die donnernd über ihre Wälder brausen, oder ahnen sie, daß man draußen in der Welt mit dem Gedanken umgeht, den riesigen Regenurwald mehr und mehr zu erforschen, um ihn schließlich in ferner Zukunft doch einmal in großem Maß­stab wirtschaftlich ausschöpfen zu können?

Um all diese Fragen kreiste das Gespräch der beiden Freunde, die sich nach vielen Jahren in der Urwaldstadt Manaos wieder­begegnet waren.

„Hast du schon Nachricht von deinen Plantagen?" fragte der Norweger und ßchaute auf das feinmaschige Drahtgitter vor dem offenen Fenster, an dem, angelockt durch das Licht, zahlreiche Insekten und Moskitos summten und raschelten.

„Nein — noch nichts!" entgegnete Hansen. „So bald werde ich auch nichts erfahren; die eine liegt sechs, die andere neun Tage­reisen von hier." Der Pflanzer hat den Kopf in die Hände gestützt. „Unruhig bin ich schon. Sie sind doch schließlich meine Lebensarbeit, diese Pflanzungen . . . Wenn sie zerstört würden .. .! Aber", — er gab sich einen Ruck, „es wird schon gut gegangen sein. Ich kann mich auf meine Leute verlassen, und mit den Indios in der Nach­barschaft stehe ich auf gutem Fuße!"

„Und dann", sagte der Pflanzer und streckte Nissen die Hand hin, „bist du ja wieder da. Übermorgen fahren wir beide in den Ur­wald und sehen auf den Plantagen nach dem Rechten!"

„Ja", sagte Nissen und drückte die Hand seines Freundes, „soweit es an mir liegt, soll mich die ,Grüne Hölle' nicht unterkriegen."

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der Prophet Allahs Erd- und L ä n d e r k u n d e : 43 65

67 69 71 73 75 77 82 83

Der sechste Erdteil Eisbrecher erkämpfen

Nordost-Passage Im Reich der Höhlen Japan Das Land Sibir Roald Amundsen Urwald Windhunde des Ozeans Rätsel der Osterinsel Die großen Kanäle

85 94

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Pygmäen Schätze, die das Meer

verschenkt Die Criine Hölle am

Amazonas N a t u r k u n d e : 45 47 52 53 57 62 64 70 74 78 88 92

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Augen auf! Das überlistete Tier Tier-Riesen der Urzeit Das verwandelte Tier Tiervölker wandern Über Wald und Heide Ringvogel B 32521 Tierleben (A. Brehm) Hydra Grimback — der Hamster Unsichtbare Feinde Herden unter der

Mitternachtssonne Mein Freund — der Igel

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