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Gerhard Naegele (Hrsg.) Soziale Lebenslaufpolitik€¦ · Sozialpolitik und Sozialstaat...

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Gerhard Naegele (Hrsg.) Soziale Lebenslaufpolitik
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Page 1: Gerhard Naegele (Hrsg.) Soziale Lebenslaufpolitik€¦ · Sozialpolitik und Sozialstaat Herausgegeben von Prof. Dr. Adalbert Evers Prof. Dr. Rolf G.Heinze Prof. Dr. Stephan Leibfried

Gerhard Naegele (Hrsg.)

Soziale Lebenslaufpolitik

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Sozialpolitik und Sozialstaat

Herausgegeben von

Prof. Dr. Adalbert EversProf. Dr. Rolf G. HeinzeProf. Dr. Stephan LeibfriedProf. Dr. Lutz LeiseringProf. Dr. Thomas OlkProf. Dr. Ilona Ostner

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Gerhard Naegele (Hrsg.)

unter Mitarbeit von Britta Bertermann

Soziale Lebenslaufpolitik

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1. Auflage 2010

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010

Lektorat: Frank Schindler

VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.www.vs-verlag.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes istohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbeson derefür Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesemWerk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solcheNamen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachtenwären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, MeppelGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in the Netherlands

ISBN 978-3-531-16410-6

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Inhalt

Einführung 9 Gerhard Naegele Wie die Idee zu diesem Buch entstand und Inhaltsüberblick 11 Lebenslaufforschung und (soziale) Lebenslaufpolitik Gerhard Naegele Soziale Lebenslaufpolitik – Grundlagen, Analysen und Konzepte 27 Wolfgang Clemens Lebensläufe im Wandel – Gesellschaftliche und sozialpolitische Perspektiven 86 Gerhard Naegele, Corinna Barkholdt, Bert de Vroom, J. Goul Andersen und Katrin Krämer A new organization of time over working life – Results from a European Foundation research project of the same name 110 Andreas Kruse und Eric Schmitt Lebensläufe und soziale Lebenslaufpolitik in psychologischer Perspektive 138 Manuela Weidekamp-Maicher Lebensqualität und Lebenslauf – eine nützliche Verschränkung für eine soziale Lebenslaufpolitik? 174

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6 Inhalt

Konzepte und Perspektiven (1) – Familie, Gender und Generationenbeziehungen Helga Krüger Familienpolitik und Lebenslaufforschung miteinander verknüpfen: ein zweifacher Gewinn 217 Uta Meier-Gräwe Erwerbsarbeit und generative Sorgearbeit neu bewerten und anders verteilen – Perspektiven einer gendersensiblen Lebenslaufpolitik in modernen Dienstleistungsgesellschaften 245 Armin Laschet Grundzüge einer Generationenpolitik am Beispiel Nordrhein-Westfalen 268 Konzepte und Perspektiven (2) – Gesundheit und Pflege Susanne Kümpers und Rolf Rosenbrock Gesundheitspolitik für ältere und alte Menschen 281 Monika Reichert Pflege – ein lebensbegleitendes Thema? 309 Konzepte und Perspektiven (3) – Arbeit, berufliche Bildung und Beschäftigung Günther Schmid Von der aktiven zur lebenslauforientierten Arbeitsmarktpolitik 333 Gerhard Bosch Lernen im Erwerbsverlauf – Von der klassischen Jugendorientierung zu lebenslangem Lernen 352 Annette Franke Existenzgründungen im Lebenslauf 371

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Inhalt 7

Konzepte und Perspektiven (4) – Lebenslauforientierte Ältere-Arbeitnehmer-Politik Christiane Flüter-Hoffmann Der Weg aus der Demografie-Falle – Lebenszyklusorientierte Personalpolitik 411 Rita Oldenbourg und Juhani Ilmarinen Für eine lebenslaufbezogene Arbeitsfähigkeitspolitik 429 Gerhard Naegele und Mirko Sporket Perspektiven einer lebenslauforientierten Ältere-Arbeitnehmer-Politik 449 Philip Taylor, Elizabeth Brooke and Tia Di Biase European employer policies concerning career management and learning from a life-span perspective 474 Hartmut Seifert Arbeitszeit- und Lernzeitkonten – Ein Ansatz für alternsgerechtes Arbeiten? 498 Konzepte und Perspektiven (5) – Finanzielle Sicherung im Alter Frank Berner, Laura Romeu und Andreas Motel-Klingebiel Lebenslauforientierung in der Alterssicherung 517 Winfried Schmähl Soziale Sicherung im Lebenslauf – Finanzielle Aspekte in längerfristiger Perspektive am Beispiel der Alterssicherung in Deutschland 550 Konzepte und Perspektiven (6) – Präventive Altenpolitik und active ageing Alan Walker The Emergence and Application of Active Aging in Europe 585 Anja Ehlers Bildung im Alter – (k)ein politisches Thema? 602

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8 Inhalt

Britta Bertermann Aktives Altern und Bildung 619 Thomas Olk Bürgerschaftliches Engagement im Lebenslauf 637 Konzepte und Perspektiven (7) – Europäische und internationale Ansätze Ute Klammer Flexibilität und Sicherheit im individuellen (Erwerbs-) Lebensverlauf – Zentrale Ergebnisse und politische Empfehlungen aus der Lebenslaufforschung der European Foundation 675 Bernd Waas Lebenslaufpolitik in den Niederlanden – Die „levensloopregeling“ aus deutscher Sicht 711 Victor W. Marshall and Julie Ann McMullin The Life Course Perspective and Public Policy Formation: Observations on the Canadian Case 732 „Gerontologischer Ausblick“ – Lebenslaufforschung und Soziale Gerontologie Corinna Barkholdt und Gerhard Naegele Konturen und Fragen einer sozialgerontologischen Lebenslaufforschung 751 Autorinnen- und Autorenverzeichnis 771

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Einführung

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Gerhard Naegele Wie die Idee zu diesem Buch entstand und Inhaltsüberblick

Die Vorstellung von einer „sozialen Lebenslaufpolitik“ ist im Grundsatz nicht neu. Vor allem auf EU-Ebene wurde sie bereits Mitte/Ende der 1990er Jahre als ein geeignetes sozialpolitisches Konzept zur Bewältigung der sozialen Heraus-forderungen und Risiken des demografischen und sozial-strukturellen Wandels präsentiert, dabei auch als Reaktion auf die neuen Risiken in einer strukturell veränderten Arbeitslandschaft gesehen, teilweise als ein Instrument zur Moderni-sierung der europäischen Sozialmodelle diskutiert und für einzelne Politikberei-che sogar schon mehr als nur in Ansätzen konzeptualisiert (Siehe den Beitrag von Klammer in diesem Buch). In Deutschland ist eine grundlegende und wis-senschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit der Idee einer sozialen Lebens-laufpolitik bislang ausgeblieben, von einer – und schon gar nicht politikfeldüber-greifenden – Konzeptualisierung kann keine Rede sein. Was fehlt, ist eine inte-grierte wissenschaftliche Analyse dazu, welchen Beitrag eine explizit auf den Lebenslauf bezogene Sozial- und Gesellschaftspolitik zur Bewältigung der sich aus insgesamt stark verändernden Lebensläufen und Erwerbsbiografien resultie-renden veränderten alten und neuen sozialen Risiken leisten kann; auch wenn es aus verschiedenen Fachdisziplinen Zugänge zum Thema gibt.

Unter sozialer Lebenslaufpolitik soll im Folgenden eine Sozialpolitik ver-standen werden, die darauf zielt, (1) im klassischen Sinne der „Schutzfunktion“ von Sozialpolitik soziale Risiken in den Lebensläufen und Erwerbsbiografien der Menschen zu bekämpfen, und zwar mit einer explizit auf potenzielle Folgerisiken und -probleme in späteren Lebensphasen bezogenen präventiven Orientierung. Es geht ihr also um mehr als um die Absicherung von (normal-)biografischen sozialen Risiken, die typischer-weise in verschiedenen Phasen des Lebens(ver)laufs auftreten (können). Ziel ist gleichsam eine doppelte Absicherung: akute Risikoabsicherung und Unterstüt-zung bei Risikoeintritt sowie Vermeidung kurz- und insbesondere langfristiger Folgerisiken („Finalorientierung“).

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(2) im Sinne der „Gestaltungsfunktion“ von Sozialpolitik Menschen in allen Lebensphasen darin zu befähigen und zu unterstützen, Optionen für eine selbst- und mitverantwortliche sowie aus sozialpolitischer Sicht möglichst risiko- und problemfreie Gestaltung der eigenen Lebensläufe und ihrer Erwerbsbiografien zu erwerben, zu erkennen und auch zu nutzen. (3) vor dem Hintergrund der quantitativen wie qualitativen Bedeutungszunahme der Lebensphase Alter im Lebenslauf diese auch explizit und strategisch in den Blick zu nehmen. Ziel ist die sozialpolitische Beeinflussung von risikoträchtigen Lebenslagen und Lebens(ver)läufen im Alter durch möglichst frühzeitig, d.h. in früheren Lebensphasen ansetzende Maßnahmen mit „Langfristwirkung“. In die-sem Sinne kann soziale Lebenslaufpolitik zugleich die Funktion einer präventi-ven sozialen Altenpolitik einnehmen. Die verschiedenen Beiträge in diesem Buch versuchen nun – und zwar jeweils aus unterschiedlichen disziplinärenr Perspektiven und teilweise auch unter expli-zitem Rekurs auf internationale Konzepte – eine Bestandsaufnahme für die deut-sche Situation. Dabei wollen sie nicht nur das eine soziale Lebenslaufpolitik auch hierzulande begründende Themen- und Risikospektrum aufzeigen und je-weils darauf bezogene sozial- bzw. lebenslaufpolitische Ziele definieren. Viel-mehr ist auch Ziel dieses Buches, möglichst auch bereits darauf jeweils bezogene konkrete Sozialpolitikkonzepte oder zumindest -perspektiven zu präsentieren sowie schon praktizierte Ansätze vorzustellen und – soweit bereits möglich – zu evaluieren. Dabei erhebt das vorliegende Buch nicht etwa den Anspruch, die soziale Lebenslaufpolitik in einem umfassenden Verständnis abzuhandeln. Viel-mehr will es eine Art von „Zwischenbilanz“ dahingehend vornehmen, wie weit wir damit hierzulande bereits sind und in welche Richtung sich einzelne Felder der Sozial- und Gesellschaftspolitik weiterentwickeln sollten, um den o.g. An-forderungen an eine soziale Lebenslaufpolitik gerecht zu werden.

Dieser Aufgabe haben sich eine Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen gestellt. Dabei fällt auf, dass der vorliegende Band Beiträge von „alten Hasen“ ebenso enthält wie von jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die vergleichsweise „neu in der Szene“ sind. Diese Zusammenstellung ist explizit gewollt.

Auch der sich immer wieder „einschleichende“ „gerontologische Bias“ ist gewollt; und zwar nicht nur wegen der (sozial)gerontologischen „Brille“ des Herausgebers. Er ließe sich auch gar nicht vermeiden, schon wegen der mittler-weile hinreichend empirisch evidenten lebenslaufbedingten Vorprägung von sozialen Risiken von Alter(n) und im Alter sowie insgesamt wegen der stark gewachsenen quantitativen und qualitativen Bedeutung des Alters als eigenstän-

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dige Lebensphase in modernen Lebensläufen. Das demografische Altern der Bevölkerung gilt aktuell als eine der Mega-Herausforderungen für die Sozialpo-litik der Zukunft, demografische Bedrohungs- und Krisenszenarien sind weit verbreitet. Das Buch will daher auch zeigen, dass eine soziale Lebenslaufpolitik Perspektiven dahingehend beinhaltet, wie man die unzweifelhaft vorhandenen demografischen Risiken begrenzen bzw. vermeiden kann.

Die Idee zu diesem Buch entstand bereits vor mehr als 10 Jahren. Es gab viele Anstöße, von denen drei hier explizit Erwähnung finden sollen: Die Bun-destags-Enquete-Kommission demografischer Wandel, deren „Dauermitglied“ ich zwischen 1992 und 2002 war, hat schon sehr früh die Notwendigkeit lebens-laufbezogener Sozialpolitikkonzepte erkannt und in ihren Forderungen aufgegrif-fen, so z.B. in der Bildungs-, der Gesundheits-, der Arbeitsmarkt- und der Alters-sicherungspolitik. Die Europäische Stiftung (European Foundation for the Im-provement of the Living and Working Conditions) mit Sitz in Dublin hat mit ihrem Projekt „A new organisation of time over working life“, für das ich in der Zeit von 2001-2003 als Projektleiter mitverantwortlich sein konnte, die konzep-tionellen Grundlagen für eine auf sich strukturell verändernde Lebensläufe/Er-werbsbiografien und auf übergeordnete sozial- und gesellschaftspolitische Erfor-dernisse reagierende moderne soziale Sicherungs- und eine diese abstützende Lebensarbeitszeitpolitik gelegt (Siehe die Beiträge von Naegele, Barkholdt, de Vroom, Goul Andersen und Krämer sowie von Klammer in diesem Buch). Die Mitarbeit als sachverständiges Mitglied in der 5. Altenberichts-Kommission der Bundesregierung (2004 – 2006) zum Thema „Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft“ schließlich hat die Einsicht vertieft (und dabei den letzten Ausschlag für das vorliegende Buch gegeben), dass soziale Lebenslaufpolitik im Grundsatz präventive soziale Altenpolitik ist.

Dennoch hat es bis zur Veröffentlichung dieses Buches mehrere Jahre und verschiedene Anläufe gebraucht. Den Autorinnen und Autoren sei für ihre Ge-duld gedankt, insbesondere jenen, die von Anfang an mit dabei waren, und allen für ihre fachliche Unterstützung bei der Entwicklung dieses Buches. Unser ge-meinsames Andenken gilt dabei in besonderer Weise Helga Krüger, die als eine der ersten spontan ihre Bereitschaft zur Mitarbeit gegeben hat und die doch das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit nicht mehr erleben durfte. Ihrer Familie, die die Freigabe zum Druck ihres Textes gab, gilt mein Respekt und Dank zugleich. Insgesamt finden sich unter den hier versammelten Autorinnen und Autoren auch viele langjährige Weggefährten wie jüngere Kolleginnen und Kollegen, die gemeinsam mit mir für einen starken Sozialstaat durch eine bessere Sozialpolitik eintreten und in einer sozialen Lebenslaufpolitik eine wichtige Orientierungs-marge dafür sehen.

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Beiträge und Inhalte dieses Buches greifen die verschiedenen Teilbereiche und -politiken einer sozialen Lebenslaufpolitik auf. Explizit aus der Lebenslauf-perspektive behandelt werden Familien-, Gender-, Gesundheits-, Pflege-, Arbeits-markt- und Beschäftigungspolitik, Bildungspolitik sowie soziale Sicherungspoli-tik während des Erwerbslebens und im Alter. Aus den bereits genannten Gründen befassen sich verschiedene Beiträge explizit mit sozialer Altenpolitik und dabei u.a. auch mit dem neuen Konzept des „active ageing“. Quer dazu stehen Beiträge, die eher konzeptioneller Natur sind, andere wiederum berichten bereits über ferti-ge „Konzepte“. Die in englischer Sprache verfassten Originalbeiträge sind auch in dieser Sprache veröffentlicht, in dem Bestreben um Authentizität und in der Hoff-nung, dass damit kein/e Leser/in „abgeschreckt“ wird. Andererseits habe ich schon immer bewundert, wie knapp, klar und präzise englischsprachige Autoren komplexe sozialwissenschaftliche Themen abhandeln können; ohne in den Fehler vieler deutschsprachiger Autorinnen und Autoren zu verfallen, mit schwierigen Wort- und Satz“akrobatismen“ klare Sachverhalte unverständlich zu machen.

Eine erste Gruppe von Beiträgen ist eher von konzeptioneller Natur. Es geht hier insbesondere um Zusammenhänge zwischen Lebenslaufforschung und sozi-aler Lebenslaufpolitik, um Zielfragen sowie insgesamt um theoretisch-konzep-tionelle Einordnungen.

Gerhard Naegele unternimmt im Einführungsbeitrag, der in Teilen ver-sucht, die übrigen Beiträge in diesem Buch thematisch einzuordnen, für Deutsch-land den Versuch, die soziale Lebenslaufpolitik als Teil einer modernen Sozial-politik zu konzeptualisieren. Diese reagiert nicht mehr allein lediglich auf le-bensphasentypische soziale Risiken und Probleme, sondern hat deren lebenslauf-gebundene Prägungen wie Auswirkungen gleichermaßen zum Ausgangspunkt. Dabei stellt er Querbezüge zur bisherigen sozialwissenschaftlichen Lebenslauf-forschung her. Ausgehend von veränderten sozialen Risiken und Problemen mit Fernwirkungen für spätere Lebensphasen vor dem Hintergrund des demografi-schen und sozialstrukturellen Wandels, strukturellen Veränderungen in der Ar-beitswelt und übergeordneten „demografiepolitischen“ Erfordernissen wird die soziale Lebenslaufpolitik konzeptualisiert und werden Grundzüge einer sozialen Lebenslaufpolitik am Beispiel ausgewählter Sozialpolitikfelder behandelt.

Im zweiten Beitrag beschreibt und analysiert Wolfgang Clemens Lebensläufe im Wandel und fragt nach gesellschaftlichen und sozialpolitischen Perspektiven. Er unterstreicht und „modernisiert“ zugleich die These von der „Institutionalisie-rung des Lebenslaufs“, in dem er u.a. auf die veränderte Realität weiblicher Le-bensverläufe hinweist und die stark gestiegene eigenständige Bedeutung von Lebensphasen herausstellt. Der prägende Einfluss von Sozialpolitik auf moderne Lebensläufe und Lebensphasen wird am Beispiel des weiblichen Lebenslaufs vertiefend erläutert. In seinem Ausblick greift er die gerontologische Perspektive

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auf, fragt danach, wie sich die Lebensphase Alter vor dem Hintergrund variabler werdender und gewordener Lebensläufe verändert und plädiert für mehr „Offen-heit“ auch in dieser letzten Lebensphase durch Schaffung von mehr altersinte-grierten Strukturen. Er greift damit zugleich eine Forderung im 7. Familienbericht der Bundesregierung auf, die später in dem Beitrag von Uta Meier-Gräwe als Orientierung für eine moderne Familienpolitik erneut angesprochen wird.

Gerhard Naegele, Corinna Barkholdt, Bert de Vroom, J. Goul Andersen und Katrin Krämer berichten über Ergebnisse des bereits weiter oben erwähnten Projektes „A new organization of time over working life“. Dieses Projekt war das erste einer 2002/3 von der Europäischen Stiftung für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Dublin) angestoßenen lebenslaufpolitischen Forschungsinitiative und hat dabei mit die konzeptionellen Grundlagen für eine Lebenslaufpolitik (auf europäischer Ebene) gelegt. Ziel dieses Teilprojektes war es u.a., konzeptionelle Vorarbeiten für eine Lebenslaufpolitik zu leisten, deren primäres Ziel ist, die verschiedenen zeitlichen Friktionen zwischen den Berei-chen Privatleben, Erwerbsleben und soziales Leben im Lebens(ver)lauf zu über-brücken. Obwohl der Projektbericht auch hierzulande (in deutscher Sprache) erschienen ist, hat er in der fachwissenschaftlichen wie sozialpolitischen Diskus-sion nur wenig Verbreitung gefunden. Die nachträgliche Veröffentlichung der wichtigsten Projektergebnisse im Rahmen dieses Buches trägt dem Rechnung und erfolgt mit ausdrücklicher Unterstützung der Europäischen Stiftung. Im Beitrag von Ute Klammer wird dann später noch ausgeführt, wie es mit der le-benslaufpolitischen Initiative der European Foundation weiterging und zu wel-chen abschließenden Politikempfehlungen die mittlerweile fünf Projekte aus diesem Forschungskontext gekommen sind.

Andreas Kruse und Eric Schmitt ergänzen die bislang vorgenommenen sozi-alwissenschaftlichen Annäherungen um eine psychologische Perspektive. Dabei geht es ihnen insbesondere um die Wechselwirkungen von individuellen Ent-wicklungs- und Gestaltungsprozessen im Lebenslauf und den jeweiligen, soziale Strukturen und Lebenslagen prägenden Rahmenbedingungen. Kernbotschaft ihres Beitrags ist, dass Politik durch gezielte Einwirkung auf soziale Strukturen und Lebenslagen auch individuelle Biografien positiv beeinflussen kann, dass aber umgekehrt auch Menschen durch Nutzung ihrer individuellen Potenziale auf sozi-ale Strukturen „sowie auf die Entwicklung neuer politischer Ideen zur Gestaltung des Lebenslaufs“ Einfluss nehmen können: „Durch die Förderung infrastrukturel-ler Umweltbedingungen leistet sie (die soziale Lebenslaufpolitik; G.N.) einen Beitrag zur möglichst frühen Entwicklung seelisch-geistiger, körperlicher, kom-munikativer und alltagspraktischer Kompetenzen, die ihrerseits die Offenheit des Individuums für neue Entwicklungsaufgaben und Entwicklungschancen sowie

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dessen Anpassungsfähigkeit, Leistungsfähigkeit, Kreativität und Zufriedenheit in den einzelnen Lebensaltern positiv beeinflussen kann.“

Der Beitrag von Manuela Weidekamp-Maicher widmet sich den Ver-schränkungen von Lebenslauf und Lebensqualität und greift damit eine bereits im ersten Teilbericht der von der Europäischen Stiftung herausgegebenen For-schungsberichte breit behandelte Perspektive auf. Soziale Lebenslaufpolitik verfolgt demnach mit das Ziel, zu einer Steigerung der Lebensqualität der Men-schen in den verschiedenen Lebensphasen beizutragen. Der Beitrag fragt expli-zit nach dem Nutzen der Verschränkungen für eine soziale Lebenslaufpolitik. Dabei wird zunächst auf konzeptionelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Ansätze eingegangen. Hierzu werden Forschungsergebnisse vorgestellt, die den Einfluss von Politik auf Lebensqualität thematisieren. Die Schnittstellen der Lebensqualitäts- und Lebenslaufforschung werden dargestellt, und am Bei-spiel der erwerbsbiografischen Lebensphase „Arbeitslosigkeit“ wird abschlie-ßend verdeutlicht, wie diese für eine neue soziale Lebenslaufpolitik fruchtbar gemacht werden können.

Die Folgebeiträge thematisieren dann – jeder für sich – ausgewählte Politik-felder. In einem ersten Block werden die Bereiche Familien-, Gender- und Ge-nerationenpolitik angesprochen.

Helga Krüger sieht in der Verknüpfung von Familienpolitik und Lebens-laufforschung einen „zweifachen Gewinn“: Zum einen werden die traditionellen Themen der Familienpolitik dadurch bereichert und werden neue familienpoliti-sche Gestaltungsnotwendigkeiten offensichtlich: „Familiäre Zukunft ruft mit Nachdruck das Nachdenken über neue Chancen der Lebenslaufgestaltung auf den Plan“. Andererseits setzt der damit eingeleitete Perspektivenwechsel in der Familienpolitik auch neue Maßstäbe für die Theorie- und Empiriedebatte in der Lebenslaufforschung, da z.B. in den traditionellen Dreiteilungskonzepten „die Familie in ihrem eigenen Rhythmus der Gewichtung von Verlaufsrelationen und von Lebensbereichen über die biografische Zeit nicht mitgedacht ist“.

Uta Meier-Gräwe – ebenso wie Helga Krüger Mitglied der Kommission zur Erstellung des 7. Familienberichtes der Bundesregierung – befasst sich mit Per-spektiven einer „gendersensiblen Lebenslaufpolitik in modernen Dienstleis-tungsgesellschaften“. Zunächst konstatiert sie für Deutschland für Männer und Frauen (immer noch) unterschiedliche Lebenslaufmuster mit nicht gegebener Gleichrangigkeit von männlich und weiblich konnotierten Lebensmustern. Vor dem Hintergrund veränderter demografischer, ökonomischer und gesellschaftli-cher Rahmenbedingungen plädiert sie für eine Neubewertung und Andersvertei-lung von Erwerbsarbeit und generativer Sorgearbeit zwischen den Geschlech-tern: „Lebenslauftheoretisch geht es um die Auflösung der traditionell nach Ge-schlecht getrennten Lebenswege und um eine Neujustierung sämtlicher lebens-

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laufbegleitenden Institutionen, so dass die Verbindung von Bildungs-, Erwerbs- und Familienarbeit als Grundmuster der Biographie einer Person und zwar unab-hängig vom Geschlecht in unterschiedlichen Mischungen und mit flexiblen Übergängen gelebt werden kann“.

Armin Laschet, erster Generationenminister der Republik, stellt in seinem Beitrag die Grundzüge einer Generationenpolitik am Beispiel Nordrhein-West-falens vor. Diese wird in NRW vor dem Hintergrund des allgemeinen demogra-fischen Wandels konzeptualisiert und praktiziert. Ziel ist dabei zum einen die Förderung der Solidarität der Generationen untereinander und zum anderen zu ermöglichen, „dass alle Generationen ihre Potenziale frei entfalten können. … Funktionieren und Bestand einer Gesellschaft hängen nicht nur davon ab, ob die in ihnen lebenden Generationen miteinander kommunizieren und agieren, das Funktionieren ist auch wesentlich davon bestimmt, ob die Zuwendungen, Pflich-ten und Lasten von allen akzeptiert verteilt sind.“

Ein zweiter Block befasst sich mit dem Zusammenhang von Lebenslauffor-schung, Gesundheits- und Pflegepolitik. In beiden Beiträgen kommt die bereits erwähnte gerontologische Perspektive zum Tragen.

Susanne Kümpers und Rolf Rosenbrock befassen sich mit Gesundheitspolitik als Lebenslaufpolitik. In Anbetracht der demografischen Entwicklung und des damit zusammenhängenden Drucks auf die sozialen Sicherungssysteme plädieren sie für eine Gesundheitspolitik, die zum einen auf den Lebenslauf jeweils strate-gisch einbeziehende Präventionsstrategien basiert, und zum anderen auf solche gesundheitlichen Versorgungskonzepte zielt, die auf die spezielle Morbiditäts-struktur älterer Menschen einschließlich der damit verbundenen komplexen ge-sundheitlichen Versorgungsbedarfe jenseits der rein medizinischen ausgerichtet sind. Eine zentrale Begründung für den Lebenslaufbezug auch in der Gesund-heitspolitik liegt in der empirischen Evidenz von lebenslaufbedingten gesundheit-lichen Einschränkungen und deren vielfache Überlagerung durch soziale Un-gleichheiten, die sich im Lebenslauf kumulieren. Ein Ziel ist daher, gesundheitli-che soziale Ungleichheit (auch) im Alter zu begrenzen bzw. zu vermeiden.

Pflege ist ein Thema, das Menschen ein Leben lang begleiten kann und nicht erst im Alter. Der Beitrag von Monika Reichert belegt diese These, spricht sich dafür aus, Pflege und Pflegetätigkeit vor dem Hintergrund des demografi-schen Wandels aus der Lebenslaufperspektive zu betrachten und betritt dabei insofern wissenschaftliches Neuland, als dass dieser Aspekt von Pflege bislang – zumindest in der deutschsprachigen Literatur – nicht behandelt wurde. Zu die-sem Zweck wird in einem ersten Schritt und auf der Basis der verfügbaren Daten und Fakten dargelegt, dass „Pflege von Angehörigen“ nicht nur im Alter und in Bezug auf ältere Menschen eine Rolle spielt, sondern im Grundsatz über den gesamten Lebenslauf stattfinden kann. In einem zweiten Schritt werden ver-

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schiedene Pflegeszenarien vorgestellt, die zeigen, wie sich Pflege in unterschied-lichen Lebensphasen auf die Pflegenden und die Pflegebedürftigen auswirkt. Der Beitrag schließt mit Überlegungen dahingehend, wie Gesellschaft und Sozialpo-litik auf Pflege als lebenslange Aufgabe reagieren sollten und plädiert insofern für eine lebenslaufbezogene Pflegepolitik.

Eine dritte Gruppe von Beiträgen widmet sich erwerbsarbeitsbezogenen Be-zugspunkten für eine soziale Lebenslaufpolitik. Behandelt werden neue und alte erwerbsbiografische Beschäftigungsrisiken einerseits sowie Konzepte ihrer Ein-grenzung und sozialpolitischen Absicherung andererseits.

Vor dem Hintergrund zunehmender riskanter Übergänge in den Erwerbs-biografien bei wachsender entgrenzter Arbeit, d.h. von zunehmender Flexibilisie-rung von Beschäftigungsverhältnissen, spricht sich Günther Schmid in seinem Beitrag für die darauf bezogene Erweiterung sozialer Sicherheit einerseits und für eine lebenslauforientierte Arbeitsmarktpolitik andererseits aus. Ersteres sieht er am besten realisiert in gesetzlichen Mindestlohnregelungen, flexiblen Renten-anwartschaften und in der Einbeziehung unfreiwilliger Teilzeitarbeit in die Ar-beitslosenversicherung. Zur Umsetzung der Idee einer lebenslauforientierten Arbeitsmarktpolitik plädiert er für die Weiterentwicklung der Arbeitslosenversi-cherung hin zu einer Beschäftigungsversicherung. Als ein geeignetes Instrument schlägt er die Einrichtung eines persönlichen Entwicklungskontos vor, mit dem es möglich wäre, das – wie er es nennt – „innovative Verhaltensrisiko“ von Be-schäftigten während der gesamten Erwerbsbiografie zu fördern.

Gerhard Bosch greift in diesem Zusammenhang den Aspekt der beruflichen Bildung auf und spricht sich für eine Institutionalisierung der Idee des lebenslan-gen Lernens aus. Für ihn stellt sich das deutsche berufliche Bildungssystem als zu „frontlastig“ dar. Stattdessen tritt er für eine „Doppelstrategie“ ein, die die berufliche Bildung von Jüngeren wie Älteren gleichermaßen in Blick nimmt. Die von ihm geforderte „öffentliche Verantwortung“ für Bildung im Erwachsenenal-ter sieht er am besten realisiert in der Umsetzung der Vorschläge der Experten-kommission zur Finanzierung lebenslangen Lernens nach schwedischem Vor-bild, wie sie auch im 5. Bundesaltenbericht aufgegriffen worden sind.

Der Beitrag von Anette Franke beschäftigt sich mit einer Erwerbstätigen-gruppe, die bislang in der Debatte um die erwerbsbiografische Konzeptualisie-rung einer sozialen Lebenslaufpolitik eher eine untergeordnete Rolle gespielt hat: die selbständig Beschäftigten. Dabei konzentrieren sich ihre Ausführungen auf so genannte „kleine“ Existenzgründungen und die dahinter stehenden Gründer-personen. Ziel ist die Darstellung von Gründungsaktivitäten in Deutschland und die Bedeutung und Verortung gründerischer Tätigkeit im Lebenslauf. Die Auto-rin plädiert für eine stärkere Berücksichtigung lebenslaufbezogener Besonderhei-ten bei Existenzgründer/innen und für die Unterstützung von Gründungswilligen

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in allen Lebensphasen. Letztlich sollte eine Existenzgründung als eine erwerbs-biographische Option für alle Lebensphasen ermöglicht werden.

Die nächste Gruppe von Beiträgen befasst sich – nicht zuletzt vor dem Hin-tergrund des „Alterns der Belegschaften“ und jüngsten Versuchen, die Lebensar-beitszeit zu verlängern („Rente mit 67“) – mit der bisherigen Praxis des betrieb-lichen Umgangs mit älteren Beschäftigten und fordert – jeweils aus unterschied-licher Perspektive – einen Perspektivenwechsel hin zu einer lebenslaufbezoge-nen Ältere-Arbeitnehmer-Politik.

Der Beitrag von Christiane Flüter-Hoffmann basiert auf der Einschätzung, dass die Zukunft der Arbeit vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass die Alte-rung und Schrumpfung der Gesellschaft sich auf die Wirtschaft in Deutschland insgesamt und auf die Unternehmen insbesondere auswirken. Vorgestellt wird ein innovatives, ganzheitliches Personalkonzept der Lebenszyklusorientierung, mit dem es den Organisationen gelingen kann, Auswirkungen der demografi-schen Entwicklung – wie Fachkräftemangel, Rückgang der Innovationskraft, Erhöhung der Fehlzeitenquote, steigende Personalkosten, Know-how-Verlust – abzumildern oder sogar zu verhindern. Dies gelte im Grundsatz für alle Alters-gruppen gleichermaßen

Juhani Ilmarinen und Rita Oldenbourg sehen im Konzept der Arbeitsfähig-keit eine bestens geeignete Grundlage zur Beschreibung und Analyse von Ver-änderungen in der beruflichen Leistungsfähigkeit im Lebenslauf. Ihr Modell „Haus der Arbeitsfähigkeit“ enthält die folgenden Dimensionen: Gesundheit, Qualifikation, Werte (d.h. Einstellungen und Motivation) sowie die konkreten Bedingungen von Arbeit. Die Arbeitsfähigkeit eines Individuums beruht dabei auf der Wechselwirkung zwischen menschlichen Ressourcen einerseits und den Arbeitsanforderungen andererseits. Mit ihrem Plädoyer für eine lebenslaufbezo-gene Arbeitsfähigkeitspolitik setzen sie sich für eine über den gesamten Lebens-lauf stattfindende Passung von Arbeitsanforderungen und Ressourcen ein, mit der es u.a. auch möglich sei, die Beschäftigungsvoraussetzungen für ältere Ar-beitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu verbessern.

Gerhard Naegele und Mirko Sporket beschäftigen sich dann explizit mit der Arbeits- und Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-mer. Sie sehen in typischen Beschäftigungsrisiken mit „Karrierecharakter“ ganz wesentliche Faktoren der Gefährdung ihrer besonderen Arbeits- und Beschäfti-gungsfähigkeit und plädieren für eine präventive lebenslauforientierte Ältere-Arbeitnehmer-Politik. Erfolgversprechende Ansätze dafür sehen sie insbesondere in der Ausweitung von Maßnahmen und Konzepten des betrieblichen age-managements und diskutieren in diesem Zusammenhang geeignete Instrumente mit Lebenslaufbezug. Auch wenn sie in der beschlossenen Verlängerung der Lebensarbeitszeit („Rente mit 67“) ein sinnvolles sozial- und beschäftigungspoli-

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tisches Ziel erkennen, halten sie dieses nur für einen Teil der Beschäftigten für realisierbar und plädieren in der Konsequenz für die Beibehaltung sozial ausge-wogener Austrittsoptionen für jene Gruppen von Beschäftigten, für die das Alt-werden im angestammten Beruf und auf dem angestammten Arbeitsplatz nicht in Frage kommen kann.

Phil Taylor, Elizabeth Brooke und Tia Di Biase zeigen in ihrem Beitrag neuere europäische betriebliche Initiativen auf, die auf Karriereplanung, lebens-langes berufliches Lernen und damit auf Förderung von erwerbsbiografischer Kontinuität speziell bei älteren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zielen. Sie tun dies dabei auf der Grundlage z.T. eigens durchgeführter Fallstudienbe-funde in europäischen Unternehmen, die in ihrer betrieblichen Beschäftigungs-praxis in verschiedener Weise vorbildliches („good practice“) age-management betreiben. Ausgehend von einem von den Autoren/innen konstatierten Perspekti-venwechsel in der betrieblichen Beschäftigungspolitik weg von der Jugendzent-rierung hin zu einer alle Lebensalter gleichberechtigt einbeziehenden Perspektive werden Betriebe vor- und deren „good practice“ dargestellt, die diesen Perspek-tivenwechsel erfolgreich gehen. Der Beitrag versteht sich explizit als ein Plädoy-er für eine lebenslauforientierte Ältere-Arbeitnehmer-Politik und benennt jeweils verantwortliche Schlüsselpersonen und Akteursgruppen. Es wird aber auch deut-lich, dass ohne ein ökonomisches Eigeninteresse betriebliche Einstellungs- und Praxisänderungen gegenüber älteren Beschäftigten kaum wahrscheinlich sind.

Hartmut Seifert fragt in seinem Beitrag nach dem positiven Beitrag von Ar-beitszeit- und Lernzeitkonten als Instrumente zum Erhalt und zur Verbesserung der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit. Obwohl er dabei auf ältere Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer fokussiert, gelten seine Ausführungen auch für übrige Altersgruppen. Er sieht in diesen Instrumenten ein hohes sozial- und be-schäftigungspolitisches Gestaltungspotenzial, dessen Realisierung aber nicht voraussetzungsfrei ist. Dreh- und Angelpunkt sind für ihn – nach Sichtung der wenigen dazu vorliegenden Studien – die Verfügungsrechte über die Zeitgestal-tung. Als weiteres Problem erkennt er die Mehrbelastung durch verlängerte Ar-beitszeiten in der Ansparphase, mit speziell bei älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kontraproduktiven Effekten.

Eine fünfte Gruppe von Beiträgen beschäftigt sich mit der finanziellen Al-terssicherung, in der die erwerbsbiografische Vorprägung am deutlichsten zum Ausdruck kommt.

Frank Berner, Laura Romeu und Andreas Motel-Klingebiel konzeptualisie-ren Alterssicherungspolitik als soziale Lebenslaufpolitik. In ihrem Beitrag gehen sie dem Zusammenhang zwischen Wandel von Lebensläufen und der Entwick-lung der Alterssicherung in Deutschland nach und untersuchen die jeweiligen Wechselwirkungen zwischen beiden Sphären, von denen sie Wirkungen in beide

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Richtungen vermuten. Es wird gezeigt, dass einerseits die Alterssicherung mit über den Lebenslauf bestimmt. Dies gilt insbesondere für Art und Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben, weniger dagegen für biografische Entschei-dungen in Phasen des frühen und mittleren Erwachsenenalters. Demgegenüber scheint der Einfluss von sich verändernden Biografien auf die Ausgestaltung der Alterssicherungspolitik weniger stark zu sein. Offen ist, ob die neue „Altersvor-sorgepolitik“ mit ihrem Trend zur Individualisierung einen Wandel mit sich brin-gen wird und „ob die Absicherung im Alter zu einem relevanten Kriterium für die individuelle Planung und Gestaltung der eigenen Biografie wird“.

Winfried Schmähl plädiert für eine nachhaltige Strategie der Alterssicherung vor dem Hintergrund typischer Einkommensrisiken im Lebenslauf. Ausgehend von einem Überblick über „soziale Risiken“ im Lebenslauf und ihrem jeweiligen Einfluss auf die Einkommenslage im Alter setzt er sch kritisch mit dem Konzept der privaten Absicherung und der Rentenpolitik der vergangenen Jahre ausein-ander. Dabei wird die private Absicherung als solche als riskant eingestuft – die Krise auf den Finanzmärkten war zum Zeitpunkt der Abfassung des Beitrags „lediglich“ eine (wenn auch nicht unrealistische) „Option“. Auch wird deutlich, dass private Altersvorsorge dort an Grenzen stoßen muss, wo auf Seiten der Beschäftigten die Voraussetzungen nicht gegeben sind: „In Zeiten steigender Unsicherheiten im Lebenslauf von Individuen und der gleichzeitig erhobenen Forderung nach mehr individueller Flexibilität werden adäquate (staatliche; G.N.) Einrichtungen und Maßnahmen sozialer Sicherung auch in Zukunft von hoher, ja zunehmender Bedeutung sein“.

Die vorletzte Gruppe von Beiträgen konzeptualisiert soziale Lebenslaufpoli-tik als präventive Altenpolitik. Im Kern geht es um eine lebenslaufbezogene Be-gründung von „active ageing“, das zur Zeit als das bekannteste Konzept zur pro-duktiven Nutzung der Altersphase nicht nur in Deutschland hoch im Kurs steht.

Alan Walker, der als einer der prominentesten Protagonisten des Konzeptes vom active ageing gilt, zeichnet zunächst die „Gschichte“ des Konzeptes vom active ageing nach und fragt nach dessen positiven Einflussfaktoren für ein Le-ben im Alter und nimmt darin gleichsam zwangsläufig eine Lebenslaufperspek-tive ein. Ziel dieses Vorgehens ist „shifting attention from older people per se to the whole of the life course“. Der Beitrag gibt einen Überblick über das Konzept selbst, seine konzeptionellen Ursprünge sowie seine bisherige Entwicklung mit Schwerpunkt in der Europäischen Union, versucht eine Bestandsaufnahme und zeigt auf, dass „what is required now is a strategy for active ageing that spans the whole life course, with the central aim of preventing ill health and functional loss. This strategy must be implemented by a very wide range of policies, institu-tions and professional groups. … There is no convincing evidence yet that any EU country has grasped the enormity of this challenge“.

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Angesichts demografischer und sozialer Wandlungsprozesse gewinnt das Thema Bildung im Alter in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Obwohl vielerorts von lebenslangem Lernen die Rede ist, widmen Politik und Gesell-schaft in diesem Zusammenhang der nachberuflichen beziehungsweise nachfa-miliären Phase bislang jedoch wenig Aufmerksamkeit. Anja Ehlers zeigt in ih-rem Beitrag auf, welche Gründe für das Lernen im höheren Alter sprechen. Auch gibt sie anhand ausgewählter Beispiele Einblick in den politischen Diskurs zur Bildung in der nachberuflichen Phase sowie in die Relevanz der Lebenslauf-Perspektive auf lebenslanges Lernen.

Britta Bertermann setzt die von Alan Walker und Anja Ehlers angestoßene Diskussion fort und vertieft sie. Im demografischen Wandel richtet sich der Blick verstärkt auf die Produktivitätspotenziale der älteren Generation selbst. Eine Strategie, diese Potenziale zu entwickeln und besser zu nutzen, ist das akti-ve Altern im Lebenslauf. Ihr Beitrag zeigt exemplarisch an den Bereichen Ge-sundheit und Gesundheitsförderung, bürgerschaftliches Engagement und Migra-tion, dass Bildung in diesem Prozess eine Schlüsselrolle einnimmt und dass dem lebenslangen Lernen daher ein deutlich höherer Stellenwert zukommen sollte als bisher. Sie plädiert für eine lebenslauforientierte Bildungspolitik, die explizit die letzten Lebensphasen strategisch mit in den Blick nimmt.

Der Beitrag von Thomas Olk befasst sich mit dem Lebenslauf und seinen Anforderungen an die Individuen aus der erspektive des bürgerschaftlichen En-gagements. Er legt dar, dass sich Motivlagen, Umfang, Verlaufsformen und Inhalte freiwilliger und unbezahlter Tätigkeiten in Abhängigkeit von der Le-bensphase, in der sich die Individuen befinden, variieren, auch dass sich Verein-barkeitsprobleme zwischen Engagement, Familienarbeit und Erwerbsarbeit höchst unterschiedlich in den einzelnen Phasen des Lebens ergeben. In seinem Beitrag werden die theoretischen Ansätze zur Systematisierung der Zusammen-hänge zwischen Lebensphasen und bürgerschaftlichem Engagement sowie die empirischen Befunde zur Bedeutung biographischer Bedeutungsaufschichtungen für Engagementkarrieren diskutiert. Dabei werden insbesondere Engagementver-läufe in Brüchen und Übergängen des Lebensverlaufs – also etwa in der Jugend und im Übergang zum Ruhestand – in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Der Beitrag schließt mit Implikationen dahingehend, wie im Lebenslauf Spiel-räume nicht nur für Erwerbsarbeit und Familienarbeit, sondern auch für das bür-gerschaftliche Engagement eröffnet werden sollten.

Der letzte Block zu Konzepten und Perspektiven enthält drei international ausgerichtete Beiträge, die allesamt belegen, dass die Idee der sozialen Lebens-laufpolitik keine nationalen Grenzen kennt und dass eine deutsche soziale Le-benslaufpolitik auf viele gute „Vorbilder“ zurückgreifen könnte.

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Der Beitrag von Ute Klammer basiert auf dem von der Autorin gemeinsam mit Ruud Muffels und Tom Wilthagen (beide Universität Tilburg, Niederlande) in den Jahren 2007-2008 im Auftrag der European Foundation in Dublin durchge-führten Projekt „Flexibility and security over the life course: Key findings and policy messages“. Aufgabe des Projektes war es, die fünf in den vorangegange-nen Jahren vorgelegten, ebenfalls von der European Foundation geförderten Forschungsberichte zu unterschiedlichen – die europäische Dimension umfas-senden – Aspekten der Lebenslaufforschung zu evaluieren, interessante Ergeb-nisse zusammenzuführen und aus den empirischen Erkenntnissen politische Schlussfolgerungen und Empfehlungen abzuleiten. Der Beitrag präsentiert aus-gewählte Ergebnisse dieses Abschlussberichtes und damit Erkenntnisse unter-schiedlicher, in den verschiedenen Projekten beteiligter Forschungsteams wie auch die gemeinschaftlichen Schlussfolgerungen der drei am Abschlussbericht beteiligten Autorinnen und Autoren und konturiert – aufbauend auf den europäi-schen Befunden – Perspektiven einer Lebenslaufpolitik, die mir selbst viele An-stöße für meine eigene Konzeptualisierung (siehe den Beitrag von Naegele in diesem Band) gegeben haben.

Bernd Waas stellt in seinem Beitrag die 2006 in den Niederlanden in Kraft getretene „levensloopregeling“ als prominentestes Instrument der einzigen in Europa eingeführten nationalen Lebenslaufpolitik vor. Das niederländische Kon-zept sieht dabei ausdrücklich integrierte Optionen vor, d.h. integrierte Zeit- und Einkommensoptionen. Ziel ist es den Individuen zu ermöglichen, entsprechend unterschiedlicher (Lebens-)Zeitinteressen flexibler über ihr erwartetes Lebens-erwerbseinkommen verfügen zu können und damit Flexibilisierungswünsche auch zu realisieren. In besonderer Weise folgt das niederländische Modell dabei arbeitsmarktpolitische Ziele. Zwar lässt es sich nicht „eins zu eins“ auf die Bun-desrepublik übertragen, „Interesse verdient aber in jedem Fall der im „levens-loopbeleid“ angelegte Versuch, unterschiedliche Problemstellungen der Arbeits-marktpolitik mit einer Strategie zu begegnen, die sich um eine „ganzheitliche“ Perspektive bemüht“.

Für Victor W. Marshall und Julie Ann Mc Mullin hat die Lebenslaufper-spektive sowohl eine strukturelle wie eine individuelle Dimension. Erstere hängt mit der sozialen Konstruktion von Lebensläufen zusammen, letztere muss sich durch die lebenslauftypische Vorgaben „navigieren“. In ihrem Beitrag beschäfti-gen sie sich mit den Möglichkeiten und Grenzen lebenslaufbezogener Sozialpoli-tikberatung und mit dem kanadischen Weg, die Lebenslaufperspektive in die (kanadische) Sozialpolitik einzubringen in Kanada seit 1996. Sie stellen die „Policy Research Initiative“ (PRI) vor, mit der versucht wird, Lebenslaufforscher – die beiden Autoren gehören dazu – und (Sozial-)Politiker/innen mit dem expli-ziten Ziel zusammenzuführen, auf systematische Weise die Lebenslaufperspekti-

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ve in relevante Politikfelder zu integrieren und so eine lebenslauforientierte So-zialpolitikberatung zu leisten. Eine erste vorläufige Evaluation der Arbeit der PRI, die als „ongoing“ bezeichnet wird, fällt im Grundsatz positiv aus. Dennoch konstatieren die Autoren eine gewisse Begrenztheit, wenn es darum geht, aus der Lebenslaufperspektive heraus Politik zu beraten. Diese ist allerdings weniger grundsätzlicher Natur, sondern in großen Teilen Konsequenz einer nicht immer einfachen Kommunikation zwischen Lebens(ver)laufforschung und politischer Praxis. „Research is, and should be complex but by necessity the development and implementation of public policy needs to be simple. The challenge then lies in translating the complexity of life course research into the pragmatic relative simplicity of public policy“. Hierzulande ist uns dieses Problem auch aus ande-ren Forschungs- und Politikfeldern bekannt.

Der Abschlussbeitrag in diesem Sammelband versucht noch einmal die sys-tematischen Verbindungslinien zwischen sozialwissenschaftlicher Lebenslauf- und Alternsforschung aufzuzeigen. Damit wird noch einmal explizit der sozial-gerontologische Bias der Lebens(ver)laufforschung betont.

Corinna Barkholdt und Gerhard Naegele versuchen eine aktuelle sozialge-rontologische Standortbestimmung der Lebens(ver)laufforschung. Ausgehend von den offensichtlichen Berührungspunkten zwischen soziologischer und sozi-algerontologischer Lebenslaufforschung wird deutlich, wie stark soziale Geron-tologie auf forschungsstrategische, methodische und inhaltliche „Vorlagen“ der Lebenslaufforschung angewiesen ist bzw. diese für ihre Forschungszwecke nut-zen kann. Andererseits wird aber auch deutlich, welche „sozialgerontologischen Entwicklungsperspektiven“ sich der Lebenslaufforschung bieten. Der Beitrag stellt dabei eine gekürzte Fassung der 2006 in Mollenkopf/Wahl (Hrsg.) erstmals veröffentlichten Publikation dar.

Die in diesem Buch versammelten Beiträge sind – aufgrund der oben er-wähnten langen Vorlaufzeit – teilweise bereits 2007/2008 entstanden und wur-den von einigen Autorinnen und Autoren aktualisiert. Das vorliegende Buch konnte ohne die auch moralische Unterstützung der Beteiligten, an der Idee fest-zuhalten, nicht realisiert werden. Auch dafür und für Ihre Geduld sei Ihnen noch einmal explizit gedankt. Ein besonderer Dank gilt Britta Bertermann, die zur eingangs erwähnten Gruppe der jüngeren Kolleginnen und Kollegen zählt, die an diesem Buch mitgearbeitet haben. Sie hat mich in der Phase der Hauptarbeit in einer Weise unterstützt, die ihresgleichen sucht. Ein simples „Danke schön“ ist im Grundsatz viel zu wenig. Dortmund, im Juni 2009 Gerhard Naegele

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Lebenslaufforschung und (soziale) Lebenslaufpolitik

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Gerhard Naegele Soziale Lebenslaufpolitik – Grundlagen, Analysen und Konzepte

1 Vorbemerkungen Moderne Lebens(ver)läufe sind u.a. beeinflusst vom demografischen Wandel (z.B. Verlängerung von mittlerer und ferner Lebenserwartung), (bildungs-)poli-tischen Beschlüssen (z.B. Verkürzung der Schul- und Studiendauern), (sozial-) gesetzlichen Regulierungen (z.B. Teilzeitgesetzgebung, Anhebung der Alters-grenzen), strukturellen Veränderungen in der Arbeitswelt (Arbeitslosigkeit, Ab-weichungen vom sog. Normalarbeitsverhältnis), insgesamt vom sozialen Wandel (z.B. Hinausschieben des Heiratsalters, Kinderlosigkeit) sowie nicht zuletzt von (politisch beeinflusster) Binnen- und Außenmigration (z. B. Ost-West-Migra-tion). In diesem Beitrag geht es um die folgenden Thesen: � In dem Maße, in dem sich Lebens(ver)läufe einschließlich Erwerbsbiogra-

fien verändern, zunehmend von „Normal“ biografien und „Normal“ arbeits-verhältnissen etc. abweichen (Siehe den Beitrag von Clemens in diesem Buch), entstehen neue soziale Risiken bzw. akzentuieren sich bereits be-kannte anders bzw. neu. Sozialpolitik muss in einer präventiven wie kom-pensatorischen Weise darauf reagieren.

� Neuer, auf den Lebenslauf bezogener sozialpolitischer Handlungsbedarf ergibt sich daneben auch aus (teilweise neuen) übergeordneten sozialpoliti-schen Handlungserfordernissen, die ihren Ursprung schwerpunktmäßig in den Ausprägungen und Konsequenzen des demografischen Wandels haben.

� Die daraus jeweils resultierenden sozialpolitischen Gestaltungserfordernisse betreffen dabei auch die bestehende Organisation von Lebensarbeitszeit und deren jeweilige sozialpolitische „Flankierung“ bzw. Absicherung.

� Eine auf sich verändernde Lebensläufe und lebenslaufbezogene Risiken ausgerichtete Anpassung bzw. Neupositionierung der Sozialpolitik ist in Deutschland derzeit nur in ersten Ansätzen in Sicht, und wenn überhaupt, dann nur in einzelnen (Sozial-)Politikfeldern wie in der Bildungspolitik

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(z.B. „Lebenslanges Lernen“) (siehe z.B. den Beitrag von Bosch in diesem Buch). Gemeint ist dabei eine soziale Lebenslaufpolitik („social life course policy“), wie sie z.B. in verschiedenen Papieren und Stellungnahmen auf EU-Ebene eingefordert wird oder in anderen Ländern ansatzweise bereits besteht (siehe die Beiträge von Klammer und Waas diesem Buch).

2 Sozialpolitik, soziale Risiken und Probleme Sozialpolitik reagiert im Rahmen ihrer traditionellen Schutzfunktion auf soziale Risiken und Probleme und zielt dabei auf die Vermeidung und Überwindung von sozialen Ungleichheiten. In der Praxis erfolgt dies zumeist in kompensatorischer Weise, dagegen sehr viel seltener mit präventiver Zielrichtung.

In einer weitergehenden normativen Zielperspektive, der hier gefolgt wird, sollte sozialpolitisches Handeln stets der „Gesellschaftsgestaltungsfunktion“ von Sozialpolitik folgen, d.h. mit ihren Maßnahmen immer auch auf die gewollte und gezielte Gestaltung und Verteilung der Lebenslagen zielen (Preller 1962). Damit würde Sozialpolitik im Zuge des allgemeinen politischen, sozialen und demogra-fischen Wandels selbst zu einem eigenständigen Gestaltungs- und Steuerungsin-strument der Wandlungsprozesse werden und damit ganz entscheidend zur Wei-terentwicklung und Modernisierung der Gesellschaft beitragen, u.a. auch die Herausbildung neuer Lebensformen oder sich wandelnder Geschlechter- und Generationenverhältnisse unterstützen und somit insgesamt mit beteiligt sein an der sozialen Ausgestaltung der Gesellschaft (Bäcker et al. 2007, Bd. I).

Soziale Risiken und Probleme überfordern – im Gegensatz zu den „priva-ten“ – den einzelnen und/oder sein/e Familie/privates Netzwerk in seiner/ihrer Problemlösungsfähigkeit und erfordern i.d.R. sozialpolitische Einrichtungen und Maßnahmen. Ihr Auftreten erfolgt dabei keineswegs zufällig, sondern – wie die Empirie zeigt – häufig nach bestimmten sozial-strukturellen Mechanismen und Strukturmerkmalen (insbesondere sozio-ökonomischer Status, Geschlecht, eth-nisch-kultureller Hintergrund, Unterschiede in Lebensläufen und -stilen) („So-ziale Ungleichheiten als Ausgangspunkte für Sozialpolitik“) (Bäcker et al. 2007, Bd. I).

Einer in der Sozialpolitik traditionellen Einteilung folgend lassen sich zwei große Gruppen sozialer Risiken unterscheiden: (1) Arbeitnehmerrisiken und (2) allgemeine Lebensrisiken, die häufig auch gemeinsam auftreten bzw. teilweise interdependent sind.

Zu (1) Zur ersten Gruppe zählen jene sozialen Risiken und Probleme, die sich auf die Grundstruktur der Marktökonomie zurückführen lassen und dabei häufig als so genannte „Standardrisiken des Erwerbslebens“ (wie z.B. Arbeitslo-

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sigkeit, Arbeitsunfall, Invalidität, aktuell auch prekäre Beschäftigung) bezeichnet werden. Sie stellen sich zwar primär abhängig Beschäftigten, betreffen aber zunehmend auch (insbesondere „kleinere“) Selbständige.

Zu (2) Zur zweiten Gruppe zählen solche sozialen Risiken und Probleme, die sich unabhängig von den konkreten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen ergeben, im Grundsatz jeden betreffen können und vielfach als allgemeine Le-bensrisiken bezeichnet werdend (z.B. Krankheit, Trennung vom/ und Tod des/r Partners/in, Wohnungsverlust). Allgemeine Lebensrisiken entstehen in der Regel weder naturgegeben noch betreffen sie in ihrem Ausmaß und in ihren Folgen die Bevölkerung im gleichen Maße. Dennoch zeigt die Empirie, dass sich auch hier die Manifestation als soziales Problem nicht zufällig vollzieht, sondern nach bestimmten Mechanismen und Strukturmerkmalen erfolgt. 3 Soziale Risiken und Probleme im Lebens(ver)lauf 3.1 Ausprägungen Vor allem bei der Ableitung von präventiven sozialpolitischen Maßnahmen ist es sinnvoll, sozialpolitische Risiko- und Problemanalysen mit der Lebens(ver)laufs-analyse zu verknüpfen. Viele soziale Risiken und Probleme lassen sich ohne Bezug auf die spezifischen Lebensbedingungen in bestimmen Lebensphasen nicht hinreichend erklären und erfordern auch lebensphasenspezifische Lösun-gen. Dies gilt vor allem für soziale Risiken und Probleme von Kindern, Jugend-lichen, jungen Eltern, Alleinerziehenden oder älteren und hochaltrigen Men-schen. Zugleich lässt sich zeigen, dass sich viele soziale Risiken und Probleme im Lebenslauf entwickeln und/oder in ihren Wirkungen kumulieren können. Es handelt sich dabei um „Risiko- und Problemketten“, die ihren Beginn jeweils in bestimmten Situationen und Ereignissen in vorherigen bzw. häufig sogar schon in früheren Lebensphasen haben.

Wenn es in diesem Beitrag (ebenso wie in diesem Buch) um lebensphasen- bzw. lebens(ver)laufsgebundene soziale Risiken geht, dann muss die o.g. analyti-sche Trennung zwischen Arbeitnehmer- und allgemeinen Lebensrisiken zumin-dest in drei Dimensionen entsprechend differenziert bzw. weiter ergänzt werden. (1) Zum einen lassen sich für beide Risiko-Typen lebensphasen- bzw. lebens-(ver)laufspezifische Ausprägungen identifizieren. Bei den so genannten Stan-dardrisiken des Erwerbslebens sind dies z.B. Probleme von Jugendlichen beim Eintritt ins Erwerbsleben oder Beschäftigungsprobleme älterer Arbeitnehmer. Bei den so genannten allgemeinen Lebensrisiken sind es z.B. das Alleinerzie-

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hungsrisiko besonders häufig in der Frühphase des Familienzyklus oder der ex-ponentielle Anstieg des Pflegebedürftigkeitsrisikos im sehr hohen Alter. (2) Sowohl typische Arbeitnehmer- wie allgemeine Lebensrisiken können – je nach Position im Lebens(ver)lauf der davon Betroffenen – besonders bedrohliche Ausprägungen annehmen (z.B. Trennung, Scheidung oder Arbeitslosigkeit in jungen Familien, Krankheit und Behinderung in einer frühen Erwerbsphase, Arbeitslosigkeit in der Spätphase des Erwerbslebens). (3) Nicht selten sind auch „Kombinationsrisiken“, d.h. das gruppen- wie einzel-fallbezogene Zusammentreffen von so genannten Arbeitnehmer- mit allgemeinen Lebensrisiken. Dies gilt insbesondere für die „alten“ und „neuen“ sozialen Risi-ken im Umfeld von Beruf und Familie. Im Lebens(ver)lauf können sich dabei unterschiedliche Ausprägungen ergeben (z.B. Gleichzeitigkeit von Kindererzie-hung und Elternpflege in der so genannten „sandwich-Generation“ (siehe auch den Beitrag von Reichert in diesem Buch)). (4) Zu unterscheiden ist weiterhin, ob es sich um „external risks“ oder um „self-chosen risks“ (Leijnse et al. 2002) handelt: Also um solche „which befall us by no fault of our own as it were“, oder um solche „risks in which our own decision plays a role“ (ebd.: 10). Im Einzelfall dürfte eine exakte Zuordnung häufig nicht möglich sein. Entscheidend ist auch, ob sich die jeweilige sozialpolitische „Be-arbeitung“ daran strategisch ausrichtet oder nicht. (5) Sowohl auf Arbeitnehmerrisiken wie auf allgemeine Lebensrisiken trifft gleichermaßen zu, dass sie über den weiteren Lebensverlauf verteilt mit aus sozialpolitischer Sicht problematischen Folge- bzw. nicht selten Langzeitwir-kungen verknüpft sein können. Die Empirie belegt eine Vielzahl unterschiedli-cher Beispiele für derart problematische „biografische Sollbruchstellen“ (Solga 2009: 6), für den Beginn von sozialpolitisch relevanten „Risikokarrieren“ oder „Risikoketten“. So lassen sich z.B. viele chronische Krankheiten bei Erwachse-nen wie bei älteren Menschen auf Krankheitsrisiken in Kindheit und Jugend zurückführen. Das Risiko der Langzeitarbeitslosigkeit wiederum ist entscheidend abhängig vom Grad der „mitgebrachten“ schulischen und beruflichen Ausbil-dung. Geringe Einkommen und Armut im Alter (vor allem bei Frauen) sind häu-fig Ausdruck von Einkommensbenachteiligungen während der aktiven Erwerbs-phase usw. An dieser Stelle lediglich eine aktuelle „Auswahl“ von Belegen: � (Auch regionale) Benachteiligungen bei der Berufswahl beeinträchtigen

spätere berufliche Entwicklungsperspektiven (Brzinsky-Fay et al. 2009).

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� Vorherige Arbeitslosigkeit reduziert künftige Erwerbseinkommenschancen, und dies mit wachsender Bedeutung in den letzten Jahrzehnten (Protsch 2008).

� Gering Qualifizierte und/oder besonders belastete Berufsgruppen gehen früher in Rente und müssen höhere versicherungstechnische Abschläge hin-nehmen (Clemens & Himmelreicher 2008).

� Geringverdiener haben ein erhöhtes Risiko, frühzeitig erwerbsgemindert zu werden (Rehfeld 2006).

� Prekäre Beschäftigungsverhältnisse und (Langfrist)Arbeitslosigkeit erhöhen das Risiko dauerhafter ökonomischer Unterversorgung und von Armut im Alter (Klammer & Tillmann 2001: 141 ff.; Falk 2008).

� Die Sorgearbeit für Kinder von Frauen beeinträchtigt noch immer ihre spä-teren beruflichen Karrierechancen (Leuze & Rusconi 2009).

� Alleinerziehende (vor allem Mütter) haben geringere Erwerbseinkommens-chancen und in der Folge ungünstigere Rentenerwartungen (Bäcker et al. 2007, Bd. II).

� Familiale Pflegeleistungen (zumeist von Frauen gegenüber älteren Famili-enmitgliedern) führen in vielen Fällen zur Aufgabe des Arbeitsplatzes mit Lücken bei der eigenen Alterssicherung (Naegele & Reichert 1998; Rei-chert 2003).

� Insgesamt reduziert Teilzeitarbeit (zumeist von Frauen) spätere Karriere- und Erwerbseinkommenschancen sowie die eigenen Alterssicherungsan-sprüche (Muffels et al. 2008).

� Gesundheit und Krankheit im Alter lassen sich zu einem guten Teil als Folge einer Akkumulation von günstigen Entwicklungen wie auch von Risi-ken und Benachteiligungen in der vorherigen „Gesundheitsbiografie“ be-schreiben (verschiedene Beiträge in Richter & Hurrelmann (Hrsg.) 2006).

3.2 Lebens(ver)lauf als Bezugspunkt von sozialpolitischen Risikoanalysen Den Lebens(ver)lauf zum Bezugspunkt sozialpolitischer Risiko- und Problem-analysen zu wählen, ist in den Sozialwissenschaften keineswegs neu: � Auf europäischer Ebene hat die Lebens(ver)lauf-Perspektive schon in den

1960er Jahren die wissenschaftlichen Debatten zur Bildungs-, Beschäfti-gungs- und Rentenpolitik bestimmt (Naegele et al. 2003).

� In Deutschland wurde z.B. schon zu Beginn der 1970er Jahre in For-schungsarbeiten zu den Wirkungen von lebens(ver)laufbezogenen/erwerbs-

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biografischen Einkommensrisiken auf die Einkommenslage im Alter ver-wiesen (SOFI 1972; WSI 1975; Bäcker et al. 1980; Allmendinger 1994).

� In der Ökonomie werden – explizit auf den Lebens(ver)lauf bezogen – tra-ditionell biometrische (Erwerbsunfähigkeit, Hinterbliebenenrisiko, Langle-bigkeit als „Risiko“), ökonomische (Arbeitslosigkeit, Qualifikationsrisiko), politische (Regel- und Gesetzesänderungen mit Wirkungen auf erworbene Sicherungsansprüche) sowie familiäre Risiken (Trennung, Scheidung, dau-erhafte Kinderlosigkeit) unterschieden (Börsch-Supan 2005).

� In der Soziologie werden Statuspassagen auch im Hinblick auf besondere soziale Risikostrukturierungen hin analysiert – so z.B. im Sfb 186 „Status-passagen und Risikolagen im Lebensverlauf“ der Universität Bremen (ver-schiedene Beiträge in Leisering, Müller & Schumann 2001; Schwarze, Nie-dermeier & Buhr 2003).

� In der Entwicklungspsychologie hat die „critical-life-event“-Forschung – wenn auch nicht explizit – (auch) soziale Risiken im Auge (Kühnert & Nie-derfranke 1993). Sie interessiert sich aber naturgemäß mehr für deren kog-nitive Repräsentanz und individuelle Bewältigung als für ihre sozialpoliti-sche Absicherung im Bedarfsfall (Fillip 1999).

Insbesondere aus dem EU-Raum kommend (u.a. Lissabon-Strategie) (Europäi-sche Kommission 2008) und u.a. auch angestoßen durch die Arbeiten der Euro-päischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Dublin – hier mit einem starken Fokus auf die Lebensarbeitszeitpolitik (Hilde-brandt 2007; Krieger 2007; siehe auch den Beitrag von Klammer in diesem Buch) – lässt sich seit Ende der 1990er Jahre eine intensive, genuin sozialpoli-tisch geführte Diskussion um Lebens(ver)läufe und deren jeweilige soziale Risi-ken erkennen.

Vorreiter waren hier zweifellos die Niederlande (Wotschack 2007) (Siehe den Beitrag von Waas in diesem Buch). Exemplarisch sei auf eine von Leijnse et al. (2002: 10) vorgelegte Liste von „external and self-chosen risks“, die im Le-benslauf auftreten können, hingewiesen: (1) „Illness (shorter than one year), (2) occupational disability (longer than one year), (3) unemployment, (4) death of one`s working partner, (5) divorce from one`s working partner, (5) care for rela-tives, (6) care for children, (7) old age, (8) training and life course counselling aimed at achieving optimum deployability until a pensionable age, (9) changing source of income (e.g. by starting up one`s own business), (10) rest/reflection/ relationship (e.g. a sabbatical)“.

In Deutschland wurde eine vergleichbare Diskussion zunächst vor dem Hin-tergrund neuer Sicherungsrisiken im Zuge der „Modernisierung“ der traditionel-len Arbeitnehmerrisiken („vom Arbeitsmarkt „erzwungene“ Individualisierung“;


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