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[Georg Wilhelm Friedrich Hegel] Vorlesungen Uber d(BookFi.org)(2)

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5 Hegel-W Bd. 18, 9 Hegel Georg Wilhelm Friedrich Hegel Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie Geschichte der Philosophie
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5 Hegel-W Bd. 18, 9Hegel

GeorgWilhelm FriedrichHegel

Vorlesungenüberdie

GeschichtederPhilosophie

Geschichte der Philosophie

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6 Hegel-W Bd. 18, 11Hegel

Einleitung

[HeidelbergerNiederschrift]

Indemich dieGeschichtederPhilosophiezumGe-genstandedieserVorlesungenmacheundheutezumerstenMal aufhiesigerUniversitätauftrete,soerlau-benSiemir nur diesVorworthierübervorauszu-schicken,daßesmir nämlichbesonderserfreulich,vergnüglich[ist], geradein diesemZeitpunktemeinephilosophischeLaufbahnaufeinerAkademiewiederaufzunehmen.DennderZeitpunktscheinteingetretenzusein,wo diePhilosophiesichwiederAufmerksam-keit undLiebeversprechendarf,diesebeinahever-stummteWissenschaftihreStimmewiedererhebenmagundhoffendarf,daßdie für sietaubgewordeneWelt ihr wiedereinOhr leihenwird. Die Not derZeithatdenkleinenInteressenderGemeinheitdesalltägli-chenLebenseinesogroßeWichtigkeitgegeben,diehohenInteressenderWirklichkeit unddieKämpfeumdieselbenhabenalleVermögenundalleKraft desGeistessowiedieäußerlichenMittel sosehrin An-spruchgenommen,daßfür dashöhereinnereLeben,die reinereGeistigkeitderSinnsichnicht frei erhaltenkonnteunddiebesserenNaturendavonbefangenundzumTeil darinaufgeopfertwordensind,weil derGeschichte der Philosophie

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Weltgeistin derWirklichkeit sosehrbeschäftigtwar,daßersichnichtnachinnenkehrenundsichin sichselbersammelnkonnte.Nun,dadieserStromderWirklichkeitgebrochenist, dadiedeutscheNationsichausdemGröbstenherausgehauen, dasieihreNationalität,denGrundalleslebendigenLebens,gerettethat, sodürfenwir hoffen1, daßnebendemStaate,derallesInteressein sichverschlungen,auchdieKirchesichemporhebe,daßnebendemReichderWelt, woraufbisherdieGedankenundAnstrengungengegangen,auchwiederandasReichGottesgedachtwerde,mit anderenWorten,daßnebendempoliti-schenundsonstigenandiegemeineWirklichkeitge-bundenenInteresseauchdiereineWissenschaft,diefreievernünftigeWeltdesGeisteswiederempor-blühe.

Wir werdenin derGeschichtederPhilosophiesehen,daßin denandereneuropäischenLändern,worin dieWissenschaftenunddieBildungdesVer-standesmit Eifer undAnsehengetrieben,diePhiloso-phie,denNamenausgenommen,selbstbisaufdieEr-innerungundAhnungverschwundenundunterge-gangenist, daßsiein derdeutschenNationalseineEigentümlichkeitsicherhaltenhat. Wir habendenhöherenBerufvonderNaturerhalten,dieBewahrerdiesesheiligenFeuerszusein2, wie dereumolpidi-schenFamiliezuAthendieBewahrungder

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eleusinischenMysterien,denInselbewohnernvonSa-mothrakedieErhaltungundPflegungeineshöherenGottesdienstes[aufgetragenwar], wie früherderWeltgeistdie jüdischeNation[für] dashöchsteBe-wußtseinsichaufgesparthatte,daßerausihr alseinneuerGeisthervorginge.AberdieNot derZeit, dieich bereitserwähnt,dasInteressedergroßenWeltbe-gebenheiten,hatauchunterunseinegründlicheundernsteBeschäftigungmit derPhilosophiezurückge-drängtundeineallgemeinereAufmerksamkeitvon ihrweggescheucht.Esist dadurchgeschehen,daß,indemgediegeneNaturensichzumPraktischengewandt,FlachheitundSeichtigkeitsichdesgroßenWortsinderPhilosophiebemächtigtundsichbreitgemachthaben. Mankannwohl sagen,daß,seitin Deutsch-landdiePhilosophiesichhervorzutunangefangenhat,esniemalssoschlechtumdieseWissenschaftausge-sehenhatalsgeradezu jetzigerZeit, niemalsdieLeerheitundderDünkelsoaufderOberflächege-schwommenundmit solcherAnmaßungin derWis-senschaftgemeintundgetanhat,alsoberdieHerr-schaftin Händenhätte.DieserSeichtigkeitentgegen-zuarbeiten, mit zuarbeiten[im] deutschenErnst, Red-lichkeit undGediegenheit, unddiePhilosophieausderEinsamkeit,in welchesiesichgeflüchtet,hervor-zuziehen,dazudürfenwir dafürhalten,daßwir vondemtieferenGeistederZeit aufgefordertwerden.

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LassenSieunsgemeinschaftlichdieMorgenröteeinerschönerenZeitbegrüßen, worin derbishernachaußengerisseneGeistin sichzurück[zu]kehrenundzusichselbst[zu] kommenvermagundfür seineigentümlichesReichRaumundBodengewinnenkann,wo dieGemüterüberdie InteressendesTagessicherhebenundfür dasWahre,EwigeundGöttlicheempfänglichsind,empfänglich,dasHöchstezube-trachtenundzuerfassen.

Wir Älteren,diewir in denStürmenderZeit zuMännerngereiftsind, könnenSieglücklichpreisen,derenJugendin dieseTagefällt, wo SiesichderWahrheitundderWissenschaftunverkümmerterwid-menkönnen.Ich habemeinLebenderWissenschaftgeweiht, undesist mir erfreulich,nunmehraufeinemStandorteich zubefinden,wo ich in höheremMaßeundin einemausgedehnterenWirkungskreisezurVerbreitungundBelebungdeshöherenwissenschaft-lichenInteressesmitwirkenundzunächstzu IhrerEinleitungin dasselbebeitragenkann.Ich hoffe,eswird mir gelingen,Ihr Vertrauenzuverdienenundzugewinnen.Zunächstaber - darf ich nichtsin An-spruchnehmen,alsdaßSievor allemnur VertrauenzuderWissenschaftundVertrauenzusichselbstmitbringen.Der Mut derWahrheit,derGlaubeandieMachtdesGeistesist dieersteBedingungderPhilosophie. DerMensch,daerGeistist, darf und

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soll sichselbstdesHöchstenwürdigachten; vonderGrößeundMachtseinesGeisteskannernichtgroßgenugdenken.Undmit diesemGlaubenwird nichtssosprödeundhartsein,dassichihm nichteröffnete.DaszuerstverborgeneundverschlosseneWesendesUniversumshatkeineKraft, diedemMutedesErken-nensWiderstandleistenkönnte;esmußsichvor ihmauftunundseinenReichtumundseineTiefenihm vorAugenlegenundzumGenussegeben.

Die GeschichtederPhilosophie3 stelltunsdieGaleriederedlenGeisterdar, welchedurchdieKühnheitihrer Vernunftin dieNaturderDinge,desMenschenundin dieNaturGottesgedrungen[sind], unsihre TiefeenthülltundunsdenSchatzderhöchstenErkenntniserarbeitethaben. DieserSchatz,dessenwir selbstteilhaftigwerdenwollen,machtdiePhilosophieim Allgemeinenaus;dieEnt-stehungdesselbenist es,waswir in dieserVorlesungkennenundbegreifenlernen.

Wir tretennundiesemGegenstandeselbstnäher.Kurz zumvoraus[ist] zuerinnern,daß[wir] keinKompendiumzugrundelegen;diewir haben,[sind]zudürftig; [esherrschtin ihnenein] zuoberflächli-cherBegriff vonder[Philosophie;siesind]zumpri-vatenNachlesen[undgeben]Anleitung[zumGe-brauch]derBücherundbesondereStellenderAlteninsbesondere,allgemeineÜbersichten,bestimmte

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Data4, wasbloßeNamenbetrifft; fernerauchbe-rühmteLehrer,dieübrigensnichtzumFortschreitenderWissenschaftbeigetragen[haben;essinddarin]großeMassen[von Einzelheiten] - AngabederJah-reszahlen,Namen,Zeit, in dersolcheMännergelebt.

Zuerst[gebenwir] ZweckundNotwendigkeit[derGeschichtederPhilosophie]an,[d.h.den]Gesichts-punkt, auswelchemdieGeschichtederPhilosophieüberhauptzubetrachtenist, [ihr] VerhältniszurPhi-losophieselbst.

FolgendeGesichtspunkte[sindhervorzuheben]:a)Wie kommtes,daßdiePhilosophieeineGe-

schichtehat?DerenNotwendigkeitundNutzen[istaufzuzeigen];manwerdeaufmerksamu. dgl., lernedieMeinungenandererkennen.

b) Die Geschichte[derPhilosophieist] nichteineSammlungzufälligerMeinungen,sondern[ein] not-wendigerZusammenhang,in ihrenerstenAnfängenbiszu ihrer reichenAusbildung.

α) VerschiedeneStufen.β) Die ganzeWeltanschauung[wird] aufdieser

Stufeausgebildet;aberdiesDetail [ist] vonkeinemInteresse.

c) Hieraus[ergibtsich]dasVerhältniszurPhiloso-phieselbst.

Bei derGeschichtederPhilosophiedrängesichGeschichte der Philosophie

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sogleichdieBemerkungauf,daßsiewohl eingroßesInteressedarbietet,wennihr Gegenstandin einerwür-digenAnsichtaufgenommenwird, aberdaßsieselbst[dann]nochein Interessebehält,wennihr Zweckver-kehrtgefaßtwird. Ja,diesesInteressekannsogarindemGradeanWichtigkeit zusteigenscheinen,inwelchemdieVorstellungvonderPhilosophieundvondem,wasihreGeschichtehierfür leiste,verkehrterist.DennausderGeschichtederPhilosophiewird vor-nehmlicheinBeweisderNichtigkeitdieserWissen-schaftgezogen.

EsmußdieForderungalsgerechtzugestandenwer-den,daßeineGeschichte - esseivonwelchemGe-genstandeeswolle - dieTatsachenohneParteilich-keit, ohneeinbesonderesInteresseundZweckdurchsiegeltendmachenzuwollen,erzähle.Mit demGe-meinplatzeeinersolchenForderungkommtmanje-dochnichtweit. DennnotwendighängtdieGeschich-teeinesGegenstandesmit derVorstellungaufsengstezusammen,welchemansichvondemselbenmacht.Danachbestimmtsichschondasjenige,wasfür ihnfür wichtig undzweckmäßigerachtetwird, unddieBeziehungdesGeschehenenaufdenselbenbringteineAuswahlderzuerzählendenBegebenheiten,eineArt,siezu fassen,Gesichtspunkte,unterwelchesiege-stelltwerden,mit. Sokannesgeschehen,je nachderVorstellung,diemansichvondemmacht,wasein

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Staatsei,daßeinLeserin einerpolitischenGeschich-teeinesLandesgeradenichtsvondemin ihr findet,waservon ihr sucht.NochmehrkanndiesbeiderGeschichtederPhilosophiestattfinden,undesmögensichDarstellungendieserGeschichtenachweisenlas-sen,in welchenmanallesandere,nurnichtdas,wasmanfür Philosophiehält,zu findenmeinenkönnte.Bei anderenGeschichtenstehtdieVorstellungvonihremGegenstandefest,wenigstensseinenHauptbe-stimmungennach, - erseieinbestimmtesLand,VolkoderdasMenschengeschlechtüberhaupt,oderdieWissenschaftderMathematik,Physikusf.,odereineKunst,Malereiusf.Die WissenschaftderPhilosophiehataberdasUnterscheidende,wennmanwill denNachteilgegendieanderenWissenschaften,daßso-gleichüberihrenBegriff, überdas,wassieleistensolleundkönne,dieverschiedenstenAnsichtenstatt-finden.WenndieseersteVoraussetzung,dieVorstel-lungvondemGegenstandederGeschichtenichteinFeststehendesist, sowird notwendigdieGeschichteselbstüberhauptetwasSchwankendesseinundnurinsofernKonsistenzerhalten,wennsieeinebestimmteVorstellungvoraussetzt,abersichdannin Verglei-chungmit abweichendenVorstellungenihresGegen-standesleichtdenVorwurf vonEinseitigkeitzuzie-hen.JenerNachteilbeziehtsichjedochnuraufeineäußerlicheBetrachtungüberdiese

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Geschichtsschreibung;esstehtmit ihm abereinande-rer, tiefererNachteilin Verbindung.Wennesver-schiedeneBegriffevonderWissenschaftderPhiloso-phiegibt, sosetztzugleichderwahrhafteBegriff al-lein in Stand,dieWerkederPhilosophenzuverste-hen, welcheim Sinnedesselbengearbeitethaben.DennbeiGedanken,besondersbeispekulativen,heißtVerstehenganzetwasanderesalsnurdengram-matischenSinnderWortefassenundsiein sichzwarhinein-, abernurbis in dieRegiondesVorstellensaufnehmen.MankanndahereineKenntnisvondenBehauptungen,Sätzenoder,wennmanwill, vondenMeinungenderPhilosophenbesitzen,sichmit denGründenundAusführungensolcherMeinungenvielzu tungemachthaben,unddieHauptsachekannbeiallendiesenBemühungengefehlthaben,nämlichdasVerstehenderSätze.Esfehlt dahernichtanbänderei-chen,wennmanwill gelehrtenGeschichtenderPhilo-sophie,welchendieErkenntnisdesStoffesselbst,mitwelchemsiesichsoviel zu tungemachthaben,ab-geht.Die VerfassersolcherGeschichtenlassensichmit Tierenvergleichen,welchealleTöneeinerMusikmit durchgehörthaben,anderenSinnaberdasEine,dieHarmoniedieserTöne,nichtgekommenist.

DergenannteUmstandmachteswohl beikeinerWissenschaftsonotwendigalsbeiderGeschichtederPhilosophie,ihr eineEinleitungvorangehenzu lassen

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understdenGegenstandfestzusetzen,dessenGe-schichtevorgetragenwerdensoll. Denn,kannmansagen,wie soll maneinenGegenstandabzuhandelnanfangen,dessenNamewohl geläufigist, vondemman[aber]nochnichtweiß,waser ist. ManhärtebeisolchemVerfahrenmit derGeschichtederPhiloso-phiekeinenanderenLeitfaden,alsdasjenigeaufzusu-chenundaufzunehmen,demirgendwoundirgendjederNamePhilosophiegegebenwordenist. In derTataber,wennderBegriff derPhilosophieaufeinenichtwillkürliche, sondernwissenschaftlicheWeisefestge-stelltwerdensoll, sowird einesolcheAbhandlungdieWissenschaftderPhilosophieselbst;dennbeidieserWissenschaftist diesdasEigentümliche,daßihr Be-griff nurscheinbardenAnfangmachtundnurdieganzeAbhandlungdieserWissenschaftderErweis,ja, kannmansagen,selbstdasFindenihresBegriffesunddieserwesentlicheinResultatderselbenist.

In dieserEinleitungist dahergleichfallsderBegriffderWissenschaftderPhilosophie,desGegenstandesihrerGeschichtevorauszusetzen.Zugleichhatesje-dochim ganzenmit dieserEinleitung,diesichnuraufdieGeschichtederPhilosophiebeziehensoll, dieselbeBewandtnisalsmit dem,wassoebenvonderPhiloso-phieselbstgesagtworden.Wasin dieserEinleitunggesagtwerdenkann,ist wenigereinvorherAuszuma-chendes,alsesvielmehrnurdurchdieAbhandlung

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derGeschichteselbstgerechtfertigtunderwiesenwer-denkann.DiesevorläufigenErklärungenkönnennurausdiesemGrundenichtunterdieKategorievonwill-kürlichenVoraussetzungengestelltwerden.Sieaber,welcheihrerRechtfertigungnachwesentlichResultatesind,voranzustellen,kannnurdasInteressehaben,welcheseinevorausgeschickteAngabedesallge-meinstenInhaltseinerWissenschaftüberhaupthabenkann.Siemußdabeidazudienen,vieleFragenundForderungenabzuweisen,diemanausgewöhnlichenVorurteilenaneinesolcheGeschichtemachenkönnte.

DasErstewird sein,dieBestimmungderGeschich-tederPhilosophiezuerörtern,woraussich[die] Fol-genfür ihreBehandlungsweiseergebenwerden.

ZweitensmußausdemBegriffederPhilosophienäherbestimmtwerden,wasausdemunendlichenStoffeunddenvielfachenSeitendergeistigenBil-dungderVölker vonderGeschichtederPhilosophieauszuschließenist. Die ReligionohnehinunddieGe-dankenin ihr undübersie,insbesonderein GestaltvonMythologie,liegenschondurchihrenStoff, sowie dieübrigeAusbildungderWissenschaftendurchihreForm,derPhilosophiesonahe,daßzunächstdieGeschichtedieserWissenschaftderPhilosophievonganzunbestimmtemUmfangewerdenzumüssenscheint.WennnundasGebietderselbengehörigbe-stimmtworden,sogewinnenwir zugleichden

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AnfangspunktdieserGeschichte,dervondenAnfän-genreligiöserAnschauungenundgedankenvollerAh-nungenzuunterscheidenist.

AusdemBegriffedesGegenstandesselbstmußsichdrittensdieEinteilungdieserGeschichtealsinnotwendigePeriodenergeben - eineEinteilung,wel-chedieselbealseinorganisch;fortschreitendesGan-zes,alseinenvernünftigenZusammenhangzeigenmuß,wodurchalleindieseGeschichteselbstdieWürdeeinerWissenschafterhält.

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A. BestimmungderGeschichtederPhilosophie

ÜberdasInteressedieserGeschichtekönnenderBetrachtungvielerleiSeitenbeigehen.Wennwir esinseinemMittelpunkterfassenwollen,sohabenwir ihnin demwesentlichenZusammenhangdieserscheinba-renVergangenheitzusuchenmit dergegenwärtigenStufe,welchediePhilosophieerreichthat.DaßdieserZusammenhangnichteinederäußerlichenRücksich-tenist, welchebeiderGeschichtedieserWissenschaftin Betrachtunggenommenwerdenkönnen,sondernvielmehrdie innereNaturihrerBestimmungaus-drückt,daßdieBegebenheitendieserGeschichtezwarwie alleBegebenheitensichin Wirkungenfortsetzen,aberaufeineeigentümlicheWeiseproduktivsind,diesist es,washiernäherauseinandergesetztwerdensoll.

WasdieGeschichtederPhilosophieunsdarstellt,ist dieReihederedlenGeister,dieGaleriederHeroenderdenkendenVernunft, welchekraft dieserVernunftin dasWesenderDinge,derNaturunddesGeistes,indasWesenGotteseingedrungensindundunsdenhöchstenSchatz,denSchatzderVernunfterkenntniserarbeitethaben.Die BegebenheitenundHandlungendieserGeschichtesinddeswegenzugleichvonderGeschichte der Philosophie

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Art, daßin derenInhaltundGehaltnichtsowohldiePersönlichkeitundderindividuelleCharakterein-geht - wie dagegenin derpolitischenGeschichtedasIndividuumnachderBesonderheitseinesNaturells,Genies,seinerLeidenschaften,derEnergieoderSchwächeseinesCharakters,überhauptnachdem,wodurchesdiesesIndividuumist, dasSubjektderTatenundBegebenheitenist -, alshiervielmehrdieHervorbringungenumsovortrefflichersind,je weni-geraufdasbesondereIndividuumdieZurechnungunddasVerdienstfällt, je mehrsiedagegendemfrei-enDenken,demallgemeinenCharakterdesMenschenalsMenschenangehören,je mehrdieseigentümlich-keitsloseDenkenselbstdasproduzierendeSubjektist.

DieseTatendesDenkensscheinenzunächst,alsgeschichtlich,eineSachederVergangenheitzuseinundjenseitsunsererWirklichkeitzu liegen.In derTataber,waswir sind,sindwir zugleichgeschichtlich,odergenauer:wie in dem,wasin dieserRegion,derGeschichtedesDenkens[sichfindet,] dasVergangenenurdieeineSeiteist, soist in dem,waswir sind,dasgemeinschaftlicheUnvergänglicheunzertrenntmitdem,daßwir geschichtlichsind,verknüpft.DerBe-sitzanselbstbewußterVernünftigkeit,welcheruns,derjetzigenWelt angehört,ist nichtunmittelbarent-standenundnurausdemBodenderGegenwart

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gewachsen,sondernesist dieswesentlichin ihm, eineErbschaftundnäherdasResultatderArbeit, undzwarderArbeit allervorhergegangenenGenerationendesMenschengeschlechtszusein.SogutalsdieKün-stedesäußerlichenLebens,dieMassevonMittelnundGeschicklichkeiten,dieEinrichtungenundGe-wohnheitendesgeselligenunddespolitischenZusam-menseinseinResultatvondemNachdenken,derEr-findung,denBedürfnissen,derNot unddemUnglück,demWollenundVollbringenderunsererGegenwartvorhergegangenenGeschichtesind,soist das,waswir in derWissenschaftundnäherin derPhilosophiesind,gleichfallsderTraditionzuverdanken,diehin-durchdurchalles,wasvergänglichist undwasdahervergangenist, sichals,wie sieHerdergenannthat,eineheiligeKetteschlingtund[das,]wasdieVorweltvor sichgebrachthat,unserhaltenundüberlieferthat.

DieseTraditionist abernichtnureineHaushälte-rin, dienurEmpfangenestreuverwahrtundessodenNachkommenunverändertüberliefert.Sieist nichteinunbewegtesSteinbild,sondernlebendigundschwilltalseinmächtigerStrom,dersichvergrößert,je weiterervonseinemUrsprungeausvorgedrungenist.

Der InhaltdieserTraditionist das,wasdiegeistigeWelt hervorgebrachthat,undderallgemeineGeistbleibtnichtstille stehen.Mit demallgemeinenGeisteaberist eswesentlich,mit demwir eshierzu tun

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haben.Bei einereinzelnenNationmageswohl derFall sein,daßihreBildung,Kunst,Wissenschaft,ihrgeistigesVermögenüberhauptstatarischwird, wiediesetwabeidenChinesenz.B.derFall zuseinscheint,dievor zweitausendJahrenin allemsoweitmögengewesenseinalsjetzt.DerGeistderWelt aberversinktnicht in diesegleichgültigeRuhe. EsberuhtdiesaufseinemeinfachenBegriff. SeinLebenist Tat.Die TathateinenvorhandenenStoff zu ihrerVoraus-setzung,aufwelchensiegerichtetist unddensienichtetwabloßvermehrt,durchhinzugefügtesMaterialverbreitert,sondernwesentlichbearbeitetundumbil-det. DiesErbenist zugleichEmpfangenundAntretenderErbschaft;undzugleichwird siezueinemStoffeherabgesetzt,dervomGeistemetamorphosiertwird.DasEmpfangeneist aufdieseWeiseverändertundbereichertwordenundzugleicherhalten.

Diesist ebensounsereundjedesZeitaltersStellungundTätigkeit,dieWissenschaft,welchevorhandenist, zu fassenundsichihr anzubilden,undebendarinsieweiterzubildenundaufeinenhöherenStandpunktzuerheben.Indemwir sieunszueigenmachen,ma-chenwir ausihr etwasEigenesgegendas,wassievorherwar.

In dieserNaturdesProduzierens,einevorhandenegeistigeWelt zurVoraussetzungzuhabenundsieinderAneignungumzubilden,liegt esdenn,daßunsere

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Philosophiewesentlichnur im ZusammenhangemitvorhergehenderzurExistenzgekommenunddarausmit Notwendigkeithervorgegangenist; undderVer-lauf derGeschichteist es,welcherunsnichtdasWer-denfremderDinge,sonderndiesunserWerden,dasWerdenunsererWissenschaftdarstellt.

Von derNaturdeshierangegebenenVerhältnisseshängendieVorstellungenundFragenab,welcheüberdieBestimmungderGeschichtederPhilosophievor-schwebenkönnen.Die Einsichtin dasselbegibt zu-gleichdennäherenAufschlußüber5 densubjektivenZweck,durchdasStudiumderGeschichtedieserWis-senschaftin dieKenntnisdieserWissenschaftselbsteingeleitetzuwerden.EsliegenfernerdieBestim-mungenfür dieBehandlungsweisedieserGeschichtein jenemVerhältnisse,dessennähereErörterungdahereinHauptzweckdieserEinleitungseinsoll. Esmußdazufreilich derBegriff dessen,wasdiePhiloso-phiebeabsichtigt,mitgenommen,ja vielmehrzugrun-degelegtwerden;undda,wie schonerwähnt,diewis-senschaftlicheAuseinandersetzungdiesesBegriffshiernicht ihreStellefindenkann,sokannauchdievorzunehmendeErörterungnurdenZweckhaben,nichtdieNaturdiesesWerdensbegreifendzubewei-sen,sondernvielmehreszurvorläufigenVorstellungzubringen.DerGedanke,derunsbeieinerGeschich-tederPhilosophiezunächstentgegenkommenkann,

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ist, daßsogleichdieserGegenstandselbsteineninne-renWiderstreitenthalte.DenndiePhilosophiebeab-sichtigtdaszuerkennen,wasunvergänglich,ewig,anundfür sichist; ihr Ziel ist dieWahrheit. Die Ge-schichteabererzähltsolches,waszueinerZeit gewe-sen,zueineranderenaberverschwundenunddurchanderesverdrängtwordenist. Gehenwir davonaus,daßdieWahrheitewig ist, sofällt sienicht in dieSphäredesVorübergehendenundhatkeineGeschich-te.WennsieabereineGeschichtehat,undindemdieGeschichtediesist, unsnureineReihevergangenerGestaltenderErkenntnisdarzustellen,soist in ihr dieWahrheitnichtzu finden;denndieWahrheitist nichteinVergangenes.

Mankönntesagen,diesallgemeineRäsonnementwürdeebensogutnichtnurdieanderenWissenschaf-ten,sondernauchdiechristlicheReligionselbsttref-fen,undeswidersprechendfinden,daßeseineGe-schichtedieserReligionundderanderenWissen-schaftengebensolle;eswäreaberüberflüssig,diesRäsonnementfür sichselbstweiterzuuntersuchen,dennesseischondurchdieTatsachen,daßessolcheGeschichtengebe,unmittelbarwiderlegt.Esmußaber,umdemSinnejenesWiderstreitsnäherzukom-men,einUnterschiedgemachtwerdenzwischenderGeschichtederäußerenSchicksaleeinerReligionodereinerWissenschaftundderGeschichteeines

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solchenGegenstandsselbst.Unddannist in Betrachtzunehmen,daßesmit derGeschichtederPhilosophieumderbesonderenNaturihresGegenstandeswilleneineandereBewandtnishatalsmit denGeschichtenandererGebiete.Eserhelltsogleich,daßderangege-beneWiderstreitnicht jeneäußereGeschichte,son-dernnurdie innere,diedesInhaltesselbsttreffenkönnte.DasChristentumhateineGeschichteseinerAusbreitung,derSchicksaleseinerBekennerusf.;undindemesseineExistenzzueinerKircheerbauthat,soist die[se]selbst[als] einesolcheäußeresDasein,welchesin denmannigfaltigstenzeitlichenBerührun-genbegriffen,mannigfaltigeSchicksaleundwesent-lich eineGeschichtehat.WasaberdiechristlicheLehreselbstbetrifft, soist zwarauchdiesealssolchenichtohneGeschichte;abersiehatnotwendigbaldihreEntwicklungerreichtundihrebestimmteFassunggewonnen,unddiesalteGlaubensbekenntnishatzujederZeit gegoltenundsoll nochjetztunverändertalsdieWahrheitgelten,wenn[auch]diesGeltennun-mehrnichtsalseinScheinunddieWorteeineleereFormelderLippenwäre.DerweitereUmfangderGe-schichtedieserLehreaberenthältnurzweierlei:einer-seitsdiemannigfaltigstenZusätzeundAbirrungenvon jenerfestenWahrheitundandererseitsdieBe-kämpfungdieserVerirrungenunddieReinigungdergebliebenenGrundlagevondenZusätzenunddie

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Rückkehrzu ihrerEinfachheit.EineäußerlicheGeschichtewie dieReligionhaben

auchdieanderenWissenschaften,ingleichendiePhi-losophie.SiehateineGeschichteihresEntstehens,Verbreitens,Blühens,Verkommens,Wiederaufle-bens,eineGeschichteihrerLehrer,Beförderer,auchBekämpfer,ingleichenaucheinesäußerenVerhältnis-seshäufigerzurReligion,zuweilenauchzumStaate.DieseSeiteihrerGeschichtegibt gleichfallszu inter-essantenFragenVeranlassung,unteranderen[zu der],wasesmit derErscheinungfür eineBewandtnishabe,daßdiePhilosophie,wennsiedieLehrederabsolutenWahrheit[sei], sichaufeineim ganzengeringeAn-zahlvonIndividuen,aufbesondereVölker, aufbe-sondereZeitperiodenbeschränktgezeigthabe;wiegleicherWeisein AnsehungdesChristentumsderWahrheitin einerviel allgemeinerenGestalt,alssiein derphilosophischenGestaltist, dieSchwierigkeitgemachtwordenist, obesnichteinenWiderspruchinsichenthalte,daßdieseReligionsospätin derZeithervorgetretenundsolangeundselbstnochgegen-wärtigaufbesondereVölker eingeschränktgebliebensei.DieseundanderedergleichenFragenabersindbereitsviel speziellere,alsdaßsienurvondemange-regtenallgemeinerenWiderstreitabhängen;understwennwir vondereigentümlichenNaturderphiloso-phischenErkenntnismehrwerdenberührthaben,

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könnenwir aufdieSeitenmehreingehen,diesichmehraufdieäußereExistenzundäußereGeschichtederPhilosophiebeziehen.

WasaberdieVergleichungderGeschichtederRe-ligion mit derGeschichtederPhilosophiein Anse-hungdesinnerenInhaltesbetrifft, sowird derletzte-rennichtwie derReligioneinevonAnfanganfestbe-stimmteWahrheitalsInhaltzugestanden,deralsun-veränderlichderGeschichteentnommenwäre.Der In-haltdesChristentumsaber,derdieWahrheitist, istalssolcherunverändertgebliebenundhatdarumkeineodersogutalskeineGeschichteweiter.6 BeiderReligionfällt daherderberührteWiderstreitnachderGrundbestimmung,wodurchsieChristentumist,hinweg.Die VerirrungenaberundZusätzemachenkeineSchwierigkeit;siesindeinVeränderlichesundihrerNaturnachganzeinGeschichtliches.

Die anderenWissenschaftenzwarhabenauchdemInhaltenacheineGeschichte.SieenthältzwaraucheinenTeil, welcherVeränderungendesselben,Aufge-benvonSätzen,die frühergegoltenhaben,zeigt.Al-lein eingroßer,vielleichtdergrößereTeil desInhaltsist vonderArt, daßersicherhaltenhat;unddasNeue,wasentstandenist, ist nichteineVeränderungdesfrüherenGewinns,sonderneinZusatzundVer-mehrungdesselben.DieseWissenschaftenschreitendurcheineJuxtapositionfort. Esberichtigtsichwohl

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manchesim FortschrittederMineralogie,Botanikusf.andemVorhergehenden;aberderallergrößteTeilbleibtbestehenundbereichertsichohneVeränderungdurchdasNeuhinzukommende.Bei einerWissen-schaftwie derMathematikhatdieGeschichte,wasdenInhaltbetrifft, vornehmlichnurdaserfreulicheGeschäft,Erweiterungenzuerzählen,unddieElemen-targeometriez.B.kannin demUmfang,welchenEu-klid dargestellthat,vondaanalsfür geschichtslosgewordenangesehenwerden.

Die GeschichtederPhilosophiedagegenzeigtwederdasVerharreneineszusatzlosen,einfacherenInhaltsnochnurdenVerlaufeinesruhigenAnsetzensneuerSchätzeandiebereitserworbenen;sondernsiescheintvielmehrdasSchauspielnur immersicher-neuernderVeränderungendesGanzenzugeben,wel-chezuletztauchnichtmehrdasbloßeZiel zumge-meinsamenBandehaben.Vielmehrist esderab-strakteGegenstandselbst,dievernünftigeErkenntnis,welcheentschwindet,undderBauderWissenschaftmußzuletztmit derleerenStättediePrätentionunddeneitelgewordenenNamenderPhilosophieteilen.

[EndederHeidelbergerNiederschrift]

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1. GewöhnlicheVorstellungenüber dieGeschichteder Philosophie

Esbietensichhiersogleichdiegewöhnlichenober-flächlichenVorstellungenüberdieseGeschichtedar,welchezuerwähnenundzuberichtigensind.ÜberdiesesehrgeläufigenAnsichten,die Ihnen,meineHerren,ohneZweifel auchbekanntsind - dennessindin derTatdienächstenReflexionen,diebeidemerstenbloßenGedankeneinerGeschichtederPhiloso-phiedurchdenKopf laufenkönnen -, will ich kurzdasNötigeäußern,unddieErklärungüberdieVer-schiedenheitderPhilosophienwird unsdannweiterindieSacheselbsthineinführen.

a. Die GeschichtederPhilosophiealsVorrat vonMeinungen

GeschichteschließtnämlichbeimerstenAnscheinsogleichdiesein,daßsiezufälligeEreignissederZei-ten,derVölker undIndividuenzuerzählenhabe - zu-fällig teils ihrerZeitfolge,teilsaberihremInhaltenach.Von derZufälligkeit in AnsehungderZeitfolgeist nachherzusprechen.DenBegriff, mit demwir eszuerstzu tunhabenwollen,gehtdieZufälligkeit des

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Inhaltsan,zufälligeHandlungen.Der Inhaltaber,dendiePhilosophiehat,sindnichtHandlungenundäu-ßerlicheBegebenheitenderLeidenschaftenunddesGlücks,sondernessindGedanken.ZufälligeGedan-kenabersindnichtsanderesalsMeinungen,undphi-losophischeMeinungenheißenMeinungenüberdennäherbestimmtenInhaltunddieeigentümlicherenGegenständederPhilosophie - überGott,dieNatur,denGeist.

Somitstoßenwir dennsogleichaufdiesehrge-wöhnlicheAnsichtvonderGeschichtederPhiloso-phie,daßsienämlichdenVorratvonphilosophischenMeinungenherzuerzählenhabe,wie siesichin derZeit ergebenunddargestellthaben.Wennglimpflichgesprochenwird, soheißtmandiesenStoff Meinun-gen;dieesmit gründlicheremUrteileausdrückenzukönnenglauben,nennendieseGeschichteeineGaleriederNarrheitensogaroderwenigstensderVerirrungendessichinsDenkenundin diebloßenBegriffevertie-fendenMenschen.MankannsolcheAnsichtnichtnurvonsolchenhören,die ihreUnwissenheitin Philoso-phiebekennen(siebekennensie,denndieseUnwis-senheitsoll nachdergemeinenVorstellungnichthin-derlichsein,einUrteil darüberzu fällen,wasanderPhilosophiesei;im Gegenteilhält sichjederfür si-cher,überihrenWertundWesendochurteilenzukönnen,ohneetwasvon ihr zuverstehen), - sondern

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auchvonsolchen,welcheselbstGeschichtederPhilo-sophieschreibenundgeschriebenhaben.DieseGe-schichte,soalseineHererzählungvonvielerleiMei-nungen,wird aufdieseWeiseeineSacheeinermüßi-genNeugierdeoder,wennmanwill, ein InteressederGelehrsamkeit.DenndieGelehrsamkeitbestehtvor-züglichdarin,eineMengeunnützerSachenzuwissen,d.h.solcher,diesonstkeinenGehaltundkein Interes-sein ihnenselbsthabenalsdies,dieKenntnisdersel-benzuhaben.

Jedochmeintmanzugleich,einenNutzendavonzuhaben,auchverschiedeneMeinungenundGedankenandererkennenzulernen, - esbewegedieDenkkraft,führeauchaufmanchengutenGedanken,d. i. esver-anlasseetwaauchwieder,eineMeinungzuhaben,unddieWissenschaftbestehedarin,daßsichsoMei-nungenausMeinungenfortspinnen.

WenndieGeschichtederPhilosophienureineGa-lerievonMeinungen - obzwarüberGott,überdasWesendernatürlichenundgeistigenDinge - auf-stellte,sowürdesieeinesehrüberflüssigeundlang-weiligeWissenschaftsein,manmögeauchnochsovieleNutzen,diemanvonsolcherGedankenbewe-gungundGelehrsamkeitziehensolle,herbeibringen.Waskannunnützersein,alseineReihebloßerMei-nungenkennenzulernen,waslangweiliger?Schrift-stellerischeWerke,welcheGeschichtender

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Philosophiein demSinnesind,daßsiedie IdeenderPhilosophiein derWeisevonMeinungenaufführenundbehandeln,brauchtmannur leichtanzusehen,umzufinden,wie dürr, langweiligundohneInteressedasallesist.

EineMeinungist einesubjektiveVorstellung,einbeliebigerGedanke,eineEinbildung,die ich soodersoundeinandererandershabenkann; - eineMei-nungist mein, sieist nichtein in sichallgemeiner,anundfür sichseienderGedanke.Die PhilosophieaberenthältkeineMeinungen;esgibt keinephilosophi-schenMeinungen.ManhörteinemMenschen - undwennesauchselbsteinGeschichtsschreiberderPhi-losophiewäre - sogleichdenMangeldererstenBil-dungan,wennervonphilosophischenMeinungenspricht.Die Philosophieist objektiveWissenschaftderWahrheit,WissenschaftihrerNotwendigkeit,be-greifendesErkennen, - keinMeinenundkeinAus-spinnenvonMeinungen.

Die weitereeigentlicheBedeutungvonsolcherVorstellungist dann,daßesnur Meinungensind,vondenenwir dieKenntniserhalten.Auf Meinungist derAkzentgelegt.Das,wasderMeinunggegenübersteht,ist dieWahrheit.Wahrheitist es,vor derdieMeinungerbleicht.Wahrheitaberist auchdasWort, beidemdiedenKopf abwenden,welchenurMeinungenin derGeschichtederPhilosophiesuchenoderüberhaupt

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meinen,esseiennursolchein ihr zu finden.Esist einAntagonismusvonzweierleiSeiten,welchendiePhi-losophiehiererfährt.EinerseitserklärtedieFrömmig-keit bekanntlichdieVernunftoderdasDenkenfür un-fähig,dasWahrezuerkennen;im GegenteilführedieVernunftnuraufdenAbgrunddesZweifels,undaufVernunftundSelbstdenkenmüsseVerzichtgetan,siemüsseunterdenblindenAutoritätsglaubengefangen-genommenwerden,umzurWahrheitzugelangen.Vom VerhältnisderReligionzurPhilosophieundihrerGeschichtenachher.Dagegenist esandererseitsebensobekannt,daßdiesogenannteVernunftsichgeltendgemacht,denGlaubenausAutoritätverwor-fen,dasChristentumvernünftiggemachthat,sodaßdieeigeneEinsicht,dieeigeneÜberzeugungdurchausnurverpflichtendfür michsei,etwasanzuerkennen.Aberwunderbarerweiseist dieseBehauptungdesRechtsderVernunftdahinumgeschlagen,dieszumResultatezuhaben,daßdieVernunftnichtsWahreserkennenkönne.DiesesogenannteVernunftbekämpf-teeinerseitsdenreligiösenGlaubenim Namenundkraft derdenkendenVernunft, - undzugleichist sieebensogegendieVernunftgekehrt,FeindinderVer-nunft,behauptetgegensiedie innereAhnung,dasGe-fühl, machtsodasSubjektivezumMaßstabedesGel-tenden, - eineeigeneÜberzeugung,wie jedersieinseinerSubjektivitätsichausundin sichselbermache.

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SolcheeigeneÜberzeugungist nichtsanderesalsdieMeinung,welchedadurchzumLetztenfür dieMen-schengewordenist.

Wennwir vondemanfangen,woraufwir in dernächstenVorstellungstoßen,sokönnenwir nichtumhin,dieserAnsichtin derGeschichtederPhiloso-phiesogleichzuerwähnen.DieseAnsichtist einRe-sultat,dasin derallgemeinenBildungdurchgedrun-genist, - gleichsamdasVorurteil unsererZeiten,derGrundsatz,in demmansichgegenseitigversteht,sicherkennt,eineVoraussetzung,diealsausgemachtgiltundallemübrigenwissenschaftlichenTreibenzugrun-degelegtwird. Esist dieserGrundsatzeinwahrhaftesZeichenderZeit. In derTheologieist esnichtsosehrdasGlaubensbekenntnisderKirche,welchesalsLehredesChristentumsgilt, sondernjedermehroderwenigermachtsicheineeigenechristlicheLehrezu-rechtnachseinerÜberzeugung,einanderernachan-dererÜberzeugung.Oderwir sehenoft dieTheologiegeschichtlichgetrieben,dertheologischenWissen-schaftdasInteressegegeben,dieverschiedenenMei-nungenkennenzulernen:undeinesdererstenist, alleÜberzeugungenzuehrenundsiefür etwaszuneh-men,dasjedernurmit sichauszumachenhabe, - dasZiel ist nicht,dieWahrheitzuerkennen.

EigeneÜberzeugungist in derTatdasLetzte,ab-solutWesentliche,wasdieVernunft,Philosophiezur

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ErkenntnisfordertnachderSeitederSubjektivität;abersiemachtdenUnterschied,obdieÜberzeugungaufGefühlen,Ahnungen,Anschauungenusf.,subjek-tivenGründen,überhauptaufderBesonderheitdesSubjektsberuhtoderaufdemGedankenundobsieausderEinsichtin denBegriff unddieNaturderSachehervorgeht.Auf jeneerstereWeiseist dieÜberzeugungnundieMeinung.

DenGegensatzzwischenMeinungundWahrheit,derjetztprononziertist, erblickenwir auchschoninderBildungdersokratisch-platonischenZeit - einerZeit desVerderbensdesgriechischenLebens:denPlatonischenGegensatzvonMeinungdoxaundWis-senschaftepistêmê. Esist derselbeGegensatz,denwir in derZeit desUntergangsdesrömischenöffentli-chenundpolitischenLebensunterAugustusundinderFolgesehen.Epikureismus,GleichgültigkeitgegendiePhilosophiemachtesichbreit. In welchemSinnePilatus,alsChristussagte:»Ichbin gekommenin dieWelt, dieWahrheitzuverkünden«,erwiderte:»Wasist Wahrheit?«Dasist vornehmgesprochenundheißtsoviel: DieseBestimmungWahrheitist einAbgemachtes,mit demwir fertig sind.Wir sindwei-ter,wissen:Wahrheitzuerkennen,davonkannnichtmehrdieRedesein.Wir sinddarüberhinaus. - Werdiesaufstellt,ist in derTatdarüberhinaus.

WennmanbeiderGeschichtederPhilosophievonGeschichte der Philosophie

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diesemStandpunktausgeht,sowärediesihreganzeBedeutung,nurPartikularitätenanderer,derenjedereineanderehat,kennenzulernen, - Eigentümlichkei-ten,diemir alsoeinFremdessindundwobeimeinedenkendeVernunftnicht frei, nichtdabeiist, diemirnureinäußerer,toter,historischerStoff sind,eineMassein sichselbsteitlenInhalts.Undsichsoin Eit-lembefriedigen,ist selbstnursubjektiveEitelkeit.

DemunbefangenenMenschenwird dieWahrheitimmereingroßesWort bleibenunddasHerzschla-genlassen.WasnundieBehauptungbetrifft, daßmandieWahrheitnichterkennenkönne,sokommtsieinderGeschichtederPhilosophieselbstvor, wo wir siedennauchnäherbetrachtenwerden.Hier ist nurzuerwähnen,daß,wennmandieseVoraussetzunggeltenläßtwie z.B.Tennemann,esnichtzubegreifenist,warummansichumdiePhilosophienochbeküm-mert.DennjedeMeinungbehauptetdannfälschlich,dieWahrheitzuhaben.Ich appellierehierbeivorläu-fig andasalteVorurteil, daßim WissenWahrheitsei,daßmanabervomWahrennur insofernwisse,alsmannachdenke,nichtso,wie mangeheundstehe;daßdieWahrheitnichterkanntwerdeim unmittelba-renWahrnehmen,Anschauen,wederin deräußerlichsinnlichennochin derintellektuellenAnschauung(dennjedeAnschauungist alsAnschauungsinnlich),sondernnurdurchdieMühedesDenkens.

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b. ErweisderNichtigkeitderphilosophischenErkenntnisdurchdieGeschichtederPhilosophie

selbst

NacheineranderenSeitehängtabermit jenerVor-stellungeineandereFolgezusammen,dieman,wiemanwill, für einenSchadenodereinenNutzenanse-henkann.NämlichbeimAnblick vonsomannigfalti-genMeinungen,vonsovielerleiphilosophischenSy-stemengerätmanin dasGedränge,zuwelchemmansichhaltensolle.Mansieht,überdiegroßenMateri-en,zudenensichderMenschhingezogenfühlt undderenErkenntnisdiePhilosophiegewährenwolle,habensichdiegrößtenGeistergeirrt,weil sievonan-derenwiderlegtwordensind.»DadiesessogroßenGeisternwider fahrenist, wie kannegohomunciodaentscheidenwollen.«DieseFolge,dieausderVer-schiedenheitderphilosophischenSystemegezogenwird, ist, wie manmeint,derSchadenin derSache,zugleichist sieaberaucheinsubjektiverNutzen.DenndieseVerschiedenheitist diegewöhnlicheAus-redefür die,welchemit KennermienesichdasAnse-hengebenwollen,sieinteressierensichfür diePhilo-sophie,dafür,daßsiebeidiesemangeblichengutenWillen, ja beizugegebenerNotwendigkeitderBemü-hungumdieseWissenschaft,dochin derTatsie

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gänzlichvernachlässigen.AberdieseVerschiedenheitderphilosophischenSystemeist weit entfernt,sichfüreinebloßeAusredezunehmen.Siegilt vielmehrfüreinenernsthaften,wahrhaftenGrundgegendenErnst,dendasPhilosophierenausseinerBeschäftigungmacht, - alseineRechtfertigung,sichnichtmit ihr zubefassen,undalseineselbstunwiderlegbareInstanzüberdieVergeblichkeitdesVersuchs,diephilosophi-scheErkenntnisderWahrheiter reichenzuwollen.Wennaberauchzugegebenwird, diePhilosophiesolleeinewirkliche WissenschaftseinundeinePhilo-sophiewerdewohl diewahresein,soentstehedieFrage;aberwelche?woransoll mansieerkennen?Jedeversichere,sieseidiewahre;jedeselbstgebean-dereZeichenundKriterienan,woranmandieWahr-heiterkennensolle;einnüchternesbesonnenesDen-kenmüssedaherAnstandnehmen,sichzuentschei-den.

Diesist dasweitereInteresse,welchesdieGe-schichtederPhilosophieleistensoll. Cicero(Denatu-ra deorumI, 10-16)gibt einesolcheschludrigeGe-schichtederphilosophischenGedankenüberGott.ErlegtsieeinemEpikureerin denMund,wußteabernichtsBesseresdaraufzusagen;esist alsoseineAn-sicht.DerEpikureersagt,manseizukeinembe-stimmtenBegriff gekommen.DerErweis,daßdasBe-strebenderPhilosophienichtigsei,wird sogleichaus

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derallgemeinenoberflächlichenAnsichtderGe-schichtederPhilosophiegeführt:derErfolg derGe-schichtezeigesichalseineEntstehungdermannigfal-tigstenGedanken,dervielfachenPhilosophien,dieeinanderentgegengesetztsind,sichwidersprechenundwiderlegen.DiesFaktum,welchesnichtzu leug-nenist, scheintdieBerechtigung,ja dieAufforderungzuenthalten,dieWorteChristiauchaufdiePhiloso-phienanzuwendenundsichzusagen:»LaßdieTotenihreTotenbegrabenundfolgemir nach!« - DasGanzederGeschichtederPhilosophieist einReichvergangener,nichtnur leiblich verstorbenerIndividu-en,sondernwiderlegter,geistigvergangenerSysteme,derenjedesdasanderetot gemacht,begrabenhat.7 -Statt»folgemir nach«müßteesfreilich nachdiesemSinnevielmehrheißen:Folgedir selbstnach,d.h.haltedichandeineeigeneÜberzeugung,bleibebeideinereigenenMeinungstehen.Warumbeieinerfremden?

Esgeschiehtfreilich, daßeineneuePhilosophieauftritt. Diesebehauptet,daßdieanderennichtsgel-ten.JedePhilosophietritt zwarmit derPrätentionauf,daßdurchsiedievorhergehendenPhilosophiennichtnurwiderlegt,sondernihremMangelabgeholfen,dasRechteendlichgefundensei.AberderfrüherenErfah-runggemäßzeigtsichvielmehr,daßaufsolchePhilo-sophiegleichfallsandereWortederSchrift

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anwendbarsind,diederApostelPauluszuAnaniasspricht:»SiehedieFüßederer,diedichhinaustragenwerden,stehenschonvor derTür.«SiehediePhiloso-phie,wodurchdiedeinigewiderlegtundverdrängtwerdenwird, wird nicht langeausbleiben,sowenigalssiebei jederanderenausgebliebenist.

c. ErklärungenüberdieVerschiedenheitderPhilosophien

Esist allerdingsgenuggegründeteTatsache,daßesverschiedenePhilosophiengibt undgegebenhat.DieWahrheitaberist eine; - diesesunüberwindlicheGe-fühl oderGlaubenhatderInstinktderVernunft.AlsokannauchnureinePhilosophiediewahresein;undweil siesoverschiedensind,somüssen - schließtman - dieübrigennur Irrtümersein;aberjeneeinezusein,versichert,begründet,beweisteinejedevonsich. - Diesist eingewöhnlichesRäsonnementundeinerichtig scheinendeEinsichtdesnüchternenDen-kens.WasnundieNüchternheitdesDenkens,diesesSchlagwortbetrifft, sowissenwir vonderNüchtern-heitausdertäglichenErfahrung,daß,wennwir nüch-ternsind,wir unszugleichdamitodergleichdaraufhungrigfühlen.JenesnüchterneDenkenaberhatdasTalentundGeschick,ausseinerNüchternheitnicht

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zumHunger,zumVerlangenüberzugehen,sonderninsichsattzuseinundzubleiben.DamitverrätsichdiesesDenken,dasjeneSprachespricht,daßestoterVerstandist, dennnurdasToteist nüchternundistundbleibtdabeizugleichsatt.Die physischeLeben-digkeitaber,wie dieLebendigkeitdesGeistes,bleibtin derNüchternheitnichtbefriedigt,sondernist Trieb,gehtüberin denHungerundDurstnachWahrheit,nachErkenntnisderselben,dringtnachBefriedigungdiesesTriebesundläßtsichnichtmit solchenRefle-xionen,wie jeneist, abspeisenundersättigen.

WasabernäherüberdieseReflexionzusagenist,wäreschonzunächstdies,daß,soverschiedendiePhilosophienwären,siedochdiesGemeinschaftlichehätten,Philosophiezusein.WeralsoirgendeinePhi-losophiestudierteoderinnehätte(wennesanderseinePhilosophieist), hättedamitdochPhilosophieinne.JenesAusredenundRäsonnement,dassichandiebloßeVerschiedenheitfesthältundausEkeloderBangigkeitvor derBesonderheit,in dereinAllgemei-neswirklich ist, nichtdieseAllgemeinheitergreifenoderanerkennenwill, habeich anderswomit einemKrankenverglichen,demderArzt ObstzuessenanrätunddemmanKirschenoderPflaumenoderTraubenvorsetzt,deraberin einerPedanteriedesVerstandesnichtzugreift,weil keinedieserFrüchteObstsei,son-derndieeineKirschen,dieanderePflaumenoder

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Trauben.Abereskommtwesentlichdaraufan,nocheinetie-

fereEinsichtdareinzuhaben,wasesmit dieserVer-schiedenheitderphilosophischenSystemefür eineBewandtnishabe.Die philosophischeErkenntnisdes-sen,wasWahrheitundPhilosophieist, läßtdieseVerschiedenheitselbstalssolchenochin einemganzanderenSinneerkennenalsnachdemabstraktenGe-gensatzevonWahrheitundIrrtum. Die Erläuterunghierüberwird unsdieBedeutungderganzenGe-schichtederPhilosophieaufschließen.

Wir müssendiesbegreiflichmachen,daßdieseMannigfaltigkeitdervielenPhilosophiennichtnurderPhilosophieselbst - derMöglichkeitderPhiloso-phie - keinenEintragtut, sonderndaßsiezurExi-stenzderWissenschaftderPhilosophieschlechter-dingsnotwendigist undgewesenist, - diesihr we-sentlichist.

Bei dieserBetrachtunggehenwir freilich davonaus,daßdiePhilosophiedasZiel habe,dieWahrheitdenkend,begreifendzuerfassen,nichtdieszuerken-nen,daßnichtszuerkennensei,wenigstensdaßdiewahreWahrheitnichtzuerkennensei,sondernnurzeitliche,endlicheWahrheit(d.h.eineWahrheit,diezugleichaucheinNichtwahresist); ferner,daßwir esin derGeschichtederPhilosophiemit derPhilosophieselbstzu tunhaben.

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Wir könnendas,woraufeshierankommt,in dieeinzigeBestimmungder»Entwicklung«zusammen-fassen.Wennunsdiesedeutlichwird, sowird allesübrigesichvonselbstergebenundfolgen.Die TatenderGeschichtederPhilosophiesindkeineAbenteuer - sowenigdieWeltgeschichtenur romantischist -,nichtnureineSammlungvonzufälligenBegebenhei-ten,FahrtenirrenderRitter,diesichfür sichherum-schlagen,absichtslosabmühenundderenWirksam-keit spurlosverschwundenist. Ebensowenighatsichhiereineretwasausgeklügelt,dorteinanderernachWillkür, sondernin derBewegungdesdenkendenGeistesist wesentlichZusammenhang.Esgehtver-nünftigzu.Mit diesemGlaubenandenWeltgeistmüssenwir andieGeschichteundinsbesondereandieGeschichtederPhilosophiegehen.

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2. Erläuterungen für die BegriffsbestimmungderGeschichteder Philosophie

DervorhinschonangeführteSatz,daßdieWahr-heitnureineist, ist nämlichnochabstraktundfor-mell. Im tieferenSinneist esderAusgangspunktunddasZiel derPhilosophie,dieseeineWahrheitzuer-kennen,abersiezugleichalsdieQuelle,ausderallesandere,alleGesetzederNatur,alleErscheinungendesLebensundBewußtseinsnurabfließen,vondersienurWiderscheinesind, - oderalledieseGesetzeundErscheinungenaufanscheinendumgekehrtemWegeauf jeneeineQuellezurückzuführen,aberumsieausihr zubegreifen,d.h.ihreAbleitungdarauszuerken-nen.DasWesentlichsteist alsovielmehr,zuerken-nen,daßdieeineWahrheitnichteinnureinfacher,leerer,sondernin sichbestimmterGedankeist.

ZumBehufedieserErkenntnismüssenwir unsaufeinigeabstrakteBegriffeeinlassen,diesoganzallge-meinundtrockensind.EssinddiesdiezweiBestim-mungenvonEntwicklungundvonKonkretem. DasProduktdesDenkensist Gedachtesüberhaupt;derGedankeist formell,Begriff dermehrbestimmteGe-danke,IdeederGedankein seinerTotalität,anundfür sichseiendenBestimmung.Ideeist dannauchdasWahreundalleindasWahre.Wesentlichist esnun

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dieNaturderIdee,sichzuentwickelnundnurdurchdieEntwicklungsichzuerfassen,zuwerden,wassieist.

a. Der BegriffderEntwicklung

Entwicklungist einebekannteVorstellung.EsistaberdasEigentümlichederPhilosophie,daszuunter-suchen,wasmansonstfür bekannthält.Wasmanun-besehenhandhabtundgebraucht,womit mansichimLebenherumhilft,ist geradedasUnbekannte,wennmannichtphilosophischgebildetist. Die weitereEr-örterungdieserBegriffegehörtin die logischeWis-senschaft.Daßdie Ideesicherstzudemmachenmuß,wassieist, scheintWiderspruch;sieist, wassieist,könntemansagen.

Um zufassen,wasEntwickelnist, müssenzweier-lei - sozusagen - Zuständeunterschiedenwerden.Dereineist das,wasalsAnlage,Vermögen,dasAn-sichsein,wie ich esnenne(potentia, dynamis), be-kanntist. Die zweiteBestimmungist dasFürsichsein,dieWirklichkeit (actus, energeia). Wir sagen,derMenschist vernünftig,hatVernunftvonNatur;sohatersienur in derAnlage,im Keime.DerMenschhatVernunft,Verstand,Phantasie,Wille, wie ergeboren,selbstim Mutterleibe.DasKind ist aucheinMensch,

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eshatabernurdasVermögen,die realeMöglichkeitderVernunft;esist sogut,alshätteeskeineVer-nunft,sieexistiertnochnichtanihm; esvermagnochnichtsVernünftigeszutun,hatkeinvernünftigesBe-wußtsein.Erstindem[das],wasderMenschsoansichist, für ihn wird, alsodieVernunftfür sich,hatdannderMenschWirklichkeit nachirgendeinerSeite, - ist wirklich vernünftig,undnunfür dieVer-nunft.

Washeißtdiesnäher?Wasansichist, mußdemMenschenzumGegenstandwerden,zumBewußtseinkommen;sowird esfür denMenschen.Wasihm Ge-genstand,ist dasselbe,waseransichist; undsowirdderMenscherstfür sichselbst,ist verdoppelt,ist er-halten,nichteinAnderergeworden.DerMenschistdenkend,unddanndenkterdenGedanken;im Den-kenist nurdasDenkenGegenstand,dieVernünftig-keit produziertVernünftiges,dieVernunftist ihr Ge-genstand.(DasDenkenfällt dannauchzurUnver-nunftherab,dasist weitereBetrachtung.)DerMensch,deransichvernünftigist, ist nichtweiterge-kommen,wenner für sichvernünftigist. DasAnsicherhältsich,unddochist derUnterschiedganzunge-heuer.EskommtkeinneuerInhaltheraus;dochistdieseFormeinungeheurerUnterschied.Auf diesenUnterschiedkommtderganzeUnterschiedin derWeltgeschichtean.Die Menschensindalle

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vernünftig;dasFormelledieserVernünftigkeitist,daßderMenschfrei ist; diesist seineNatur.DochistbeivielenVölkernSklavereigewesenundist zumTeil nochvorhanden,unddieVölker sinddamitzu-frieden.DereinzigeUnterschiedzwischendenafrika-nischenundasiatischenVölkernunddenGriechen,RömernunddermodernenZeit ist nur,daßdiesewis-sen,esfür sieist, daßsiefrei sind.Jenesindesauch,abersiewissenesnicht,sieexistierennichtalsfrei.DiesmachtdieungeheureÄnderungdesZustandesaus.Alles Erkennen,Lernen,Wissenschaft,selbstHandelnbeabsichtigtweiternichts,alsdas,wasin-nerlich,ansichist, aussichherauszuziehenundsichgegenständlichzuwerden.

In dieExistenztretenist Veränderungundin dem-selbeneinsunddasselbebleiben.DasAnsichregiertdenVerlauf.Die Pflanzeverliert sichnicht in bloßeungemesseneVeränderung.Soim Keim derPflanze.Esist demKeimenichtsanzusehen.Er hatdenTrieb,sichzuentwickeln;erkannesnichtaushalten,nuransichzusein.DerTrieb ist derWiderspruch,daßernuransichist undesdochnichtseinsoll. DerTriebsetztin dieExistenzheraus.Eskommtvielfachesher-vor; dasist aberallesim Keimeschonenthalten,frei-lich nichtentwickelt,sonderneingehülltundideell.Die VollendungdiesesHeraussetzenstritt ein,essetztsicheinZiel. DashöchsteAußersichkommen,das

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vorherbestimmteEndeist dieFrucht,d.h.dieHervor-bringungdesKeims,dieRückkehrzumerstenZu-stande.DerKeim will sichselbsthervorbringen,zusichselbstzurückkehren.Wasdarinist, wird ausein-andergesetztundnimmtsichdannwiederin dieEin-heit zurück,wovonesausgegangen.Bei dennatürli-chenDingenist esfreilich derFall, daßdasSubjekt,wasangefangenhat,unddasExistierende,welchesdenSchlußmacht - Frucht,Samen -, zweierleiIndi-viduensind.Die VerdoppelunghatdasscheinbareResultat,in zwei Individuenzuzerfallen;demInhaltenachsindsiedasselbe.Ebensoim animalischenLeben:ElternundKindersindverschiedeneIndividu-en,obgleichvonderselbenNatur.

Im Geisteist esanders.Er ist Bewußtsein,frei,darum,daßin ihm AnfangundEndezusammenfällt.DerKeim in derNatur,nachdemersichzueinemAn-derengemacht,nimmtsichwiederin dieEinheitzu-sammen.Ebensoim Geiste;wasansichist, wird fürdenGeist,undsowird er für sichselbst.Die Frucht,derSamewird nicht für denerstenKeim, sondernnurfür uns;beimGeisteist beidesnichtnuransichdie-selbeNatur,sondernesist einFüreinander- undebendamiteinFürsichsein.Das,für welchesdasAndereist, ist dasselbealsdasAndere.Nur dadurchist derGeistbeisichselbstin seinemAnderen.Die Entwick-lungdesGeistesist Herausgehen,

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SichauseinanderlegenundzugleichZusichkommen.DiesBeisichseindesGeistes,diesZusichselbst-

kommendesselbenkannalsseinhöchstes,absolutesZiel ausgesprochenwerden.Nur dieswill er,undnichtsanderes.Alles, wasim HimmelundaufErdengeschieht - ewiggeschieht -, dasLebenGottesundalles,waszeitlichgetanwird, strebtnurdanachhin,daßderGeistsicherkenne,sichselbergegenständlichmache,sichfinde,für sichselberwerde,sichmit sichzusammenschließe.Er ist Verdoppelung,Entfrem-dung,aberumsichselbstfindenzukönnen,umzusichselbstkommenzukönnen.Nur diesist Freiheit;frei ist, wasnichtaufeinAnderessichbezieht,nichtvon ihm abhängigist. DerGeist,indemerzusichselbstkommt,erreichtdies,[ein] freierzusein.Nurhier tritt wahrhaftesEigentum,nurhierwahrhafteei-geneÜberzeugungein.In allemanderenalsim Den-kenkommtderGeistnichtzudieserFreiheit.SoimAnschauen,denGefühlen:ich findemichbestimmt,bin nicht frei, sondernbin so, wennich aucheinBe-wußtseinüberdiesemeineEmpfindunghabe.Im Wil-lenhatmanbestimmteZwecke,bestimmtesInteresse;ich bin zwarfrei, indemdiesdasMeinigeist; dieseZweckeenthaltenaberimmereinAnderes,odereinsolches,welchesfür micheinAnderesist, wie Triebe,Neigungenusw.Nur im Denkenist alleFremdheitdurchsichtig,verschwunden;derGeistist hierauf

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absoluteWeisefrei. Damit ist dasInteressederIdee,derPhilosophiezugleichausgesprochen.

b. Der BegriffdesKonkreten

Bei derEntwicklungkannmanfragen:wasent-wickelt sich?wasist derabsoluteInhalt?Entwick-lung ist formelleTätigkeit,ohneInhalt, - stelltmansichvor. Die TathataberkeineandereBestimmungalsdieTätigkeit;dadurchist dieallgemeineBeschaf-fenheitdesInhaltsbestimmt.AnsichseinundFürsich-seinsinddieMomentederTätigkeit;dieTat ist dies,solcheunterschiedeneMomentein sichzuenthalten.Die Tat ist aberdabeiwesentlichEines;unddiesistdasKonkrete.Nicht nurdieTat ist konkret,sondernauchdasAnsich,dasSubjektderTätigkeit,welchesanfängt:dasProdukt,ebensodieTätigkeitunddasBeginnende.DerGangderEntwicklungist auchderInhalt,die Ideeselber.Esist EinesundeinAnderes,undbeidesindeins;dasist dasDritte, - daseineistim anderenbeisichselbst,nichtaußerhalbseiner.

Esist eingewöhnlichesVorurteil, diephilosophi-scheWissenschafthabeesnurmit Abstraktionen,lee-renAllgemeinheitenzutun;dieAnschauung,unserempirischesSelbstbewußtsein,unserSelbstgefühl,dasGefühldesLebensseidagegendasin sich

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Konkrete,in sichBestimmte,Reiche.In derTatstehtdiePhilosophieim GebietedesGedankens;siehatesdamitmit Allgemeinheitenzutun, ihr Inhalt ist ab-strakt,abernurderForm,demElementenach;in sichselbstist aberdie Ideewesentlichkonkret,dieEinheitvonunterschiedenenBestimmungen.Esist hierin,daßsichdieVernunfterkenntnisvonderbloßenVerstan-deserkenntnisunterscheidet,undesist dasGeschäftdesPhilosophierensgegendenVerstand,zuzeigen,daßdasWahre,die Ideenicht in leerenAllgemeinhei-tenbesteht,sondernin einemAllgemeinen,dasinsichselbstdasBesondere,dasBestimmteist. Ist dasWahreabstrakt,soist esunwahr.Die gesundeMen-schenvernunftgehtaufdasKonkrete.ErstdieReflexi-ondesVerstandesist abstrakteTheorie,unwahr,nurim Kopferichtig, - auchunteranderemnichtprak-tisch.Die Philosophieist demAbstraktenamfeind-lichsten,führt zumKonkretenzurück.

Soist die IdeeihremInhaltenachin sichkonkret,sowohlansich,undebensoist dasInteresse,daßesfür sieheraussei,wassieansichist. BeideBegriffeverbunden,sohabenwir dieBewegungdesKonkre-ten.DadasAnsichschonin sichselberkonkretistundwir nurdassetzen,wasansichvorhanden,sokommtnurdieneueFormhinzu,daßjetztalsunter-schiedenerscheint,wasvorherim ursprünglichEineneingeschlossenwar.DasKonkretesoll für sich

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werden.Esist in sichunterschieden, - alsAnsich,Möglichkeit ist esnochnichtalsunterschiedenge-setzt,nochin derEinheit(diesewidersprichtderUn-terschiedenheit);esist einfachunddochunterschie-den.DieserinnereWiderspruchdesKonkretenistselbstdasTreibendezurEntwicklung.SokommteszurExistenzderUnterschiede.EbensowiderfährtdemUnterschiedeauchseinRecht.DiesRechtist, daßerzurückgenommen,wiederaufgehobenwird; seineWahrheitist nur,zuseinim Einen.Dasist Lebendig-keit, sowohldienatürlichealsdiederIdee,desGei-stesin sich.Die Ideeist nichtabstrakt,dashöchsteWesen,vondemweiternichtsgesagtwerdenkönne;solcherGott ist ProduktdesVerstandesdermodernenWelt. Esist Bewegung,Prozeß,aberdarinRuhe;derUnterschied,indemer ist, ist nureinverschwinden-der,wodurchdievolle, konkreteEinheithervorgeht.

Zur weiterenErläuterungdiesesBegriffsdesKon-kretenkönnenwir nunzunächstsinnlicheDingealsBeispieledesKonkretenanführen.ObgleichdieBlumevielfacheQualitätenhat,alsGeruch,Ge-schmack,Gestalt,Farbeusf.,soist siedocheine. EsdarfnichtsfehlenvondiesenQualitätenandiesemBlattedieserBlume;jedereinzelneTeil desBlatteshatalleEigenschaften,welchedasganzeBlatt [hat].EbensoenthältdasGold in jedemseinerPunktealleseineQualitätenungetrenntundungeteilt.Beim

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Sinnlichenlassenwir diesgelten,daßsolchesVer-schiedeneszusammenist; aberbeimGeistigenwirddasUnterschiedenevornehmlichalsentgegengesetztgefaßt.Wir findenesnichtwidersprechendundhabenkeinArgesdaran,daßGeruchundGeschmackderBlume,obgleichanderegegeneinander,dennochschlechthinin Einemsind;wir setzensienichteinan-dergegenüber.Nur derVerstand,dasverständigeDenkenfindetAnderesalsunverträglichnebeneinan-der.Die Materiez.B. ist zusammengesetzt,oderderRaumist kontinuierlichundununterbrochen;dannkönnenwir ebensoPunkteim Raumannehmen.DieMaterieist zusammenhängend;mankannsieauchzerschlagenundsoimmerweiterinsUnendlichetei-len;mansagtdann,dieMateriebesteheausAtomen,Punktualitäten,seialsonichtkontinuierlich.SohatmandiebeidenBestimmungen,KontinuitätundPunktualitätin einem.BeidenimmtderVerstandalssichgegenseitigausschließend:Entwederist dieMa-terieschlechthinkontinuierlichoderpunktuell.Siehataberin derTatbeideBestimmungen.

Oderwir sagenvomMenschen,erhabeFreiheit;dieandereBestimmungist dieNotwendigkeit.»WennderGeistfrei ist, soist ernichtderNotwendigkeitun-terworfen«;undviceversa: »seinWollen,DenkenistdurchNotwendigkeitbestimmt,alsonicht frei.«»Eins«,sagtman,»schließtdasandereaus.«Hier

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nehmenwir dieUnterschiedealssichausschließend,alsnichteinKonkretesbildend.DasWahre,derGeistist konkret,undseineBestimmungenFreiheitundNotwendigkeit.Soist diehöhereEinsicht,daßderGeistin seinerNotwendigkeitfrei ist undnur in ihrseineFreiheitfindet,wie seineNotwendigkeitnur inseinerFreiheitruht.Eswird unshierschwerer,dieEinheitzusetzen.Esgibt nunauchExistenzen,dieeinseitigderNotwendigkeitangehören;dassinddienatürlichenDinge.Die Naturist darumabstrakt,kommtnichtzurwahrhaftenExistenz; - nichtdaßdasAbstraktegarnichtexistiere.Rot ist z.B.eineab-straktesinnlicheVorstellung;undwenndasgewöhn-licheBewußtseinvomRotenspricht,meintesnicht,daßesmit Abstraktemzutunhabe.AbereineRose,die rot ist, ist einkonkretesRot,andemsichvielerleisoAbstraktesunterscheidenundisolierenläßt.DieFreiheitkannauchabstrakteFreiheitohneNotwen-digkeit sein;diesefalscheFreiheitist dieWillkür, undsieist ebendamitdasGegenteilihrerselber,diebe-wußtloseGebundenheit,leereMeinungvonFrei-heit -bloßformelleFreiheit.

DasDritte, dieFruchtderEntwicklung,ist einRe-sultatderBewegung.InsofernesabernurResultateinerStufeist, soist es,alsdasLetztedieserStufe,dannzugleichderAnfangspunktunddasErsteeineranderenEntwicklungsstufe.Goethesagtdahermit

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Rechtirgendwo:»DasGebildetewird immerselbstwiederzuStoff.«Die Materie,diegebildetist, Formhat,ist wiederMateriefür eineneueForm.DerGeistgehtin sichundmachtsichzumGegenstande;unddieRichtungseinesDenkensdaraufgibt ihm FormundBestimmungdesGedankens.DiesenBegriff, in demersicherfaßthatundderer ist, dieseseineBildung,diesseinSein,vonneuemvon ihm abgetrennt,machtersichwiederzumObjekte,wendetvonneuemseineTätigkeitdarauf.SoformiertdiesTundasvorherFor-mierteweiter,gibt ihm mehrBestimmungen,machtesbestimmterin sich,ausgebildeterundtiefer.DieseBewegungist alskonkreteineReihevonEntwicklun-gen,dienichtalsgeradeLinie insabstraktUnendlichehinaus,sondernalseinKreis,alsRückkehrin sichselbstvorgestelltwerdenmuß.DieserKreishatzurPeripherieeinegroßeMengevonKreisen;dasGanzeist einegroße,sichin sichzurückbeugendeFolgevonEntwicklungen.

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c. Die PhilosophiealsErkenntnis derEntwicklung desKonkreten

Nachdemich aufdieseWeisedieNaturdesKon-kretenüberhaupterläutert[habe],sosetzeich überseineBedeutungnunhinzu,daßdasWahre,soin sichselbstbestimmt,denTriebhat,sichzuentwickeln.Nur dasLebendige,dasGeistigerührtsichin sich,entwickeltsich.Die Ideeist so - konkretansichundsichentwickelnd - einorganischesSystem,eineTota-lität, welcheeinenReichtumvonStufenundMomen-tenin sichenthält.

Die Philosophieist nunfür sichdasErkennendie-serEntwicklungundist alsbegreifendesDenkenselbstdiesedenkendeEntwicklung.JeweiterdieseEntwicklunggediehen,destovollkommenerist diePhilosophie.

FernergehtdieseEntwicklungnichtnachaußenalsin dieÄußerlichkeit,sonderndasAuseinandergehenderEntwicklungist ebensoeinGehennachinnen;d.i. dieallgemeineIdeebleibtzugrundeliegenundbleibtdasAllumfassendeundUnveränderliche.

IndemdasHinausgehenderphilosophischenIdeein ihrerEntwicklungnichteineVeränderung,einWerdenzueinemAnderen,sondernebensoein In-sichhineingehen,einSichinsichvertiefenist, somacht

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dasFortschreitendievorherallgemeineunbestimm-tereIdeein sichbestimmter;weitereEntwicklungderIdeeoderihregrößereBestimmtheitist einunddas-selbe.Hier ist dasExtensivsteauchdasIntensivste.Die ExtensionalsEntwicklungist nichteineZerstreu-ungundAuseinanderfallen,sondernebensoeinZu-sammenhalt,derebenumsokräftigerundintensiver,alsdieAusdehnung,dasZusammengehaltenereicherundweiterist.

DiessinddieabstraktenSätzeüberdieNaturderIdeeundihrerEntwicklung.Soist diegebildetePhi-losophiein ihr selberbeschaffen;esist eineIdeeimGanzenundin allenihrenGliedern,wie in einemle-bendigenIndividuumeinLeben,einPulsdurchalleGliederschlägt.Alle in ihr hervortretendenTeileunddieSystematisationderselbengehtausdereinenIdeehervor;alledieseBesonderensindnurSpiegelundAbbilderdiesereinenLebendigkeit;siehabenihreWirklichkeit nur in dieserEinheit,undihreUnter-schiede,ihreverschiedenenBestimmtheitenzusam-mensindselbstnurderAusdruckunddie in derIdeeenthalteneForm.Soist die IdeederMittelpunkt,derzugleichdiePeripherieist, derLichtquell,derin allenseinenExpansionennichtaußersichkommt,sonderngegenwärtigundimmanentin sichbleibt; - soist siedasSystemderNotwendigkeitundihrereigenenNot-wendigkeit,diedamitebensoihreFreiheitist.

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3. Resultatefür denBegriffderGeschichtederPhilosophie

Soist diePhilosophieSystemin derEntwicklung,soist esauchdieGeschichtederPhilosophie,unddiesist derHauptpunkt,derGrundbegriff,dendieseAbhandlungdieserGeschichtedarstellenwird.

Um dieszuerläutern,mußzuerstderUnterschiedin AnsehungderWeisederErscheinungbemerklichgemachtwerden,derstattfindenkann.DasHervorge-henderunterschiedenenStufenim FortschreitendesGedankenskannnämlichmit demBewußtseinderNotwendigkeit,nachdersichjedefolgendeableitetundnachdernurdieseBestimmungundGestalther-vortretenkann, - odereskannohnediesBewußtsein,nachWeiseeinesnatürlichen,zufällig scheinendenHervorgehensgeschehen,sodaßinnerlichderBegriffzwarnachseinerKonsequenzwirkt, aberdieseKon-sequenznichtausgedrücktist, wie in derNaturin derStufederEntwicklungderZweige,derBlätter,Blüte,Fruchtjedesfür sichhervorgeht,aberdie innereIdeedasLeitendeundBestimmendedieserAufeinanderfol-geist, oderwie im Kindenacheinanderdiekörperli-chenVermögenundvornehmlichdiegeistigenTätig-keitenzurErscheinungkommen,einfachundunbe-fangen,sodaßdieEltern,diedasersteMal eine

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solcheErfahrungmachen,wie einWundervor sichsehen,wo dasallesherkommt,von innenfür sichda[ist] undjetztsichzeigtunddieganzeFolgedieserErscheinungennurdieGestaltderAufeinanderfolgein derZeit [hat].

Die eineWeisediesesHervorgehens,dieAbleitungderGestaltungen,diegedachte,erkannteNotwendig-keit derBestimmungendarzustellen,ist dieAufgabeunddasGeschäftderPhilosophieselbst;undindemesdiereineIdeeist, aufdieeshierankommt,nochnichtdieweiterbesonderteGestaltungderselbenalsNaturundalsGeist,soist jeneDarstellungvornehm-lich dieAufgabeunddasGeschäftderlogischenPhi-losophie.Die andereWeiseaber,daßdieunterschie-denenStufenundEntwicklungsmomentein derZeit,in derWeisedesGeschehens,andiesenbesonderenOrten,unterdiesemoderjenemVolke, unterdiesenpolitischenUmständenundunterdiesenVerwicklun-genmit denselbenhervortreten - kurz,unterdieserempirischenForm -, diesist dasSchauspiel,welchesunsdieGeschichtederPhilosophiezeigt.DieseAn-sichtist es,welchedieeinzigwürdigefür dieseWis-senschaftist; sieist in sichdurchdenBegriff derSachediewahre;unddaßsiederWirklichkeit nachebensosichzeigtundbewährt,dieswird sichdurchdasStudiumdieserGeschichteselbstergeben.

NachdieserIdeebehaupteich nun,daßdieGeschichte der Philosophie

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AufeinanderfolgederSystemederPhilosophiein derGeschichtedieselbeist alsdieAufeinanderfolgein derlogischenAbleitungderBegriffsbestimmungenderIdee.Ich behaupte,daß,wennmandieGrundbegriffederin derGeschichtederPhilosophieerschienenenSystemereindessenentkleidet,wasihreäußerlicheGestaltung,ihreAnwendungaufdasBesondereunddergleichenbetrifft, soerhältmandieverschiedenenStufenderBestimmungderIdeeselbstin ihremlogi-schenBegriffe.Umgekehrt,denlogischenFortgangfür sichgenommen,sohatmandarinnachseinenHauptmomentendenFortgangdergeschichtlichenEr-scheinungen; - abermanmußfreilich diesereinenBegriffe in demzuerkennenwissen,wasdiege-schichtlicheGestaltenthält.FernerunterscheidetsichallerdingsauchnacheinerSeitedieFolgealsZeit-folgederGeschichtevonderFolgein derOrdnungderBegriffe.Wo dieseSeiteliegt, diesnäherzuzei-gen,würdeunsabervonunseremZweckezuweit ab-führen.

Ich bemerkenurnochdies,daßausdemGesagtenerhellt,daßdasStudiumderGeschichtederPhiloso-phieStudiumderPhilosophieselbstist, wie esdennnichtandersseinkann.WerGeschichtederPhysik,Mathematikusf.studiert,machtsichdamitja auchmit derPhysik,Mathematikselbstbekannt.Aberumin derempirischenGestaltundErscheinung,in der

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diePhilosophiegeschichtlichauftritt, ihrenFortgangalsEntwicklungderIdeezuerkennen,mußmanfrei-lich dieErkenntnisderIdeeschonmitbringen,sogutalsmanzurBeurteilungdermenschlichenHandlun-gendieBegriffevondem,wasrechtundgehörigist,mitbringenmuß.Sonst,wie wir diesin sovielenGe-schichtenderPhilosophiesehen,bietetsichdemide-enlosenAugefreilich nureinunordentlicherHaufenvonMeinungendar.DieseIdeeIhnennachzuweisen,dieErscheinungensonachzuerklären - diesist dasGeschäftdessen,derdieGeschichtederPhilosophievorträgt.Weil derBeobachterdenBegriff derSacheschonmitbringenmuß,umihn in ihrerErscheinungzusehenunddenGegenstandwahrhaftauslegenzukönnen,sodürfenwir unsnichtwundern,wennessomancheschaleGeschichtederPhilosophiegibt, wennin ihnendieReihederphilosophischenSystemealseineReihevonbloßenMeinungen,Irrtümern,Gedan-kenspielenvorgestelltwird - Gedankenspielen,diezwarmit großemAufwandvonScharfsinn,Anstren-gungdesGeistesundwasmanallesüberdasFor-mellederselbenfür Komplimentesagt,ausgehecktwordenseien.Bei demMangeldesphilosophischenGeistes,densolcheGeschichtsschreibermitbringen,wie solltensiedas,wasvernünftigesDenkenist, auf-fassenunddarstellenkönnen?

Ausdem,wasüberdie formelleNaturderIdeeGeschichte der Philosophie

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angegebenwordenist, erhellt,daßnureineGeschich-tederPhilosophie,alseinsolchesSystemderEnt-wicklungderIdeeaufgefaßt,denNameneinerWis-senschaftverdient(nurdarumgebeich michdamitab,halteVorlesungendarüber);eineSammlungvonKenntnissenmachtkeineWissenschaftaus.Nur so,alsdurchdieVernunftbegründeteFolgederErschei-nungen,welcheselbstdas,wasdieVernunftist, zuihremInhaltehabenundesenthüllen,zeigtsichdieseGeschichteselbstalsetwasVernünftiges;siezeigt,daßsieeinevernünftigeBegebenheit.Wie solltedasalles,wasin AngelegenheitenderVernunftgeschehenist, nichtselbstvernünftigsein?Esmußschonver-nünftigerGlaubesein,daßnichtderZufall in denmenschlichenDingenherrscht;undesist ebenSachederPhilosophie,zuerkennen,daß,sosehrihreeigeneErscheinungGeschichteist, sienurdurchdie Ideebe-stimmtist.

DurchdiesevorausgeschicktenallgemeinenBegrif-fe sindnundieKategorienbestimmt,derennähereAnwendungaufdieGeschichtederPhilosophiewirzubetrachtenhaben - eineAnwendung,welcheunsdiebedeutendstenGesichtspunktedieserGeschichtevor Augenbringenwird.

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a. ZeitlicheEntwicklungdermannigfaltigenPhilosophien

Die unmittelbarsteFrage,welcheüberdieseGe-schichtegemachtwerdenkann,betrifft jenenUnter-schiedderErscheinungderIdeeselbst,welcherso-ebengemachtwordenist, - dieFrage,wie eskommt,daßdiePhilosophiealseineEntwicklungin derZeiterscheintundeineGeschichtehat.Die BeantwortungdieserFragegreift in dieMetaphysikderZeit ein,undeswürdeeineAbschweifungvondemZweck,derhierunserGegenstandist, sein,wennhiermehralsnurdieMomenteangegebenwürden,aufdieesbeiderBe-antwortungderaufgeworfenenFrageankommt.

Esist obenüberdasWesendesGeistesangeführtworden,daßseinSeinseineTat ist. Die Natur ist, wiesieist, undihreVeränderungensinddeswegennurWiederholungen,ihreBewegungnureinKreislauf.Näherist seineTatdie,sichzuwissen.Ich bin, un-mittelbar;abersobin ich nuralslebendigerOrganis-mus;alsGeistbin ich nur, insofernich michweiß.GnôthiseautonwisseDich, die InschriftüberdemTempeldeswissendenGotteszuDelphi, ist dasabso-luteGebot,welchesdieNaturdesGeistesausdrückt.DasBewußtseinaberenthältwesentlichdieses,daßich für mich,mir Gegenstandbin. Mit diesem

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absolutenUrteil, derUnterscheidungmeinervonmirselbst,machtsichderGeistzumDasein,setztsichalssichselbstäußerlich;ersetztsichin dieÄußerlich-keit, welchesebendieallgemeine,unterscheidendeWeisederExistenzderNaturist. Die einederWeisenderÄußerlichkeitaberist dieZeit, welcheFormso-wohl in derPhilosophiederNaturalsdesendlichenGeistesihrenähereErörterungzuerhaltenhat.

DiesDaseinunddamitIn-der-Zeit-Seinist einMo-mentnichtnurdeseinzelnenBewußtseinsüberhaupt,dasalssolcheswesentlichendlichist, sondernauchderEntwicklungderphilosophischenIdeeim Elemen-tedesDenkens.Denndie Idee,in ihrerRuhegedacht,ist wohl zeitlos;siein ihrerRuhedenkenist, sieinGestaltderUnmittelbarkeitfesthalten,ist gleichbe-deutendmit der innerenAnschauungderselben.Aberdie Ideeist alskonkret,alsEinheitUnterschiedener,wie obenangeführtist, wesentlichnichtRuheundihrDaseinwesentlichnichtAnschauung,sondernalsUn-terscheidungin sichunddamitEntwicklungtritt sieinihr selbstinsDaseinundin dieÄußerlichkeitim Ele-mentedesDenkens;undsoerscheintim DenkendiereinePhilosophiealseinein derZeit fortschreitendeExistenz.DiesElementdesDenkensselbstaberistabstrakt,ist dieTätigkeiteineseinzelnenBewußt-seins.DerGeistist abernichtnuralseinzelnes,endli-chesBewußtsein,sondernalsin sichallgemeiner,

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konkreterGeist.DiesekonkreteAllgemeinheitaberbefaßtalledieentwickeltenWeisenundSeiten,indenenersichderIdeegemäßGegenstandist undwird. Soist seindenkendesSich-Erfassenzugleichdievonderentwickelten,totalenWirklichkeit erfüllteFortschreitung - eineFortschreitung,dienichtdasDenkeneinesIndividuumsdurchläuftundsichineinemeinzelnenBewußtseindarstellt,sondernderalsin demReichtumseinerGestaltung,in derWeltge-schichtesichdarstellendeallgemeineGeist.In dieserEntwicklunggeschiehtesdaher,daßeineForm,eineStufederIdeein einemVolke zumBewußtseinkommt,sodaßdiesesVolk unddieseZeit nurdieseFormausdrückt,innerhalbwelcheressichseinUni-versumausbildetundseinenZustandausarbeitet,diehöhereStufedagegenJahrhundertenachherin einemanderenVolke sichauftut.

Wennwir nunsodieseBestimmungenvonKonkretundEntwicklungfesthalten,soerhältdieNaturdesMannigfaltigeneinenganzanderenSinn,soist miteinemMaledasGeredevonderVerschiedenheitderPhilosophien,alsobdasMannigfaltigeeinStehendes,Festes,außereinanderBleibendessei,niedergeschla-genundanseinenOrt gestellt, - dasGerede,anwel-chemdasVornehmtungegenPhilosophieeineselbstunüberwindlicheWaffegegensiezubesitzenglaubtundin seinemStolzeaufsolchearmselige

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Bestimmungen(einwahrerBettelstolz)zugleichselbstüberdasganzWenigeganzunwissendist, wasesbesitztundzuwissenhat,z.B.hierMannigfaltig-keit, Verschiedenheit.Diesist eineKategorie,diedochjederversteht,erhatgarkeinArgesdaran,istdamitbekanntundmeint,siealseinevöllig verstan-denehandhabenundgebrauchenzukönnen;esverste-hesichvonselbst,daßerwisse,wasdasist. Die aberdieMannigfaltigkeitfür eineabsolutfesteBestim-munghalten,kennenihreNaturunddieDialektikderselbennicht.Die Mannigfaltigkeitist im Flusse,mußwesentlichalsin derBewegungderEntwicklunggefaßtwerden, - einvorübergehendesMoment.DiekonkreteIdeederPhilosophieist dieTätigkeitderEntwicklung,dieUnterschiede,diesieansichenthält,herauszusetzen.DieseUnterschiedesindGedankenüberhaupt,dennwir sprechenhiervonderEntwick-lung im Denken.Die Unterschiede,die in derIdeelie-gen,werdenalsGedankengesetzt;dasist daserste.Daszweiteist, daßdieseUnterschiedezumBestehenkommenmüssen,dereinehier,derandereda.Daßsiediesvermögen,dazumüssensieGanze,Totalitätsein,dieTotalitätderIdeein ihnenenthalten.Nur dasKon-kreteist dasWirkliche, welchesdieUnterschiedeträgt;sosinddieUnterschiedealsganzeGestalten.

SolchevollständigeGestaltungdesGedankensisteinePhilosophie.Die Unterschiedeenthaltenaberdie

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Ideein einereigentümlichenForm.Mankönntesagen,dieFormseigleichgültig,derInhalt,die IdeeseidieHauptsache.Undmanmeintleichtbillig zusein,wennmanzugibt,dieverschiedenenPhilosophi-enenthaltendie Idee,nur in verschiedenenFormen -in demSinne,daßdieseFormenzufällig seien.Eskommtaberallerdingsaufsiean.DieseFormensindnichtsanderesalsdieursprünglichenUnterschiedederIdeeselbst;sieist nur in ihnen,wassieist; siesindihr alsowesentlich,siemachendenInhaltderIdeeaus.Der Inhalt legtsichauseinander,undsoisteralsForm.Die MannigfaltigkeitderBestimmungen,diehiererscheint,ist abernichtunbestimmt,sondernnotwendig;dieFormenintegrierensichzurganzenForm.EssinddieBestimmungenderursprünglichenIdee;zusammenmachtihr Bild dasGanzeaus.Sowie sieaußereinandersind,sofällt dasZusammenderselbennicht in sie,sondernin uns,dieBetrachten-den.

JedesSystemist in einerBestimmung;alleinesbleibtnichtdabei,daßsiesoaußereinandersind.EsmußdasSchicksaldieserBestimmungeneintreten,welchesebendiesist, daßsiezusammengefaßtundzuMomentenherabgesetztwerden.Die Weise,wonachjedessichalsSelbständigessetzte,wird wiederaufge-hoben;nachderExpansiontritt Kontraktionein - dieEinheit,wovonsieausgegangenwaren.DiesDritte

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kannselbstwiedernurderAnfangeinerweiterenEnt-wicklungsein.Eskannscheinen,alsschrittedieserFortganginsUnendliche.Er hataberaucheinabsolu-tesZiel, waswir späterhinweitererkennenwerden.EssindvieleWendungennötig,ehederGeist,zumBewußtseinseinerkommend,sichbefreit.NachdieseralleinwürdigenAnsichtvonderGeschichtederPhilo-sophieist derTempelderselbstbewußtenVernunftzubetrachten.Esist daranvernünftiggebaut,durchin-nerenWerkmeister;nichtetwa,wie dieJudenoderFreimaureramsalomonischenbauen.

Die großePräsumtion,daßesauchnachdieserSeitein derWelt vernünftigzugegangen - wasderGeschichtederPhilosophieerstwahrhaftesInteressegibt -, ist dannnichtsanderesalsderGlaubeandieVorsehung,nur in andererWeise.DasBestein derWelt ist, wasderGedankehervorbringt.Daherist esunpassend,wennmanglaubt,nur in derNaturseiVernunft,nicht im Geistigen.Demjenigen,welcherdieBegebenheitenim GebietedesGeistes - unddassinddiePhilosophien - für Zufälligkeitenhält, ist esnichtErnstmit demGlaubenaneinegöttlicheWeltre-gierung,undseinGlaubeandieVorsehungist einleeresGerede.

Esist allerdingseinelangeZeit - unddieLängederZeit ist es,dieauffallenkann -, welchederGeistdazubraucht,sichdiePhilosophiezuerarbeiten.

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WennmansichaberüberhauptüberdieLängederZeit verwundert,sokanndieLängeallerdingsetwasAuffallendesfür dienächsteReflexionhaben,gleich-wie dieGrößederRäume,vondenenin derAstrono-miegesprochenwird. WasdieLangsamkeitdesWelt-geistesbetrifft, soist zubedenken,daßernichtpres-siertist, nichtzueilenundZeit genughat - »tausendJahresindvor Dir wie einTag«;erhatZeit genug,ebenweil erselbstaußerderZeit, weil erewig ist.Die übernächtigenEphemerenhabenzusovielenihrerZweckenichtZeit genug;werstirbtnicht,eheermit seinenZweckenfertig geworden?Er hatnichtnurZeit genug, - esist nichtZeit allein,dieaufdieEr-werbungeinesBegriffeszuverwendenist, eskostetnochviel anderes.DaßerebensovieleMenschenge-schlechterundGenerationenandieseArbeitenseinesBewußtwerdenswendet,daßereinenungeheurenAufwanddesEntstehensundVergehensmacht - dar-aufkommtesihm auchnichtan.Er ist reichgenugfür solchenAufwand,er treibtseinWerk im Großen,erhatNationenundIndividuengenugzudepensieren.Esist ein trivialer Satz:Die NaturkommtaufdemkürzestenWegzu ihremZiel. Diesist richtig; aberderWegdesGeistesist dieVermittlung,derUmweg.Zeit, Mühe,Aufwand - solcheBestimmungenausdemendlichenLebengehörennichthierher.Wir dür-fenauchnichtungeduldigwerden,daßdiebesonderen

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Einsichtennichtschonjetztausgeführtwerdenkön-nen,nichtdiesoderjenesschondaist; in derWeltge-schichtegehendieFortschrittelangsam.

b. AnwendungaufdieBehandlungderGeschichtederPhilosophie

Die ersteFolgeausdemGesagtenist diese,daßdasGanzederGeschichtederPhilosophieein in sichnotwendiger,konsequenterFortgangist; er ist in sichvernünftig,durchseineIdeebestimmt.Die Zufällig-keit mußmanmit demEintritt in diePhilosophieauf-geben.Wie dieEntwicklungderBegriffe in derPhilo-sophienotwendigist, soist esauchihreGeschichte.DasFortleitendeist die innereDialektik derGestal-tungen.DasEndlicheist nichtwahr,nochwie esseinsoll; daßesexistiere,dazugehörtBestimmtheit.DieinnereIdeezerstörtaberdieseendlichenGestaltun-gen.EinePhilosophie,dienichtdieabsolute,mit demInhalt identischeFormhat,mußvorübergehen,weilihreFormnichtdiewahreist. A priori ist derFort-gangnotwendig.DieshatdieGeschichtederPhiloso-phiealsExempelzubewähren.

Die zweiteBestimmung,dieausdemBisherigenfolgt, ist die,daßjedePhilosophienotwendiggewe-senist undnochist, keinealsountergegangen,

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sondernallealsMomenteeinesGanzenaffirmativ inderPhilosophieerhaltensind.Wir müssenaberunter-scheidenzwischendembesonderenPrinzipdieserPhilosophienalsbesonderemPrinzipundderAusfüh-rungdiesesPrinzipsdurchdieganzeWeltanschau-ung.Die Prinzipiensinderhalten,dieneuestePhilo-sophieist dasResultatallervorhergehendenPrinzipi-en;soist keinePhilosophiewiderlegtworden.Waswiderlegtworden,ist nichtdasPrinzipdieserPhiloso-phie,sondernnurdies,daßdiesPrinzipdasLetzte,dieabsoluteBestimmungsei.Die atomistischePhilo-sophiez.B. ist zuderBestimmunggekommen,daßdasAtom dasAbsolutesei;esist dasunzerschneid-bareEins,wastieferdasIndividuelle,Subjektiveist.DasbloßeEinsist dasabstrakteFürsichsein,sowurdedasAbsolutealsunendlichvieleEinsgefaßt.DiesatomistischePrinzipist widerlegtworden;wirsindnichtAtomisten.DerGeistist auchfür sichsei-endesEins,Atom; dasist aberdürftigeBestimmung.DasEinsdrücktalsonichtdasAbsoluteaus.AberdiesPrinzipist aucherhalten,nur ist diesnichtdieganzeBestimmungdesAbsoluten.DieseWiderle-gungkommtin allenEntwicklungenvor. Die Ent-wicklungdesBaumsist WiderlegungdesKeims,dieBlütedieWiderlegungderBlätter,daßsienichtdiehöchste,wahrhafteExistenzdesBaumessind.DieBlütewird endlichwiderlegtdurchdieFrucht;aber

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siekannnichtzurWirklichkeit kommenohnedasVorhergehenaller früherenStufen.DasVerhaltengegeneinePhilosophiemußalsoeineaffirmativeundeinenegativeSeiteenthalten;dannerstlassenwireinerPhilosophieGerechtigkeitwiderfahren.DasAf-firmativewird spätererkannt,im Lebenwie in derWissenschaft;widerlegenist mithin leichteralsrecht-fertigen.

Drittens. Wir werdenunsbesondersaufdieBe-trachtungderPrinzipienbeschränken.JedesPrinziphateineZeitlangdieHerrschaftgehabt;daßin dieserFormdanndasGanzederWeltanschauungausgeführtworden,dasnenntmaneinphilosophischesSystem.ManhatauchdieganzeAusführungkennenzulernen.AberwenndasPrinzipnochabstrakt,ungenügendist,soist esnichthinreichend,dieGestaltungenzufas-sen,diezuunsererWeltanschauunggehören.DiedürftigeBestimmungdesEinskannz.B.dieTiefedesGeistesnichtaussprechen.Die BestimmungendesCartesiussindvonderArt, daßsiefür denMechanis-mussehrguthinreichen,weiterabernicht;dieDar-stellungenderanderenWeltanschauungen(z.B.dervegetabilischenundanimalischenNatur)sindunge-nügendunddaheruninteressant.Wir betrachtendahernurdiePrinzipiendieserPhilosophien;beikonkrete-renPhilosophienhabenwir dannauchdieHauptent-wicklungen,Anwendungenzuberücksichtigen.Die

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PhilosophienvonuntergeordnetemPrinzipsindnichtkonsequent;siehabentiefeBlicke getan,dieaberau-ßerhalbihrerPrinzipienliegen.Sohabenwir im Ti-maiosdesPlatoneineNaturphilosophie,derenAus-führungauchempirischsehrdürftig ist, daseinPrin-zip dazunochnichthinreichte;unddie tiefenBlicke,dienicht fehlen,verdankenwir nichtdemPrinzip.

Viertens. EsergibtsichdarausdieAnsichtfür dieGeschichtederPhilosophie,daßwir in ihr, obsiegleichGeschichteist, esdochnichtmit Vergangenemzutunhaben.Der InhaltdieserGeschichtesinddiewissenschaftlichenProduktederVernünftigkeit,unddiesesindnichteinVergängliches.Wasin diesemFeldeerarbeitetworden,ist dasWahre,unddiesesistewig,existiertnichtzueinerZeit undnichtmehrzueineranderen.Die KörperderGeister,welchedieHeldendieserGeschichtesind,ihr zeitlichesLeben(dieäußerenSchicksalederPhilosophen)ist wohlvorübergegangen,aberihreWerke(derGedanke,dasPrinzip)sindihnennichtnachgefolgt.Denndenver-nünftigenInhalt ihrerWerkehabensiesichnichtein-gebildet,erträumt,gemeint - Philosophieist nichteinSomnambulismus,vielmehrdaswachsteBewußt-sein -, undihreTat ist nurdies,daßsiedasansichVernünftigeausdemSchachtedesGeistes,worin eszunächstnuralsSubstanz,alsinneresWesenist, zuTagausgebracht,in dasBewußtsein,in dasWissen

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beförderthaben, - einsukzessivesErwachen.DieseTatensinddahernichtnur in demTempelderErinne-rungniedergelegt,alsBilder vonEhemaligem,son-dernsiesindjetztnochebensogegenwärtig,ebensolebendigalszurZeit ihresHervortretens.(DasPrinzipist nichtvergangen;wir sollenselbstdarinpräsentsein.)EssindWirkungenundWerke,welchenichtdurchnachfolgendewiederaufgehobenundzerstörtwordensind.SiehabennichtLeinwand,nochMar-mor,nochdasPapier,nochdieVorstellungunddasGedächtniszudemElemente,in welchemsieaufbe-wahrtwerden - Elemente,welcheselbstvergänglichoderderBodendesVergänglichensind -, sonderndasDenken(denBegriff), dasunvergänglicheWesendesGeistes,wohinnichtMottennochDiebedringen.Die ErwerbedesDenkens,alsdemDenkeneingebil-det,machendasSeindesGeistesselbstaus.DieseEr-kenntnissesindebendeswegennichteineGelehrsam-keit, dieKenntnisdesVerstorbenen,BegrabenenundVerwesten;dieGeschichtederPhilosophiehatesmitdemnichtAlternden,gegenwärtigLebendigenzutun.

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c. NähereVergleichungderGeschichtederPhilosophiemit derPhilosophieselbst

Wir könnenunsdenganzenin derZeit verteiltenReichtumzueigenmachen.In derReihederPhiloso-phienmußdaraufhingewiesenwerden,wie siedieSystematisierungderphilosophischenWissenschaftselberist. Mankannmeinen,daßdiePhilosophieindenStufenderIdeeeineandereOrdnunghabenmüssealsdieOrdnung,in welcherin derZeit dieseBegriffehervorgegangensind.Im ganzenist dieOrdnungdie-selbe.Ein Unterschiedist aberhierbeinochzubemer-ken.DenAnfangmachtdas,wasansichist, dasUn-mittelbare,Abstrakte,Allgemeine,wasnochnichtfortgeschrittenist. DasKonkretere,Reichereist dasSpätere;dasErsteist dasÄrmsteanBestimmungen.EskanndiesdernächstenVorstellungentgegenge-setztscheinen,aberphilosophischeVorstellungensindebensooftdasgeradeGegenteil,wasmanmeint,wie manesin dergewöhnlichenVorstellunghat, -aberdiesenicht findenwill. Mankönntedenken,dasErsteseidasKonkrete.Soist dasKind, alsnochinderursprünglichenTotalitätseinerNatur,konkreter.DerMannist beschränkt,nichtmehrdieseTotalität,er lebteinabstrakteresLeben, - stellenwir unsvor.DerMannhandeltnachbestimmtenZwecken,nicht

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mit ganzerSeeleundganzemGemüt,sondernzer-splittertsichin eineMengevonabstraktenEinzelhei-ten;dasKind, derJünglinghandelnausvoller Brust.GefühlundAnschauungist dasErste,dasDenkendasLetzte;soscheintunsauchdasGefühlkonkreteralsdasDenken,dieTätigkeitderAbstraktion,desAllge-meinen.In derTat ist esaberumgekehrt.Dassinnli-cheBewußtseinist freilich überhauptkonkreterund,wennauchdasärmsteanGedanken,dochdasreichsteanInhalt.Wir müssenalsodasnatürlicheKonkretevomKonkretendesGedankensunterscheiden,wel-chesseinerseitswiederarmanSinnlichkeitist. DasKind ist auchdasAbstrakteste,dasÄrmsteanGedan-ken;mit demNatürlichenverglichenist derMannab-strakt,alsDenkenist eraberkonkreteralsdasKind.DerZweckdesMannesist allerdingsabstrakt,alsvonallgemeinerArt, z.B.seineFamiliezuernährenoderAmtsgeschäftezuverrichten;aberer trägtzueinemgroßenobjektiven,organischenGanzenbei,befördertes,stehtihm vor, - dain denHandlungendesKindesnureinkindischesIch, undzwarmomentan,in denHandlungendesJünglingsHauptzweckseinesubjek-tive Bildung ist odereinSchlageninsBlaue.SoistdieWissenschaftkonkreteralsdieAnschauung.

DiesesangewendetaufdieverschiedenenGestal-tungenderPhilosophie,sofolgt darauserstens, daßdieerstenPhilosophiendieärmstenundabstraktesten

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sind;die Ideeist bei ihnenamwenigstenbestimmt,siehaltensichnur in Allgemeinheiten,sindnichter-füllt. Diesmußmanwissen,umnichthinterdenaltenPhilosophienmehrzusuchen,alsmandarinzufindenberechtigtist. Wir dürfendahernichtBestimmungenvon ihnenfordern,dieeinemtieferenBewußtseinzu-kommen.Sohatmanz.B.dieFragengemacht,obdiePhilosophiedesThaleseigentlichTheismusoderAtheismusgewesensei,obereinenpersönlichenGottoderbloßeinunpersönlichesallgemeinesWesenbe-hauptethabe.Hier kommtesaufdieBestimmungderSubjektivitätderhöchstenIdee,denBegriff derPer-sönlichkeitGottesan.SolcheSubjektivität,wie wirsiefassen,ist einviel, viel reicherer,intensivererunddarumviel spätererBegriff, derin derälterenZeitüberhauptnichtzusuchenist. In derPhantasieundVorstellunghattendiegriechischenGötterwohl Per-sönlichkeit,wie dereineGott in derjüdischenReligi-on;aberesist einganzanderes,wasVorstellungderPhantasieoderwasErfassendesreinenGedankensunddesBegriffs ist. Legenwir unsereVorstellungzu-grunde,sokann,nachdiesertieferenVorstellungge-messen,einealtePhilosophiedannalsAtheismusal-lerdingsmit Rechtausgesprochenwerden.EbensoistdieserAusspruchaberauchfalsch,dadieGedankenalsGedankendesAnfangsnochnichtdieEntwick-lunghabenkonnten,zuderwir gekommensind.Tiefe

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scheintauf Intensionzudeuten,aberje intensiverderGeistist, destoextensiverist er,destomehrhatersichausgebreitet.DasGrößereist hierdieStärkedesGegensatzes,derTrennung;diegrößereMachtüber-windetdiegrößereTrennung.

An dieseFolgeschließtsichunmittelbaran,daß -indemderFortgangderEntwicklungweiteresBestim-menunddieseinVertiefenundErfassenderIdeeinsichselbstist - somitdiespäteste,jüngste,neuestePhilosophiedieentwickeltste,reichsteundtiefsteist.In ihr mußalles,waszunächstalseinVergangeneserscheint,aufbewahrtundenthalten,siemußselbsteinSpiegelderganzenGeschichtesein.DasAnfäng-liche ist dasAbstrakteste,weil esdasAnfänglicheist,sichnochnicht fortbewegthat;die letzteGestalt,dieausdieserFortbewegungalseinemfortgehendenBe-stimmenhervorgeht,ist diekonkreteste.Esist dies,wie zunächstbemerktwerdenkann,weiterkeinePrä-sumtionderPhilosophieunsererZeit; dennesist ebenderGeistdieserganzenDarstellung,daßdieweitergebildetePhilosophieeinerspäterenZeit wesentlichResultatdervorhergehendenArbeitendesdenkendenGeistesist, daßsiegefordert,hervorgetriebenvondie-senfrüherenStandpunkten,nicht isoliert für sichausdemBodengewachsenist.

Dasandere,washierbeinochzuerinnernist, ist,daßmansichnichthütenmuß,dies,wasin derNatur

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derSacheist, zusagen,daßdie Idee,wie siein derneuestenPhilosophiegefaßtunddargestelltist, dieentwickeltste,reichste,tiefsteist. DieseErinnerungmacheich deswegen,weil neue,neueste,allerneuestePhilosophieeinsehrgeläufigerSpitznamegewordenist. Diejenigen,diemit solcherBenennungetwasge-sagtzuhabenmeinen,könnenumsoleichterdievie-lenPhilosophienkreuzigenundsegnen,je mehrsiegeneigtsind,entwedernichtnur jedeSternschnuppe,sondernauchjedeKerzenschnuppefür eineSonnean-zusehenoderauchjedesGeschwögefür einePhiloso-phieauszuschreienundzumBeweiseanzuführenwe-nigstensdafür,daßessovielePhilosophiengebeundtäglicheinediegestrigeverdränge.SiehabendamitzugleichdieKategoriegefunden,in welchesieeineBedeutungzugewinnenscheinendePhilosophiever-setzenkönnen,durchwelchesiesogleichdamitfertiggewordensind;sieheißensieeineModephilosophie.

Lächerlicher,dunennstdiesMode,wennimmervonneuemSichdermenschlicheGeisternstlichnachBildungbestrebt.

EinezweiteFolgebetrifft dieBehandlungderälte-renPhilosophien.JeneEinsichthältunsebensoab,ihnennichtetwaSchuldzugeben,bei ihnenBestim-mungenzuvermissen,die für ihreBildungnochgarnichtvorhandenwaren, - ebensosienichtmit

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KonsequenzenundBehauptungenzubelasten,dievon ihnengarnichtgemachtundgedachtwaren,wennsiesichschonrichtig ausdemGedankeneinersolchenPhilosophieableitenließen.ManmußnurhistorischzuWerkegehen,nurdiesihr zuschreiben,wasunsunmittelbarangegebenwird. In denmeistenGe-schichtenderPhilosophiekommenhierUnrichtigkei-tenvor, indemwir darineinemPhilosopheneineMengevonmetaphysischenSätzenkönnenzuge-schriebensehen,eineAnführung,diealsgeschichtli-cheAngabevonBehauptungengeltensoll, dieerge-machthabe, - andieernichtgedacht,vondenenerkeinWort gewußt,nichtdiegeringstehistorischeSpursichfindet.In BruckersgroßerGeschichtederPhilosophiesindsovonThalesundvonandereneineReihevondreißig,vierzig,hundertPhilosophemenangeführt,vondenensichhistorischauchkeinGedan-kebeisolchenPhilosophengefundenhat, - Sätze,auchZitationendazuausRäsonneursähnlichenGe-lichters,wo wir langesuchenkönnen.BruckersPro-zedurist nämlichdaseinfachePhilosophemeinesAlten mit allendenKonsequenzenundVordersätzenauszustatten,welchenachderVorstellungWolffi-scherMetaphysikVorder- undNachsätzejenesPhilo-sophemsseinmüßten,undeinesolchereine,bareAn-dichtungsounbefangenaufzuführen,alsobsieeinwirklicheshistorischesFaktumwäre.Esliegt nurgar

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zunahe,diealtenPhilosophenin unsereFormderRe-flexion umzuprägen.GeradediesmachtaberdenFortgangderEntwicklungaus.DerUnterschiedderZeiten,derBildungundderPhilosophienbestehtge-radedarin,obsolcheReflexionen,solcheGedanken-bestimmungenundVerhältnissedesBegriffesinsBe-wußtseinherausgetretenwaren, - einBewußtseinsoweit entwickeltwordenwarodernicht.Eshandeltsichin derGeschichtederPhilosophienurumdieseEntwicklungundHeraussetzungderGedanken.DieBestimmungenfolgenrichtig auseinemSatze;esistaberetwasganzanderes,obsieschonherausgesetztsindodernicht;aufdasHeraussetzendesinnerlichEnthaltenenkommtesalleinan.

Wir müssendahernurdieeigenstenWortegebrau-chen;dasEntwickelnsindfernereGedankenbestim-mungen,dienochnichtzumBewußtseinjenesPhilo-sophengehören.SosagtAristoteles,Thaleshabege-sagt,dasPrinzip(archê) allerDingeseidasWasser.Anaximanderabersoll erstarchêgebrauchthaben;sohatThalesnochnichtdieseGedankenbestimmungge-habt;erkanntearchêalsAnfangin derZeit, abernichtalsdasZugrundeliegende.ThalesführtenichteinmaldieGedankenbestimmungvonUrsacheinseinePhilosophieein;ersteUrsacheist abereinenochweitereBestimmung.Sogibt esganzeVölker, diediesenBegriff nochgarnichthaben;dazugehörteine

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großeStufederEntwicklung.Undwennschonim all-gemeinenderUnterschiedderBildung in demUnter-schiedederGedankenbestimmungenbesteht,dieher-aussind,somußdiesbeidenPhilosophiennochmehrderFall sein.Sosoll nachBruckerThalesgesagthaben:Exnihilo nihil fit; dennThalessagt,dasWas-serseiewig;sowäreeralsounterdiePhilosophenzurechnen,welchedieSchöpfungausdemNichtsleug-nen.DavonhatThalesaber - geschichtlichwenig-stens - nichtsgewußt.AuchHerrProfessor[Hein-rich] Ritter,dessenGeschichteder ionischenPhilo-sophiefleißig geschriebenist undderdarinim ganzenmäßigist, nichtFremdeshineinzutragen,hatdemThalesdochvielleichtmehrzugeschrieben,alsge-schichtlichist. Er sagt(S.12ff.): »DahermüssenwirdieBetrachtungderNatur,welchewir beiThalesfin-den,durchausalseinedynamischeansehen.Er be-trachtetedieWelt alsdasallesumfassendelebendigeTier, welchesauseinemSamensichentwickelthabewie alleTiere,derauch,wie beiallenTieren,feuchtseioderWasser.Die GrundanschauungdesThalesalsoist die,daßdieWelt ein lebendigesGanzessei,welchessichauseinemKeimeentwickelthabeundnachArt derTierefortlebedurcheineseinemur-sprünglichenWesenangemesseneNahrung«(vgl. S.16).Dasist etwasganzanderes,alswasAristotelessagt.Von allemdiesemist beidenAlten überThales

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nichtsgemeldet.DieseKonsequenzliegt nahe,abergeschichtlichläßtsiesichnicht rechtfertigen.WirdürfennichtauseineraltenPhilosophiedurchderglei-chenSchlüsseetwasganzanderesmachen,alssieur-sprünglichist.

Drittens. Wie nunim logischenSystemdesDen-kensjedeGestaltungdesselbenihreStellehat,aufdersiealleinGültigkeithatunddurchdieweiterfort-schreitendeEntwicklungzueinemuntergeordnetenMomenteherabgesetztwird, soist auchjedePhiloso-phieim ganzendesGangeseinebesondereEntwick-lungsstufeundhatihrebestimmteStelle,aufdersieihrenwahrhaftenWertundBedeutunghat.Nachdie-serBestimmungist ihreBesonderheitwesentlichauf-zufassenundnachdieserStelleanzuerkennen,umihrihr Rechtwiderfahrenzu lassen.Ebendeswegenmußauchnichtmehrvon ihr gefordertunderwartetwer-den,alssieleistet.Esist in ihr dieBefriedigungnichtzusuchen,dienurvoneinerweiterentwickeltenEr-kenntnisgewährtwerdenkann.Wir müssennichtglauben,dieFragenunseresBewußtseins,die Interes-senderjetzigenWelt beidenAlten beantwortetzufinden.SolcheFragensetzengewisseBildungdesGe-dankensvoraus.JedePhilosophieebendarum,weilsiedieDarstellungeinerbesonderenEntwicklungs-stufeist, gehörtihrerZeit anundist in ihrerBe-schränktheitbefangen.DasIndividuumist Sohn

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seinesVolkes,seinerWelt. DerEinzelnemagsichaufspreizen,wie erwill, ergehtnichtübersiehinaus,dennergehörtdemeinenallgemeinenGeistean,derseineSubstanzundWesenist; wie sollteerausdie-semherauskommen?DerselbeallgemeineGeistist es,dervonderPhilosophiedenkenderfaßtwird; sieistseinDenkenseinerselbstundist somitseinbestimm-tersubstantiellerInhalt.JedePhilosophieist Philoso-phieihrerZeit, sieist Glied in derganzenKettedergeistigenEntwicklung;siekannalsonurBefriedigungfür die Interessengewähren,die ihrerZeit angemessensind.

AusdiesemGrundeaberbefriedigtdenGeist,indemnunein tieferbestimmterBegriff lebt,einefrü-herePhilosophienicht.Waser in ihr findenwill, istdieserBegriff, derbereitsseineinnereBestimmungunddieWurzelseinesDaseinsausmacht,alsGegen-standfür dasDenkenerfaßt;erwill sichselbsterken-nen.Aber in dieserBestimmtheitist die Ideein derfrüherenPhilosophienochnichtvorhanden.Deswe-genlebenwohl dieplatonische,aristotelischeusf.Philosophie,allePhilosophienzwarimmerundge-genwärtignochin ihrenPrinzipien;aberin dieserGe-staltundStufe,aufderdieplatonischeundaristoteli-schePhilosophiewar, ist diePhilosophienichtmehr.Wir könnennichtbei ihnenstehenbleiben,siekönnennichtwiedererwecktwerden.Eskanndeswegen

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heutigentageskeinePlatoniker,Aristoteliker,Stoiker,Epikureermehrgeben.Siewiedererweckenhieße,dengebildeteren,tiefer in sichgegangenenGeistaufeinefrühereStufezurückbringenwollen.Dasläßtersichabernichtgefallen;daswürdeeinUnmögliches,einebensoTörichtessein,alswennderMannsichMühegebenwollte, sichaufdenStandpunktdesJünglingszuversetzen,derJüngling,wiederKnabeoderKindzusein, - obgleichderMann,JünglingundKind einunddasselbeIndividuumist. Die Zeit derWiederauf-lebungderWissenschaften,dieneueEpochedesWis-sens,diesichim 15.und16.Jahrhundertaufgetanhat,hatnichtnurmit demwiederaufgewecktenStudi-um,sondernauchmit derAufwärmungderaltenPhi-losophienangefangen.MarsiliusFicinuswareinPla-toniker;vonCosmusMediciswardsogareineAkade-miederplatonischenPhilosophie(mit Professoren)eingesetztundFicinusanihreSpitzegestellt.SogabesreineAristoteliker,wie Pomponatius;GassendihatspäterdieepikureischePhilosophieaufgestellt,epiku-reischin derPhysikphilosophierend;LipsiuswollteeinStoikerseinusf.ManhatteüberhauptdieAnsichtdesGegensatzes:altePhilosophieundChristentum -ausundin diesemhattesichnochkeineeigentümlichePhilosophieentwickelt - seisozweierlei,daßsichimChristentumkeineeigentümlichePhilosophieent-wickelnkönne,sondernwasmanbeimodergegendas

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Christentumfür Philosophiehatteundhabenkönne,seieinejeneraltenPhilosophien,die in diesemSinnewiederaufgenommenwürden.AberMumien,unterdasLebendigegebracht,könnenunterdiesemnichtaushalten.DerGeisthattelängsteinsubstantielleresLebenin sich,trugeinentieferenBegriff seinerselbstlängstin sichundhattesomiteinhöheresBedürfnisfür seinDenken,alsjenePhilosophienbefriedigten.Ein solchesAufwärmenist dahernuralsderDurch-gangspunktdesSich-Einlernensin bedingende,vor-ausgehendeFormen,alseinnachgeholtesDurchwan-derndurchnotwendigeBildungsstufenanzusehen;wie solchesin einerfernenZeit NachmachenundWiederholen(Wiederlernen)solcherdemGeistefremdgewordenenPrinzipienin derGeschichtealseinevorübergehende,ohnehinauchin einererstorbe-nenSprachegemachteErscheinungauftritt. Derglei-chensindnurÜbersetzungen,keineOriginale,undderGeistbefriedigtsichnur in derErkenntnisseinereigenenUrsprünglichkeit.

WenndieneusteZeit gleichfallswiederaufgerufenwird, zumStandpunkteineraltenPhilosophiezurück-zukehren,wie maninsbesonderedieplatonischePhi-losophiedazunäheralsRettungsmittel,umausallendenVerwicklungenderfolgendenZeitenherauszu-kommen,empfahlenhat,soist solcheRückkehrnichtjeneunbefangeneErscheinungdesersten

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Wiedereinlernens;sonderndieserRatderBescheiden-heithatdieselbeQuellealsdasAnsinnenandiegebil-deteGesellschaft,zudenWildendernordamerikani-schenWälder,ihrenSittenunddenentsprechendenVorstellungenzurückzukehren,undalsdieAnemp-fehlungderReligionMelchisedeks,welcheFichteeinmal(ich glaubein seinerBestimmungdesMen-schen) alsdie reinsteundeinfachsteunddamitalsdiejenigeaufgewiesenhat,zuderwir zurückkommenmüssen.Esist einerseitsin solchemRückschreitendieSehnsuchtnacheinemAnfangundfestenAus-gangspunktnichtzuverkennen;alleindieserist indemDenkenundderIdeeselbst,nicht [in] einerauto-ritätsartigenFormzusuchen.Andererseitskannsol-cheZurückweisungdesentwickelten,reichgeworde-nenGeistesaufsolcheEinfachheit - d.h.aufeinAb-straktum,einenabstraktenZustandoderGedan-ken -nuralsdieZufluchtderOhnmachtangesehenwerden,welchedemreichenMaterialderEntwick-lung,dassievor sichsiehtunddaseineAnforderungist, vomDenkenbewältigtundzurTiefezusammen-gefaßtzuwerden,nichtgenügenzukönnenfühlt undihreHilfe in derFluchtvor demselbenundin derDürftigkeit sucht.

AusdemGesagtenerklärtsich,warumsoman-cher - der(esseidurchsolchebesondereEmpfehlungveranlaßtoderüberhauptvondemRuhmeinesPlaton

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oderderaltenPhilosophieim allgemeinenangezogen)andieselbegeht,umsichseineeigenePhilosophiesoausdenQuellenzuschöpfen - sichdurchsolchesStudiumnichtbefriedigtfindetundungerechtfertigtvondannengeht.Esist nurbiszueinemgewissenGradeBefriedigungdarinzufinden.Manmußwis-sen,wasmanin denaltenPhilosophenoderin derPhilosophiejederanderenbestimmtenZeit zusuchenhat,oderwenigstenswissen,daßmanin solcherPhi-losophieeinebestimmteEntwicklungsstufedesDen-kensvor sichhatundin ihr nurdiejenigenFormenundBedürfnissedesGeisteszumBewußtseinge-brachtsind,welcheinnerhalbderGrenzeneinersol-chenStufeliegen.In demGeistederneuerenZeitschlummerntiefereIdeen,die,umsichwachzuwis-sen,eineranderenUmgebungundGegenwartbedür-fenalsjeneabstrakten,unklaren,grauenGedankenderaltenZeit. In Platonz.B. findendieFragenüberdieNaturderFreiheit,denUrsprungdesÜbelsunddesBösen,dieVorsehungusf.nicht ihrephilosophi-scheErledigung.MankannübersolcheGegenständesichwohl teilspopulärefrommeAnsichtenausseinenschönenDarstellungenholen,teilsaberdenEnt-schloß,dergleichenphilosophischganzaufderSeiteliegenzulassenoderaberdasBöse,dieFreiheitnuralsetwasNegativeszubetrachten.Aberwederdaseinenochdasandereist befriedigendfür denGeist,

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wenndergleichenGegenständeeinmalfür ihn sind,wennderGegensatzdesSelbstbewußtseins[in] ihmdieStärkeerreichthat,umin solcheInteressenvertieftzusein.Ebensoverhältessichmit denFragenüberdasErkenntnisvermögen,überdenGegensatzvonSubjektivitätundObjektivität,derzuPlatonsZeitnochnichtvorhandenwar.Die SelbständigkeitdesIch in sich,seinFürsichseinwar ihm fremd.DerMenschwarnochnichtsoin sichzurückgegangen,hattesichnochnicht für sichgesetzt.DasSubjektwarfreilich freiesIndividuum,eswußtesichabernur inderEinheitmit seinemWesen.DerAthenerwußtesichfrei, ein römischerBürger,ein ingenuuswar frei.DaßaberderMenschanundfür sichfrei sei,seinerSubstanznach,alsMenschfrei geboren - daswußtewederPlatonnochAristoteles,wederCiceronochdierömischenRechtslehrer,obgleichdieserBegriff alleindieQuelledesRechtsist. Erstin demchristlichenPrinzipist wesentlichderindividuellepersönlicheGeistvonunendlichem,absolutemWerte;Gottwill,daßallenMenschengeholfenwerde.In derchristli-chenReligionkamdieLehreauf,daßvor GottalleMenschenfrei, daßChristusdieMenschenbefreithat,sievor Gottgleich,zurchristlichenFreiheitbefreitsind.DieseBestimmungenmachendieFreiheitunab-hängigvonGeburt,Stand,Bildungusf.,undesist un-geheuerviel, wasdamitvorgerücktwordenist; aber

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siesindnochverschiedenvondem,daßesdenBegriffdesMenschenausmacht,einFreieszusein.DasGe-fühl dieserBestimmunghatJahrhunderte,Jahrtausen-delanggetrieben,dieungeheuerstenUmwälzungenhatdieserTriebhervorgebracht;aberderBegriff, dieErkenntnis,daßderMenschvonNaturfrei ist, diesWissenseinerselbstist nichtalt.

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B. VerhältnisderPhilosophiezuanderenGebieten

Die GeschichtederPhilosophiehatdieseWissen-schaftin derGestaltderZeit undderIndividualitäten,vonwelcheneinGebildederselbenausgegangen,dar-zustellen.SolcheDarstellunghataberdieäußereGe-schichtederZeit vonsichauszuschließenundnurandenallgemeinenCharakterdesVolks undderZeitunddenallgemeinenZustandzuerinnern.In derTatstelltaberdieGeschichtederPhilosophieselbstdie-senCharakter,undzwardiehöchsteSpitzedesselbendar.Siestehtim innigstenZusammenhangemit ihm,unddiebestimmteGestaltderPhilosophie,dieeinerZeit angehört,ist selbstnureineSeite,einMomentdesselben.Esist umdieserinnigenBerührungwillennäherzubetrachten,teilswelchesVerhältniseinePhi-losophiezu ihrengeschichtlichenUmgebungenhat,teilsabervornehmlich,wasihr eigentümlichist, wor-aufalsomit Abscheidungdesmit ihr nochsonahVerwandtendasAugenmerkalleinzurichtenist. Die-sernichtbloßäußerliche,sondernwesentlicheZusam-menhanghatdaherzweiSeiten,diewir betrachtenmüssen.Die ersteist dieeigentlichgeschichtlicheSeitedesZusammenhanges,diezweitederZusam-menhangderSache,derZusammenhangderGeschichte der Philosophie

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Philosophiemit derReligionusf.,wodurchwir zu-gleichdienähereBestimmungderPhilosophieselbererhalten.

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1. GeschichtlicheSeitediesesZusammenhanges

Mansagtgewöhnlich,daßdiepolitischenVerhält-nisse,dieReligionusf.zubetrachtenseien,weil siegroßenEinflußaufdiePhilosophiederZeit gehabthabenunddieseebensoeinenEinflußauf jeneaus-übe.Wennmansichabermit solchenKategorienwie»großerEinfluß«begnügt,sostelltmanbeidesineinenäußerlichenZusammenhangundgehtvondemGesichtspunkteaus,daßbeidefür sichselbständigsind.Hier müssenwir diesVerhältnisjedochnacheineranderenKategoriebetrachten,nichtnachdemEinfluß,derWirkungaufeinander.Die wesentlicheKategorieist dieEinheitallerdieserverschiedenenGestaltungen,daßeinGeistnur ist, dersichin ver-schiedenenMomentenmanifestiertundausprägt.

a. Äußere,geschichtlicheBedingungzumPhilosophieren

Zuerstist zubemerken,daßeinegewisseStufedergeistigenBildungeinesVolkesdazuerforderlichist,daßüberhauptphilosophiertwerde.»Erstnachdemfür dieNot desLebensgesorgtist, hatmanzu

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philosophierenangefangen«,sagtAristoteles;denndadiePhilosophieein freies,nichtselbstsüchtigesTunist, somußvorerstdieAngstderBegierdenver-schwunden,Erstarkung,Erhebung,BefestigungdesGeistesin sicheingetretensein,Leidenschaftenmüs-senabgerieben,dasBewußtseinsoweit fortgerücktsein,umanallgemeineGegenständezudenken.DiePhilosophiekannmandahereineArt vonLuxusnen-nen,ebeninsofernLuxusdiejenigenGenüsseundBe-schäftigungenbezeichnet,dienichtderäußerenNot-wendigkeitalssolcherangehören.Insofernist diePhi-losophieallerdingsentbehrlich.Eskommtaberdaraufan,wasmannotwendignennt.Von seitendesGeisteskannmandiePhilosophiegeradealsdasNotwendig-stesetzen.

b. GeschichtlicherEintritt einesgeistigenBedürfnisseszumPhilosophieren

SosehrdiePhilosophieauch,alsDenken,BegreifendesGeisteseinerZeit, apriorischist, sowesentlichistsieauchResultat;derGedankeist resultierend,her-vorgebracht,er ist dieLebendigkeit,Tätigkeit,sichhervorzubringen.DieseTätigkeitenthältdaswesentli-cheMomenteinerNegation:Hervorbringenist auchVernichten;diePhilosophie,damitsiesich

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hervorbringe,hatdasNatürlichezu ihremAusgangs-punkte.Die Philosophietritt zueinerZeit auf,wo derGeisteinesVolkessichausdergleichgültigenDumpfheitdeserstenNaturlebensherausgearbeitethat,ebensoalsausdemStandpunktdesleidenschaft-lichenInteresses,sodaßdieseRichtungaufsEinzelnesichabgearbeitethat;derGeistgehtüberseinenatür-licheGestalthinaus,ergehtvonseinerrealenSittlich-keit, Kraft desLebenszumReflektieren,Begreifenüber.Die Folgedavonist, daßerdiesesubstantielleWeisederExistenz,dieseSittlichkeit,diesenGlaubenangreift,wankendmacht;unddamittritt diePeriodedesVerderbensein.DerweitereFortgangist dann,daßderGedankesichin sichsammelt.Mankannsagen,wo einVolk ausseinemkonkretenLebenüber-hauptherausist, TrennungundUnterschiedderStän-deentstandenist unddasVolk sichseinemUntergan-genähert,wo einBrucheingetretenist zwischendeminnerenStrebenundderäußerenWirklichkeit, diebisherigeGestaltderReligionusw.nichtmehrge-nügt,derGeistGleichgültigkeitanseinerlebendigenExistenzkundgibtoderunbefriedigtin derselbenweilt, einsittlichesLebensichauflöst, - erstdannwird philosophiert.DerGeistflüchtetin dieRäumedesGedankens,undgegendiewirkliche Welt bildetersicheinReichdesGedankens.

Die Philosophieist danndieVersöhnungdesGeschichte der Philosophie

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Verderbens,dasderGedankeangefangenhat.DiePhilosophiefängtanmit demUntergangeeinerreel-lenWelt; wennsieauftritt mit ihrenAbstraktionen,grauin graumalend,soist dieFrischederJugend,derLebendigkeitschonfort, undesist ihreVersöhnungeineVersöhnungnicht in derWirklichkeit, sonderninderideellenWelt. Die Philosophenin GriechenlandhabensichvondenStaatsgeschäftenzurückgezogen;siesindMüßiggängergewesen,wie dasVolk sienannte,undhabensichin dieGedankenweltzurück-gezogen.

Esist dieseinewesentlicheBestimmung,diebe-währtwird in derGeschichtederPhilosophieselbst.Soist mit demUntergangderionischenStaateninKleinasiendie ionischePhilosophieaufgegangen.So-kratesundPlatonhattenkeineFreudemehramathe-nischenStaatsleben,welchesin seinemUntergangebegriffenwar;PlatonsuchteeinbesseresbeimDiony-sioszubewerkstelligen.Sotritt in Athenmit demVerderbendesathenischenVolks dieZeit ein,wo diePhilosophiedorthervorkommt.In RombreitetesichdiePhilosophieerstmit demUntergangedeseigentli-chenrömischenLebens,derRepublik,unterdemDespotismusderrömischenKaiseraus - in dieserZeit desUnglücksderWelt unddesUntergangsdespolitischenLebens,wo dasfrüherereligiöseLebenwankte,allesin AuflösungundStrebennacheinem

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Neuenbegriffenwar.Mit demUntergangdesrömi-schenKaisertums,dassogroß,reich,prachtvoll,aberinnerlicherstorbenwar, ist verbundendiehoheundhöchsteAusbildungderaltenPhilosophiedurchdieneuplatonischenalexandrinischenPhilosophen.Eben-soim 15.und16.Jahrhundert,alsdasgermanischeLebendesMittelalterseineandereFormgewannund - währendfrüherdaspolitischeLebennochin Einheitmit derReligiongestandenoder,wennderStaatauchgegendieKirchekämpfte,diesedennochdieherr-schendeblieb - jetztderBruchzwischenStaatundKircheeingetretenwar,daist diePhilosophiezu-nächstzwarnureingelerntworden,nachheraberindermodernenZeit selbständigaufgetreten.Die Philo-sophietritt sonur in einergewissenBildungsepochedesGanzenein.

c. Die PhilosophiealsderGedankeihrer Zeit

AbereskommtdieZeit nichtnurüberhaupt,daßüberhauptphilosophiertwird, sondernin einemVolkeist eseinebestimmtePhilosophie,diesichauftut,unddieseBestimmtheitdesStandpunktsdesGedankensist dieselbeBestimmtheit,welchealleanderenge-schichtlichenSeitendesVolksgeistesdurchdringt,iminnigstenZusammenhangemit ihnenist undihre

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Grundlageausmacht.Die bestimmteGestalteinerPhilosophiealsoist gleichzeitigmit einerbestimmtenGestaltderVölker, unterwelchensieauftritt, mitihrerVerfassungundRegierungsform,ihrerSittlich-keit, geselligemLeben,Geschicklichkeiten,Gewohn-heitenundBequemlichkeitendesselben,mit ihrenVersuchenundArbeitenin KunstundWissenschaft,mit ihrenReligionen,denKriegsschicksalenundäu-ßerlichenVerhältnissenüberhaupt,mit demUnter-gangderStaaten,in denendiesbestimmtePrinzipsichgeltendgemachthatte,undmit derEntstehungunddemEmporkommenneuer,worin einhöheresPrinzipseineErzeugungundEntwicklungfindet.DerGeisthatdasPrinzipderbestimmtenStufeseinesSelbstbewußtseins,dieererreichthat,jedesmalin denganzenReichtumseinerVielseitigkeitausgearbeitetundausgebreitet.DieserreicheGeisteinesVolkesisteineOrganisation - einDom,derGewölbe,Gänge,Säulenreihen,Hallen,vielfacheAbteilungenhat,wel-chesallesauseinemGanzen,einemZweckehervorge-gangen.Von diesenmannigfaltigenSeitenist diePhi-losophieeineForm,undwelche?Sieist diehöchsteBlüte, - siederBegriff derganzenGestaltdesGei-stes,dasBewußtseinunddasgeistigeWesendesgan-zenZustandes,derGeistderZeit, alssichdenkenderGeistvorhanden.DasvielgestalteteGanzespiegeltinihr alsdemeinfachenBrennpunkte,demsich

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wissendenBegriffedesselben,sichab.Die Philosophie,die innerhalbdesChristentums

notwendigist, konntenicht in Romstattfinden,daalleSeitendesGanzennurAusdruckeinerundderselbenBestimmtheitsind.DasVerhältnisderpolitischenGeschichte,Staatsverfassungen,Kunst,ReligionzurPhilosophieist deswegennichtdieses,daßsieUrsa-chenderPhilosophiewärenoderumgekehrtdiesederGrundvon jenen;sondernsiehabenvielmehrallezu-sammeneineunddieselbegemeinschaftlicheWurzel - denGeistderZeit. Esist einbestimmtesWesen,Charakter,welcheralleSeitendurchdringtundsichindemPolitischenundin demAnderenalsin verschie-denenElementendarstellt;esist einZustand,derinallenseinenTeilenin sichzusammenhängtunddes-senverschiedeneSeiten,somannigfaltigundzufälligsieaussehenmögen,sosehrsiesichauchzuwider-sprechenscheinen,nichtsderGrundlageHeterogenesin sichenthalten.DiesebestimmteStufeist auseinervorhergehendenhervorgegangen.Esaberaufzuzei-gen,wie derGeisteinerZeit seineganzeWirklichkeitundihr SchicksalnachseinemPrinzipeausprägt, -diesenganzenBaubegreifenddarzustellen,dasbleibtunsaufderSeiteliegen;eswärederGegenstandderphilosophischenWeltgeschichteüberhaupt.AberunsgehendieGestaltungennuran,welchedasPrinzipdesGeistesin einemmit derPhilosophieverwandten

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geistigenElementeausprägen.Diesist dieStellungderPhilosophieunterdenGe-

staltungen.EineFolgedavonist, daßdiePhilosophieganzidentischist mit ihrerZeit. SiestehtdahernichtüberihrerZeit, sieist WissendesSubstantiellenihrerZeit. Ebensowenigstehtein Individuum,alsSohnsei-nerZeit, überseinerZeit; dasSubstantiellederselben,welchesseineigenesWesen,manifestierternur inseinerForm;niemandkannüberseineZeit wahrhafthinaus,sowenigwie ausseinerHaut.Die PhilosophiestehtjedochandererseitsderFormnachüberihrerZeit, indemsiealsdasDenkendessen,wasdersub-stantielleGeistderselbenist, ihn sichzumGegenstan-demacht.Insofernsieim GeisteihrerZeit ist, ist erihr bestimmterweltlicherInhalt; zugleichist sieaberalsWissenauchdarüberhinaus,stellt ihn sichgegen-über;aberdiesist nur formell, dennsiehatwahrhaftkeinenanderenInhalt.DiesWissenselbstist aller-dingsdieWirklichkeit desGeistes,dasSelbstwissendesGeistes;soist derformelleUnterschiedaucheinrealer,wirklicher Unterschied.DiesWissenist esdann,waseineneueFormderEntwicklunghervor-bringt;dieneuenFormensindnurWeisendesWis-sens.DurchdasWissensetztderGeisteinenUnter-schiedzwischendasWissenunddas,wasist; diesenthältwiedereinenneuenUnterschied,undsokommteineneuePhilosophiehervor.Die Philosophie

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ist alsoschoneinweitererCharakterdesGeistes;sieist die innereGeburtsstättedesGeistes,derspäterzuwirklicher Gestaltunghervortretenwird. DasKon-kretehiervonwerdenwir weiterhaben.Wir werdensosehen,daßdas,wasdiegriechischePhilosophiege-wesenist, in derchristlichenWelt in dieWirklichkeitgetretenist.

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2. Abscheidungder Philosophievon denmit ihrverwandtenGebieten

NäherteilsnachihremElemente,teilsnachdenei-gentümlichenGegenständenverwandtmit derGe-schichtederPhilosophieist dieGeschichtederübri-genWissenschaftenundderBildung,vornehmlichdieGeschichtederKunstundderReligion.DieseVer-wandtschaftist esbesonders,wodurchdieAbhand-lungderGeschichtederPhilosophiein Verlegenheitgesetztwird. LäßtsiesichaufdieBesitztümerderBildungüberhauptundnäherderwissenschaftlichenBildungeinundnochmehraufdieMythenderVöl-ker,aufdie in denselbennurenthaltenenPhilosophe-me,ferneraufdie religiösenGedankenselbst,dieschonalsGedankensind,aufdasSpekulative,dasdarinzumVorscheinkommt,sohatsiekeineGren-zen - teilswegenderMengedesStoffesselbstundderBemühungen,ihn zubearbeiten,herauszupräpa-rieren,teilsweil diesermit sovielemanderenin un-mittelbaremZusammenhangesteht.AbermanmußdieAbscheidungnichtwillkürlich undwie vonunge-fährmachen,sondernsieaufgründlicheBestimmun-genbringen.Wennwir unsbloßandenNamenderPhilosophiehalten,sogehörtallerdieserStoff in dieGeschichtederselben.

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Ich will nachdreiGesichtspunktenvondiesemStoffesprechen;dreierleiverwandteSeitensindnäherherauszuhebenundvonderPhilosophieabzuschei-den.Die erstedieserSeitenist das,wasmanüber-hauptzurwissenschaftlichenBildungrechnet;dassindAnfängedesverständigenDenkens.DaszweiteGebietist dieMythologieundReligion;dieBezie-hungderPhilosophieaufsieerscheintoft feindselig,in dergriechischenZeit sogutwie in derchristlichen.DasdritteGebietist dasräsonierendePhilosophieren,dieverständigeMetaphysik.

a. VerhältnisderPhilosophiezurwissenschaftlichenBildung

WasdiebesonderenWissenschaftenbetrifft, soistzwardieErkenntnisunddasDenkenihr Element,wiedasElementderPhilosophie.Aber ihreGegenständesindzunächstdieendlichenGegenständeunddieEr-scheinung.EineSammlungvonKenntnissenüberdie-senInhalt ist vonselbstvonderPhilosophieausge-schlossen;wederdieserInhaltnochsolcheFormgehtdiesean.WennsieabersystematischeWissenschaf-tensindundallgemeineGrundsätzeundGesetzeent-haltenunddavonausgehen,sobeziehensichsolcheaufeinenbeschränktenKreisvonGegenständen.Die

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letztenGründesindwie dieGegenständeselbstvor-ausgesetzt,esseidaßdieäußereErfahrungoderdieEmpfindungdesHerzens,dernatürlicheodergebilde-teSinnvonRechtundPflicht dieQuelleausmacht,ausdersiegeschöpftwerden.In ihrerMethodesetzensiedieLogik, dieBestimmungenundGrundsätzedesDenkensüberhauptvoraus.

Die Denkformen,fernerdieGesichtspunkteundGrundsätze,welchein denWissenschaftengeltenunddenletztenHalt ihresübrigenStoffesausmachen,sindihnenjedochnichteigentümlich,sondernmit derBildungeinerZeit undeinesVolkesüberhauptge-meinschaftlich.Die Bildungbestehtüberhauptin denallgemeinenVorstellungenundZwecken,in demUm-fangderbestimmtengeistigenMächte,welchedasBewußtseinunddasLebenregieren.UnserBewußt-seinhatdieseVorstellungen,läßtsiealsletzteBe-stimmungengelten,läuft anihnenalsseinenleitendenVerknüpfungenfort; aberesweißsienicht,esmachtsieselbstnichtzuGegenständenundInteressenseinerBetrachtung.Um einabstraktesBeispielzugeben,hatundgebrauchtjedesBewußtseindieganzab-strakteDenkbestimmung:Sein. »DieSonneist amHimmel,dieTraubeist reif« usf. insUnendliche;oderin höhererBildunggehtesandemVerhältnissevonUrsacheundWirkung,vonKraßundihrerÄußerungusw.fort. All seinWissenundVorstellenist von

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solcherMetaphysikdurchwebtundregiert;sieist dasNetz,in welchesall derkonkreteStoff gefaßtist, derdenMenschenin seinemTunundTreibenbeschäftigt.AberdiesesGewebeunddessenKnotensindin unse-remgewöhnlichenBewußtseinin denvielschichtigenStoff versenkt;dieserenthältunseregewußtenInteres-senundGegenstände,diewir vor unshaben;jeneall-gemeinenFädenwerdennichtherausgehobenundfürsichzudenGegenständenunsererReflexiongemacht.

Die allgemeinewissenschaftlicheBildungrechnenwir DeutschenurseltenzurPhilosophie.DochfindensichauchdavonSpuren,wie z.B.diephilosophischeFakultätalleWissenschaftenenthält,dienichtunmit-telbarfür denZweckdesStaatesundderKirchesind.Zusammenhängenddamitist dieBedeutungdesNa-mensPhilosophie,dienochjetztbeidenEngländernvornehmlichvorkommt.Die Naturwissenschaftenwerdenin EnglandPhilosophiegenannt.Ein philoso-phischesJournalin England(vonThomson)schreibtüberChemie,Ackerbau(denMist), Wirtschafts-kunde,Gewerbekunde(wie HermbstädtsJournal)undteilt Erfindungenhierübermit. Die EngländernennenphysikalischeInstrumente,wie BarometerundTher-mometer,philosophischeInstrumente.AuchTheorien,besondersüberMoral undmoralischeWissenschaf-ten,dieausdenGefühlendesmenschlichenHerzensgenommensindoderausderErfahrung,werden

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Philosophiegenannt;endlichauchTheorien,Grund-sätzeüberdieNationalökonomie.Undsowird wenig-stensin EnglandderNamederPhilosophiegeehrt.InLiverpoolwarvor einigerZeit einGastmahlzuEhrendesMinistersCanning;in seinerDanksagungkommtvor, daßerEnglandGlückwünsche,weil dortphilo-sophischeGrundsätzeaufdieStaatsverwaltungin An-wendunggebrachtwürden.Soist dortwenigstensdiePhilosophiekeinSpitzname.

In derAnfangszeitderBildungbegegnetunsaberdieseVermischungvonPhilosophieundallgemeinerBildungöfter.Estritt eineZeit im Volke ein,wo derGeistsichaufallgemeineGegenständewirft, diena-türlichenDingeunterallgemeineVerstandesbestim-mungenzubringen,z.B.dieUrsachenderDingezuerkennensucht.Dasagtman,dasVolk fangeanzuphilosophieren;denndieserInhalthatmit derPhilo-sophiedasDenkengemein.Oderin AnsehungdesGeistigen,wennallgemeineGrundsätzeüberdieSitt-lichkeit, denWillen (Pflichten,wesentlicheVerhält-nisse)ausgesprochenwerden,sohabendie,welchesieausgesprochen,WeiseoderPhilosophengeheißen.Sobegegnenunssogleichim Anfangedergriechi-schenPhilosophiedieSiebenWeisenunddie ioni-schenPhilosophen.Von ihnenwerdenunseineMengeVorstellungen,Entdeckungenangeführt,dienebendiephilosophischenSätzetreten.Sosoll

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Thales(nachandereneinanderer)Sonnen- undMondfinsternissedurchdasDazwischentretendesMondesoderderErdeerklärthaben.SolchesnanntemanaucheinPhilosophem.PythagorashatdasPrin-zip derHarmoniederTönegefunden.AnderehabensichVorstellungenvondenGestirnengemacht:dasHimmelsgewölbeseidurchlöchertesMetall, durchwelcheshindurchwir dasEmpyreum,dasewigeFeuersehen,dasdieWelt umgibt.SolcheSätzegehören,alsProduktedesVerstandes,nicht in dieGeschichtederPhilosophie,wennauchdarinschonliegt, daßüberdasbloßsinnlicheAnstierenhinausgegangenwirdsowiedarüber,solcheGegenständenurdurchdiePhantasievorzustellen.ErdeundHimmelwird aufdieseWeisevonGötternentvölkert,indemderVer-standdieDingein ihreräußerlichen,natürlichenBe-stimmtheitdemGeistegegenüberstellt.Wir findeninsolcherZeit auchSittensprüche,moralischeSentenzeneinenallgemeinensittlichenInhalthabend:sodiederSiebenWeisen;auchSprücheüberdasallgemeineGeschehenderNatur.

In spätererZeit ist dieEpochedesWiederauflebensderWissenschaftenebensomerkwürdigin dieserHin-sicht.AllgemeineGrundsätzeüberdenStaatusw.wurdenausgesprochen;esist einephilosophischeSeitedarin,sodiePhilosophievonHobbesundDes-cartes.Die Schriftendesletzterenenthalten

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philosophischePrinzipien,seineNaturphilosophieundseineEthik sindaberempirisch,wogegenSpino-zasEthik auchallgemeineIdeen,ErkenntnisGottes,derNaturin sichschließt.WennfrüherdieMedizineineSammlungvonEinzelheitenunddabeiein theo-sophischesGebräuwar,mit Astrologieusw.ver-mischt(auchdurchHeiligtümerwurdegeheilt,wasnichtsofern lag),sotratdagegennuneineBetrach-tungderNaturauf,wo mandaraufausging,GesetzeundKräftederNaturzuerkennen.Manhatdasaprio-rischeRäsonierenüberdienatürlichenDingenachderMetaphysikderscholastischenPhilosophieodervonderReligionausaufgegeben.Die NewtonschePhilo-sophieenthältnichtsanderesalsdieNaturwissen-schaft,d.h.dieKenntnisvondenGesetzen,Kräften,allgemeinenBeschaffenheitenderNatur,geschöpftausderWahrnehmung,ausderErfahrung.SosehrdiesauchdemPrinzipederPhilosophieentgegenge-setztzuseinscheint,sohatesdochdiesmit derPhi-losophiegemein,daßdieGrundsätzeallgemein[sind,] undnäher,daßich dieserfahrenhabe,daßesin meinemSinneliegt undmir dadurchist.

DieseFormist im allgemeinendemPositivenent-gegengesetztundist besondersaufgetretenim Gegen-satzgegendieReligionundgegendasPositivederselben.Wennin derZeit desMittelaltersdieKir-cheDogmenalsallgemeineWahrheitenfestgesetzt

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hatte,sohatderMenschjetztausdemZeugnisseineseigenenDenkens8, Gefühls,VorstellenseinMißtrau-endagegenbekommen.EbensohatsichdiesPrinzipgegendiegeltendenStaatsverfassungengewendetunddafüranderePrinzipiengesucht,umsiedanachzube-richtigen;soallgemeineGrundsätzedesStaats.InebenderRücksicht,wie dieReligionpositivwar,sogaltenauchdieGründedesGehorsamsderUnterta-nengegendenFürsten,dieObrigkeit.Die Königehatten,alsdieGestaltendesHerrnim Sinnederjüdi-schenKönige,ihreGewaltvonGott, ihm Rechen-schaftzugeben;dieObrigkeitseivonGotteingesetzt.InsofernwarenTheologieundJurisprudenzüberhauptfeste,positiveWissenschaften;diesPositivekommenun,wohereswolle. GegendieseäußereAutoritäthatsichdasNachdenkengewendet.Sowar (besondersinEngland)dieQuelledesStaats- undZivilrechtsnichtmehrbloßgöttlicheAutorität,wie dasmosaischeRecht;sondernHugoGrotinsz.B.schriebeinVölker-recht:wasgeschichtlichbeidenVölkernalsRechtgalt,derconsensusgentiumwardabeiHauptmoment.FürdieAutoritätderKönigewurdenandereBerechti-gungengesucht,z.B.derimmanenteZweckdesStaats,dasWohl derVölker. Dasist eineganzandereQuellederWahrheit,welchesichdergeoffenbarten,gegebenenundpositivenWahrheitentgegenstellte.DiesUnterschiebeneinesanderenGrundes,alsden

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derAutorität,hatmanPhilosophierengenannt.DiesesWissenwarsoWissenvonEndlichem,dieWelt derInhaltdesWissens.IndemdieserInhaltausdermenschlichenVernunftdurchSelbstsehenkam,sosinddieMenschensoselbsttätiggewesen.DiesesSelbstdenkenist geehrtundmenschlicheWeisheit,Weltweisheitgenanntworden,dasieIrdischeszumGegenstandehatteundauchin derWelt selbstent-standenwar.DieseswardieBedeutungderPhiloso-phiegewesen.Manhatsorecht,diePhilosophieWeltweisheitzunennen.Die Philosophiebeschäftigtsichzwarmit endlichenDingen,abernachSpinozaalsbleibendin dergöttlichenIdee;abersiehatauchdenselbenZweckwie dieReligion.FriedrichvonSchlegelhatfür diePhilosophiedenSpitznamenderWeltweisheitwiederaufgewärmtunddamitbezeich-nenwollen,daßsiewegbleibenmüsse,wo vonHöhe-rem,z.B.derReligion,dieRedesei;underhatvieleNachtretergehabt.Die selbsttätigeTätigkeitdesGei-stesist hierdasganzrichtigeMoment,welchesderPhilosophiezukommt,wenngleichderBegriff derPhilosophiedurchdieseformelleBestimmung,welchesichaufendlicheGegenständebeschränkt,nochnichterschöpftwird. DiesenWissenschaften,welchejetztauchvonderPhilosophieunterschiedenwerden,warfschondieKirchevor, daßsievonGottabführen,ebenweil sienurEndlicheszumGegenstandehaben.

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DieserMangel,vonderSeitedesInhaltsaufgefaßt,führt unszumzweitenmit derPhilosophieverwand-tenGebiete,zurReligion.

b. VerhältnisderPhilosophiezurReligion

Wie nämlichdasersteGebietmit derPhilosophiedurchdie formelle,selbständigeErkenntnisüberhauptverwandtwar,soist dieReligiondurchdenInhaltzwardasGegenteildiesererstenWeiseundSphäre,aberdurchdenselbenebenmit derPhilosophiever-wandt.Ihr Gegenstandist nichtdasIrdische,Weltli-che,sonderndasUnendliche.Mit derKunstundvor-nehmlichmit derReligionhatdiePhilosophieesge-mein,dieganzallgemeinenGegenständezumInhaltzuhaben.SiesinddieWeisen,in welchendiehöchsteIdeefür dasnichtphilosophische,fürsempfindende,anschauende,vorstellendeBewußtseinvorhandenist;undindemderZeit nachim GangederBildungdieErscheinungderReligiondemHervortretenderPhilo-sophievorangeht,soist diesesVerhältniswesentlichzuerwähnen.UndeshatsichdieBestimmungfür denAnfangderGeschichtederPhilosophiedaranzuknüpfen,indemebenzuzeigenist, inwiefernvon ihrdasReligiöseauszuschließenundmit ihm nichtderAnfangzumachenist.

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In denReligionenhabendieVölker allerdingsnie-dergelegt,wie siesichdasWesenderWelt, dieSub-stanzderNaturunddesGeistesvorstelltenundwiedasVerhältnisdesMenschenzudemselben.Dasab-soluteWesenist hier ihremBewußtseinGegenstand;Gegenstand - [d.h.] zunächstdasAnderefür sie,einJenseits,näheresoderferneres,freundlicheroderfurchtbarerundfeindlicher.In derAndachtundimKultushebtderMenschdiesenGegensatzaufunder-hebtsichzumBewußtseinderEinheitmit seinemWesen,demGefühloderderZuversichtderGnadeGottes,daßGottdieMenschenzurVersöhnungmitsichangenommenhat.Ist in derVorstellungschon,wie z.B.beidenGriechen,diesWeseneindemMen-schenbereitsanundfür sichfreundliches,soist derKultusmehrnurderGenußdieserEinheit.DiesWesenist nunüberhauptdieanundfür sichseiendeVernunft,dieallgemeinekonkreteSubstanz,derGeist,dessenUrgrundsichobjektiv im Bewußtseinist; esist diesalsoeineVorstellungdesselben,in wel-chernichtnurVernünftigkeitüberhaupt,sonderninwelcherdieallgemeineunendlicheVernünftigkeitist.Esist obenerinnertworden,daßmanwie diePhiloso-phiesodieReligionzuerstfassenmüsse,d. i. siealsvernünftigerkennenundanerkennenmüsse.Dennsieist dasWerkdersichoffenbarendenVernunft,undihrhöchstes,vernünftigstes.Essindabsurde

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Vorstellungen,daßPriesterdemVolke zumBetrugundEigennutzeineReligionüberhauptgedichtethabenusf.;esist ebensoseichtalsverkehrt,dieReli-gionalseineSachederWillkür, derTäuschunganzu-sehen.Mißbrauchthabensieoft dieReligion, - eineMöglichkeit,welcheeineKonsequenzdesäußerenVerhältnissesundzeitlichenDaseinsderReligionist;aberweil sieReligionist, kannsiewohl hieunddaandiesemäußerlichenZusammenhangeergriffenwer-den;aberwesentlichist siees,dievielmehrgegendieendlichenZweckeundderenVerwicklungenfesthältunddieübersieerhabeneRegionausmacht.DieseRegiondesGeistesist vielmehrdasHeiligtumderWahrheitselbst,dasHeiligtum,worin dieübrigeTäuschungderSinnenwelt,derendlichenVorstellun-genundZwecke,diesesFeldesderMeinungundderWillkür zerflossenist.

DiesVernünftige,wie eswesentlicherInhaltderReligionenist, könnteherauszuhebenundalsge-schichtlicheReihevonPhilosophemenaufzuführenzuseinscheinen.Die Philosophiestehtmit derReligionaufgleichemBoden,hatdenselbenGegenstand:dieallgemeine,anundfür sichseiendeVernunft;derGeistwill sichdiesenGegenstandzueigenmachen,wie in derReligionesin derAndachtunddemKultusgeschieht.Allein dieForm,wie jenerInhalt in derRe-ligion vorhandenist, ist verschiedenvonderjenigen,

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wie er in derPhilosophievorhandenist, unddeswe-genist eineGeschichtederPhilosophievoneinerGe-schichtederReligionnotwendigunterschieden.DieAndachtist nur:daranhindenken;diePhilosophiewilldieseVersöhnungdurchdenkendeErkenntnisvoll-bringen,indemderGeistseinWesenin sichaufneh-menwill. Die Philosophieverhältsichin derFormdesdenkendenBewußtseinszu ihremGegenstande,dieReligionnichtaufdieseWeise.AberderUnter-schiedbeiderSphärendarfnichtsoabstraktgefaßtwerden,alsobnur in derPhilosophiegedachtwerde,nicht in derReligion;siehatauchVorstellungen,all-gemeineGedanken.Weil beidessonaheverwandtist,ist esin derGeschichtederPhilosophieeinealteTra-dition, einepersische,indischeusf.Philosophieauf-zuführen, - eineGewohnheit,diezumTeil nochinganzenGeschichtenderPhilosophiebeibehaltenwird.Auch ist eseinesolcheüberallfortgepflanzteSage,daßz.B.PythagorasseinePhilosophieausIndienundÄgyptengeholthabe.Esist einalterRuhm,derRuhmderWeisheitdieserVölker, welcheauchPhilosophiein sichzuenthaltenverstandenwird. OhnehinführendiemorgenländischenVorstellungenundGottesdien-ste,welchezurZeit desrömischenKaiserreichsdasAbendlanddurchdrungenhaben,denNamenorientali-scherPhilosophie.Wennin derchristlichenWelt diechristlicheReligionunddiePhilosophiebestimmter

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alsgetrenntbetrachtetwerden,sowird dagegenvor-nehmlichin jenemorientalischenAltertumReligionundPhilosophiealsungetrenntin demSinnebetrach-tet,daßderInhalt in derForm,in welchererPhiloso-phieist, vorhandengewesensei.Bei derGeläufigkeitdieserVorstellungenundumfür dasVerhalteneinerGeschichtederPhilosophiezureligiösenVorstellun-geneinebestimmtereGrenzezuhaben,wird eszweckmäßigsein,überdieForm,welchereligiöseVorstellungenvonPhilosophemenunterscheidet,eini-genähereBetrachtungenanzustellen.

Die ReligionhatnichtnurallgemeineGedankenalsinnerenInhalt implizite in ihrenMythen,Phanta-sievorstellungen,positiveneigentlichenGeschichten,sodaßwir solchenInhaltersthernachalsPhiloso-phemausdenMythenherausgrabenmüssen,sonderndieReligionhatdenInhaltauchexplizitein derFormdesGedankens.In derpersischenundindischenReli-gionsindsehrtiefe,erhabene,spekulativeGedankenselbstausgesprochen.Ja,esbegegnenunsfernerinderReligionausdrücklichePhilosophien,wie z.B.diePhilosophiederKirchenväter.Die scholastischePhi-losophieist wesentlichTheologiegewesen.Wir fin-denhiereineVerbindungoder,wennmanwill, Ver-mischungvonTheologieundPhilosophie,dieunswohl in Verlegenheitsetzenkann.Die Frageist nuneinerseits:wie unterscheidetsichdiePhilosophievon

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derTheologie(WissenderReligion)oderReligion(alsBewußtsein)?unddann:inwiefernhabenwir inderGeschichtederPhilosophieaufdasReligiöseRücksichtzunehmen?Esist hiervonzweiSeitenzusprechen,erstensdermythischenundgeschichtlichenSeitederReligionundihrerVerwandtschaftmit derPhilosophie,zweitensvonderPhilosophieinnerhalbderTheologie,denausdrücklichenPhilosophemenundspekulativenGedankenin derReligion.

Erstens. Die mythischeSeite,darunterdiege-schichtlichpositiveSeiteüberhaupt,ist interessantzubetrachten,weil darausderUnterschiedin HinsichtderFormerhellenwird, in welcherdieserInhalt imGegensatzzurPhilosophievorhandenist. Ja,bei ihrerVerwandtschaftgehtihreVerschiedenheitzugleichzurscheinbarenUnverträglichkeitfort. DieserGegen-satzfällt nichtnur in unsereBetrachtung,sondernmachtselbsteinsehrbestimmtesMomentin derGe-schichteaus.Die Philosophieist in GegensatzgegendieReligiongekommenundumgekehrt,indemdasPhilosophierenvonderReligion,derKircheangefein-detundverdammtworden.Esist alsonichtnurzufragen,ob in derGeschichtederPhilosophieaufdieReligionRücksichtzunehmensei,sondernesist ge-schehen,daßdiePhilosophieselbstRücksichtaufdieReligionunddieseauf jenegenommenhat.Dasichbeidein derGeschichtenichtunberührtaufderSeite

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habenliegenlassen,sodürfenwir esauchnicht.Eswird derPhilosophiezugemutet,daßsieihr Be-

ginnen,ihreErkenntnisweiserechtfertige.SchondiegriechischeVolksreligionhatmehrerePhilosophenverbannt;nochmehrist dieserGegensatzaberin derchristlichenKirchevorgekommen.Von diesemVer-hältnissemüssenwir bestimmt,offenundehrlichsprechen,aborderla question, wie dieFranzosenesnennen, - nichtquängeln,alsseidieszudelikat,hin-aushelfen,herumreden,Ausflüchte,Wendungensu-chen,sodaßamEndeniemandwisse,wasesheißensoll. ManmußsichnichtdenScheingebenwollen,alsobmandieReligionwolle unangetastetliegenlas-sen.DieserScheinist nichtsanderes,alsdaßmanver-deckenwill, daßsichdiePhilosophiegegendieReli-giongerichtethat.Die Religion,d.h.dieTheologenmacheneszwarso,ignorierendiePhilosophie,abernur,umnichtgeniertzuwerdenin ihrenwillkürlichenRäsonnements.

Eskönntescheinen,alswenndieReligionforderte,daßderMenschaufdasDenkenallgemeinerGegen-stände,aufdiePhilosophieverzichte,weil esnurWeltweisheit,menschlichesTunsei.Die menschlicheVernunftwird danndergöttlichenentgegengesetzt.Manist hierüberzwarwohl andieUnterscheidungvongöttlicherLehreundGesetzundvonmenschli-chemMachwerkundErfindungin demSinne

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gewöhnt,daßunterletzteremallesdaszusammenge-faßtwird, wasin seinerErscheinungausdemmensch-lichenBewußtsein,seinerIntelligenzoderWillen her-vorgeht,undallesdiesesdemWissenvonGottunddengöttlichenDingen(göttlicherOffenbarung)entge-gengesetztwird. Die durchdiesenGegensatzausge-sprocheneHerabsetzungdesMenschlichenwird dannabernochweitergetrieben,indemsiedienähereWen-dungerhält,daßmanzwarwohl angewiesenwird, dieWeisheitGottesin derNaturzubewundern, - daßdieSaat,dieBerge,dieZedernLibanonsin ihrerPracht,derGesangderVögel in ihrenZweigenunddieweite-reKraft undHaushaltungderTierealsdieWerkeGottesgepriesenwerden;daßzwarwohl auchin denmenschlichenDingenaufdieWeisheit,GüteundGe-rechtigkeitGotteshingewiesenwird, abernichtso-wohl in denmenschlichenEinrichtungenGesetzenunddurchdenWillen erzeugtenHandlungenundGangderWelt, alsvornehmlichaufdiemenschlichenSchicksale,d. i. dasjenige,wasdemWissenunddemfreienWillen äußerlichunddagegenzufällig ist, - sodaßdiesesÄußerlicheundZufälligealsdasvornehm-lich, wasGottdazutut, diewesentlicheSeiteaber,dieim Willen undGewissenihreWurzelhat,alsdasan-gesehenwird, wasderMenschtut. Die Zusammen-stimmungderäußerlichenVerhältnisse,UmständeundEreignissezudenZweckendesMenschen

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überhauptist freilich etwasHöheres,aberesist esnurdarum,weil esmenschlicheZwecke,nichtNatur-zwecke - dasLebeneinesSperlings,derseinFutterfindetusf. - sind,zuwelcheneinesolcheZusammen-stimmungbetrachtetwird. Wird in ihr aberdiesalsdasHohegefunden,daßGottHerrüberdieNatursei - wasist dannderfreieWille? Ist ernichtderHerrüberdasGeistigeoder(indemerselbstgeistig)derHerr im Geistigen,undwärederHerrüberoderimGeistigennichthöheralsderHerrüberoderin derNatur?JeneBewunderungGottesaberin dennatürli-chenDingenalssolchen,denBäumen,denTierenimGegensatzegegendasMenschliche,ist sieweit ent-ferntvonderReligionderaltenÄgypter,welcheindenIbis, KatzenundHundenihr BewußtseindesGöttlichengehabthaben,odervondemElendderaltenundderjetzigenInder,dienochdieKüheunddieAffen göttlichverehrenundfür dieErhaltungundNahrungdiesesViehsgewissenhaftbedachtsindunddieMenschenverhungernlassen,welchedurchdasSchlachtenjenesViehsodernurdurchdessenFutterdemHungertodezuentzieheneinFrevelseinwürde?

In dieserWendungscheintausgesprochenzusein,daßdasmenschlicheTungegendieNatureinUngött-liches,dieNaturwerkegöttlicheWerkeseien,wasaberderMenschproduziere,ungöttlich.WasdiemenschlicheVernunftproduziert,könnteaber

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wenigstensgleicheWürdehabenalsdieNatur.Davergebenwir aberderVernunftschonmehr,alsunserlaubt.Ist dasLeben,TunderTiereschongöttlich,somußdasmenschlicheTunviel höherstehen,in un-endlichhöheremSinnegöttlichgenanntwerden.DerVorzugdesmenschlichenDenkensmußsogleichzu-gestandenwerden.Christussprichthierüber:»SehetdieVögel«(worunterauchdie Ibis undKokilasgehö-ren)»anunterdemHimmel...Seidihr dennnichtvielmehralssie?...SoGottdasGrasaufdemFeldealsokleidet,dasdochheutestehetundmorgenin denOfengeworfenwird: sollteerdasnichtviel mehreuchtun?«DerVorzugdesMenschen,desEbenbildesGottes,vor demTier undderPflanzewird wohl anundfür sichzugestanden;aberindemgefragtwird,wo dasGöttlichezusuchenundzusehensei,sowirdin jenenAusdrückungennichtaufdasVorzügliche,sondernaufdasGeringeregewiesen.Ebensoist esebenin RücksichtdesWissensvonGottviel anders,daßChristusdieErkenntnisunddenGlaubenanihnnicht in dieBewunderungausdennatürlichenKreatu-rennochin dieVerwunderungausdersogenanntenMachtübersie,ausZeichenundWundern,sondernindasZeugnisdesGeistessetzt.DerGeistist einun-endlichHöheresalsdieNatur;in ihm manifestiertsichdieGöttlichkeitmehralsin derNatur.

Die Formaber,wodurchderanundfür sichGeschichte der Philosophie

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allgemeineInhalterstderPhilosophieangehört,istdieFormdesDenkens,ist dieFormdesAllgemeinenselbst.In derReligionist dieserInhaltaberdurchdieKunstfür dieunmittelbareäußereAnschauung,fernerfür dieVorstellung,dieEmpfindung.Die Bedeutungist für dassinnigeGemüt,sieist dasZeugnisdesGei-stes,dersolchenInhaltversteht.Esist, umdiesdeut-licherzumachen,andenUnterschiedzuerinnernzwi-schendem,waswir sindundhaben,unddem,wie wirdasselbewissen,d. i. in welcherWeisewir eswissen,d. i. alsGegenstandhaben.DieserUnterschiedist dasunendlichWichtige,umdasessichallein in derBil-dungderVölker undderIndividuenhandeltundwasobenalsderUnterschiedderEntwicklungdagewesenist. Wir sindMenschenundhabenVernunft;wasmenschlich,wasvernünftigüberhauptist, widerklingtin uns,in unseremGefühl,Gemüt,Herz - in unsererSubjektivitätüberhaupt.DieserWiderklang,diesebe-stimmteBewegungist es,worin ein Inhaltüberhauptunserundalsderunsrigeist. Die MannigfaltigkeitvonBestimmungen,dieerenthält,ist in dieserInner-lichkeit konzentriertundeingehüllt, - eindumpfesWebendesGeistesin sich,in derallgemeinenSub-stantialität.Der Inhalt ist sounmittelbaridentischmitdereinfachen,abstraktenGewißheitunsererselbst,mit demSelbstbewußtsein.AberderGeist,weil erGeistist, ist ebensowesentlichBewußtsein.Die in

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seineinfachesSelbsteingeschlosseneGedrungenheitmußsichgegenständlichwerden,siemußzumWis-senkommen.Und in derArt undWeisedieserGegen-ständlichkeit,derArt undWeisehiermitdesBewußt-seins,ist es,daßderganzeUnterschiedliegt.

DieseArt undWeiseerstrecktsichvondemeinfa-chenAusdruckederDumpfheitderEmpfindungselbstbiszurobjektivsten,deranundfür sichobjek-tivenForm,demDenken.Die einfachsteformellsteObjektivitätist derAusdruckundNamefür jeneEmpfindungundfür dieStimmungzuderselben,wieerheiße:Andacht,Betenusf.»Laßtunsbeten,laßtunsandächtigsein«usf.ist dieeinfacheErinnerunganjenesEmpfinden.»LaßtunsanGottdenken«aberz.B.sprichtschonweiteraus;esdrücktdenabsolutenumfassendenInhalt jenessubstantiellenGefühlsaus,denGegenstand,dervonderEmpfindungalssubjek-tiver, selbstbewußterBewegungunterschiedenistoderwelcherderInhalt ist, unterschiedenvondieserBewegungalsderForm.AberdieserGegenstand,zwardenganzensubstantiellenInhalt in sichfassend,ist selbstnochunentwickeltundvöllig unbestimmt.DessenInhaltaberentwickeln,diesichdarauserge-bendenVerhältnissefassen,aussprechen,zumBe-wußtseinbringen,ist dasEntstehen,Erzeugen,Offen-barenderReligion.Die Form,in welcherdieserent-wickelteInhaltzunächstGegenständlichkeiterhält,ist

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diederunmittelbarenAnschauung,dersinnlichenVorstellungodereinervondennatürlichen,physi-schenodergeistigenErscheinungenundVerhältnis-senhergenommenen,näherbestimmtenVorstellung.

Die KunstvermitteltdiesBewußtsein,indemsiedemflüchtigenScheine,mit demdieObjektivitätinderEmpfindungvorübergeht,HaltungundBefesti-gunggibt. Der formlose,heiligeStein,derbloßeOrtoderwasesist, worandasBedürfnisderObjektivitätsichzunächstanknüpft,erhältvonderKunstGestalt,Züge,BestimmtheitundbestimmterenInhalt,derge-wußtwerdenkann,nunalsGegenstandfür dasBe-wußtseinvorhandenist. Die Kunstist soLehrerinderVölker geworden,wie z.B. in »HomerundHesiod,welchedenGriechenihreTheogoniegemacht«,indemsie - essei,wohereswolle - erhalteneundvorgefun-deneverworreneVorstellungenundTraditionen,demGeisteihresVolkesentsprechend,zubestimmtenBil-dernundVorstellungenerhobenundgefestigthaben.Esist diesnichtdieKunst,welchedenInhalteinerinGedanken,VorstellungenundWortenschonausgebil-detenfertigenReligionnunauchin denStein,aufLeinwandoderin Wortebringt,wie dieKunstneuererZeit tut, [die,] wennsiereligiöseGegenstände,oderebenso,wennsieGeschichtlichesbehandelt,dievor-handenenVorstellungenundGedankenzugrundelie-genhat, - ihn nur,dersonstschonaufseineWeise

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vollständigausgedrücktist, nunauf ihreWeiseaus-drückt.DasBewußtseindieserReligionist dasPro-duktderdenkendenPhantasieoderdesDenkens,wel-chesnurdurchdasOrganderPhantasieerfaßtundinihremGestaltenseinenAusdruckhat.

Obnungleichin derwahrhaftenReligiondasun-endlicheDenken,derabsoluteGeistsichoffenbarge-machthatundoffenbarmacht,soist dasGefäß,inwelchemessichkundtutdasHerz,dasvorstellendeBewußtseinundderVerstanddesEndlichen.Die Re-ligion ist nichtnurüberhauptanjedeWeisederBil-dung - »denArmenwird dasEvangeliumgepre-digt« - gerichtet;sondernsiemußalsReligionaus-drücklichalsandasHerzundGemütgerichtet,in dieSphärederSubjektivitäthereintretenunddamitin dasGebietderendlichenVorstellungsweise.Im wahrneh-mendenundüberdieWahrnehmungenreflektierendenBewußtseinhatfür die ihrerNaturnachspekulativenVerhältnissedesAbsolutenderMenschin seinemVorratnurendlicheVerhältnisse,welcheihm alleindienenkönnen - esseiin ganzeigentlichemoderaberauchin symbolischemSinne -, jeneNaturundVer-hältnissedesUnendlichenzufassenundauszuspre-chen.

In derReligion,alsdernächstenundunvermittel-tenOffenbarungGottes,kannnichtnurdieFormderVorstellungsweiseunddesreflektierendenendlichen

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Denkensalleindiejenigesein,unterderersichDaseinim Bewußtseingibt, sonderndieseFormsoll esauchsein,unterderererscheint;denndieseist esauchal-lein, welchefür dasreligiöseBewußtseinverständlichist. Esmuß,umdiesdeutlicherzumachen,etwasdar-übergesagtwerden,wasVerstehenheißt.Esgehörtnämlichdazu,einerseits,wie obenbemerktworden,diesubstantielleGrundlagedesInhalts,welche,alsdasabsoluteWesendesGeistesanihn kommend,seinInnerstesberührt,in demselbenwiderklingtunddarinZeugnisvon ihm erhält.Diesist dieersteabso-luteBedingnisdesVerstehens;wasnichtansichinihm ist, kannnicht in ihn hineinkommen,kannnichtfür ihn sein, - solcherInhaltnämlich,derunendlichundewig ist. DenndasSubstantielleist ebenalsun-endlichdasjenige,waskeineSchrankeandemjenigenhat,aufwelchesessichbezieht;dennsonstwäreesbeschränktundnichtdaswahrhaftSubstantielle,undderGeistdeswegenist nurdasjenigenichtansich,wasendlich,äußerlichist, dennebendas,wasendlichundäußerlichist, ist nichtmehrdas,wasansichist,sondernwasfür einAnderes,wasinsVerhältnisge-tretenist. Aber indemnunandererseitsdasWahreundEwigegewußtwerden,d. i. in dasendlicheBewußt-seintreten,für denGeistseinsoll, soist dieserGeist,für welcheneszunächstist, derendliche,unddieWeiseseinesBewußtseinsbestehtin den

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VorstellungenundFormenendlicherDingeundVer-hältnisse.DieseFormensinddasdemBewußtseinGeläufige,Eingewohnte;esist dieallgemeineWeisederEndlichkeit,welcheWeiseessichangeeignetundzudemallgemeinenMediumseinesVorstellensge-macht[hat], aufwelchesalles,wasandasselbekommt,zurückgebrachtseinmuß,umdarinsichselbstzuhabenundzuerkennen.

Die StellungderReligionist diese:Die Wahrheit,diedurchsieanunskommt,ist äußerlichgegeben.Manbehauptet,dieOffenbarungdesWahrenseieinedemMenschengegebene,erhabesichdarinin Demutzubescheiden;diemenschlicheVernunftkönnefürsichselbstnichtdaraufkommen.Die WahrheitenderReligionsind; manweißnicht,wohersiegekommen;derInhalt ist alsgegebener,derüberundjenseitsderVernunftsei.Diesist positiveReligion.IrgenddurcheinenPropheten,göttlichenAbgesandtenist dieWahrheitverkündet.Er ist Individuum;werdiesersei,ist für denInhaltanundfür sichgleichgültig.Ceres,TriptolemhabendenAckerbau,dieEheeinge-führt, siesindvondenGriechengeehrtworden;gegenMoses,MohammedsinddieVölker dankbargewor-den.DieseÄußerlichkeit,durchwelchesIndividuumdieWahrheitgegebenworden,ist etwasGeschichtli-ches,dasnichtdenabsolutenInhaltangeht.Die Per-sonist nicht InhaltderLehreselbst.Bei der

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christlichenReligionist diesEigentümliche,daßdiesePerson,Christusselbst,seineBestimmung,SohnGotteszusein,zurNaturGottesselbstgehört.Ist Christusfür dieChristennurLehrer,wie Pythago-ras,SokratesoderKolumbus,soist dieskeinallge-meinergöttlicherInhalt,keineOffenbarung,Beleh-rungüberdieNaturGottes,undüberdiesealleinwol-lenwir belehrtsein.

AllerdingsmußdieWahrheit - esseiaufwelcherStufesieselbststehe - zuerstin äußerlicherWeiseandieMenschenkommen,alssinnlichvorgestellter,ge-genwärtigerGegenstand;wie MosesGott im feurigenBuscherblickteundsichdieGriechendenGott inMarmorbildernodersonstigenVorstellungenzumBe-wußtseingebrachthaben.DasWeitereist, daßesbeidieseräußerlichenWeisenichtbleibtundnichtblei-bensoll - in derReligionwie in derPhilosophie.Sol-cheGestaltderPhantasieodergeschichtlicherInhalt(wie Christus)soll für denGeisteinGeistigeswer-den;sohörterauf,einÄußerlicheszusein,denndieäußerlicheWeiseist diegeistlose.Wir sollenGott»im Geistundin derWahrheit«erkennen.Gott ist derallgemeine,derabsolute,wesentlicheGeist.In Anse-hungdesVerhältnissesdesmenschlichenGeisteszudiesemGeistekommtesauf folgendeBestimmungenan.

DerMenschsoll eineReligionannehmen.WasistGeschichte der Philosophie

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derGrundseinesGlaubens?Die christlicheReligionsagt:dasZeugnisdesGeistesvondiesemInhalt.ChristusverweistesdenPharisäern,daßsieWunderwollen;nurderGeistvernimmtdenGeist,WunderistnurAhnungdesGeistes,Wunderist UnterbrechungderNatur;derGeistist erstdaswahrhafteWundergegendenLauf derNatur.DerGeistselbstist nurdiesVernehmenseinerselbst.Esist nureinGeist,derallgemeinegöttlicheGeist, - nichtdaßernurallent-halbenist. Er ist nichtalsGemeinschaftlichkeit,alsäußerlicheAllheit nur in vielen,allenIndividuen,diewesentlichalsEinzelnesind,zu fassen,sondernalsdasDurchdringende,alsdieEinheitseinerselbstundeinesScheinesseinesAnderen,alsdesSubjektiven,Besonderen.Er ist alsallgemeinsichGegenstand,soalsBesonderesbestimmtdiesesIndividuum;alsallge-meinaberüberdiesseinAnderesübergreifend,seinAnderesunderselbstin einem.Die wahrhafteAllge-meinheiterscheint(populärausgedrückt)alszwei,dasGemeinschaftlichedesAllgemeinenselbstunddesBesonderen.Im Vernehmenseinerselbstist Ent-zweiunggesetzt,undderGeistist EinheitdesVer-nommenenundVernehmenden.DergöttlicheGeist,dervernommenwird, ist derobjektive;dersubjektiveGeistvernimmt.DerGeistist abernichtpassiv,diePassivitätkannnurmomentansein;esist einegei-stigesubstantielleEinheit.DersubjektiveGeistist

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dertätige,aberderobjektiveGeistist selbstdieseTä-tigkeit. Der tätige,subjektiveGeist,derdengöttli-chenGeistvernimmt - undinsofernerdengöttlichenGeistvernimmt -, ist dergöttlicheGeistselber.Die-sesVerhaltendesGeistesnurzusichselbstist dieab-soluteBestimmung;dergöttlicheGeistlebt in seinerGemeinde,ist daringegenwärtig.DiesVernehmenistGlaubegenanntworden.Dasist nichthistorischerGlaube.Wir Lutheraner - ich bin esundwill esblei-ben - habennur jenenursprünglichenGlauben.DieseEinheitist nichtdiespinozistischeSubstanz,sonderndiewissendeSubstanzim Selbstbewußtsein,welchessichverunendlichtundzurAllgemeinheitverhält.DasGeredevondenSchrankendesmenschlichenDenkensist seicht;Gottzuerkennen,ist dereinzigeZweckderReligion.DasZeugnisdesGeistesvomInhaltderRe-ligion ist Religiositätselbst;esist Zeugnis,dasbe-zeugt;diesesist zugleichZeugen.DerGeistzeugtsichselbstunderstim Zeugnis;er ist nur, indemersichzeugt,sichbezeugtundsichzeigt,sichmanife-stiert.

DasWeitereist dieses,daßdiesZeugnis,diesin-nigeSelbstbewußtsein,Webenin sichselbst,AndachtundeingehülltesBewußtsein(sodaßesnichtzumei-gentlichenBewußtseinkommt,zumObjekte)sichentschließt.Dieserdurchdringendeunddurchgedrun-geneGeisttritt jetzt in dieVorstellung;Gottgehtzum

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Anderenüber,machtsichzumGegenständlichen.Hier tretenalleBestimmungenvonGegebenseinundEmpfangenein,dieunsin derMythologievorkom-men;allesHistorische,diepositiveSeitehathier ihreStelle.Um bestimmterzusprechen:wir habendanndenChristus,dervor beinah2000Jahrenin dieWeltgekommen.Aberersagt:»Ichbin beieuchbisanderWelt Ende«;»wozwei in meinemNamenversammeltsind,bin ich beieuch«;werdeich nichtmehrsinnlichalsPersongegenwärtigvor euchsein,so»wird derGeisteuchin alleWahrheitleiten« - dasäußerlicheVerhältnisist nichtdasrechte,eswird sichaufheben.

Die zweierleiStadiensinddarinangegeben:Er-stensdasStadiumderAndacht,desKultus,z.B.derGenußdesNachtmahls;dasist dasVernehmendesgöttlichenGeistesin derGemeinde,in ihr hatderjetztgegenwärtige,inwohnende,lebendigeChristusalsSelbstbewußtseinWirklichkeit. ZweitensdasStadiumdesentwickeltenBewußtseins,wo derInhaltGegen-standwird; hier fliegt dieserjetzige,gegenwärtige,in-wohnendeChristusum2000Jahrezurück,wird ineinenWinkel vonPalästinarelegiert,ist alsdiesege-schichtlichePersonfernzuNazareth,zuJerusalem.Analogischist esin dergriechischenReligion;derGott in derAndachtwird zurprosaischenBildsäule,zuMarmor, - in derMalereizuLeinwandoderHolz;eskommtzudieserÄußerlichkeit.DasNachtmahlist

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lutherischnur im Glauben,im Genusseeingöttli-ches, - nichtalsHostienochverehrlich.Soist unseinHeiligenbildnichtsanderesalsStein,einDing. DerzweiteStandpunktmußzwardersein,womit dasBe-wußtseinanfängt;esmußvondemäußerlichenVer-nehmendieserGestaltungausgehen,dasBerichtet-werdenansichkommenlassen,denInhalt insGe-dächtnisaufnehmen.Bleibt esaberdabei,soist dasderungeistigeStandpunkt.Auf diesemzweitenStand-punkt- in dieserhistorischen,totenFerne - stehen-bleiben,heißtdenGeistverwerfen.WergegendenHeiligenGeistlügt, dessenSündekannnichtverzie-henwerden.DasLügenabergegendenGeistist ebendies,daßernichteinallgemeiner - nichteinheiliger - sei;d.h.daßChristusnureinGetrenntes,Abgeson-dertessei,nureineanderePersonalsdiesePerson,nur in Judäagewesen,oderauchjetztnochist, aberjenseits,im Himmel,Gottweißwo, nichtaufwirkli-che,gegenwärtigeWeisein seinerGemeinde.Wervondernurendlichen,nurmenschlichenVernunft,dennurSchrankenderVernunftspricht,derlügtgegendenGeist;dennderGeistalsunendlich,allge-mein,sichselbstvernehmend,vernimmtsichnicht ineinemNur, in Schranken,im Endlichenalssolchem,hatkeinVerhältnisdazu, - vernimmtsichnur in sich,in seinerUnendlichkeit.

Mansagt:Die PhilosophieerkenntdasWesen.DerGeschichte der Philosophie

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Hauptpunktist hierdanndieser,daßdasWesennichteindemÄußerlichesist, dessenWesenesist. DasWesenmeinesGeistesist in meinemGeisteselbst,nichtdraußen.SobeimwesentlichenInhalteinesBu-ches:ich abstrahierevonBand,Papier,Drucker-schwärze,Sprache,denvielentausendBuchstaben,diedarinstehen;dereinfache,allgemeineInhalt,alsdasWesen,ist nichtaußerhalbdesBuches.Soist dasGesetznichtaußerhalbdesIndividuums,sondernesmachtdaswahrhafteSeindesIndividuumsaus.DasWesenmeinesGeistesist meinwesentlichesSein,meineSubstanzselbst(sonstbin ich wesenlos);diesWesenist sozusagenderbrennbareStoff, dervondemallgemeinenWesenalssolchem,alsgegenständ-lichementzündet,erleuchtetwerdenkann.UndnurinsoferndieserPhosphorim Menschenist, ist dasEr-fassen,dasAnzündenundErleuchtenmöglich;nursoist Gefühl,Ahnung,WissenvonGott im Menschen.Ohnedies - wäreauchdergöttlicheGeistnichtdasanundfür sichAllgemeine.DasWesenist selbsteinwesentlicherInhalt,nichtdasInhaltslose,Unbe-stimmte.Wie dasBuchnochanderenInhalthat,soist amindividuellenGeistenocheinegroßeMassean-dererExistenz,dienurzurErscheinungdiesesWe-sentlichengehört.Die Religionist nunderZustand, -vondiesemWesenzuwissen;unddasIndividuelle,mit äußerlicherExistenzumgeben,mußvondiesem

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Wesenunterschiedenwerden.DasWesenist Geist,nichteinAbstraktum;»Gottist nichteinGottderToten,sondernderLebendigen«,undzwarderleben-digenGeister.

FreundloswardergroßeWeltenmeister,FühlteMangel - darumschuferGeister,

Sel'geSpiegelseinerSeligkeit!FanddashöchsteWesenschonkeingleiches,AusdemKelchdesganzenSeelenreiches

Schäumtihm dieUnendlichkeit.

WasnundieunterschiedeneGestaltdesWissensinderReligionundderPhilosophiebetrifft, soerscheintdiePhilosophiealszerstörendgegendiesVerhältnisin derReligiongekehrt,daßderallgemeineGeistzu-nächstalsäußerlich,in gegenständlicherWeisedesBewußtseinsscheint.Die Andacht,beimÄußerlichenanfangend,verkehrtdannselbst,wie schonerinnert,diesVerhältnis,hebtesauf;sowird diePhilosophiedurchdieAndacht,denKultusgerechtfertigt,tut nurdasselbe,wassietun.DerPhilosophieist esnunumdasZweifachezutun:erstlich,wie derReligionin derAndacht,umdensubstantiellenInhalt,diegeistigeSeele;undzweitens,dieseshervorzubringenvor dasBewußtsein,alsGegenstand,aberin GestaltdesDen-kens.Die Philosophiedenkt,begreiftdas,wasdie

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ReligionalsGegenstanddesBewußtseinsvorstellt,esseialsWerkderPhantasieoderalsgeschichtlicheExistenz.Im religiösenBewußtseinist dieFormdesWissensvomGegenstandeeinesolche,diederVor-stellungangehört,mehroderwenigerSinnlichesent-hält.DaßGottseinenSohngezeugt - einausderna-türlichenLebendigkeitgenommenesVerhältnis -, sowerdenwir unsin derPhilosophienichtausdrücken.DerGedanke,dasSubstantiellesolchesVerhältnisseswird darumin derPhilosophiedochanerkannt.IndemdiePhilosophieihrenGegenstanddenkt,hatsiedenVorteil, daß,wasin derReligionunterschiedenesMo-mentist, in derPhilosophiein Einheitist. In derAn-dachttritt dasBewußtseindesVersenktseinsinsab-soluteWesenein.BeideStadiendesreligiösenBe-wußtseinssindim philosophischenDenkenin einemvereint.

DiesebeidenFormensindes,dieverschiedenvon-einandersindunddiedarumalsentgegengesetzt,alseinanderwiderstreitenderscheinenkönnen.UndesistnatürlichundeinenotwendigeErscheinung,daß,so-zusagenin ihrembestimmterenAuftreten,sienurihrerVerschiedenheitsichbewußtsindunddaßsiedaherzuerstfeindseliggegeneinanderauftreten.In derErscheinungist dasErstedasDasein,alsbestimmt,FürsichseingegendasAndere.Esist dasSpätere,daßdasDenkensichselbstkonkreterfaßt,sichin sich

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vertieft,undderGeistalssolcherihm zumBewußt-seinkommt.DasKonkreteist dasAllgemeine,dasbestimmtist, alsoseinAnderesin sichenthält.Früherist derGeistabstrakt;in dieserBefangenheitweißersichverschiedenundin EntgegensetzunggegendasAndere.Indemersichkonkretererfaßt,soist ernichtmehrbloßin derBestimmtheitbefangen,in diesemdemUnterschiedenennursichwissendundbesitzend;sondernalskonkreteGeistigkeitfaßterebensodasSubstantiellein derGestalt,dievon ihm verschiedenerschien,derenErscheinungernurgefaßtundsichgegendiesegekehrthatte, - erkenntin derenInhalt, inderenInneremnunmehrsichselbst,faßtjetzterstseinGegenteilundläßtihm Gerechtigkeitwiderfahren.

Überhauptist diesderGangdiesesGegensatzesinderGeschichte,daßdasDenkenzuallererstnur inner-halbderReligionunfrei in einzelnenÄußerungensichhervortut.Zweitenserstarktes,fühlt sichalsaufsichberuhend,nimmtundbenimmtsichfeindseliggegendieandereFormunderkenntsichnichtdarin.DasDritte ist, daßesdamitendet,in diesemAnderensichselberanzuerkennen.

DasPhilosophierenhatdamitanfangenmüssen,seinGeschäftganzfür sichzutreiben,dasDenkenvonallemVolksglaubenzu isolierenundsichfür einganzanderesFeldzunehmen,für einFeld,demdieWelt derVorstellungzurSeiteliege,sodaßsieganz

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ruhignebeneinanderbestanden,odervielmehr,daßesüberhauptnochzukeinerReflexionauf ihrenGegen-satzkam,ebensowenigalsderGedanke,sieversöh-nenzuwollen, im Volksglaubendasauf[zu]zeigen,alsnur in eineranderenäußerenGestaltalsim Begrif-fe, undsodenVolksglaubenerklärenundrechtferti-genzuwollen - undsodieBegriffedesfreienDen-kensselbstwiederin derWeisederVolksreligionausdrückenzukönnen.

Sosehenwir diePhilosophiezuerstgebundenundinnerhalbdesKreisesdesgriechischenHeidentumsbefangen.Hieraufaufsichsichsetzend,tritt siederVolksreligionentgegenundnimmteinefeindseligeStellungan,bissiederenInnereserfaßtundin ihrsicherkennt.SohuldigtendieälterengriechischenPhilosophenmeistderVolksreligion,wenigstenswarensieihr nichtentgegenundreflektiertennichtdarauf.Spätere,ja schonXenophanes,griffen aufsheftigstedieVolksvorstellungenan;undsotratenvielesogenannteAtheistenauf.Wie dieGebietederVolksvorstellungenunddesabstrakterenDenkensruhignebeneinanderstanden,sehenwir nochandenspäterengebildeterengriechischenPhilosophen,mitderenspekulativemTreibendieAusübungdesKul-tus,dasfrommeAnrufenderGötter,Opferbringenusw.ganzehrlich - nichtalseineHeuchelei - zusam-menbestand.Sokrateswurdeangeklagt,andere

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GötteralsdieVolksreligionzu lehren.AllerdingswarseindaimoniondemPrinzipdergriechischenSittlich-keit undReligionentgegen;abererhatzugleichganzehrlichdieGebräucheseinerReligionmitgemacht,undwir wissen,daßseinletztesWort nochwar,sei-nenFreundenaufzugeben,daßsiedemÄskulapeinenHahnopfernsollten - einVerlangen,dasmit dendurchgeführtenGedankendesSokratesvomWesenGottes,vornehmlichderMoralität,nichtzusammenbestehenkann.PlatoneifertegegendieDichterundihreGötter.ErstganzspäterkanntendieNeuplatoni-ker in dervondenPhilosophenfrüherverworfenenVolksmythologiedenallgemeinenInhalt, indemsiedieselbein Gedankenbedeutungum- undübersetztenunddieseMythologieselbstfür ihrePhilosophemealseineBildersprachesymbolischgebrauchten.

Ebensoin derchristlichenReligionsehenwir zu-erstdasDenkenunselbständigsichmit derGestaltdieserReligionin Verbindungsetzenundsichinner-halbderselbenbewegen,d.h.siezugrundelegenundvonderabsolutenVoraussetzungderchristlichenLehreausgehen.Spätersehenwir denGegensatzvonsogenanntemGlaubenundsogenannterVernunft,nachdemdemDenkendieFitticheerstarktsind; -derjungeAdler fliegt für sichzurSonnederWahrheitauf;abernochalsRaubtiergegendieReligiongewen-det,bekämpftersie.DasSpätesteist, daßdie

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PhilosophiedemInhaltderReligiondurchdenspeku-lativenBegriff, d. i. vor demGedankenselbst,Ge-rechtigkeitwiderfahrenlasse;dafürmußderBegriffsichkonkreterfaßthaben,zurkonkretenGeistigkeitdurchgedrungensein.DiesmußderStandpunktderPhilosophiederjetzigenZeit sein;sieist innerhalbdesChristentumsentstandenundkannkeinenanderenInhaltalsderWeltgeistselberhaben;wennersichinderPhilosophiebegreift,sobegreiftersichauchinjenerGestalt,dievorherihr feindseligwar.

SohatalsodieReligioneinengemeinschaftlichenInhaltmit derPhilosophie,undnurdieFormensindverschieden;undeshandeltsichnurdarum,daßdieFormdesBegriffssoweit vollendetwird, denInhaltderReligionerfassenzukönnen.Wahrhaftist nurdasjenige,wasmandieMysterienderReligionge-nannthat;siesinddasSpekulativederReligion.BeidenNeuplatonikernheißtmyein,myeisthai(einge-weihtwerden),sichmit spekulativenBegriffenbe-schäftigen.UnterMysterienverstehtman,oberfläch-lich genommen,dasGeheimnisvolle,wassobleibt,nichtbekanntwird. In denEleusinischenMysterienwarabernichtsUnbekanntes(alleAthenienserwarendarineingeweiht, - Sokratesnicht);unddieswill ichin Rücksichtfür dieHerrenPhilologenbemerken,dain derPhilologiedieseVorstellungauchgilt. Dasöf-fentlicheBekanntmachenvor Fremdenwardas

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einzige,wasverbotenwar;verschiedenenwurdeeszumVerbrechengemacht.In derchristlichenReligionheißendieDogmataMysterien;siesinddas,wasmanvonderNaturGottesweiß.Diesist auchnichtsGe-heimes;in ihr wissenesalleMitglieder,unddadurchunterscheidensiesichvondenenandererReligionen.SoheißtalsoMysteriumauchnichtetwasUnbekann-tes,dennalleChristensindim Geheimnis.Die Myste-riensindihrerNaturnach,alsspekulativerInhalt,ge-heimfür denVerstand,nicht für dieVernunft;siesindgeradedasVernünftigeim SinnedesSpekulativen.DerVerstandfaßtdasSpekulativenicht,diesKon-krete;derVerstandhältdieUnterschiedeschlechthingetrenntfest.IhrenWiderspruchenthältdasMysteri-umauch,esist aberzugleichauchdieAuflösungdes-selben.

Die Philosophieist dagegendemsogenanntenRa-tionalismusin derneuerenTheologieentgegen;dieserhatdieVernunftimmerim Munde,esist abernurtrockenerVerstand.Von derVernunftist nichtsdarinzuerkennenalsdasMomentdesSelbstdenkens;esistabernurabstraktesDenken.DerRationalismusist derPhilosophiedemInhaltundderFormnachentgegen-gesetzt;erhatdenInhalt,hatdenHimmel leerge-macht,alleszuendlichenVerhältnissenherunterge-setzt.UndauchderFormnachist erderPhilosophieentgegengesetzt,dennseineFormist Räsonieren,

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unfreiesRäsonieren,nichtBegreifen.DerSupranatu-ralismusist in derReligiondemRationalismusentge-gengesetzt,aberer ist derPhilosophiein AnsehungdeswahrhaftenInhaltsverwandt,aberderFormnachverschieden;denner ist ganzgeistlos,hölzerngewor-denundnimmtäußerlicheAutoritätzurRechtferti-gungan.Die ScholastikerwarennichtsolcheSupra-naturalisten;siehabendenkend,begreifenddasDogmaderKircheerkannt.WenndieReligionsichinderStarrheitihrerabstraktenAutoritätgegendasDenkenbehauptet,daß»diePfortenderHölle sienichtüberwindenwerden«,soist diePfortederVer-nunftstärkeralsdiePfortederHölle, - nicht,dieKir-chezuüberwinden,abersichmit ihr zuversöhnen.Die PhilosophiealsbegreifendesDenkendiesesIn-haltshatin RücksichtaufdasVorstellenderReligiondenVorteil, daßsiebeidesversteht;siekanndieReli-gionverstehen,sieverstehtauchdenRationalismusunddenSupranaturalismus,undauchsich;abernichtist esauchumgekehrtderFall. Die Religion,aufdemStandpunktderVorstellungstehend,verstehtnurdas,wasmit ihr aufgleichemStandpunktsteht,nichtdiePhilosophie,denBegriff, dieallgemeinenDenkbe-stimmungen.Oft ist einerPhilosophienichtUnrechtgetan,wennmanihr ihrenGegensatzgegendieReli-gionvorgeworfenhat;aberauchoft ist ihr Unrechtgeschehen,wenndiesvomreligiösenStandpunktaus

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getanist.FürdenGeist,wie eranundfür sichist, ist dieGe-

staltderReligionnotwendig.Sieist dieFormdesWahrhaften,wie esfür alleMenschen,für jedeWeisedesBewußtseinsist. DieseallgemeineBildungderMenschenist erstensdassinnlicheBewußtseinunddannzweitensdieEinmischungderFormdesAllge-meinenin diesinnlicheErscheinung,dieReflexion.DasvorstellendeBewußtsein,dasMythische,Posi-tive, Geschichtlicheist dieForm,welchezurVer-ständlichkeitgehört.Dasim ZeugnisdesGeistesent-halteneWesenwird demBewußtseinnurGegenstand,wennesin verständlicherFormerscheint.DasBe-wußtseinmußmit diesenFormensonstausdemLeben,derErfahrungbekanntsein.Die ReligionmußalsodasBewußtseindesWahrhaften,desGeistigen,mußdieFormderVernunfthaben,oderdasBewußt-seindesWahrhaftenmußdieFormderReligionhaben.Diesist dieallgemeineRechtfertigungdieserGestalt;aberdasdenkendeBewußtseinist nichtdieäußerlichallgemeineFormfür alleMenschen.

Wir habennundenUnterschiedvonPhilosophieundReligionauseinandergelegt;esbleibtabernochin Beziehungaufdas,waswir in derGeschichtederPhilosophieabhandelnwollen,einigeszubemerkenübrig,wasteilweiseausdemGesagtenfolgt.

Zweitens. Wie habenwir unsnunzudiesemGeschichte der Philosophie

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Verwandtenin derGeschichtederPhilosophiezuver-halten?Die Mythologiebegegnetunszuerst; siescheintin dieGeschichtederPhilosophiegezogenwerdenzukönnen.Die Mythologieist ProduktderPhantasie.EinerseitsalsohathierdieWillkür ihrenSitz.AberdieHauptsachederMythologieist WerkderphantasierendenVernunft,diesichdasWesenzumGegenstandemacht,abernochkeinanderesOrganhatalsdiesinnlicheVorstellungsweise;sosinddieGötterin menschlicherGestalt.Die Mythologiekannstudiertwerdenfür dieKunstusw.;derden-kendeGeistmußaberdensubstantiellenInhalt,denGedanken,dasPhilosophem,dasimplizite darinent-haltenist, aufsuchen,wie manin derNaturVernunftsucht.DieseWeise,dieMythologiezubehandeln,wardiederNeuplatoniker;in neuerenZeitenist esvornehmlicheinGeschäftmeinesFreundesCreuzerinderSymbolik.DieseBehandlungsartwird vonande-renangefeindet,verdammt:ManmüssenurhistorischzuWerkegehen;esseiaberunhistorisch,wennineineMytheeinPhilosophemhineingelegt,herauser-klärt werde,welchesdieAlten dabeinichtgedachthaben.Diesist einerseitsganzrichtig, dennesist dieseineBetrachtungsweiseCreuzersundauchderAlex-andriner,diesichdamitbeschäftigthaben.Im bewuß-tenDenkenhabendieAlten nichtsolchPhilosophemvor sichgehabt;dasbehauptetauchniemand.Aber

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daßsolcherInhaltnicht implizite darinsei,ist absur-derEinwand.Als ProduktederVernunft(abernichtderdenkenden)enthaltendieReligionenderVölker,soauchdieMythologien,siemögennochsoeinfach,ja läppischerscheinen,wie echteKunstwerkealler-dingsGedanken,allgemeineBestimmungen,dasWahre;derInstinktderVernünftigkeitliegt ihnenzu-grunde.Damit ist verbunden,daß,indemdasMytho-logischein diesinnlicheBetrachtungsweiseübergeht,sichmancherleizufälliger,äußerlicherStoff ein-mischt.DenndieDarstellungdesBegriffsaufsinnli-cheWeiseenthältimmereineUnangemessenheit,derBodenderPhantasiekanndie Ideenichtaufwahr-hafteWeiseausdrücken.DiesesinnlicheGestalt,wel-cheaufeinehistorischeodernatürlicheWeisehervor-gebrachtwird, mußnachvielenSeitenbestimmtwer-den;unddieseäußerlicheBestimmtheitmußmehroderwenigervonderBeschaffenheitsein,derIdeenichtzuentsprechen.Eskannauchsein,daßin dieserErklärungviele Irrtümerenthaltensind,besonderswennesaufdasEinzelnehinausgeht.Die MengevonGebräuchen,Handlungen,Geräten,Gewändern,Op-fernusf.kannallerdingsetwasAnalogischesenthal-ten,eineBeziehung;esist diesabersehrentfernt,undvieleZufälligkeitenmüssensichdabeieinfinden.DaßabereineVernunftdarinist, ist für wesentlichanzuer-kennen;unddieMythologiesozufassen,ist eine

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notwendigeBetrachtungsweise.Allein ausunsererGeschichtederPhilosophiemuß

dieMythologieausgeschlossenbleiben.DerGrunddavonliegt darin,daßesunsin derselbennichtzu tunist umPhilosophemeüberhaupt,umGedanken,dienur implizite enthaltensindin irgendeinerDarstel-lung,sondernumGedanken,dieheraussind,undnurinsofernsieheraussind,sofernsolcherInhalt,dendieReligionhat,in derFormdesGedankenszumBe-wußtseingekommenist. Unddiesist einungeheurerUnterschied.Bei demKinde ist dieVernunftauchvorhanden,sieist darin,aberesist bloßeAnlage;inderPhilosophieaberist esunsumdieFormzutun,daßdieserInhalt in dieFormdesGedankensheraus-gesetztist. Die absoluteFormderIdeeist nurderGe-danke.Die Philosopheme,die implizite enthaltensindin derReligion,gehenunsnichtsan;siemüssenalsGedankensein.

In vielenMythologienwerdenfreilich Bilder gege-benundihreBedeutungzugleich,oderdieBilder füh-rendieBedeutungdochnahemit sich.Die altenPer-serverehrtendieSonneoderdasFeuerüberhauptalsdashöchsteWesen.DerUrgrundin derpersischenReligionist ZerwanaAkarana,dieunbegrenzteZeit(Ewigkeit).DieseinfacheunendlicheWesenhabediezweiPrinzipien:OrmuzdundAhriman,dieHerrendesGutenunddesBösen.Plutarchsagt:»Esseinicht

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einWesen,welchesdasGanzehalteundregiere,son-dernGutesseimit Bösemvermischt,überhauptbrin-gedieNaturnichtsReinesundEinfacheshervor;soseiesnichteinAusspender,derauszweiFässernunseinGetränkwie einWirt austeileundmische.Son-derndurchzweientgegengesetzte,feindseligePrinzi-pien,derendaseinerechtssichrichte,dasanderenachderentgegengesetztenSeitetreibe,werde,wennnichtdieganzeWelt, wenigstensdieseErdeaufun-gleicheWeisebewegt.Zoroasterhabediesvorzüglichsovorgestellt,daßdaseinePrinzip(Ormuzd)dasLicht sei,dasandereaber(Ahriman)dieFinsternis;ihreMitte (mesosdeamphoin) seiMithra, daherihndiePerserVermittler (mesitês) nennen.«Mithra istdannauchdieSubstanz,dasall gemeineWesen,dieSonnezurTotalitäterhoben.Er ist nichtVermittlerzwischenOrmuzdundAhriman,alsoberFriedenstiftensollte,sodaßbeidebestehenblieben,sondernstehtaufderSeitedesOrmuzd,streitetmit ihm gegendasBöse.Mithra partizipiertnichtvomGutenundBösen,ist nichtsoeinunseligMittelding.

Ahrimanwird zuweilendererstgeboreneLichtsohngenannt,abernurOrmuzdist im Lichtegeblieben.Bei derSchöpfungdersichtbarenWelt setzteOrmuzdaufdieErdein seinunbegreiflichesLichtreichdasfesteGewölbedesHimmels,dasoberhalbnochal-lenthalbenmit demerstenUrlichteumgebenist.

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Mitten aufderErdeist derhoheBergAlbordi, derbisinsUrlicht reicht.Ormuzd'LichtreichbefindetsichungetrübtüberdemfestenGewölbedesHimmelsundaufdemBergeAlbordi; auchsoaufderErdebis insdritteZeitalter.JetztbrachAhriman,dessenNacht-reichvorherunterderErdebeschränktwar, in Or-muzd'Körperwelteinundherrschtegemeinschaftlichmit ihm. Nun ist derRaumzwischenHimmelundErdezurHälfte in Licht undNachtgeteilt.Wie Or-muzdvorhernureinenGeisterstaatdesLichts,sohatteAhrimannureinenderNacht;nunaber,alsein-gedrungen,setzteerderirdischenLichtschöpfungeineirdischeNachtschöpfungentgegen.Von nunanstehenzweiKörperwelteneinandergegenüber,einereineundgute,undeineunreineundböse.DieserGe-gensatzgehtdurchdieganzeNatur.Auf Albordi hatOrmuzddenMithra alsMittler für dieErdegeschaf-fen.DerZweckderSchöpfungderKörperweltistkeinanderer,alsdurchsiedievon ihremSchöpferab-gefallenenWesenwiederzurückzuführen,siewiedergutunddadurchdasBöseaufewigverschwindenzumachen.Die Körperweltist derSchau- undKampf-platzzwischenGutundBöse;aberderKampfdesLichtsundderFinsternisist nichteinabsolutunauf-gelösterGegensatzansich,sonderneinvorüberge-hender;Ormuzd,dasPrinzipdesLichts,wird siegen.

Ich bemerkehierüber,daßin philosophischerGeschichte der Philosophie

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RücksichtalleindieserDualismusmerkwürdigist.Mit ihm ist derBegriff notwendig;dieserist anihmunmittelbardasGegenteilseinerselbst,im AnderenEinheitseinerselbstmit sich.In demvonbeidenei-gentlichdasLichtprinzipnurdasWesenist, dasPrin-zip derFinsternisaberdasNichtige,sofällt dasLichtprinzipmit demMithra, dervorhinalsdashöch-steWesengenanntwurde,selbstzusammen.Betrach-tenwir dieMomentein diesenVorstellungen,dieeinenähereBeziehungaufPhilosophiehaben,sokannunsdaranbloßdasAllgemeinedieserVorstellungeninter-essantsein:eineinfachesWesen,dessenabsoluterGegensatzalsGegensatzdesWesensundderAufhe-bungdesselbenerscheint.DerGegensatzhatdenScheinderZufälligkeit abgelegt.AberdasgeistigePrinzipwird vondemphysischennichtgeschieden,indemdasGuteunddasBösezugleichalsLicht undFinsternisbestimmtwerden.Wir sehenalsohiereinLosreißendesGedankensvonderWirklichkeit undzugleichnichteinLosreißen,wie esnur in derReligi-onstattfindet,sodaßdasÜbersinnlichewiederselbstaufsinnliche,begriffslose,zerstreuteWeisevorge-stellt ist; sonderndieganzeZerstreuungdesSinnli-chenist in deneinfachenGegensatzzusammenge-nommen,dieBewegungebensoeinfachvorgestellt.DieseBestimmungenliegendemGedankenvielnäher,essindnichtbloßeBilder; aberauchsolche

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MythengehendiePhilosophienichtsan.Nicht derGedankeist dasErste,sonderndasÜberwiegendeistdieFormderMythe.In allenReligionenist Schwan-kenzwischenBildlichemundGedanken;einesolcheVermischungliegt nochaußerhalbderPhilosophie.

EbensounterdenPhöniziernSanchuniathons9Kosmogonie:»DiePrinzipienderDingeseieneinChaos,in welchemdieElementeunentwickeltunter-einanderlagen,undeinLuftgeist.DieserschwängertedasChaosunderzeugtemit ihm einenschleimigenStoff,Mot (ilyn), derdie lebendigenKräfteundSamenderTierein sichenthielt.DurchdieVermi-schungdesMot mit derMateriedesChaosunddiedarausentstandeneGärungtrenntensichdieElemen-te.Die Feuerteilestiegenin dieHöheundbildetendieGestirne.DurchdenEinflußdieseraufdieLuft wur-denWolkenerzeugt.Die Erdewardfruchtbar.AusderdurchdasMot in FäulnisübergegangenenMi-schungvonWasserundErdeentstandendieTiere,unvollkommenundohneSinne.Dieseerzeugtenwie-derandereTiere,vollkommenerundmit Sinnenbe-gabt.Die ErschütterungdesDonnersbeimGewitterwares,welchedieerstenTiere,die in ihrenSamen-hüllenschliefen,zumLebenerwachenließ.«

UnterdenChaldäernBerosos10: »Derursprüngli-cheGottseiBel, dieGöttinOmoroka(dasMeer);nebendiesenhabeesabernochandereGötter

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gegeben.Bel schnittdieOmorokamittendurch,umausihrenTeilendenHimmelunddieErdezubilden.HieraufschnittersichselbstdenKopf ab,undausdenTropfenseinesgöttlichenBlutsentstanddasMenschengeschlecht.NachSchöpfungdesMenschenverscheuchteBel dieFinsternis,schiedHimmelundErdeundformtedieWelt zu ihrernatürlicherenGe-stalt.DaeinzelneGegendenderErdeihm nochnichtbevölkertgenugschienen,sozwangereinenanderenGott,sichselbstGewaltanzutun,undausdemBlutedieseswurdenmehrMenschenundandereTiergattun-generzeugt.Die Menschenlebtenanfangswild undohneKultur, biseinUngeheuer«(welchesBerososOannesnennt)»siezueinemStaatevereinigte,sieKünsteundWissenschaftenlehrte,undzurHumanitätüberhaupterzog.DasUngeheuerstiegzudiesemZweckbeiAufgangderSonneausdemMeer,undbeimUntergangeverbargessichwiederunterdieFlu-ten.«

DasMythologischekannauchPrätentionmachen,eineArt undWeisedesPhilosophierenszusein.EshatPhilosophengegeben,diesichdermythischenFormbedienten,umdiePhilosophemederPhantasienäherzubringen.Der InhaltdesMythusist derGedan-ke.Bei denaltenMythenist aberderMythusnichtbloßeHülle; manhatdenGedankennichtbloßgehabtundihn nurversteckt.In unsererreflektierenden

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Weisekanndiesgeschehen.Die ursprünglichePoesiegehtabernichtausvonderTrennungderProsaundPoesie.HabenPhilosophenMythengebraucht,soistesmeistderFall, daßsiedenGedankengehabtunddazunundasBild gesuchthaben.SohatPlatonvielschöneMythen,auchanderehabenmythischgespro-chen.SoauchJacobi,derin derFormderchristlichenReligionPhilosophietreibtundaufdieseWeisediespekulativstenDingesagt.DieseFormist abernichtdiepassendefür diePhilosophie;derGedanke,dersichselbstzumGegenstandehat,mußauchin derFormdesGedankenssichGegenstandsein,ermußsichzuseinerFormaucherhobenhaben.Platonwirdoft wegenseinerMythengeschätzt;ersoll höheresGenie,alssonstPhilosophenvermögen,bewiesenhaben.Manmeint,dieMythendesPlatonseienvor-trefflicheralsdieabstrakteWeisedesAusdrucks;undesist allerdingseineschöneDarstellungim Platon.Genauerbetrachtetist eszumTeil dasUnvermögen,aufdie reineWeisedesGedankenssichauszu-drücken,zumTeil sprichtPlatonauchnur in derEin-leitungso;wo eraberaufdieHauptsachekommt,drücktersichandersaus;im Parmenidesz.B.sindeinfacheGedankenbestimmungenohneBildliches.NachaußenmögenjeneMythenfreilich dienen;vonderspekulativenHöhegehtmanherunter,umleichterVorstellbareszugeben.DerWertPlatonsliegt aber

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nicht in denMythen.Ist dasDenkeneinmalsoer-starkt,umin sichselbst,in seinemElementesichseinDaseinzugeben,soist dieMytheeinüberflüssigerSchmuck,wodurchdiePhilosophienichtgefördertwird. Oft hältmansichnurandieseMythen.SoistAristotelesmißverstandenworden,weil erhierunddaVergleichungeneinstreut.Die VergleichungkannnichtdemGedankenganzangemessensein,enthältimmernochmehr.Die Ungeschicklichkeit,denGe-dankenalsGedankenvorzustellen,greift zudenHilfsmitteln, in sinnlicherFormsichauszudrücken.Verstecktsoll derGedankedurchdenMythusauchnichtwerden;dieAbsichtdesMythischenist viel-mehr,denGedankenauszudrücken,zuenthüllen.Die-serAusdruck,dasSymbolist freilich mangelhaft;werdenGedankenin Symboleversteckt,hatdenGedan-kennicht.DerGedankeist dassichOffenbarende;dasMythischeist sonichtadäquatesMediumfür denGe-danken.Aristotelessagt:»Vondenen,welchemy-thischphilosophieren,ist esnichtderMühewert,ernstlichzuhandeln«;esist diesnichtdieForm,inwelcherderGedankesichvortragenläßt, - nureineuntergeordneteWeise.

EsschließtsichhieraneineverwandteWeisean,allgemeinenInhaltdarzustellen:in Zahlen,Linien,geometrischenFiguren.siesindbildlich, abernichtkonkretbildlich wie dieMythen.Sokannmansagen,

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dieEwigkeit seieinKreis, - dieSchlange,diesichindenSchwanzbeißt;esist einBild. DerGeistbedarfabersolchesSymbolsnicht;erhatdieSprache.EssindVölker, diesichandieseDarstellungsweisege-halten;abermit solchenFormengehtesnichtweit.Die abstraktestenBestimmungenkannmanin diesemElementeausdrücken,aberweitergibt esVerwirrung.Wie ebendieFreimaurerSymbolehaben,die für tiefeWeisheitgelten - tief, wie maneinenBrunnentiefnennt,dessenBodenmannichtsehenkann -, sokommtleichtdenMenschendastief vor, wasverbor-genist; dahintersteckeTiefes.Wennesverstecktist,soist auchderFall möglich,daßnichtsdahinterist -sobeidenFreimaurerndasganzVerborgene(d.h.vielenauchinnerhalbundaußerhalb) -, daßnichtsdahinterist, siewederbesondereWeisheitnochWis-senschafthaben.DerGedankeist vielmehrebendies,sichzumanifestieren, - diesseineNatur,dieserselbst:klar zusein.Manifestierenist nichtgleichsameinZustand,derseinundauchnichtseinkann,sodaßderGedankenochGedankebliebe,wennernichtma-nifestiertwäre;sondernManifestierenist selbstseinSein.

Zahlen,wie beidenPythagoreernbemerktwerdenwird, sindunpassendeMedien,denGedankenzufas-sen:sodiemonas,dyas,trias beimPythagoras.Monasist Einheit,dyasUnterschied,trias soll die

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EinheitderEinheitundZweiheitsein;3=1+2,aberdasist schonschlechteVerbindung.Die beidenEr-stenkommendurchAddition zusammen;dasist dieschlechtesteFormderEinheit.Die Drei erscheintauftiefereWeisein derReligionalsDreieinigkeit,in derPhilosophiealsBegriff. Zählenist aberschlechteMa-nier.

MansprichtauchvonderPhilosophiederChine-sen,desFohi;bei ihnenfindetmanesauch,daßsiedurchZahlendieGedankendarstellen.DochhabendieChinesenihreSymboleaucherklärt, - also[ist]dieBestimmungheraus.Die allgemeineneinfachenAbstraktionenhabenallenVölkern,diezueinigerBildunggekommen,vorgeschwebt.

Esist nochzweitenszubemerken,daßin derReli-gionalssolcherundweiterauchin derPoesieGedan-kenenthaltensind.Die Religion,nichtbloßin WeisederKunstdargestellt,enthältwirkliche Gedanken,Philosopheme.In derPoesie(esist diesdieKunst,diedieSprachezumElementehat)wird auchdazuüber-gegangen,denGedankenauszusprechen,wie wir inDichternauchtiefe,allgemeineGedankenfinden.All-gemeineGedankenüberdasWesentlichefindensichüberall.In derindischenReligionbesonderswerdenausdrücklichallgemeineGedankenausgesprochen.Mansagtdaher,solcheVölker habenaucheigentlichePhilosophiegehabt.Wir treffenin indischenBüchern

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allerdingsinteressante,allgemeineGedanken;dieseGedankenschränkensichaufdasAbstraktesteein:aufdieVorstellungvonEntstehenundUntergehen,voneinemKreislaufdarin.Soist dasBild desPhönixbekannt;esist ausdemMorgenlandeüberhauptge-kommen.Sofindenwir beidenAlten GedankenüberLebenundSterben,ÜbergangdesSeinsinsVerge-hen:ausLebenkommeTod,ausTodLeben;im Sein,PositivenseiselbstschondasNegativeenthalten.DasNegativesoll ebensoselbstschonin sichdasPositiveenthalten;alleVeränderung,ProzeßderLebendigkeitbestehedarin.SolcheGedankenkommenabernurge-legentlichvor, für eigentlichePhilosophemeist diesnichtzunehmen.SondernPhilosophieist nurdannvorhanden,wennderGedankealssolcherzurGrund-lage,zumAbsoluten,zurWurzelallesübrigenge-machtwird; dasist in solchenDarstellungennichtderFall.

Die PhilosophiehatnichtGedankenüberetwas,einenGegenstand,derschonvorheralsSubstratzu-grundeliegt. Der Inhalt ist selbstschonGedanke,derallgemeineGedanke,derschlechthindasErsteseinsoll; dasAbsolutein derPhilosophiemußalsGedan-kesein.In dergriechischenReligionfindenwir ewigeNotwendigkeit;dasist absolutes,schlechthinallge-meinesVerhältnis,Gedankenbestimmung.DieserGe-dankehatabernebenihm nochSubjekte,erdrückt

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nureinVerhältnisaus;dieNotwendigkeitgilt nichtalsdaswahrhaft,allumfassendeSeinselbst.AlsoauchdieseWeisehabenwir nichtzubetrachten.WirkönntensovoneinerPhilosophiedesEuripides,Schillers,Goethessprechen.AberallesolcheGedan-ken - allgemeineVorstellungsweisenüberdasWahr-hafte,dieBestimmungdesMenschen,dasMoralischeusf. - sindteilsnurbeiläufigaufgestellt,teilshatdiesnichtdieeigentümlicheFormdesGedankensgewon-nenundso,daßdies,wassoausgesprochenist, dasLetztesei,dieabsoluteGrundlageausmache.Bei denIndernläuft allesdurcheinander,wassichaufdenGe-dankenbezieht.

DrittensgehtunsauchdiePhilosophienichtsan,diewir innerhalbeinerReligionfinden.AuchbeidenKirchenväternundScholastikern,nichtnur in derin-dischenReligion,findenwir tiefespekulativeGedan-kenüberdieNaturGottesselbst.In derGeschichtederDogmatikist esvonwesentlichemInteresse,sol-cheGedankenkennenzulernen,aberin dieGeschichtederPhilosophiegehörensienicht.Von denScholasti-kernmußindessenmehrNotiz genommenwerdenalsvondenKirchenvätern.DiesewarenzwargroßePhi-losophen,denendieAusbildungdesChristentumsviel zuverdankenhat.IhrespekulativenGedankengehörenabereinesteilsanderenPhilosophienan,dieinsofernfür sichzubetrachtensind,soplatonische

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Gedanken;andernteilskommendiespekulativenGe-dankenvomspekulativenInhaltderReligionselbsther,deralsLehrederKirchefür sichzugrundeliegtundzunächstdemGlaubenangehört.DieseGedankenberuhenalsoaufeinerVoraussetzung.SiesindnichtsowohleigentlichePhilosophie,d. i. Gedanke,deraufsichselbststeht,sondernsindzumBehufedieseralsfestschonvorausgesetztenVorstellungtätig - seieszurWiderlegungandererVorstellungenundPhiloso-pheme,oderauch,umgegensiedieeigenereligiöseLehrephilosophischzuverteidigen -, sodaßderGe-dankesichnichtalsdasLetzte,dieabsoluteSpitzedesInhalts,alsderinnerlichsichbestimmendeGe-dankeerkenntunddarstellt.Der Inhaltgilt schonfürsichalswahr,ruhtnichtaufdemGedanken.DerVer-standfaßtnichtdieWahrheitenderReligion;wennersichVernunftnennt(alsAufklärung)undsichalsHerrnundMeistererkannte,soirrte er.Der InhaltderchristlichenReligionkannnuraufspekulativeWeisegefaßtwerden.WenndieKirchenväteralsoinnerhalbderLehrederKirchegedachthaben,sosinddieGe-dankensehrspekulativ;aber !derInhalt ist nichtdurchdasDenkenalssolchesgerechtfertigt. Die letz-teRechtfertigungdiesesInhaltswardieLehrederKirche.Hier findetsichdiePhilosophieinnerhalbeinesfestenLehrbegriffs;esist nichtdasDenken,wasfrei vonsichausgeht.SoauchbeidenScholastikern

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konstruiertsichderGedankenichtaussich,erbeziehtsichaufVoraussetzungen.Bei denScholastikernbe-ruhtedasDenkenschonmehraufsich,abernicht imGegensatzzurLehrederKirche.Beidessolltekon-kordierenundkonkordierteauch;aberderGedankesollteaussichbeweisen,wasdieKircheschonbe-wahrheitethatte.

Wir scheidensoab,wasverwandtmit derPhiloso-phieist. Dannhabenwir zugleichaufdieMomenteindiesemVerwandtenaufmerksamgemacht,welchezumBegriff derPhilosophiegehören,aberzumTeilgetrennt.Undsokönnenwir darausdenBegriff derPhilosophieerkennen.

c. AbscheidungderPhilosophievonderPopulärphilosophie

Von denzweimit derPhilosophieverwandtenSphärenhattedieeine(diebesonderenWissenschaf-ten),umzurPhilosophiegezähltzuwerden,für unsdenMangelgehabtdaßsie,alsSelbstsehen,Selbst-denkenim endlichenStoffeversenkt,alsRegsamkeit,dasEndlichezuerkennen,nichtdenInhalt,nurdasformelle,subjektiveMoment, - diezweiteSphäre,dieReligion,daßsienurdenInhalt,dasobjektiveMo-mentmit derPhilosophiegemeinhatte,das

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SelbstdenkennichtwesentlichesMoment,sondernderGegenstandin bildlicherFormodergeschichtlichist.Die PhilosophiefordertdieEinheit,DurchdringungbeiderMomente;sievereinigtdiesebeidenSeitenineins:denSonntagdesLebens,wo derMenschdemü-tig aufsichselbstverzichtet,unddenWerktag,woderMenschaufseinenBeinenstehtHerr ist undnachseinenInteressenhandelt.Ein DrittesscheintbeideMomentezuvereinen;dasist diePopularphiloso-phie. Siehatesmit allgemeinenGegenständenzutun,philosophiertüberGottundWelt; unddannist dasDenkenauchtätig,solcheGegenständezuerkennen.DochauchdiesePhilosophiemüssenwir nochaufdieSeitestellen.Die SchriftendesCicerokönnenhierhergerechnetwerden.Esist einPhilosophieren,dasseineStellehat,eswird Vortrefflichesgesagt.Er hatvielfa-cheErfahrungendesLebensgemachtundseinesGe-mütes,daraussichdasWahrhaftegenommen,nach-demergesehen,wie eszugehtin derWelt. Mit gebil-detemGeistedrücktersichüberdiegrößtenAngele-genheitendesMenschenaus;erwird sosehrbeliebtsein.Schwärmer,MystikerwerdennacheineranderenSeitehierhergerechnetwerdenkönnen.Ihre tiefeAn-dachtsprechensieaus,habenhier in denhöherenRe-gionenErfahrungengemacht;denhöchstenInhaltwerdensieausdrückenkönnen,dieDarstellungwirdanziehendsein.SodieSchrifteneinesPascal;in

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seinenPenséesfindensichdie tiefstenBlicke.DieserPhilosophieklebtabernocheinMangelin

AnsehungderPhilosophiean.DasLetzte,woranap-pelliertwird (wie auchin neuerenZeiten),ist, daßdenMenschendiesvonNatureingepflanztsei.Damit istCicerosehrfreigebig.Jetztwird vomMoralinstinktgeredet,mannenntesaberGefühl.Sosoll jetztdieReligionnichtaufObjektivemberuhen,sondernaufreligiösemGefühl;dasunmittelbareBewußtseindesMenschenvonGottseiderletzteGrundCiceroge-brauchthäufigdenconsensusgentium; dieseBeru-fungwird in derneuerenManiermehroderwenigerweggelassen,dadasSubjektaufsichberuhensoll.Die Empfindungwird zuerstin Anspruchgenommen,dannkommenGründe,Räsonnementdarüber;diesekönnenaberselbstnuranUnmittelbaresappellieren.Selbstdenkenwird hier freilich gefordert,auchderIn-halt ist ausdemSelbstgeschöpft;aberwir müssendieseWeisegleichfallsausderPhilosophieausschlie-ßen.DenndieQuelle,worausderInhaltgeschöpftwird, ist vongleicherArt wie bei jenenerstenSphä-ren.Bei dererstenist dieQuelledieNatur;beiderzweitenderGeist,dieQuelleist aberAutorität,derInhaltgegeben,dieAndachthebtnurmomentandieseÄußerlichkeitauf.Die Quelleist Herz,Triebe,Anla-gen,unsernatürlichesSein,meinGefühlfür Recht,vonGott.Der Inhalt ist in Gestalt,welchenureine

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natürlicheist. Im Gefühlhabeich alles,aberauchinderMythologieist aller Inhalt; in beidenist erabernicht in wahrhafterWeise.Die Gesetze,dieLehrenderReligionsinddas,wo dieserInhaltaufeinebe-stimmtereWeisezumBewußtseinkommt;im Gefühleist dieWillkür desSubjektivennochdemInhaltbei-gemischt.

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3. Anfang der Philosophieund ihrer Geschichte

In derPhilosophieist derGedanke,dasAllgemeinealsInhalt,derallesSeinist. DieserallgemeineInhaltmußbestimmtwerden;eswird sichzeigen,wie dieBestimmungenandiesemInhaltnachundnachin derGeschichtederPhilosophiehervortreten.Zuerstwer-dendieseBestimmungenunmittelbaresein,weitermußdasAllgemeinealsdassichselbstunendlichBe-stimmendeaufgefaßtwerden.Indemwir denBegriffderPhilosophiesobestimmthaben,sofragtsich,wofängtdiePhilosophieundihreGeschichtean.

a. Die FreiheitdesDenkensalsBedingungdesAnfangs

Die allgemeineAntwort ist nachdemGesagten:dafängtdiePhilosophiean,wo dasAllgemeinealsdasallumfassendeSeiendeaufgefaßtwird oderwo dasSeiendein einerallgemeinenWeisegefaßtwird, wodasDenkendesDenkenshervortritt.Wo ist nundiesgeschehen?Wo hatdiesbegonnen?Dasist dasHisto-rischederFrage.DasDenkenmußfür sichsein,inseinerFreiheitzurExistenzkommen,sichvomNatür-lichenlosreißenundausdemVersenktseinin die

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Anschauungheraustreten.DasDenkenmußalsfreiesin sichgehen;esist damitBewußtseinderFreiheitge-setzt.DereigentlicheAnfangderPhilosophieist dazumachen,wo dasAbsolutenichtalsVorstellungmehrist, sondernderfreieGedankenichtbloßdasAbsolutedenkt,[sondern]die Ideedesselbenerfaßt:d.h.dasSein(wasauchderGedankeselbstseinkann),welcheseralsdasWesenderDingeerkennt,alsdieabsoluteTotalitätunddasimmanenteWesenvonAllem, - hiermit,wennesauchsonstalseinäu-ßeresSeinwäre,esdochalsGedankenerfaßt.Soistdaseinfache,unsinnlicheWesen,welchesdieJudenalsGottgedachthaben(alleReligionist Denken),nichteinGegenstandderPhilosophie,sondernz.B.dieSätze:dasWesenoderPrinzipderDingeist dasWasser,oderdasFeuer,oderderGedanke.

DieseallgemeineBestimmung,dasDenken,dassichselbstsetzt,ist abstrakteBestimmtheit.SieistderAnfangderPhilosophie;dieserist zugleicheinGeschichtliches,diekonkreteGestalteinesVolkes,derenPrinzipdiesausmacht,waswir gesagthaben.Ein Volk, dasdiesesBewußtseinderFreiheithat,gründetseinDaseinaufdiesesPrinzip.Die Gesetzge-bung,derganzeZustanddesVolkeshatseinenGrundallein im Begriffe,denderGeistsichvonsichmacht,in denKategorien,dieerhat.Sagenwir, zumHervor-tretenderPhilosophiegehörtBewußtseinderFreiheit,

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somußdemVolke, wo Philosophiebeginnt,diesPrinzipzugrundeliegen;nachderpraktischenSeitehängtdamitzusammen,daßwirkliche Freiheit,politi-scheFreiheitaufblühe.Diesebeginntnurda,wo dasIndividuumfür sichalsIndividuumsichweiß,alsAllgemeines,alsWesentliches,welchesalsIndividu-umeinenunendlichenWerthat,oderwo dasSubjektdasBewußtseinderPersönlichkeiterlangthat,alsoschlechthinfür sichgeltenwill. Darin ist dasfreieDenkendesGegenstandesenthalten - desabsoluten,desallgemeinen,wesentlichenGegenstandes.Denkenheißt,etwasin dieFormderAllgemeinheitbringen;sichdenkenheißt,sichin sichalsAllgemeineswis-sen,sichdieBestimmungdesAllgemeinengeben,sichaufsichbeziehen.Darin ist dasElementderpraktischenFreiheitenthalten.DasphilosophischeDenkenhatsogleichdiesenZusammenhang,daßderGedankealsDenkeneinenallgemeinenGegenstandvor sichhat,daßerdasAllgemeinezuseinemGegen-standemachtoderdasGegenständlichesichalsdasAllgemeinebestimmt.Die EinzelheitdernatürlichenDinge,die im sinnlichenBewußtseinsind,bestimmteralseinAllgemeines,alseinenGedanken,alseinenobjektivenGedanken, - dasObjektive,aberalsGe-danken.Zweitensgehörtdazu,daßich diesAllge-meinejetzterkenne,bestimme,weiß.Ein wissendes,erkennendesVerhältniszudemAllgemeinentritt nur

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ein, insofernich michfür michhalte,erhalte.InsoferndasGegenständlichemir gegenüberalsGegenständli-chesbleibtundich eszugleichdenke,soist esdasMeinige;undobgleichesmeinDenkenist, sogilt esmir dochalsdasabsolutAllgemeine;ich habemichdarin,bin in diesemObjektiven,Unendlichenerhal-ten,habeBewußtseindarüberundbleibeaufdemStandpunktderGegenständlichkeitstehen.

Diesist derallgemeineZusammenhangderpoliti-schenFreiheitmit demHervortretenderFreiheitdesGedankens.In derGeschichtetritt daherdiePhiloso-phienurdaauf,wo undinsofernfreieVerfassungensichbilden.DerGeistmußsichtrennenvonseinemnatürlichenWollen,Versenktseinin denStoff.DieGestalt,mit derderWeltgeistanfängt,diederStufejenerTrennungvorausgeht,ist dieStufederEinheitdesGeistesmit derNatur,welche,alsunmittelbar,nichtdasWahrhafteist. Dasist dasorientalischeWesenüberhaupt.Die Philosophiebeginntin dergriechischenWelt.

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b. AbscheidendesOrientsundseinerPhilosophie

ÜberdieersteGestaltsindeinigeErläuterungenzugeben.DerGeistist Bewußtsein,Wollendes,Begeh-rendes.StehtdasSelbstbewußtseinaufdiesererstenStufe,soist derKreisseinesVorstellens,Wollenseinendlicher.Dahieralsodie Intelligenzendlichist, soist jeneEinheitdesGeistesundderNaturnichtdervollkommeneZustand.Die ZweckesindnochnichteinAllgemeinesfür sich.Will ich dasRecht,dasSitt-liche,sowill ich einAllgemeines;derCharakterdesAllgemeinenmußzugrundeliegen.HateinVolk Ge-setzedesRechts,soist dasAllgemeineGegenstand;diessetztErstarkendesGeistesvoraus.Will derWille Allgemeines,sofängteran,frei zusein.DasallgemeineWollenenthältBeziehungendesDenkensaufdasDenken(dasAllgemeine);soist dasDenkenbeisichselbst.DasVolk will dieFreiheit,esordnetseineBegierdendemGesetzeunter;vorherist dasGe-wollte nureinBesonderes.Die EndlichkeitdesWil-lensist CharakterderOrientalen;derWille will sichalsoalsendlicher,hatsichnochnichtalsallgemeinergefaßt.Sogibt esnur [den]StanddesHerrnundKnechts,esist [die] SphäredesDespotismus.DieFurchtist die regierendeKategorieüberhaupt.DerWille ist nicht frei vondiesemEndlichen,denndas

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Denkenist nochnicht frei für sich;erkannalsoandiesemEndlichengefaßtwerden,dasEndlichekannnegativgesetztwerden.DiesesGefühlderNegation -daßetwasnichtaushaltenkönne - ist dieFurcht;dieFreiheitist, nicht im Endlichenzusein,sondernimFürsichsein;dieseskannnichtangegriffenwerden.DerMenschstehtin derFurcht,odererbeherrschtdieMenschendurchdieFurcht;beidestehenaufeinerStufe.DerUnterschiedist nurdiegrößereEnergiedesWillens,diedahingehenkann,allesEndlichefüreinenbesonderenZweckaufzuopfern.

Die ReligionhatnotwendigdenselbenCharakter;dasHauptmomentist dieFurchtdesHerrn,überdienichthinausgegangen.»DieFurchtdesHerrnist derAnfangderWeisheit«.Dasist richtig; derMenschmußdamitangefangenhaben, - dieendlichenZweckein derBestimmungdesNegativengewußthaben.DerMenschmußaberdieFurchtüberwundenhabendurchAufgebungderendlichenZwecke.InsoferndieReligionBefriedigunggewährt,ist dieseselbstimEndlichenbefangen.Die HauptweisederVersöhnungsindNaturgestaltungen,diepersonifiziertundverehrtwerden.ÜberdenNaturinhalterhebtsichdasBe-wußtseinzueinemUnendlichen;dieHauptbestim-mungist danndieFurchtvor derMacht,gegendiesichdasIndividuumnuralsAkzidentellesweiß.DieseAbhängigkeitkannzweiGestaltenannehmen,

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ja mußvoneinemExtremzumanderenübergehen.DiesesEndliche,welchesfür dasBewußtseinist,kanndieGestalthabendesEndlichenalsEndlichenoderzumUnendlichenwerden,welchesabernureinAbstraktumist. Von derPassivitätdesWillens,Skla-vereiwird so(im Praktischen)zurEnergiedesWil-lensübergegangen,dieabernurWillkür ist. Ebensofindenwir in derReligiondasVersinkenin die tiefsteSinnlichkeitselbstalsGottesdienstunddanndieFluchtzur leerstenAbstraktionalsdemUnendlichen.Die Erhabenheit,allemzuentsagen,kommtbeidenOrientalenvor, vorzüglichbeidenIndern;siepeini-gensich,gehenin die innersteAbstraktionüber.SosehenInderzehnJahrelangdieSpitzeihrerNasean,werdenvondenUmstehendengenährt,sindohnewei-terengeistigenInhalt; siesindnurdiewissendeAb-straktion,derenInhaltsomiteinganzendlicherist.Diesist alsonichtderBodenderFreiheit.DerDespotvollführt seineEinfälle,auchwohl dasGute,abernichtalsGesetz,sondernalsseineWillkür.

DerGeistgehtwohl im Orientauf,aberdasVer-hältnisist nocheinsolches,daßdasSubjektnichtalsPersonist, sondernim objektivenSubstantiellen(wel-chesteilsübersinnlich,teilsauchwohl mehrmateriellvorgestelltwird) alsnegativunduntergehender-scheint.DasHöchste,zudemdie Individualitätkom-menkann,dieewigeSeligkeit,wird vorgestelltalsein

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Versenktseinin dieSubstanz,einVergehendesBe-wußtseinsundsodesUnterschiedeszwischenSub-stanzundIndividualität,mithin Vernichtung.Esfin-detmithin eingeistlosesVerhältnisstatt,insoferndasHöchstedesVerhältnissesdieBewußtlosigkeitist.GegendieseSubstanznunexistiertderMensch,findetsichalsIndividuum, - dieSubstanzist aberdasAll-gemeine,dasIndividuumdasEinzelne;insoferndaherderMenschjeneSeligkeitnichterlangthat,vonderSubstanzverschiedenist, ist erausderEinheitheraus,hatkeinenWert, ist nuralsdasAkzidentelle,Recht-lose,nurEndliche.Er findetsichalsdurchdieNaturbestimmt,z.B. in denKasten;derWille ist hiernichtsubstantiellerWille, er ist Willkür, deräußerenundinnerenZufälligkeit hingegeben, - dasAffirmative istnurdieSubstanz.

Esist damitEdelmut,Größe,ErhabenheitdesCha-rakterszwarnichtausgeschlossen,abernuralsNatur-bestimmtheitoderWillkür vorhanden,nichtalsdieobjektivenBestimmungenderSittlichkeit,Gesetzlich-keit, dievonallenzurespektierensind,für allegeltenundworin ebendamitalleanerkanntsind.Dasorien-talischeSubjekthatsodenVorzugderUnabhängig-keit. Nichtsist fest.SounbestimmtdieSubstanzderOrientalenist, sounbestimmt,frei, unabhängigkannauchderCharaktersein.Wasfür unsRechtlichkeit,Sittlichkeit, ist dort im Staateauch - auf

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substantielle,natürliche,patriarchalischeWeise,nichtin subjektiverFreiheit.EsexistiertnichtdasGewis-sen,nichtdieMoral; esist nurNaturordnung,diemitdemSchlechtestenauchdenhöchstenAdel bestehenläßt.

Die Folgedavonist, daßhierkeinphilosophischesErkennenstattfindenkann.DazugehörtdasWissenvonderSubstanz,demAllgemeinen,dasgegenständ-lich ist, das,sofernich esdenkeundentwickle,gegen-ständlichfür sichbleibt; sodaßin demSubstantiellenich zugleichmeineBestimmunghabe,darinaffirmativerhaltenbin; sodaßesnichtnurmeinesubjektivenBestimmungen,Gedanken(mithin Meinungen)sind,sonderndaßebenso,alsesmeineGedankensind,esGedankendesObjektiven,substantielleGedankensind.

DasOrientalischeist soausderGeschichtederPhilosophieauszuschließen;im ganzenaberwill ichdochdavoneinigeNotizengeben,besondersüberdasIndischeundChinesische.Ich habediessonstüber-gangen;dennmanist erstseiteinigerZeit in denStandgesetzt,darüberzuurteilen.ManhatfrühergroßesAufsehenvonderindischenWeisheitgemacht,ohnezuwissen,wasdaranist; erstjetztweißmandies,undesfällt natürlichdemallgemeinenCharaktergemäßaus.

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c. BeginnderPhilosophiein Griechenland

Die eigentlichePhilosophiebeginntim Okzident.Erstim AbendlandegehtdieseFreiheitdesSelbstbe-wußtseinsauf,dasnatürlicheBewußtseinin sichunterunddamitderGeistin sichnieder.Im GlanzedesMorgenlandesverschwindetdasIndividuumnur;dasLicht wird im AbendlandeerstzumBlitze desGedankens,derin sichselbsteinschlägtundvondaaussichseineWelt erschafft.Die SeligkeitdesOkzi-dentsist dahersobestimmt,daßdarindasSubjektalssolchesausdaureundim Substantiellenbeharre.DereinzelneGeisterfaßtseinSeinalsAllgemeines;dieAllgemeinheitist dieseBeziehungaufsich.DiesBei-sichsein,diesePersönlichkeitundUnendlichkeitdesIch machtdasSeindesGeistesaus;soist er,underkannnunnichtanderssein.Esist dasSeineinesVol-kes,daßessichalsfrei weißundnuralsAllgemeinesist, - diesdasPrinzipseinesganzensittlichenundübrigenLebens.Dashabenwir aneinemeinzelnenBeispieleleicht.Wir wissenunserwesentlichesSeinnursodaßdiepersönlicheFreiheitGrundbedingungist. WärediebloßeWillkür desFürstenGesetzunderwollte Sklavereieinführen,sohättenwir dasBewußt-sein,daßdiesnichtginge.Jederweiß,erkannkeinSklavesein.Schläfrigsein,leben,Beamtesein - das

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ist nichtunserwesentlichesSein,wohl aber:keinSklavezusein.DashatdieBedeutungeinesNatur-seinserhalten.Sosindwir im OkzidentaufdemBodendereigentlichenPhilosophie.

Indemich im TriebeabhängigvoneinemAnderenbin, meinSeinin eineBesonderheitlege,sobin ich,wie ich existiere,mir ungleich;dennich bin Ich, dasganzAllgemeine,aberin einerLeidenschaftbefangen.Diesist Willkür, formelleFreiheit,diedenTriebzumInhalthat.DenZweckdeswahrhaftenWillens,dasGute,Rechte,wo ich frei, Allgemeinesbin unddieanderenauchfrei, auchIch, mir gleichsind,alsoVer-hältnisvonFreienzuFreien,unddamitwesentlicheGesetze,BestimmungendesallgemeinenWillens,rechtlicheVerfassunggesetztist, - dieseFreiheitfin-denwir erstim griechischenVolke. DaherfängthierdiePhilosophiean.

In Griechenlandsehenwir die realeFreiheitaufblü-hen,aberzugleichnochin einerbestimmtenForm,mit einerEinschränkungbehaftet,daesnochSklavengabunddieStaatendurchdieSklavereibedingtwaren.Die Freiheitim Orient,GriechenlandunddergermanischenWelt könnenwir in folgendenAbstrak-tionenzunächstoberflächlichbestimmen:Im Orientist nureinEinzigerfrei (derDespot),in GriechenlandsindEinigefrei, im germanischenLebengilt derSatz,essindAlle frei, d.h.derMenschalsMenschist frei.

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DaaberderEinzigeim Orientnicht frei seinkann,weil dazugehört,daßihm dieanderenauchfreiwären,sofindetdortnurBegierde,Willkür, formelleFreiheit,abstrakteGleichheitdesSelbstbewußtseins,Ich = Ich statt.Indemin GriechenlandderpartikuläreSatzvorhandenist, sosinddieAthener,dieSpartanerfrei, abernichtdieMessenierundHeloten.Esist zusehen,worin derGrunddieses»Einige«liegt. DiesesenthältbesondereModifikationendergriechischenAnschauung,welchewir zubetrachtenhabenin Be-ziehungaufdieGeschichtederPhilosophie.Indemwir dieseUnterschiedebetrachten,soheißtdiesnichtsanderes,alsdaßwir zurEinteilungderGeschichtederPhilosophieübergehen.

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C.Einteilung,Quellen,AbhandlungsweisederGeschichtederPhilosophie

1. Einteilung

Indemwir wissenschaftlichzuWerkegehen,mußdieseEinteilungselbstsichalsnotwendigdarstellen.Im allgemeinenhabenwir eigentlichnurzweiEpo-chenderGeschichtederPhilosophiezuunterscheiden,diegriechischeundgermanischePhilosophie,wie an-tike undmoderneKunst.Die germanischePhiloso-phieist diePhilosophieinnerhalbdesChristentums,insofernesdengermanischenNationenangehört.Diechristlich-europäischenVölker haben,insofernsiederWelt derWissenschaftangehören,in ihrerGesamtheitgermanischeBildung;dennItalien,Spanien,Frank-reich,Englandusw.habendurchdiegermanischenNationeneineneueGestalterhalten.DasGriechentumreichtauchin dierömischeWelt hinein,undwirhabenvonderPhilosophieaufdemBodenderrömi-schenWelt zusprechen;aberdieRömerhabenkeineeigentümlichePhilosophiehervorgebracht,sowenigalssieeigentümlicheDichterhaben.Siehabennurempfangen,nachgeahmt,oft geistreich.SelbstihreReligionkommtvondergriechischenher;dieEigen-tümlichkeitderrömischenReligionmachtkeineGeschichte der Philosophie

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AnnäherungandiePhilosophieundKunst,sondernist unphilosophischerundunkünstlerischer.WennnunderAusgangspunktderGeschichtederPhiloso-phiesoausgedrücktwerdenkann,daßGottalsdieunmittelbare,nochnichtentwickelteAllgemeinheitgefaßtwird undihr Ziel (dasZiel unsererZeit) ist,daßdasAbsolutealsGeistzu fassenist durchdiedritthalbtausendjährigeArbeit desinsofernträgenWeltgeistes,somachtessichfür unsleicht,voneinerBestimmungzuranderenfortzugehen,durchAufzei-gungdesMangels;im VerlaufderGeschichteist diesaberschwierig.

Die näherenBestimmungenjenerbeidenHauptge-gensätzesindanzugeben.Die griechischeWelt hatdenGedankenbiszur Ideeentwickelt,diechrist-lich-germanischeWelt hatdagegendenGedankenalsGeistgefaßt;IdeeundGeistsinddieUnterschiede.DasNäherediesesFortgangsist folgendes.IndemdasnochunbestimmteundunmittelbareAllgemeine(Gott),dasSein,derobjektiveGedanke,welcheralseifrig nichtsnebensichbestehenläßt,diesubstanti-elleGrundlageallerPhilosophieist, diesichnichtverändert,sondernnur tiefer in sichgehtunddurchdieseEntwicklungderBestimmungensichmanife-stiert,zumBewußtseinbringt,sokönnenwir denbe-sonderenCharakterderEntwicklungin dererstenPe-riodederPhilosophiesobezeichnen,daßdies

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EntwickelnunbefangenesHervorgehenderBestim-mungen,Figurationen,abstraktenQualitätenausdemeinfachenGrundeist, deransichschonallesenthält.

Die zweiteStufeaufdieserallgemeinenGrundlageist dasZusammenfassendiesersoherausgesetztenBe-stimmungenin ideelle,konkreteEinheit,in WeisederSubjektivität.JeneerstenBestimmungenwarennäm-lich Abstraktionen,jetztwird dasAbsolute,alsdassichselbstbestimmendeAllgemeine,alsdertätigeGedanke,nichtalsdasAllgemeinein dieserBe-stimmtheitgefaßt.Soist esalsTotalitätderBe-stimmtheiten,alskonkreteEinzelheitbestimmt.Esfängtmit demnousdesAnaxagoras,nochmehrbeiSokrates,einesubjektiveTotalitätan,in derdasDen-kensicherfaßt,wo diedenkendeTätigkeitdieGrund-lageist.

DasDritte ist dann,daßdiesezunächstabstrakteTotalität,indemsiedurchdentätigen,bestimmenden,unterscheidendenGedankenrealisiertwird, selbstsichin ihreunterschiedenenBestimmungensetzt,diealsideelleihr angehören.DadieseBestimmungenunge-trenntin derEinheitenthaltensind,alsojedein ihrauchdieandereist, sowerdendieseentgegengesetz-tenMomenteselbstzuTotalitätenerhoben.Die ganzallgemeinenFormendesGegensatzessinddasAllge-meineunddasEinzelneoder,in andererForm,dasDenkenalssolchesunddieäußerlicheRealität,die

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Empfindung,dasWahrnehmen.DerBegriff ist dieIdentitätdesAllgemeinenundBesonderen.Diesebei-denwerdendannselbstalskonkretin sichgesetzt,sodaßdasAllgemeinein ihm selbstEinheitderAllge-meinheitundBesonderheitist, undebensodieBeson-derheit.Die Einheitist soin beidenFormengesetzt.DasganzkonkreteAllgemeineist nunderGeist,dasganzkonkreteEinzelnedieNatur.Die abstraktenMo-mentekönnennurdurchihreEinheitselbsterfülltwerden.Hier ist alsodieseingetreten,daßdieUnter-schiedejederselbstzueinemSystemederTotalitäterhobensind,diealsstoischeundepikureischePhilo-sophiesichgegenübertreten.Im Stoizismusent-wickelt sichdasreineDenkenzurTotalität.Wird dieandereSeitezumGeist,dasnatürlicheSein,dieEmp-findungzurTotalitätgemacht,sohabenwir Epiku-reismus.JedeBestimmungist zurTotalitätdesDen-kens,zueinemSystemderPhilosophieausgebildet.NachderWeisederUnbefangenheitdieserSphäreer-scheinendiesePrinzipienfür sichselbständigalszweiPhilosophien,die in Widerstreitmiteinanderkommen.An sichsindbeideidentisch,sienehmensichselbstaberalsdasEntgegengesetzte;unddie Ideeist auch,wie siegewußtist, in einereinseitigenBestimmtheit.

DasHöhereist danndieVereinigungdieserUnter-schiede.Dieskannin derVernichtunggeschehen,imSkeptizismus;dasHöhereist aberdasAffirmative,

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die Ideeim VerhältniszumBegriff. DerBegriff istdasAllgemeine,dassichin sichbestimmt,aberauchdarinin seinerEinheitbleibt, in derIdealitätundDurchsichtigkeitseinerBestimmungen,dienichtselb-ständigwerden.DasWeitereist dieRealitätdesBe-griffs, daßdieUnterschiedeselbstzuTotalitätenge-brachtwerden.Die vierteStufeist dieVereinigungderIdee,daßalledieseUnterschiedealsTotalitäten,dochzugleichin einekonkreteEinheitdesBegriffsverwischtsind.DiesesZusammenfassengeschiehtzu-erstselbstnuraufeineallgemeineWeisein diesemunbefangenenElementederAllgemeinheit;dasallge-meineIdealwird aufunbefangeneWeiseaufgefaßt.

Bis zudieserIdeeist diegriechischeWelt fortge-gangen.SiehateineidealeIntellektualweltausgebil-det,unddiesist diealexandrinischePhilosophie;damithatsichdiegriechischePhilosophievollführt,ihreBestimmungerreicht.Wennwir diesenFortgangbildlich darstellenwollen,soist A. dasDenkenα)überhauptabstrakt,wie derallgemeineRaum;sowirdderleereRaumoft für denabsolutenRaumgenom-men.β) DannerscheinendieeinfachstenRaumbe-stimmungen;wir fangenmit demPunktean,gehenzurLinie, Winkel über.γ) DasDritte ist ihreVerbin-dungzumDreieck;esist zwarkonkret,abernochindiesemabstraktenElementederFlächegehalten, -dieerstenochformelleTotalität,Begrenzung;es

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entsprichtdemnous. B. DasWeitereist, daß,indemwir jedederumschließendenLinien desDreiecksselbstwiederzurFlächewerdenlassen,siesichzurTotalitätdesDreiecks,zurganzenFigurausbildet,dersieangehört, -Realisierungin denSeitendesGanzen,wie Skeptizismus,Stoizismus.C. DasLetzteist, daßdieseFlächen,Seitendreiecke,sichzusammenzueinemKörper,zurTotalitätschließen.DerKörperist erstvollkommeneräumlicheBestimmung,dasistVerdoppelungdesDreiecks;insoferndasDreieckau-ßerhalbdesKörpersist, paßtdiesBeispielnicht.

DerSchlußdergriechischenPhilosophiein denNeuplatonikernist einvollendetesReichdesGedan-kens,derSeligkeit,eineansichseiendeWelt derIdeale,dieaberunwirklich ist, weil dasGanzenur imElementederAllgemeinheitüberhauptsteht.DieserWelt fehlt nochdieEinzelheitalssolche,dieeinwe-sentlichesMomentdesBegriffesist. Zur Wirklichkeitgehört,daßin derIdentitätderbeidenSeitenderIdeedieselbständigeTotalitätauchalsnegativgesetztwerde.Durchdiesefür sichseiendeNegation,welcheSubjektivität,absolutesFürsichseinist, wird die IdeeerstzumGeisterhoben.DerGeistist dieSubjektivi-tät,sichzuwissen;aberist nuralsGeist,indemerdas,wasihm Gegenstand - unddasist erselbst -, alsTotalitätweißundfür sichTotalitätist. D.h.diezweiDreiecke,dieobenunduntenamPrismasind,sollen

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nichtzweiseinalsverdoppelt,sondernsiesollenindurchdringenderEinheitsein; - odermit demKörperentstehtderUnterschiedzwischendemZentrumundderübrigenkörperlichenPeripherie.DieserGegen-satzderrealenKörperlichkeitgegendasZentrumalsdasEinfachetritt jetzthervor,unddieTotalitätist dieVereinigungdesZentrumsundderSubstantialität, -abernichtunbefangeneVereinigung,sonderndaßeswissendist gegendasObjektive,daßesdasSubjek-tive ist gegendasSubstantielle.Soist danndie IdeedieseTotalitätunddiesichwissendeIdeewesentlichunterschiedenvonderSubjektivität.Dieseist für sichsichsetzend,aberso,daßsiealssolchefür sichsub-stantiellgedachtwird. Sieist zuerstnur formell; abersieist die realeMöglichkeitdesSubstantiellen,desansichAllgemeinen,hatdieBestimmung,sichzureali-sieren,sichidentischzusetzenmit derSubstanz.DurchdieseSubjektivität,negativeEinheit,absoluteNegativitätist dasIdealnunnichtmehrnurunsGe-genstand,sondernsichselbstGegenstand.DiesPrin-zip ist in derchristlichenWelt aufgegangen.Im mo-dernenPrinzipwird sodasSubjektfür sichfrei, derMenschalsMenschfrei; aufdieseBestimmungbe-ziehtsichdieVorstellung,daßerdieunendlicheBe-stimmunghat,substantiellzuwerdendurchseineAn-lage,daßerGeistist. Gottwird alsGeistgewußt,dersichfür sichselbstverdoppelnddiesenUnterschied

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aberebensoaufhebt,für sich,beisichin demselbenist. DasGeschäftderWelt überhauptist, sichmitdemGeisteauszusöhnen,sichdarinzuerkennen.DiesGeschäftist dergermanischenWelt übertragen.

DerersteBeginndiesesGeschäftsist in derReligi-onvorhanden;sieist AnschauenundGlaubendiesesPrinzipsalseineswirklichenDaseins,eheeszurEr-kenntnisdiesesPrinzipsgekommenist. In derchristli-chenReligionliegt diesPrinzipmehralsGefühl,alsVorstellung;esliegt darin,daßderMenschalsMenschbestimmtist für dieewigeSeligkeit,einGe-genstanddergöttlichenGnade,Barmherzigkeit,desgöttlichenInteressesist, d.h.daßderMenschabsolutunendlichenWerthat.Näherliegt diesPrinzipdarin,daßim ChristentumdasdurchChristusdenMenschengeoffenbarteDogmavonderEinheitdergöttlichenundmenschlichenNaturenthaltenist: MenschundGott,dieobjektiveunddiesubjektiveIdeesindhiereins.In andererGestaltfindetsichdiesin deraltenErzählungvomSündenfall;dieSchlangehatdenMenschendanachnichtbetrogen,dennGottsagt:»Siehe,Adamist wordenwie unsereiner;erweiß,wasgutundböseist.«Um dieseEinheitdessubjektivenPrinzipsundderSubstantialitätist eszutun;esistderProzeßdesGeistes,daßdiesEinsdesSubjektssichseineunmittelbareWeiseabtueundsichhervor-bringealsidentischmit demSubstantiellen.Der

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ZweckdesMenschenist ausgesprochenalsdiehöch-steVollkommenheit.Wir sehenhieraus,daßdiereli-giösenVorstellungenunddieSpekulationnichtsoweit voneinanderentferntsind,alsmansonstwohlglaubt.Und ich führedieseVorstellungenan,damitwir unsihrernichtschämen,obgleichwir hineingehö-ren,und,wennwir darüberhinaussind,daßwir unse-rerVorelternderfrüherenchristlichenZeit unsnichtschämen,diesohoheAchtungfür dieseVorstellun-genhatten.

DasErsteist, daßzweiTotalitätensind, - eineVerdoppelungderSubstanz,dieabernundenCha-rakterhat,daßdiezweiTotalitätennichtmehrau-ßereinanderfallen,sondernschlechthinin ihrerBezie-hungaufeinandergefordertwerden.WennfrüherStoi-zismusundEpikureismusselbständigauftraten -derenNegativitätderSkeptizismuswar - undzuletztauchdieansichseiendeAllgemeinheitbeiderstattfand,sowerdenjetztdieseMomentealsunterschie-deneTotalitätengewußtundsollenin ihremGegen-satzealseinsgesetztwerden.Hier habenwir dieei-gentlichespekulativeIdee,denBegriff in seinenBe-stimmungen,derenjedezurTotalitätrealisiertundschlechthinaufeinanderbezogenist. Wir habenalsoeigentlichzwei Ideen:diesubjektiveIdeealsWissenunddanndiesubstantielle,konkreteIdee;unddieEntwicklung,AusbildungdiesesPrinzips,daßeszum

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BewußtseindesGedankenskommt,ist dasInteressedermodernenPhilosophie.DasinddenndieBestim-mungenkonkretererArt alsbeidenAlten. DieserGe-gensatz,zudemdieSeitenzugespitztsind,in seinerallgemeinstenBedeutungaufgefaßt,ist derGegensatzvonDenkenundSein,vonIndividualitätundSub-stantialität - daßim SubjektselbstseineFreiheitwie-derim KreisederNotwendigkeitstehe -, vonSubjektundObjekt,vonNaturundGeist,insoferndiesernämlich,alsendlicher,derNaturentgegengesetztist.Die Forderungist, daßihreEinheitin ihremGegen-satzegewußtwerde;dasist dieGrundlagederimChristentumaufgegangenenPhilosophie.

DasgriechischePhilosophierenist unbefangen,weil esaufdiesenGegensatzvonSeinundDenkennochnichtRücksichtnimmt,derselbenochnicht füresist. Eswird philosophiert,gedacht,durchdenGe-dankenräsoniert,sodaßim DenkendiebewußtloseVoraussetzungliegt, daßdasDenkenauchdasSeinsei.Mantrifft auchStufendergriechischenPhiloso-phie,dieaufdemselbenStandpunktwie christlichePhilosophienzustehenscheinen.Wir werdenbeidenGriechennichtnurdiesophistische,sondernauchdieneuakademischeundskeptischePhilosophiefinden,welchedieLehreüberhauptaufstellten,daßsichdasWahrenichterkennenlasse.Siekönntenalsodassel-bealsdieneuerenPhilosophienderSubjektivitätsein

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insofern,daßalleDenkbestimmungennursubjektiverArt seien,wodurchüberdieObjektivitätnochnichtentschiedenwürde.Esist aberwesentlicheinUnter-schiedvorhanden.In denaltenPhilosophien,diesag-ten,wir wissennurvonScheinendem,ist damitdasGanzegeschlossen;esliegt nicht im HintergrundenocheinAnsich,einJenseits,vonwelchemauchge-wußtwerde,abernichtaufbegreifende,erkennendeWeise.FürdasPraktischeüberhauptgabendieneueAkademieunddieSkeptikerzu,manmüssesichnachdemScheinendenrichten.DasScheinendeaberzurRegelundMaßstabim Lebenannehmenundhiernachrecht,sittlich, verständig(in derArzneikunstauchz.B.)handeln,ist nichteinWissenvonSeiendem;esist nurScheinendeszugrundegelegt.Eswird alsonichtzugleichdamitbehauptet,aucheinWissenvondemWahrenzusein.Die nursubjektivenIdealistenderneuerenZeit habennocheinanderesWissen - einWissen,welchesnichtdurchsDenken,denBegriffsei,einunmittelbaresWissen,Glauben,Schauen,SehnsuchtnacheinemJenseits(soJacobi).Die altenPhilosophenhabenkeinesolcheSehnsucht,sondernvielmehrvollkommeneBefriedigungundRuheinjenerGewißheit,daßnurScheinendesfür dasWissensei.Manmußin dieserRücksichtgenaudieStand-punktefesthalten,sonstfällt mandurchdieGleichheitderResultatedarein,in jenenaltenPhilosophienganz

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dieBestimmtheitdermodernenSubjektivitätzusehen.DabeiderUnbefangenheitdesaltenPhiloso-phierensdasScheinendeselbstdieganzeSphärewar,sowarendieZweifel amDenkengegendasObjektivenichtvorhanden.

Die neuereZeit hatalsTotalitätdenbestimmtenGegensatzunddiewesentlicheBeziehungbeiderSei-ten.Sohabenwir denGegensatzderVernunftunddesGlaubens,dereigenenEinsichtundderobjektivenWahrheit,dieohneeigeneVernunft,ja selbstmitHintansetzungundVerzichtleistungaufdieselbeauf-genommenwerdensoll, - desGlaubensim kirchli-chenSinneoderdesGlaubensim modernenSinne,d.i. einesVerwerfensderVernunftgegeneineinnereOffenbarung,unmittelbareGewißheit,Anschauung,Instinkt, in sichgefundenesGefühl.DiesWissen,dassicherstzuentwickelnhat,hatbesonderesInteresse,indemderGegensatzdesselbenunddesWissens,dassichin sichentwickelt,dadurchgebildetwird. In bei-denist gesetztdieEinheitdesDenkens,derSubjekti-vität, undderWahrheit,derObjektivität;nurdaßindererstenFormgesagtist, daßdernatürlicheMenschvomWahrenwisse,wie eresunmittelbarglaube,währendin derzweitenFormzwarauchdieEinheitdesWissensundderWahrheitist, zugleichaber,daßsichdasSubjekterhebtüberdieunmittelbareWeisedessinnlichenBewußtseinsunddieWahrheiterst

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durchDenkenerringt.DasZiel ist, dasAbsolutealsGeistzudenken,als

Allgemeines,dasalsdieunendlicheGütedesBegriffsin seinerRealitätseineBestimmungenfrei aussichentläßt,sichihnenganzeinbildetundmitteilt, sodaßsieselbstgleichgültigaußereinanderseinkönnenodergegeneinanderkämpfend;soaber,daßdieseTotalitä-tennureinssindundnichtnuransich(daswärenurunsereReflexion),sondernalsfür sichidentisch, -dieBestimmungenihresUnterschiedessindfür sichselbstnur ideelle.

Wir habenalsoim ganzenzweiPhilosophien:diegriechischeunddiegermanische.Bei derletztenmüs-senwir unterscheidendieZeit, wo diePhilosophieförmlich alsPhilosophiehervorgetretenist, unddiePeriodederBildungundVorbereitungfür diemoder-neZeit. Die germanischePhilosophiekönnenwir erstanfangen,wo siein eigentümlicherFormalsPhiloso-phiehervortritt.ZwischendieerstePeriodeunddieneuereZeit fällt alsMittelperiodejenesGäreneinerneuenPhilosophie,dassicheinerseitsin demsubstan-tiellenWesenhält,nichtzurFormgelangt,anderer-seitsdenGedankenalsbloßeFormeinervorausge-setztenWahrheitausbildet,biserwiedersichalsfrei-enGrundundQuellederWahrheiterkennt.Die Ge-schichtederPhilosophiezerfälltdaherin diedreiPe-rioden:dergriechischenPhilosophie,derPhilosophie

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dermittlerenZeit undderPhilosophiederneuerenZeit, derendieerstedurchdenGedankenüberhauptbestimmtist, diezweitein dasWesenunddie for-melleReflexionzerfällt, in derdrittenaberderBegriffzugrundeliegt. Diesist nichtsozuverstehen,alsobdieerstenurGedankenenthielte;sieenthältauchBe-griffe undIdeen,sowie die letzterevonabstraktenGedanken,abervomDualismusanfängt.

ErstePeriode: vonThalesZeiten(ungefähr600vor ChristiGeburt)biszurneuplatonischenPhiloso-phie(Plotin im drittenJahrhundert)undihrerweiterenFortsetzungundAusbildung(durchProklosim fünf-tenJahrhundert),bisallePhilosophieerlischt(diesePhilosophieist späterinsChristentumhineingetreten;vielePhilosophieninnerhalbdesChristentumshabennurneuplatonischePhilosophiezurGrundlage) - einZeitraumvonum1000Jahre,dessenEndemit derVölkerwanderungunddemUntergangdesRömischenReichszusammenfällt.

ZweitePeriode: diedesMittelalters;hierhergehö-rendieScholastiker,geschichtlichsindauchAraberundJudenzuerwähnen;abervornehmlichfällt diesePhilosophieinnerhalbderchristlichenKirche - einZeitraumvonetwasüber1000Jahren.

Dritte Periode: diePhilosophiederneuenZeit, fürsichhervorgetretenerstseitderZeit desDreißigjähri-genKriegesmit Bacon,JakobBöhmeundCartesius

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(dieserfängtmit demUnterschiedean:cogitoergosum) - einZeitraumvoneinpaarJahrhunderten;diesePhilosophieist sonochetwasNeues.

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2. Quellen

Die QuellensindhierandererArt alsin derpoliti-schenGeschichte.Dort sinddieGeschichtsschreiberdieQuellen,welchewiederdieTatenundRedenderIndividuenselbstzu ihrenQuellenhaben;dienichtursprünglichenGeschichtsschreiberhabenfreilich ausderzweitenHandgeschöpft.Die GeschichtsschreiberhabendieTatenschonin Geschichte,in dieFormderVorstellunggebracht.DerNameGeschichtehatdie-senDoppelsinn,daßereinerseitsdieTatenundBege-benheitenselbst,andererseitssie,insofernsiedurchdieVorstellungfür dieVorstellunggebildetsind,be-zeichnet.Bei derGeschichtederPhilosophiesindnichtdieGeschichtsschreiberQuelle,sonderndieTatenselbstliegenunsvor; dassinddiephilosophi-schenWerkeselbst;essinddiesdiewahrhaftenQuel-len.Will manGeschichtederPhilosophieernstlichstudieren,somußmanandieseQuellenselbstgehen.DieseWerkesindjedocheinzugroßerReichtum,umsichbeiderGeschichtealleindaranzuhalten.BeivielenPhilosophenist esinzwischenunumgänglichnotwendig,sichandieSchriftstellerselbstzuhalten.In manchenZeiträumenaber,vondenenunsdieQuel-lennichterhaltensind,z.B.diederälterengriechi-schenPhilosophie,müssenwir unsdannfreilich an

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Geschichtsschreiber,andereSchriftstellerhalten.AuchanderePeriodengibt es,wo eswünschenswertist, daßanderedieWerkederPhilosophenderselbengelesenhabenundunsAuszügedavongeben.Mehre-reScholastikerhabenWerkevon16,24und26Foli-antenhinterlassen;damußmansichdennandieAr-beitandererhalten.Viele philosophischeWerkesindauchselten,schwerzubekommen.ManchePhiloso-phensindmeisthistorischundliterarisch;sokönnenwir unsaufSammlungenbeschränken,worin sieent-halten.Die merkwürdigstenWerkeüberdieGe-schichtederPhilosophiesindnunaberfolgende,wobeiich fürsNähereaufdenAuszugausTenne-mannsGeschichtederPhilosophievonA. Wendtverweise,daich nichtvollständigeLiteraturgebenwill:

1) EinedererstenGeschichtenderPhilosophie,dienuralsVersuchmerkwürdigist, ist ThehistoryofPhilosophybyThomasStanley(London1655;ed.III., 1701,übersetztinsLateinischevonGodofr.Olearius,Leipzig1711).DieseGeschichtewird nichtmehrviel gebraucht,enthältnurdiealtenphilosophi-schenSchulenalsSekten,alsob'skeineneuengege-benhätte.Esliegt diegewöhnlicheVorstellungdama-liger Zeit zugrunde,daßesnuraltePhilosophiengibtunddieZeit derPhilosophiemit demChristentumab-gelaufenist, alsobdiePhilosophieSachederHeiden

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seiunddieWahrheitsichnur findenlasseim Chri-stentum.Eswird UnterschiedzwischenWahrheitge-macht,wie sieausnatürlicherVernunftgeschöpftwird (altePhilosophien),undgeoffenbarterWahrheit(in derchristlichenReligion);sogebeesin dieserkeinePhilosophiemehr.Zur Zeit desWiederaufle-bensderWissenschaftengabesnochkeineeigentüm-lichenPhilosophien.Zu StanleysZeitenallerdings;abereigenePhilosophienwarennochzu jung,alsdaßdiealtenHerrensolchenRespektvor ihnengehabthätten,umsiealsetwasEigenesgeltenzu lassen.

2) JohannJakobBrucker,Historia critica philoso-phiae, Leipzig1742-1744,vier TeileoderfünfBände;2. unveränderte,abermit einemAnhangver-mehrteAuflage1766-1767,vier Teile in sechsQuar-tanten(dervierteTeil hatzweiBände,unddersechsteBandist dasSupplement).Dasist weitschichtigeKompilation,dienicht reinausdenQuellenge-schöpft,sondernmit ReflexionennachderdamaligenModevermischtist; dieDarstellungist im höchstenGradeunrein(sieheobenS.62f.). DieseArt zuver-fahrenist durchausunhistorisch;nirgendsist jedochmehrhistorischzuverfahrenalsin derGeschichtederPhilosophie.DiesesWerk ist soeingroßerBallast.Ein Auszugdarausist: JohannJakobBrucker,Institu-tioneshistoriaephilosophicae,usuiacademicaeiu-ventutisadornatae, Leipzig1747;zweiteAusgabe,

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Leipzig1756;diedritte,vonBornbesorgt,Leipzig1790.

3) DietrichTiedemann,GeistderspekulativenPhilosophie, Marburg1791-1797,7 Bde.Die politi-scheGeschichtehaterdabeiweitläufig,abergeistlosabgehandelt;dieSpracheist steifundgeziert.DasGanzeist ein traurigesBeispiel,wie eingelehrterPro-fessorsichseinganzesLebenmit demStudiumderspekulativenPhilosophiebeschäftigenkannunddochgarkeineAhnungvonSpekulationhat.(SeineArgu-mentazumZweibrückerPlatonsindin derselbenMa-nier.)Er machtAuszügeausdenPhilosophen,solan-gesieräsonierendbleiben;wennesaberansSpekula-tive kommt,pflegterbösezuwerden,brichtabunderklärtallesfür leereSubtilitäten:wir wüßtenesbes-ser.SeinVerdienstist, ausseltenenBücherndesMit-telalters,auskabbalistischenundmystischenWerkendesMittelaltersschätzbareAuszügegeliefertzuhaben.

4) JohannGottliebBuhle,LehrbuchderGeschich-tederPhilosophieundeinerkritischenLiteraturderselben, Göttingen1796-1804;8 Teile.Die altePhilosophieist unverhältnismäßigkurzbehandelt;jeweiterBuhlehineinkam,destoausführlicherwurdeer.Er hatvieleguteAuszügeausseltenenWerken,z.B.desGiordanoBruno,diesichaufderGöttingerBi-bliothekbefinden.

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5) Wilhelm GottliebTennemann,GeschichtederPhilosophie, Leipzig1798-1819,II Teile.(DerachteTeil, diescholastischePhilosophie,enthältzweiBände.)Die Philosophiensindausführlichbeschrie-benunddiederneuerenZeit besserbearbeitetalsdiealten.Die PhilosophiendermodernenZeit sindauchleichterdarzustellen,weil mannureinenAuszugzumachen,geradezuzuübersetzenbraucht;dieGedan-kenliegenunsnäher.Bei denaltenPhilosophenist esanders,siestehenaufeinemanderenStandpunktdesBegriffs;deshalbsindsieschwererzu fassen.ManverkehrtsoleichtdasAlte in etwas,dasunsgeläufi-gerist; diesist Tennemannbegegnet,hier ist er fastunbrauchbar.BeimAristotelesz.B. ist derMißver-standsogroß,daßTennemannihm geradedasGegen-teil unterschiebt;durchdieAnnahmedesGegenteilsvondem,wasTennemannfür aristotelischangibt,be-kommtmaneinerichtigereAnschauungvonaristote-lischerPhilosophie.Dabeiist Tennemannsoaufrich-tig, dieStelleausdemAristotelesunterdenTextzusetzen,sodaßOriginalundÜbersetzungsichoft wi-dersprechen.Tennemannmeint,esseiwesentlich,daßderGeschichtsschreiberkeinePhilosophiehabe.Errühmtsich,keinSystemzuhaben;im Grundehateraberdocheins - er ist kritischerPhilosoph.Er lobtdiePhilosophen,ihr Studium,ihr Genie;dasEndevomLiedeist aber,daßsieallegetadeltwerden,den

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einenMangelgehabtzuhaben,nochnichtKantischePhilosophenzusein,nochnichtdieQuellederEr-kenntnisuntersuchtzuhaben,wovondasResultatge-wesenwäre,daßdieWahrheitnichterkanntwerdenkönnte.

Von Kompendiensinddreianzuführen:I. FriedrichAst, GrundrißeinerGeschichtederPhilosophie,Landshut1807;2. Auflage1825.Esist in einembes-serenGeistgeschrieben,meistSchellingschePhiloso-phie,nuretwasverworren.Er hataufetwasformelleWeiseidealeundrealePhilosophieunterschieden.2)Professor[A.] Wendts(zuGöttingen)AuszugausTennemann(5. Ausgabe,Leipzig1829).Manwun-dertsich,wasdaallesalsPhilosophieaufgeführtwird, ohneUnterschied,obesvonBedeutungseiodernicht.Esist nichtsleichter,alsnacheinemPrinzipzugreifen;mandenkt,damitetwasNeues,Tiefesgelei-stetzuhaben.SolchesogenannteneuePhilosophienwachsenwie PilzeausderErdehervor.3) [Th. A.]Rixner,HandbuchderGeschichtederPhilosophie,3 Bde.,Sulzbach1822-1823(2. verb.Aufl. 1829),istammeistenzuempfehlen;jedochwill ich nichtbe-haupten,daßesallenAnforderungenaneineGe-schichtederPhilosophieentspricht.MancheSeitensindnichtzu loben;besonderszweckmäßigabersinddieAnhängezu jedemBande,in denendieHauptori-ginalstellengegebensind.Chrestomathien,

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vornehmlichausdenaltenPhilosophen,sindBedürf-nis;vondenPhilosophenvor PlatonsindderStellennichtsehrviel.

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3. Abhandlungsweise

Von deräußerlichenGeschichtewerdeich, wasdieallgemeineGeschichtebetrifft, nurdenGeist,dasPrinzipderZeitenberühren,ebensodieLebensum-ständedermerkwürdigenPhilosophenanführen.InAnsehungderPhilosophiensindüberhauptabernurdiejenigennamhaftzumachen,derenPrinzipieneinenRuckgetanunddurchwelchedieWissenschafteineErweiterungerlangthat.Sowerdeich vieleNamenaufderSeiteliegenlassen,die im gelehrtenVerfahrenaufgenommenwerden,dieaberwenigAusbeutegebenin RücksichtaufdiePhilosophie.Die Ge-schichtederVerbreitungeinerLehre,ihreSchicksale,diejenigen,welcheeineLehrebloßdozierthaben,übergeheich, wie dieAusführungderganzenWeltan-schauungin einembestimmtenPrinzip.

Die Forderungscheintplausibel,daßeinGe-schichtsschreiberderPhilosophiekeinSystemhaben,nichtsvondemSeinigenhinzutunnochmit seinemUrteiledarüberherfallensoll. Die GeschichtederPhi-losophiesoll ebendieseUnparteilichkeitherbeifüh-ren,undesscheintinsoferngeraten,nurAuszügeausdenPhilosophenzugeben.WervonderSachenichtsversteht,keinSystem,bloßhistorischeKenntnissehat,wird sichfreilich unparteiischverhalten.Esist

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aberzuunterscheidenzwischenpolitischerGeschich-teundGeschichtederPhilosophie.Wennmansichnämlichbei jenerauchnichtdaraufbeschränkendarf,nurchronikenmäßigdieBegebenheitendarzustellen,sokannmansiedochganzobjektivhaltenwie dieHomerischeEpopöe;soHerodotundThukydides.SielassenalsfreieMenschendieobjektiveWelt frei fürsichgewähren,habenvomIhrigennichtshinzugetan,nochdieHandlungen,diesiedarstellten,vor ihrenRichterstuhlgezogenundbeurteilt.

Dochauchin diepolitischeGeschichtelegtsichso-gleicheinZweckhinein.Soist beiLivius dierömi-scheHerrschaftdieHauptsache.Wir sehenin seinerGeschichteRomsteigen,sichverteidigen,seineHerr-schaftausüben;derallgemeineZweckist Rom,dieErweiterungseinerHerrschaft,dieAusbildungseinerVerfassungusw.Somachtsichvonselbstin derGe-schichtederPhilosophiediesichentwickelndeVer-nunftzumZweck,esist kein fremderZweck,denwirhineintragen;esist dieSacheselbst,diehieralsdasAllgemeinezugrundeliegt, soalsZweckerscheint,undwomit sichvonselbstdieeinzelnenAusbildun-genundGestaltenvergleichen.WenndaherauchdieGeschichtederPhilosophieTatenderGeschichtezuerzählenhat,soist dochdieersteFrage,wasdenneineTatderPhilosophie,obetwasphilosophischistodernicht. In deräußerenGeschichteist allesTat -

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freilich gibt esWichtigesundUnwichtiges;dieTat istaberderVorstellungunmittelbarhingestellt;nichtsoin derPhilosophie.DeswegenkanndieGeschichtederPhilosophiedurchausnichtohneUrteil desGe-schichtsschreibersabgehandeltwerden.

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OrientalischePhilosophie

DasErsteist diesogenannteorientalischePhiloso-phie.Abersietritt nicht in denKörperundBereichunsererDarstellungein;sieist nureinVorläufiges,vondemwir nursprechen,umdavonRechenschaftzugeben,warumwir unsnichtweitläufigerdamitbe-schäftigenundin welchemVerhältnisseeszumGe-danken,zurwahrhaftenPhilosophiesteht.Wir sollen,indemwir vonderorientalischenPhilosophiespre-chen,vonderPhilosophiesprechen;aberin dieserRücksichtist zubemerken,daßdas,waswir orienta-lischePhilosophienennen,weit mehrdiereligiöseVorstellungsweisederOrientalenüberhauptist - einereligiöseWeltanschauung,deressehrnaheliegt,fürPhilosophiegenommenzuwerden.Wir habenge-schiedendieGestaltung,in derdasWahredieFormderReligionerhält,unddieForm,dieesdurchdenGedankenin derPhilosophieerhält.Die orientalischePhilosophieist religiösePhilosophie;undesist derGrundanzugeben,warumesnäherliegt, dieorientali-scheReligionsvorstellungauchalsPhilosophiezube-trachten.

Bei derrömischen,griechischenundchristlichenReligiondenkenwir wenigeranPhilosophie;siesindwenigerdazugeeignet.Die griechischenund

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römischenGöttersindGestaltungenfür sich,ebensoChristusundderGottderJuden.Wir bleibenhierbeiim Ganzenstehen,haltensienichtsogleichfür Philo-sopheme;undeswird eineigenesGeschäft,solchemythologischeoderchristlicheGestaltungenerstzuinterpretieren,zuverwandelnin Philosopheme.BeidenorientalischenReligionenhingegenwerdenwirviel unmittelbarerandiephilosophischeVorstellungerinnert,esliegt näher.DerUnterschiedhiervonistnundarinbegründet:DasPrinzipderFreiheitderIn-dividualitättritt im griechischenundnochmehrimchristlichenElementehervor.Die griechischenGöttererscheinendahersogleichindividualisiert,in derGe-staltvonPersonen.Wo hingegendasMomentderSubjektivitätnichthervorgetretenist, wie im Orient,sinddiereligiösenVorstellungennicht individuali-siert,sondernsiehabendenCharakterallgemeinerVorstellungen,diedaheralsphilosophischeVorstel-lungen,philosophischeGedankenerscheinen;dennsiesindim ElementederAllgemeinheitundhabendasÜbergewichtanAllgemeinheit.ZwarhabensieauchindividuelleGestalten,wie Brahma,Wischnu,Schi-va;aberdie Individualitätist nuroberflächlich,undsosehr,daß,wennmanglaubt,manhabeesmitmenschlichenGestaltenzutun,sichdiesdochso-gleichwiederverliertundinsMaßloseerweitere.DieIndividualität,weil dieFreiheitmangelt,ist nicht fest,

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undwo dieallgemeinenVorstellungenauchindividu-ell gebildetsind,ist esdochnuroberflächlicheForm.

Diesist derHauptgrund,weshalbdieorientali-schenVorstellungenunsgleichalsphilosophischeGedankenerscheinen.Wie wir beidenGriechenvoneinemUranos,Kronos - derZeit, aberauchschonin-dividualisiert - hören,sofindenwir beidenPersernZerwanaAkarana,aberesist dieunbegrenzteZeit.Wir findenOrmuzdundAhrimanalsganzallgemeineWeisen,Vorstellungen;sieerscheinenalsallgemeinePrinzipien,diesoVerwandtschaftmit derPhilosophiezuhabenscheinenoderselbstalsPhilosophemeer-scheinen.DerAusdruckorientalischePhilosophiewird besondersvonderPeriodegebraucht,wo diesegroßeallgemeineorientalischeAnschauungdasAbendlandberührthat - dasLandderBegrenzung,desMaßes,wo derGeistderSubjektivitätüberwie-gendist. Besonderssindin denerstenJahrhundertendesChristentums - einerbedeutendenEpoche - diesegroßenorientalischenAnschauungenin dasAbend-landnachItaliengedrungenundhabenin dergnosti-schenPhilosophiedasMaßlosezutreibenangefan-gen,in demokzidentalenGeiste,biser in derKirchewiederdazugekommenist, dasÜbergewichtzuerhal-tenundsodasGöttlichefestzubestimmen.

Diesist alsodereinePunkt:dieserbleibendeCha-rakterdesAllgemeinen,derdieGrundlageist im

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orientalischenCharakter.Daszweiteist nundernähe-re InhaltderorientalischenReligionen.Gott,dasAn-undfürsichseiende,Ewigeist im Orientmehrim Cha-rakterdesAllgemeinenaufgefaßt,wie auchdasVer-hältnisderIndividuendazu.In denorientalischenRe-ligionenist dasHauptverhältnisdies,daßdieeineSubstanzalssolchenurdasWahrhafteseiunddasIn-dividuumkeinenWert in sichhabeundnichtgewin-nenkönne,insofernessicherhältgegendasAnund-fürsichseiende;eskönnevielmehrnurwahrhaftenWerthabendurchdie Ineinssetzungmit dieserSub-stanz,worin esdannaufhört,alsSubjektzusein,ver-schwindetinsBewußtlose.Diesist dasGrundverhält-nis in denorientalischenReligionen.In dergriechi-schenundchristlichenReligionweißsichdagegendasSubjektfrei undsoll soerhaltensein.IndemsodasIndividuumsichfür sichlosreißt,für sichist, istesdannallerdingsweit schwerer,daßderGedankesichvondieserIndividualitätlosmachtundsichkon-stituiert.DeransichhöhereStandpunktdergriechi-schenFreiheitdesIndividuums,diesfrohere,feineLebenerschwertdemGedankenseineArbeit, dieAll-gemeinheitgeltendzumachen.Im Orienthingegenistschonin derReligiondasSubstantiellefür sichdieHauptsache,dasWesentliche(undRechtlosigkeit,BewußtlosigkeitderIndividuenunmittelbardamitverbunden);unddieseSubstanzist allerdingseine

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philosophischeIdee.AuchdieNegationdesEndli-chenist vorhanden,aberso,daßdasIndividuumnurzuseinerFreiheitgelangtin dieserEinheitmit demSubstantiellen.Insofernin demorientalischenGeistedieReflexion,dasBewußtseinzumUnterschiedekommtdurchdenGedanken,zurBestimmungvonPrinzipien,sostehendannsolcheKategorien,be-stimmteVorstellungenunvereinigtmit demSubstan-tiellen.Entwederist vorhandendieZertrümmerungallesBesonderen,einMaßloses - dieorientalischeErhabenheit;oderinsofernauchdasbestimmtfür sichGesetzteerkanntwird, soist eseinTrockenes,Ver-ständiges,Geistloses,dasnichtdenspekulativenBe-griff in sichaufnehmenkann.ZumWahrenkanndiesEndlichenurwerdenalsversenktin derSubstanz;von ihr verschiedengehalten,bleibtesdürftig. Wirfindendahernur trockenenVerstandbeidenOrienta-len,einbloßesAufzählenvonBestimmungen,eineLogik wie einealteWolffischeLogik. Esist wie inihremKultus:einVersenktseinin dieAndachtunddanneineungeheureMengevonZeremonien,vonre-ligiösenHandlungen,undaufderanderenSeitedieErhabenheitdesMaßlosen,worin allesuntergeht.

EssindnunzweiorientalischeVölker, derenichErwähnungtunwill: dieChinesenunddie Inder.

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A. ChinesischePhilosophie

Esist beidenChinesenwie beidenIndernderFall,daßsieeinengroßenRuhmderAusbildunghaben,aberdiesersowohlwie diegroßenZahlenihrerGe-schichteusf.habensichdurchbessereKenntnissehrherabgesetzt.IhregroßeAusbildungbetrifft dieReli-gion,Wissenschaft,Staatsverwaltung,Staatsverfas-sung,Poesie,dasTechnischevonKünsten,denHan-delusw.WennmanaberdieStaatsverfassungvonChinamit einereuropäischenvergleicht,sokanndiesnurgeschehenin AnsehungdesFormellen;derInhaltist sehrverschieden.Ebensoist es,wennmanindi-schePoesiemit europäischervergleicht.Sieist zwarglänzend,reich,ausgebildetwie die irgendeinesVol-kes;derInhaltderaltenorientalischenPoesie,alsblo-ßesSpielderPhantasiebetrachtet,erscheintvondie-serSeitehöchstglänzend;aberin derPoesiekommtesaufdenInhaltan,eswird Ernstdamit.SelbstdieHomerischePoesieist für unsnichtErnst,deshalbkannsolchePoesiebeiunsnichtentstehen;esistnichtderMangelanGenie - esgibt GeniesderselbenGröße -, aberderInhaltkannnichtunserInhaltsein.Sokannauchdie indische,orientalischePoesiederFormnachsehrentwickeltsein,aberderInhaltbleibtinnerhalbeinergewissenGrenzeundkannunsnicht

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genügen.Bei denRechtsinstitutionen,Staatsverfas-sungenusw.fühlt mansogleich,daß,wennsieauchnochsokonsequentformell ausgebildetsind,siedochbeiunsnichtstattfindenkönnen,daßwir sieunsnichtwürdengefallenlassen,daßsiestattRechtvielmehreineUnterdrückungdesRechtssind.Diesist zunächsteineallgemeineBemerkungin AnsehungsolcherVer-gleichungen,insofernmansichdurchdieFormbeste-chenläßt,dergleichendemUnsrigengleichzusetzenodergarvorzuziehen.

DaserstebeidenChinesenzuBemerkendeist dieLehredesKonfutse,500Jahrevor ChristiGeburt.ZuLeibniz'ZeitenhatdiePhilosophiedesKonfuziusgroßesAufsehengemacht.Dasist Moralphilosophie.SeineBüchersindbeidenChinesendiegeehrtesten.Er hatGrundwerke,besondersgeschichtliche,kom-mentiert.SeineanderenArbeitenbetreffendiePhilo-sophie,essindebenfallsKommentarezuälterentra-ditionellenWerken.SeineAusbildungderMoral hatihn indessenamberühmtestengemacht;sieist Autori-tätbeidenChinesen.SeineLebensbeschreibungistdurchfranzösischeMissionareausdenchinesischenOriginalwerkenübersetzt.Hiernachhatermit Thalesungefährgleichzeitiggelebt.Er wareineZeitlangMi-nister,ist dannin Ungnadegefallen,hatseinAmt ver-lorenundunterseinenFreundenphilosophierendge-lebt, ist abernochoft umRatgefragtworden.Wir

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habenUnterredungenvonKonfuziusmit seinenSchü-lern,esist populäreMoral darin;diesefindenwir al-lenthalben,in jedemVolke, undbesser;esist nichtsAusgezeichnetes.Konfuziusist praktischerWeltwei-ser;spekulativePhilosophiefindetsichdurchausnichtbei ihm, nurgute,tüchtige,moralischeLehren,worin wir abernichtsBesonderesgewinnenkönnen.CicerosDeofficiis, einmoralischesPredigtbuch,gibtunsmehrundBesseresalsalleBücherdesKonfutse.AusseinenOriginalwerkenkannmandasUrteil fäl-len,daßesfür denRuhmdesKonfutsebessergewe-senwäre,wennsienichtübersetztwordenwären.

Ein zweiterUmstand,derzubemerken,ist, daßdieChinesensichauchmit abstraktenGedankenbeschäf-tigt haben,mit reinenKategorien.DasalteBuchYi-king (BuchderPrinzipien)dienthierbeizurGrundlage;esenthältdieWeisheitderChinesen,undseinUrsprungwird demFohizugeschrieben.Die Er-zählung,dievon ihm dortvorkommt,gehtganzinsMythologischeundFabelhafte,ist sinnlos.DieHauptsacheist, daßihm dieErfindungeinerTafelmitgewissenZeichen,Figuren(Ho-tu) zugeschriebenwird, dieeraufdemRückeneinesDrachenpferdes,alsesausdemFlussestieg,gesehenhabe.SieenthältStriche,neben- undübereinander,diesesindSymbole,habeneinegewisseBedeutung;unddieChinesensagen,dieseLinien seiendieGrundlageihrer

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Buchstabenwie auchihresPhilosophierens.DieseBedeutungensindganzabstrakteKategorien,dieab-straktestenundmithin dieoberflächlichstenVerstan-desbestimmungen.Esist allerdingszuachten,daßdiereinenGedankenzumBewußtseingebrachtsind;esist abernichtweit damitgegangen,esbleibtbeidenoberflächlichstenGedanken.Siewerdenzwarkon-kret,aberdiesKonkretewird nichtbegriffen,nichtspekulativbetrachtet,sondernausdergewöhnlichenVorstellunggenommenundnachderAnschauung,dergewöhnlichenWahrnehmungdavongesprochen,sodaßin diesemAuflesenderkonkretenPrinzipiennichteinsinnigesAuffassenderallgemeinennatürlichenodergeistigenMächtezufindenist. DerKuriositätwegenwill ich dieseGrundlagenäherangeben.DiezweiGrundfigurensindeinehorizontaleLinie (- ,Yang)undderentzweigebrocheneStrich,sogroßwiedieersteLinie (- -, Yin): daserstedasVollkommene,denVater,dasMännliche,dieEinheit,wie beidenPythagoreern,dieAffirmation darstellend,daszweitedasUnvollkommene,dieMutter,dasWeibliche,dieZweiheit,dieNegation.DieseZeichenwerdenhoch-verehrt:sieseiendiePrinzipienderDinge.Siewerdenweitermiteinanderverbunden,zuerstzuzweien;soentstehenvier Figuren:

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dergroßeYang,derkleineYang,derkleineYin,dergroßeYin. Die Bedeutungdieservier Bilder istdieMaterie,dievollkommeneundunvollkommene.Die zweiYangsinddievollkommeneMaterie,undzwardererstein derBestimmungvon jungundkräf-tig; derzweiteist dieselbeMaterie,aberalsalt undunkräftig.DasdritteundvierteBild, wo derYin zu-grundeliegt, sinddieunvollkommeneMaterie,welchewiederdiezweiBestimmungenjungundalt, StärkeundSchwächehat.

DieseStrichewerdenweiterzudreienverbunden;soentstehenachtFiguren,dieseheißendieKua:

(WeiterzuvierenverbundengebendieseStriche64Figuren,welchedieChinesenfür denUrsprungallerihrerCharakterehalten,indemmanzudiesengeradenLinien senkrechteundkrummein verschiedenenRich-tungenhinzufügte.)Ich will dieBedeutungdieserKuaangeben,umzuzeigen,wie oberflächlichsieist. DasersteZeichen,dengroßenYangunddenYangin sichenthaltendist derHimmel(Thien),derallesdurch-dringendeÄther.(DerHimmel ist denChinesendasHöchste,undesist eingroßerStreitunterdenMissio-narengewesen,obsiedenchristlichenGottThiennennensolltenodernicht.)DaszweiteZeichenist das

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reineWasser(Tui), dasdritte reinesFeuer(Li), dasviertederDonner(Tschin),dasfünftederWind(Siun),dassechstegemeinesWasser(Kan),dassie-bentedieBerge(Ken),dasachtedieErde(Kuen).Wir würdenHimmel,Donner,Wind undBergenichtin diegleicheLinie stellen.MankannalsohiereinephilosophischeEntstehungallerDingeausdiesenab-straktenGedankenderabsolutenEinheitundZweiheitfinden.DenVorteil habenalleSymbole,GedankenanzudeutenunddieMeinungzuerwecken,sieseienalsoauchdagewesen.Sofängtmanmit Gedankenan,hernachgeht'sin dieBerge;mit demPhilosophierenist essogleichaus.

Im Schu-king ist aucheinKapitelüberdiechinesi-scheWeisheit,wo die fünf Elementevorkommen,ausdenenallesgemachtsei:Feuer,Wasser,Holz, Metall,Erde.Dasstehtkunterbuntuntereinander.Die ersteRegeldesGesetzesist im Schu-king, daßmandiefünf Elementenenne,diezweitedieAufmerksamkeitdarauf.Auchdiesewürdenwir ebensowenigalsPrin-zipiengeltenlassen.Die allgemeineAbstraktiongehtalsobeidenChinesenfort zumKonkreten,obgleichnurnachäußerlicherOrdnungundohneetwasSinni-geszuenthalten.Diesist dieGrundlageallerchinesi-schenWeisheitundalleschinesischenStudiums.

Danngibt esabernocheineeigentlicheSekte,diederTao-sse,derenAnhängernichtMandarineundan

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dieStaatsreligionangeschlossen,auchnichtBuddhi-sten,nicht lamaischerReligionsind.DerUrheberdie-serPhilosophieundderdamitengverbundenenLe-bensweiseist Lao-tse(geborenamEndedes7. Jahr-hundertsvor Christus),älteralsKonfuzius,dadiesermehrpolitischeWeisezu ihm reiste,umsichbei ihmRatszuerholen.DasBuchdesLao-tse,Tao-te-king,wird zwarnichtzudeneigentlichenKingsgerechnet,hatauchnichtdieAutoritätdieser;esist aberdocheinHauptwerkbeidenTao-sse(AnhängerderVer-nunft; ihreLebensweise,Tao-Tao:Richtung,GesetzderVernunft).Ihr LebenwidmensiedemStudiumderVernunftundversicherndann,daßderjenige,derdieVernunftin ihremGrundeerkenne,dieganzallge-meineWissenschaft,allgemeineHeilmittel unddieTugendbesitze,daßereineübernatürlicheGewalter-langthabe,sichin denHimmelerheben,daßer flie-genkönneundnichtsterbe.

Von Lao-tseselbstsagenseineAnhänger,erseiBuddha,deralsMenschimmerfortexistierendeGottgeworden.Die Hauptschriftvon ihm habenwir noch,undin Wien ist sieübersetztworden;ich habesieselbstdagesehen.EineHauptstelleist besondershäu-fig ausgezogen:»OhneNamenist TaodasPrinzipdesHimmelsundderErde;mit demNamenist esdieMutterdesUniversums.Mit Leidenschaftenbetrach-tetmansienur in ihremunvollkommenenZustande;

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wersieerkennenwill, mußohneLeidenschaftsein.«Abel Rémusatsagt,ambestenwürdesiesichimGriechischenausdrückenlassen:logosAberwasfin-denwir in diesemallemBelehrendes?

Die berühmteStelle,dievondenÄlterenoft ausge-zogenist, ist diese:»DieVernunfthatdasEineher-vorgebracht;dasEinehatdieZwei hervorgebracht;unddieZwei hatdieDrei hervorgebracht;unddieDrei produziertdieganzeWelt.«(AnspielungaufdieDreieinigkeithatmandarinfindenwollen.)»DasUni-versumruft aufdemdunkelnPrinzip;dasUniversumumfaßtdashellePrinzip«(oderauch:eswird vondemÄtherumfaßt;sokannmanesumkehrendadiechinesischeSprachekeineBezeichnungdesKasushat,dieWortevielmehrbloßnebeneinanderstehen).

EineandereStelle:»Derjenige,denihr betrachtetunddenihr nichtseht - ernenntsichI; undduhörstihn undhörstihn nicht - underheißtHi; dusuchstihn mit derHandunderreichstihn nicht - undseinNameist Wei. Du gehstihm entgegenundsiehstseinHauptnicht;dugehsthinterihm undsiehstseinenRückennicht.«DieseUnterschiedeheißen»dieVer-kettungderVernunft«.ManhatnatürlichbeiderAn-führungdieserStellean[...] undandenafrikanischenKönigsnamenJubaerinnert,auchanIovis. DiesesI-hi-wei oderI-H-W weiterbedeuteeinenabsolutenAbgrundunddasNichts:dasHöchste,dasLetzte,das

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Ursprüngliche,dasErste,derUrsprungallerDingeistdasNichts,dasLeere,dasganzUnbestimmte(dasab-straktAllgemeine);eswird auchTao,dieVernunft,genannt.WenndieGriechensagen,dasAbsoluteistdasEine,oderdieNeueren,esist dashöchsteWesen,sosindauchhieralleBestimmungengetilgt,undmitdembloßenabstraktenWesenhatmannichtsalsdieseselbeNegation,nuraffirmativ ausgesprochen.Ist dasPhilosophierennunnichtweitergekommenalszusolchenAusdrücken,sostehtesaufdererstenStufe.

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B. IndischePhilosophie

WasdasAltertumderindischenWeisheitanbe-trifft, sohatmansichdasVergnügengemacht,anihregroßenZahlenzuglauben,siezuehren;aberdurchdasBekanntwerdenmit ihrengrößerenastronomi-schenWerkenhatmanjetztdasUneigentlichediesergroßenZahlenerkannt.Eskannnichtsverworrenersein,nichtsunvollkommeneralsdieChronologiederInder.Kein Volk, dasin derAstronomie,Mathematikusf.ausgebildetist, ist sounfähigfür dieGeschichte;esist bei ihnendarinkeinHalt, keinZusammenhang.Manhattegeglaubt,anderÄra desWikramaditjaeinenHalt zuhaben,derungefähr50v. Chr.gelebthabensoll undunterdessenRegierungderDichterKalidasa,SchöpferderSakuntala, lebte.Aberbeinä-hererUntersuchunghabensicheinhalbesDutzendWikramaditjasgefunden,undgründlicheBeleuchtun-genhabendieseEpochein unser11.Jahrhundertver-legt.Die InderhabenReihenfolgenvonKönigen,eineungeheureMengevonNamen;aberallesist unbe-stimmt.

Wir wissen,wie deruralteRuhmdiesesLandesschonbiszudenGriechenin hohemGradevorge-drungenwar;wie auchihnendieGymnosophistenbe-kanntwaren,frommeMenschen,wennmansieanders

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sonennendarf,Menschen,die,einembeschaulichenLebengewidmet,in einerAbstraktiondesäußerlichenLebenssichbefindenunddeshalballenBedürfnissenentsagen,selbstwie dieKyniker in Hordenumherzie-hend.DiesesindalsPhilosophenauchbesondersdenGriechenbekanntgeworden,insofernmannämlichdiePhilosophieauchin dieseAbstraktionsetzt,in dermanvonallenVerhältnissendesäußerlichenLebensabstrahiert;unddieseAbstraktionist einGrundzug,denwir hervorzuhebenundzubetrachtenhaben.

Die indischeBildung ist sehrentwickelt,großartig;aberihrePhilosophieist identischmit ihrerReligion,sodaßdie InteressenderReligiondieselbensind,diewir in derPhilosophiefinden.Die MythologiehatdieSeitederInkarnation,derIndividualisierung,vondermanglaubenkönnte,daßsiedemAllgemeinen,derIdeenweisederPhilosophieentgegenwäre;abermitdieserInkarnationist esnichtsogenaugenommen,beinaheallesgilt alssolche,undwassichzubestim-menscheintalsIndividualität,zerfließtalsobaldwie-derin demDunstedesAllgemeinen.Wie nundiereli-giösenVorstellungenungefährdieselbeallgemeineGrundlagehabenwie diePhilosophie,sosinddiehei-ligenBücher,dieWedas,auchdieGrundlagefür diePhilosophie.Wir kennensieziemlichgründlich.SieenthaltenvornehmlichGebeteandievielenVorstel-lungenvonGott,VorschriftenüberdieZeremonien,

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Opferusf.UndsiesindausdenverschiedenstenZei-ten;vieleTeilesindvonhohemAlter, anderesinderstspäterentstanden,z.B.derüberdenDienstdesWischnu.Die WedassinddieGrundlagederPhiloso-phienderInder,selbstfür dieatheistischenPhiloso-phienderInder;auchdiesenfehlt esnichtanGöttern,undeswird wesentlicheRücksichtaufdieWedasge-nommen.Die indischePhilosophiestehtdaherinner-halbderReligion,wie diescholastischePhilosophieinnerhalbderchristlichenDogmatikstand,denGlau-benderKirchezugrundelegte,voraussetzte.

Die indischeVorstellungist dannnäherdiese.Esist eineallgemeineSubstanz,dieabstraktergefaßtwerdenkannoderkonkreter,ausderallesentsteht.UnddieseProduktionensinddannGötter,undaufderanderenSeiteTiereunddieunorganischeNatur.Zwi-schenbeidenstehtderMensch;unddasHöchsteinderReligionwie in derPhilosophieist, daßderMenschalsBewußtseinsichidentischmachtmit derSubstanz:durchAndacht,Opfer,strengeBüßungen -unddurchPhilosophie,durchBeschäftigungmit demreinenGedanken.

Erstvor kurzemhabenwir bestimmteKenntnisvonderindischenPhilosophieerhalten.Im ganzenver-standmandarunterdie religiösenVorstellungen;inneuerenZeitenhatmanaberwirklich philosophischeWerkekennengelernt.BesondershatunsColebrooke

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auszwei indischenphilosophischenWerkenAuszügemitgeteilt;unddiesist daserste,waswir überindi-schePhilosophiehaben.WasFriedrichv. SchlegelvonseinerWeisheitder Indier spricht,ist nurausdenreligiösenVorstellungengenommen.Er ist einerdererstenDeutschen,dersichmit indischerPhilosophiebeschäftigthat;indessenhatdiesnichtviel gefruchtet,dennerhateigentlichnichtsweitergelesenalsdasIn-haltsverzeichniszumRamajana. NachjenemAuszu-genun»besitzendie InderaltephilosophischeSyste-me.Siebetrachtensieeinesteilsalsorthodox,undzwardie,welchemit denWedasübereinkommen;an-deregeltenalsheterodoxundalsnichtübereinkom-mendmit derLehrederheiligenBücher«.DereineTeil, »derwesentlichorthodoxist, hatkeineandereAbsicht,alsdieErklärungderWedaszuerleichtern«,zuunterstützenoder»ausdemTextdieserGrundbü-chereinefeinergedachtePsychologiezuziehen«.DiesSystem»heißtMimansa,undeswerdenzweiSchulendavonangeführt«.DavonverschiedensindandereSysteme,vondenendiezweiHauptsystemeSamkhjaundNjajasind.»DaserstezerfälltwiederinzweiTeile«,die jedochnur in AnsehungderFormverschiedensind.»VondemNjajagilt derGotamaalsUrheber«;esist besondersverwickelt,»führtspezielldieRegelndesRäsonnementsausundist zuverglei-chenmit derLogik desAristoteles«.Von diesen

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beidenSystemenhatunsnunColebrookeAuszügegemacht,undersagt,manhabevielealteWerkedar-überunddieversusmemorialesdarausseiensehrverbreitet.

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1. Die Samkhja-Philosophie

DerUrheberderSamkhjawird Kapilagenannt,»einalterWeiser;dieeinensagen,erseieinSohndesBrahma,einervondensiebengroßenHeiligen;dieanderensagen,erseieineInkarnationdesWischnu,wie seinSchülerAsuri, undidentischmit demFeuer«.ÜberdasAlter derAphorismen(Sutras)desKapilaweißColebrookenichtszusagen;ererwähntnur,daßsiein anderen,sehraltenBüchernschonangeführtwerden,abergenauläßtsichnichtsdarüberangeben.

Die Samkhjateilt sichin verschiedeneSchulen,zweioderdrei,die jedochnur in wenigemEinzelnemvoneinanderabweichen;siewird »zumTeil für hete-rodox,zumTeil für orthodox«gehalten.»DerZweckaller indischenSchulenundSystemederPhilosophieist, dieMittel anzugeben,wodurchdieewigeGlück-seligkeitsowohlvor demTodealsnachdemTodezuerlangenist. Die Wedassagen:›Waszuerkennenist,ist dieSeele;siemußvonderNaturabgeschiedenwerden;sowird sienichtwiederkommen‹,d.h.sieistderMetempsychoseentnommen«unddamitderKör-perlichkeit,sietritt nichtwiederin einemanderenKörperauf.»DieseBefreiungist derwesentlicheZweck,derin allenatheistischenundtheistischenSy-stemenvorhandenist.«Siesagennun:»Durchdie

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WissenschaftkanneinesolcheBefreiungerreichtwer-den;diezeitlichenMittel, sichVergnügenzuver-schaffenodergeistigeundkörperlicheÜbelvonsichabzuhalten,sindnichthinreichend,selbstdieMittel,diedieWedasangeben,sindnichtdazuwirksam, -diegeoffenbarteWeise;diesist dieVollbringungderreligiösenZeremonien,wie siein denWedasverord-netsind.«In dieserBeziehunggeltendieWedasdenSamkhjasnicht.Als solcheinMittel gilt »vorzüglichdasOpfervonTieren«.Diesverwirft dieSamkhja,dennesseiverbundenmit demTodederTiere,unddieHauptsachesei,keinTier zuverletzen,zu töten,daherseidasOpfernicht rein.

AndereWeisenderBefreiungvomÜbelsinddieungeheurenBüßungenderInder,womit einZurückge-hen-in-sichverbundenist. Brahmanist im ganzendie-sesEin, schlechthinUnsinnliche,dieshöchsteWesen,wie esderVerstandnennt.WennnunsoderInderinderAndachtsichsammelt,sichin seineGedankenzu-rückzieht,sichin sichkonzentriert,soist dasMomentdieserreinenKonzentrationBrahman;dannbin IchBrahman.DiesZurückziehenin denGedankenist inderindischenReligionwie in derindischenPhiloso-phie.Die Philosophiewill dieSeligkeiterlangendurchdasDenken,dieReligiondurchdieAndacht.Siesagenin RücksichtdieserSeligkeit,daßsiedasHöchstesei,daßdiesemZustandeselbstdieGötter

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untergeordnetseien.Z.B. Indra,derGottdessichtba-renHimmels,seiviel niedrigeralsdieSeelein diesemkontemplativenLebenin sichselbst;viele tausendIn-drasseienvergangen,aberdieSeeleseiallerVerän-derungentnommen.»EinevollständigeundewigeBe-freiungvon jederArt Übel ist alsodieSeligkeit«;undsiewird erreicht,nachderSamkhja,»durchdiewahr-hafteWissenschaft«.Sieist dahervonderReligionnurdadurchverschieden,daßsieeineausführlicheDenklehrehat,dieAbstraktionnichtzuetwasLeeremmacht,sondernzurBedeutungeinesbestimmtenDen-kenserhebt.»DieseWissenschaftbesteht«,wie siesagen,»in derrichtigenErkenntnisderPrinzipien,dieäußerlichwahrnehmbarsindodernicht,dermateriel-lenWelt undderimmateriellenWelt.«

DasSamkhja-Systemzerfällt in dreiAbschnitte:1.dieWeisedesErkennens,2. derGegenstanddesEr-kennens,und3. diebestimmteFormdesErkennensderPrinzipien.

1. In Rücksichtdeserstensagensie,daßesdreiArtenderEvidenzgebe:erstensWahrnehmung(perception), zweitensRäsonnement(inference, Fol-gerung),drittensAffirmation, aufwelchesichalleüb-rigenWeisenderErkenntnis,wie Achtung,Lernfähig-keit, Traditionusf.,zurückführenlassen.Die Wahr-nehmungbedarfkeinerErläuterung.DasRäsonne-mentist einSchlußvonUrsacheundWirkung,wobei

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nurvoneinerBestimmungzueinerzweitenüberge-gangenwird. EshabedreiFormen,indementwedervonderUrsacheaufdieWirkung,odervonderWir-kungaufdieUrsache,odernachverschiedenenVer-hältnissenderUrsachenundWirkungengeschlossenwerde.Regenz.B.werdepräsumiert,wennmaneineWolkesichzusammenziehensehe;Feuer,wennmaneinenHügelrauchensehe;odermanschließeaufdieBewegungdesMonds,wennmanihn zuverschiede-nenZeitenin verschiedenenStellungensehe.Diessindeinfache,trockeneVerstandesverhältnisse.Dasdritte ist dieAffirmation. Darunterist verstandenTra-dition, Offenbarung,z.B.dieorthodoxenWedas;imausgebreiteterenSinnewird dieunmittelbareGewiß-heit sogenannt,Affirmation in meinemBewußtsein,in nähererBestimmung»eineVersicherungdurchmündlicheMitteilung oderdurchTradition«.DiessinddiedreiErkenntnisweisen.

2. DerGegenständedesErkennensoderderPrinzi-piengibt dasSamkhja-Systemfünfundzwanzigan,die ich nennenwill, umdasOrdnungslosedarinzuzeigen:1. Die Natur,alsUrsprungvonallem,sei,sagensie,dasAllgemeine,diematerielleUrsache,dieewigeMaterie,ununterschieden,ununterscheidbar,ohneTeile,produktivohneProduktion,absoluteSub-stanz.2. Die Intelligenz,dieersteProduktionderNaturundselbstanderePrinzipienproduzierend,

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unterscheidbar,sagensie,alsdreiGötterdurchdieWirksamkeitderdreiQualitäten:Güte,UnreinheitoderHäßlichkeit(foulness, Leidenschaft,Tätigkeit)undFinsternis.SieseieneinePersonunddreiGötter - sonstauchTrimurti: nämlichBrahma,WischnuundMaheswara.3. »DasBewußtsein,die Ichheit,derGlaube,daßin allenWahrnehmungen,MeditationenIch gegenwärtigbin, daßdieGegenständederSinne«,sowiederIntelligenz,»michbetreffen;kurz,daßIchbin. EsgehtausvonderMachtderIntelligenzundproduziertselbstdie folgendenPrinzipien.«4.-8.Fünf feineAnfänge,Rudimente,Atome,dienureinemWesenhöhererOrdnung,nichtdurchdieSinnederMenschenwahrnehmbarseien,ausgehendvomPrin-zip desBewußtseinsundselbsthervorbringenddiefünf Elemente:Erde,Wasser,Feuer,Luft undRaum.9.-19.Die elf nächstenPrinzipienseiendieOrganederEmpfindung,dievonderIchheitproduziertwerde.ZehnäußerlicheOrgane:fünf derSinne;fünf derHandlung:Stimme,Hände,Füße,After, Geschlechts-teile.DaselfteOrganseidasdesinnerenSinns.20.-24.DiesePrinzipienseiendievondenfrüherge-nanntenRudimentenhervorgebrachtenfünf Elemente:Äther,denRaumeinnehmend;Luft, Feuer,Wasser,Erde.25.Die Seele. - In diesersehrunordentlichenWeisesehenwir nurdieerstenAnfängederReflexi-on,diezusammengestelltalsAllgemeineserscheinen.

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DieseZusammenstellungist aber,geschweigesyste-matischzusein,nichteinmalsinnig.

VorherwarendiePrinzipienaußereinanderundnacheinander.In derSeelehabensieihreVereini-gung.Von ihr sagensie,sieseinichtproduziert,auchnichtproduktiv;sieseiindividuell, sogebeesvieleSeelen;sieseiempfindend,ewig, immateriell,unver-änderlich.Hier unterscheidetColebrookedastheisti-schevondematheistischenSystemderSamkhja.Jenesnehmenichtnur individuelleSeelen,sondernauchGott (Iswara)alsRegiererderWelt an.Die Er-kenntnisderSeelebleibtdanndieHauptsache.EsseidurchdieBetrachtungderNaturunddurchdieAb-straktionvonderNatur,daßdieEinheitderSeelemitderNaturherbeigeführtwerde - wie derLahmeundBlindefür dieFortschaffungundLeitungverbunden -: »dieeinetragendundgeleitet«(Natur?),»dieande-regetragenundleitend«(Seele?).DurchdieseVerei-nigungderSeeleundNaturseidieSchöpfungbe-wirkt, bestehendin derEntwicklungderIntelligenzundderübrigenPrinzipien.DieseEinheitist dannderHalt anundfür sich,für das,wasist, überhaupt,undfür dieErhaltungdesselben.Dasist eingroßerGe-danke.Im Denkenist enthaltendieNegationdesGe-genstandes;unddasnegativeVerhaltenist notwendig,umzubegreifen.Eshatdiesviel mehrTiefealsdasGeredevomunmittelbarenBewußtsein.Wennman

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dagegensagt,dieOrientalenhabenin derEinigkeitmit derNaturgelebt,soist dieseinoberflächlicherundschieferAusdruck.DennebendieTätigkeitderSeele,derGeistist allerdingsin VerhältniszurNaturundin Einigkeitmit demwahrhaftenderNatur.AberdiesewahrhafteEinigkeitenthältwesentlichdasMo-mentderNegationderNatur,wie sieunmittelbarist.SolcheunmittelbareEinigkeit ist nurdasLebenderTiere,dassinnlicheLeben,Wahrnehmen.DasGei-stigeist nursoeinsmit derNatur,alsin sichseiendundzugleichdasNatürlichealsnegativsetzend.

Die Idee,diealsobeidenIndernvorhandenist, istEinigkeitderNaturundderSeele;unddieseEinigkeitist dannSchöpfung.Siesagen,derWunschundZweckderSeeleseiGenußundBefreiung.SieseizudiesemBehufemit einerfeinenUmgebungangetan,inwelcheralleobigenPrinzipien,abernurbiszurele-mentarischenEntfaltung,enthaltenseien.Esist indieserIdeeetwasvonunseremIdeellen,vondemAn-sichvorhanden;wie dieBlüteschonim Keim ideell,nichtaberwirksamundreell ist. DerAusdruckdafürist Lingam,dieZeugunskraft,WirkungskraftdesNa-türlichen,welchehochgestelltwird in allenindischenVorstellungen.DiesefeineGestaltnehmedanngrö-bereKörperlichkeitanundverkleidesichin mehrereGestalten.UndumnundasHerabfallenin diegröbereKörperlichkeitzuverhindern,ist dieKontemplation,

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diePhilosophiealsMittel angegeben.Bisherhabenwir dieabstraktenPrinzipiengese-

hen.Von derSchöpfungderkonkretenWirklichkeitdesUniversumsist folgendeszuerwähnen.Die kör-perlicheSchöpfungbestehein derSeele,bekleidetmitgröberemKörper,undbegreifeachtOrdnungenhöhe-rerWesenundfünf OrdnungenuntererWesen,welchemit demMenschen,dereineeigeneKlassebildet,vierzehnOrdnungenausmachenundin dreiWeltenoderKlassenverteilt sind.Die erstenachtOrdnungenhabenBenennungen,welchein derindischenMytho-logievorkommen:Brahma,Prajapati,Indrausf.;essindsowohlGötteralsHalbgötter.BrahmaselbstisthiervorgestelltalseinGeschaffenes.Die fünf niede-renOrdnungensind:dieTiere:dievierfüßigeninzweiKlassen,drittensdieVögel,viertensdieReptili-en,FischeundInsekten,undendlichfünftensdieve-getabilischenunddieunorganischenSubstanzen.DerAufenthaltderachthöherenKlassenseiim Himmel;siegenießenGüteundTugendundseiensomitglück-selig,abernurunvollkommenundvorübergehend.DarunterseinunderSitzderFinsternisoderTäu-schung,wo WesenderniederenOrdnungenwohnen.DazwischenseidiemenschlicheWelt, wo Falschheit(foulness) oderLeidenschaftvorwalten.

DiesendreidermateriellenSchöpfungangehörigenWeltensetztnundasSystemnocheineandere

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Schöpfunggegenüber,die»intellektuelle,bestehendin Verstandesvermögen,Empfindungen,welchewie-derin vier Klassengeteiltwerden:Bestimmungen,dieHindernissesind;dieunfähigmachen;diebefriedi-gen;unddiedie Intelligenzvollkommenmachen.«1.»VondenhinderndenBestimmungenwerden62auf-geführt:achtArtendesIrrtums;ebensovielederMei-nung(Täuschung);zehnderLeidenschaft(alsdesEx-tremsderTäuschung);achtzehndesHasses(Düster-heit);ebensovieledesKummers.«EszeigtsichhiermehreinempirischpsychologischbeobachtendesVerfahren.2. »DieUnfähigkeitderIntelligenzhatwiederachtundzwanzigSpezies:Beschädigung,Man-gelderOrganeusf.«3. »DieBefriedigungist entwe-derinnerlichoderäußerlich.Die innerlicheBefriedi-gungist vierfach:dieerstebetrifft dieNatur«,dasganzAllgemeine,Substantielle,»undwird gesetztindieMeinung,daßdieErkenntniseineModifikationdesPrinzipsderNaturselbstsei,verknüpftmit derErwartungeinerBefreiungdurchdenAkt derNatur«, - daßdieNaturin derphilosophischenEr-kenntnisBefreiunggewährenwerde.Die wahrhafteBefreiungist jedochnichtalsAkt derNaturzuerwar-ten;esist dieSeele,diesiedurchsich,durchihreden-kendeTätigkeithervorzubringenhat.

»DiezweiteBefriedigungist derGlaube,daßaske-tischeÜbungenhinreichen,sichderBefreiungzu

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versichern«(durchSchmerzen,Qualen,Büßungen).»Diedrittebetrifft dieZeit: dieVorstellung,daßdieBefreiungim LaufederZeit kommenwerde,ohneStudium.Die vierteBefriedigungist diedurchdieVorstellungdesGlücks,daßdieBefreiungvomSchicksalabhänge.Die äußerlicheWeisederBefrie-digungbeziehtsichaufEnthaltsamkeitvomGenuß,aberaussinnlichenMotiven,z.B.ausAbneigunggegendieUnruhederErwerbung«(desHandelns),»ausFurchtvor denüblenFolgendesGenusses«usw.4. Von derVervollkommnungderIntelligenzsindwiedermehrereArtenangegeben,unteranderenauchdiedirektepsychologischeWeise,»denGeistzuver-vollkommnen,z.B.durchRäsonieren,freundschaftli-cheUnterhaltung«usw.,wie mandiesauchin unserenangewandtenLogikenwohl findenkann.

Nochist einigesBestimmtereüberdenHauptpunktdesSystemszubemerken.»DieSamkhja,wie diean-derenindischenSystemederPhilosophie,beschäfti-gensichbesondersmit dendreiQualitäten(Gunas)«,MomentenderabsolutenIdee,»diealsSubstanzen,alsModifikationenderNaturvorgestelltwerden.«Esist merkwürdig,daßbeidenInderndiesin ihr beob-achtendesBewußtseingefallenist, daßdas,waswahrundanundfür sichist, dreiBestimmungenenthältundderBegriff derIdeein dreiMomentenvollendetist. DieseshoheBewußtseinderDreiheit,welcheswir

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auchbeiPlatonundanderenwiederfinden,ist dannverlorengegangenin derRegiondesdenkendenBe-trachtensunderhieltsichnur in derReligion,aberalseinJenseitiges.DerVerstandist danndahintergekom-menunderklärteesfür Unsinn.ErstKanthatzusei-nemErkennenwiederdieBahngebrochen.Die We-senheitundTotalitätdesBegriffsvonallem,in seinerSubstanzbetrachtet,wird nundurchdieDreiheitderBestimmungenabsorbiert;undesist dasInteressederZeit geworden,dieszumBewußtseinzubringen.

Bei denIndernist diesBewußtseinbloßdurchsin-nigeBeobachtunghervorgegangen,undsiebestim-mennunnäherdieseQualitätenso:Die ersteundhöchsteseidieGüte(sattwa), sieseierhaben,er-leuchtend,verbundenmit Freude,Glückseligkeit;dieTugendwaltein ihr vor. Sieseiim Feuerüberwie-gend;darumsteigedieFlammeaufundfliegendieFunkenaufwärts.Wennsieim MenschendasÜberge-wicht habe,wie sieesin denachthöherenOrdnungenhabe,soseisiedieUrsachederTugend. - Dasistalsodasdurchausundin jederRücksichtaffirmativeAllgemeinein abstrakterForm.Die zweiteundmittle-reQualitätseidieHäßlichkeit(foulness) oderLeiden-schaft(rajas,tejas, Trieb,Neigung),die für sichblind ist, dasUnreine,Schädliche.Sieseitätig,heftigundveränderlich,verbundenmit ÜbelundUnglück,dasÜbergewichthabendin derLuft, weshalbder

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Wind sichkreuzweisebewege;in lebendenWesendieUrsachedesLasters.Die dritteundletzteQualitätseidieFinsternis(tamas), sieseiträgeundhinderlich,mit Sorge,StumpfheitundTäuschungverbunden,dasÜbergewichthabendin ErdeundWasser,weshalbdiesefallenundnachuntenstreben;in lebendigenWesendieUrsachederDummheit. - Die ersteQuali-tät ist somitdieEinheitmit sich;diezweitedasMani-festieren,dasPrinzipderDifferenz,derTrieb,dieEntzweiung,alsSchlechtigkeit;diedrittedannaberbloßNegation,wie sieauchim KonkretenderMytho-logievorgestelltwird alsSchiwa(Mahadewa,Mahes-wara),derGottderZerstörungundVeränderung.DerwichtigeUnterschiedgegenunsfällt dahin,daßdasdrittePrinzipnicht ist dieRückkehrin daserste,wiederGeist,die Ideediesfordert,vermittelsdesAufhe-bensderNegationsichmit sichselbstzuvermittelnundin sichselbstzurückzugehen.Bei denIndernbleibtdasDritte Veränderung,Vernichtung.

»DiesedreiQualitätenwerdenvorgestelltalsdieWesenheitderNatur.Die Samkhjasagt:›Wir spre-chenvon ihnenwie vondenBäumeneinesWaldes.‹«Diesist jedocheinschlechterVergleich;dennderWald ist nureinabstraktAllgemeines,worin dieEin-zelnenselbständigsind.»In denreligiösenVorstel-lungenderWedas«(wo dieseQualitätenauchalsTri-murti vorkommen)»wird von ihnengesprochenals

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vonsukzessivenModifikationen,sodaß›alleszuerstFinsterniswar,danndenBefehlerhielt,sichzuver-wandeln,sodieWeisedesTriebes,derWirksamkeit(foulness) annahm‹«(dieabernochschlimmerist),»›bissieendlichaufnochmaligenBefehlBrahmasdieFormderGüteannahm‹«.

DasFerneresindnähereBestimmungenderIntelli-genzin RücksichtaufdieseQualitäten.»Zur Intelli-genzwerdenachtArtengerechnet,wovonvier derGüteangehören:erstensTugend;zweitensWissen-schaftundKenntnis;drittensLeidenschaftslosigkeit,dieentwederäußerliches,sinnlichesMotiv habe,dieAbneigungvor Unruhe,odergeistigerArt seiundausderÜberzeugungerwachse,daßdieNatureinTraumsei,einebloßeGaukeleiundTäuschung;viertensdieMacht.«Dieseseiachtfach,unddasinddennachtsonderbareEigenschaftenangegeben:dasVermögen,sichin eineganzkleineGestaltzusammenzunehmen,für die jedesDing durchdringlichsei;dasVermögen,sichzueinemgigantischenLeibeauszudehnen;dasVermögen,eineLeichtigkeitanzunehmen,umaneinemSonnenstrahlin dieSonnesteigenzukönnen;derBesitzvonunbegrenzterAktion derOrgane,sodaßmanmit denFingerspitzendenMondberührenkönne;unwiderstehlicherWille, sodaßmanz.B. indieErdetauchenkönnesoleichtwie in Wasser;Herr-schaftüberallebelebtenundunbelebtenWesen;die

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Kraft, denLauf derNaturzuverändern;dasVermö-gen,alles,wasmanwünsche,zuvollbringen.

»DaßsolchetranszendenteMacht«,fährtCole-brookefort, »demMenschenin seinemLebenerreich-barsei,ist nichtderSamkhja-Sekteeigentümlich,sondernallenSystemenundreligiösenVorstellungengemein;undsolcheMachtwird vonvielenHeiligenundBrahmanenin DramenundVolkserzählungendargestelltundgeglaubt.«Die sinnlicheEvidenzhilftdagegennicht;dennsinnlicheWahrnehmungist fürdie Inderüberhauptnichtvorhanden,allestravestiertsichin Bilder derPhantasie,jederTraumgilt ihnenalsWahrheitundWirklichkeit. DieseMachtschreibtdieSamkhjademMenschenzu, insofernerdurchBil-dungseinesDenkenssichin die Innerlichkeiterhebt.»DieYoga-Sutranenntin demeinenihrervier Kapi-tel eineMengevonÜbungen«,wodurchsolcheMachterlangtwird: z.B. tiefeMeditation,diemit Zurückhal-tungdesAtemsundUntätigkeitderSinnebegleitetsei,währendeinevorgeschriebeneStellungbeständigbeibehaltenwerde.DurchsolcheÜbungenerlangederAdeptdieKenntnisallesVergangenenwie Zukünfti-gen:dieGedankenderanderenzuerraten;dieStärkedesElefanten,denMut desLöwen,dieSchnelligkeitdesWindeszuhaben;in derLuft zu fliegen,im Was-serzuschwimmen,in dieErdezutauchen;alleWel-tenin einemAugenblickezuübersehenundandere

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wunderbareTatenzuverrichten.Die schnellsteWeiseaber,dieGlückseligkeitdurchtiefeKontemplationzuerreichen,seidiejenigeAndachtzuGott,welchedarinbestehe,denmystischenNamenGottes,Om, stetszumurmeln.Diesist eineganzallgemeineVorstellung.

Colebrookeerwähntnäherdie theistischeundathe-istischeTeilungderSamkhja.Währendim theisti-schenSystem»Iswara,derobersteRegiererderWelt,alseinevondenanderenSeelenunterschiedeneSeeleoderGeistangenommenwird, leugnetKapila«(in deratheistischenSamkhja)»denIswara,UrheberderWelt mit bewußtemWillen (byvolition), indemeranführt,daßeskeinenBeweisfürsDaseinGottesgebe.Die Wahrnehmungzeigeesnicht,nochlasseessichdurchsSchließenableiten.Er erkenntzwareinausderNaturhervorgehendesWesenan,welchesdieabsoluteIntelligenzsei,dieQuellealler individuellenIntelligenzenundderUrsprungalleranderenExisten-zen,diesichnachundnachausihr entwickeln.Er be-merktausdrücklich,daß›dieWahrheitsolcheinesIs-warabewiesenist‹, desSchöpfersderWelt in sol-chemSinnederSchöpfung,aber›dieExistenzvonWirkungen‹ (sagter) ›hängtvonderSeele,demBe-wußtsein, nichtvonIswaraab;alleskommtvondemgroßenPrinzip,derIntelligenzher‹«,derdie individu-elleSeeleangehört,durchwelchesiebetätigtwird.

3. WasdendrittenAbschnittderSamkhjabetrifft,Geschichte der Philosophie

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diebestimmtereWeisederErkenntnisdesPrinzips,sowill ich hiernocheinigeBemerkungenheraushe-ben,die Interessehabenkönnen.Von denverschiede-nenschonangegebenenErkenntnisartenbleibtdiedesRäsonnements,derZusammenhangim SchlußdurchdasVerhältnisvonUrsacheundWirkung,hierbeiHauptbestimmung,undich will angeben,wie siediesVerhältnisauffassen.»DerVerstandundalleanderenabgeleitetenPrinzipiensindWirkungen.Von ihnenschließensieauf ihreUrsachen«;diesist in einigerRücksichtanalogmit unseremSchließen,in andererabweichend.SiehabendieAnsicht:»DieWirkungenexistierenschonvor demWirkenderUrsache;dennwasnichtexistiert,kannnichtdurchKausalitätin dieExistenzgesetztwerden.«(EineKonsequenzhiervonwäredieEwigkeitderWelt, dennderSatz:»AusNichtswird Nichts«,andenauchColebrookehierer-innert,widersprichtderErschaffungderWelt ausNichtsin unsererreligiösenForm.)Colebrookesagt:»Dasheißt,WirkungensindEdukteeheralsProduk-te.«Esist geradedieFrage:wassindProdukte?NachdenIndernist nunschondieWirkung in derUrsacheenthalten.Z.B. seidasÖl schonin demSamendesSesamum,eheesausgepreßtwird, Reisin demHalm,eheergedroschen,Milch in demEuterderKuh, ehesiegemolken.Der Inhalt,»dasWesenderUrsacheundWirkung ist dasselbe«;einStückKleid seinicht

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wesentlichverschiedenvondemGarn,worausesge-woben.Sofassendie InderdiesVerhältnisauf.Wennmansagt:exnihilo nihil fit, somußmanzugleichsagen:GottschafftdieWelt nichtausNichts,sondernaussich;esist seineeigeneBestimmung,dieer in dieExistenzbringt.DerUnterschiedvonUrsacheundWirkung ist nureinFormenunterschied;derVerstandhält sieauseinander,nichtdieVernunft.Die Nässeistdasselbewie derRegen.Wir nennenesin derMecha-nik verschiedeneBewegungen,aberdieBewegunghatdieselbeGeschwindigkeitvor demStoßundnachdemselben - einVerhältnis,dasnachdemgewöhnli-chenBewußtseinganzverschiedenist. Diesist die In-differenzvonUrsacheundWirkung.

Die Inderschließennunauf»eineallgemeineUrsa-che,welcheununterscheidbarist. Die bestimmtenDingesindendlich«,unddeshalbmüsseeseinesiedurchdringendeUrsachegeben.Selbstdie Intelligenzist WirkungdieserUrsache;unddiesist dieSeele,so-fernsieschaffendist in dieserIdentitätmit derNaturnachihremAbstrahierendavon.Die WirkunggehtvonderUrsacheaus;aberumgekehrtist sienichtselbständig,sonderngehtzurückin dieallgemeineUrsache.Die ErschaffungderdreiWeltentritt hervor;aberdamitist zugleichdieallgemeineZerstörungge-setzt.Wie dieSchildkröteihreGliederausstreckeundhernachsiewiederinnerhalbihrerSchale

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zurückziehe,sowerdenbeidemallgemeinenUnter-gangeundAuflösungderDinge,welchezueinerbe-stimmtenZeit eintrete,die fünf Elemente,Erdeusf.,welchediedreiWeltenkonstituieren,wiederin derumgekehrtenOrdnungeingezogenalsdie, in welchersieausdemursprünglichenPrinziphervorgingen,indemsieSchrittfür Schrittin ihreersteUrsachezu-rückkehren, - diehöchsteundununterscheidbare,welcheseidieNatur.Dieserwerden»diedreiQualitä-ten:Güte,LeidenschaftundFinsternis«beigelegt.DasnähereVerhältnisdieserBestimmungenkönntesehrinteressantsein;aberesist nursehroberflächlichaufgefaßt:Die Naturwirke nämlichdurchdieMi-schungdieserdreiQualitäten;jedesDing habealledrei in sich,wie dreiStröme,diezusammenfließen.Ebensowirke siedurchModifikation,wie dasWas-ser,durchdieWurzelnderPflanzeeingesaugtundin-nerhalbderFruchtgeleitet,einenbesonderenWohlge-schmackerhalte.EssindsonurdieKategorienvonVermischungundModifikation vorhanden.Siesagen,dieNaturhabejenedreiQualitätenin ihremeigenenRechte,alsihreFormenundEigenschaftendieande-renDingenur,weil siein ihnenalsdieWirkungenjenervorhandenseien.

Zu betrachtenhabenwir nochdasVerhältnisderNaturzumGeist:»DieNatur,obsiegleichunbeseeltist« - (dieSeeleist für sich,keinGegenstanddes

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Genusses,auchnichthervorgebracht),»dieNaturver-richtetdasAmt, dieSeelevorzubereitenzu ihrerBe-freiung,wie esdieFunktionderMilch - einerSub-stanz,diekeineEmpfindunghat - ist, dasKalb zuernähren.«SiemachenfolgendenVergleich:DieNaturseieinerBajaderegleich,diesichderSeelezeigewie zueinerAudienz.SiewerdegeschmähtüberihreSchamlosigkeit,sichzuwiederholtenMalendemrohenAnblick desZuschauerspreiszugeben.»Abersietritt ab,wennsiesichgenuggezeigthat;sietut'sweil siegesehenwordenist; undderZuschauertritt ab,weil ersiegesehenhat.Siehatkeinenweite-renGebrauchfür dieWelt. DennochbleibtdieVer-bindungderNaturundderSeelefortdauerndbeste-hen.«Mit derErreichungdergeistigenErkenntnisdurchStudiumderPrinzipienwerdedieentschei-dende,unwiderlegbare,einzigeWahrheitgelernt,daß»ichwederbin, nochetwasmeinist, nochich existie-re.«Die Ichheitist nämlichnochunterschiedenvonderSeele;undzuletztverschwindetdie Ichheit,dasSelbstbewußtseindemInder:»Alles,wasim Bewußt-sein,Verstandevorkommt,wird reflektiertvonderSeele,aberalseinBild, dasdenKristall derSeelenichtbeschmutzt,ihm auchnichtangehört.Im BesitzdieserSelbstkenntnis«(ohneIchheit)»betrachtetdieSeelebequemdieNatur,dadurchentnommenderfruchtbarenVeränderungundbefreitvon jeder

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anderenFormundWirkungdesVerstandes,diesegei-stigeErkenntnisausgenommen«, - einvermitteltes,geistigesWissenvondemebensovergeistigtenInhal-te,einWissenohneIchheitundBewußtsein.»DieSeelebleibtzwareinigeZeit nochmit einemKörperbekleidet,abernurso,wie dasRaddesTöpfers,wennauchderTopf schonvollendetist, sichnochdreht,durchdieKraft desfrüherihm gegebenenImpulses.«Die SeelehatalsonachdenIndernnichtsmehrmitdemKörperzu tun,undihr Verhältniszu ihm wirddamiteinüberflüssiges.»WennaberdanndieTren-nungderunterrichtetenSeelevon ihremKörperend-lich eintritt unddieNaturin RücksichtderSeeleauf-hört,soist dieabsoluteundletztlicheBefreiungvoll-endet.«DiessinddieHauptmomentederSam-khja-Philosophie.

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2. Die PhilosophiedesGotamaund Kanade

Die PhilosophiedesGotamaundKanadegehörenzusammen;»diePhilosophiedesGotamawird Njajagenannt(rösonierend),diedesKanadeWaischeschika(partikuläre).Die erstereist einebesondersausgebil-deteDialektik, diezweitedagegenbeschäftigtsichmit derPhysik,d.h.mit denbesonderenodersinnli-chenObjekten«.Colebrookesagt:»KeinGebietderWissenschaftoderLiteraturhatmehrdieAufmerk-samkeitderInderaufsichgezogenalsdieNjaja;unddieFruchtdieserStudienist eineunzähligeMengevonSchriften,unterwelchensichArbeitenvonsehrberühmtenGelehrtenbefinden.«

»DieOrdnung,welcheGotamaundKanadebeob-achten,ist die,welchein einerStellederWedasange-deutetwird, alsdieerforderlichenSchrittezumUnter-richt undStudium,nämlich:Enunziation,DefinitionundUntersuchung.«Die EnunziationseidieErwäh-nungeinesDingesbeiseinemNamen,d.h.beidemesbezeichnendenAusdrucke,wie dieOffenbarungihnlehre;denndieSprachewird alsdemMenschengeof-fenbartbetrachtet.Die Definition stellediebesondereEigenschaftdar,welchedenwesentlichenCharaktereinesDingesausmache.Die UntersuchungbesteheinderNachforschungüberdieAngemessenheitunddas

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GenügendederDefinition. In Übereinstimmunghier-mit schickendieLehrerderPhilosophiediewissen-schaftlichenAusdrückevoran,gehenzudenDefini-tionenfort undkommendannaufdieUntersuchungdersovorausgeschicktenSubjekte.Mit demNamenmeintmandieVorstellung,womit in derUntersu-chungverglichenwird, wasin derDefinition angege-benist.

DasFernereist dannderzubetrachtendeGegen-stand.»Gotamaführt hiersechzehnPunktean,unterwelchenderBeweis,dieEvidenz«(dasFormelle),»unddas,waszubeweisenist, dieHauptpunktesind;dieübrigensindnursubsidiarischundakzessorisch,alszurErkenntnisundVergewisserungderWahrheitbeitragend.Die Njajastimmtdannmit denübrigenpsychologischenSchulendarinüberein,daßsieGlückseligkeit,endlicheVortrefflichkeit undBefrei-ungvomÜbelzumLohnefür einevollkommeneEr-kenntnisderPrinzipienverspricht,welchesielehre,d.h.derWahrheit;meinenddieÜberzeugungvonderewigenExistenzderSeelealstrennbarvondemKör-per« - derGeistfür sichselbst.Die Seeleist dannselbstderGegenstand,dererkanntundbewiesenwer-densoll. DasNähereist nochanzugeben.

DerersteHauptpunkt,dieEvidenzdesBeweiseshabevier Arten:erstensdieWahrnehmung;zweitensdasSchließen(inference), welchesdreiWeisenhabe:

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vonderFolgeaufdieUrsache,vonderUrsacheaufdieWirkung,undnachAnalogie.Die dritteArt derEvidenzseidieVergleichung;dieviertedieVersiche-rung(Behauptung),sowohlTraditionalsOffenbarungin sichbegreifend.DieseArtendesBeweisessindsehrausgeführt,sowohlin demaltenTraktat,denmandemGotamazuschreibt,alsauchvonunzähligenKommentatoren.

Daszweiteist derGegenstand,derzubeweisenist,derevidentwerdensoll; hierwerdenzwölf Gegen-ständeangegeben.DerersteundwichtigsteaberseidieSeele,alsvomKörperunddenSinnensichunter-scheidenderSitzderEmpfindungundderWissen-schaft, - derenExistenzdurchNeigung,Abneigung,Wollenusw.bewiesenwerde.SiehabevierzehnQua-litäten,wie Zahl,Größe,Besonderheit,Verbindung,Absonderung,Intelligenz,Vergnügen,Schmerz,Ver-langen,Abneigung,Wille, Verdienst,SchuldundEinbildungskraft. - Wir sehenauchin diesenganzordnungslosenerstenAnfängenderReflexionkeinenZusammenhangnochTotalitätderBestimmungen.DerzweiteGegenstandderErkenntnisseiderKörper;derdrittedieOrganederEmpfindung,wobeidie fünfäußerenSinnegenanntwerden.SieseiennichtModi-fikationendesBewußtseins(wie dieSamkhjabehaup-tet),sondernMaterialausdenElementen,respektivausErde,Wasser,Licht, Luft undÄtherbestehend.

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DerAugapfelseinicht (sagensie)dasOrgandesSe-hens,nochdasOhrdasdesHörens;sonderndasOrgandesSehensseieinLichtstrahl,dervomAugeausgehezumGegenstande:dasOrgandesHörensderÄther,derin derHöhledesOhrsmit demgehörtenGegenstandedurchdendazwischenbefindlichenÄtherkommuniziere.JenerLichtstrahlseigewöhnlichnichtsichtbar,geradewie einLicht nichtumMittaggesehenwerde;aberuntergewissenUmständenseierzusehen.BeimGeschmackseiWäßriges(wie derSpeichel)dasOrganusw.Ähnliches,wie hiervomSehengesagtwird, findetsichauchbeiPlatonim Ti-maios(Steph.45f.). InteressanteBemerkungenüberPhosphordesAugessindin einemAufsatzevonSchultzin GoethesMorphologieenthalten.Beispiele,daßMenschenbeiNachtgesehenhaben,sodaßihrAugedenGegenstanderleuchtet,kommenin Mengevor; aberdieErscheinungverlangtallerdingsbeson-dereUmstände. - DervierteGegenstandseiendieGegenständederSinne.Hier schaltetCesava(einKommentator)dieKategoriendesKanadeein,derensechsseien:Die erstederselbenseidieSubstanz;die-sergebeesneun:Erde,Wasser,Licht, Luft, Äther,Zeit, Raum,Seele,Verstand.Die Grundelementeder»materiellenSubstanzenwerdenvonKanadesoange-sehen,alsseiensieursprünglichAtomeundnachherderenAggregate.Er behauptetdieEwigkeitder

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Atome«;undeswird dannvielesbeigebrachtüberdieVerbindungderAtome,wobeiauchdieSonnenstäub-chenvorkommen.Die zweiteKategorieseidieQuali-tät,derenesvierundzwanziggebe:»1.Farbe,2. Ge-schmack,3. Geruch,4. Gefühl,5. Zahl,6. Größe,7.Individualität,8. Verbindung,9. Trennung,10.Prio-rität, 11.Posteriorität,12.Schwere,13.Flüssigkeit,14.Zähigkeit,15.Klang,16.Intelligenz,17.Vergnü-gen,18.Schmerz,19.Verlangen,20.Abneigung,21.Willen, 22.Tugend,23.Laster,24.eineFähigkeit,welchedreiArten in sichbegreife:Geschwindigkeit,ElastizitätundEinbildungskraft.Die dritteKategorieseidieAktion, dieviertedieGemeinschaft,die fünftederUnterschied,diesechstedieVerbindung(aggregation), die letztedesKanade;andereSchrift-stellerfügennochdieNegationalsdiesiebentehinzu.«Diesist dieArt undWeise,wie diePhiloso-phiebeidenIndernaussieht.Auf diezweiHaupt-punkte,dieEvidenzunddas,waszuwisseninteres-santist, läßtnundiePhilosophiedesGotamaalsdendrittenPunkt»denZweifel«folgen.Ein andererPunktist »derregelmäßigeBeweis«,dasförmlicheRäsonie-ren,»oderdervollständigeSyllogismus(Njaja),wel-cherausfünf Propositionenbesteht:1. derSatz,2.derGrund,3. derBeweis(theinstance), 4. dieAn-wendung,5. derSchluß.Z.B.: 1. DieserHügelist feu-rig; 2. denner raucht;3. wasraucht,ist feurig,wie ein

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Küchenherd;4. zugegeben«(accordingly, nunaber)»derHügelraucht;5. darumist er feurig.«Dieswirdsovorgetragenwie beiunsdieSyllogismen;abereskommesoheraus,daßdas,worumessichhandelt,vorngesetztist. Wir würdenhingegenmit demAllge-meinenanfangen.Diesist diegewöhnlicheForm,undeskannunsandiesenBeispielengenügen.Wir wol-len jedochjetztdieSachenocheinmalzusammenfas-sen.

Wir habenin Indiengesehen,daßdasSammelnderSeelein sich,ihr Erhebenin dieFreiheit,dasDenken,dassichfür sichkonstituiert,dieHauptsacheist. DiesFürsichwerdenderSeeleaufdieabstraktesteWeisekönnenwir intellektuelleSubstantialitätnennen;aberesist hiernichtEinheitdesGeistesundderNatur,sonderngeradedasGegenteilvorhanden.DemGeistist dieBetrachtungderNaturnurMittel, ÜbungdesDenkens,diezumZiel hatdieBefreiungdesGeistes.Die intellektuelleSubstantialitätist dasZiel; in derPhilosophieaberist sieim allgemeinendiewesentli-cheGrundlage,derAnfang;Philosophierenist dieserIdealismus,daßdasDenkenfür sichist, dieGrundla-gederWahrheitist. Die intellektuelleSubstantialitätist dasGegenteilvonderReflexion,demVerstande,dersubjektivenIndividualitätderEuropäer.Esist beiunsvonWichtigkeit,daßich eswill, weiß,glaube,meine,nachdenGründen,die ich dazuhabe,nach

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meinerWillkür; diesemwird einunendlicherWertzu-geschrieben.Die intellektuelleSubstantialitätist hier-zudasExtrem,davergehtalleSubjektivitätdesIch;für dieseist allesObjektiveeitelgeworden,esgibt fürsiekeineobjektiveWahrheit,Pflicht, Recht,undsoist diesubjektiveEitelkeitdaseinzigeZurückblei-bende.Esist dasInteresse,zuderintellektuellenSub-stantialitätzukommen,umjenesubjektiveEitelkeitmit aller ihrerGescheitheitundReflexiondarinzuer-säufen.Diesist derVorteil diesesStandpunkts.

DerMangelbestehtdarin,daß,indemdie intellek-tuelleSubstantialitätalsZiel undZweckfür dasSub-jekt vorgestelltwird, alseinZustand,derfür dasIn-teressedesSubjektshervorgebrachtwerdensoll, dieObjektivitätüberhauptmangelt.SosehrauchdieseintellektuelleSubstantialitätdasObjektivsteist, soistsiedochnurganzabstraktobjektiv;daherfehlt ihr diewesentlicheFormderObjektivität.Ebenjeneintellek-tuelleSubstantialität,diesoin derAbstraktionbleibt,hatzu ihrerExistenznurdiesubjektiveSeele;essollallesdarinuntergehen.Wie in derEitelkeit,wo nurdiesubjektiveMachtdesVerneinensdasBleibendeist, allesuntergeht,soenthältebensodiesAbstraktederintellektuellenSubstantialitätnurdieFluchtinsLeereundBestimmungslose.Esfehlt ihr die in sichselbstformierendeObjektivität;undesist nundarumzutun,daßdieserBodendieseBestimmung

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hervortreibe - dieunendlicheForm,diedasist, wasmandasDenkennennt,diesichbestimmendeObjek-tivität. DiesDenkenist erstensalssubjektivdasmei-nige(Ich, meineSeeledenkt);aberzweitensist das-selbeauchdieAllgemeinheit,welchedie intellektuelleSubstantialitätenthält;unddrittensist dasDenkendieformierendeTätigkeit,dasPrinzipdesBestimmens.Wir habensoeinezweiteWeisederObjektivität,dieunendlicheFormin sichist. Diesist derwahrhafteBoden,derbereitetwerdensoll, dersichselbstentfal-tet,bestimmtundaufdieseWeisedembesonderenIn-halteinenPlatzgibt, ihn gewährenläßtundin sicherhält.

In derorientalischenAnschauungtaumeltdasBe-sondere,ist bestimmt,vorüberzugehen;im BodendesDenkensdagegenhatesauchseineStelle.Eskannsichin sichwurzeln,kannfestwerden;undesist diesderharte,europäischeVerstand.Um ihn sichabzutun,dienensolcheorientalischeVorstellungen.Aber imBodendesDenkensist er flüssigerhalten,soll nichtfür sichwerden,sondernnurMomentdesganzenSy-stemssein.In derorientalischenPhilosophiehabenwir auchbestimmtenInhaltgefunden,derbetrachtetwird; aberdieBetrachtungist ganzgedankenlos,ohneSystematisierung,weil siedarübersteht,außerderEinheit.Jenseitsstehtdie intellektuelleSubstantiali-tät,diesseitsist esdanntrockenunddürftig. Das

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BesonderehatsonurdiehölzerneFormdesRäsonie-rensundSchließens,wie auchbeidenScholastikern.In demBodendesDenkenskanndagegendemBeson-derenseinRechtgeschehen;eskannalsMomentderganzenOrganisationangesehen,begriffenwerden.InderindischenPhilosophieist die Ideenichtgegen-ständlichgeworden;dasÄußere,GegenständlicheistdahernichtnachderIdeebegriffenworden.Esist diesdasMangelhaftedesOrientalismus.

DerwahrhaftobjektiveBodendesDenkenswurzeltin derwirklichenFreiheitdesSubjekts.DasAllge-meine,Substantielleselbstsoll Objektivitäthaben.IndemdasDenkendiesAllgemeine,derBodendesSubstantiellenist undzugleichIch ist - dasDenkenist dasAnsichundexistiertalsfreiesSubjekt-, sohatdasAllgemeineunmittelbareExistenzundGegen-wart;esist nichtnureinZiel, einZustandin denübergegangenwerdensoll, sonderndieAbsolutheitistgegenständlich.DieseBestimmungist es,diewir indergriechischenWelt vorfindenundderenAusbil-dungderGegenstandunsererweiterenBetrachtungist. Zuersttritt dasAllgemeinealsganzabstraktauf,sostehtesderkonkretenWelt gegenüber;aberesgiltfür denBodenbeider,für diekonkreteWelt undfürdas,wasansichist. Diesist nichteinJenseitiges,sonderndasGegenwärtigegilt dafür,daßesin demAnsichstehe,oderdasAnsich,dasAllgemeineist die

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WahrheitderGegenstände.

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