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georg augusta 12 2002 2 - Universität Göttingen · nen Bereiche werden von dem...

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Abb. 1 Tunnel von Äspö: Kleiner Pond mit chemo- lithotrophen Mikrobengemeinschaften. Dunkle Zonen werden dominiert von sulfat- reduzierenden Bakterien, die ockerfarbe- nen Bereiche werden von dem eisen-oxi- dierenden Bakterium Gallionella ferruginea gebildet. Die weißen, schlierigen Bereiche zeigen sulfidoxidierende Schwefelbakterien (Thioploca), und die weißen Flecken links unten repräsentieren die Methankarbonat- zonen. Fotos und Abbildungen: Abteilung Geobiologie
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Page 1: georg augusta 12 2002 2 - Universität Göttingen · nen Bereiche werden von dem eisen-oxi-dierenden Bakterium Gallionella ferruginea gebildet. Die weißen, schlierigen Bereiche zeigen

Abb. 1Tunnel von Äspö: Kleiner Pond mit chemo-lithotrophen Mikrobengemeinschaften.Dunkle Zonen werden dominiert von sulfat-reduzierenden Bakterien, die ockerfarbe-nen Bereiche werden von dem eisen-oxi-dierenden Bakterium Gallionella ferrugineagebildet. Die weißen, schlierigen Bereichezeigen sulfidoxidierende Schwefelbakterien(Thioploca), und die weißen Flecken linksunten repräsentieren die Methankarbonat-zonen.

Fotos und Abbildungen: Abteilung Geobiologie

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Es besteht kein Zweifel mehr, dassdie Tiefe Biosphäre eine erhebli-che Biomasse und weit unter-schätze Biodiversität besitzt. Siestellt damit ein wichtiges geneti-sches Reservepozential dar, wel-ches möglicherweise zur Regene-ration von Biotopen auf der Erd-oberfläche dienen kann. WelcheBedeutung den Mikroorganismentief im Erdinneren zukommt, magfolgendes erdgeschichtliches Ka-tastrophenszenario verdeutlichen:Man geht heute davon aus, dassdie Wiederbesiedelung der Erdenach mehreren Komplettverei-sungen vor rund 700 MillionenJahren – der so genannten »Schnee-ball-Erde« – auch durch das Vor-handensein von Lebensgemein-schaften der Tiefen Biosphäremöglich war. Außerdem sind dieOrganismen der Tiefen Biosphäre

Zeugen der frühen Entwicklungdes Lebens und deshalb auch fürastrobiologische Forschung überandere Planeten von erheblicherBedeutung (Reitner 2001). In die-ser Tiefe befinden wir uns in ei-nem früheren Stadium der Evolu-tion, das Aufschluss gibt überökologische Systeme von vor biszu zwei Milliarden Jahren und äl-ter. Darüber hinaus ist die TiefeBiosphäre eine bedeutsame geo-logische Kraft, die maßgeblichdurch ihre Stoffwechselvorgängegeochemische Zyklen beeinflusstund die Bildung von Gesteins- undLagerstättenvorkommen steuert(Wächtershäuser 1988). Das mo-derne Konzept einer Tiefen Bio-sphäre basiert maßgeblich auf ei-nem Artikel von Thomas Goldaus dem Jahr 1992 »Heiße TiefeBiosphäre«.

Jules Vernes Roman »Die Reise zum Mittelpunkt der Erde« gab vor rund140 Jahren Einblicke in verborgene Lebenswelten im Inneren der Erde.Was damals der Phantasie des Schriftstellers entsprungen war, beflügeltals Idee Forscher in aller Welt bis in die heutige Zeit. An der Georg-August-Universität Göttingen suchen Wissenschaftler der AbteilungGeobiologie des Geowissenschaftlichen Zentrums im Inneren der Erd-kruste, der oberen Lithosphäre, nach den Schnittstellen, an denen anor-ganische chemische Substanzen aus dem Erdinneren für den Stoffwech-sel von Organismen verwendet werden können. Erkundet wird die so ge-nannte Tiefe Biosphäre, um in ihrem Milieu unterhalb des Grundwas-serspiegels bisher unbekannte Mikroorganismen mit molekularbiologi-schen und biogeochemischen Verfahren zu identifizieren und zu cha-rakterisieren. Die Geobiologen erforschen, mit welchen biochemischenProzessen sich die Mikroorganismen am Leben erhalten und wie mine-ralische Stoffwechselprodukte entstehen. Das engere Arbeitsfeld sindMikroorganismen in extrem nährstoffarmen (oligotrophen) Fluiden – einmit Methan angereichertes Gemisch aus Gas und Wasser, in dem Mikro-organismen leben können – aus Mikroporenräumen von Kristallinge-steinen der Erdkruste. Daneben werden methanreiche Flüssigkeiten ana-lysiert, die am Meeresboden austreten und Organismen aus tieferen Erd-schichten nach oben spülen. Die mikrobielle Methanbildung und Me-thankonsumption hat sich dabei als ein wesentliches ökologisches Mu-ster der subterranen Biosphäre herausgestellt.

An den Grenzen des LebensDie Tiefe Biosphäre –

Vielfalt mikrobiellen Lebens im Inneren der Erde

Joachim Reitner

GENE UND GRENZEN

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Soweit die Geobiologie weiß,repräsentiert die Tiefe Biosphäreausschließlich prokaryote (ohneeigentlichen Zellkern) Mikroorga-nismen – Eubacteria und Archaea.Diese Mikroorganismen definie-ren sich über ihre physiologi-schen Eigenschaften, das heißtdarüber, wie sie sich »ernähren«und mit Energie versorgen. Ver-einfacht stehen drei Möglichkei-ten zur Verfügung: Photoauto-trophie, Heterotrophie und Chemo-lithoautotrophie. In den dunklentiefen Zonen der Tiefen Biosphä-re spielen Mikroorganismen, diesich mit Hilfe der Photosyntheseam Leben erhalten, verständli-cherweise keine Rolle. Heterotro-phe Mikroorganismen, die sichvon organischen Produkten er-nähren, sind wegen der geringenBiomasse in den uns interessie-renden Kristallingesteinen auchnur in geringen Mengen vorhan-den. Von besonderem Interesseist daher die dritte Gruppe derchemolithotrophen Organismen.Sie können aus chemischen Ver-

bindungen, beispielsweise beider so genannten autotrophenMethangenese, bei der H2 undCO2 in Methan verwandelt wird,Energie gewinnen (Pedersen1993, 1997).

Bisher gibt es keine eindeutigeDefinition darüber, wo die TiefeBiosphäre beginnt und was »tief«ist. Vielmehr definieren sich dieGrenzen dieses versteckten Le-bensraumes über ihre »Bewoh-ner« und die Bedingungen derUmgebung. Die chemolithotro-phen Organismen sind die typi-schen Vertreter der Tiefen Bio-sphäre. Sie stehen am Anfang derBiosynthese und der Nahrungs-ketten. Gleichzeitig sind das Feh-len von Sauerstoff (anaerobe Si-tuation) und die mit zunehmenderTiefe höhere Temperatur sowieder steigende Druck entscheiden-de Parameter. Durchschnittlichwerden in einer Tiefe von 5.000bis 6.000 Metern Temperaturenum 110 bis 113 Grad Celsius er-reicht. Soweit wir wissen, gibt eseine strikte Temperaturabhängig-

keit vieler chemolithotropherGemeinschaften, so dass von denoberflächennahen Bodenhorizon-ten bis in die großen Tiefen voneinigen Kilometern die unter-schiedlichsten mikrobiellen Le-bensgemeinschaften zu erwartensind.

Uns interessieren die heißentiefen Lithosphären-Zonen, andenen vorwiegend prokaryoteOrganismen vorkommen, bei-spielsweise Eubakterien und Ar-chaea. Geowissenschaftlich vonbesonderem Interesse sind biolo-gische Prozesse in den tiefen,nährstoffarmen Kristallingesteins-biotopen der oberen Erdkruste,an denen die Tiefe Biosphäre inKontakt mit der Erdoberflächekommt. Dabei stellt sich der Zu-gang als ein großes Problem fürdie Wissenschaftler dar. TiefeBohrungen, Bergwerke und Tun-nel kommen als Möglichkeiten inFrage. Die von uns begehrtenFluide treten auch über Geysirean die Erdoberfläche aus. In mari-nen Milieus werden diese heißen

Abb. 2Tunnel von Äspö: Kleiner Pond mit

chemolithotrophenMikrobengemeinschaf-

ten. Detail aus der Methankarbonatzonemit kleinen Karbonat-

röhren, durch die Methan in die

Gallionella-Zone trans-portiert wird.

BIODIVERSITÄT

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Austrittsstellen »Black Smoker«genannt, bedingt durch ihreSchwefelwasserstoff (H2S)-rei-chen Fluide. Treten kühle, me-thanreiche Fluide am Meeresbo-den aus, spricht man von »ColdSeeps«.

Unsere Arbeitsgruppe ist untermeiner Leitung in unterschied-licher personeller Besetzung seitfünf Jahren an Bohrungs-, Tunnel-und Meeresboden-Projekten be-teiligt: Im Rahmen des deutschenKontinentalen Tiefbohrprogramms(KTB) wurden in den neunzigerJahren im Fichtelgebirge (Win-discheschenbach) zwei Tiefboh-rungen abgeteuft, eine auf vier Ki-lometern (Vorbohrung) und eineandere auf rund neun Kilometern.Aus der Vorbohrung konnte ausrund vier Kilometern Tiefe dasmesothermophile EubakteriumFlexistipes sinusarabici identifi-ziert werden (Huber et al. 1994).Die dort ebenfalls vermutetenhyperthermophilen Organismenkonnten wir allerdings bis jetztnoch nicht nachweisen. Eindeuti-ge Ergebnisse zur heißen TiefenBiosphäre brachte dagegen das»Deep Gas Projekt« in Mittel-schweden: In einer Bohrung amSiljan-See bei Gravenberg (Mit-telschweden) konnten in 5,2 Kilo-metern Tiefe hyperthermophileMikroorganismen (Thermoanae-robacter, Thermoanerobium, Clo-stridium thermohydrosuluricum)von schwedischen Kollegen iso-liert und charakterisiert werden(Szewzyk et al 1994).

Im Folgenden soll ein Projektnäher beschrieben werden, andem die Abteilung Geobiologiemit zwei Wissenschaftlern und ei-nigen Studierenden beteiligt ist. Essind unsere Forschungen im Tun-nel von Äspö (Südschweden), dieals Beispiel für die mikrobiologi-schen Biotope in Kristallingestei-nen der oberen Erdkruste gelten.Die in Äspo bei mehreren Unter-nehmungen isolierten und dannin Göttingen weiter untersuchtenMikroorganismen werde ich imFolgenden mit Ergebnissen von

Forschungen an marinen ColdSeeps, den methanreichen Fluid-austritten am Meeresboden, inBeziehung setzen.

Die Tunnelanlage von Äspöwird seit circa zehn Jahren von derschwedischen Nuklear-Behörde(SKB) betrieben, um die Grundla-gen für eine Endlagerung hochak-tiven radioaktiven Abfalls in Gra-niten und anderen Kristallinge-steinen der Erdkruste zu schaffen.Prof. Dr. Karsten Pedersen vonder Universität Göteborg hat dortein geomikrobiologisches Laborund kooperiert seit zwei Jahrenmit der Abteilung Geobiologieder Universität Göttingen. DerTunnel von Äspö ist circa vier Ki-lometer lang, rund 500 Meter tiefund kann mit einem Lastwagenbefahren werden. Er wurde spe-ziell als Labor für die Endlagerungvon radioaktivem Abfall konzi-piert und abgeteuft. Ausgehendvon verschiedenen Niveaus sindBohrungen in weit größere Tiefenabgeteuft worden, aus denen die Methan-Wasser-Gemische alsFluide gewonnen werden. An ei-nigen Stellen laufen Krustenfluideaus der Tunnelwand, und es bil-den sich Tümpel. Dort kommt eszu einer enormen Entfaltung vonGemeinschaften anaerober undaerober chemolithotropher Mikro-organismen (Abb. 1 und 2). DieseKluftwässer stammen aus ver-schiedenen Aquiferen (Wasser-speichern) – aus unterschiedlichenTiefen bis circa 2,5 Kilometer.

Es entwickeln sich Biomatten,die auf einem Methanstoffwechselbasieren und einen biochemi-schen Prozess initiieren, in demverschiedene Mikroorganismen inihren Stoffwechselproduktionenmiteinander interagieren: Aus-gangspunkt sind methanogeneArchaea (Methanosarcina) undeisenreduzierende Mikrobenge-meinschaften (Shewanella). Es fol-gen in der Nahrungskette anaero-be CH4-oxidierende Archaea(Euryarchaeota ANME-1 Gruppe)und sulfatreduzierende Eubakte-rien (SRB) (Desulfosarcina-Grup-

pe) (Abb. 4 und 5) (Boetius etal.2000). Die hier ablaufendeanaerobe Methanoxidation för-dert die Bildung spezieller Karbo-nate (Abb. 2), die extrem an demschweren Kohlenstoff-Isotop 13Cabgereichert sind. Leichte C-Iso-tope, die wir nachweisen konn-ten, gelten als Beweis für eineüber den Methanstoffwechselmikrobiell gesteuerte Kalkbil-dung. Methanogene und metha-notrophe sowie eisenreduzieren-de Mikroorganismen sind – so einwesentliches Ergebnis unsererForschung – eine Grundlage derBiosphäre in kristallinen Zonenim Erdinneren.

Die mikrobielle Methanbil-dung ist eine der charakteristi-schen ökologischen Muster derunterirdischen Biosphäre im Kri-stallingestein. Es gibt abiologi-sche und biologische Methan-quellen, die sich durch ihreKohlenstoffisotopenmuster unter-scheiden. Das mikrobiell erzeug-te Methan ist charakterisiertdurch extrem leichte �13C Werte,abiologisches Methan ist wesent-lich schwerer. Von besonderemInteresse ist dabei die Bildungvon Methan aus so genanntemGeo-Gas (CO2 und H2), welchesin großen Tiefen häufig vorhan-den ist.

Abb. 3Vereinfachter Aufbau derPond-Gemeinschaft imTunnel von Äspö.

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BIODIVERSITÄT

Das Methan wird unter Aus-schluss von Sauerstoff (anaerob)durch Euryarchaeota unter Betei-ligung sulfatreduzierender Eu-bakterien (Desulfosarcina) unteranderem zu Hydrogencarbonatund Wasser oxidiert. Das Hydro-gencarbonat verbindet sich mitCalzium-Ionen zu Kalziumkarbo-nat (Kalk), eine Verbindung, die

geologisch höchst interessant istund weitreichende Diagnosenzulässt. Über der beschriebenenZone, die wir als anaerobe Meth-ankonsumtionszone bezeichnen,wachsen im Tunnel von Äspö be-vorzugt die von uns als typisch fürdie dysaeroben (geringer O2-Ge-halt) Zonen der Tiefen Biosphäreeingeordneten chemolithotro-

phen, eisenoxidierenden Bakte-rien (Gallionella ferruginea) (Abb.1 und 5).

Ein typisches mikrobielles Bio-mineral ist Eisen-Hydroxid. Dasentsprechende Bakterium besitzteine besondere anatomischeStruktur, eine wie ein Zopf ge-flochtene, sackartige Struktur, dieaus EPS besteht. EPS sind Substan-zen, die überwiegend aus Zucker-molekülen (Polysaccharide) gebil-det werden (Abb. 5). Mit Hilfe die-ser Struktur reichert der Orga-nismus ungewöhnliche Elementewie Seltene Erden (REE) und Pla-tin-Gruppen-Elemente an (Ir, Os,Pt) an. Die mikrobielle Aktivitätdes Bakteriums bildet auf dieseWeise besondere Erzlagerstätten.Bestandteil des Gallionella-Kon-sortiums sind auch aerobe Metha-noxidierer (Methylococcus), diesich von ursprünglich Photosynte-se treibenden Purpurbakterien ab-leiten lassen (Proteobacteria).

Oberhalb der dysaeroben Gal-lionella-Zone beginnt eine Zone,

Abb. 4FISH-Bild der Mikroben-

gemeinschaft der anaeroben Methan-

oxidationszone. Rot fluoreszieren alle

Archaea, grün markiertsind anaerob me-

thanoxidierendeArchaea. Diese

Archaea sind an dengelben Farben erkenn-

bar, die sich aus derÜberlagerung des rotenund grünen Farbstoffes

ergeben. Es handeltsich um eine epifluores-

zenzmikroskopische Aufnahme.

Abb. 5Rasterelektronenmi-

kroskopisches Bild vonanaeroben methan-

oxidierenden Archaea.Die gedrehten Struktu-

ren sind die zopfartigenEPS-Strukturen von

Gallionella ferruginea.

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in der es bereits reichlich Sauer-stoff gibt. Diese grundlegend neu-en Bedingungen lassen wiederneue Mikrobengemeinschaftenentstehen und andere biochemi-sche Prozesse ablaufen. Hier fin-den wir sulfidoxidierende, fädigeSchwefelbakterien (Thioploca).Sie oxidieren Sulfid zu elementa-rem Schwefel und lagern diesenin Zellvakuolen ab. Diese Schwe-felbakterien sind aerob und re-präsentieren die obere Lage die-ser überwiegend chemolithotro-phen Mikrobengemeinschaft.Bisher konnten wir diese Bakte-rien in den sauerstoffreichenOberflächen-Wässern des Äspö-Tunnels finden, jedoch nicht inden Porenwässern der kontinen-talen Tiefen Biosphäre.

Im vorläufigen Ergebnis habenunsere Forschungen eine überra-schend hohe Diversität in denmikrobiellen Gemeinschaften ge-zeigt, die Gesamtdiversität derMikroorganismen in den Ponds istbis heute nicht bekannt. Mit mo-dernen Bestimmungsmethoden,die uns unabhängig von der Pfle-ge und Erhaltung von Lebendkul-turen machen, können wir eineenorme Vielfalt von Mikroorga-nismen nachweisen, die wir nochnicht im Detail kennen. Eine die-ser Methoden nennt sich FISH(Fluoreszenz-in-situ-Hybridisie-rung) (Manz et al. 2000, Woese etal 1990). Dabei werden Genson-den, zum Beispiel von verschie-denen in ihrer Genstruktur be-kannten 16sRNA-Genen biotech-nologisch herstellt, mit einem Flu-oreszenz-Farbstoff versehen undauf die Probe mit unbekanntenMikroorganismen aus den Tunnel-Milieus aufgebracht. Die mit Farb-stoff markierten Gensonden wan-dern zu den Organismen, die ver-gleichbare RNA-Abschnitte besit-zen. Mit dem Fluoreszenz-Mikros-kop können dann die Mikroorga-nismen sichtbar gemacht werden(Abb. 4 und 6) und erste Erkennt-nisse über den Aufbau und dieNeuartigkeit der gefundenen Or-ganismen geben. Diese Forschun-

gen werden in der Abteilung Geo-biologie der Fakultät für Geowis-senschaften und Geographie inZukunft im Rahmen einer von derDeutschen Forschungsgemein-schaft geförderten Arbeitsgruppeweitergeführt werden.

Ein weiteres Forschungsinter-esse der Göttinger Geobiologiegilt den Cold Seeps, den Methan-quellen auf dem Meeresboden.Cold Seeps finden sich weltweit,zum Beispiel im Golf von Mexi-ko, auf dem Schelf (CascadiaKontinentalrand) der Westküsteder USA, im Schwarzen Meer(Peckmann et al 2001, Thiel et al.2001). In Tiefen von mehreren100 Metern sammeln Forschermit Hilfe von Tauchrobotern undbemannten Forschungstauchboo-ten Proben und fangen die fluidenSubstanzen in Gefäßen auf, umsie zu weiteren Analysen an dieOberfläche und in ihre Labore zubringen. Die Göttinger Geobiolo-gie ist mit einem vom Bundesmi-nisterium für Bildung und For-schung (BMBF) geförderten Pro-jekt an den Untersuchungen derCold Seeps im Schwarzen Meerbeteiligt. Dabei kommt das aus-gasende Methan zum Teil ausGashydraten aus tiefen Sediment-lagen. Es handelt sich dabei zumgrößten Teil um Wasser-Eiskäfigemit eingeschlossenen Methan-Molekülen, die sich in mehreren

100 Metern Sedimenttiefe bilden,abhängig von Temperatur undDruck. Ein weiterer Teil des Me-thans stammt direkt aus dem me-thanogenen, mikrobiellen Stoff-wechsel. Bei den Analysen derProben und einem Vergleich mitden Äspö-Proben kamen wir zudem Ergebnis, dass es eine weit-gehende Übereinstimmung dermikrobiellen Konsortien gibt. DieMikroorganismen der Tiefen Bio-sphäre, der kristallinen Litho-sphäre und der marinen ColdSeeps ähneln in wesentlichen Tei-len einander, ein Ergebnis, daswir als Bestätigung der globalenExistenz einer auf methanbasier-ten tiefen Biosphäre werten.

Die Ergebnisse unsere laufen-den Forschungen in den tiefenSchichten der Erdkruste, in derTiefen Biosphäre, haben die hoheBiodiversität an Mikroorganis-men mit einer erstaunlichen, inder Regel auf Methan, Eisen undSchwefel basierenden Stoffwech-seltätigkeit ergeben. Nach der Ar-beit vor Ort, im Tunnel von Äspö,an den Bohrlöchern im Fichtelge-birge oder an den Cold Seeps inden Weltmeeren, beginnt in Göt-tingen die diagnostische Arbeitim Labor. Mit aufwändigen bio-geochemischen und biologi-schen Verfahren gelingt es, immerneue Mikroorganismen zu identi-fizieren und ähnliche Stoffwech-

Abb. 6FISH-Bild der Mikroben-gemeinschaft der anaeroben Methanoxi-dationszone eines ColdSeep (Methan-Quelle)im Schwarzen Meer. Rot fluoreszieren sulfat-reduzierende Bakterien.Grün markiert sind an-aerob methanoxi-dierende Archaea

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BIODIVERSITÄT

dization shows the spatial arrangement ofbacteria in sponge tissue. - Journal of Mi-crobiological Methods, 40: 125-134.

Peckmann, J., Reimer, A., Luth, U., Luth,C., Hansen, B. T., Heinicke, C., Hoefs, J. &Reitner, J. (2001): Methane-derived carbo-nates and authigenic pyrite from the north-western Black Sea. Mar. Geol.177, 129-150

Pedersen, K. (1993): The deep subterraneanbiosphere, Earth-Science Rev., 34, 243-260

Pedersen, K. (1997): Microbial life in deepgranitic rock, FEMS, 20, 399-414

Reitner, J. (2001): Astrobiologie - DerSchlüssel zur organischen Welt? - In: Wis-senschaften 2001 Diagnosen und Progno-sen (ed. Akademie der Wissenschaften zuGöttingen) - 204-223; Wallstein Verlag(Göttingen)

selaktivitäten an verschiedenenStellen der Tiefen Biosphäre nach-zuweisen. Gentechnische Metho-den erlauben es uns heute, dasWissen über die Anfänge winziger,lebendiger Strukturen ständig zuerweitern. Möglicherweise kön-nen wir mit diesen Forschungsan-strengungen der Geobiologie ir-gendwann einer Antwort auf dieFrage nach dem Beginn des Le-bens auf unserem Planeten näherkommen. �

140 years ago, Jules Verneshad phantastic ideas about

a hidden biosphere within the in-terior of the earth. The scientifichypothesis of a »deep biosphere«is more recent and its first prota-gonist was Thomas Gold, whopublished his already famous ar-ticle »The deep hot biosphere« in1992. Research activities are in-creasing for many reasons, forexample, to search for hiddenhydrocarbon resources and orebodies or simply to get more in-formation about the beginnings ofliving cells. Research results deal-ing with the deep biosphere haveshown that metabolic processesin many cases determine the for-mation of deposits. The Depart-ment of Geobiology at GöttingenUniversity is successfully invol-

ved in projects of this nature. Ouractivities concentrate on themetabolic processes of microbeswithin the upper lithosphere andon mineralised final products likespecial minerals and rocks. In or-der to understand these proces-ses, enhanced knowledge aboutthe size of the microbial biodiver-sity in these deep environments isnecessary. At this point, the majo-rity of the organisms are un-known. For their identificationand characterization, molecular-biological, geobiological, andbiogeochemical methods areused. The activities of the Göttin-gen research group are focusedon procaryotic microorganisms in extreme oligotrophic fluids.These fluids are enriched in me-thane. Methane is the key hydro-

carbon of the deep biosphere. Partof the methane is of biologicalorigin via microbial methanoge-nesis and part of the methane isabiologically formed in the earthmantle via thermogenic processes.Biologically formed methane isextremely rich in light carbon iso-tope 12C in contrast to the abiolo-gically formed methane. Metha-nogenetic microbes are the biolo-gical driving force of the deepbiosphere. In certain submarineenvironments methane-rich fluidsare venting and forming methanecarbonate bodies (Cold Seeps).The microbial consortia are com-parable with the deep biosphereones. Microbial methanogenesisand consumption is an importantecological pattern of thesubterranean biosphere.

Literatur

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Manz, W., Arp, G., Schumann-Kindel, G.,Szewzyk, U. & Reitner, J. (2000): Widefield deconvolution epifluorescence microsco-py combined with fluorescent in situ hybri-

Prof. Dr. Joachim Reitner studierte Geologie und Pa-läontologie an der Universität Tübingen, wo er 1984promoviert wurde. Von 1984 an war er am Institut für Paläontologie der Freien Universität Berlin tätigund habilitierte sich dort 1991 in den FächernPaläontologie und Geologie. 1993 übernahm er eine

Gastprofessur an der Universität Paris in Orsay und wurde 1994 auf den Lehrstuhl für Paläontologie der Universität Göttingenberufen. 1996 wurde Prof. Reitner mit dem Wilhelm-Leibniz-Preisder Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet.

Szewzyk, U., Szewzyk, R. & Stenström,T.A. (1994): Thermophilic, anaerobic bac-teria isolated from a deep borehole in gra-nite in Schweden. - Proc. Natl. Acad. Sci.USA, 91, 1810-1813.

Thiel, V., Peckmann, J., Richnow, H.-H.,Luth, U., Reitner, J. & Michaelis, W. (2001):Molecular signals for anaerobic methaneoxidation in Black Sea seep carbonates andmicrobial mats. - Mar. Chem. 73, 97-112

Wächtershäuser, G. (1988): Before enzy-mes and templates: theory of surface meta-bolism. - Microbiological Reviews 52: 452-484

Woese, C.R., Kandler, O. & Wheelis, M.L.(1990): Towards a natural system of orga-nisms: proposal for the domains archaea,bacteria and eukarya. - Proc.Natl.Acad.Sci.USA, 87, 4576-4579

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GENE UND GRENZEN

Mikroorganismen sind in der La-ge, unter – aus menschlicherSicht – höchst erstaunlichen Be-dingungen zu überleben und sichzu vermehren. So können man-che Mikroorganismen unter ex-trem sauren (um pH 0) oder ex-trem alkalischen Bedingungen(bis etwa pH 13) wachsen (extremacidophile beziehungsweise ex-trem alkaliphile Mikroorganis-men). Andere vertragen äußerstniedrige Wasseraktivitäten (aw-Werte bis zu etwa 0,6) oder hoheSalzkonzentrationen (�w-Wertebis zu etwa 0,75 bei einer Salz-konzentration um ~25% [w/v] ingesättigten Salzseen; extrem Ha-lophile). Wieder andere Mikroor-ganismen können unter extremhohem Druck leben (zwischenetwa 30 bis >110 MPa in der Tief-see), wobei aber nur wenige die-ser Organismen hohe Drückezum Wachstum benötigen (Baro-phile), sondern meist diese Be-dingungen lediglich ertragen, al-so barotolerant sind. MancheMikroorganismen sind außerge-wöhnlich strahlungsresistent. Sokann die Bakterienart Deinococ-cus radiodurans extrem hohenBestrahlungsdosen von radioakti-ver Strahlung widerstehen (6.000rad/h). Mit Blick auf die Tempera-tur als Wachstumsparameterkann festgestellt werden, dass einbreites Spektrum an Temperatu-

ren möglich ist. Die bislang be-kannten Extreme liegen bei unter0°C (Psychrophile) und über110°C (extrem Thermophile). DerOrganismus mit der höchsten bis-her bekannten Wachstumstempe-ratur, die zur Gruppe der Archae-en gehörende Art Pyrolobus fu-marii, kann sich bei Temperatu-ren bis 113°C noch vermehren.Mikroorganismen, deren Tempe-raturoptimum des Wachstums bei80°C oder höher liegt, werdenauch als Hyperthermophile be-zeichnet. Typischerweise sindnahe den eben aufgezeigten (vor-läufigen) Grenzen der Extrembe-dingungen die prokaryotischenMikroorganismen, also Bakterienund Archaeen, den eukary-otischen überlegen. Die moleku-laren Mechanismen, die diesenMikroorganismen erlauben, unterderart widrigen Bedingungen zubestehen, beinhalten spezifischeAnpassungen auf den Ebenen von(1) Struktur und Funktion vonBiomolekülen und (sub)zellullä-

Es gibt Mikroorganismen, die sich bei extrem hohen Temperaturen, sehr sauren oder alkalischen Bedingungen,hohen Salzkonzentrationen oder sogar unter dem starkem Druck in der Tiefsee erst richtig wohl fühlen. Man-che dieser äußerst unwirtlich erscheinenden Umgebungsbedingungen, wie zum Beispiel hohe Temperaturen,könnten während der Entstehung und frühen Diversifizierung des Lebens auf der Erde vorgeherrscht haben. Mitgentechnischen und mikrobiologischen Methoden untersuchen Wissenschaftler des Instituts für Mikrobiologieund Genetik der Georg-August-Universität Göttingen verschiedene, an extreme Lebensumstände angepassteprokaryotische Mikroorganismen – Kleinstlebewesen ohne definierten Zellkern. Sie erforschen unter anderemdie Enzymausstattung, den Stoffwechsel, die Regulation der Expression der Gene bis hin zur Analyse der Ge-nome derartiger Organismen mit dem Ziel, die molekularen Mechanismen der Anpassung an Extremophilie zuergründen. Hier arbeiten die Göttinger Mikrobiologen beispielsweise an der Untersuchung von extrem hitze-beständigen Enzymen des Stärkeabbaus und des Abbaus von Pflanzenzellwänden aus Thermotoga maritima,einem Bakterium, dessen optimale Wachstumstemperatur 80°C beträgt, sowie an der Entschlüsselung der Erb-information von Picrophilus torridus, einem Archaeon, welches zum Wachstum hohe Temperaturen (60°C) undgleichzeitig extrem saures Milieu (pH 0-1) bevorzugt. Neben dem Interesse an den Grundlagen des (Über)Le-bens unter Extrembedingungen stellen die »Extremisten« unter den Mikroorganismen eine reiche Quelle neu-er, an extreme Bedingungen angepasster Biokatalysatoren dar, die wegen ihrer Robustheit für die Anwendungin biotechnologischen Verfahren höchst interessant sind.

Extremisten am WerkExtremophile: Mikroorganismen unter

Extrembedingungen

Wolfgang Liebl

ren Strukturen, (2) Physiologieund Stoffwechsel und (3) Regula-tion von Genexpression und Be-wahrung der Integrität der geneti-schen Information. Diese Mecha-nismen sind bisher nur unzurei-chend erforscht.

Obwohl die genannten Umge-bungsbedingungen äußerst un-wirtlich erscheinen, könntenmanche dieser Bedingungen wiezum Beispiel hohe Temperaturenwährend der Entstehung und derfrühen Diversifizierung des Le-bens auf der Erde vorgeherrschthaben. Interessanterweise benöti-gen manche Hyperthermophilemit chemolithotrophem Stoff-wechsel (das heißt Mikroorganis-men, die die für ihren Stoffwech-sel nötige Energie aus Oxida-tions/Reduktions-Reaktionen mitanorganischen Stoffen gewinnen)für ihre Ernährung und ihrenEnergiestoffwechsel nur Grund-nährstoffe, die bei Vulkanaktivitätentstehen. Molekularsystemati-sche Untersuchungen, die auf

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BIODIVERSITÄT

führen wir regelmäßig erfolgreichim Rahmen des Mikrobiologi-schen Großpraktikums am Göt-tinger Institut für Mikrobiologieund Genetik durch.

Biochemische und strukturelleAnalyse von ungewöhnlichenEnzymen aus hyperthermo-philen BakterienDie Abteilung für Angewandte Mi-krobiologie am Institut für Mikro-biologie und Genetik beschäftigtsich bereits seit mehreren Jahrenmit der Untersuchung von Enzy-men von Thermotoga maritima(Abb. 2), dem mit einem Tempe-raturoptimum des Wachstumsvon 80°C thermophilsten organo-trophen Vertreter der Bacteria.Dieser Organismus stellt einereichhaltige Quelle hitzeresisten-ter Enzyme des Abbaus pflanz-licher Polysaccharide dar. DieSchwerpunkte der Untersuchun-gen der Abteilung liegen derzeitbei Enzymen des Abbaus der kom-plex aufgebauten Pflanzenzell-wandkomponente Xylan und desSpeicherpolysaccharids Stärke.

Auf dem Gebiet stärkeumset-zender Enzyme ist uns die Identi-fizierung verschiedener unge-wöhnlicher Enzyme gelungen,beispielsweise untersuchen wirzwei so genannte MaltodextrinGlycosyltransferasen von T. mariti-ma, die als 4-�-Glucanotransfe-rase (GTase) und Maltosyltrans-ferase (MTase) bezeichnet wur-den. Diese Enzyme spalten vonStärke oder Stärkeabbauproduk-ten Stücke ab und übertragen die-se auf geeignete Akzeptormole-küle, die typischerweise ebenfallsStärke oder Stärkeabbauproduktesind. Durch derartige Transfer-reaktionen werden diese Kohlen-hydratmoleküle umstrukturiert.MTase besitzt eine einzigartige,strikte Transferspezifität für Mal-tosylreste (Abb. 3), während dieGTase eine sehr viel breitereTransferspezifität aufweist. Inte-ressanterweise sind der Aufbauund der enzymatische Reaktions-mechanismus von MTase (Abb. 4)

dem Vergleich der Nukleotidse-quenz (Buchstabenabfolge derErbinformation) von Genen fürribosomale RNA beruhen, welchesich im Laufe der Evolution nursehr langsam verändern, weisendarauf hin, dass die Hyperthermo-philen die kürzesten und tiefstenAbzweigungen in den phylogene-tischen Stammbäumen der Ar-chaea und der Bacteria bilden(Abb. 1). Dies lässt vermuten, dassdiese Mikroorganismen in ihrenBiomolekülen und Stoffwechsel-wegen möglicherweise archaischeMerkmale bewahrt haben. In die-sem Zusammenhang ist es interes-sant anzumerken, dass mancheHyperthermophile Besonderhei-ten in ihrem zentralen Stoffwech-sel aufweisen, die von klassischenFormen abweichen. Dieser Be-fund, sowie der Wunsch, die Mechanismen der thermophilen Anpassung zu verstehen, undschließlich die Suche nach hochstabilen Biokatalysatoren für bio-technologische Anwendungensind die Triebfedern der derzeiti-gen Forschung an extrem thermo-philen Mikroorganismen.

Extrem Thermophile können aus marinen oder terrestrischenGebieten mit vulkanischer Akti-vität gewonnen werden. Diemikrobielle Diversität, die mandabei antrifft, ist in manchen Fäl-len erstaunlich hoch. Auch in tiefunter der Erdoberfläche liegen-den, 60 bis 100°C heißen Ölvor-kommen in Alaska, Sibirien oderunter der Nordsee wurden extremthermophile Bakterien und Ar-chaeen gefunden, wobei abernoch unklar ist, ob diese durchden Menschen dort eingebrachtwurden oder ob es sich dabei umnatürlich vorkommende Bewoh-ner dieser Habitate handelt. Auchvom Rand glimmender Abraum-halden des Kohlebergbaus oderaus Geothermalkraftwerken kön-nen extrem Thermophile isoliertwerden. Sogar an ganz unspekta-kulären Orten unserer täglichenUmgebung können moderat oderextrem thermophile Bakterienisoliert werden, zum BeispielClostridien oder Bacillen ausKomposthaufen oder Thermus-Arten aus Haushalts-Heißwasser-boilern. Isolationen dieser Art

Abb. 1Auf vergleichender

rRNA-Sequenzanalysebasierender phyloge-

netischer Stammbaum.Äste, die Hyperthermo-

phile beinhalten, sindrot gezeichnet.

Abbildungen: W. Liebl

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GENE UND GRENZEN

und GTase sehr ähnlich zu denentsprechenden Eigenschaftender gut untersuchten �-Amylasen(Stärke-Hydrolasen), die im Ge-gensatz zu GTase und MTase Stär-ke hydrolysieren, das heißt unterVerbrauch von Wasser in kleineBruchstücke spalten.

In Zusammenarbeit mit derGruppe von Prof. D. Rice (Shef-field, England) ist uns kürzlich dieröntgenkristallographische Auf-klärung der dreidimensionalenStrukturen von MTase und GTasegelungen. Daneben wird zurzeitin Kooperation mit der Gruppevon Prof. Dr. George Sheldrickund Dr. Thomas Schneider (Insti-tut für Anorganische Chemie,Göttingen) die dreidimensionaleStruktur der �-Amylase von T.maritima gelöst. Damit eröffnetsich nun die Möglichkeit desStrukturvergleichs dieser mitein-ander verwandten Enzyme, umdarauf basierend unter Einsatzverschiedener gentechnischerund biochemischer Methodenmehr über deren Reaktionsme-chanismus zu lernen. Außerdemkönnen aus den dreidimensiona-len Strukturen von Enzymen ausHyperthermophilen Hinweiseüber die Mechanismen der Ther-mostabilisierung dieser Proteineabgeleitet werden. MTase bei-spielsweise ist äußerst beständiggegen Hitzeinaktivierung. OhneZusatz stabilisierender Substan-zen besitzt dieses Enzym Halb-wertszeiten der Thermoinaktivie-rung bei 70°C, 85°C oder 90°Cvon 21 Tagen, 17 Stunden bezie-hungsweise 2,5 Stunden.

Ein anderes, sehr ungewöhnli-ches Enzym von T. maritima, dasam Abbau von Stärke bezie-hungsweise Stärkebruchstückenbeteiligt ist, ist eine Cofaktor-ab-hängige �-Glucosidase. DiesesEnzym benötigt im Gegensatz zuanderen typischen �-Glucosida-sen zur Erlangung maximaler Ak-tivität NAD+, Manganionen undhohe Konzentrationen thiolhalti-ger Verbindungen wie Dithioth-reitol. Die Rolle der Cofaktoren

für die katalytische Aktivität istbisher unklar. Von großem Inte-resse ist insbesondere die Unter-suchung der Rolle des CofaktorsNAD+ für die Funktion einer �-Glucosidase, denn dieser Cofak-tor spielt üblicherweise bei ganzanderen Typen von Enzymen eineRolle, nicht aber bei Glycosylhy-drolasen, dem Enzymtyp, demdie �-Glucosidasen angehören.Das T. maritima Enzym wird der-zeit biochemisch und strukturelldetailliert untersucht.

In einem weiteren Themenge-biet beschäftigen wir uns bereitsseit mehreren Jahren mit mikro-biellen Enzymen des Abbaus vonPflanzenzellwänden, insbeson-dere mit xylanabbauenden Enzy-men. An thermostabilen Xyla-nasen besteht starkes industriellesInteresse. Einsatzgebiete für dieseEnzyme liegen zum Beispiel inder Verwertung landwirtschaft-licher Abfälle, der enzymatischenBehandlung von Viehfutter und inumweltfreundlichen Prozessenzur Bleichung von »Pulpe« in derZellstoff- und Papierindustrie.Unser spezielles Interesse giltdem Aufbau mancher Xylanasenaus katalytischen und nicht-kata-lytischen Teilen (Domänen), da-bei insbesondere der Untersu-

Abb. 2Elektronenmikro-skopische Aufnahmeeines Ultradünnschnit-tes einer Zelle deshyperthermophilenBakteriums Thermotoga maritima

Abb. 3. Reaktionsmechanismusder Maltosyltransferase,einem bisher einzig-artigen Enzym vonThermotoga maritima.

chung der Funktionen nicht-kata-lytischer Domänen dieser Enzy-me. Eine der von T. maritima bei

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BIODIVERSITÄT

Genomanalyse von extremo-philen Bakterien und ArchaeenWeitere aktuelle Projekte unsererArbeitsgruppe sind Genomse-quenz-basierte Untersuchungenan zwei an extreme pH-Bedin-gungen angepassten Mikroorga-nismen. In einem von der Deut-schen Bundesstiftung Umwelt(DBU) geförderten Forschungs-projekt wird in Kooperation mitArbeitsgruppen in Hamburg,Köln, Bernried und Jülich eineAuswahl an Stärke umsetzendenEnzymen von Anaerobranca gott-schalkii, einem strikt anaerobenBakterium, das unter alkalischenund thermophilen Bedingungenexistiert, untersucht. Dieser ther-moalkaliphile Organismus ver-eint zwei Extreme in sich: erwächst optimal um 55°C und pH9,5 und lebt somit nahe der äu-ßersten Grenze der Kombinationvon hoher Temperatur und ho-hem pH-Wert.

In einem anderen Forschungs-vorhaben ermitteln wir geradedie Nukleotidsequenz des Ge-noms von Picrophilus torridus.Die Ermittlung der Totalsequenzdes Genoms dieses im sauren undheißen Millieu lebenden (extremthermoacidophilen) Archaeonserfolgt im Rahmen eines Projek-tes in dem Göttinger Genomfor-schungsprojekt an Bakterien. P. torridus und die verwandte ArtP. oshimae sind die acidophilstenbekannten Organismen. P. torri-dus wächst optimal bei pH 0,7und kann auch bei noch niedri-geren pH-Werten wachsen, sogarin einem Milieu mit 1 M Schwe-felsäure. Auch P. torridus vereintzwei Extreme in sich, nämlich ex-treme Acidophilie und (modera-te) Thermophilie, denn das Tem-peraturoptimum des Wachstumsliegt in diesem Fall bei 60°C. Ausder Genomanalyse von P. torriduserhoffen wir uns auf der einenSeite Informationen über die mo-lekularen Grundlagen der ther-moacidophilen Anpassung diesesArchaeons. Die hierzu geplantenArbeiten beinhalten auch die

Wachstum auf Xylan oder Xyloseinduzierten Xylanasen ist ein gro-ßes Multidomänen-Enzym, wel-ches zusätzlich zur katalytischenDomäne noch vier nicht-katalyti-sche Domänen enthält. Für eine

dieser Domänen konnten wirnachweisen, dass es sich um eineneuartige Zellulosebindungsdo-mäne handelt. Kürzlich konntenwir nun auch einer anderennicht-katalytischen Domäne des

Enzyms eine Funktion zuordnen,nämlich die einer Bindedomänefür Xylan. Auf der Basis dieser Ar-beiten konnte eine ganz neue Fa-milie von Bindedomänen defi-niert werden, denn ähnliche Do-

mänen mit bislang ungeklärterFunktion haben wir in mehr als30 anderen Enzymen entdeckt.Der neu entdeckte Bindedomä-nen-Typ wird nun genauer cha-rakterisiert. Mit den in der Abtei-lung etablierten Methoden sollweiterhin nach den Funktionenanderer nicht-katalytischer Do-mänen geforscht werden. Be-sonders interessant ist auch dieFrage, ob diesen Domänen außereiner »passiven« Funktion (Sub-stratanheftung) auch eine »akti-ve« Funktion (zum Beispiel dasAufbrechen von Strukturen inkomplexen Cellulose-Xylan-Lig-nin-Mischsubstraten, wie sie inPflanzenzellwänden vorkommen)zukommt.

Abb. 4Dreidimensionale

Struktur des extrem hitzeresistenten Enzyms

Maltosyltransferase

Abb. 5Elektronenmikrosko-

pische Aufnahme vonZellen des extrem

thermoacidophilenArchaeons Picrophilus

torridus (Topt 60°C;pHopt 0,7). Aufnahme:

M. Hoppert und O. Fütterer.

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GENE UND GRENZEN

Durchführung von Transkriptions-analysen unter Einsatz von DNAChip Technologie sowie von Pro-teom-Analysen nach Anzucht un-ter verschiedenen Wachstums-bedingungen. Auf der anderenSeite wollen wir potenziell bio-technologisch interessante Bio-katalysatoren und Zellbestandteilevon Picrophilus unter die Lupenehmen und ihr biotechnologi-sches Potential ausloten.

AusblickEs kann angenommen werden,dass weitere Untersuchungen aufdem Gebiet extremophilen Le-bens auch in Zukunft hoch inter-essante, neue Erkenntnisse überdie Eigenschaften, Besonderhei-ten und Mechanismen der Zellenund Zellbestandteile von Orga-nismen, die unter extremen Um-weltbedingungen vorkommen,zu Tage fördern werden. Da, wiein den meisten Lebensräumenauch, in extremen Habitaten diemikrobielle Diversität bisher nurzu einem kleinen Bruchteil erfasstund für Mikrobiologen zugäng-lich ist, ergibt sich hier auch inZukunft ein weites Betätigungs-feld für Mikrobiologen, die sichfür ungewöhnliche Mikroorganis-men in extrem anmutenden Ha-bitaten interessieren. Diese »Ex-tremisten« wiederum stellen einereichhaltige Ressource für dasAuffinden neuartiger Stoffwech-selwege und Biokatalysatorendar. �

From an anthropocentricpoint of view, some mi-

croorganisms are able to thriveunder amazingly harsh condi-tions, for example, at extremes ofproton activity (extremely high orlow pH values), at extremely lowwater activity and high salinity,under extremely high pressure,and at extremes of temperature inthe range between below 0°C andmore than 110°C. Although theseconditions appear inhospitable,some of them, such as high tem-perature, may have prevailedduring the emergence and earlydiversification of life on earth. Ef-forts to understand the principlesof cellular adaptation to extremeenvironments, and applied as-pects aiming to exploit the bio-technological potential of en-zymes that are active under extremeconditions, fuel much of the cur-rent interest in extremophilic or-

Prof. Dr. Wolfgang Liebl, Jahrgang 1959, studierteBiologie in München und spezialisierte sich bereitsfür sein Diplom 1984 auf die Bereiche Mikrobiologie,Biochemie, Genetik, Hygiene und Bakteriologie.Nach seiner Promotion in München 1986 ging er andas Massachusetts Institute of Technology (MIT) in

Cambridge (USA). Anschließend kehrte er an die Technische Uni-versität München zurück und war am Lehrstuhl für Mikrobiologietätig, wo er sich 1997 habilitierte. Im gleichen Jahr wurde er auf dieProfessur für Angewandte Mikrobiologie am Institut für Mikrobiolo-gie und Genetik der Georg-August-Universität Göttingen berufen.

ganisms. Scientists at the Instituteof Microbiology and Genetics ofGöttingen University are inter-ested in certain aspects of the bio-logy of extremophiles, includingtheir enzymology, metabolism,gene expression and genome se-quence. Current projects includethe analysis of the extremelythermostable enzymes of the bre-akdown of starch and plant cellwall polysaccharides from thebacterium Thermotoga maritima(optimum growth temperature80°C), and the analysis of the ge-nome sequence of Picrophilus tor-ridus, an archaeon which growsoptimally in an extremely acidicmilieu (pH 0-1) at high tempera-tures (60°C). Enzymes from theseand other extremophilic microor-ganisms are interesting candida-tes for application as robust bio-catalysts in biotechnolo-gical processes.

Dank gebührt an dieser Stelle allen Mitar-beiterinnen und Mitarbeitern der AbteilungAngewandte Mikrobiologie. Die Arbeitendes Autors werden von der Deutschen For-schungsgemeinschaft, dem Bundesministe-rium für Bildung und Forschung, der Deut-schen Bundesstiftung Umwelt und demFonds der Chemischen Industrie gefördert.

Literatur

Meissner, K., Wassenberg, D., and Liebl,W. (2000) The »thermostabilising domain«of the modular xylanase XynA of the hyper-thermophilic bacterium Thermotoga mari-tima represents a novel xylan-binding do-main. Mol. Microbiol, 36:898-912.

Liebl, W. (2001) Cellulolytic enzymes fromThermotoga species. Meth. Enzymol.330:290-300.

Sterner, R., and Liebl, W. (2001) Thermo-philic adaptation of proteins. Crit. Rev. Bio-chem. Mol. Biol. 36:39-106.

Roujeinikova, A., Raasch, C., Sedelnikova,S., Liebl, W. and Rice, D. W. (2002) Thecrystal structure of Thermotoga maritima 4-�-glucanotransferase and its acarbose com-plex: implications for substrate specificityand catalysis. J. Mol. Biol. 321:149-162.

Raasch, C., Armbrecht, M., Streit, W.,Höcker, B., Sträter, N., and Liebl, W.(2002) Identification of residues importantfor NAD+-binding by the Thermotoga ma-ritima �-glucosidase AglA, a member ofglycoside hydrolase family 4. FEBS Lett.517:267-271.

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BIODIVERSITÄT

Schaut man vom Ufer auf dieOberfläche eines Sees oder einesruhig dahin fließenden Baches,dann fallen einem die Gasblasenauf, die, aus den Ablagerungen(Sedimenten) kommend, an dieOberfläche perlen. Was ist das fürein Gas? Luft, Kohlendioxid oderetwas anderes? Danach muss sich

Pater Carlo Campi bei seinemFreund Alessandro Volta erkun-digt haben. Dieser ging der Fragenach. Er ruderte auf den ComerSee, setzte Gas mit Hilfe einesStabes aus den Sedimenten frei,fing dieses in einem Gefäß aufund wies nach, dass es sich umetwas Brennbares handelte. So istes Voltas Bericht an den Pater ausdem Jahre 1776 zu entnehmen.

Dieses ist die erste dokumentierteBeobachtung von Biogas, einemGemisch von etwa gleichen Tei-len Methan und Kohlendioxid,und das »Volta-Experiment« ge-hört zu dem geselligen Teil somanchen Kurses über mikrobielleDiversität. Auf unserem Planetenentsteht Biogas in einer Menge

von etwa einer Milliarde Tonnenpro Jahr. Zum Vergleich: DieWelterdölförderung pro Jahr be-trägt etwa 3,2 Milliarden Tonnen(Quadbeck-Seeger, 1997). Biogasentsteht immer dort, wo organi-sche Substanz Fäulnis- und Gä-rungsprozessen unterliegt undanaerobe (sauerstofffreie) Verhält-nisse herrschen. Anaerobe Ver-hältnisse sind weit verbreitet,

denn der Sauerstoff wird bei-spielsweise an der Grenzflächevon Wasser und Sediment schnellaufgezehrt, so dass die Bereichedarunter sauerstofffrei sind. Dortleben die so genannten Methan-bildner. Typische Standorte sindeinmal die bereits erwähnten Se-dimente in Flüssen und Seen,nicht aber die ozeanischen Sedi-mente, in denen die Methanbil-dung durch Mikroorganismen,die aus Sulfat Schwefelwasser-stoff produzieren, unterdrücktwird. Weiterhin sind Moore,Feuchtgebiete, Tundren und ins-besondere Reisfelder zu nennen,die durch Feuchtigkeit und Dün-gung hervorragende Bedingun-gen für mikrobielles Wachstumliefern. Aber auch Pflanzen ver-zehrende Organismen wie Termi-ten, Rinder, Schafe und Pferdeenthalten in Gestalt des Pansensoder vergleichbarer Organe volu-minöse Zellkammern, die vonmethanbildenden Organismenmassenhaft besiedelt werden.Schließlich hat der Mensch mitden Faulgasbehältern der Kläran-lagen ein weiteres wichtiges Ha-bitat für methanogene Mikroorga-nismen geschaffen.

Vielleicht ist dem aufmerksa-men Leser aufgefallen, dass imZusammenhang mit der Metha-nogenese von Mikroorganismengesprochen wurde, aber nichtvon Bakterien. MethanogeneMikroorganismen sehen zwar auswie Bakterien, haben eine ver-gleichbare Größe und teilen sichwie Bakterien; sie gehören aberzu den Archaeen. Ende der 1970erJahre begann Carl Woese damit,die sogenannte 16S ribosomaleRNA der verschiedensten Mikro-organismen zu sequenzieren unddie Sequenzen zu vergleichen.Als er die erste Sequenz diesesMoleküls aus einem methanoge-nen Mikroorganismus in derHand hielt, stellte er überraschtfest, dass diese sich ganz ent-scheidend von den bereits vorlie-genden Sequenzen von Escheri-chia coli und anderen Bakterien

Genetische SignaturenBiogas und Biodiversität

Gerhard Gottschalk

Abb. 1:Der phylogenetischeStammbaum auf der

Grundlage von 16SrRNA-Sequenzen,

18S rRNA-Sequenzen imFalle der Eucarya.

Die ursprüngliche Ver-zweigung führte zu denBakterien einerseits undArchaeen und Organis-

men mit Zellkernen (Eucaryota) anderer-seits. Die tiefsten Ver-zweigungen bei den

Bacteria und Archaeawerden durch thermo-phile Mikroorganismen

repräsentiert. Nach N.R. Pace, 1997.

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unterschied. Ausgehend von die-sen ersten Ergebnissen hat sich inden letzten 20 Jahren durch 16SrRNA-Vergleiche ein phylogene-tischer Stammbaum entwickelt,der einerseits die ungeheure Bio-diversität der Mikroorganismendokumentiert, andererseits aberauch bestätigt hat, dass es ne-ben der Domäne der Eucarya(Mensch, Tier, Pflanze, Pilz) zweiDomänen von Procarya, also vonzellkernlosen Organismen gibt,die Bacteria und die Archaea.Viele andere Eigenschaften derArchaea deuten darauf hin, dassdiese – wie in dem in Abb. 1 ge-zeigten vereinfachten Stamm-baum angedeutet – auf der Ent-wicklungsachse der Eucarya lie-gen und uns damit näher stehen,als die eigentlichen Bakterien.Erwähnt werden soll hier nur,dass ein Enzymsystem, welchesgrundlegend für die Abrufung dergenetischen Information derDNA ist, die archaeelle RNA-Polymerase, mit der des Men-schen viel verwandter ist als dasentsprechende bakterielle En-zym. Die methanogenen Orga-nismen bilden die größte undwichtigste Gruppe der Archaea;dazu gehören aber auch die

Mikroorganismen, die an extremeBedingungen – wie hohe Tempe-raturen, hohe Salzgehalte oderhohe pH-Werte – angepasst sind.Diese Organismengruppen sinddurch die Pionierarbeiten vonKarl Stetter in den letzten Jahrenbekannt geworden und habendurch ihre besonderen Fähigkei-ten (Wachstum bis zu Temperatu-

ren von 113°C) Aufsehen erregt.Betrachten wir das Stoffwech-selgeschehen in einem Seesedi-ment (Abb. 2): Abgestorbene Or-ganismen, Exkremente, Pflanzen-reste setzen sich ab und unterlie-gen einem mikrobiellen Abbau.An der Sedimentoberfläche sindes atmende Bakterien, Pilze undProtozoen (Einzeller), die unter

Abb. 2Anaerobe Umwand-lung von Biomasse inMethan und Kohlen-dioxid (Biogas).Methanosarcina-Artenbilden Biogas aus denSubstraten Essigsäure,H2 + CO2 und Methylaminen. Ein Teil des Methanswird in den Gewässernvon aeroben Bakterienverbraucht, ein weitererTeil gelangt in Form vonGasblasen, aber auchüber das Aerenchymder Pflanzen (Schorn-steinwirkung) in dieAtmosphäre.Abb.: G. Gottschalk

(red.) Bakterien fehlen viele Charakteristika der höheren Organismen.Sie sind Einzeller und können sich, von wenigen primitiven Prozessenabgesehen, nicht differenzieren. Sie haben weder ein Immun- noch einNervensystem oder kognitive Fähigkeiten. Bakterien verfügen jedochüber sehr differenzierte Stoffwechselfähigkeiten, die es ihnen erlauben,praktisch jeden Stoff biologischen Ursprungs auf unserer Erde umzuset-zen. Dem einfachen Aufbau der Zelle steht also eine enorme Vielfalt derStoffwechselproduktionen gegenüber. Diese ergeben sich aus dem Mit-einander von tausenden und abertausenden Bakterienarten, die jeweilsmehr oder weniger spezialisiert sind und die in der Summe die oben auf-geführten Aktivitäten ergeben. Bakterien leben zudem unter äußerstunterschiedlichen Bedingungen – bei hoher oder niedriger Temperatur,im sauren, neutralen oder alkalischen Milieu, im Meerwasser oder imSüßwasser. So entsteht ein Bild bakterieller Biodiversität, das durch dieAktivität einer Vielfalt von Arten mit ganz unterschiedlichen Eigenschaf-ten und Enzymausstattungen charakterisiert ist. Dahinter stehen ver-schiedene Genome, die es zu entschlüsseln gilt. Nur so kommt man andie Informationen, die für neue biotechnologische Produktionsverfahrennotwendig sind.

Weshalb Genomforschung an Bakterien?

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GENE UND GRENZEN

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Sauerstoffzehrung von dem Sedi-mentmaterial leben. Darunterentwickelt sich eine so genannteanaerobe Nahrungskette. Es sindBakterien, die die Polymere (Pro-teine, Polysaccharide) abbauen,diese vergären und mannigfaltigumsetzen, wobei man bedenkenmuss, dass es Tausende von ver-schiedenen organischen Substan-zen gibt, die zur Verfügung ste-hen und die umgesetzt werdenmüssen. Eine äußerst diverse Bak-terienflora liegt hier vor, die dasorganische Material in eineHandvoll von Verbindungen um-setzt; diese sind Wasserstoff undKohlendioxid, Essigsäure, Metha-nol und Methylamine. Nur diesekönnen von den methanogenenArchaeen wie von Methanosarci-na-Arten verwertet und zu Biogasumgesetzt werden.

Im Institut für Mikrobiologieund Genetik der Georg-August-Universität Göttingen werden

methanogene Archaeen seit etwa20 Jahren untersucht. Hier wur-den die Reaktionen entdeckt,durch die die Methanogenese mitder Gewinnung von Stoffwech-selenergie verknüpft sind. Es liegtauf der Hand, dass methanogeneArchaeen, so wie alle übrigen Or-ganismen auch, Energie in Formvon ATP benötigen, um wachsenund sich vermehren zu können.Die dafür genutzten Reaktionensind einmalig und kommen in an-deren Organismen nicht vor. Essoll hier nur so viel erwähnt wer-den, dass durch Methylgruppen-übertragung ein Natriumionen-gradient und durch eine so ge-nannte Heterodisulfidreduktaseein Protonengradient an derMembran der methanogenen Ar-chaeen aufgebaut wird und dassdurch Rückstrom von Natrium-ionen und von Protonen in dieZelle ATP (Adenosin-Triphosphat,der Energieträger der Zelle) syn-

thetisiert wird. Näheres kannÜbersichtsartikeln entnommenwerden (Deppenmeier et al.,1999; Gottschalk und Thauer,2001). Im Zuge dieser Arbeitenentdeckte Uwe Deppenmeier einneues Coenzym, dessen Strukturzusammen mit Uwe Beifuss vomInstitut für Organische Chemieder Universität Göttingen aufge-klärt wurde; es ist das Methano-phenazin.

Ein besonderer Erfolg konntein den zurückliegenden Monatenverbucht werden. In dem 1998gegründeten Laboratorium fürGenomanalyse am Institut fürMikrobiologie und Genetik ge-lang die vollständige Sequenzie-rung des Genoms von Methano-sarcina mazei. Dieses Genom be-steht aus einer Sequenz von4.096.345 Basenpaaren, dieexakt ermittelt wurde, wofür um-fangreiche biochemische, gen-technische und bioinformatischeArbeiten notwendig waren. 3.371Gene konnten identifiziert wer-den, und die Analyse ihrer Se-quenz führte zu einem zunächstüberraschenden Ergebnis. Prak-tisch ein Drittel dieser Gene hatdie nächsten Verwandten unterGenen der Bakterien. Die Signa-turen bakterieller und typisch ar-chaeeller Gene sind wirklich soverschieden, dass man sie der ei-nen oder anderen Domäne zu-ordnen kann. Dieses Ergebniskonnte nur so erklärt werden,dass es zu einem massiven latera-len Gentransfer aus der Domäneder Bacteria in diese methanoge-nen Archaea gekommen war.Hier sei noch einmal an dieSituation in den Seesedimentenerinnert. Tausende von Bakterien-arten sind dort am Werk. Dazwi-schen leben methanogene Ar-chaea wie Methanosarcina ma-zei; freie DNA aus lysierten(aufgelösten) Bakterien ist jeder-zeit vorhanden. Weshalb sollteda nicht DNA durch bekannteAufnahmemechanismen in diearchaeellen Zellen gelangen, insGenom eingebaut und für be-

Abb. 3 und 4Laborarbeiten am Göt-tinger Institut für Mikro-biologie und GenetikFotos: Marc-Oliver Schulz

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GENE UND GRENZEN

Literatur

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Quadbeck-Seeger, H.J. et al: Chemie-Re-korde: Menschen, Märkte, Moleküle, Wi-ley-VCH Weinheim, 1997

Pace, N.R.: A Molecular View of MicrobialDiversity and the Biosphere. Science 276:734-740, 1997

Deppenmeier, U.; Lienard, T.; Gottschalk,G.: Novel reactions involved in energyconservation by methanogenic archaea.FEBS Letters 457: 291-297, 1999

Gottschalk, G.; Thauer, R.K.: The Na+-translocation methyltransferase complexfrom methanogenic archaea. Biochim. Bio-phys. Acta 1505: 28-36, 2001

Abken, H.J.; Tietze, M.; Brodersen, J.; Bäu-mer, S.; Beifuss, U.; and Deppenmeier, U.:Isolation and Characterization of Methano-phenazine and Function of Phenazines inMembrane-Bound Electron Transport ofMethanosarcina mazei Gö1. J. Bacteriol.180: 2027-2032, 1998

Deppenmeier, U.; Johann, A.; Hartsch, T.;Merkl, R.; Schmitz, R.A.; Martinez-Arias,R.; Henne, A.; Wiezer, A.; Bäumer, S.; Ja-cobi, C.; Brüggemann, H.; Lienard, T.;Christmann, A.; Bömeke, M.; Steckel, S.;Bhattacharyya, A; Lykidis, A.; Overbeek,R.; Klenk, H.P.; Gunsalus, R.P.; Fritz, H.J.;Gottschalk, G.: The genome of Methano-sarcina mazei: Evidence for Lateral GeneTransfer between Bacteria and Archaea. J.Mol. Microbiol. Biotechnol. 4: 453-461,2002

Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen,die mit mir über die Methanogenese zu-sammenarbeiteten und die Genomsequenzvon Ms. mazei lösten. Mein Dank gilt auchKirsten Hahne und Andrea Nülsen für ihregroße Hilfe bei der Bearbeitung von Textenund Abbildungen.

Alesssandro Volta was thefirst one to demonstrate that

an inflammable gas is releasedfrom fresh water sediments. Thisgas was later shown to be a mix-ture of methane and carbon dio-xide. It is called biogas. Approxi-mately one billion tons of areproduced annually, primarily insediments, swamps, tundras andrice fields; other sites of massivemethane production are the ru-men of cows, sheep, the hind gutof termites and, man-made, theanaerobic digesters of sewageplants. Methane is the product ofa fermentation carried out by a

group of procaryotic microorga-nisms belonging to the domain ofArchaea. This domain is repre-sented by the methanogenicmicroorganisms but also by the so-called extremophiles, organismsgrowing at extremely high tempe-ratures (up to 113°C) or at highsalt concentrations or at high pH. Biogas is the terminal product ofthe so-called anaerobic foodchain by which complex organicmaterial is ultimately degradedinto methane and carbon dioxi-de. One group of organisms pri-marily responsible for biogas form-ation in sediments is the group of

the Methanosarcina species. Thesespecies have been investigatedextensively at the Göttingen Insti-tute of Microbiology and Gene-tics. Recently the genome of Me-thanosarcina mazei was comple-tely sequenced. It consists of4,096,345 base pairs and codesfor 3,371 genes. With the genomesequence we are now in the posi-tion to learn more about thephysiology and biochemistry ofthis interesting methanogenicmicroorganism and about the factthat lateral gene transfer is one ofthe driving forces of evolu-tion.

Prof. Dr. Gerhard Gottschalk ist seit 1970 Professorfür Mikrobiologie am Institut für Mikrobiologie undGenetik. Er war Rektor der Georg-August-Universitätund Präsident der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Er leitet das Kompetenznetzwerk »Ge-nomforschung an Bakterien« in Göttingen.

stimmte Stoffwechselleistungenin Anspruch genommen werden?Dieses trifft auf Stoffwechsellei-stungen wie die Synthese be-stimmter Zellbestandteile oderden Transport von Stoffen in dieZelle zu, nicht aber auf die so ge-nannte »Kernmachinerie«. Wennes um die Vervielfältigung vonDNA, um die Synthese von RNAund den ganzen Apparat der Pro-teinsynthese geht, dann sind diebakteriellen Systeme einerseitsund die archaeellen andererseitsso aufeinander eingespielt undabgestimmt, dass eine Verwi-schung der Unterschiede zwi-schen Bakterien und Archaeenhöchst unwahrscheinlich ist. Ein-erseits haben wir also Konstanzder Arten, Familien, Ordnungenund Domänen, andererseits stän-dige Entwicklung durch die trei-benden Kräfte der Evolution, diesich vertikaler Mechanismen(Genduplikation, Genverände-rung durch Mutation) bedient,aber auch des horizontalen Gen-

transfers (Übertragung von Ge-nen von einem Lebewesen aufein anderes), dessen Wirksamkeitauch im menschlichen Genomnachweisbar ist.

Es wurde bereits erwähnt, dassBiogas in die Atmosphäre ent-weicht. Dort trägt es zum Treib-hauseffekt bei. Der Methangehaltin der Atmosphäre nimmt nunständig zu, und zwar parallel zurWeltbevölkerung. Die Erklärungist einfach: Mit der Weltbevölke-rung steigt die Tierproduktionund damit die Biogasfreisetzung.Ein Rind kann pro Tag bis zu 120Liter Biogas abgeben – so stür-misch ist das mikrobielle Lebenim Pansen. Auch der ständig um-fangreicher werdende Reisanbauträgt wesentlich zur Biogasfreiset-zung bei (Schornsteinwirkung,siehe Abb. 2). Schließlich solltendie riesigen Methanvorräte er-wähnt werden, die in Form vonGas-Hydraten in großen Meeres-tiefen lagern. �

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(red.) Im Februar 2002 eröffnetedie Bundesministerin für Bildungund Forschung, Edelgard Bul-mahn, an der Georg-August-Uni-versität Göttingen das Kompe-tenznetzwerk »Genomforschungan Bakterien für die Analyse derBiodiversität und die Nutzungzur Entwicklung neuer Produk-tionsverfahren« (GenoMik). DasNetzwerk ist eines von bundes-weit drei Wissenschaftskoopera-tionen dieser Art. Beteiligt sind22 Arbeitsgruppen aus 14 For-schungseinrichtungen sowie fünfPartner aus der Industrie. Sie ar-beiten an der Entschlüsselung ge-netischer Informationen von aus-gewählten Bakterien, um sie fürindustrielle Produktionsverfah-ren und umweltschonende Tech-nologien nutzbar zu machen.Die Koordination der For-schungsarbeiten, die für einenZeitraum von drei Jahren mit biszu 10,2 Millionen Euro gefördertwerden, liegt beim Göttinger In-stitut für Mikrobiologie und Ge-netik unter der Leitung von Prof.Dr. Gerhard Gottschalk.

Für die Wissenschaftler sindvor allem die Gene von Interesse,deren Funktionen bislang unbe-kannt sind. Prof. Gottschalk:»Bakterien verfügen über sehrdifferenzierte Stoffwechselfähig-keiten, selbst unter extremen Le-bensbedingungen. Aber Mikro-biologen haben eine ernüchtern-de Feststellung machen müssen;weniger als 0,1 Prozent derMikroorganismen, die im Boden,im Wasser oder in den Sedimen-ten der Ozeane und der Flüssevorkommen, lassen sich im La-boratorium züchten. Alle an-deren bleiben uns deshalb in ih-ren Eigenschaften verschlossen.«GenoMik entwickelt aus diesem

Grund den Ansatz der Metageno-mics, bei dem die gesamte gene-tische Information von einemStandort in Gestalt der DNA iso-liert wird. »Dazu werden allevorhandenen Mikroorganismen

aufgelöst, und man erhält dannbeispielsweise pro hundertGramm Boden zehn MilligrammDNA. Auf diese DNA wird das In-strumentarium der Gentechnolo-gie angewendet, und es entste-hen Genbibliotheken, die ausmehreren HunderttausendenKlonen bestehen, die in einerMassendurchmusterung (High-Throughput-Screening) auf be-stimmte Aktivitäten hin getestetwerden«, so Prof. Gottschalk.

Das Netzwerk und die Göttin-ger Arbeitsgruppen im besonde-ren können bereits erste Erfolgeaufweisen: So wurden sechs Bak-teriengenome und diverse Meta-genombibliotheken vollständigsequenziert. Insgesamt sind be-reits 30 Millionen Basenpaare alsBestandteile der DNA entziffertworden, was etwa einem Prozentdes menschlichen Genoms ent-spricht. Die ausgewählten Mikro-organismen sind nach Aussagevon Prof. Gottschalk von großerindustrieller Bedeutung. Darun-ter befindet sich beispielsweise

ein so genannter unvollständigerOxidierer, der Glukose so bear-beitet, dass Zuckersäuren oderdas weltweit in großen Mengenproduzierte Vitamin C entstehen.Weiterhin sind die Genome von

Bacillusarten bereits weitgehendsequenziert worden, die hochleistungsfähige Waschmittel-enzyme bilden können. Außer-dem wurde das Genom desMikroorganismus Picrophilus tor-ridus sequenziert, der in einemextrem sauren Milieu und beiTemperaturen von 60°C wächst.Darüber hinaus versprechen sichdie Wissenschaftler von folgen-den Mikroorganismen interessan-te Anwendungen: Ralstonia eu-tropha setzt Wasserstoff, Kohlen-dioxid und Sauerstoff zu Zell-substanz um; acetobacteriumwoodii kann gasförmige Substra-te in Chemikalien verwandeln.Sehr weit vorangeschritten, soProf. Gottschalk, sind auch dieMetagenom-Untersuchungen ausdem Wattenmeer an einem Bio-film aus einem Trinkwasserreser-voir. Es konnten 81 verschiedeneBakterienarten im Trinkwasser-biofilm identifiziert werden, wäh-rend die Wattenmeer-DNA in er-ster Linie Signaturen trägt, dienoch völlig unbekannt sind.

Kompetenznetzwerk »Genomforschung an Bakterien«

Foto: Marc-Oliver Schulz

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GENE UND GRENZEN

Mikroorganismen dominieren dieBiosphäre und besitzen eine er-staunliche physiologische, meta-bolische und genetische Vielfalt.Die Gesamtzahl der so genann-ten prokaryotischen Arten (ohneabgegrenzten Zellkern) der Mikro-organismen wird auf ein bis 100Millionen geschätzt. Bislang sindaber nur etwa 5.000 prokaryoti-sche Arten in der Literatur be-schrieben. Daher ist der Haupt-anteil der Mikroorganismen bisheute unbekannt. Dies wird ins-besondere durch molekular-öko-logische Studien belegt: Dabeiwird mit Hilfe der in der Genfor-schung als Standardmethode ein-gesetzten Polymerasekettenreak-tion (PCR) die DNA von Umwelt-proben analysiert. Die Komple-xität von natürlichen Mikroben-gemeinschaften, die damit ver-bundene genetische Vielfalt unddie Diversität der Stoffwechselak-tivitäten (metabolische Diversität)ist demnach eine bisher weitge-hend unerschlossene Ressourcesowohl für die Forschung alsauch in der wirtschaftlichen An-wendung. Die Nutzbarmachungdieses enormen Potenzials bieteteine nahezu unbegrenzte Quellefür neue biotechnologisch-rele-vante Biokatalysatoren (Enzyme)und Verbindungen.

In den letzten Jahren wurdenneue Biokatalysatoren vorwie-gend durch eine groß angelegteSuche nach Mikroorganismen mitden jeweils gewünschten Eigen-schaften identifiziert. Nach er-folgreicher Anreicherung bezie-hungsweise Anzucht des entspre-chenden Mikroorganismus wurdedas gesuchte Enzym (sprich: diedazu korrespondierende geneti-sche Information) aus diesem iso-liert. Dieses klassische Verfahrensetzt die Kultivierbarkeit derMikroorganismen und damit dieIsolierung von Einzelorganismenin Reinkultur voraus. Da Untersu-chungen belegen, dass lediglichweniger als ein Prozent derMikroorganismen mit heutigenMethoden kultivierbar sind, wirdmit dem klassischen Verfahrennur ein geringer Prozentsatz dernatürlichen Biodiversität einesStandortes zum Auffinden von

neuen Biokatalysatoren undWirkstoffen genutzt. Diese Be-schränkung macht alternativeVorgehensweisen interessant, mitdenen metabolische Fähigkeitenoder neuartige Enzymaktivitätenvon bisher unbekannten Mikro-organismen erfasst werden können,die unabhängig von der Kultivier-barkeit der Mikroorganismen sind.

Am Institut für Mikrobiologieund Genetik der Universität Göt-tingen wurden Verfahren entwick-elt, die eine direkte Isolierung derErbinformation aus Umweltpro-ben (1-5) ermöglicht. In diesemZusammenhang wurde der BegriffMetagenom als Bezeichnung fürdie gesamte genetische Informa-tion aller Mikroorganismen einesHabitats eingeführt. Um das an ei-nem Standort vorhandene geneti-sche Potenzial nutzbar zu machen,wird die Gesamt-DNA der vorlie-genden Mikrobengemeinschaft di-

Bereits heute werden aus Mikroorganismen isolierte Wirkstoffe und Katalysatoren zur Herstellung zahlreicherProdukte unseres täglichen Lebens eingesetzt. Gesteuerte Umwandlungsprozesse unter Einsatz von natürlichenEnzymen, sogenannte Biokatalytische Transformationen, haben sich als ökologische und ökonomische Alter-nativen zu klassischen synthetischen Verfahren durchgesetzt und werden in einer Vielzahl industrieller organi-scher Synthesen verwendet. Prominente Beispiele sind die Enzymklassen der Lipasen und Proteasen, die alsWaschmittelzusatz zur Entfernung von Fett- und Eiweißverschmutzungen eingesetzt werden. Auch bei der Her-stellung von Antibiotika und Vitaminprodukten kommen Biokatalysatoren zum Einsatz. Eine große ökonomi-sche Bedeutung und einen breiten Anwendungsbereich hat auch die Enzymklasse der �-Amylasen, die in derStärkeverzuckerung, im Brauwesen, in der Alkoholproduktion und in der Textilindustrie verwendet wird.

Doch die Suche nach neuen Mikroorganismen, deren Stoffwechselleistung (Metabolismus) für industrielleund umwelttechnische Zwecke eingesetzt werden können, hält an. Dabei wird das Verfahren, einzelne Mikro-organismen in Reinkulturen zu isolieren und auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen, von einem Ansatz abgelöst,der es erlaubt, Biokatalysatoren aus bisher unbekannten Mikroorganismen zu entdecken. Dabei isolieren dieForscher die genetischen Informationen, die in Umweltproben enthalten sind, und legen so genannte Metage-nom-Genbanken an. Sie nutzen somit die große Biodiversität der Mikroorganismen, um neue Wirkstoffe undKatalysatoren zu finden. Das Institut für Mikrobiologie und Genetik der Georg-August-Universität Göttingennimmt bei diesem als Metagenomik bezeichneten jungen Forschungsansatz eine Spitzenposition ein. Die Ar-beitsgruppe um die Nachwuchswissenschaftler Dr. Rolf Daniel, Dr. Ruth Schmitz und Dr. Wolfgang Streit ar-beiten dabei eng mit Partnern aus der Industrie zusammen.

Aus Wattenmeer und Wüstensand

Mikrobielle Diversität als Quelle für neuartige Biokatalysatoren und Wirkstoffe

Rolf Daniel, Ruth A. Schmitz und Wolfgang Streit

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BIODIVERSITÄT

rekt ohne vorherige gezielte Isolie-rung von Mikroorganismen extra-hiert, kloniert und in komplexenMetagenombanken niedergelegt(Abb.1). Diese Genbibliothekenkönnen mehr als eine Million Klo-ne umfassen. Voraussetzung fürdiese Vorgehensweise ist, intakteund klonierbare DNA aus denUmweltproben (5) zu extrahieren.

Die technologische Herausforde-rung dabei ist, die in den Umwelt-proben vorhandenen Hemmstoffeverschiedener Herkunft abzutren-nen und dabei hochmolekulareDNA zu erhalten.

Insbesondere bei der Aufarbei-tung von Bodenproben stören Hu-min- und Fulvinsäuren, die zu-sammen mit der DNA extrahiert

werden, die gentechnologischenArbeitsschritte (1,5). Für die Klo-nierung von Umwelt-DNA wer-den als Träger-DNA so genannteVektoren verwendet. In unsererArbeit sind es Plasmide, Cosmideund BACs (»bacterial artificialchromosomes«). Letztere erlau-ben die Klonierung von größerenGenomabschnitten. Dies ist vor-teilhaft bei der Klonierung vonkomplexen Stoffwechselwegenund für die Genomforschung anunkultivierten Mikroorganismen(3). Als Wirt für die Metagenom-banken verwenden wir den pro-karyotischen ModellorganismusEscherichia coli. Der Vorteil dabeiist, dass dieser Organismus, der alsDarmbakterium beim Menschenvorkommt, bereits häufig für indu-strielle Fermentationen und Bio-transformationen eingesetzt wird.Ferner sind die Methoden für denindustriellen Prozess und die an-schließende Aufarbeitung der Pro-dukte bereits eingeführt und erprobt.Daher sind viele Entwicklungsschrit-te für die kommerzielle Produktionvon wertvollen Verbindungen be-reits vorhanden.

Die am Institut für Mikrobiolo-gie und Genetik entwickeltenMethoden führten zur Herstel-lung von komplexen Metage-nombanken aus unterschiedli-chen Standorten. Diese beinhal-teten unter anderem heimischeund exotische Habitate, wie zumBeispiel Boden und Flusssedi-mente aus der Göttinger Umge-bung, Wüstensand, Trinkwasser-leitungen und Sedimente desNorddeutschen Wattenmeeres,des Roten Meeres sowie des To-ten Meeres. Unsere Arbeitenzeigten, dass zur Entdeckung vonneuartigen Biokatalysatoren be-reits zumeist der heimische Gar-ten oder Wald als Probenquelleausreicht. So wird die mikrobiel-le Diversität in einem GrammWaldboden beispielsweise aufbis zu 10.000 verschiedene Artengeschätzt.

Um aus den Metagenomban-ken diejenigen Enzyme und Wirk-

Abbildungen undFotos: R. Daniel, R. A. Schmitz, W. Streit

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GENE UND GRENZEN

stoffe herauszufiltern, die mögli-cherweise für eine Anwendunginteressant sein könnten, be-schreiten wir zwei Wege der»Durchmusterung«: Sie kannzum einen auf der Basis von Se-quenzähnlichkeiten oder konser-vierten Sequenzmotiven erfol-gen. Über die so identifiziertencharakteristischen Sequenzen imGenmaterial gelingt es, über dengesamten Stammbaum der pro-

karyotischen Mikroorganismenverteilt neue Enzyme bekannterProteinfamilien oder funktionel-ler Klassen zu identifizieren. EineIsolierung von völlig neuartigenBiokatalysatoren ist auf dieseWeise jedoch nicht möglich, dadie Identifikation darauf beruht,Ähnlichkeiten mit bereits vorhan-denen Biokatalysatoren nutzbarzu machen. Für das Auffindenvon neuen biotechnologisch-re-levanten Genprodukten undWirkstoffen wird der zweite Wegbeschritten; es werden vorwie-gend auf biologischer Aktivitätbasierende Verfahren eingesetzt.Diese Verfahren sind außerdemweniger arbeitsintensiv, schnellerund billiger (5). Es können damitbeispielsweise die für uns interes-santen Biokatalysatoren Lipasen,Esterasen oder fungizide Wirk-stoffe durch die Wahl geeigneterTestmedien direkt in den Metage-nombanken nachgewiesen wer-den (Abb. 2). Hierzu werden vonuns ungiftige Farbstoffe oder un-lösliche beziehungsweise farbigeDerivate von Enzymsubstraten infeste Nährböden eingebracht. Sieermöglichen es, die gewünschtenmetabolischen Fähigkeiten derrekombinanten (das heißt: dieUmwelt-DNA tragenden) E. coli-Stämme leicht aufzufinden. Die

hohe Empfindlichkeit dieser Plat-tentests erlaubt eine Identifizie-rung von seltenen Klonen mit dergewünschten Eigenschaft inner-halb einer großen Gesamtzahlvon rekombinanten Stämmen(Abb. 2).

Ein Beispiel für diese Vorge-hensweise ist die Identifizierungvon E. coli-Klonen, die Gene fürdie fettlösenden Lipasen tragen:Mit Hilfe einer Kombination aus

dem Lipase-spezifischen SubstratTriolein und dem fluorogenenFarbstoff Rhodamin B wird die Li-paseaktivität nachweisbar (2;Abb. 2). Solche auf biologischerAktivität basierenden Strategienkönnen so angelegt werden, dasssie hoch selektiv für einen spezi-fischen Phänotyp der rekombi-nanten E. coli-Stämme sind.

Ein weiterer besonders viel ver-sprechender Ansatz ist die Ver-wendung von so genannten De-fektmutanten (3, 4). Definierte Ge-ne, deren ihre Funktion bekanntist, werden bewusst »außer Be-trieb« gesetzt. Die beeinträchtig-ten Gene werden durch intakteGene mit gleicher Funktion ausanderen Organismen ersetzt. Hier-bei spricht man von einer hetero-logen Komplementation. So führtezum Beispiel die Komplementa-tion von speziellen Mutanten zurIdentifizierung von neuartigen Ge-nen für die Biotinsynthese (3), dienun für die biotechnologische Ge-winnung von Biotin (Vitamin H)eingesetzt werden können. Einweiteres Beispiel ist ein identifi-zierter Na+/H+-Antiporter, ein inallen Organismen verbreiteter Io-nentransporter (4).

Neben den in Abb. 2 gezeigteneinfachen Plattentests werden vonuns aufgrund der großen Anzahl

der zu untersuchenden Kloneauch Methoden entwickelt, dieeine robotergestützte »high-throughput«-Durchmusterung vonMetagenombanken erlauben.Diese automatischen Methodenwerden zur Zeit aufgrund der ho-hen Kosten und des technischenAufwands auf Metagenombankenbeschränkt, die einen hohen An-teil der gewünschten Zielgene ent-halten. Zur Erhöhung der Treffer-

häufigkeit können zur Erstellungder Metagenombanken Probeneingesetzt werden, die eine natür-liche oder im Labor erzeugte An-reicherung der Organismen mitden gewünschten Genen enthal-ten (3). So sind zum BeispielProben von heißen Quellen exzel-lente Ausgangsmaterialien zurIsolierung von Genen, die fürthermostabile Biokatalysatoren(zum Beispiel Amylasen) kodie-ren. Das Potenzial unseres Ansat-zes, strukturell neuartige Biokataly-satoren mit Hilfe von sequenz-unabhängiger Durchmusterungder Metagenombanken entdeckenzu können, wird auch durch dieErgebnisse der Genomsequenzie-rung von bereits kultiviertenMikroorganismen deutlich: Mitder herkömmlichen Methodekonnten nur für 60 Prozent der1.743 Gene des GrippeerregersHaemophilus influenzae eineFunktion zugeordnet werden. Fürrund 800 Gene, also circa 40 Prozent, blieb die Funktionim Dunkeln. Sie konnten keinerder bekannten zwölf funktionel-len Enzymklassen zugeordnetwerden (6).

Die Konstruktion und dieDurchmusterung von Umwelt-Genbanken wurde erstmals voneiner amerikanischen Arbeits-

Ayers Rock Papierfabrik Totes Meer

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BIODIVERSITÄT

gruppe 1995 zur direkten Klonie-rung von Genen für Cellulaseneingesetzt (7). Dabei kamen je-doch keine natürlichen Standor-te, sondern Proben aus einem La-borfermenter als Ausgangsmateri-al für die Erstellung der Genban-ken zum Einsatz. Die ersten Ar-beiten, in denen DNA aus natür-lichen Bodenproben zur Erstel-lung und anschließenden se-quenzunabhängigen Durchmu-

sterung von Metagenombankeneingesetzt wurde, konnten vonuns 1999 publiziert werden (1).Im Rahmen dieser Arbeiten wur-den Bodenproben zur Identifizie-rung von neuartigen 4-Hydroxy-butyrat-Dehydrogenasen genutzt,die zur Synthese von Hydroxy-säuren eingesetzt werden. Darü-ber hinaus führten weitere Arbei-ten am Göttinger Institut fürMikrobiologie und Genetik zurIsolierung von biotechnologischrelevanten Genen für neuartigemikrobielle Lipasen, Esterasen,Amylasen, Na+/H+-Antiporter,

Alkohol-Dehydrogenasen, undGlycerin-Dehydratasen sowiezur Klonierung von Genen zurSynthese von Biotin (Tabelle 1).

Die in Kooperation mit dem»Göttingen Genomics Laborato-ry« am Institut für Mikrobiologieund Genetik durchgeführte Se-quenzanalyse der im Rahmendieser Screeningverfahren isolier-ten Gene ergab, dass nahezu allefür neue und bisher unbekannte

Biokatalysatoren relevant sind.Diese Ergebnisse belegten, dassdie Metagenombanken Gene vondiversen und bisher nicht-kulti-vierten beziehungsweise nicht-charakterisierten Mikroorganis-men enthalten und somit eine rei-che Quelle für die Entdeckungökonomisch bedeutender Enzy-me und Wirkstoffe darstellen. Ne-ben dem anwendungsorientier-ten Aspekt der Metagenomfor-schung bietet sie auch breitenRaum für Grundlagenforschung.Die Umwelt(Meta)genomik alsneue Stufe der Genomforschung

an Prokaryoten ermöglicht denZugang zu Genomen von bishernicht-kultivierten Mikroorganis-men. Mit der Akkumulation vonDaten aus der Genomanalytikdieser Mikroorganismen einer-seits und der Beschreibung meta-bolisch relevanter Funktionsgeneandererseits wird es zunehmendmöglich, die mikrobielle Evolu-tion auf Basis der Enzyme undStoffwechselwege mit der stam-

mesgeschichtlichen Diversität zuvergleichen.

Die bisher in der Metagenom-forschung publizierten Arbeitenzeigen, dass in der direkten Klo-nierung von Umwelt-DNA undder anschließenden Durchmuste-rung der daraus resultierendenMetagenombanken ein großesPotenzial zur Entdeckung vonneuartigen Biokatalysatoren undWirkstoffen liegt. Die in den Ab-teilungen Allgemeine und Ange-wandte Mikrobiologie des Göt-tinger Instituts für Mikrobiologieund Genetik an der Metagenom-

Tabelle 1

Beispiele für am Institut für Mikrobiologie und Genetik durchgeführte Durchmusterungen von Metagenombanken

DNA-Quelle Vektor Anzahl getesteter Zielprotein Anzahl positiver E. coli-Klone E. coli-Klone

Boden Plasmid 930000 4-Hydroxybutyrat-Dehydrogenase 5

Boden Plasmid 286000 Lipase/Esterase 4

Boden Plasmid 1480000 Na+/H+-Antiporter 2

Boden / Sediment Plasmid 1000000 Alkohol-Dehydrogenase 15

Anreicherungskulturen Plasmid 400000 Alkohol-Dehydrogenase 16

Anreicherungskulturen Plasmid 400000 Glycerin- und Diol-Dehydratase 7

Anreicherungskulturen Cosmid 30000 Biotin-Synthese 7

Anreicherungskulturen Cosmid 2000 Amylase 8

Anreicherungskulturen Cosmid 400 Lipase 1

Anreicherungskulturen BAC 1800 Amylase 4

Fluss Grone Rotes Meer Wattenmeer

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GENE UND GRENZEN

forschung beteiligten Gruppennehmen eine internationale Spit-zenstellung auf diesem noch jun-gem Forschungsgebiet ein. Dieswurde durch die Synergie aus an-wendungsorientierter Forschungund Grundlagenforschung in Zu-

sammenhang mit am GöttingerInstitut vorhandenen Ressourcenund durch Kooperationen mit In-dustriepartnern erreicht. Einenwichtigen Beitrag zur Sicherungund zum Ausbau dieser Spitzen-position leistete auch die Einbin-

dung der Metagenomik als eineSäule in dem Göttinger Kompe-tenzzentrum »Genomforschungan Bakterien für die Analyse derBiodiversität und die Nutzung zurEntwicklung neuer Produktions-verfahren«. �

Literatur

1. Henne, A., R. Daniel, R. A., Schmitz, andG. Gottschalk. 1999. Construction of envi-ronmental DNA libraries in Escherichia co-li and screening for the presence of genesconferring utilization of 4-hydroxybutyrate.Appl. Environ. Microbiol. 65:3901-3907.

2. Henne, A., R. A. Schmitz, M. Bömeke,G. Gottschalk, and R. Daniel. 2000. Scree-ning of environmental DNA libraries for thepresence of genes conferring lipolytic acti-vity on Escherichia coli. Appl. Environ. Mi-crobiol. 66:3113-3116.

3. Entcheva, P., W. Liebl, A. Johann, T.Hartsch, and W. Streit. 2001. Direct clo-ning from enrichment cultures, a reliablestrategy for isolation of complete operonsand genes from microbial consortia. ApplEnviron Microbiol. 67:89-99.

4. Majernik, A., G. Gottschalk, and R. Da-niel. 2001. Screening of environmentalDNA libraries for the presence of genesconferring Na+(Li+)/H+ antiporter activityon Escherichia coli: characterization of therecovered genes and the corresponding ge-ne products. J. Bacteriol. 183:6645-6653.

5. Daniel, R. 2002. Construction of envi-ronmental libraries for functional screeningof enzyme activity. In S. Brakmann and K.Johnsson (ed.), Directed molecular evolu-tion of proteins. Wiley-VCH Verlag GmbH,Weinheim, Germany.

6. Tang, C. M., D. W. Hood, and E. R. Mo-xon. 1997. Haemophilus influenzea: theimpact of whole genome sequencing onmicrobiology. Trends in Gen. 13:399-404.

7. Healy, F. G., R. M. Ray, H. C. Aldrich, A.C. Wilkie, L. O. Ingram, and K. T. Shanmu-gam. 1995. Direct isolation of functionalgenes encoding cellulases from the micro-bial consortia in a thermophilic, anaerobicdigester maintained on lignocellulose.Appl. Microbiol. Biotechnol. 43:667-67

Dr. Rolf Daniel, Jahrgang 1963, studierte Biologie inGöttingen und wurde 1994 promoviert. 1995/96 warDr. Daniel DFG-Forschungsstipendiat am Institut fürmolekulare Zellbiologie der University of California,Berkeley (USA). Seit 1996 ist er Arbeitsgruppenleiteram Göttinger Institut für Mikrobiologie und Genetik

(Abteilung Allgemeine Mikrobiologie).

Dr. Ruth A. Schmitz, Jahrgang 1965, studierte Biolo-gie in Marburg, wo sie 1992 promoviert wurde.1994/95 ging sie als Forschungsstipendiatin an dieUniversity of California, Berkeley (USA). Seit 1996 istDr. Schmitz am Göttinger Institut für Mikrobiologieund Genetik tätig. Sie habilitierte sich im Juli 2001.

Dr. Wolfgang Streit, Jahrgang 1964, studierte Biologiein Marburg, wo er 1993 promoviert wurde. Als Feo-dor-Lynen-Stipendiat war er von 1994 bis 1997 andie University of California, Davis (USA). 1997/1998war Dr. Streit an der Universität Bielefeld und ging1998 an das Göttinger Institut für Mikrobiologie und

Genetik. Dr. Streit habilitierte sich 2002.

Unser besonderer Dank gilt allen jetzigenund ehemaligen Mitarbeitern, die mit vielEngagement zum Fortschritt in dieser jun-gen Forschungsrichtung beigetragen ha-ben. Ferner: Prof. Dr. Gerhard Gottschalkfür die kontinuierliche und produktive Zu-sammenarbeit in allen Aspekten der For-schungsarbeit.

Die Arbeiten der Autoren wurden vomBundesministerium für Bildung und For-schung und der Deutschen BundesstiftungUmwelt gefördert.

The diversity of natural mi-crobial consortia is a rich

source of new industrial enzymesand bioactive compounds. Thisdiversity has been explored formany years based on the cultiva-tion and isolation of microbialspecies. Such techniques areknown for their selectivity, but arenot representative of the extent ofthe bacterial community, sincethe proportion of cells that can becultured by using standard tech-niques is estimated to be less thanone percent of the total popula-tion. Current estimates of the totalnumber of microbial species onearth range from 1,000,000 to100,000,000, but only approxi-mately 5,000 microbial speciesare available in different culturecollections. Thus, the assessmentand exploitation of this enormousunknown microbial diversity

offers an almost unlimited pool ofnew biocatalysts and bioactivecompounds for biotechnologicaland other purposes. Recent ad-vances in the field of molecularbiology such as e cloning of DNAderived from environmental sam-ples have led to the developmentof techniques, which do not relyon the isolation of single microor-ganisms and thus reduce the biasassociated with it. One cultiva-tion-independent approach to ex-ploit the genetic diversity of va-rious environments is the con-struction and screening of so-called metagenomic DNA libra-ries.

This method has been success-fully applied, i.e., for the directcloning of environmental genesencoding novel lipases, esterases,amylases, or proteins invol-ved in biotin synthesis.

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GENE UND GRENZEN

Das Projekt Alga TerraHinter morphologisch kaum un-terscheidbaren Mikroalgen ver-bergen sich – so zeigt unser Bei-spiel mit den Algen auf GöttingerHausdächern – unerwartet großegenetische Unterschiede, dieRückschlüsse auf die Evolutionder Algen zulassen. Deshalb set-zen Algenforscher DNA-Se-quenzvergleiche eines wichtigen

Markermoleküls, dem Gen der18S rRNA, zur weiteren Bestim-mung ein. Im Rahmen eines vom

Bundesministerium für Bildungund Forschung (BMBF) geförder-ten umfangreichen Drittmittelpro-

Biodiversitätforschung kann vor der eigenen Haustür beginnen – präziser: auf dem eigenen Hausdach. Hierfanden Biologen der Georg-August-Universität Göttingen eine unerwartet hohe Vielfalt an Grünalgen in Bio-filmen, die von Dachziegeln und Gebäuden im Stadtgebiet abgenommen wurden. Während sich durch einfa-ches Mikroskopieren nur etwa vier bis sechs morphologisch, das heißt ihrer äußeren Gestalt nach, unter-scheidbare Algentypen feststellen ließen, ist die genetische Diversität jedoch um ein Vielfaches höher. Deshalbwurde aus den grün-schwarzen dünnen Überzügen DNA isoliert und über die Polymerase-Kettenreaktion(PCR), einem Standardverfahren der Molekularbiologie, Klone der 18S rDNA als Markermoleküle gewonnen.Überraschendes Ergebnis: auf nur zwei Ziegeln eines Daches wurden 14 unterschiedliche Algenklone gefun-den. Die Dachziegelalgen kommen immer eng assoziiert mit mikroskopischen Pilzen vor und auch deren Iden-tität wird jetzt mit 18S rDNA-Analysen ermittelt. Das besonders Spannende zeigte sich aber erst nach so ge-nannten phylogenetischen Analysen, wenn das Gefundene mit bisher in Datenbanken verfügbaren 18S rDNA-Sequenzen von Grünalgen verglichen wird: Von wenigen Ausnahmen abgesehen ließ sich kaum ein Algenklonvon den Dachziegeln einer bekannten Grünalgen-Art zuordnen (Abb. 1). Die meisten der Dachziegelalgen sinddemnach bisher noch gar nicht bekannt; einige stellen noch unbekannte neue Linien im Stammbaumdiagrammder Grünalgen dar.

Abb. 1Stammbaumdia-gramm, in dem 18SrRNA-Gensequenzenvon Grünalgen vonDachziegeln mit ver-fügbaren Grünalgen-sequenzen rechnerischverglichen wurden. Hervorgehoben sind 14DNA-Klone, die auf nurzwei Dachziegelnnachgewiesen wurden.Von wenigen Ausnah-men abgesehen, lässtsich keine der DNA-Klone eindeutig einerbekannten Grünalgen-sequenz zuordnen. DieKlone 7-9 (Pfeil) bildeneine neue Linie inner-halb der Grünalgen-klasse Trebouxiophy-ceae.Fotos und Abbildungen: Sammlung von Algen-kulturen der UniversitätGöttingen

Pioniere der BiodiversitätMolekulare Analysen decken die Biodiversität

mikroskopischer Algen auf

Thomas Friedl

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Universität Göttingen118

BIODIVERSITÄT

jektes mit der Bezeichnung AlgaTerra werden am Albrecht-von-Haller-Institut für Pflanzenwissen-schaften der Georg-August-Uni-versität DNA-Sequenzanalysen anmikroskopischen Algen aus terre-strischen Lebensräumen durch-geführt. Ziel des Projekts ist es, dieBiodiversität dieser in ökologi-schen Kreisläufen sehr wichtigenpflanzlichen Mikroorganismenzu erfassen. Aus Vergleichen derrRNA-Gensequenzen, die in al-len Organismen vorhanden sind,lassen sich an circa 500 Positio-nen Unterschiede erkennen, dieein Maß für die in der Evolutionentstandenen Veränderungen sind.Das Zustandekommen dieser Dif-ferenzen wird mit einer Anzahlvon statistischen Modellen unterder Annahme verschiedener Op-

timalitätskriterien modelliert –das Ergebnis sind Genstammbäu-me, in denen die genetischen Ab-stände zwischen den einzelnenSequenzen anschaulich darge-stellt sind (Abb. 2). Dabei stehendie rRNA-Gensequenzen alsMarkermoleküle stellvertretendfür die Algen.

Für ihre molekularen Arbeitensteht der fünfköpfigen GöttingerArbeitsgruppe des AlgaTerra-Pro-jektes unter meiner Leitung einautomatischer Hochleistungs-Se-quenzierer zur Verfügung, dererst kürzlich für das neu gegrün-dete Göttinger Zentrum für Biodi-versitätsforschung und Ökologieangeschafft werden konnte. Inenger Zusammenarbeit mit derFreien Universität Berlin, derUniversität Leipzig und dem Al-

fred-Wegener-Institut in Bremer-haven werden im Projekt AlgaTer-ra DNA-Analysen wichtiger Mar-kermoleküle zur eindeutigenCharakterisierung mikroskopi-scher Algen durchgeführt, aberauch Informationen über Mor-phologie, Vorkommen und Taxo-nomie (Einordnung in ein biologi-sches System) zusammengestellt.Gemeinsames Ziel ist es, dieseInformationen in einer Daten-bank zur Verfügung zu stellen,die im Internet unter www.algat-erra.org veröffentlicht werdenwird. Grundlage für alle diese Be-mühungen ist die Sammlung vonAlgenkulturen am Albrecht-von-Haller-Institut der Göttinger Uni-versität.

Analysen der 18S rDNA-Se-quenzen zeigen, dass mikrosko-pisch kaum unterscheidbare Kul-turstämme von Grünalgen zuganz unterschiedlichen Abstam-mungslinien gehören können.Vertreter der Gattung Planophilasind nur ein Beispiel: traditionellzu Planophila gehörende Artensind in ihren vegetativen Stadienselbst im Elektronenmikroskopkaum zu unterscheiden. Plano-phila-Arten leben in unterschied-lich gestalteten Kolonien im Süß-wasser und an Felsküsten derMeere (Abb. 5). DNA-Analysenzeigen, dass sich die traditionellzu Planophila-gestellten Arten aufvier verschiedene Abstammungsli-nien der Grünalgen verteilen, diesich drei unterschiedlichen Klas-sen der Grünalgen zuordnen las-sen (Abb. 2). Da eine Gattungnicht gleichzeitig drei verschiede-nen Klassen zugeordnet sein kann,mussten für die Planophila-Artendrei neue Gattungen beschriebenwerden. Die Vielfalt mikroskopi-scher Grünalgen ist sehr viel höherals erwartet: aus einer Gattungwerden vier!

Planophila ist nur ein Beispielfür etwas, was die Göttinger Ar-beitsgruppe mit ihren Sequenz-analysen immer wieder findetund fast schon als ein Prinzip derMikroalgen angesehen werden

Abb. 2 Stammbaumdiagramm

von 18S rRNA-Gense-quenzen einer Auswahl

von Grünalgen-Arten,die wesentliche Ab-

stammungslinien reprä-sentieren. Die Prasino-phyten stehen an der

Basis, sie stellen mehre-re unterschiedliche

Abstammungslinien derGrünalgen dar und ge-hören keiner bestimm-

ten Klasse an. Hervorge-hoben Mikroalgen, de-

ren genetische Vielfalt indem Projekt AlgaTerraoffenbar wurde: auf-

grund mikroskopischerBefunde wurden sie ei-

ner bestimmten Gat-tung (zum Beispiel Chlo-

rella, Planophila) zuge-ordnet. Es wird deutlich,dass sie mehreren Gat-

tungen und oft sogarunterschiedlichen Klas-

sen angehören.

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GENE UND GRENZEN

muss: das Ausmaß ihrer Biodiver-sität ist noch weitgehend unent-deckt, erst mit molekularen Ana-lysen wird es offenbar. Weitere,in dem Projekt AlgaTerra bearbei-tete, Beispiele sind Vertreter derGattung Chlorella, die an zahlrei-chen ganz unterschiedlichenStellen im rRNA-Genstammbaumder Grünalgen auftreten (Abb. 2).

Jedoch nur Chlorella vulgaris, ge-nauer der in Göttingen kultivierteStamm »SAG 211-11b«, beweistsich als echter Vertreter dieserGattung (Abb. 3). Der Stammwurde bereits 1898 isoliert, ist da-mit eine der ältesten Algenkultu-ren überhaupt und war Grundla-ge zur taxonomischen Beschrei-bung der Gattung Chlorella.

Chlorella-ähnliche Kulturstäm-me, die genetisch deutlich ent-fernt von Chlorella vulgaris sind,stellen andere Gattungen dar, diebisher aber größtenteils nochnicht beschrieben sind. DerselbeBauplan ist in der Evolutionmehrfach entstanden und tritt inunterschiedlichen Abstammungs-linien der Grünalgen auf. WeitereBeispiele für Grünalgengattun-gen, deren mehrfacher Ursprungkürzlich entdeckt wurde, sind inAbbildung 2 dargestellt.

Entschlüsselung von Diversitätunterhalb des Artniveaus Chlorella vulgaris ist eine in derBiotechnologie häufig verwende-te Mikroalge, sie lässt sich leichtund in großen Mengen kultivie-ren. Daher sind in Göttingenzahlreiche Stämme, das heißtunterschiedliche Isolate, dieserArt vorhanden. Unsere jüngstenErgebnisse zeigen, dass die 15verschiedenen Isolate von C. vul-garis in der Göttinger Kulturen-sammlung auf Genom-Ebene kla-re Unterschiede aufweisen undmindestens fünf verschiedenenEinheiten unterhalb des Artnive-aus entsprechen. Während dierRNA-Gene dieser 15 Stämme sogut wie keine Unterschiede zei-gen, können mit einer noch wei-ter verfeinerten Technik Unter-

Abb. 3 Chlorella vulgaris SAG211-11b – die älteste inGöttingen verfügbareKultur, die als Grundla-ge zur Beschreibungder Gattung Chlorellaim Jahre 1898 dienteund heute in molekula-ren Untersuchungen ei-nen wichtigen Refe-renzstamm darstellt.Chlorella vulgaris wirdbiotechnologisch viel-fach genutzt.

Die Vielfalt der Mikroalgen, die nahezu alle Biotope der Erde in zum Teilgroßen Mengen besiedeln, ist sehr viel tiefgreifender als die der Landpflan-zen. Akzeptierte Schätzungen gehen heute von circa 400.000 Algenartenaus, wobei erst rund 20 Prozent entdeckt und beschrieben sind. Algen sindeine Lebensform, jedoch keine systematische Einheit. Sie sind im weitestenSinne Organismen, die zur Photosynthese befähigt sind und permanent Sau-erstoff produzieren. Die grünen Landpflanzen sind, wie molekulare Analy-sen zeigen, eine Schwestergruppe zu einer bestimmten Abstammungslinieder Grünalgen. Algen sind die Primärproduzenten sehr vieler Ökosysteme.In den Meeren, die drei Fünftel der Erdoberfläche bedecken, gibt es gewal-tige Massen mikroskopischer Algen, die im freien Wasser (planktisch) undan den Küsten (benthisch) vorkommen. Im globalen Naturhaushalt sind Al-gen mindestens ebenso wichtig für die Kohlenstoffbindung und als Klima-komponente wie die Landvegetation, denn jedes zweite Sauerstoffmolekülder Erdatmosphäre wird von Algen gebildet. Außerdem sind sie maßgeblichan der Dynamik der Lithosphäre beteiligt. In großen Mengen leben meisteinzellige Mikroalgen in geringer, vom Licht eben noch erreichter Tiefe inGesteinen. Neben dem Meer und Felsformationen bieten auch Wüsten ge-eignete Lebensräume, deren Vegetation vor allem aus Algen und Symbio-sen von Algen mit Pilzen (Flechten) besteht.

Viele hochwertige Inhaltsstoffe und ihre kostengünstige Kultivierung ma-chen Mikroalgen zu interessanten Rohstofflieferanten. Grünes Brot und Al-genshampoo, gewonnen aus der grünen Mikroalge Chlorella vulgaris, sindnur zwei Beispiele aus der Produktpalette. Heute werden circa 160 Algen-Arten kommerziell genutzt. Das Interesse an der Verwendung von Algenund ihrer Inhaltsstoffe steigt ständig – so sind Mikroalgen von wachsenderBedeutung als »cell factories«, zum Beispiel für die Produktion von Pigmenten, Lipiden, mehrfach ungesättigten Fettsäuren und pharmazeu-tisch wichtigen Substanzen. Algen liefern Vitamine und Mineralstoffe inhochkonzentrierter Form; in ihrem Proteingehalt übertreffen sie Fleisch,Milch und Hühnereier. Als wichtigste Primärproduzenten in aquatischenNahrungsketten werden Algen im Umweltmanagement als »Indikator-organismen« für den Nachweis von Toxizität verwendet. Während ihresStoffwechsels bauen Mikroalgen Schadstoffe ab und synthetisieren Wert-stoffe. Sie können Gewässer sanieren, Ödland rekultivieren und als Ener-gielieferanten dienen. Trotz ihrer besonderen ökologischen und ökonomi-schen Bedeutung, werden Algen als wichtige biologische Ressource heuteimmer noch zu wenig genutzt. Prof. Dr. Thomas Friedl

Algen – Vielfalt, Bedeutung und ökonomischer Nutzen

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Universität Göttingen120

BIODIVERSITÄT

schiede im Genom nachgewie-sen werden. Die Technik heißtAmplified Fragment Length Poly-morphism (AFLP), und mit ihrwerden einige hundert Unter-schiede im Genom von Algen,die sich auf der Ebene von rRNA-Genen kaum unterscheiden,deutlich. Bei der AFLP-Technikwird nicht ein einzelnes Marker-molekül untersucht, sondern dasgesamte Genom wird in Frag-mente zerlegt, die an einemDNA-Sequenzierer mittels der sogenannten Kapillarelektrophore-se aufgetrennt und detektiert wer-den. Das erlaubt eine sehr viel ge-nauere Auflösung als die rRNA-Gensequenzanalysen. Unter denüber 1.200 Arten an Mikroalgen inder Göttinger Kulturensammlung

sind viele Arten mit bis zu 35Stämmen vertreten – ob hier ge-netische Redundanz oder Vielfaltvorliegt, werden weitere Untersu-chungen zeigen. Das BeispielChlorella vulgaris und unsereAnalysen an weiteren Mikroalgenzeigen in Richtung Diversität.

Kryokonservierung von Mikroalgen Kulturstämme der gleichen Artkönnen sich, wie das Beispielzeigt, in biotechnologisch rele-vanten Eigenschaften durchausunterscheiden. Daher ist es wich-tig, auch die Diversität unterhalbdes Artniveaus in Kulturensamm-lungen zu konservieren. Mit denbisher üblichen Erhaltungstechni-ken für Mikroalgen-Kulturen ist

das nicht mehr möglich. Traditio-nelle Erhaltungstechniken habenden Nachteil, dass sich die Kultu-ren im Laufe der Jahre genetischverändern und dadurch Eigen-schaften verloren gehen können.In Göttingen werden in demdurch die Europäische Unionunterstützten Projekt COBRA(»The Conservation of a VitalEuropean Scientific & Biotechno-logical Resource: MicroAlgae &Cyanobacteria«) neue Methodenzur Aufbewahrung von Mikroal-gen bei ultratiefen Temperaturenvon circa minus 180 °C entwick-elt und getestet. Tiefgefrorene Al-genkulturen – in so genannterKryokonservierung – lassen sichPlatz sparend bei nur geringemArbeitsaufwand praktisch unbe-grenzt und genetisch stabil aufbe-wahren. Beim COBRA-Projekt ar-beiten die Göttinger Algenfor-scher gemeinsam mit vier weite-ren Kulturensammlungen, zweiKryobiologen-Arbeitsgruppen undeinem Industriepartner aus insge-samt fünf europäischen Ländernin einem Netzwerk, das die Ent-wicklung eines Europäischen»Biological Resource Centre«zum Ziel hat. Damit soll zukünf-tig optimales, genetisch eindeuti-ges Ausgangsmaterial für die Bio-technologie und Forschung anMikroalgen zur Verfügung gestelltwerden. �

Abb. 5Planophila terrestris SAG

32.98 – eine typischemorphologisch merk-malsarme mikroskopi-

sche Grünalge. DieEinzelzellen bilden un-regelmäßig geformte

Kolonien, die Gesteinebesiedeln.

Abb. 4Enteromorpha

intestinalis SAG 320-1a-

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GENE UND GRENZEN

Kulturen sind die Voraussetzung,um Eigenschaften von Mikroal-gen im Labor studieren zu kön-nen. Mikroalgen kommen in derNatur häufig nur in Spuren undvermengt mit anderen Mikroorga-nismen vor. Daher müssen sieisoliert und auf geeigneten Nähr-böden in größeren Mengen her-angezogen werden. Aber nur einkleiner Bruchteil der Algenvielfaltlässt sich bisher in Kulturen hal-ten.

Die Sammlung von Algenkul-turen an der Georg-August-Uni-versität Göttingen (SAG) ist welt-weit eine der größten und ältestenKulturensammlungen für mikro-

skopische Algen. In ihr werdenüberwiegend Algen aus terrestri-schen Lebensräumen und Süß-wasser kultiviert. Mit gegenwär-tig rund 2.200 Stämmen (aus ca.500 Gattungen und 1.250 Arten)sind in der SAG nahezu alleStämme und Klassen der eukary-otischen Algen (Organismen mitdefiniertem Zellkern) und Cyano-bakterien (Blaualgen) verfügbar.Ein Katalog der Kulturen derSammlung ist im Internet abruf-bar. (www.gwdg.de/~epsag/phy-kologia/epsag.html). Die Mitar-beiter der SAG verschicken jähr-lich rund 2.500 Kulturstämme,die von Forschungsinstituten und

Industriepartnern nachgefragtwerden.

1954 an der Georg-August-Universität gegründet, geht dieGöttinger Sammlung auf die1920er Jahre zurück, als der Pio-nier der Algenforschung, ErnstGeorg Pringsheim (1881-1970),erstmals seine Reinkulturen vonMikroalgen anderen Fachkolle-gen zur Verfügung stellte. 1953nahm Pringsheim einen Ruf alsHonorarprofessor an die Univer-sität Göttingen an und baute hier– bereits zum dritten Mal in sei-nem Leben - eine Kulturensamm-lung auf.

Prof. Dr. Thomas Friedl

Die Sammlung von Algenkulturen an der Universität Göttingen (SAG)

Algae are an enormouslydiverse group of primary

producers, abundant in almost allecosystems on earth and with keyroles in carbon fixation and oxy-gen production. The extent of thediversity of microalgae is still onlylittle understood and DNA ana-lyses are essential in order to in-vestigate their biodiversity. For in-stance, 14 different green algae inbiofilms from just two roof tiles

on urban buildings were found bysequencing rRNA genes whereasmicroscopic observation reveal-ed no more than six morphologi-cal types. The roof tile algae re-presented new lineages in the ge-ne trees and this demonstratedthe presence of still unknownspecies in these habitats. There-fore, in the project »AlgaTerra«based at the »Sammlung von Al-genkulturen an der Universität

Göttingen« (SAG), terrestrial mi-croalgae are investigated by DNAsequencing. Species of microal-gae once considered as membersof a single genus due to their mor-phological similarity were foundto be distinct at the level of ordersor classes. But even below the le-vel of species, a significant amountof diversity was detected by usingthe AFLP technique which allowsthe screening of whole algal geno-mes. At SAG, more than 2.000 cul-tured strains of microalgae repre-senting a broad range of their di-versity are made available, mostlyfor research purposes. To facilitatethe access to microalgae, novelmethods for their preservation atultra low temperatures are usedand further developed in the pro-ject COBRA, based at SAG andsupported by the Europeancommunity.

Prof. Dr. Thomas Friedl, Jahrgang 1960, studierte Bio-logie in München und Marburg. 1989 wurde er an derUniversität Bayreuth promoviert. Nach USA-For-schungsaufenthalten an der Duke University (NorthCarolina) und der Louisana State University in BatonRouge (Louisiana) habilitierte er sich 1997 in Bay-

reuth und arbeitete an der Universität Kaiserslautern. 1999 wurde eran die Universität Göttingen berufen. Hier leitet er die Abteilung»Experimentelle Phykologie und Sammlung von Algenkulturen« amAlbrecht-von-Haller-Institut für Pflanzenwissenschaften.

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Variabilität in den Genen und Wirkungen medikamentöserTherapie: Ein Beispiel aus der Arzneistoff-BiotransformationJe näher wir der vollständigenAufklärung der DNA-Sequenz desmenschlichen Genoms kommen,umso deutlicher wird erkennbar,dass es das eine menschliche Ge-nom gar nicht gibt. Vielmehr hatjeder Mensch sein unverwechsel-bares eigenes Genom, und ge-schäftstüchtige Molekularbiolo-

gen denken schon darüber nach,Genome berühmter oder zah-lungskräftiger Personen komplettzu analysieren. Das menschlicheGenom besteht aus vier Baustei-nen, aus den Basen G, A, T, C,von denen etwa 3.000.000.000Bausteine linear auf den Chromo-somen angeordnet sind. An mehrals 3.000.000 Positionen, also et-wa an jeder 1000. Position, fin-den sich so genannte Polymor-phismen, wie diese durch Varia-

bilität gekennzeichneten Stellenin der Genstruktur heißen.

Einer dieser Polymorphismenbefindet sich auf dem Chromo-som Nummer 22. Dort liegt in derRegion von Position 39.000.000das Gen, das die Erbinformationfür ein Enzym mit der Bezeich-nung CYP2D6 trägt. Die 1846.Base des CYP2D6-Gens weist ei-nen G>A Polymorphismus auf,das heißt, einige Personen tragenhier ein G, andere ein A. Es han-delt sich im Fachjargon um einenbiallelischen SNP, also einenzwei Zustände aufweisenden Sin-gle-Nukleotid-Polymorphismus.Diejenigen Personen, die hier einG aufweisen, sind in der Lage,das Enzym CYP2D6 zu bilden,diejenigen, die ein A aufweisen,können kein CYP2D6 bilden.

Entdeckt wurde dieses Phäno-men bereits 1977 in London. Da-mals führten die Pharmakologeneine Untersuchung zu einemBlutdrucksenkenden Medika-ment mit der Bezeichnung Debri-soquin durch. An der Probanden-untersuchung nahm auch derLondoner Institutsdirektor Prof.Robert Smith teil und es fiel auf,dass sein Blutdruck extrem starksank, so dass ihm schwindeligwurde und er unter weiteren ern-sten Nebenwirkungen litt, wäh-rend die meisten anderen das Me-dikament gut vertrugen. Damalswusste man noch sehr wenig vommenschlichen Genom, und auchdas Enzym CYP2D6 war nochnicht entdeckt, aber die Pharma-

Pharmakogenomik: Therapie nach (Gen-)Maß

Jürgen Brockmöller

Ein neuer Forschungsschwerpunkt im Bereich Humanmedizin der Georg-August-Universität Göttingen ist die Phar-makogenetik/Pharmakogenomik. Am Beispiel eines Enzyms, des Enzyms Cytochrom-P450-2D6 (CYP2D6), und einerkleinen Zahl von variablen Positionen (Polymorphismen) im Gen dieses Enzyms wird gezeigt, wie einerseits eine feh-lende Wirkung, andererseits schwere Nebenwirkungen der Arzneitherapie auf genetischen Konstellationen des Patien-ten beruhen können. Dies wurde in einer Studie deutlich, bei der es um die Therapie von schwerer Übelkeit undErbrechen mit den Medikamenten Ondansetron und Tropisetron ging. Die Bedeutung des CYP2D6-Polymorphismus inder medizinischen Praxis wurde auch durch eine weitere Studie der Göttinger Wissenschaftler belegt, bei der Neben-wirkungen und Therapieerfolg des Medikaments Haloperidol im Mittelpunkt standen. Insbesondere scheint eine klei-ne Untergruppe von etwa zwei Prozent der Bevölkerung, nämlich Personen, die genetisch bedingt Medikamente überihren Stoffwechsel (Metabolismus) ultra-schnell abbauen, unter mangelndem Therapieerfolg zu leiden, wenn mit Sub-stanzen behandelt wird, die über dieses Enzym ausgeschieden werden. Die Anwendung dieses Wissens in der Medi-zin verspricht eine effektivere Therapie und weniger Nebenwirkungen. Die Suche, welche der derzeit bekannten etwadrei Millionen genetischen Polymorphismen im menschlichen Genom medizinisch bedeutsam sind, ist in der Göttin-ger Pharmakogenomik, aber auch weltweit ein hochaktuelles Forschungsgebiet.

BIODIVERSITÄT

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GENE UND GRENZEN

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kologen konnten recht präzi-se Medikamenten-Konzentrations-messungen durchführen. Sie stell-ten fest, dass bei Prof. Smith undeinigen anderen, bei denen dasMedikament ebenfalls sehr starkwirkte, die Substanz nur sehrlangsam aus dem Körper elimi-niert wurde. Bei allen anderenwar die Ausscheidung schnell,und es bildete sich aus dem De-brisoquin in großen Mengen einnicht wirksames Stoffwechselpro-dukt, das Hydroxy-Debrisoquin.Damals nannte man dann das En-zym, das Debrisoquin zumHydroxy-Debrisoquin umwan-delt, die Debrisoquin-Hydroxyla-se. Es wurde durch Familien-untersuchungen wenig später be-legt, dass es sich bei dem verzö-gerten Abbau des Medikamentsum ein erbliches Phänomen han-delt; die damit charakterisierteerbliche Variation bezeichneteman seither als Debrisoquin-Spartein-Polymorphismus.

In den folgenden Jahrzehntenwurde klar, dass das Enzym

CYP2D6 an der Biotransforma-tion sehr vieler Arzneimittel be-teiligt ist. Wenn man heute zählt,kommt man auf mehr als hundertvon CYP2D6 metabolisierte Arz-neimittel. Fast alle Arzneimittelwerden nach der Aufnahme zuFolgeprodukten umgewandelt. Invielen Fällen sind diese Folgepro-dukte nicht aktiv und in allen die-sen Fällen beendet die Metaboli-sierungsreaktion die Wirkung desMedikamentes. Es gibt aber aucheinige Fälle, in denen Metabo-liten aktiv, und sogar aktiver alsdie Ausgangssubstanz sind, hierspricht man von metabolischerAktivierung. Und schließlich gibtes Substanzen, die selbst gut ver-träglich wären, aus denen sichaber Metaboliten bilden, die to-xisch sind. Was jeweils zutrifft,Deaktivierung, Aktivierung oderToxifizierung, hängt vom jeweili-gen Medikament ab. An all die-sen Reaktionen kann das EnzymCYP2D6 teilnehmen, und so ist esfür die medizinische Therapienicht ohne Belang, dass etwa sie-

ben Prozent der deutschen Bevöl-kerung keinerlei Aktivität bei demEnzym CYP2D6 hat.

Inzwischen kennen wir diemolekularen Grundlagen für denCYP2D6 Polymorphismus rechtgut. Die Variation an Position1846 ist nur eine von vielen Vari-anten, die zu einem Funktions-verlust führen können. Auf eineraktuellen Internet-Seite (www.imm. ki.se/CYPalleles) sind mehrals 50 Varianten dargestellt. Esexistieren nicht nur Varianten mitfehlender Aktivität, sondern etwadrei Prozent von uns tragen aucheine Variante mit extrem hoherAktivität. Bei diesen Personenliegt eine Duplikation desCYP2D6-Gens vor; bei ihne wirdin den Zellen auch etwa die dop-pelte Menge an Enzym syntheti-siert, die maximal möglicheMetabolisierungsgeschwindigkeitist entsprechend auch verdop-pelt. Man spricht von den ultra-schnellen Metabolisierern.

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Der ultraschnelle Metabolisierer:Eine in der Arzneitherapievernachlässigte UntergruppeSchon 1997 konnte Dr. ChristophSachse aus meiner Arbeitsgruppein einer Untersuchung von mehrals 600 Personen zeigen, dass die

molekularbiologische Analysevon fünf Varianten ausreichendist, um bei etwa 99 Prozent allerPersonen richtig vorauszusagen,ob es sich um langsame, schnelleoder ultraschnelle Metabolisiererhandelt (Sachse et al., 1997). Da-mit stand der Weg offen, die Te-stung von CYP2D6, wie sie damitaus einem Blutstropfen möglich

war, zum Nutzen der Patienten inder Medizin anzuwenden.

Es war und ist unser Ziel, dassdie Ärzte in der Zukunft nicht erstmit der individuellen Anpassungder Arzneitherapie beginnen,nachdem sie aus den Nebenwir-

kungen oder aus dem fehlendenAnsprechen auf die Therapie er-kennen, dass ein Problem be-steht. Vielmehr soll vor Beginnder Therapie getestet werden,wer der ultraschnelle Metaboli-sierer ist (wer also eine höhereMedikamentendosis bekommensollte), und wer der defizienteMetabolisierer ist (wer also eine

niedrigere Medikamentendosisbekommen sollte).

Um zu zeigen, dass ein sol-ches Vorgehen tatsächlich vonNutzen sein könnte, begaben wiruns bei unserer Forschung in me-dizinische Gebiete, in denen dieArzneitherapie noch nicht bei je-dem Patienten den erwünschtenErfolg bringt. Ein derartiges klei-nes, aber für das Wohlergehender Patienten doch sehr wichtigesGebiet ist die Therapie vonschwerer Übelkeit und Erbre-chen, die sich als Folge der The-rapie mit vielen Zytostatika regel-mäßig einstellten. Patienten, diemit Zytostatika behandelt wer-den, können in so erheblichemMaße an Erbrechen leiden, dasses zu Rissen in der Speiseröhrekommt, oder sie die Therapie ab-brechen müssen. Bei diesen Pa-tienten wird sogar eine Konditio-nierung beobachtet, wie sie ausder Verhaltenslehre bekannt ist:Die Betroffenen brauchen dasKrankenhaus nur zu betreten,und schon wird ihnen wie-der übel. Mediziner sprechendann vom antizipatorischen Er-brechen.

Dieses Erbrechen kann seit et-wa zehn Jahren mit Medikamen-ten, so genannten Antiemetika,(wie den Substanzen Ondanse-tron oder Tropisetron) recht gutbehandelt werden. Aber die The-rapie wirkt nur bei etwa 80 Pro-zent der Patienten ausreichend.Unsere Hypothese war, dass dieAntiemetika bei einigen Patientenallein schon deshalb nicht ausrei-chend wirken können, weil sie,vermittelt über das EnzymCYP2D6, zu schnell wieder aus-geschieden werden.

Um diese Hypothese zu bestä-tigen, hat Dr. Rolf Kaiser aus derAbteilung Klinische Pharmakolo-gie etwa 270 Patienten, dieKrebstherapie erhielten, dazuuntersucht. Er hat dabei mit ei-gens entwickelten Fragebögensehr genau innerhalb der erstenTage der Therapie Übelkeit undErbrechen erfasst. Außerdem

Abb. 1Dargestellt ist die

Häufigkeit des Erbrechens in Abhän-

gigkeit von den gene-tischen Varianten im

CYP2D6 Gen. Die Grup-pe der genetisch-be-

dingt langsamen Metaboliserer (Grup-

pe 0) war offenbar sehrgut behandelt und litt

kaum unter Übelkeit undErbrechen. Diejenigen,

die eine oder zwei Kopien des aktiven

Gens trugen, warenmäßig gut behandelt,

während die Gruppe 3,die ultraschnellen Medi-kamenten-Ausscheider,

offenbar nicht effektivbehandelt werden

konnte.Abb.: J. Brockmöller

Universität Göttingen124

BIODIVERSITÄTSFORSCHUNG

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GENE UND GRENZEN

führte er molekulargenetischeMessungen durch, um festzustel-len, wer im Genotyp langsamerund wer ein schneller Metaboli-sierer von Tropisetron und On-dansetron war. Das Ergebnis ist inAbbildung 1 zusammengefasst.Die langsamen Metabolisierer, inderen Körper sich sehr lange ho-he Konzentrationen der Antieme-tika befanden, waren sehr gut vorErbrechen geschützt. Ihnen hatdie Therapie offenbar ausrei-chend geholfen. Nur die ultra-schnellen Metabolisierer warennicht gut vor Übelkeit und Erbre-chen geschützt. Hätten die Ärztevon vornherein dieses Wissen ge-habt, so hätten sie dieser Unter-gruppe der Patienten höhereArzneimitteldosen gegeben.

Das Beispiel zu Medikamen-ten gegen Übelkeit und Erbre-chen zeigt aber auch, dass gene-tische Polymorphismen nicht al-les erklären können. Etwa 20 Pro-zent der Patienten sind im Rah-men der Krebstherapie nicht aus-reichend gegen Übelkeit und Er-brechen geschützt, aber nur etwazwei Prozent sind ultraschnelleMetaboliserer. Wir können alsonur etwa zehn Prozent des Pro-blems mit dem Enzym CYP2D6erklären. Es lässt sich leicht er-rechnen, dass bei einer zweipro-zentigen Häufigkeit etwa 50 Per-sonen auf CYP2D6 hin analysiertwerden müssen, um einen poten-tiellen Therapieversager zu iden-tifizieren. Derartige Berechnun-gen helfen bei der Abschätzungder Kosten-Nutzen-Relation zu-künftiger molekulargenetischerTestung. Interessanterweise ist dieHäufigkeit dieses ultraschnellen-Metaboliserertyps in einigen eth-nischen Gruppen sehr viel höherals unter den Deutschen. So fan-den wir eine Häufigkeit von sie-ben Prozent in der Türkei, undKollegen berichten von Häufig-keiten bis zu 20 Prozent in Nord-afrika. Wahrscheinlich versagenin diesen Ländern Medikamente,die von CYP2D6 metabolisiertwerden, sehr viel häufiger als in

Deutschland. Ob das tatsächlichso ist, muss in zukünftigen Unter-suchungen verifiziert werden.

Der defiziente Metabolisierer:Empfänglich für Arzneimittel-NebenwirkungenEin medizinisch, epidemiolo-gisch und auch ökonomisch sehrwesentliches Gebiet, in dem dieMedizin auch heute noch weitvon einem hundertprozentigenTherapieerfolg entfernt ist, betrifftdie medikamentöse Behandlungpsychiatrischer Erkrankungen. Solässt sich nur bei etwa 70 Prozentder Patienten, die wegen einerSchizophrenie behandelt wer-den, ein befriedigender Erfolg derTherapie erreichen. Andererseitskönnen einige der Medikamente,die hier gegeben werden, erheb-liche Nebenwirkungen verursa-chen. Ein bislang in der Behand-lung der Schizophrenie sehr vielverwendetes Medikament wardas Haloperidol. Einige Sympto-me der Erkrankung lassen sich da-mit gut behandeln, was dannauch zu der weiten Verbreitungdieses Medikamentes geführt hat.Andererseits verursacht diesesMedikament ganz erheblicheNebenwirkungen, insbesondereBewegungsstörungen in unter-schiedlichen Formen.

Hier hatten wir die Hoffnung, die-jenigen durch Gentests zu erken-nen, die besonders unter denNebenwirkungen von Haloperi-dol zu leiden haben. Und so be-gannen wir, systematisch Patien-ten, die im Krankenhaus mit Ha-loperidol behandelt wurden, aufBewegungsstörungen und andereNebenwirkungen hin zu untersu-chen. Auch der Therapieerfolgwurde erfasst.

Nicht ganz überraschend warder Befund, der auch in Abbil-dung 2 illustriert ist, dass nämlichin der Tat diejenigen, die eineninaktiven Metabolismus für Sub-strate von CYP2D6 haben, be-sonders ausgeprägt unter denNebenwirkungen litten.

Wir haben nicht nur dieNebenwirkungen, sondern auchdie Besserung der psychiatrischenKrankheit in Zusammenhang mitdem CYP2D6-Genotyp unter-sucht. In der Tat fand sich einTrend, der analog zu den Befun-den bei den Antiemetika war: Beiden ultraschnellen Metabolisie-rern war die Therapie am wenig-sten effektiv. Wir haben dieseUntersuchungen geblindet durch-geführt, das heißt, die behandeln-den Ärzte und die Patientenwussten nicht, wie die genetischeKonstellation der Patienten war. Es

Abb. 2Nebenwirkungs-häufigkeit bei Patienten, die mit demPsychopharmakon Haloperidol behandeltworden sind. Zu sehen ist, dass dasAusmaß der so ge-nannten extra-pyramidalen Bewe-gungsstörungen alsNebenwirkung vonHaloperidol bei denjenigen amhöchsten ist, die keineaktiven Gene vonCYP2D6 tragen (Gruppe 0). Diese Personen scheiden Haloperidollangsam aus.

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BIODIVERSITÄT

war interessant zu sehen, dass die Ärzte nur basierend auf dermedizinischen Beobachtung denultraschnellen Metabolisierernbesonders viele unterschiedlicheMedikamente verordnet hatten,die durchschnittliche Zahl unter-schiedlicher Medikamente proPatient war bei den ultraschnellenMetabolisierern am höchsten (we-gen dieser Vielfach-Medikationhatte die Gruppe der ultraschnel-len-Metabolisierer im Durch-schnitt dann auch relativ viele Ne-benwirkungen).

Wiederum konnten wir mit demGentest nur einen Teil des Pro-blems erklären. Fast 40 Prozentder Patienten litten unter Neben-wirkungen, aber nur sieben Pro-zent der Bevölkerung sind langsa-me Metabolisierer, die wegen ihrerbesonders hohen Gewebskonzen-trationen des Medikamentes prä-disponiert wären. Etwa 30 Prozentaller Patienten hatten keinen be-friedigenden Therapieerfolg, abernur zwei Prozent sind ultraschnel-le Metabolisierer. Immerhin, einenkleinen Teil können wir erklären,zur Klärung des restlichen Teilsmuss weiter geforscht werden. DieSuche nach Varianten in Mem-brantransportern für die Arzneimit-tel, in den Rezeptoren und in denProteinen, die intrazellulär die Sig-nale weiterleiten, geht weiter. DiePharmakogenomik ist dabei, einsehr breites und vielschichtigesGebiet zu untersuchen. Es beginntmit pharmakologischen, bioche-mischen, zellbiologischen Unter-suchungen, um aus den drei Milli-onen Polymorphismen die funk-tionell bedeutsamen herauszufin-den. Und es folgen die klinisch-

Literatur

Brockmöller, J., J. Kirchheiner, J. Schmider,S. Walter, C. Sachse, B. Müller-Oerling-hausen, and I. Roots (2002). The Impact ofthe CYP2D6 Polymorphism on Haloperi-dol Pharmacokinetics and Outcome. ClinPharm Ther 72: 438-452.

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Prof. Dr. Jürgen Brockmöller, Jahrgang 1958, studier-te von 1977 bis 1983 Humanmedizin an der FreienUniversität Berlin und war anschließend bis 1987Doktorand und Stipendiat am Max-Planck-Institut fürMolekulare Genetik in Berlin, wo er 1987 promoviertwurde. Von 1987 bis 1993 arbeitete Prof. Brockmöl-

ler am Institut für Klinische Pharmakologie am UniversitätsklinikumBenjamin Franklin der FU Berlin und erhielt 1993 die Anerkennungals Facharzt für Klinische Pharmakologie. Von 1993 bis 2000 war eram Institut für Klinische Pharmakologie an der Charité (Humboldt-Universität zu Berlin) tätig und habilitierte sich 1996 für das FachKlinische Pharmakologie. 2000 wurde Prof. Brockmöller an die Ge-org-August-Universität berufen, wo er seither die Abteilung Klini-sche Pharmakologie am Universitätsklinikum leitet.

On the example of one en-zyme, the enzyme cytoch-

rome P450 2D6 (CYP2D6), andon the example of a limited num-ber of polymorphisms in the genecoding for that enzyme, it was de-monstrated how a lack of thera-peutic effects or severe adverseevents may be due to geneticpolymorphisms. This was shownin a clinical trial on the efficacyon anti-emetic treatment withondansetron and tropisetron. Inaddition, the impact of CYP2D6polymorphism was demonstratedin a clinical trial with haloperidol,an antipsychotic medication.

In particular, a subgroup ofabout two percent of Caucasianpopulations, the so-called ultra-rapid metabolizers, appears tosuffer therapeutic failure in in-stances of treatment with drugsmetabolized by CYP2D6. Ap-plication of such knowledge mayin the future allow a more effec-tive therapy with fewer adverseevents. The search for the me-dically relevant polymorphismsamong the large number of aboutthree million genetic polymor-phisms is a hot area of medicalresearch, in Göttingen andworldwide.

medizinischen Studien, um dasherauszufinden, was tatsächlichmedizinische Auswirkungen hat.Schließlich müssen die Wissens-gebiete der Epidemiologie, Biosta-tistik und sogar das Gebiet der

Ökonomie bemüht werden, wennes darum geht zu urteilen, obspezifische pharmakogenomischeUntersuchungen tatsächlich in diemedizinische Praxis Eingang fin-den sollen. �

Foto:Marc-Oliver Schulz


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