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Generierung gotischer Maßwerkfenster durch fraktale Geometrien · Eidesstattliche Erklärung...

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Diplomarbeit Generierung gotischer Maßwerkfenster durch fraktale Geometrien eingereicht bei Prof. Dr. Detlef Krömker Professur für Graphische Datenverarbeitung von Kawe Sagheb Eingereicht am: 17. Juli 2007 Betreuer: Dr. Tobias Breiner
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Diplomarbeit

Generierung gotischerMaßwerkfenster durch fraktale

Geometrien

eingereicht beiProf. Dr. Detlef Krömker

Professur für Graphische Datenverarbeitung

vonKawe Sagheb

Eingereicht am: 17. Juli 2007Betreuer: Dr. Tobias Breiner

Eidesstattliche Erklärung

Hiermit versichere ich, die vorliegende Arbeit selbstständig und unter ausschließ-licher Verwendung der angegebenen Literatur und Hilfsmittel erstellt zu haben.

Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prüfungs-behörde vorgelegt und auch nicht veröffentlicht.

Frankfurt am Main, den 17. Juli 2007

(Kawe Sagheb)

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Zusammenfassung

Gotische Rosettenfenster nehmen in der mittelalterlichen sakralen Architektur einebesondere Stellung ein und fallen vor allem durch ihre komplexe Aufbauweise auf.Das Grundbauelement der Rosetten ist das sog. Maßwerk - ein Steinwerk dasals dekoratives Muster für Fenster und Wände in gotischen Bauten eingesetztwird. Diese variantenreichen Maßwerkmuster bestehen ausschließlich aus exaktenKreisbögen und weisen fraktale Eigenschaften auf.In der vorliegenden Arbeit wird eine prozedurale Methode beschrieben, die dieaufwendige manuelle Modellierung der Rosetten bzw. des Maßwerks zum größtenTeil ersetzt. Diese Methode basiert auf der Analyse der fraktalen Struktur desMaßwerks und nutzt dabei dessen Selbstähnlichkeit aus, um Rosetten automatischzu generieren.Mit der in dieser Arbeit entwickelten Implementierung ist es mögliche, eine großeVielfalt gotischer Rosetten zu beschreiben und mit Hilfe der 3D-Grafik-EngineOGRE graphisch darzustellen.

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Danksagung

Ich möchte an dieser Stelle all jenen Personen danken, ohne deren Unterstützungund hilfreichen Anregungen, diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre.

Besonders möchte ich Prof. Dr.-Ing. Detlef Krömker danken, der mir die Möglich-keit gab, mich diesem interessanten Thema zu widmen. Bei Dr. Tobias Breinerbedanke ich mich für die Betreuung und die Hilfestellungen während dieser Ar-beit.

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 1

2 Fraktale Geometrie 42.1 Geschichte und Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42.2 Definition und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52.3 Natürliche und mathematische Fraktale . . . . . . . . . . . . . . . . 82.4 Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2.4.1 Rückkopplungs-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92.4.2 Dimensionsbegriff in der Fraktalforschung . . . . . . . . . . 112.4.3 Hausdorff-Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.4.4 Box-Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

2.5 Einige Beispiele für Fraktale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172.5.1 Cantor-Menge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182.5.2 Sierpinski-Dreieck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232.5.3 Koch-Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242.5.4 Mandelbrot-Menge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

3 Gotik 303.1 Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

3.1.1 Entwicklungsgeschichte und Terminologie . . . . . . . . . . . 313.1.2 Philosophie und Denkweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

3.2 Gotische Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353.2.1 Neue Merkmale der gotischen Architektur . . . . . . . . . . 353.2.2 Sakralbauten in der Gotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

3.3 Maßwerk und Rosetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383.3.1 Elemente des Maßwerks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403.3.2 Rosetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

iv

3.4 Fraktale Struktur der Rosetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

4 State of the Art 514.1 Konstruktion von Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

4.1.1 Manuelle Modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524.1.2 Automatische Geometrieerfassung . . . . . . . . . . . . . . . 53

4.2 Konstruktion gotischer Fenster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534.2.1 Konstruktionsverfahren von Havemann et al. . . . . . . . . . 534.2.2 Konstruktionsverfahren von Charbonneau et al. . . . . . . . 55

5 Konzeption 575.1 Anforderungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575.2 Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

5.2.1 Konstruktion des Maßwerks . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595.2.2 Generierung fraktaler Strukturen für das Maßwerk . . . . . . 705.2.3 Übergang zu dreidimensionalen Strukturen . . . . . . . . . . 735.2.4 Komposition der Rosette aus Maßwerkelementen . . . . . . . 78

6 Implementierung 816.1 Der Szenengraph von OGRE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 816.2 Übersicht der Programmarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 846.3 Geometriebeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 846.4 Rendering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 926.5 Maßwerkrepräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 946.6 Generierung der Rosette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 946.7 Anbindung an OGRE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 956.8 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

7 Zusammenfassung und Ausblick 997.1 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 997.2 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

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Abbildungsverzeichnis

1.1 Notre-Dame de Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

2.1 Selbstähnliche Struktur von Blumenkohl . . . . . . . . . . . . . . . 72.2 Rückkopplungsmaschine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102.3 Hausdorff-Besicovitch Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.4 Hausdorff-Besicovitch Funktion für drei Punkte . . . . . . . . . . . 162.5 Konstruktion der Cantor-Menge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182.6 Hausdorff-Besicovitch Funktion für die Cantor-Menge . . . . . . . . 222.7 Konstruktion des Sierpinski-Dreiecks . . . . . . . . . . . . . . . . . 232.8 Konstruktion der Koch-Kurve. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.9 Koch-Schneeflocke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262.10 Apfelmännchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

3.1 Kathedrale von Reims . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373.2 Grundriss Kölner Dom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373.3 Maßwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383.4 Spitz-, Lanzett- und Kielbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413.5 Stehender und liegender Dreipass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423.6 Vierpass und Fünfpass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423.7 Genaster und angespitzter Dreipass . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433.8 Dreiblatt und Vierblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433.9 Soufflet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443.10 Dreistrahl und Schneuß. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443.11 Beispiele für Rosetten-Stile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453.12 Beispiele für Rosetten in Rayonnant-Stil. . . . . . . . . . . . . . . . 463.13 Fraktale Strukturen in Rosetten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

4.1 Rhino3D . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

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4.2 GML Screenshots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

5.1 Der Öffnungswinkel des Kreisbogens. . . . . . . . . . . . . . . . . . 605.2 Positionierung von Kreisbogen relativ zum Mittelpunkt eines Kreises. 615.3 Einteilung von Mehr-Pässen in mehrere Segmente. . . . . . . . . . . 635.4 Berechnung der Kreisbogenradien für Mehrpässe. . . . . . . . . . . 645.5 Einteilung eines Dreischneußes in mehrere Segmente. . . . . . . . . 655.6 Konstruktion für Mehr-Blatt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675.7 Radius für Spitzbogen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695.8 Einfügen eines Kreises in ein Spitzbogen. . . . . . . . . . . . . . . . 705.9 Rückkopplungsverfahren für Maßwerk. . . . . . . . . . . . . . . . . 725.10 Erzeugung dreidimensionaler Objekte durch Kurve und Fläche. . . . 735.11 Definition eines kreuzförmigen Profils. . . . . . . . . . . . . . . . . . 745.12 Schnittpunkte zwischen Kreisbögen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755.13 Stauchung der Kreisbögen am Schnittpunkt. . . . . . . . . . . . . . 765.14 Berechnung des Streckungsfaktors. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775.15 Streckung der Kreisbögen am Schnittpunkt. . . . . . . . . . . . . . 785.16 Komposition der Rosette, Rayonnant-Stil. . . . . . . . . . . . . . . 79

6.1 Klassenhierarchie der Geometriebeschreibung. . . . . . . . . . . . . 866.2 Parameter zur Beschreibung eines Spitzbogens. . . . . . . . . . . . 906.3 Funktion zur Generierung fraktaler Strukturen . . . . . . . . . . . . 916.4 Klassenhierarchie der Rendering-Klassen. . . . . . . . . . . . . . . . 926.5 Approximation einer Kurve durch Liniensegmente . . . . . . . . . . 936.6 Generierte Rosetten I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 976.7 Generierte Rosetten II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

7.1 Fraktale Strukturen in der Architektur. . . . . . . . . . . . . . . . . 102

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Tabellenverzeichnis

2.1 Triadisches Zahlensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

3.1 Teilepochen der Gotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

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1 Einleitung

Die Gotik ist eine Kunstepoche des Mittelalters, die eine große Anzahl beein-druckender Bauten hervorgebracht hat. Hierbei sind besonders die monumentalenSakralbauten dieser Zeit mit ihren eindrucksvollen Fenstern hervorzuheben. Die-se vor Jahrhunderten entstandenen gotischen Kathedralen haben ihre Faszinationbis heute nicht verloren und sind Gegenstand wissenschaftlicher Arbeiten - auchaußerhalb der Bauwissenschaften.

Eine der berühmtesten gotischen Kathedralen ist die Notre-Dame de Paris. Abbil-dung 1.1 zeigt ihre Südfassade, auf der zwei große Fenster zu erkennen sind. DieseFenster, die sich durch ihre Kreisform und eine komplexe Struktur auszeichnen,werden Rosetten genannt. Sie bestehen aus einer Steinkonstruktion - dem sog.Maßwerk - die eine hierarchische Struktur aufweist. Charakteristisch sind hierbeisich wiederholende, verschieden große geometrische Formen, was an die Eigenschaftder Selbstähnlichkeit bei Fraktalen erinnert.

Fraktale sind geometrische Figuren bestehend aus selbstähnlichen, hierarchischenStrukturen, die auf allen Stufen verkleinerten Kopien ihrer Ausgangsstruktur bein-halten.

Die fraktale Geometrie findet eine breite Anwendung in der Computergrafik. Bei-spiele für Anwendungsgebiete sind hier die automatische Generierung von Land-schaften, Pflanzen, Küstenlinien und Wolken.Jedoch ist die Generierung von gotischen Rosetten basierend auf fraktaler Geo-metrie bisher kaum exploriert. Dadurch motiviert, beschäftigt sich die vorliegendeArbeit mit der Frage, ob die spezielle Struktur des Maßwerks dazu ausgenutztwerden kann, den Konstruktionsprozess für Rosetten mit Hilfe der fraktalen Geo-metrie zu automatisieren. Der Vorteil hierbei bestünde darin, dass die manuelleModellierung weitgehend wegfallen würde, die aufgrund der komplexen Strukturdes Maßwerks sehr aufwendig ist.

1

1 Einleitung

Abbildung 1.1: Notre-Dame de Paris, Südseite [Bin06].

Das Ziel dieser Arbeit ist es daher, eine prozedurale Methode zur automatischenKonstruktion von Rosetten zu entwickeln.Hierzu sind die folgenden Schritte notwendig:

• Zunächst muss festgestellt werden, inwieweit die fraktale Geometrie bei derStruktur des Maßwerks eine Rolle spielt.

• Anschließend müssen die geometrischen Formen, die im Maßwerk vorkom-men, analysiert und konstruiert werden.

• Der letzte Schritt besteht darin, ein Konzept zur fraktalen Konstruktion vonMaßwerk zu entwickeln und als Implementierung praktisch umzusetzen.

Zur Umsetzung der oben genannten Schritte, ist diese Arbeit in folgende Kapitelgegliedert.

Kapitel 2 geht auf die fraktale Geometrie ein, indem eine Definition für Frak-tale geliefert und die theoretischen Grundlagen dargestellt werden. Anschließendwerden verschiedene Beispiele für fraktale Geometrien besprochen.

2

1 Einleitung

Kapitel 3 beschäftigt sich mit der Gotik. Nach einer allgemeinen Einführung indie Gotik wird genauer auf die gotischen Architektur und insbesondere auf dasMaßwerk eingegangen. Abschließend wird der Zusammenhang zwischen gotischenRosetten und fraktaler Geometrie analysiert.

In Kapitel 4 werden existierende Methoden zur Konstruktion von gotischen Fen-stern vorgestellt. Dies schließt generelle Verfahren wie die manuelle Modellierungund die automatische Erfassung von Geometrie mit ein. Zuletzt werden zwei Ver-fahren vorgestellt, die sich speziell mit der Konstruktion von gotischen Fensternbefassen.

Kapitel 5 beginnt mit einer Anforderungsanalyse, die die Ziele der Arbeit fest-legt. Es folgt die Vorstellung eines Konzepts zur Konstruktion und automatischenGenerierung von Rosetten.

In Kapitel 6 wird die praktische Umsetzung des Konzepts präsentiert. Dabei wer-den die Implementierungsdetails und die Klassenhierarchie erörtert.

Das Schlusskapitel enthält eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit undliefert einen Ausblick auf die Erweiterungsmöglichkeiten der Implementierung undzukünftige Entwicklungen im Bereich Konstruktion von Architektur mit Hilfe frak-taler Geometrie.

3

2 Fraktale Geometrie

Die fraktale Geometrie ist ein sehr umfangreiches Teilgebiet der Mathematik. Da-her wird in diesem Kapitel nur ein Überblick geliefert und theoretische Aspektewerden, sofern möglich, vereinfacht dargestellt.

Die fraktale Geometrie ist von zentraler Bedeutung für diese Arbeit. Bei der Ent-wicklung einer Methode zur automatischen Konstruktion wird auf Grund der frak-talen Struktur von gotischen Rosetten auf die fraktale Geometrie zurückgegriffen.Rosetten und ihr fraktaler Aufbau werden im nächsten Kapitel eingehend bespro-chen.

Gliederung des Kapitels

Nach einer kurzen Einleitung zur Entdeckung und Terminologie der fraktale Geo-metrie wird auf ihre Definition sowie ihre Eigenschaften eingegangen.Anschließendwerden die theoretischen Grundlagen erörtert und zuletzt einige Beispiele für diefraktale Geometrie und deren Konstruktionsweise vorgestellt.

2.1 Geschichte und Terminologie

Die fraktale Geometrie als eigenständige mathematische Disziplin ist relativ jung.Sie beschäftigt sich mit geometrischen Strukturen, die sich nicht durch die eu-klidische Geometrie1 beschreiben lassen. In der klassischen Geometrie wurden inder Vergangenheit hauptsächlich Mengen und Funktionen betrachtet, die hinrei-chend „glatt“ und regelmäßig waren, so dass auf sie die Methoden der Analysisangewandt werden konnten. Mengen und Funktionen, die nicht in dieses Schema

1Im engeren Sinne die „klassischen“ geometrischen Formen wie Punkt, Linie, Kreis, Würfel usw.

4

2 Fraktale Geometrie

passten, galten als Kuriosität. So wurden zunächst fraktale Strukturen als „ma-thematische Monster“ angesehen und keine Anstrengungen unternommen, diese ineiner Klasse systematisch zu ordnen [Fal93].

Vor allem erst durch die Forschung des Mathematikers Benoît B. Mandelbrot -der den Ausdruck „fraktale Geometrie“ prägte - hat sich auf diesem Gebiet dieseBetrachtungsweise geändert. Der Begriff „Fraktale“ leitet sich aus dem lateinischen„fractus“ ab, was so viel heißt wie "in verschiedene Stücke zerbrochen" oder imweitesten Sinne "irregulär" [Man87, S.16].Mandelbrot weist darauf hin, dass sich viele Formen und Gestalten, die in derNatur vorkommen, nicht hinreichend durch die klassische euklidische Geometriebeschreiben lassen. Mandelbrot argumentiert: Eine Wolke ist keine Kugel, ein Bergist kein Kegel und eine Küstenlinie ist kein Kreis. Es wird eine neue Klasse geo-metrischer Formen benötigt, um diese Formen aus der Natur zu beschreiben. Andieser Stelle setzt die fraktale Geometrie an: Sie umfasst eine Klasse von geo-metrischen Formen, die nicht durch die euklidische Geometrie abgedeckt werdenkann.

In seinem Werk „Die fraktale Geometrie der Natur“ liefert Mandelbrot einen aus-führlichen Überblick zum Thema Fraktale [Man87].

2.2 Definition und Eigenschaften

Es ist nicht leicht, eine umfassende Definition für Fraktale zu finden. Es gibt jedocheinige Eigenschaften, die darauf schließen lassen, dass es sich bei einer geometri-schen Form bzw. einer Menge2 um ein Fraktal handelt. Fraktale können durchfolgende Eigenschaften definiert werden [Fal93]:

1. Fraktale haben eine Feinstruktur.

2. Fraktale haben eine zersplitterte und irreguläre Struktur.

3. Fraktale sind selbstähnlich.

4. Die fraktale Dimension eines Fraktals ist größer als seine topologische Di-mension.

2Eine Menge im mathematischen Sinn.

5

2 Fraktale Geometrie

5. Fraktale sind rekursiv definiert.

Eine Menge muss aber nicht zwangsläufig alle diese Eigenschaften erfüllen, um alsein Fraktal zu gelten.

Feinstruktur

Fraktale haben auf jeder Größenskala eine komplexe Struktur. Das heißt, vergrö-ßert man einen beliebigen Bereich des Fraktals, erhält man immer wieder einekomplexe Figur. Dies ist bei euklidischen Figuren hingegen nicht der Fall. Ver-größert man z.B. eine Rechtecksseite, so erhält man nicht wieder ein Rechteck,sondern eine Linie.

Zersplitterte und irreguläre Struktur

Fraktale haben eine zu zersplitterte und irreguläre Struktur, um durch die eukli-dische Geometrie beschrieben zu werden. Die zersplitterte Struktur hat zur Folge,dass die lokale Geometrie eines Fraktals nicht zusammenhängend ist (siehe Kapi-tel 2.5.1). Die irreguläre Eigenschaft ist im Sinne von Rauhigkeitsgrad zu verste-hen. Man stelle sich z.B. eine Küstenlinie vor, die unendlich viele Zerfurchungenaufweist (siehe Kapitel 2.5.3).

Selbstähnlichkeit

Eine der grundlegenden Eigenschaften fraktaler Geometrien ist die Selbstähnlich-keit. Zur anschaulichen Erläuterung ziehen Peitgen et al. den Vergleich zur selb-stähnlichen Struktur von Blumenkohl [PJS92, S.84].Der Blumenkohlkopf setzt sich aus vielen kleineren Teilen zusammen: die Röschen.Betrachtet man eines dieser Röschen, so stellt man fest, dass diese Teilstrukturselbst wie der größere Blumenkohlkopf aussieht (Abbildung 2.1). Ein Röschenlässt sich wiederum in weitere kleinere Röschen unterteilen. Auch hier gilt, dassdie kleineren und größeren Röschen ähnlich aussehen. Diese Ähnlichkeit zwischenübergeordneten Strukturen und deren kleineren Unterstrukturen beim Blumen-kohl lässt sich noch nach vier Verkleinerungsschritten beobachten. Nach etwa vierSchritten sind dann die Strukturen allerdings zu klein, um noch Selbstähnlichkeitaufweisen zu können.

6

2 Fraktale Geometrie

Abbildung 2.1: Die selbstähnliche Struktur von Blumenkohl lässt sich bis auf vier Verkleine-rungsschritte beobachten [PJS92].

Auf mathematischen Figuren übertragen, kann man bei einigen Fraktalen hinge-gen feststellen, dass die Selbstähnlichkeit noch nach beliebig vielen Verkleinerungs-schritten beobachtet werden kann.

Topologische und fraktale Dimension

Die Dimension einer Menge ist ein Maß dafür, wie viel Raum eine Menge ausfüllt[Fal93].Eine einfache Verbildlichung der topologische Dimension erhält man, wenn mansich einen Raum vorstellt, der sich wie Gummi verhält. Objekte in diesem Raumkönnen dann wie Gummi verformt und verzerrt werden. So lässt sich eine Geradezu einer Kurve und ein Kreis zu einem Dreieck verformen. Aus topologischer Sichtalso sind Gerade und Kurve bzw. Kreis und Dreieck äquivalent und haben dieselbeDimension [PJS92, S.128].Es gibt verschiedene Definitionen für die fraktale Dimension. Verschiedene Di-mensionsdefinitionen können verschiedene Werte für dieselbe Menge liefern. Einewichtige fraktale Dimension ist die Hausdorff-Dimension, mit deren Hilfe jedemFraktal eine Dimension zugewiesen werden kann. Ein Kriterium für ein Fraktal ist,dass seine Hausdorff-Dimension größer ist als seine topologische Dimension.Eine genauere Betrachtung der Hausdorff-Dimension erfolgt im Kapitel 2.4.

7

2 Fraktale Geometrie

Rekursive Konstruktion

Fraktale sind häufig über rekursive Konstruktionsregeln definiert. Eine rekursiveKonstruktion verläuft nach dem folgenden Schema:Man geht von einem Startzustand aus. Es werden bestimmte Operationen aufdem Startzustand angewandt und man erhält einen Ergebniszustand. Die gleichenOperationen werden nun wieder auf den Ergebniszustand angewandt und manerhält ein neues Ergebnis usw.

2.3 Natürliche und mathematische Fraktale

Man muss zwischen natürlichen und mathematischen Fraktalen unterscheiden. FürFraktale im streng mathematische Sinne gilt, dass sie ihre fraktalen Eigenschaftenunabhängig von der Größenskala beibehalten. Dies trifft auf natürliche Fraktalenicht zu.Beispiele für mathematische Fraktale finden sich im Abschnitt 2.5. Ein Beispielfür ein natürliches Fraktal ist eine Küstenlinie. Ihre Form kann durch ein Fraktalbeschrieben werden, da es sich hierbei um eine zerfurchte Linie handelt, die einekomplexe Struktur besitzt.Betrachtet man eine Küstenline aus großer Höhe, kann man diese komplexe Struk-tur erkennen. Nähert man sich dann der Küstenlinie, so werden immer mehr De-tails sichtbar und weitere komplexe Strukturen kommen zum Vorschein. Bei einerausreichenden Vergrößerung bzw. Näherung verliert die Küstenlinie jedoch ihrefraktalen Eigenschaften. Man erkennt dann nur noch ein Sandkorn oder bei extre-mer Vergrößerung Moleküle und Atomteilchen.Dennoch können Fraktale als ein nützliches Modell zur Beschreibung von Struktu-ren in der Natur herangezogen werde, auch wenn diese Strukturen keine Fraktaleim engeren mathematischen Sinne sind. Diese Betrachtungsweise gilt auch für klas-sische geometrische Figuren. So hat die Erde keine perfekte Kugelform. Dennochist eine Kugel in vielen Fällen - z.B. bei der Berechnung der Flugbahn der Planetenum die Sonne - eine hinreichend genaue Beschreibung.

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2 Fraktale Geometrie

2.4 Theoretische Grundlagen

Im folgenden werden die mathematischen Grundlagen zu Analyse und Verständ-nis fraktaler Geometrie geliefert. Zuerst wird das Rückkopplungs-Verfahren vorge-stellt, das eine wichtige Rolle bei der rekursiven Konstruktion der Fraktale spielt.Der sich anschließende Unterkapitel beschäftigt sich mit der allgemeinen Definitionder Dimension und speziell mit der euklidischen Dimension. Schließlich wird dieHausdorff-Dimension erörtert - eine der wichtigsten Definitionen der Dimensionfür fraktale Geometrie.

2.4.1 Rückkopplungs-Verfahren

Die komplexen Strukturen fraktaler Geometrien entstehen häufig durch dynami-sche Prozesse. Eine Untersuchung dieser Prozesse liefert Erkenntnisse über dieEigenschaften der Fraktale. Dabei stellt sich interessanterweise heraus, dass vielenkomplexen Strukturen sehr einfache Prozesse zu Grunde liegen [PJS92].

Ein Beispiel für solche einfachen Prozesse sind Rückkopplungsprozesse, die durchRückkopplungsmaschinen modelliert werden können. Eine solche Maschine arbei-tet rekursiv und besteht aus vier Komponenten:

1. Eingabeeinheit (EE).

2. Ausgabeeinheit (AE).

3. Kontrolleinheit (KE).

4. Prozessoreinheit (PE).

Der Ausgangswert bzw. die Eingabe für die Maschine wird in der Eingabeeinheitgespeichert. Die Prozessoreinheit berechnet dann für die Eingabe eine entspre-chende Ausgabe. Dabei nimmt die Kontrolleinheit Einfluss auf die Berechnungder Ausgabe, indem sie den Berechnungsmodus festgelegt. Schließlich wird dasberechnete Endergebnis in der Ausgabeeinheit abgelegt.Für den nächsten Rekursionsschritt wird die Ausgabe wieder als Eingabe für dieRückkopplungsmaschinen benutzt und der Vorgang wiederholt.

Abbildung 2.2 zeigt die Grundform einer Rückkopplungsmaschine.

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2 Fraktale Geometrie

KE

EE AEPE

Abbildung 2.2: Rückkopplungsmaschine.

Die Arbeitsschritte einer Rückkopplungsmaschine werden in zwei Zyklen unter-teilt: Vorbereitungs-Zyklus und Arbeits-Zyklus. Diese Zyklen können wiederum ineinzelne Schritte zerlegt werden.

• Vorbereitungs-Zyklus

1. Schritt: Eingabe von Information in EE.

2. Schritt: Eingabe von Information in KE.

3. Schritt: Überführung des Inhalts von KE in PE.

• Arbeits-Zyklus

1. Schritt: Überführung der Eingabe von EE in PE.

2. Schritt: Verarbeitung der Eingabe durch PE.

3. Schritt: Überführung des Ergebnisses von PE in AE.

4. Schritt: Überführung des Inhalts von AE in EE.

Ein Beispiel für eine Rückkopplungsmaschine ist die Videorückkopplung. Hierbeiwird eine Videokamera auf einen Monitorbildschirm gerichtet. Dabei entspricht dieKamera der Eingabeeinheit und der Bilderschirm der Ausgabeeinheit. Die Elek-tronik in der Kamera und im Bildschirm bilden zusammen die Prozessoreinheit.Die Kontrolleinheit ist sowohl durch die Einstellungsmöglichkeiten an der Kamerabzw. am Bildschirm (Zoom-Einstellung, Helligkeit, Kontrast usw.) als auch durch

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2 Fraktale Geometrie

den Abstand und Neigungswinkel zwischen Kamera und Bildschirm realisiert. DasErgebnis dieses Aufbaus ist der sog. „Bildschirm-im-Bildschirm Effekt“.

2.4.2 Dimensionsbegriff in der Fraktalforschung

Die Dimension ist im Zusammenhang der Geometrie eine wesentliche Größe, dieherangezogen werden kann, um Eigenschaften und Merkmale einer Menge zu be-schreiben. Sie dient dazu, zu bestimmen wie viel Raum eine Menge ausfüllt. Sieliefert auch Informationen darüber, wie exponiert und irregulär eine Menge ist[Fal93].Die Dimension einer Menge kann auf verschiedene Arten definiert werden3. Ver-schiedene Dimensionsdefinitionen für dieselbe Menge können verschiedene Werteliefern [Fal93].

An dieser Stelle wird zunächst die klassische Dimension für euklidische Räumebesprochen und es wird gezeigt, warum diese Dimensionsdefinition für Fraktaleweniger geeignet ist. Anschließend werden weitere Definitionen für die Dimensionvorgestellt, deren Werte auch für Fraktale bestimmbar sind.

Klassischer Dimensionsbegriff

Die klassische oder euklidische Dimension bezieht sich auf euklidische Räume. Eu-klidische Räume sind Vektorräume, die durch eine Orthonormalbasis aufgespanntsind. Ein Vektorraum hat die Dimension d, wenn seine Basis aus d linear unab-hängigen Vektoren besteht. Diese Dimension d heißt dann algebraische Dimensionoder euklidische Dimension.

Beispiele für die euklidische Dimension

Die euklidische Dimension liefert für einen Punkt den Wert 0, für eine gerade Linieden Wert 1, für eine Fläche den Wert 2, usw.Betrachtet man nun eine Menge, die aus unendlich vielen dicht gepackten Punktenbesteht, so hat diese Menge die euklidische Dimension 0. Eine stark zerfurchte Kü-stenlinie hat die euklidische Dimension 1. Die euklidische Dimension eines Punktes

3Es gibt etwa zehn verschiedene Definitionen der Dimension [PJS92, S.245].

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2 Fraktale Geometrie

und einer Punktmenge bzw. die euklidische Dimension einer geraden Linie und ei-ner stark irregulären Linie unterscheiden sich nicht.Aus diesen Beispielen ist zu entnehmen, dass die euklidische Dimension keinebrauchbaren Werte liefert, wenn man Informationen über die Verteilungsdichtevon Punkten oder das Maß der Irregularität einer geometrischen Form erhaltenmöchte.

Der euklidische Dimensionsbegriff, der für einzelne Punkte, glatte Kurven undFlächen Gültigkeit hat, kann - wie hier gezeigt - nicht uneingeschränkt für frak-tale Geometrien benutzt werden. Hier sind stattdessen allgemeinere Definitionender Dimension notwendig, die auch für fraktale Geometrien aussagekräftige Wer-te liefern. Eine Definition der Dimension, die sich gut für Fraktale eignet, ist dieHausdorff-Dimension.

2.4.3 Hausdorff-Dimension

Eine der wichtigsten Definitionen für die fraktale Dimension ist die Hausdorff-Dimension4. Sie basiert auf dem Hausdorff-Maß und kann einer beliebigen Punkt-menge (in metrischen Räumen) eine Dimension zuordnen. Durch diese Eigenschaftkann auch die Dimension komplizierter Mengen wie Fraktale bestimmt werden. DerNachteil der Hausdorff-Dimension besteht jedoch darin, dass sie oft nicht berech-net werden kann oder nur mit Hilfe von Computerberechnungen geschätzt werdenkann [Fal93, S.28].Im Gegensatz zur euklidischen Dimension liefert die Hausdorff-Dimension nicht im-mer ganzzahlige Werte. Ihr Wert stimmt aber für euklidische Figuren wie Strecke,Dreieck, Kugel, usw. mit der euklidischen Dimension überein [Fal93, S.29].Bevor eine Definition für die Hausdorff-Dimension geliefert werden kann, sind ei-nige Erläuterungen zu metrischen Räumen, Durchmesser von Punktmengen, δ-Überdeckungen und Hausdorff-Maß nötig.

4Auch Hausdorff-Besicovitch-Dimension genannt.

12

2 Fraktale Geometrie

Metrische Räume

Sei M eine Menge von Punkten. Sei e eine Abbildung, die je zwei Punkten x undy aus M eine nicht negative reelle Zahl zuordnet:

e(M ×M) → R+ ∪ 0

e(x, y) wird als der Abstand zwischen Punkt x und Punkt y interpretiert. DieAbbildung e muss drei axiomatische Bedingungen erfüllen:

1. Koinzidenz: e(x, y) = 0 ⇔ x = y ∀ x, y ∈ M

2. Symmetrie: e(x, y) = e(y, x) ∀ x, y ∈ M

3. Dreiecksungleichung: e(x, y) + e(y, z) ≥ e(x, z) ∀ x, y, z ∈ M

Die Menge M mit der auf ihr definierten Abbildung e heißt dann metrischer Raum(M, e) [ZN93, S.137].

Durchmesser einer Punktmenge

Der Durchmesser einer Punktemenge E in einem metrischen Raum ist definiertals der maximale Abstand zwischen zwei Punkten aus E.

|E| = sup{e(x, y) | x, y ∈ E}

δ-Überdeckung

Sei {Ui} eine endliche Auswahl von Mengen, deren Durchmesser höchstens δ be-trägt. Wenn {Ui} eine Menge E überdeckt, dann heißt {Ui} eine δ-Überdeckungvon E.

Hausdorff-Maß

Die Hausdorff-Dimension wird über das Hausdorff-Maß definiert und basiert aufder Idee der Überdeckung [ZN93, S.160].

Das Hausdorff-Maß verallgemeinert die Definitionen von Länge, Fläche und Volu-men. Es kann nicht nur auf klassische geometrische Figuren angewandt werden,sondern auch auf beliebige Punktmengen [Fal93, S.29].

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2 Fraktale Geometrie

Um das Hausdorff-Maß für eine Punktmenge E in einem metrischen Raum zubestimmen, geht man wie folgt vor. Man bestimmt verschiedene Mengen Ui, derenVereinigung alle Punkte in der Menge E beinhaltet. Es gilt somit:

E ⊂⋃

Ui

Für den Durchmesser der Ui soll gelten: 0 < |Ui| ≤ δ. Die Menge {Ui} heißtdann eine δ-Überdeckung von E.

Für alle δ-Überdeckungen der Menge E wird jeweils die Summe∑

|Ui|d berechnetmit d ≥ 0. Für ein festes d und δ bestimmt man unter diesen Summen diekleinste:

Hdδ (E) = inf{

∑|Ui|d}

Nun lässt sich das Hausdorff-Maß bestimmen, indem man δ gegen 0 laufen lässt.

Das Hausdorff-d-Maß Hd(E) von E ist definiert als:

Hd(E) = limδ→0

Hdδ (E)

2.4.3.1 Bestimmung der Hausdorff-Dimension

Die Hausdorff-Dimension ist durch den Satz von Hausdorff-Besicovitch5 definiert:Sei E eine Punktmenge in einem metrischen Raum. Wenn für ein nicht negativesd gilt Hd(E) > 0, dann folgt:Für alle x < d gilt:

Hx = +∞

und für alle x > d gilt:Hx = 0.

Daraus folgt, dass der Wertebereich von Hd(E) für unterschiedliche d nur aus dreiWerten besteht: Hd(E) = 0, Hd(E) > 0 und Hd(E) = ∞ [ZN93, S.164].Für ein bestimmtes d springt die Funktion also von ∞ nach 0. Dieses d heißt

5Der Beweis für den Satz von Hausdorff-Besicovitch wird unter anderem in [ZN93] erbracht.

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2 Fraktale Geometrie

Hd(E)

d

0

dHB(E)

Abbildung 2.3: Die Funktion Hd(E) springt für ein bestimmtes d von ∞ nach 0.

Hausdorff-Dimension von E. Formal ausgedrückt ist die Hausdorff-DimensiondHB(E) definiert als:

dHB(E) = inf{d : Hd(E) = 0} = sup{d : Hd(E) = ∞}

Abbildung 2.3 zeigt die Funktion Hd(E) anschaulich mit ihrer „Sprungstelle“.

2.4.3.2 Beispiele für die Berechnung der Hausdorff-Dimension

Die Berechnung der Hausdorff-Dimension für eine Punktmenge erweist sich oft alssehr aufwendig [ZN93, S.167]. Als Beispiel wird hier eine Punktmengen aufgeführt,für die die Berechnung der Hausdorff-Dimension relativ einfach ist.

Drei Punkte in R2

Gegeben sei die Punktmenge E = {a, b, c} mit a, b, c ∈ R2.Zur Bestimmung der Hausdorff-Dimension man geht vom Hausdorff-Maß Hd(E) =

limr→0 Hd(0) aus. Zur Überdeckung von drei Punkten sind drei Mengen U1, U2

und U3 ausreichend. Der Durchmesser der Mengen U1, U2 und U3 soll höchstens δ

15

2 Fraktale Geometrie

Hd(E)

d

0

3

dHB(E)

Abbildung 2.4: Die Funktion Hd(E) springt für d = 0 von 3 nach 0.

betragen. Setzt man d = 0 ein erhält man:

H0(E) = limδ→0

2∑i=0

| Ui |0 = limδ→0

2∑i=0

1 =2∑

i=0

= 3

Setzt man d > 0 ein erhält man:

Hd(E) = limδ→0

2∑i=0

| Ui |d ,für limδ→0

läuft |Ui| gegen 0

= limδ→0

2∑i=0

0d = 0

An der Stelle d = 0 springt die Funktion Hd(E) von 3 auf 0. Für die PunktmengeE = {a, b, c} beträgt damit die Hausdorff-Dimension dHB = 0. Die Abbildung 2.4zeigt die Funktion Hd(E) mit der Sprungstelle für d = 0.

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2 Fraktale Geometrie

2.4.4 Variante der Hausdorff - Dimension

Eine Variante der Hausdorff-Dimension ist die Box-Dimension. Sie hat den Vor-teil, dass sie einfacher zu berechnen ist, als die Hausdorff-Dimension.Mit der Box-Dimension dBOX ist es möglich, die Dimension einer Punktmenge E imeuklidischen Raum Rd, d ∈ N zu bestimmen. Die Box-Dimension ist eine Dimen-sionsdefinition, die eine Variante des Hausdorff-d-Maßes benutzt. Hier verwendetman keine beliebigen Mengen Ui zur Überdeckung der Punktmenge, sondern be-nutzt sphärische d-dimensionale Kugeln, um die Menge E zu überdecken. DieseKugeln lassen sich leichter handhaben als die Menge Ui der Hausdorff-Dimension.Daher erweist sich die Berechnung der Box-Dimension als einfacher.Die Box-Dimension liefert jedoch nicht immer denselben Wert wie die Hausdorff-Dimension [ZN93, S.166]. Es gilt:

dBOX ≥ dHB

2.5 Einige Beispiele für Fraktale

Fraktale Mengen sind sehr vielfältig und tauchen häufig in der Natur auf [Man87].Einen vollständigen Überblick über alle fraktalen Formen zu geben ist nicht Zieldieser Arbeit. Stattdessen werden an dieser Stelle nur einige „prominente“ Beispielefür Fraktale präsentiert.Die hier vorgestellten Fraktale sind:

• die Cantor-Menge.

• das Sierpinski-Dreieck.

• die Koch-Kurve.

• die Julia-Menge.

Für diese Beispiele werden die fraktalen Eigenschaften und Konstruktionsmetho-den untersucht.

17

2 Fraktale Geometrie

Abbildung 2.5: Konstruktion der Cantor-Menge.

2.5.1 Cantor-Menge

Die Cantor-Menge6 besteht aus einer unendlichen Anzahl von Punkten im Ein-heitsintervall [0, 1] [PJS92, S.86]. Sie ist das Beispiel für ein Fraktal mit einerzersplitterten Struktur, da ihre Geometrie aus Punkten besteht, die lokal isoliertsind.

2.5.1.1 Konstruktion der Cantor-Menge

Man beginnt mit dem Ausgangsintervall [0, 1] der Länge 1. Zunächst betrachtetman das mittlere Drittel des Ausgangsintervalls, also das Intervall (1/3, 2/3), dasdie Zahlen 1/3 und 2/3 nicht enthält. Alle Zahlen auf diesem Teilintervall werdenanschließend aus dem ursprünglichen Ausgangsintervall [0, 1] entfernt.Nach diesem Schritt erhält man die zwei Intervalle [0, 1/3] und [2/3, 1] mit derjeweiligen Länge 1/3.Das oben genannte Verfahren wird daraufhin auf diese beiden Intervalle ange-wandt. Man erhält nun vier Intervalle der Länge 1/9. Diese Vorgehensweise wird

6Benannt nach ihren Entdecker Georg Cantor (1845–1918), deutscher Mathematiker an derUniversität von Halle.

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2 Fraktale Geometrie

Dezimale Darstellung Potenzschreibweise Triadische Darstellung3 1 · 31 1015 1 · 32 + 2 · 31 120

0, 666 . . . 2 · 3−1 0,2

Tabelle 2.1: Triadische Darstellung: Im Unterschied zum Dezimalsystem, das auf der Basis 10beruht, wird in der triadischen Darstellung einer Zahl die Basis 3 benutzt. Hier sindeinige Dezimalzahlen und deren Darstellung als triadische Zahlen aufgeführt.

rekursiv für die entstehenden Teilintervalle wiederholt. Die Abbildung 2.5 stelltdie ersten fünf Schritte zur Konstruktion der Cantor-Menge dar.Nach dem ersten Schritt (Streichung aller Zahlen zwischen 1/3 und 2/3) erhältman zwei Teilintervalle der jeweiligen Länge 3−1. Nach zwei Schritten erhält manvier Teileintervalle der Länge 3−2. Nach i Schritten erhält man 2i Intervalle derLänge 3−i.

Das Konstruktionsverfahren für die Cantor-Menge ist ein Rückkopplungs-Verfahren[PJS92, S.87]. Die Eingabe für die Rückkopplungsmaschine besteht hier aus einoder mehreren Intervallen. Als Ausgabe liefert die Rückkopplungsmaschine Inter-valle, deren mittleres Drittel entfernt wurde.

Wird das oben geschilderte Verfahren unendlich oft angewandt, so erhält man dieCantor-Menge, die also aus der Menge der übriggebliebenen Punkte besteht.

Um zu bestimmen, welche Zahlen aus dem Intervall [0, 1] in der Cantor-Menge ent-halten sind, betrachtet man die triadische Darstellung (Tabelle 2.1) der Zahlen imIntervall [0, 1]. Jede Zahl im Intervall [0, 1] lässt sich in der triadischen Darstellungdurch die Potenzschreibweise:

α1 · 3−1 + α2 · 3−2 + α3 · 3−3 + . . .

darstellen. Nach dem ersten Schritt werden alle Zahlen im Intervall (1/3, 2/3) ent-fernt. Das sind alle Zahlen, in deren triadischen Darstellung α1 gleich 0 ist. Imzweiten Schritt werden die Zahlen im Intervall (1/9, 2/9) und (7/9, 8/9) entfernt.Das sind all die Zahlen, in deren triadischen Darstellung α2 gleich 0 ist. Nach

19

2 Fraktale Geometrie

unendlichen vielen Schritten bleiben die Zahlen übrig, für deren triadische Dar-stellung gilt:

α1 · 3−1 + α2 · 3−2 + α3 · 3−3 + . . .

mit αi gleich 0 oder 1.

Das bedeutet, dass die Cantor-Menge aus den Punkten im Intervall [0, 1] besteht,für die es eine triadische Darstellung ohne die Ziffer 1 gibt [PJS92, S.90].

Selbstähnlichkeit der Cantor-Menge

Die Cantor-Menge weist Selbstähnlichkeit auf. Greift man z.B. hier einen Teilheraus, der im Intervall [0, 1/3] liegt, so ist diese Untermenge eine verkleinerteVersion der ganzen Cantor-Menge. Dieser Rückschluss erfolgt aus der Tatsache,dass die Cantor-Menge alle Punkte aus dem Intervall [0, 1] enthält, deren triadischeDarstellung die Ziffer 1 nicht enthalten. Für jeden Punkt der Cantor-Menge ausdem Intervall [0, 1] gibt es einen äquivalenten Punkt aus dem Intervall [0, 1/3].Denn jeder Punkt ξ aus der Cantor-Menge lässt sich in der triadischen Darstellungals

ξ = α1 · 3−1 + α2 · 3−2 + α3 · 3−3 + . . .

darstellen, wobei αi = 0 oder αi = 2 ist und die triadische Darstellung somit dieZiffer 1 nicht enthält. Zu jedem Punkt ξ erhält man einen Punkt aus dem Intervall[0, 1/3], indem man ξ durch 3 teilt:

ξ

3= 0 · 3−1 + α1 · 3−2 + α2 · 3−3 + α3 · 3−4 + . . .

Betrachtet man z.B. den Punkt ξ = 1/3 und teilt man ξ 3, so erhält man die Zahl1/9, die ebenfalls in der Cantor-Menge enthalten ist. Die Untermenge im Intervall[0, 1/3] sieht der kompletten Cantor-Menge im Intervall [0, 1] ähnlich. Diese Über-legung lässt sich für beliebige Untermengen der Cantor-Menge fortsetzen, woraussich die Selbstähnlichkeit der Cantor-Menge ergibt [PJS92, S.95].

Berechnung der Hausdorff-Dimension für die Cantor-Menge

Gegeben sei die Cantor-Menge im Intervall [0, 1] ⊂ R1. Als ÜberdeckungsmengenUi werden gleich lange Strecken gewählt. Diese Strecken werden verwendet, umjeweils ein Intervall der Cantor-Menge zu überdecken. Bei der Konstruktion der

20

2 Fraktale Geometrie

Cantor-Menge erhält man nach dem ersten Schritt zwei Intervalle, nach dem zwei-ten Schritt 22 = 4 Intervalle usw. Nach n Schritten erhält man 2n verschiedeneIntervalle. Die Länge der einzelnen Intervalle beträgt nach dem ersten Schritt 3−1

nach dem zweiten Schritt 3−2 usw. Nach n Schritten hat ein Intervall die Länge3−n. Man geht wieder vom Hausdorff-Maß aus:

limδ→0

∑|Ui|d

Es werden gleich lange Strecken zur Überdeckung der gleich langen Intervalleder Cantor-Menge benutzt. Für jedes Intervall wird genau eine Strecke zur Über-deckung benötigt. Die Anzahl der Strecken zur Überdeckung stimmt mit der An-zahl der Intervalle der Cantor-Menge überein.Die Länge einer Strecke muss der Länge eines Intervalls entsprechen, damit das In-tervall vollständig überdeckt wird. Die Menge {Ui} zur Überdeckung einer Cantor-Menge nach n Konstruktionsschritten besteht also aus 2n verschiedenen Streckender Länge 3−n. Man erhält für das Hausdorff-Maß:

Hd(E) = limδ→0

∑|Ui|d = lim

δ→0

∑(3−n)d = lim

δ→02n · 3−nd = lim

δ→0

(2

3d

)n

Behauptung: limδ→0

in der Gleichung kann durch limn→∞

ersetzt werden.

Beweis: Geht δ gegen 0, so werden die Strecken zur Überdeckung der Intervalleunendlich klein. Dazu äquivalent ist, dass n gegen ∞ läuft, da hierdurch die In-tervalle ebenfalls unendlich klein werden und von den Strecken überdeckt werdenkönnen.

Damit erhält man:

Hd(E) = limδ→0

(2

3d

)n

= limn→∞

(2

3d

)n

Für die Funktion Hd(E) betrachtet man die folgenden drei Fälle:

1. Fall limn→∞

(23d

)n= 0 :

limn→∞

(2

3d

)n

= 0 ⇔ 2

3d< 1 ⇔ 2 < 3d ⇔ ln 2 < d ln 3 ⇔ d >

ln 2

ln 3

2. Fall limn→∞

(23d

)n= 1 :

21

2 Fraktale Geometrie

Hd(E)

d

0

1ln 2

ln 3

1

Abbildung 2.6: Die Funktion Hd(E) für die Cantor-Menge mit der Sprungstelle d = ln 2ln 3 .

limn→∞

(2

3d

)n

= 1 ⇔ 2

3d= 1 ⇔ 2 = 3d ⇔ ln 2 = d ln 3 ⇔ d =

ln 2

ln 3

3. Fall limn→∞

(23d

)n= + ∞ :

limn→∞

(2

3d

)n

= ∞⇔ 2

3d> 1 ⇔ 2 > 3d ⇔ ln 2 > d ln 3 ⇔ d <

ln 2

ln 3

Es folgt Hd(E) = 0 für d > ln 2ln 3

und Hd(E) = + ∞ für d < ln 2ln 3

. Gemäß derDefinition der Hausdorff-Dimension dHB gilt für die Cantor-Menge: dHB = ln 2

ln 3

Die Abbildung 2.6 zeigt die Funktion Hd(E) für die Cantor-Menge mit der Sprung-stelle für d = ln 2

ln 3.

22

2 Fraktale Geometrie

Abbildung 2.7: Konstruktion des Sierpinski-Dreiecks [sie07].

2.5.2 Sierpinski-Dreieck

Das Sierpinski-Dreieck7 (auch Sierpinski-Dichtung genannt) besteht aus einer Punkt-menge in der Ebene [PJS92, S.101]. Das Sierpinski-Dreieck lässt sich grob beschrei-ben als ein Dreieck, aus dem unendlich viele kleinere Dreiecke herausgeschnittenworden sind.

2.5.2.1 Konstruktion des Sierpinski-Dreiecks

Ausgangsfigur ist ein opakes gleichseitiges Dreieck in der Ebene, auf das ein Rück-kopplungs-Verfahren angewandt wird. Im ersten Schritt werden die Mittelpunkteder drei Seiten des Dreiecks miteinander verbunden. Dabei teilen die Verbindungs-linien das ursprüngliche Dreieck in vier deckungsgleiche Dreiecke. Diese neu ent-standenen Dreiecke sind jeweils eine verkleinerte Kopie des Ausgangsdreiecks. DasDreieck in der Mitte wird entfernt, so dass schließlich drei Dreiecke übrigbleiben.Im zweiten Schritt wird das Rückkopplungs-Verfahren für die drei kleineren Drei-ecke wiederholt, so dass neun Dreiecke entstehen. Nach i Schritten erhält man 3i

Dreiecke. Jedes neu entstehende Dreieck ist eine um den Faktor zwei verkleinerteKopie seines Ausgangsdreiecks. Wird das Rückkopplungs-Verfahren unendlich oftangewandt, so bleibt eine Punktmenge übrig [PJS92, S.101]. Diese Punktmenge inder Ebene ist das Sierpinski-Dreieck.

Das Sierpinski-Dreieck ist selbstähnlich [PJS92, S.101].

Die Abbildung 2.7 zeigt die ersten Konstruktionsschritte für das Sierpinski-Dreieck.

7Benannt nach dessen Entdecker Waclaw Sierpinski (1882–1969), polnischer Mathematiker.

23

2 Fraktale Geometrie

2.5.2.2 Sierpinski-Teppich

Eine Variation des Sierpinski-Dreiecks ist der Sierpinski-Teppich, bei den ein Qua-drat die Ausgangsform darstellt. Die Konstruktion verläuft ähnlich zum Sierpinski-Dreieck. Im ersten Schritt des Rückkopplungs-Verfahrens wird das Quadrat inneun kleine deckungsgleiche Quadrate unterteilt, wobei das Quadrat in der Mitteentfernt wird. Das Verfahren wird dann rekursiv auf die übrigen acht Quadrateangewandt. Nach unendlich vielen Schritten erhält man eine Punktmenge in derEbene: den Sierpinski-Teppich [PJS92, S.102].

2.5.3 Koch-Kurve

Die Koch-Kurve ist nach ihrem Entdecker Helge von Koch benannt und bezeich-net eine komplex aufgebaute Kurve unendlicher Länge. Die Koch-Kurve ist zwarüberall stetig aber an keiner Stelle differenzierbar, was bedeutet, dass für keinenPunkt auf der Kurve die Steigung bestimmt werden kann [PJS92, S.112].

Die Koch-Kurve enthält keine geraden Linien oder glatten Abschnitte. Ihre zer-furchte Form erinnert an natürliche Küstenlinien. Beim Vergrößern eines Ab-schnitts der Koch-Kurve erhält man nicht eine einfach gekrümmte Kurve, sondernein Teilstück, das ähnlich komplex aufgebaut ist wie die Koch-Kurve selbst.Die Kochkurve ist selbstähnlich [PJS92, S.111].

2.5.3.1 Konstruktion der Koch-Kurve

Die Konstruktion der Koch-Kurve beginnt mit einer geraden Linie. Diese Aus-gangslinie heißt Initiator. Im ersten Schritt wird der Initiator in drei gleich langeSegmente eingeteilt und das mittlere Segment herausgenommen. An dessen Stel-le wird ein gleichseitiges Dreieck eingefügt, dessen Grundlinie man entfernt. Manerhält somit eine Figur, die aus vier gleich langen Strecken besteht. Die Längedieser Strecken entspricht einem Drittel der Länge der Ausgangslinie. Diese Fi-gur heißt Generator. Im zweiten Schritt wird jede der vier Strecken der Figur indrei gleiche Teilstrecken unterteilt und das oben beschriebene Verfahren erneutangewandt. Durch den zweiten Schritt werden die vier Strecken der Figur jeweilsdurch eine - um den Faktor drei verkleinerte - Kopie des Generators ersetzt. Wird

24

2 Fraktale Geometrie

Abbildung 2.8: Konstruktion der Koch-Kurve.

dieses Verfahren unendlich oft wiederholt, so erhält man die Koch-Kurve. Abbil-dung 2.8 enthält die ersten 2 Schritte der Konstruktion für die Koch-Kurve. Beider Konstruktion der Koch-Kurve wird das Rückkopplungs-Verfahren eingesetzt.Die Eingabe besteht aus geraden Linien (Initiator) und die Ausgabe aus Genera-toren.

2.5.3.2 Länge der Koch-Kurve

Geht man von einer Länge l für die Ausgangslinie aus, so erhält man nach demersten Schritt vier Teilstrecken der Länge 1/3 · l. Insgesamt hat die Figur nach demersten Schritt die Länge 1/3 · l · 4 = 4/3 · l. Mit jedem folgenden Schritt wächstdie Länge jeder geraden Teilstrecke der Figur um den Faktor 4/3. Damit wächstauch die Gesamtlänge der Figur nach jedem Schritt um den Faktor 4/3. Für dieLänge der Figur ergibt sich:

Länge = l · (4/3)Anzahl Schritte

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2 Fraktale Geometrie

Abbildung 2.9: Koch-Schneeflocke [wik07b].

Werden unendlich viele Schritte durchgeführt so hat die entstehende Figur eineunendliche Länge:

limAnzahl Schritte→∞

l · (4/3)Anzahl Schritte −→∞

Fügt man drei Koch-Kurven auf eine bestimmte Weise zusammen, so erhält maneine Figur, die auf Grund ihrer Ähnlichkeit zu Eiskristallen unter dem MikroskopKoch-Schneeflocke (Abbildung 2.9) genannt wird.

2.5.4 Mandelbrot-Menge

Die nach ihrem Entdecker benannte Mandelbrot-Menge ist eine Teilmenge derkomplexen Zahlen. Sie lässt sich über Iteration komplexer Polynome definieren.Um zu bestimmen, ob eine komplexe Zahl c zur Mandelbrot-Menge gehört, wird fürc mit Hilfe eines Polynoms eine Zahlenfolge bestimmt. Falls die Zahlenfolge nichtdivergiert, so gehört c zur Mandelbrot-Menge. Wenn die Folge jedoch divergiert,ist c kein Element der Mandelbrot-Menge.

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2 Fraktale Geometrie

Zur Konstruktion der Zahlenfolge geht man vom quadratischen Polynom

f(z) = z2 + c mit z, c ∈ C

aus, wobei c eine Konstante ist.Mit diesem Polynom wird eine Folge komplexer Zahlen z0, z1, z2, . . . iterativ be-stimmt:Es wird ein Wert z0 = z für die Funktion f(z) gewählt. Man erhält das Ergebnisz1 = f(z0) = z2

0 +c. Das Ergebnis z1 wird wieder in f(z) eingesetzt und man erhältz2 usw.Man verwendet die Iterationsformel:

zn+1 = z2n + c mit z, c ∈ C

Um festzustellen, ob eine komplexe Zahl c zur Mandelbrot-Menge gehört, wirdc in die Iterationsformel eingesetzt. Ausgehend von z0 = 0 wird nun mit Hilfeder Iterationsformel eine Folge komplexer Zahlen erzeugt. Diese Folge wird aufKonvergenz bzw. Divergenz untersucht.

Konvergenz und Divergenz komplexer Folgen

Um Konvergenz bzw. Divergenz einer komplexen Folge zu ermitteln, wird der Be-trag der komplexen Zahlen der Folge bestimmt. Für eine komplexe Zahl z = a+ i b

ist der Betrag definiert als |z| =√

a2 + b2.Man erhält hierdurch eine Folge reeller Zahlen, für die man die Konvergenz fol-gendermaßen bestimmt:Eine unendliche Zahlenfolge {an} hat den Grenzwert A, wenn mit unbegrenztwachsendem Index n die Differenz an−A dem Betrag nach beliebig klein wird. Zujeder beliebig kleinen Zahl ε > 0 lässt sich ein Index n0(ε) so bestimmen, dass füralle n > n0 gilt: |an − A| < ε.Eine Zahlenfolge {an} die diese Eigenschaft erfüllt, heißt konvergent gegen A. Einenichtkonvergente Zahlenfolge {an} heißt divergent.

Die Mandelbrot-Menge M ist die Menge der komplexen Zahlen c, für die die itera-

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2 Fraktale Geometrie

Abbildung 2.10: Apfelmännchen [wik07b].

tiv berechnete Folge komplexer Zahlen {cn} = c0, c1, c2, . . . nicht divergent ist.

M = {c ∈ C| limn→∞

|cn| 9 ∞}

2.5.4.1 Graphische Konstruktion der Mandelbrot-Menge

Ausgehend von z0 = 0 wird durch die Funktion f(z) = z2 + c eine Folge kom-plexer Zahlen für eine bestimmte Konstante c konstruiert. Ist die Folge für einc nicht divergent, so ist c in der komplexen Zahlenebene schwarz markiert. DiePunkte c, für die die Zahlenfolge divergiert, werden nicht eingezeichnet. Sind allePunkte der Mandelbrot-Menge eingezeichnet, so erhält man eine Figur, die als„Apfelmännchen“ bezeichnet wird (Abbildung 2.10).

2.5.4.2 Eigenschaften der Mandelbrot-Menge

Einige wichtige Eigenschaften der Mandelbrot-Menge (bzw. des Apfelmännchens)werden hier ohne Beweis vorgestellt:

28

2 Fraktale Geometrie

Der Rand des Apfelmännchens hat eine fraktale Struktur [ZN93, S.196].Das Apfelmännchen ist selbstähnlich [ZN93, S.195]. Vergrößert man bestimmteBereiche des Apfelmännchens, so erhält man wieder Strukturen, die die Form desApfelmännchens besitzen.Das Apfelmännchen ist spiegelsymmetrisch zur reellen Achse [ZN93, S.180].

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3 Gotik

Im Fokus dieser Arbeit stehen gotische Rosetten, mit der Zielsetzung, diese Fensterzu rekonstruieren. Zunächst jedoch muss der Aufbau und damit verbunden dieFunktion der Rosetten analysiert werden. Hierfür ist es erforderlich, sich mit derkünstlerischen Motivation und den historischen Hintergründen zu befassen, die dieRosetten hervorgebracht haben. Dazu ist es notwendig, sich mit der Epoche derGotik auseinander zu setzen.

Gliederung des Kapitels

Der erste Teil des Kapitels geht allgemein auf das Thema Gotik ein und beschreibtdie Hintergründe dieser Epoche. Daran schließt sich der zweite Abschnitt an, dersich speziell mit der gotischen Architektur beschäftigt. Der dritte Abschnitt befasstsich mit dem Maßwerk, einem Bauelement der Gotik zur Konstruktion von Roset-ten. Der letzte Teil des Kapitels geht auf die fraktale Struktur gotischer Rosettenein.

3.1 Hintergrund

Dieser Abschnitt liefert allgemeine Informationen zur Gotik. Zunächst wird eineBeschreibung des Begriffs Gotik selbst sowie dessen chronologische und geogra-phische Einordnung vorgenommen. Es werden die religiöse Motivation und diekulturellen Hintergründe dargestellt, welche die Entwicklung der gotischen Archi-tektur beeinflusst haben.

30

3 Gotik

3.1.1 Entwicklungsgeschichte und Terminologie

Der Begriff Gotik beschreibt eine kunstgeschichtliche Epoche innerhalb Europaswährend des Mittelalters. Sie folgt auf die Stilepoche Romanik und dauert von et-wa 1150 bis 1550. Die Entwicklungsgeschichte der Gotik lässt sich in drei Epochenuntergliedern, wobei sich die Entwicklung dieser Teilepochen in den verschiedenenTeilen Europas nicht gleichzeitig vollzieht [Koc05, S.146] (Tabelle 3.1). Ursprungs-land der Gotik ist Frankreich, von wo aus sie sich in ganz Europa ausgebreitet.Der Übergang von der Romanik zur Gotik vollzieht sich in Frankreich in der Mit-te des 12. Jhs., in England und Deutschland erst etwas später [Koc05]. Unter derAufsicht des Bauherrn Abt Suger entsteht zwischen 1122 und 1151 mit der AbteiSaint-Denis in Frankreich das erste Bauwerk im gotischen Architekturstil. Dabeigilt der Chor der Abtei als Prototyp der gotischen Kathedrale [Büc97, S.9].

Gotik leitet sich aus dem italienischen Wort „gotico“ ab und verweist auf die Stam-mesbezeichnung der Goten8. Der Begriff wird in der Renaissance geprägt, die dieBezeichnung abwertend für die mittelalterliche Kunst und Architektur aus Nord-europa gebraucht. Da sich die Renaissance an der Denkweise und Baukunst derAntike orientiert, empfindet sie die gotischen Bauten als nicht ihrer gängigen Vor-stellung von Schönheit entsprechend. Ihre charakteristischen Merkmale wie z.B.emporsteigende Formen, zerbrechliche und filigran wirkende Elemente werden folg-lich als fremdartig und seltsam bewertet [Jax90, S.14].

Im 19. Jh. wird die Gotik als populäre Bauform wiederentdeckt und in einer Viel-zahl von neogotischen Bauten umgesetzt.Heutzutage gilt die Gotik als eine bedeutende baugeschichtliche Epoche, der einehohe ästhetische Wirkung zugesprochen wird.

3.1.2 Philosophie und Denkweise

Um die Aufbaustruktur der gotischen Architektur mit ihren Rosetten zu verstehen,ist es notwendig, sich klar zu machen, wodurch deren Entstehung motiviert ist.Dazu müssen die kulturellen Hintergründe der Zeit, in der die gotische Architektur

8Germanischer Stamm.

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3 Gotik

Frankreich England Deutschland

Frühgotik 1135 – 1190/1200 1175 – 1260 1235 – 1250

Hochgotik 1190/1200 – 1380 1250 – 1350 1250 – 1350

Spätgotik 1360/80 – 1520 1330 – 1560 1350 – 1520

Tabelle 3.1: Teilepochen der Gotik [Bin06].

entsteht, untersucht werden. Hierbei spielen vor allem die geistige Haltung und dieDenkweise der Menschen in der Gotik eine entscheidende Rolle.

3.1.2.1 Geometrie

Die Geometrie nimmt eine besondere Stellung in der gotischen Architektur ein.In der gotischen Kunst und Literatur wird Gott selbst mit dem Zirkel dargestellt,um anzudeuten, das Universum sei nach den Gesetzen der Geometrie erschaffenworden [Sim92, S.55/56]. Damit wird die Geometrie zur göttlichen Kunst erklärt.

Durch die Anwendung der Geometrie sind mittelalterliche Architekten der Mei-nung, einen göttlichen Schöpfer nachzuahmen, da sie „seine Werkzeuge“ bei ihrerArbeit einsetzen. Die Verwendung der Geometrie ist der Grund darfür, dass dieArchitektur im Mittelalter nicht einfach als Handwerk eingestuft wird, sonderneine herausragende kulturelle Stellung einnimmt [NR82, S.22].

Im Zusammenhang mit dem Verständnis der Geometrie in der Gotik kommt dergotischen Kathedrale eine besondere Bedeutung zu. Die Kathedrale wird als einModell des mittelalterlichen Universums aufgefasst [Sim92, S.56]. Daher ist es beimBau wichtig, die Geometrie als „göttliches Instrument“ zu verwenden. So soll derEntwurf einer Kathedrale nach den Gesetzen der Geometrie, die Vollkommenheitdes göttlichen Reiches nachahmen [Sim92, S.58].

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3 Gotik

3.1.2.2 Sakrale Bauten/Kathedralen

Die Kathedrale im Mittelalter sind nicht nur ein Ort der religiösen Zusammen-kunft gläubiger Menschen; sie ist zugleich das Haus Gottes und stellt ein Abbilddes Himmels dar [VDZ84, S.454]. Sie soll den Besuchern einen Eindruck davonvermitteln, wie es im Jenseits aussieht. Letztlich ist die Kathedrale nicht nur spi-ritueller Mittelpunkt der Stadt, auch ihre Dimensionen übertreffen alle andereBauwerke und dominieren somit das Stadtbild. Die Größe und Pracht einer Ka-thedrale soll Wohlstand und Reichtum der Stadt zur Schau stellen.

3.1.2.3 Bedeutung von Licht

Das Phänomen Licht nimmt für die Menschen im Mittelalter einen anderen Stel-lenwert ein als für den heutigen Menschen. Licht wird im Mittelalter nicht nur alseine physikalische Naturerscheinung oder ein ästhetisches Mittel im weitesten Sin-ne wahrgenommen; es hat darüber hinaus eine metaphysische Komponente. Vorallem die theologische Auslegung des Lichts hat großen Einfluss auf die gotischeArchitektur. Licht wird im Mittelalter als ein göttliches Phänomen verstanden9,dessen Vorhandensein auch mit dem Konzept der Schönheit assoziiert wird [Sim92,S.78]. Ohne Licht - so die theologische und philosophische Auffassung im Mittel-alter - liegen alle Dinge im Dunkeln und ihre Schönheit bleibt damit für den Be-trachter im Verborgenen. Daher haben lichtdurchlässige Glasfenster einen höherenästhetischen Wert als bemalte Wände. Deswegen ist man bestrebt immer größereFenster zu verwenden, um mehr Licht in die Räume einfließen lassen zu können[Bin06, S.52].

3.1.2.4 Bildsymbolik und Zahlenmystik

Bildsymbolik

Im Mittelalter ist Analphabetismus sehr weit verbreitet. Vor allem die einfacheLandbevölkerung ist nicht imstande zu lesen und zu schreiben. Im Kontrast hier-zu sind die Klöster die Wissenszentren der mittelalterlichen Welt.

9„Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis.“ Aus der Bibel nach der Übersetzung MartinLuthers in der revidierten Fassung von 1984 (1. Johannesbrief 1, 5)

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3 Gotik

Die Geistlichkeit steht vor dem Problem, ihr Wissen einem Publikum zu vermit-teln, das des Lesens unkundig ist. Ein entscheidendes Medium zur Verbreitungihrer Lehren sind deshalb Bilder. Rein bildhafte Darstellungen von Geschichtenund Ereignissen spielen im Mittelalter eine wichtige Rolle, da sie von jedermanngedeutet werden können. Deshalb sind Bilder im Mittelalter nicht nur Kunst-gegenstände, sondern sie haben auch die Funktion, Ideen und Informationen zuvermitteln. Daher eignen sie sich als Schriftersatz, um auch einfache Bevölkerungs-schichten zu erreichen.

Zahlenmystik

Die Zahlenmystik ist eine Pseudowissenschaft, die im Mittelalter weit verbreitet ist[VDZ83, S.65]. Sie wird vorzugsweise bei Sakralbauten angewandt [NR82, S.45].In der Zahlenmystik geht man von der Überlegung aus, dass eine Zahl (außerhalbeines mathematischen Kontexts) auch eine symbolische Bedeutung trägt. So se-hen die meisten mittelalterlichen Gelehrten in den Zahlen einen verborgenen Sinnund vermuten bei der Interpretation von Architektur, hinter der Anzahl von be-stimmten Bauelementen eine tiefere theologische Bedeutung [Bin06, S.50]. Hierausergibt sich das Verständnis für die häufige Anwendung von Symbolik in den Hei-ligtümern.

In Architektur und Harmonie und Mensura - Maß, Zahl, Zahlensymbolik im Mit-telalter geben die Autoren eine Übersicht über die symbolische Bedeutung vonZahlen im Mittelalter [NR82] [VDZ83] [VDZ84]. Beispielsweise steht die Zahl „1“für die Einheit und Einzigartigkeit Gottes. Die „3“ steht für die Trinität (Vater,Sohn und Heiliger Geist) und „4“ ist die Zahl des Materiellen und der sichtbarenSchöpfung.Die Bedeutung einer Zahl kann sich aber auch aus ihren Summanden oder Fakto-ren zusammensetzen:So setzt sich „7“ aus „3“ (göttliche Zahl) und „4“ (weltliche Zahl) zusammen. Des-halb ist die „7“ die Zahl des Menschen, der aus Leib (materiell = „4“) und Seele(göttlich = „3“) besteht.Ein weiteres Beispiel für die zusammengesetzte Bedeutung einer Zahl ist die „12“.Die göttliche Zahl „3“ multipliziert mit der Zahl der geschaffenen Welt „4“ ergibt„12“. Die „12“ entspricht der Anzahl der Apostel, die die göttliche Botschaft (sym-bolisiert durch die „3“) in der ganzen Welt (symbolisiert durch die „4“) verkünden

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3 Gotik

sollen.

3.2 Gotische Architektur

Ab der Mitte des 12. Jhs. kommt es zur Strukturwandlungen in den mittelal-terlichen Städten. Aufgrund höherer Erträge in der Agrarwirtschaft, Wachstumder Stadtbevölkerung und der Zunahme von Gewerbe und Fernhandel können dieStädte häufiger große Bauaufträge erteilen. Dies führt auf dem Gebiet der Archi-tektur zu einer Vielzahl von Neuerungen und Erfindungen. Ab etwa 1230/50 gibtes maßstabsgetreue Baupläne und die einzelnen Bauglieder werden vereinheitlichtund systematisch untergliedert. Dies ermöglicht die serielle Produktion der Bauele-mente. Zusätzlich führen Baukran und Laufrad zur Einsparung von Arbeitskräften[Bin06, S.42].

All diese Faktoren begünstigen und vereinfachen größere Bauprojekte, was sichauch in der steigenden Anzahl der Bauvorhaben kirchlicher Bauwerke nieder-schlägt.

3.2.1 Neue Merkmale der gotischen Architektur

Die Gotik besitzt folgende zwei Grundmerkmale, die vorherige Stilrichtungen nichtaufweisen:

1. Ausgeklügelte Lastverteilung.

2. Einbeziehung des Lichts als visuelles Bauelement.

3.2.1.1 Ausgeklügelte Lastverteilung

Durch die Entwicklung einer neuen statischen Bausweise ist es in gotischen Bautenmöglich, das Gewicht der Gewölbe nach außen - weg von der Wand - zu lenken.Diese Neuerung macht die Wand in ihrer Funktion als tragendes Element desBauwerks überflüssig. An Stelle der Wand kommen nun andere Elemente zumEinsatz, wie z.B. größere Fenster.

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3 Gotik

3.2.1.2 Einbeziehung des Lichts

In romanischen Bauten steht das Licht noch im starken Kontrast zu den massivenWänden, in dem es sich deutlich von der dunklen Wand absetzt [Sim92, S.14].Mit der Entwicklung zur Gotik werden die Fenster immer größer. Sie nehmenmehr Wandfläche in Anspruch und erhalten dadurch einen flächenartigen Charak-ter. Im Gegensatz zu Fenstern in romanischen Bauten sind gotische Fenster nunkeine hervorstechenden Einzelelemente mehr. Vielmehr versucht man die scharfeAbgrenzung zwischen Fenster und Wand aufzulösen, indem die Fenster nun selbstTeil der Wand werden sollen [Bin06, S.51].

Gotische Fenster erfüllen hier nicht mehr nur die Funktion gewöhnlicher Glasfen-ster, sondern sind viel eher als „durchleuchtete“ oder „transparente“ Wände kon-zipiert [Sim92, S.14]. Durch die Integration der Fenster erwecken die Wandflächenselbst den Eindruck, lichtdurchlässig zu sein.

3.2.2 Sakralbauten in der Gotik

Ein typisches Bauwerk der Gotik ist die Kathedrale. Für den Grundriss wird mei-stens eine kreuzförmige Form ausgewählt, die nach Osten ausgerichtet ist (Abbi-lung 3.2).

Die gotische Kathedrale besitzt einige besondere Merkmale, von denen die empor-steigenden vertikalen Formen am charakteristischsten sind. Alle Bauelemente sindin die Höhe gezogen, was zu einem extremen Verhältnis zwischen Höhe und Breiteführt.Eine weiteres Besonderheit sind die reichen Verzierungen und Steinornamente10,die sowohl an der Außenfassade, als auch im Inneren vorzufinden sind.Schließlich fallen noch die überdimensionierten Fenster auf. Zu den größten undprunkvollsten Fenstern gehören die kreisförmigen Rosetten, die sich meistens ander West-, Nord- und Südseite der Kathedrale befinden.

10Steinarbeiten zur Dekoration, die meistens abstrakte Muster darstellen.

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3 Gotik

Abbildung 3.1: Kathedrale von Reims, Westansicht [Bin06].

Abbildung 3.2: Grundriss Kölner Dom [Bin06].

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3 Gotik

Abbildung 3.3: Maßwerk. Steinstab grün und Bahn rot eingefärbt [Bin06, modifiziert].

3.3 Maßwerk und Rosetten

Das Maßwerk ist ein Bauelement in der Gotik zur Dekoration von Fenstern undWandflächen. Beim Maßwerk handelt es sich um ein Steinwerk, das aus senkrech-ten, profilierten Steinstäben besteht. Diese werden hintereinander angeordnet undbilden auf diese Weise eine Bahn (Abbildung 3.3). Mehrere Bahnen bilden ihrer-seits das sog. Stabwerk. Das Stabwerk besitzt Bahnen verschiedener Dicke. Hierbeilaufen die dünneren Bahnen innen, während die dickeren außen verlaufen. DurchKombination dieser Bahnen ergibt sich ein hierarchisch aufgebautes Muster, dasverschiedene geometrische Formen enthält, die ihrerseits weitere kleinere Formenbeinhalten.

Terminologie

Der Begriff Maßwerk, wie er in der heutigen architekturgeschichtlichen Forschungverwendet wird, wurde im 19. Jh. geprägt. Die Bezeichnung Maßwerk (auch Mess-werk genannt) war aber schon im Mittelalter bekannt. Hier hatte es jedoch eineallgemeinere Bedeutung, da es als Synonym für Geometrie an sich gebraucht wurde[Hel06, S.9].

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3 Gotik

Stellenwert

Das Maßwerk gehört neben Spitzbögen, Rippengewölbe oder gegliederten Pfeilernzu den charakteristischen Elementen der gotischen Baukunst. Es ist jedoch die ein-zige architektonische Form, die eine wirklich neue Erfindung der Gotik ist. Alle an-deren Elemente der gotischen Architektur waren bereits in der Romanik bekannt.Die besondere Bedeutung des Maßwerks beschreibt Binding ([Bin06, S.197]), wenner vom Maßwerk als „einem der wichtigsten formalen Gestaltungselemente inner-halb der Entwicklung der Gotik“ spricht.

Funktion

Das Maßwerk wird in der Gotik v.a. als ein konstruktives und dekoratives Elementfür die Fenster genutzt. Es bildet ein Gitter, das einerseits die Fensteröffnungenumschließt und andererseits das Glas in den Fenstern untergliedert [Bin89], was zueinem neuen visuellen Effekt führt. In der Romanik war das Fenster eine einzigeununterbrochene Lichtöffnung in der Wand [Bin89], bei dem Fenstergerüst undFensterglas klar voneinander abgegrenzt waren. In der Gotik hingegen nehmenMaßwerk - als Fenstergerüst - und Fensterglas keine voneinander abgegrenztenFlächen ein. Das Maßwerk „durchfließt“ das Fensterglas und hebt dadurch denscharfen Kontrast zwischen Licht und Steinwand auf. Diese Vermischung von Ge-rüst und Glas führt zur optischen Auflösung der Wand. Große Maßwerkfenstertreten an die Stelle der Wand und übernehmen die Funktion der Wand als Raum-grenze [Bin89].Durch diese Neugliederung von Fenster- und Wandfläche ergibt sich ein Zusam-menspiel von farbigem Licht und architektonischem Ornament, das dem gotischenBau seine besondere Lichtatmosphäre verleiht.

Über die Fensterkonstruktion hinaus ist das Maßwerk ein dekoratives Element,welches sowohl an der Außenfassade als auch an den Innenwänden des Baus ein-gesetzt wird.

Konstruktion

Das Besondere bei der Konstruktion von Maßwerk ist, dass ausschließlich einfa-che geometrische Hilfsmittel verwendet werden [Bin89, S.12]. Gotische Baumei-ster brauchen daher nur Zirkel und Lineal um Maßwerk zu konstruieren [Jax90,

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3 Gotik

S.77]. Es besteht lediglich aus exakten Kreisbögen, deren Mittelpunkte sich auf denSchnittpunkten der Kreisbögen selbst befinden oder auf geraden Verbindungslinienzwischen den Mittelpunkten. Trotz der einfachen Konstruktionsweise erhält mandurch Kombination der Kreisbögen komplexe Maßwerkmuster. Die Variationsmög-lichkeiten für die Muster sind hier praktisch unbegrenzt.Die Muster sind häufig hierarchisch aufgebaut. Es gibt übergeordnete Strukturen,die verkleinerte Kopien ihrer selbst als untergeordnete Strukturen umfassen. Dabeigibt es fließende Übergänge zwischen allen Strukturen, so dass ein zusammenhän-gendes Muster entsteht.

3.3.1 Elemente des Maßwerks

Das Maßwerk entsteht durch die Zusammensetzung von Kreisbögen mit unendlichvielen Kombinationsmöglichkeiten, um Muster zu erstellen. In der Praxis jedochfindet man einen Satz von bestimmten Elementen, die fast ausschließlich benutztwerden, um Maßwerkmuster zusammenzustellen.

Hier folgt eine Auflistung der am häufigsten eingesetzten Elemente zur Konstruk-tion von Maßwerkmustern. Diese Elemente werden miteinander kombiniert, umverschiedene Muster zu bilden. In einem bestimmten Muster können Form undGrößenverhältnisse eines einzelnen Elements leicht variieren. Der grundlegendeAufbau eines Elements bleibt jedoch stets bestehen.

Spitzbogen

Der Spitzbogen (Abbildung 3.4 (a)) ist eines der typischen Konstruktionselementeder gotischen Kathedrale. Er wird aus zwei Kreisbögen konstruiert, die den glei-chen Radius besitzen. Die Mittelpunkte der Kreissegmente befinden sich auf einerhorizontalen Linie innerhalb des Spitzbogens. Der Durchmesser der Kreissegmenteist größer als die Bogenspannweite. Dadurch schneiden sich die Kreissegmente imScheitel des Bogens in einem spitzen Winkel. Entspricht der Durchmesser exaktder Bogenspannweite, erhält man einen Rundbogen.

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3 Gotik

(a) Spitzbogen (b) Lanzettbogen (c) Kielbogen

Abbildung 3.4: Verschiedene Bogenformen.

Lanzettbogen

Lanzettbogen (Abbildung 3.4 (b)) ist ähnlich aufgebaut wie der Spitzbogen. Hierbefinden sich jedoch die Mittelpunkte der Kreisbögen außerhalb des Lanzettbo-gens. Der Radius der Kreisbögen ist daher größer als die Bogenspannweite.

Kielbogen

Der Kielbogen (Abbildung 3.4 (c)) - auch Karniesbogen genannt - ist ein Spitzbogenmit geschweiften Schenkeln. Die Kreisbögen des Kielbogens sind im unteren Teilkonkav und im oberen konvex geformt.

Pass

Der Pass besteht aus einem Kreis, in den mehrere Kreisbögen eingefügt sind. Jenach Anzahl der Kreisbögen in einem Pass spricht man von Drei-, Vier-, Fünf-,Sechs- oder Mehrpass (Abbildung 3.6). Bei Drei- und Vierpass unterscheidet manzwischen liegendem und stehendem Pass, abhängig davon, ob ein oder zwei Pässeim unteren Teil angeordnet sind (Abbildung 3.5).

Ein Dreipass beinhaltet drei Kreisbögen gleicher Größe, die einander in jeweilszwei Punkten berühren. Hier wird jeweils ein Halbkreis einer Seite eines gleichsei-tigen Dreiecks zugeordnet (Abbildung 3.5 (a)). Weitere Varianten für den Dreipass

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3 Gotik

(a) stehender Dreipass (b) liegender Dreipass

Abbildung 3.5

(a) Vierpass (b) Fünfpass

Abbildung 3.6

sind der genaste Dreipass und der angespitzte Dreipass (Abbildung 3.7).

Im genasten Dreipass befinden sich die Mittelpunkte der Kreissegmente an denEcken eines gleichseitigen Dreiecks (Abbildung 3.7 (a)), wobei der Radius derKreissegmente die Hälfte einer Dreieckseite beträgt. An ihren Schnittpunkten bil-den die Kreissegmente sog. „Nasen“. Beim angespitzten Dreipass (Abbildung 3.7(b)) werden anstatt einfacher Kreisbogen Kielbogen verwendet.

Blatt

Das Blatt ist aus einem Kreis aufgebaut, der mehrere Spitzbögen enthält. DreiSpitzbögen im Kreis ergeben ein Dreiblatt (Abbildung 3.8 (a)), vier Spitzbögenim Kreis ein Vierblatt (Abbildung 3.8 (b)), usw.

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3 Gotik

(a) genaster Dreipass. (b) angespitzter Dreipass.

Abbildung 3.7

(a) liegendes Dreiblatt (b) stehendes Vierblatt

Abbildung 3.8

Analog zu den Pässen spricht man je nach Anzahl der Spitzbögen im unteren Teileines Blatts von einem liegenden bzw. stehenden Blatt.

Soufflet

Das Soufflet (franz. Blasebalg) ist ein Vierpass. Es besteht aus zwei Kreisbogenund zwei Kielbogen. Die zwei Kreisbögen bzw. die zwei Kielbogen sind einandergegenüber angeordnet.

Dreistrahl

Zieht man die Bogenschenkel der Lanzettbogen in die Länge, so erhält man einenDreistrahl (Abbildung 3.10 (a)).

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3 Gotik

Abbildung 3.9: Soufflet.

(a) Dreistrahl (b) Schneuß

Abbildung 3.10: Dreistrahl und Schneuß.

Schneuß

Der Schneuß (oder Fischblase) besteht aus einem Kreis in dem mehrere Kreisbögeneingefügt sind. Dabei berühren sich die Kreisbögen an jeweils einem Punkt undbilden blasenförmige Elemente (Abbildung 3.10 (b)).

3.3.2 Rosetten

Rosetten - auch Rundfenster genannt - sind kreisförmige Fenster. In gotischenKathedralen befinden sich die Rosetten meistens über dem Portal11 an der West-fassade und an der Nord- und Südfassade.Auffällig an den Rosetten sind ihre enormen Ausmaße. Sie gehören zu den größtenFenstern in gotischen Kathedralen - einige Rosetten erreichen einen Durchmesservon über zehn Metern [Bin06, S.209].

11Haupteingang der Kathedrale an der Westseite.

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3 Gotik

(a) Rosette der Lincoln Kathedrale inCurvilinear-Stil [Bin06].

(b) Rosette der Kathedrale von Amiens inFlamboyant-Stil [Bin89].

Abbildung 3.11: Beispiele für Rosetten-Stile.

Rosetten sind mit Maßwerk gefüllt, die meist strahlenförmig vom Kreismittelpunktzum Kreisrand verlaufen. Aufgrund der vielfältigen Kombinationsmöglichkeitendes Maßwerks besitzt jede Rosette ein einzigartiges Muster. Diese Muster beste-hen aus den oben beschriebenen Maßwerkelmenten, deren Anzahl häufig durch dieZahlenmystik inspiriert ist (siehe 3.1.2.4). Die Kreisform der Rosette symbolisiertdie göttliche Vollkommenheit und Allgegenwart in der Welt. Weiterhin wirken siedurch ihre zentrale Lage als Blickfang und sollen den Betrachter in eine meditativeStimmung versetzen [wik07a].

Stilrichtungen der Rosetten

Im Laufe der Entwicklungsgeschichte der Rosetten haben sich verschiedene Sti-le herausgebildet, die jeweils charakteristische Muster aufweisen. Im Folgendenwerden einige Beispiele für diese Stile aufgezählt.

Im Rayonnant-Stil verläuft das Muster strahlenförmig vom Zentrum der Rosettezum Rand, wo es in Spitzbögen endet, die ihrerseits häufig ein Vierpass enthalten.In der Mitte befindet sich oftmals ein kreisförmiges Maßwerkelement wie z.B. einMehr-Pass (Abbildung 3.12).

Der Curvilinear -Stil zeichnet sich durch fließende und wellenartige Linien aus, dieblasenartige Formen bilden [Bin89, S.149]. Hier wird als neue Form der Kielbo-

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3 Gotik

(a) Rosette der Kathedrale Westmin-ster Abbey, London [Bin89].

(b) Rosette der Kathedrale Notre-Dame, Reims [Bin89].

Abbildung 3.12: Beispiele für Rosetten in Rayonnant-Stil.

gen eingesetzt, so dass viele konkav-konvexe Linien im Muster auftauchen (Abbil-dung 3.11 (a)).

Die einzelnen Formen des Flamboyant-Stils sind langgestreckt und haben gewun-dene Umrisse und erinnern daher an lodernde Flammen [Bin89, S.97]. Hier wirdals Grundform der Schneuß eingesetzt, so dass in diesem Stil viele kurvige Musterentstehen (Abbildung 3.11 (b)).

Beispiele für Rosetten in Rayonnant-Stil

Abbildung 3.12 (a) zeigt die Rosette der Nordfassade der Westminster Abbey inLondon. Die Rosette besteht aus sechzehn Lanzettbogen, die um einen Acht-Passin der Mitte angeordnet sind und jeweils einen kleineren Lanzettbogen beinhalten.Zwischen den Lanzettbogen sind Dreiblätter eingefügt.

In der Abbildung 3.12 (b) ist eine Rosette der Kathedrale Notre-Dame in Reims zusehen. Hier sind zwölf Lanzettbögen um einen Kreis angeordnet. An den Spitzender Lanzettbögen befinden sich jeweils stehende Vierpässe, die jeweils drei kleinereLanzettbögen beinhalten. Zwischen den Lanzettbögen sind Dreipässe eingefügt.

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3 Gotik

3.4 Fraktale Struktur der Rosetten

An dieser Stelle wird eine Analyse der Aufbaustruktur der Rosetten vorgenommen,um festzustellen inwieweit die Struktur der Rosetten fraktal aufgebaut ist.

Eine erste grobe Analyse der Struktur von Rosetten liefert einen Kreis, der miteinem Muster gefüllt ist. Dieses Maßwerkmuster wird durch die Kombination vonKreisbögen erzeugt.Für die Beantwortung der Frage, ob Rosetten fraktale Strukturen beinhalten, mussdas Maßwerkmuster auf fraktale Eigenschaften hin untersucht werden.Wie bereits im Kapitel 3.3 erwähnt, sind Maßwerkmuster hierarchisch aufgebaut.Es gibt übergeordnete Strukturen, die untergeordnete Strukturen beinhalten. Dieuntergeordneten Strukturen besitzen häufig eine ähnliche oder die gleiche Auf-baustruktur wie die übergeordneten Strukturen - lediglich in einem kleineren Maß-stab. Die übergeordneten Strukturen enthalten also verkleinerte Kopien von sichselbst.Diese Eigenschaft erinnert an die selbstähnliche Struktur der Fraktale die in Ka-pitel 2.2 erläutert wurde.In der Tat lassen sich bis zu einem bestimmten Grad selbstähnliche Strukturenim Maßwerkmuster gotischer Rosetten erkennen. Diese Beobachtung soll nun ankonkreten Fällen verdeutlicht werden. Zu diesem Zweck wird die fraktale Strukturdes Maßwerks für zwei Rosetten beispielhaft untersucht.

In der Abbildung 3.13 (a) ist die Rosette an der Nordfassade der Kathedrale vonLaon zu sehen. Die Rosette besteht hauptsächlich aus Acht-Pässen, die in einemKreis angeordnet sind.Abbildung 3.13 (b) zeigt dieselbe Rosette, bei der die fraktalen Strukturen einge-färbt sind. Der große Kreis, der alle weiteren Strukturen umfasst, ist grün markiertund enthält neun kleinere Kreise. Hierbei sind acht Kreise konzentrisch um einenneunten angeordnet (blau eingefärbt Struktur).Die neun kleineren Kreise bestehen wiederum jeweils aus neun Kreisen, wobei wie-der acht Kreise um einen neunten konzentrisch angeordnet sind. Diese Strukturist rot dargestellt.

Vorliegende Rosette besteht also aus kleineren Kopien (blaue Kreise), die ihrerseitsaus noch kleineren Kopien (rote Kreise) zusammengesetzt ist.

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3 Gotik

(a) Rosette der Nordfassade der Kathedralevon Laon

(b) Rosette mit Einfärbung der fraktalenStrukturen

Abbildung 3.13: Fraktale Strukturen in Rosetten.

Die oben beschriebene Rosette lässt sich durch eine Rückkopplungsmaschine (sieheKapitel 2.4.1) beschreiben, die die folgende Arbeitsweise besitzt:Die Eingabe für die Rückkopplungsmaschine besteht aus Kreisen. Die Ausgabeerzeugt pro Kreis acht kleinere Kopien, die um einen neunten Kreis angeordnetsind. Um die Rosette zu erzeugen wären zwei rekursive Schritte notwendig: Dererste Schritt erzeugt die blau eingefärbte Struktur und ein zweiter Schritt die rote.Die Rosette besitzt damit eine fraktale Struktur der Rekursionstiefe 2.

Abbildung 3.14 zeigt eine Rosette der Kathedrale von Paris. Die Rosette lässt sichin sechszehn konzentrisch angeordnete Segmente einteilen (grün eingefärbt). EinSegment besteht jeweils aus einem Lanzettbogen, der einen Drei-Pass an seinerSpitze enthält. Weiterhin beinhaltet jeder Lanzettbogen drei kleinere Lanzettbö-gen (rot eingezeichnet). Somit besitzt ein Lanzettbogen in dieser Rosette dreikleinere Kopien seiner eigenen Struktur. Diese kleineren Kopien selbst enthaltenkeine weiteren Strukturen.Für die Konstruktion solch eines Lanzettbogens braucht eine Rückkopplungsma-schine einen einzigen Schritt. Die Eingabe besteht hier aus einem Lanzettbogenund die Ausgabe aus drei kleineren Lanzettbögen. Diese sind wiederum in demgrößeren Lanzettbogen angeordnet.Somit besitzt das Rückkopplungsverfahren zur Konstruktion dieser Rosette die

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3 Gotik

Abbildung 3.14: Fraktale Strukturen in Rosetten.

Rekursionstiefe 1.

Fazit

Die Rosetten in den Abbildungen 3.13 und 3.14 weisen fraktale Eigenschaftenauf:

• Selbstähnlichkeit: In den Rosetten gibt es geometrische Formen, die kleinereKopien von sich selbst beinhalten.

• Feinstruktur: Vergrößert man bestimmte Stellen der Rosetten, so erhält mankomplex aufgebaute Strukturen.

• Rekursive Konstruktion: Die Rosetten lassen sich wie oben beschrieben mitHilfe einer Rückkopplungsmaschine rekursiv konstruieren.

Die hier vorgestellten Beispiele für die fraktale Struktur von Rosetten erheben kei-nen Anspruch auf Universalität. Einen Beweis für die fraktale Struktur für jedemögliche Rosettenform zu liefern kann nicht geleistet werden, da jede einzelne Ro-sette einmalig in ihrem Aufbau ist. In gotischen Bauten gibt es kaum identischeMaßwerkmuster [Jax90, S.77].Es lässt sich feststellen, dass die fraktalen Strukturen der vorgestellten Beispiele

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3 Gotik

keine sehr große Rekursionstiefe besitzen. Eine naheliegende Erklärung hierfür ist,dass die Baukünstler aus ästhetischen Überlegungen heraus bewusst auf weitereRekursionsschritte verzichtet haben. Daher waren Wiederholungen nur bis zu ei-nem Gewissen Grad erwünscht.Unter Umständen waren weiterhin technische Beschränkungen (Material, Werk-zeuge, Stabilität er Konstruktion usw.) der Grund für die begrenzte Rekursions-tiefe.Dennoch können die Strukturen der Rosetten als Fraktale angesehen werden. Wiein Kapitel 2.3 erläutert, muss zwischen natürlichen und mathematischen Fraktalenunterscheiden werden. Für natürliche Fraktale - also Fraktale in der realen Welt -gibt es immer eine Beschränkung der Rekursionstiefe.

Letztlich lassen die oben gemachten Beobachtungen den Schluss zu, dass es goti-sche Rosetten gibt, die fraktale Strukturen aufweisen. Es ist jedoch festzuhalten,dass auch andere Faktoren wie Spiegel- und Drehsymmetrie eine Rolle spielen.

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4 State of the Art

In den vorherigen Kapiteln wurden die Themen fraktale Geometrie und gotischeArchitektur besprochen. Diese beiden Themen bilden die Grundlage für die Ent-wicklung eines Konzepts zur fraktalen Generierung von gotischen Fenstern.

Bevor ein eigenes Konzept entwickelt wird, werden zunächst in diesem Kapitelexistierende Methoden und Arbeiten vorgestellt, die sich mit der Konstruktionvon gotischen Maßwerkfenstern befassen.

Gliederung des Kapitels

Das Kapitel beginnt mit der Vorstellung allgemeiner Methoden zur Konstruktionvon Architektur. Zuletzt werden zwei Arbeiten ausführlich betrachtet, die sichspeziell mit der Konstruktion von gotischen Fenstern beschäftigen.

4.1 Konstruktion von Architektur

Bei der rechnergestützten Konstruktion von architektonischen Bauten gibt es ne-ben der in dieser Arbeit verwendeten prozeduralen Methode, prinzipiell zwei wei-tere Vorgehensweisen: die Modellierung per Hand und die automatische Geome-trieerfassung12. Diese beiden Verfahren werden in den folgenden Abschnitten dar-gelegt.

12Diese Verfahren eignen sich nicht nur zur Konstruktion von Architektur, sondern könnenallgemein für dreidimensionale Objekte eingesetzt werden.

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4 State of the Art

Abbildung 4.1: Benutzeroberfläche von Rhino3D [Rob07].

4.1.1 Manuelle Modellierung

Eine Methode zur Konstruktion von Architektur ist die Modellierung per Hand.Hier erzeugt der Benutzer selbst in einem interaktiven Prozess die einzelnen ge-wünschten geometrischen Formen am Rechner. Diese Formen werden dann manuellzusammengesetzt, um zum Beispiel eine gotische Rosette zu erstellen. Als Hilfsmit-tel dienen dem Benutzer spezielle Softwaresysteme zur Konstruktion dreidimen-sionaler Objekte. Beispiele für solche Software sind 3D-Modellierungsprogrammewie 3D Studio Max, Maya oder Rhino 3D. Diese Modellierungsprogramme bietendiverse Funktionen und Hilfestellungen über eine graphische Benutzerschnittstellean, die den Benutzer bei der Modellierung unterstützen sollen.Trotz der fortschreitenden Weiterentwicklung der Software im Modellierungsbe-reich hat diese Methode einige Nachteile, die bisher nicht beseitigt werden konn-ten.Obwohl versucht wird die Bedienung der Modellierungsprogramme möglichst ein-fach und intuitiv zu gestalten, ist der Einarbeitungsaufwand für diese Programmerecht hoch [GBHF05]. Dies ist der Grund dafür, dass die Erstellung komplexerObjekte die entsprechende Erfahrung beim Benutzer voraussetzt.Je nach Komplexität ist das Modellieren von Objekten sogar für den professionel-len Anwender zeitaufwendig. Ein weiterer Nachteil sind die hohen Kosten für dieModellierungsprogramme.

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4 State of the Art

4.1.2 Automatische Geometrieerfassung

Eine zweite Strategie zur Erzeugung von geometrischen Objekten basiert auf derErfassung der Oberflächenstrukur des Zielobjekts. Hierzu können beispielsweise3D-Scanner eingesetzt werden.Ein 3D-Scanner erfasst in der Regel die Oberflächenstrukur des Zielobjekts in Formvon dreidimensionalen Punkten. Die erfassten Daten werden digital gespeichertund werden dazu genutzt, um die dreidimensionale Form des Objekts am Rechnerzu rekonstruieren.

Voraussetzung bei der Konstruktion von Modellen durch Erfassung der Oberflä-che, ist dass die entsprechenden Objekte auch vor Ort zur Verfügung stehen. Die-se Konstruktionstechnik ist damit darauf beschränkt, digitale Kopien von realenObjekten zu erstellen. Es lassen sich aber keine neuen geometrischen Formen pro-duzieren.

Durch die Erfassung der Oberflächenstrukur lassen sich auch Kopien von archi-tektonischen Bauten erzeugen. Hierzu existieren verschiedene Forschungsarbeiten,die diese Technik zur Konstruktion einsetzen [FZ03, PGA+01, Deb00, SBZ+04].

4.2 Konstruktion gotischer Fenster

Die Konstruktion gotischer Fenster durch Techniken der Computergrafik ist kaumexploriert. Hierzu gibt es nur wenige wissenschaftliche Arbeiten. Hinzu kommt,dass keines der Verfahren die fraktale Struktur der gotischen Fenster berücksich-tigt.

Es werden nun zwei Arbeiten vorgestellt, die sich speziell mit der Konstruktiongotischer Maßwerkfenster befassen.

4.2.1 Konstruktionsverfahren von Havemann et al.

Havemann und Fellner stellen in ihrer Arbeit eine Methode vor, gotische Fenster zurekonstruieren [HF04]. Bei diesen Fenstern handelt es sich jedoch nicht um Roset-

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4 State of the Art

ten, sondern um einfacher aufgebaute gotische Fenster mit einer Spitzbogenform.

Abbildung 4.2: Gotische Fenster erstellt durch GML [HF04].

Die Konstruktion der Fenster basiert auf GML13 - einer stackbasierten, interpre-tierten Programmiersprache [Hav07]. Der Kern von GML basiert auf der Beschrei-bungssprache PostScript von Adobe [Ado99]. Im Gegensatz zu PostScript zieltGML nicht auf die Beschreibung des Aufbaus von Seiten, sondern auf die Be-schreibung dreidimensionaler Formen [HF04].GML besitzt eine umgekehrte Polnische Notation. Es folgen zunächst die Para-meter und dann der Funktionsname, anstatt dass zunächst der Funktionsnameerscheint und dann die Parameter.Der Vorteil von GML gegenüber traditionellen Programmiersprachen wie C++ist der höhere Abstraktionsgrad. Geometrische Formen können einfacher als inOpenGL beschreiben werden.Eine Einführung in GML liefern Havemann und Fellner in ihrer Arbeit Generati-ve Parametric Design of Gothic Window Tracery [HF04]. Die Autoren stellen aufBasis von GML Standardfunktionen zur Verfügung, mit denen gotische Fenstergeneriert werden können.

13Generative Modelling Language

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4 State of the Art

Abbildung 4.2 zeigt verschiedene gotische Fenster, die mit Hilfe von GML erstelltworden sind. GML wurde jedoch nicht speziell zur Beschreibung von gotischenFenstern entwickelt. Havemann et al. liefern weitere Anwendungsbeispiele für GML[GBHF05].

4.2.2 Konstruktionsverfahren von Charbonneau et al.

Charbonneau, Boulerice und Booth präsentieren in ihrer Arbeit eine Methode zurKonstruktion von gotischen Rosetten [CBB06].

Die Generierung der Rosetten erfolgt durch ein interaktives Programm. Hier stehtder Konstruktionsprozess selbst im Mittelpunkt. Mit dem Programm sollen dieeinzelnen Schritte einer echten Konstruktion am Computer simuliert werden.Mit Hilfe einer graphischen Oberfläche erstellt der Benutzer schrittweise eine Ro-sette. Dabei trifft er sukzessive einzelne Entscheidungen, die sich auf die Form derRosette auswirken.Beispielsweise entscheidet der Benutzer über:

• die Größe der Rosette: klein, mittel, groß.

• die Anzahl der Pässe in einem Mehr-Pass: 3, 4, 5, usw.

• die Lage des Mehr-Passes: stehender oder liegender Mehr-Pass.

Das Programm präsentiert dem Benutzer für jeden Konstruktionsschritt eine Aus-wahl an Icons (Abbildung 4.3 (a)). Jedes Icon repräsentiert eine Option für dennächsten Konstruktionsschritt. Der Benutzer kann sich für eine bestimmte Optionentscheiden, indem er mit der Maus auf das entsprechende Icon klickt. Früher ge-fällte Entscheidungen wirken sich auf die Optionen aus, die zur Verfügung stehen.Wählt man zum Beispiel kleine Rosetten, wird die maximale Anzahl der Pässe ineinem Mehr-Pass auf 8 begrenzt.Der Benutzer kann zu jeder Zeit seine Entscheidungen rückgängig machen undsomit den Konstruktionsprozess umkehren.Nachdem der Benutzer alle nötigen Konstruktionsschritte durchlaufen hat, wirdein 3D-Modell der Rosette erstellt, dessen Form von den getroffenen Entscheidun-gen abhängt (Abbildung 4.3 (b)).

55

4 State of the Art

(a) Benutzeroberfläche: Optionen für dennächsten Schritt werden unten dargestellt.Die bisher getroffene Entscheidungen wer-den in der linken Spalte angezeigt.

(b) Verschiedene Varianten der erzeugtenRosetten.

Abbildung 4.3

Die Autoren betonen, dass es sich bei der von ihnen vorgestellten Methode nichtum ein Verfahren zur automatischen Konstruktion von Rosetten handelt. Vielmehrsoll der Benutzer mit Hilfe des Programms den Konstruktionsprozess für eineRosette zum didaktischen Zweck nachvollziehen.

56

5 Konzeption

Das Ziel dieser Arbeit ist es, gotische Rosetten automatisch zu generieren. Hier-zu wird zunächst ein Konzept entwickelt, das die fraktale Struktur der Rosettenbei deren Darstellung am Rechner ausnutzt. Das hier erarbeitete Konzept ist dieVoraussetzung für die Implementierung eines Prototyps im nächsten Kapitel.

Gliederung des Kapitels

Das Kapitel beginnt mit einer Anforderungsanalyse, die die Aufgabenstellung prä-zisiert. Anschließend werden konzeptionelle Verfahren zur Konstruktion und auto-matischen Generierung gotischer Rosetten vorgestellt. Der letzte Teil geht schließ-lich auf die Implementierungsdetails ein.

5.1 Anforderungsanalyse

Bevor ein Konzept zur automatischen Generierung gotischer Rosetten entwickeltwird, soll an dieser Stelle zunächst eine Anforderungsanalyse erstellt werden. Dieselegt fest, welche Kriterien das Konzept erfüllen muss.

Voraussetzung für die automatische Generierung ist die Analyse des Aufbaus derRosetten, wobei der Schwerpunkt vor allem auf der fraktalen Struktur liegt. Diesermöglicht die Entwicklung eines automatischen Modellierungsprozesses, der diefraktale Struktur der Rosetten ausnutzt.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die möglichst genaue und authentische Konstruk-tion des Maßwerks. Bei der Konstruktion der Rosetten muss darauf geachtet wer-den, welche Maßwerkmuster in Rosetten vorkommen (siehe Kapitel 3.3.1). DieseMuster müssen auf ihre geometrischen Eigenschaften hin untersucht werden, umsie realitätsgetreu am Rechner abbilden zu können.

57

5 Konzeption

Es muss eine Beschreibung für das Maßwerk gefunden werden, die imstande ist,eine große Palette von Formen und Mustern abzudecken. Alle möglichen Musterzu beschreiben, ist auf Grund der unendlichen Vielfalt des Maßwerks unrealistisch.Dennoch sollte es möglich sein, viele Varianten des Maßwerks darzustellen. Speziellmüssen Maßwerkmuster, die besonders häufig in Rosetten vorkommen, konstruiertwerden.

Die Darstellung der Rosetten soll in Echtzeit erfolgen. Hierzu ist besonderes Au-genmerk auf eine effiziente Implementierung der Datenstrukturen zu legen. Vorallem bei sehr komplex aufgebauten Rosetten kann sich die Implementierung aufdie Bildwiederholungsrate auswirken.

Es soll eine klare Trennung der Beschreibung der Geometrie des Maßwerks von derDarstellung des Maßwerks am Rechner angestrebt werden. Damit ist gewährleistet,dass die Speicherung der geometrischen Informationen für das Maßwerk unabhän-gig ist von den Teilen des Programms, die für das Rendering zuständig sind. DieseAufteilung von Beschreibung und Darstellung erleichtert die Codeverwaltung, dieFehlersuche und schließlich eine eventuelle Portierung des Programms.

Die Implementierung soll mit Hilfe des Szenengraphs der Grafik-Engine OGRE14

erfolgen. Dennoch soll die Implementierung möglichst unabhängig von einer be-stimmten Szenengraph-API sein. Dies stellt sicher, dass das Programm zu einemspäteren Zeitpunkt leicht auf andere Szenengraphen portierbar ist.

Bei der praktischen Umsetzung gilt, dass das objektorientierte Paradigma befolgtwerden soll. Dies vereinfacht einerseits die Erweiterung des Systems, falls weitereMaßwerkformen hinzugefügt werden sollen. Andererseits ermöglicht eine objekt-orientierte Programmstruktur eine einfache Integration in andere Systeme.

14Object-Oriented Graphics Rendering Engine

58

5 Konzeption

5.2 Konzept

In diesem Abschnitt wird ein Konzept zur automatischen Generierung gotischerRosetten mit Hilfe fraktaler Geometrien vorgestellt. Die besondere Herausforde-rung dieser Aufgabe ist, dass bisher kaum Arbeiten zum Thema „fraktale Model-lierung von Rosetten“ existieren. Somit muss in vorliegender Arbeit ein neuartigesKonzept zur Generierung der Rosetten entwickelt werden, das auf fraktaler Geo-metrie basiert.

5.2.1 Konstruktion des Maßwerks

Da Rosetten aus Maßwerk bestehen, muss für ihre Generierung zunächst das go-tische Maßwerk konstruiert werden.

Aufgrund der einfachen Konstruktionsregeln benötigen gotische Steinmetze nurZirkel und Lineal, um Maßwerkmuster zu erstellen. Bei einer computergestütztenKonstruktion steht jedoch kein Zirkel zur Verfügung, mit dessen Hilfe „ausprobiert“werden kann. Um Maßwerkformen auf dem Rechner darstellen zu können, musszunächst eine geeignete Beschreibung hierfür gefunden werden. Der erste Schritthierzu ist die Zerlegung des Maßwerks in seine Einzelbestandteile.Maßwerkmuster besteht aus bestimmten Elementen (z.B. Vierpass, Vierblatt, usw.),diese lassen sich wiederum in einzelne exakte Kreisbögen zerlegen.Exakte Kreisbögen stellen also die elementaren Bausteine der Maßwerkmuster dar.Es ist daher erforderlich, eine Beschreibung für exakte Kreisbögen zu entwickeln.

Parameter zur Beschreibung von Kreisbögen

Zur Beschreibung eines exakten Kreisbogens innerhalb eines Maßwerkelementswerden folgende Parameter benutzt:

1. Der Radius des Kreisbogens.

2. Der Öffnungswinkel des Kreisbogens.

3. Die Position des Mittelpunkts des Kreisbogens relativ zum Mittelpunkt desübergeordneten Elements.

59

5 Konzeption

y

x

Startpunkt

Endpunkt

Abbildung 5.1: Der Öffnungswinkel des Kreisbogens.

Diese Parameter ermöglichen es, Kreisbögen exakt und eindeutig zu beschreiben.

Radius des Kreisbogens

Der wichtigste Parameter zur Beschreibung eines Kreisbogens ist sein Radius.Durch seine Variation können bereits verschiedene Kreisbögen beschrieben werden.Der Radius allein ist jedoch nicht ausreichend, um einen Kreisbogen vollständigzu definieren.

Öffnungswinkel des Kreisbogens

Ein Kreisbogen ist kein geschlossener Kreis, sondern eine zusammenhängende Teil-menge der Kreislinie. Ausgehend von einem Kreis erhält man einen Kreisbogen,indem man ein Teilstück der Kreislinie herausschneidet, so dass eine Lücke ent-steht. Die Länge dieser Lücke hängt vom Öffnungswinkel des Kreisbogens ab.

Um die Lücke zu beschreiben, stellt man folgende Betrachtung an:Ein Kreisbogen ist eine Kurve, die einen Start- und einen Endpunkt besitzt15 und

15Um zu bestimmen welcher Punkt der Start- bzw. der Endpunkt ist, geht man von der Kon-vention aus, dass der Kreisbogen gegen den Uhrzeigersinn wächst.

60

5 Konzeption

Abbildung 5.2: Positionierung von Kreisbogen relativ zum Mittelpunkt eines Kreises.

die sich beide auf der Kreislinie befinden. Man verbindet den Start- und Endpunktdes Kreisbogen mit dem Mittelpunkt des Kreisbogens und misst anschließend denWinkel für die beiden Verbindungsstrecken und der x-Achse (Abbildung 5.1).Dadurch erhält man pro Punkt jeweils einen Winkel. Mit Hilfe dieser beiden Win-kel lässt sich die Lage der Lücke beschreiben.

Position des Mittelpunkts des Kreisbogens

Kreisbögen sind die elementaren Bausteine von Maßwerk, die hierarchische Struk-turen bilden. Hierbei sind Kreisbögen in übergeordnete Strukturen enthalten, diewiederum selbst aus Kreisbögen bestehen. Es ist wichtig festzulegen, an welcherStelle in der übergeordneten Struktur sich ein Kreisbogen befindet. Zu diesemZweck wird der Mittelpunkt der übergeordneten Struktur als Referenzpunkt be-nutzt, um mit einem Translationsvektor die Position des Kreisbogens beschrie-ben.

Abbildung 5.2 zeigt dieses Prinzip skizzenhaft für zwei Kreisbögen, die innerhalbeiner übergeordneten Struktur (hier ein Kreis) positioniert sind.

Eine geeignete Datenstruktur zur Repräsentation von Kreisbögen muss also dieParameter Radius, die Winkel für den Start- und Endpunkt und Translationsvek-tor speichern.

Mit der Definition der Datenstruktur zur Repräsentation von Kreisbögen, ist esmöglich, beliebig komplex aufgebaute Maßwerkmuster zu konstruieren. Die Vor-

61

5 Konzeption

aussetzung hierfür ist die Entschlüsselung der Aufbaulogik der Maßwerkmuster.Dazu muss festgestellt werden, aus wie vielen Kreisbögen ein Muster besteht. Füreinen einzelnen Kreisbogen muss bestimmt werden, an welcher Stelle im Musterer sich befindet.Die Herausforderung bei der Analyse der Aufbaulogik ist die schier unendlicheFormenvielfalt des Maßwerks. Stellvertretend soll hier eine Analyse der am häu-figsten eingesetzten Maßwerkformen vorgenommen werden.Häufig eingesetzte Maßwerkformen sind der Pass, das Blatt, der Schneuß und derSpitzbogen. Der Aufbau dieser Formen wird im Folgenden im Detail untersucht,und es wird eine Methode entwickelt, um diese Formen mit Hilfe der oben vorge-stellten Datenstruktur für Kreisbögen zu beschreiben.

5.2.1.1 Konstruktion für den Mehr-Pass

Der Mehr-Pass besteht aus einem äußeren Kreis, der mehrere Pässe enthält. EinPass wird aus einem einzigen Kreisbogen konstruiert, der seine zwei benachbartenKreisbögen und den äußeren Kreis in jeweils einem Punkt schneidet.

Der grundlegende Schritt zur Konstruktion eines Mehr-Passes besteht darin, zu-nächst den Typen des Mehr-Passes zu bestimmen (Dreipass, Vierpass, usw.). Da-mit wird festgelegt, wie viele Pässe bzw. Kreisbögen für die Konstruktion desMehr-Passes benötigt werden. Steht der Typ des Mehr-Passes fest, müssen dieeinzelnen Kreisbögen zur Konstruktion der Pässe definiert werden.

Die Struktur des Maßwerks weist an vielen Stellen symmetrische Eigenschaften auf.Daher ist bei der Konstruktion die Einhaltung der Symmetrie von entscheidenderBedeutung. Die Kreisbögen müssen den gleichen Radius und Öffnungswinkel be-sitzen, so dass sie durch Rotation und Translation ineinander überführbar sind. ImSpeziellen muss ein Kreisbogen in einem Mehr-Pass drehsymmetrisch zu den übri-gen Kreisbögen sein. Um diese Drehsymmetrie zu erhalten, werden die Kreisbögenkonzentrisch um den Mittelpunkt des Mehr-Passes positioniert. Dabei sollten dieKreisbögen in gleichmäßigen Abständen im Mehr-Pass angeordnet sein, d.h. dieMittelpunkte der Kreisbögen müssen den gleichen Abstand zueinander besitzen.Dazu wird der äußere Kreis des Mehr-Passes, der die Kreisbögen enthält, in gleichgroße Segmente eingeteilt. Die Anzahl der Segmente entspricht hierbei der Anzahlder Pässe. Besitzt der Mehr-Pass n Kreisbogen bzw. Pässe, so beträgt der Winkel

62

5 Konzeption

(a) Einteilung für Dreipass (b) Einteilung für Vierpass (c) Einteilung für Fünfpass

Abbildung 5.3: Einteilung von Mehr-Pässen in mehrere Segmente.

pro Segment 360◦

n(Abbildung 5.3). Bei einem Vierpass beträgt z.B. der Winkel

eines Segments 90◦.Jedem Kreisbogen wird ein Segment zugewiesen und der Mittelpunkt eines Kreis-bogens auf der Winkelhalbierenden des entsprechenden Kreissegments positioniert.So wird erreicht, dass der Kreisbogenmittelpunkt den gleichen Abstand zu den an-grenzenden Segmenten besitzt.

Berechnung des Radius für die Kreisbögen

Bei der Bestimmung des Radius der Kreisbögen ist die Anzahl der Pässe in einemMehr-Pass entscheidend. Hierbei gilt: je höher die Anzahl der Pässe desto kleinerist der Radius der Kreisbögen.Abbildung 5.4 zeigt die Berechnungsmethode für den Radius der Kreisbögen in-nerhalb eines Segments der Größe 120◦.

Sei r der gesuchte Radius der Kreisbögen. R ist der Radius des äußeren Kreisesund α der Winkel der Winkelhalbierenden des Segments. Der Radius r und derMittelpunkt (x, y) des Kreisbogens lassen sich wie folgt bestimmen:

r = sin α · (R− r)

⇔ r = (sin α ·R) − (sin α · r)

⇔ r + sin α · r = sin α ·R

⇔ r · (sin α + 1) = sin α ·R

⇔ r = R · sin α

sin α + 1

63

5 Konzeption

α

R− r

r

x

y = r

Abbildung 5.4: Berechnung der Kreisbogenradien für Mehrpässe.

Berechnung der Position der Kreisbögen

Der Mittelpunkt eines Kreisbogens befindet sich auf der Winkelhalbierenden desentscheidenden Kreissegments. Für die exakte Positionierung der Kreisbögen wirdder Abstand z zwischen dem Mittelpunkt des äußeren Kreises und dem Mittel-punkt eines Kreisbogens benötigt. Zur Berechnung des Abstands z stellt manfolgende Überlegung an:Jeder Kreisbogen berührt den Rand des äußeren Kreises an einem Punkt. DerAbstand zwischen dem Mittelpunkt eines Kreisbogens und dem Rand des äußerenKreises ist daher identisch zum Radius des Kreisbogens. Der Abstand z zwischenden Mittelpunkten kann durch den Radius R des äußeren Kreises und den Radiusr des Kreisbogens bestimmt werden.Für den Abstand z gilt damit: z = R− r.Da die Kreisbögen drehsymmetrisch zueinander sind, kann mit z die Position füralle Kreisbögen berechnet werden. Man definiert hierfür einen Vektor der Länge z.Durch Rotation des Vektors um den Mittelpunkt des äußeren Kreises lassen sichdie Positionen der Kreisbogen berechnen.Für einen bestimmten Rotationswinkel α des Vektors erhält man so die Koordi-naten x und y eines Kreisbogens im Mehr-Pass:

x = cos α · z

y = sin α · z

64

5 Konzeption

Abbildung 5.5: Einteilung eines Dreischneußes in mehrere Segmente.

Auf diese Weise lassen sich die Mittelpunkte aller Kreisbögen für verschiedeneWinkel α bestimmen.

5.2.1.2 Konstruktion für den Mehr-Schneuß

Ein Mehr-Schneuß wird aus einem äußeren Kreis und mehreren Kreisbögen kon-struiert. Die Kreisbögen sind drehsymmetrisch zueinander und bilden gemeinsamblasenförmige Muster. Jedes blasenförmige Element im Muster besteht aus genaueinem Kreisbogen. So enthält zum Beispiel ein Dreischneuß drei Kreisbögen, einVierschneuß vier Kreisbögen, usw. Ein Kreisbogen berührt an seinem Startpunkt(Abbildung 5.5 grün markiert) den benachbarten Kreisbogen auf seiner linken Sei-te und an seinem Endpunkt (Abbildung 5.5 rot markiert) den äußeren Kreis.Die Konstruktion von Mehr-Schneußen verläuft weitgehend analog zur Konstruk-tion von Mehr-Pässen. Auch hier wird zunächst der Typ bestimmt (Dreischneuß,Vierschneuß, Fünfschneuß, usw.) und anschließend der äußere Kreis in Segmenteeingeteilt (Abbildung 5.5). Die Anzahl der Segmente stimmt mit der Anzahl derKreisbögen überein. Wie bei Mehr-Pässen wird jedem Kreisbogen ein Segment zu-geordnet, um Drehsymmetrie zu erhalten.Die Bestimmung der Position und des Radius für die Kreisbögen in einem Mehr-Schneuß ist identisch mit der Berechnungsmethode bei Mehr-Pässen.

65

5 Konzeption

5.2.1.3 Konstruktion für das Mehr-Blatt

Bei einem Mehr-Blatt befinden sich in einem äußeren Kreis mehrere Spitzbögen.Ein Spitzbogen in einem Mehr-Blatt setzt sich aus zwei Kreisbögen zusammen,die den gleichen Radius besitzen. Jeder Spitzbogen schneidet seine beiden benach-barten Spitzbögen in jeweils einem Punkt. Darüber hinaus berührt er an seinemScheitelpunkt den Rand des äußeren Kreises.Die Spitzbögen sind konzentrisch um den Mittelpunkt des äußeren Kreises ange-ordnet. Ähnlich wie bei Mehr-Pass und Mehr-Schneuß lassen sie sich durch Rota-tion ineinander überführen.

Nach der Bestimmung des Typs für das Mehr-Blatt (Dreiblatt, Vierblatt, usw.)werden die Spitzbögen drehsymmetrisch angeordnet, indem der äußere Kreis inmehrere Segmente unterteilt wird. In jedem Segment wird ein Spitzbogen - beste-hend aus zwei Kreisbögen - platziert.

Berechnung des Radius für die Kreisbögen

Zur Berechnung des Radius der Kreisbögen in einem Segment wird ein gleichseiti-ges Dreieck zur Hilfe genommen. Hierbei werden die zwei Kreisbögen des Spitzbo-gens an zwei Seiten des Dreiecks angebracht (Abbildung 5.6 (a)). Der Radius derKreisbögen entspricht dabei der Seitenlänge des Dreiecks. Die Mittelpunkte derKreisbögen befinden sich an den Eckpunkten des gleichseitigen Dreiecks.

Die geometrischen Eigenschaften des gleichseitigen Dreiecks können dazu genutztwerden, den Radius der Kreisbögen zu bestimmen (Abbildung 5.6 (b)).

Sei r der gesuchte Radius der Kreisbögen. In einem gleichseitigen Dreieck sind alleWinkel gleich groß, somit gilt für den Winkel β = 60◦. Der Winkel α eines Segmentsim Mehr-Blatt ist abhängig von der Anzahl der Spitzbögen (In der Abbildung 5.6(b) ist ein Ausschnitt eines Dreiblatts zu sehen. Damit beträgt der Winkel α =

360◦/3 = 120◦). Den Winkel γ im Dreieck m1 m2 m3 erhält man durch γ =

180◦ − α/2− β/2.

Der Radius r der Kreisbögen lässt sich durch das Dreieck m1 m2 m3 bestimmen.Nach dem Sinussatz gilt:

sin α/2

r=

sin γ

R

66

5 Konzeption

(a) Konstruktion von Spitzbögendurch gleichseitige Dreiecke.

α

γ

β

x

R

r

m1

m2

m3

(b) Berechnung von Radius und Position der Kreisbögen

Abbildung 5.6: Konstruktion für Mehr-Blatt.

Hieraus erhält man die Gleichung r = sin α/2sin γ

·R. Da alle Kreisbögen den gleichenRadius besitzen, ist die Berechnung von r für einen Kreisbogen ausreichend.

Berechnung der Position der Kreisbögen

Sei x der Abstand zwischen dem Mittelpunkt des äußeren Kreises und dem Mit-telpunkt eines Kreisbogens. Man betrachtet wieder das Dreieck m1 m2 m3 in derAbbildung 5.6(b).Der Sinussatz liefert hier:

sin β/2

x=

sin γ

R

Diese Gleichung lässt sich in x = sin βsin γ

umformen. Auf Grund der Drehsymmetrieder Spitzbögen lässt sich mit x die Position aller Kreisbögen definieren. Hierzu gehtman von einem Vektor der Länge x aus und rotiert diesen um den Mittelpunktdes äußeren Kreises.

5.2.1.4 Konstruktion für Spitz- und Lanzettbögen

Die Spitz- und der Lanzettbögen werden aus zwei Kreisbögen konstruiert. DieKreisbögen haben den gleichen Radius und ihre Mittelpunkte befinden sich auf

67

5 Konzeption

derselben horizontalen Linie.

Der Spitzbogen und der Lanzettbogen sind ähnlich aufgebaut. Sie unterscheidensich lediglich in der Größe ihrer Radien. Man spricht von einem Spitzbogen, wennder Durchmesser der Kreisbögen größer ist als die Bogenspannweite. Ist hingegender Radius der Kreisbögen größer als die Bogenspannweite, so liegt ein Lanzett-bogen vor. Im Folgenden wird die Konstruktion für den Spitzbogen beschrieben.Alle Aussagen treffen hier aber auch auf den Lanzettbogen zu.

Berechnung des Radius für die Kreisbogen

Ein Spitzbogen lässt sich durch seine Höhe und Bogenspannweite eindeutig be-schreiben. Durch die Variation dieser beiden Größen können Spitzbögen verschie-dener Form erstellt werden. Sind Höhe und Bogenspannweite des Spitzbogens be-kannt, so kann man den Radius der Kreisbögen bestimmen. Abbildung 5.7 ver-deutlicht hierfür die Vorgehensweise:Sei R der zu bestimmende Radius der Kreisbögen, b die Bogenspannweite und h

die Höhe des Spitzbogens. Man bestimmt zunächst die Länge von a:

a =√

(b/2)2 + (h)2

Mit a lässt sich nun der Winkel α bestimmen:

a · cos α =b

2⇔ α = arccos(

b

a · 2)

Für den Radius R des Kreisbogens erhält man:

a

2= cos α ·R ⇔ R =

a

2· 1

cos α

Einfügen eines Kreises im Spitzbogen

Spitzbögen beinhalten oft weitere untergeordnete Maßwerkmuster. So kann sichz.B. ein Mehr-Pass innerhalb eines Spitzbogens befinden. Dazu muss der äußereKreis des Mehr-Passes (oder andere kreisförmige Maßwerkelemente) der Form desSpitzbogens angepasst werden. Der Radius und die Position des äußeren Kreisesmüssen so gewählt werden, dass der Kreis nicht über den Spitzbogen hinausragt.

68

5 Konzeption

α

a

a/2

b/2R

h

Abbildung 5.7: Radius für Spitzbogen.

Das Berechnungsprinzip für die Position und den Radius des äußeren Kreises istin der Abbildung 5.8 dargestellt.Aus Symmetriegründen muss der Mittelpunkt des Kreises den gleichen Abstandzu den beiden Kreisbögen besitzen. Dies wird dadurch erreicht, dass der Mittel-punkt des Kreises auf der Mittelsenkrechten (rot eingezeichnet) des Spitzbogenspositioniert wird. Die x-Koordinate des Kreismittelpunkts ist damit abhängig vonder Position der Mittelsenkrechten des Spitzbogens.

Der Kreis soll den unterem Rand des Spitzbogens genau in einem Punkt schneiden.Daher muss der Abstand zwischen Kreismittelpunkt und unterem Rand des Spitz-bogens identisch sein mit dem Radius des Kreises. Die y-Koordinate des Kreismit-telpunkts lässt sich somit aus dem Radius des Kreises ableiten.

Sei r der gesuchte Radius des Kreises und R der Radius der Kreisbögen. Füreinen Kreis, der die Kreisbögen in jeweils einem Punkt schneidet, hat die Distanzc zwischen Kreismittelpunkt und Kreisbogen die Länge von r (Abbildung 5.8).

Der Radius r muss also so gewählt werden, dass gilt: r = c.Für c ergibt sich:

R = b + c ⇔ c = R− b

mitb =

√r2 + a2

69

5 Konzeption

x

y

a

R

R

b

c

r

Abbildung 5.8: Einfügen eines Kreises in ein Spitzbogen.

Ersetzt man nun c in der Gleichung a = R− b durch r, so erhält man:

r = c = R− b

r = R−√

r2 + a2

R− r =√

r2 + a2

(R− r)2 = r2 + a2

R2 − 2 ·R · r + r2 = r2 + a2

−2 ·R · r = a2 −R2

r =−a2

2 ·R+

R

2

5.2.2 Generierung fraktaler Strukturen für das Maßwerk

Mit dem bisher vorgestellten Verfahren ist es möglich, verschiedene Elemente desMaßwerks zu generieren. Bis jetzt wurde jedoch die fraktale Struktur des Maß-werks nicht berücksichtigt. Der nächste Schritt besteht nun darin, die fraktaleStruktur miteinzubeziehen.Hierzu muss eine Methode entwickelt werden, die bei der Konstruktion von Ro-setten deren fraktale Struktur ausnutzt.

Die hier präsentierte Methode basiert auf dem Rückkopplungsverfahren, das be-

70

5 Konzeption

reits im Kapitel 2.4.1 erörtert wurde.Im speziellen Fall des Rückkopplungsverfahren für die Konstruktion von Rosettenist die Rückkopplungsmaschine wie folgt definiert:

1. Die Eingabe besteht aus einem Maßwerkelement.

2. Die Prozessoreinheit erstellt (basierend auf der Eingabe) ein neues Maßwer-kelement.

3. Die Kontrollparameter sind: Rekursionstiefe und Anzahl der selbstähnlichenKopien, die eingefügt werden sollen.

4. Die Ausgabe besteht aus einem Maßwerkelement, dass nun selbstähnlicheKopien von sich beinhaltet.

Die Rückkopplungsmaschine akzeptiert ein Maßwerkelement als Eingabe. Die Pro-zessoreinheit der Rückkopplungsmaschine erstellt eine bestimmte Anzahl verklei-nerter Kopien der Eingabe und fügt die Kopien wieder in die Eingabe ein. Zudiesem Zweck werden in der Prozessoreinheit verschiedene Operationen wie Ska-lierung, Translation und Rotation auf der Eingabe durchgeführt.Wie viele Kopien der Eingaben erstellt werden sollen, wird durch einen Kontrollpa-rameter definiert. Die Anzahl der Kopien wirkt sich auf die Struktur des Maßwer-kelements aus. Je mehr Kopien eingefügt werden sollen, desto kleiner fällt jeweilseine Kopie aus, da weniger Platz zur Verfügung steht.Ein weiterer Parameter bei der Erzeugung von Maßwerkelementen durch die Rück-kopplungsmaschine ist die Rekursionstiefe. Sie entscheidet darüber, wie viele Schrit-te des Rückkopplungsverfahrens für die Eingabe ausgeführt werden sollen. Im er-sten Rekursionsschritt werden verkleinerte Kopien für die Eingabe erstellt undeingefügt; im zweiten Schritt werden verkleinerte Kopien für die im vorangegange-nen Schritt generierten Kopien erstellt. Diese im zweiten Schritt erstellten Kopienwerden in die im ersten Schritt erstellten Kopien eingefügt.Als Ausgabe liefert die Rückkopplungsmaschine das neu erzeugte Maßwerkele-ment.

Auf diese Weise entsteht ein Maßwerkelement, das aus verkleinerten Kopien vonsich selbst aufgebaut ist. Vergrößert man das neu erzeugte Maßwerkelement anbestimmten Stellen, so erhält man wieder eine Struktur, die identisch zur Aus-gangsstruktur aufgebaut ist. Dies entspricht der Eigenschaft der Selbstähnlichkeit

71

5 Konzeption

Abbildung 5.9: Rückkopplungsverfahren für Maßwerk.

bei fraktalen Geometrien. Das erzeugte Maßwerkelement besitzt damit fraktaleEigenschaften.Würde man unendliche viele Schritte des Rekursionsverfahrens für eine Eingabeanwenden, so würde man ein „echtes“ Fraktal enthalten. Bei solch einem Maß-werkelement könnte man eine beliebige Vergrößerung vornehmen und immer nochselbstähnliche Elemente beobachten.Solche Überlegungen sind jedoch lediglich theoretischer Natur, da Praktische Fak-toren wie Rechenkapazität oder Speichergröße der Rekursionstiefe Grenzen set-zen.

Das hier vorgestellte rekursive Verfahren zur Generierung von Maßwerk bietet dreiVorteile:

1. Automatisierung der Konstruktion.

2. Konstruktion komplexer Muster.

3. Konstruktion authentischer Muster.

Automatisierung der Konstruktion

Eine prozedurale Konstruktionsmethode, die Maßwerk fraktal aufbaut, generiertdie Strukturen automatisch. Für eine übergeordnete Struktur werden dabei dieuntergeordneten Kopien rekursiv hinzugefügt. Daher ist es nicht notwendig, dieKopien per Hand zu konstruieren und einzusetzen, was den Modellierungsaufwandreduziert.

72

5 Konzeption

Abbildung 5.10: Erzeugung dreidimensionaler Objekte durch Kurve und Fläche.

Konstruktion komplexer Muster

Durch das Hinzufügen von rekursiv erzeugten Strukturen, gewinnen die Muster anKomplexität. Je höher die Rekursionstiefe, desto mehr Strukturen werden hinzuge-fügt. Daher ist bei der rekursiven Konstruktion das Erstellen komplexer Strukturenwesentlich leichter als deren Modellierung per Hand.

Konstruktion authentischer Muster

Maßwerk ist hierarchisch aufgebaut. Das rekursive Verfahren erzeugt ebenfallshierarchisch aufgebaute Strukturen. Hierbei werden Strukturen erzeugt, die klei-nere Kopien beinhalten, die ihrerseits wiederum aus kleineren Kopien bestehenusw. Die Hierarchie im Aufbau von „echten“ Maßwerkmustern wird also durch dierekursive Methode imitiert.

5.2.3 Übergang zu dreidimensionalen Strukturen

Bisher wurden Methoden vorgestellt, mit denen es möglich ist, Maßwerkelementerekursiv zu konstruieren. Das hier zu Grunde liegende Datenmodell basiert jedochauf eindimensionalen Geometrien16. Ziel dieser Arbeit ist es, gotische Rosettenmit ihrer dreidimensionalen Struktur am Rechner darzustellen. Dafür ist es erfor-derlich aus der Beschreibung des Maßwerks eine dreidimensionale Darstellung zuproduzieren.

16Eindimensionale Kreisbögen bzw. eindimensionale Kurven

73

5 Konzeption

1 2 3 4−1−2−3−4

1

2

3

4

−1

−2

−3

−4

Abbildung 5.11: Definition eines kreuzförmigen Profils.

Hierzu wird eine Verfahren angewandt, das aus der vorliegenden Definition einerzweidimensionalen Fläche und einer Kurve ein dreidimensionales Objekt erzeugt.Dabei wird die Fläche senkrecht entlang der Kurve bewegt. Das Volumen desdreidimensionalen Objekts wird über den Pfad definiert, den die Fläche beim Ent-langfahren an der Kurve zurücklegt (Abbildung 5.10).

Die zur Erzeugung der dreidimensionalen Struktur eingesetzten Fläche, kann alsdas Profil des Maßwerks betrachtet werden, das man erhält, wenn man den Quer-schnitt der Maßwerkbahnen betrachtet.

Die Datenstruktur zur Beschreibung des Maßwerks besteht aus exakten Kreis-bögen; diese können hier als Kurven aufgefasst werden. Damit liegt die für dasVerfahren benötigte Definition der Kurven bereits vor.Des Weiteren muss eine Definition für eine Fläche angegeben werden, um dreidi-mensionale Objekte erzeugen zu können. Es wird eine Datenstruktur benötigt, mitder es möglich ist, Flächen unterschiedlicher Form zu beschreiben.Hierfür wird eine einfache Datenstruktur benutzt, die lediglich die Eckpunkte derFläche speichert. Die Informationen über die Lage der Eckpunkte ist ausreichend,um eine Fläche zu definieren. Verbindet man benachbarte Eckpunkte, erhält maneine geschlossene Kurve, die den Rand der Fläche beschreibt.So lässt sich beispielsweise ein kreuzförmiges Profil über zwölf verschiedene Ko-

ordinaten konstruieren (Abbildung 5.11).

74

5 Konzeption

(a) Kein Problem am Schnittpunkt bei 1DKreisbögen

(b) Lücke und Überschneidung am Schnitt-punkt bei 2D/3D Kreisbögen

Abbildung 5.12: Schnittpunkte zwischen Kreisbögen.

Mit den oben beschriebenen Datenstrukturen für Kurven und Flächen ist nun dieVoraussetzung gegeben, die es erlaubt aus der Beschreibung der eindimensionalenStruktur des Maßwerks eine dreidimensionale Darstellung zu generieren.

5.2.3.1 Zusammenfügen von Kreisbögen

Bei der Generierung von Maßwerk müssen die Schnittstellen zwischen den Kreis-bögen gesondert behandelt werden. Beim Zusammenfügen von eindimensionalenKreisbögen gibt es keine Probleme an den Schnittstellen. Die Kreisbögen schnei-den sich an der richtigen Stelle.Beim Zusammenfügen von dreidimensionalen Kreisbögen kann es jedoch zu Dar-stellungsfehlern an den Schnittstellen kommen. Die Kreisbögen überschneiden sichund es sind Lücken zwischen ihnen sichtbar (Abbildung 5.12).

Das Problem der Lückenbildung bzw. der Überschneidung hängt damit zusammen,dass die Fläche, die für die Erzeugung der dreidimensionalen Struktur verwendetwird, sich stets senkrecht auf der Kurve befindet. Die Lage der Fläche an einemPunkt auf der Kurve ist damit abhängig von der Steigung der Kurve am entspre-chenden Punkt.Falls sich zwei Kreisbögen schneiden und ihre Steigungen am Schnittpunkt unter-schiedlich sind, so unterscheiden sich auch die Flächen am Schnittpunkt in ihrer

75

5 Konzeption

(a) Kreisbögen am Schnittpunkt vor derRotation

(b) Kreisbögen am Schnittpunkt nach derRotation

Abbildung 5.13: Stauchung der Kreisbögen am Schnittpunkt.

Lage. Dadurch entsteht eine Lücke, da die Flächen nicht sauber aneinander gefügtwerden können. Für eine fehlerfreie Darstellung ist es daher notwendig, dass diebeiden Flächen am Schnittpunkt parallel zueinander liegen. Auf diese Weise fügensich die Kreisbögen lückenlos aneinander.

Um zu erreichen, dass zwei Kreisbögen ohne Lücke aufeinander treffen, müssen dieNeigungswinkel der Flächen am Schnittpunkt der Kreisbögen miteinander vergli-chen werden. Anschließend müssen die Flächen unter Umständen so rotiert werden,dass sie parallel zu einander liegen.Der benötigte Rotationswinkel für die Flächen ist einfach zu berechnen, indemman den Öffnungswinkel α der Lücke zwischen den beiden betroffenen Kreisbögenmisst. Der Winkel α entspricht gerade der Differenz zwischen den beiden Neigungs-winkeln der Flächen. Anschließend wird die Fläche für den linken Kreisbogen umα/2 im Uhrzeigersinn gedreht, während die Fläche für den rechten Kreisbogen umα/2 gegen den Uhrzeigersinn gedreht werden muss (Abbildung 5.13).

Durch die Rotation der Flächen am Schnittpunkt zweier Kreisbögen lässt sich dieLücke schließen. Dies führt jedoch zu einem neuen Darstellungsfehler: Die Rotati-on verursacht eine Stauchung des Kreisbogens am Schnittpunkt.Dieses Problem ist schematisch in der Abbildung 5.13 veranschaulicht, wobei dieKreisbögen am Schnittpunkt vergrößert dargestellt sind. Es handelt sich hier umeine zweidimensionale Darstellung. Das Problem tritt jedoch prinzipiell auch beidreidimensionalen Kreisbögen17 auf. Die Flächen sind hier als schwarze Linien ein-

17Abbildung 5.13 kann auch als dreidimensionales Bild aufgefasst werden. Man stelle sich vor,die Kreisbögen lägen parallel zur x-y-Achse und man betrachte das Bild von oben entlang

76

5 Konzeption

α

b

b/2x/2

x/2

Abbildung 5.14: Berechnung des Streckungsfaktors.

gezeichnet, der Öffnungswinkel der Lücke zwischen den Kreisbögen ist rot markiert(Abbildung 5.13 (a)).Abbildung 5.13 (b) zeigt denselben Ausschnitt nach der Durchführung der Rotati-on für die Flächen. Es ist zu erkennen, dass sich nun die Kreisbögen an einer Linieberühren und die Lücke nicht mehr auftritt. Die Breite der Kreisbögen nimmt aberin Richtung Schnittpunkt immer weiter ab. Der Grund hierfür sind die neuen Nei-gungswinkel der Flächen. Da die Flächen am Schnittpunkt nicht mehr senkrechtauf den Kreisbögen stehen, ändert sich die Breite der Kreisbögen an der Schnitt-stelle.Um zu erreichen, dass die Kreisbögen überall die selbe Breite besitzen, müssen siean den entsprechenden Stellen wieder gestreckt werden.

Hierzu muss zunächst der Faktor bestimmt werden, um den der Kreisbogen amSchnittpunkt gestreckt werden soll. Dieser Faktor wird bestimmt durch die ur-sprüngliche Breite der Fläche am Schnittpunkt und der Breite der Fläche nachder Streckung:

Streckungsfaktor f =Breite der Fläche nach StreckungBreite der Fläche vor Streckung

In der Abbildung 5.14 sind die wesentlichen Größen zur Berechnung des Streckungs-faktors zu sehen: Die ursprüngliche Breite b der Fläche, die rotierte Fläche (graueingezeichnet) mit der Breite x und der Rotationswinkel α.Die ursprüngliche Breite b ist bekannt. Um den Streckungsfaktor f zu erhalten,muss x berechnet werden. Es gilt:

b

2= cos α · x/2 ⇔ x =

b

cos α

der z-Achse.

77

5 Konzeption

(a) (b)

(c)

Abbildung 5.15: Streckung der Kreisbögen am Schnittpunkt.

Für den Streckungsfaktor ergibt sich:

Streckungsfaktor f =b/ cos α

b=

1

cos α

Mit Hilfe der angestellten Berechnungen können die Kreisbogen nun an den Schnitt-punkten gestreckt werden. Die Stauchung an den Schnittpunkten wird dadurchbeseitigt (Abbildung 5.15).

5.2.4 Komposition der Rosette aus Maßwerkelementen

Im vorherigen Teil des Kapitels wurde die Konstruktionsweise für einige Elementedes Maßwerks beschrieben. Diese einzelnen Elemente werden mit einander kombi-niert, um verschieden Maßwerkmuster für Rosetten zu erstellen.

78

5 Konzeption

Abbildung 5.16: Komposition der Rosette, Rayonnant-Stil.

An dieser Stelle wird eine Methode zur Komposition von Maßwerkmuster vorge-stellt, die den Rayonnant-Stil (siehe Kapitel 3.3.2) nachahmt.Abbildung 5.16 gibt eine schematische Darstellung einer Rosette in Rayonnant-Stil wieder. Der äußere Kreis der Rosette (Abbildung 5.16 rot) bildet den Aus-gangspunkt für die Konstruktion. Alle weiteren Elemente werden innerhalb diesesKreises angeordnet. Zur Erzeugung des Musters wird zunächst ein ringförmigesMaßwerkelement (Mehr-Pass, Mehr-Blatt oder Mehr-Schneuss) in der Kreismitteplatziert. Dieses Element bildet das Zentrum des Musters (Abbildung 5.16 grün)von dem aus alle übrigen Maßwerkelemente strahlenförmig zum Rand des äuße-ren Kreises verlaufen. Hierzu wird die Rosette zunächst in gleichgroße Segmenteeingeteilt und in jedes Segment ein Spitzbogen (Abbildung 5.16 blau) eingefügt.Dadurch werden die Spitzbogen konzentrisch um den Mittelpunkt der Rosette an-geordnet.Nach dieser grundlegenden Einteilung der Struktur des Maßwerkmusters werdenweitere Elemente hinzugefügt. Dies geschieht mit Hilfe der Rückkopplungsmaschi-ne, die für die einzelnen Komponenten des Musters fraktale Strukturen erzeugt,was die Komplexität der Struktur erhöht. Beispielsweise werden für ein Spitzbogenverkleinerte Kopien seiner selbst erstellt und anschließend zu diesem hinzugefügt(Abbildung 5.16 orange).Die verschiedenen Parameter die die Komposition des Musters beeinflussen, wiez.B. Radius der Rosette, Anzahl der Segmente oder Rekursionstiefe der Rück-

79

5 Konzeption

kopplungsmaschine werden vom Benutzer definiert. Dadurch ist es möglich, eineVielzahl von Mustervarianten in Rayonnant-Stil zu erzeugen.

Zusammenfassung

In diesem Kapitel wurde ein Modell zur Beschreibung von Maßwerk basierendauf Kreisbögen entwickelt und anschließend die Konstruktion für die Maßwer-kelemente Mehr-Pass, Mehr-Blatt, Mehr-Schneuss und Spitz- bzw. Lanzettbogenerläutert. Um selbstähnliche Strukturen für diese Elemente rekursiv zu generieren,wurde das Rückkopplungsverfahren angewandt. Im Anschluss wurde eine Metho-de vorgestellt, die aus der Beschreibung der Kreisbogen dreidimensionale Objekteerzeugt. Im Schlussteil des Kapitels wurde ein Verfahren zur Komposition desMaßwerkmusters beschrieben, die den Rayonnant-Stil nachahmt.Im nächsten Kapitel folgt die Darlegung der Implementierungsdetails eines Proto-typs, der das erarbeitet Konzept umsetzt.

80

6 Implementierung

In diesem Kapitel wird die praktische Umsetzung des erarbeiteten Konzepts ge-schildert.

Gliederung des Kapitels

Zunächst erfolgt eine Einführung in die Funktionsweise des Szenengraphen vonOGRE. Anschließend wird die Klassenstruktur der Implementierung mit einigenQuelltextbeispielen vorgestellt. Zuletzt werden einige durch das Programm gene-rierte gotische Rosetten präsentiert.

6.1 Der Szenengraph von OGRE

Wie in der Anforderungsanalyse dargestellt, besteht die Aufgabenstellung dar-in, die Implementierung mit dem Szenengraphen von OGRE zu realisieren. OG-RE (Object-Oriented Graphics Rendering Engine) ist eine quelloffene Programm-bibliothek zum Rendering von 3D-Grafik. OGRE ist in C++ implementiert undbietet eine transparente Schnittestelle zu Direct3D und OpenGL. Dadurch ist esmöglich OGRE auf Plattformen einzusetzen, die Direct3D oder OpenGL unter-stützen. Zurzeit ist OGRE lauffähig auf Windows, Linux und Mac OSX.

Ein besonderes Leistungsmerkmal von OGRE ist die Bereitstellung eines Szenen-graphs.Ein Szenengraph wird zur Verwaltung der logischen und räumlichen Strukturenin einer zwei- oder dreidimensionalen Szene eingesetzt. Dazu werden die Objekteinnerhalb der Szene in einer Baumstruktur angeordnet.Der Baum des Szenengraphs besteht aus einem Wurzelknoten, der weitere unter-geordnete Knoten enthält. Diese untergeordneten Knoten können wiederum selbst

81

6 Implementierung

Knoten enthalten, und somit selbst Wurzel eines Teilbaums sein. Darüber hin-aus kann ein Knoten Informationen wie Transformation, Geometrie oder Materialspeichern.Jedes Objekt der Szene wird einem Knoten zugewiesen. Durch die hierarchischeAnordnung der Knoten werden die Objekte in Beziehung zu einander gebracht.Eine Operation, die auf einem Knoten ausgeführt wird, wirkt sich nicht nur aufdas Objekt des Knotens aus, sondern auch auf die Objekte aller untergeordnetenKnoten.Diese Eigenschaft des Szenengraphs ermöglicht eine hierarchische Verwaltung derObjekte für eine Szene.

Von OGRE bereitgestellte Klassen

Vor der Präsentation der eigentlichen Klassen zur Generierung von fraktal er-zeugten Rosetten, sollen hier zunächst einige von OGRE zur Verfügung gestell-ten Klassen vorgestellt werden. Diese Klassen sind elementarer Bestandteil einerdurch OGRE gerenderten Szene und werden von jeder Applikation, die OGREzum Rendering benutzt, instanziert. Alle hier aufgelisteten Klassen befinden sichim Namensraum (C++ namespace) Ogre.

Ogre::Root

Die Klasse Root stellt den Ausgangspunkt für eine Applikation dar, die auf dieFunktionalität von OGRE zugreifen möchte. Ein Root-Objekt muss als Erstes in-stanziert werden, bevor auf andere Teile des OGRE-Systems zugegriffen werdenkann. Die Erstellung eines Root-Objekts ist daher obligatorisch, um eine Szenemit OGRE rendern zu können.Das Root-Objekt liefert Referenzen auf die grundlegenden Komponenten von OG-RE. Zum Beispiel kann man von Root ausgehend auf den SceneManger und Ren-derSystem zugreifen. Unter anderem stellt das Root-Objekt die Methode startRen-dering() bereit, die den Rendering-Vorgang startet.

Ogre::RenderSystem

Die abstrakte Klasse RenderSystem bietet eine Schnittstelle zu der verwendeten3D-API (z.B Direct3D oder OpenGL). Seine Aufgabe besteht darin, Renderingan-

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6 Implementierung

weisungen an die 3D-API weiterzuleiten. Die durch RenderSystem bereitgestellteAbstraktionsschicht erlaubt es dem Benutzer auf die Rendering-Funktionen vonOGRE zurückzugreifen, ohne auf die Implementierungsdetails einer bestimmten3D-API achten zu müssen.

Ogre::SceneManager

Der SceneManager verwaltet den Inhalt der Szene. Die Klasse SceneManger istzuständig für die Erzeugung und Verwaltung von Kameras, beweglichen und un-beweglichen Objekten, Lichtquellen und Materialien (Erscheinungsform der Ober-flächen von Objekten). Bei Bedarf sendet der SceneManager die Szene an dasRenderSystem, um den Inhalt der Szene darstellen zu lassen.

Ogre::SceneNode

Die Knoten im Szenengraph von OGRE werden durch die Klasse SceneNode mo-delliert. Um Objekte aus der Szene darzustellen, werden diese an SceneNode-Objekte angehängt. Auf einem SceneNode können Operationen wie Translation,Skalierung und Rotation durchgeführt werden. Diese Operationen wirken sich auchauf die untergeordnete Knoten und Objekte aus.

Ogre::Entity und Ogre::ManualObject

Um Geometrien in OGRE zu definieren, stehen zwei Methoden zur Verfügung.Bei der ersten Methode wird die Entity-Klasse benutzt, um Objekte in der Szenezu repräsentieren. Hierzu wird zunächst durch ein Mesh-Objekt die Geometrie-beschreibung (z.B. Dreieckskoordinaten) des Objekts definiert. Die Initialisierungeines Mesh-Objekts kann durch das Herauslesen der benötigten Informationen auseiner Datei erfolgen. OGRE bietet hier das eigene Dateiformat „ .mesh“ an. Initia-lisierte Mesh-Objekte werden schließlich an Entity-Objekte angefügt, um diese inder Szene anzuzeigen.Die zweite Methode basiert auf der Klasse ManualObject. Hier wird eine Schnitt-stelle zur Definition der Geometrie angeboten, die der Schnittstelle von OpenGLstark ähnelt. Durch ManualObject ist es möglich, die Informationen zu einemVertex (z.B. Koordinaten, Normalenvektor, Farbe, usw.) manuell anzugeben.

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6 Implementierung

Für die Implementierung wurde zunächst die Methode basierend auf der KlasseManualObject gewählt, da ManualObject mit seiner durch OpenGL inspiriertenSchnittstelle eine intuitive Möglichkeit zur Definition der Geometriedaten bietet.Diese Wahl erwiest sich jedoch nicht als zufriedenstellend, da mit ManualObjectdie gewünschten Bildwiederholungsraten nicht erreicht werden konnten. Aus die-sem Grund wurde zur Definition von Geometrien auf die Mesh-Klasse zurückge-griffen, mit der bessere Ergebnisse erzielt werden konnten.

6.2 Übersicht der Programmarchitektur

Nach der Vorstellung der zu OGRE gehörenden Klassen wird an dieser Stelle dieArchitektur der eigenen Implementierung erläutert. Zunächst wird ein Überblickder Programmstruktur geliefert, und als nächstes werden die einzelnen Teilkom-ponente der Architektur detailliert besprochen.

Die Programmstruktur lässt sich in 3 große Bereiche aufteilen:

• Geometriebeschreibung.

• Rendering.

• Maßwerksrepräsentation.

Die Geometriebeschreibung umfasst Klassen, die Datenstrukturen zur Beschrei-bung der geometrischen Form von Maßwerk enthalten. Rendering-Klassen greifenauf OGRE zurück, um aus einer Geometriebeschreibung dreidimensionale Objektein der Szene zu erstellen. Klassen der Maßwerksrepräsentation dienen dazu, Maß-werksinstanzen innerhalb einer OGRE-Szene zu repräsentieren.Die Klassenhierarchie dieser drei Bereiche wird in den folgenden Abschnitten de-tailliert betrachtet.

6.3 Geometriebeschreibung

Wie bereits im Kapitel 5.2.1 erwähnt, muss zur Modellierung von Rosetten dasMaßwerk in seine Bestandteile zerlegt und seine geometrische Struktur analysiertwerden. Zur Darstellung am Rechner ist es notwendig, die Geometrie des Maßwerks

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6 Implementierung

in einer geeigneten Form durch die Implementierung zu modellieren. Hierzu werdenspezielle Klassen verwendet, die die Geometrie des Maßwerks repräsentieren bzw.beschreiben.

Beim Design der Klassen wurde versucht, die Beschreibung der Geometrie von derKonstruktion der Geometrie über einer 3D-API zu trennen. Damit wird das Zielverfolgt, die Beschreibung der Maßwerkstruktur unabhängig von OGRE zu gestal-ten. Dies erleichtert einerseits die Codeverwaltung und Fehlersuche. Andererseitswird eine spätere Portierung erleichtert, da nur die OGRE-abhängigen Klassenreimplementiert werden müssen.

Bei den Klassen zur Beschreibung der geometrischen Formen kann grundsätzlichzwischen zwei Typen unterscheiden werden:

• Klassen zur Beschreibung einfacher geometrischer Formen.

• Klassen zur Beschreibung komplexer und zusammengesetzter Formen.

Klassen zur Beschreibung von einfachen geometrischer Formen repräsentieren ein-fache geometrische Typen wie Linie oder Kreisbogen. Diese Klassen bilden dieBausteine für komplexere Formen.

Mit den Klassen zur Beschreibung von komplexen und zusammengesetzten Formenwerden komplette Maßwerksmuster beschrieben. Z.B. beschreiben diese Klassendie Form von Mehr-Pässen und Mehr-Blättern.

Klassenhierarchie der Geometriebeschreibung

Alle Klassen zur Beschreibung von geometrischen Formen sind abgeleitet von derKlasse RoseGeometry.Direkt abgeleitet von RoseGeometry sind die Klassen RosePrimitiveGeometry undRoseComplexGeometry.

RosePrimitiveGeometry stellt die Basisklasse aller Klassen zur Beschreibung voneinfachen geometrischen Formen dar. Wie aus dem UML-Diagramm ersichtlich(Abbildung 6.1), schließt dies die Klassen RoseProfile, RoseProfiledGeometry, Ro-seLine und RoseArc ein.

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6 Implementierung

Abbildung 6.1: Klassenhierarchie der Geometriebeschreibung.

Die Klasse RoseProfile repräsentiert das Profil für das Maßwerk. Dieses Profilentspricht gerade der Fläche, die eingesetzt wird, um aus der Beschreibung derKreisbogen ein dreidimensionales Objekt zu erzeugen (siehe Kapitel 5.2.3). DasProfil wird in RoseProfile als ein Polygon gespeichert. Zur Beschreibung der Formdes Polygons wird ein Satz von Koordinaten in der zy-Ebene verwendet (Abbil-dung 5.11). Diese Koordinaten stellen die Eckpunkte des Polygons dar. Als Da-tenstruktur zur Speicherung der Koordinaten wird die Klasse std::vector aus derC++-Standardbibliothek eingesetzt.

Geometrische Formen, die ein Profil benötigen, werden von der Klasse RoseProfi-ledGeometry abgeleitet. Diese Klasse bietet eine Schnittstelle zur Verwaltung einesRoseProfile-Objekts.

Kreisbogen werden durch die Klasse RoseArc modelliert. RoseArc beinhaltet allenötigen Parameter zur Beschreibung eines exakten Kreisbogens. Da das Maßwerkausschließlich aus Kreisbogen besteht, wird die Klasse RoseArc hauptsächlich zurKonstruktion von Maßwerkelementen verwendet.RoseArc ist von der Klasse RoseProfiledGeometry abgeleitet und besitzt damit einProfil. Um das Profil für ein Maßwerkelement festzulegen, muss man das gewünsch-te Profil für die Kreisbogen, aus denen das Maßwerkelement besteht, definieren.

Die Klasse RoseLine stellt das Modell einer geraden Linie dar. Eine Linie kann überdie Angabe der Start- und Endkoordinate definiert werden. Wie RoseArc ist auchRoseLine von RoseProfiledGeometry abgeleitet und besitzt damit ein Profil.

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6 Implementierung

RoseComplexGeometry ist die Basisklasse aller Klassen zur Beschreibung von kom-plexen geometrischen Formen. Jede Klasse, die die Beschreibung eines Maßwerk-elements komplett enthält, wird von RoseComplexGeometry abgeleitet.Bei RoseComplexGeometry handelt es sich um eine abstrakte Klasse, die selbstnicht instanziert werden kann. RoseComplexGeometry enthält die rein virtuelleFunktion makeCopy(), die dazu dient verkleinerte Kopien der beschriebenen Struk-tur zu erstellen. Subklassen von RoseComplexGeometry müssen dementsprechenddie Funktion makeCopy() implementieren.Zur Beschreibung der Maßwerkstruktur greift RoseComplexGeometry auf RoseArcbzw. RoseLine zurück. Durch die Kombination von Kreisbogen und Linien lässtsich die Aufbaustruktur verschiedener Maßwerkelemente beschreiben.

In RoseComplexGeometry wird bei der geometrischen Struktur zwischen zweiHierarchiestufen unterschieden. Die Beschreibung der Aufbaustruktur ist einge-teilt in:

• übergeordnete Geometrie des Maßwerkelements

• untergeordnete Geometrie des Maßwerkelements

Mit der übergeordneten Geometrie des Maßwerkelements werden die Strukturendes Maßwerkelements beschrieben, die selbst weitere kleinere Substrukturen um-fassen.Die untergeordnete Geometrie oder Subgeometrie bezieht sich auf untergeordneteStrukturen im Maßwerkelement. Diese Strukturen befinden sich innerhalb größererübergeordneter Strukturen.Die Unterscheidung dieser beiden Hierarchiestufen ist vor allem bei der Gene-rierung von selbstähnlichen Strukturen für das Maßwerkelement von besondererBedeutung. Soll etwa ein Maßwerkelement durch Kopien seiner selbst aufgebautwerden, so muss die Subgeometrie durch verkleinerte Kopien des Maßwerkelementsersetzt werden. Dazu muss die Subgeometrie zunächst aus dem Maßwerkelemententfernt werden. Hierfür muss unterschieden werden, welche Strukturen zu derSubgeometrie gehören und welche Teil der übergeordneten Geometrie sind.Um zwischen den übergeordneten und untergeordneten Geometrien unterscheidenzu können, werden die zugehörigen Strukturen in RoseComplexGeometry in zweiverschiedenen C++ Vektoren verwaltet.

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6 Implementierung

Zur Beschreibung der Geometrie eines bestimmten Maßwerkelements, wird jeweilseine Klasse benutzt, die von RoseComplexGeometry abgeleitet wird. In der Im-plementierung sind die folgenden Klassen vorhanden, die die Geometrie von Maß-werkelementen beschreiben:

RoseRingShape

Die Klasse RoseRingShape enthält die Beschreibung für eine ringförmiges Element.Sie ist die Basisklasse für alle Klassen, deren beschriebene Geometrie ringförmigist.

RoseMouchette

Die Klasse RoseMouchette18 generiert und speichert die Geometriebeschreibungfür den Mehr-Schneuß. Hiermit ist es möglich beliebige Varianten (z.B. Drei-schneuß, Vierschneuß, Fünfschneuß, . . . ) für das Mehr-Schneuß zu erzeugen.Der Default-Konstruktor der Klasse ist als private deklariert und kann daher nichtzur Konstruktion eines Objekts verwendet werden. Um die Klasse RoseMouchet-te zu instanzieren, muss ein Konstruktor aufgerufen werden, der vier Parametererwartet:

1. Radius des Mehr-Schneuß.

2. Position des Mehr-Schneuß.

3. Anzahl der blasenförmigen Elemente im Mehr-Schneuß.

4. Lage der Figur (liegend oder stehend).

Der Konstruktor ruft die Elementfunktion generateMouchettes() auf. Die FunktiongenerateMouchette() erstellt den äußeren Kreis als übergeordnete Struktur und dieKreisbogen innerhalb des äußeren Kreises als untergeordnete Strukturen für denSchneuß.

RoseRoundedFoil

Zur Konstruktion der Geometriebeschreibung von einem Mehr-Pass wird die Klas-se RoseRoundedFoil benutzt. Die Anzahl der Pässe kann beliebig gewählt werden.

18engl. Mouchette: Schneuß, Fischblase

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6 Implementierung

Der Konstruktor der Klasse muss wie bei der Klasse RoseMouchette mit vier Para-meter aufgerufen werden. Neben dem Radius des äußeren Kreises der Position undLage der Figur muss die Anzahl der Pässe im Mehr-Pass angegeben werden. DieGeometriebeschreibung wird durch die Elementfunktion generateRoundedFoils()erstellt. Hierbei gehört der äußere Kreis zu der übergeordneten Struktur und diePässe zu der untergeordneten Struktur.

RosePointedFoil

Mehr-Blätter werden durch die Klasse RosePointedFoil modelliert. RosePointed-Foil ist imstande Mehr-Blätter mit unterschiedlicher Anzahl von Blättern zu er-zeugen (Dreiblatt, Vierblatt, usw.).Wie bei RoseMouchette und RoseRoundedFoil benötigt der Konstruktor von Ro-sePointedFoil vier Parameter. Der dritte Parameter spezifiziert in dieser Klassedie Anzahl der Blätter.Die Elementfunktion generatePointedFoil() generiert die Geometriebeschreibungfür das Mehr-Blatt. Die Blätter im Inneren des äußeren Kreises zählen zu denuntergeordneten Strukturen, während der äußere Kreis selbst die übergeordneteStruktur bildet.

RosePointedArc

Durch die Klasse RosePointedArc kann die Geometriebeschreibung für Spitzbo-gen (und Lanzettbogen) definiert werden. Es können für Spitzbogen verschiedeneFormen beschrieben werden, indem der Konstruktor mit den entsprechenden Pa-rametern aufgerufen wird.Der Konstruktor von RosePointedArc erwartet vier Parameter:

1. Gesamthöhe.

2. Öffnungswinkel.

3. Bogenhöhe.

4. Fußhöhe.

Abbildung 6.2 veranschaulicht welche geometrischen Größen innerhalb eines Spitz-bogens durch diese vier Parameter beeinflusst werden können.

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6 Implementierung

Öffnungswinkel

Gesamthöhe

Bogenhöhe

Fußhöhe

Abbildung 6.2: Parameter zur Beschreibung eines Spitzbogens.

Die Geometriebeschreibung des Spitzbogens wird durch die Elementfunktion ge-neratePointedArc() konstruiert.Ein Spitzbogen kann ein kreisförmiges Maßwerkelement enthalten. So kann zumBeispiel ein Mehr-Blatt innerhalb eines Spitzbogens eingesetzt werden. Dazu musszunächst der Radius des Mehr-Blatts an die Größe des Spitzbogens angepasst wer-den. Durch die Funktion calculateRingShapeRadius() kann der erforderliche Radiusfür ein kreisförmiges Maßwerkelement, das innerhalb des Spitzbogens eingesetztwerden soll, berechnet werden. Anschließend wird über die Funktion setRingSha-pe() die Geometriebeschreibung des kreisförmigen Maßwerkelements zu der Geo-metriebeschreibung des Spitzbogens hinzugefügt.

RoseFeedback

Die Klasse RoseFeedback modelliert eine Rückkopplungsmaschine (siehe Kapitel2.4.1) zur Erzeugung von fraktalen Strukturen. RoseFeedback stellt selbst keinegeometrischen Informationen bereit, sondern operiert auf Klassen, die Geometrie-beschreibungen enthalten.Als Eingabe für die Rückkopplungsmaschine wird eine Geometriebeschreibung er-wartet. Die untergeordneten Strukturen der Geometriebeschreibung werden ent-fernt und durch verkleinerte Kopien der kompletten Struktur des Maßwerkelements

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6 Implementierung

function g ene r a t eF ra c t a l S t ru c tu r e s (RoseComplexGeometry geometry ,int iRecursionDepth ,int iCop i e s )

{// Bereche ab f a l l s d i e gewünschte Re ku r s i on s t i e f e e r r e i c h t wurde .i f ( iRecurs ionDepth = 0 ) return

// Entferne untergeordne te S t ruk turen .geometry−>removeSubGeometry ( )

for ( i = 1 . . . iCop i e s ){

// E r s t e l l e v e r k l e i n e r t e Kopie der Geometrie .RoseComplexGeometry copy = geometry−>makeCopy ( )

// Rufe Funktion r e ku r s i v f ü r d i e Kopie auf .g ene r a t eF ra c t a l S t ru c tu r e s ( copy , iRecurs ionDepth − 1 , iCop i e s )

//Füge d i e Kopie a l s Subgeometrie in d i e Geometr iebeschre ibung e in .geomtry−>addSubGeometry ( copy−>getGeometry ( ) )

}}

Abbildung 6.3: Funktion zur Generierung fraktaler Strukturen

ersetzt. Die Ausgabe besteht wiederum aus der modifizierten Geometriebeschrei-bung. Je nach vorgegebener Rekursionstiefe werden für die Kopien wieder verklei-nerte Kopien erzeugt.Das Erstellen von fraktalen Strukturen für eine Geometriebeschreibung erfolgtüber die Elementfunktion generateFractalStructures(). Als Parameter für gene-rateFractalStructures() müssen eine Geometriebeschreibung, Rekursionstiefe undAnzahl der Kopien angegeben werden.Abbildung 6.3 zeigt die Funktionsweise von generateFractalStructures() in Pseudo-code.

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6 Implementierung

Abbildung 6.4: Klassenhierarchie der Rendering-Klassen.

6.4 Rendering

Die Klassen OgreQueuedDrawer, OgrePrimitiveGenerator, RoseLineGenerator undRoseArcGenerator gehören zu den Rendering-Klassen. Diese Klassen werden ein-gesetzt, um aus Geometriebeschreibungen dreidimensionale Objekte zu erstellenund in OGRE anzuzeigen.

Die Klasse OgreQueuedDrawer greift direkt auf Lowlevel-Funktionen von OGREzurück, um aus einem Satz von Koordinaten dreidimensionale Objekte zu zeich-nen. Hierzu werden mit der Funktion addCoordinate() die Koordinaten aus Ef-fizienzgründen zunächst in einer C++-Queue19 gespeichert. Sind für ein Objektalle Koordinaten in der Queue gespeichert, werden diese aus der Queue über dieFunktion draw() an OGRE weitergeleitet. OGRE interpretiert diese Koordinatenals Eckpunkte für Dreiecke. Das Zeichnen der Dreiecke in OGRE erfolgt durch dievon OGRE bereitgestellte Klasse Mesh.

OGRE arbeitet mit dem Flächenmodell, um dreidimensionale Objekte darzustel-len. Im Flächenmodell wird ein Objekt durch seine Grenzflächen beschrieben. DieGrenzflächen wiederum können durch zweidimensionale Polygone beschrieben wer-den.Um eine dreidimensionale Linie oder Kreisbogen in OGRE darzustellen, muss da-

19engl. queue: SchlangeDatenstruktur zur Implementierung einer Warteschlange, die nach dem First In – First Out-Prinzip funktioniert.

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6 Implementierung

(a) Approximation durch 2Liniensegmente.

(b) Approximation durch 4Liniensegmente.

(c) Approximation durch 8Liniensegmente.

Abbildung 6.5: Approximation einer Kurve durch Liniensegmente. Je kleiner die Liniensegmentesind, um so genauer wird die Kurve approximiert.

her zuvor eine polygonale Beschreibung der Linie bzw. des Kreisbogens vorhandensein. Die von RosePrimitiveGenerator abgeleiteten Klassen werden dazu genutzt,um aus Geometriebeschreibungen von Linien und Kreisbogen polygonale Beschrei-bungen zu erzeugen, indem die Koordinaten der entsprechenden Polygone berech-net werden. Hierfür wird das in Abschnitt 5.2.3 vorgestellte Verfahren eingesetzt.

Die Funktion generateLine() der Klasse RoseLineGenerator erzeugt für ein RoseLine-Objekt eine dreidimensionale Linie in OGRE. Hierzu werden für die Geometrie-beschreibung der Linie zuerst die Koordinaten der dreidimensionalen Linie be-rechnet. Diese Koordinaten werden dann an OgreQueuedDrawer weitergegeben,um die Linie in OGRE darzustellen.

Dreidimensionale Kreisbogen werden mit Hilfe der Klasse RoseArcGenerator er-stellt. Die Vorgehensweise ist hier analog zu RoseLineGenerator: Zunächst werdendie Koordinaten für den dreidimensionalen Kreisbogen durch das in Kapitel 5.2.3erläuterte Verfahren errechnet und diese anschließend an OgreQueuedDrawer wei-tergeleitet.Ein Problem bei der Darstellung von Kreisbogen in OGRE ist das Zeichnen vonKurven. OGRE kann nur Polygone darstellen. Daher muss eine Kurve in OGREdurch eine Aneinanderreihung von Liniensegmenten approximiert werden (Abbil-dung 6.5). Wie „gut“ die Approximation ist, hängt von der Anzahl der verwendetenLiniensegmente ab. Je kleinere Liniensegmente benutzt werden, umso genauer istdie Approximation der Kurvenform. Werden die Liniensegmente kleiner, so müssenaber auch gleichzeitig mehr Liniensegmente zur Approximation eingesetzt werden.Dies wirkt sich auf die Komplexität des Polygons und damit auf die Bildwiederho-lungsrate aus. Hier muss zwischen einer möglichst genauen Darstellung von Kurvenund einer hohen Bildwiederholungsrate abgewogen werden.

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6 Implementierung

6.5 Maßwerkrepräsentation

Ein Maßwerkelement in einer OGRE-Szene wird durch eine eigene Klasse repräsen-tiert. Diese Klassen speichern die geometrische Form ihres Maßwerkelements mitHilfe einer Klasse zur Geometriebeschreibung. Die Klassen der Maßwerkrepräsen-tation greifen auf Rendering-Klassen zurück, um aus der Geometriebeschreibungihres Maßwerkelements eine polygonale Beschreibung zu erzeugen. Die auf dieseWeise erzeugten Objekte werden zu der Szene hinzugefügt.

Alle Klassen zur Repräsentation von Maßwerkelementen implementieren die Schnitt-stelle RoseOgreInterface. Diese Klassen müssen die rein virtuelle Funktion ge-nerateManualObject() in RoseOgreInterface überschreiben. In der Funktion ge-nerateManualObject() wird aus einer Geometriebeschreibung ein ManualObjekterstellt. Hierzu ruft generateManualObject() die entsprechenden Funktionen inRoseArcGenerator und RoseLineGenerator auf, um dreidimensionale Linien undKreisbogen zu erzeugen. Die generierten dreidimensionalen Objekte werden schließ-lich über ein SceneNode-Objekt in den Szenengraphen angehängt.

6.6 Generierung der Rosette

Für die Generierung einer gotischen Rosette ist es notwendig, einzelne Maßwer-kelemente mit einander zu kombinieren, um auf diese Weise ein Maßwerkmusterzu erhalten. Die genaue Form der Komposition eines Musters wird dabei durchverschiedene Parameter gesteuert, wie z.B. Radius oder Rekursionstiefe.Die Klasse RoseOgreWindow wird dazu genutzt, um mit Hilfe dieser Parameternzur Beschreibung von Maßwerkmuster Rosetten zu generieren. Hierzu greift Ro-seOgreWindow auf die Klassen der Maßwerkrepräsentation zurück, um zunächsteinzelne Maßwerkelemente zu erzeugen. Anschließend wird in der Funktion com-poseWindow() die Rosette aus den bereits generierten Maßwerkelementen zusam-mengestellt. Hierbei wird der Rayonnant-Stil nachgeahmt (siehe Kapitel 5.2.4),indem im Zetrum der Rosette ein ringförmiges Element20 eingesetzt wird, vondem aus mehrere Spitzbögen strahlenförmig in Richtung Rosettenrand verlaufen.Am oberen Ende der Spitzbögen können ebenfalls ringförmige Elemente enthalten

20Mehr-Pass, Mehr-Blatt und Mehr-Schneuß besitzen eine ringförmige Struktur.

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6 Implementierung

sein.Die benötigten Parameter zur Beschreibung des Maßwerkmusters werden aus einerINI -Datei herausgelesen. Diese Datei ist in drei Sektionen unterteilt, die Parameterzur Beschreibung der Rosette enthalten. Hierbei sind die Parameter in Form vonSchlüssel-Werte-Paare gespeichert und liefern folgende Informationen zum Aufbauder Rosette:

• Allgemeiner Aufbau der Rosette.

• Aufbau der Spitzbögen.

• Aufbau des ringförmigen Elements im Zentrum der Rosette.

Über diese in der INI-Datei bereitgestellten Parameter lässt sich die Form dererzeugten Rosette definieren.

6.7 Anbindung an OGRE

In den vorherigen Abschnitten wurde die Klassenhierarchie der Implementierungfür die Bereiche Geometriebeschreibung, Rendering und Maßwerkrepräsentationerläutert. Die bisher vorgestellten Klassen müssen in das OGRE-System integriertwerden, um auf die Funktionen von OGRE zugreifen zu können.An dieser Stelle werden die Klassen dargestellt, die für die Anbindung der Imple-mentierung an OGRE zuständig sind.

OgreApp

In OgreApp werden alle notwendigen Objekte für die Initialisierung einer OGRE-Szene erstellt. Hierunter fällt das Erzeugen des Root-Objekts für OGRE, das Aus-gangspunkt jeder OGRE-Applikation ist. Hinzu kommt der SceneManager zurVerwaltung der Objekte in der Szene und die Kamera und der Viewport zur Fest-setzung des gewünschten Blickwinkels und zur Abbildung der Szene auf dem Bild-schirm.Zusätzlich ist OgreApp zuständig für das Verarbeiten von Maus- und Tastaturein-gaben.

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RoseApp

Die Anbindung des Programms an OGRE erfolgt über die Klasse RoseApp. Rose-App ist abgeleitet von der Klasse OgreApp.Über den Konstruktor von RoseApp wird implizit der Konstruktor von OgreAppaufgerufen und damit die OGRE-Szene initialisiert. RoseApp erzeugt über dieFunktion createScene() den eigentlichen Inhalt der Szene. In createScene() werdenLichtquellen zu der Szene hinzugefügt. Um die sichtbare Geometrie (also Maß-werkfenster) zu generieren, wird die Klasse RoseOgreScene benutzt.Nach der Komposition der Szene startet RoseApp den Rendering-Prozess mit derFunktion startRendering().

6.8 Ergebnisse

Im letzten Teil des Kapitels werden drei Screenshots von Rosetten in Rayonnant-Stil vorgestellt, die durch die Implementierung erzeugt wurden.

Abbildung 6.6 zeigt verschiedene Varianten von Rosetten, die durch den Prototypprozedural generierten wurden.In der Abbildung 6.6 (a) ist eine Rosette mit einem relativ schlichten Muster dar-gestellt. Im Zentrum des Fensters ist ein liegender Dreipass angeordnet, von demaus zehn Spitzbögen konzentrisch in Richtung Rosettenrand verlaufen. Die Spitz-bögen besitzen jeweils einen stehenden Dreipass.Abbildung 6.6 (b) stellt eine komplexere Variante der ersten Rosetten dar. Sieenthält im Zentrum einen stehenden Dreipass, dessen Struktur die Rekursionstiefezwei besitzt. Der Pass enthält drei kleine Kopien, die ihrerseits wieder drei klei-nere Dreipässe aufweisen. Ähnlich zum Dreiblatt im Zentrum besitzen die zehnSpitzbögen in der Rosette eine Rekursionstiefe von zwei. Sie enthalten zusätzlichliegende Dreiblätter, die drei kleinere Kopien von sich selbst beinhalten - also ei-ne Rekursionstiefe von eins haben. Durch die rekursive Konstruktion weist dieseRosette eine hierarchische Struktur auf.

Abbildung 6.7 stellt eine ähnlich komplex aufgebaute Rosette wie die zuletzt be-schriebene dar. Die Unterschiede sind hier die höhere Anzahl der Spitzbögen undder Einsatz von Dreischneußen als ringförmige Maßwerkelemente. Der Schneuß in

6 Implementierung

(a) Variante 1

(b) Variante 2

Abbildung 6.6: Generierte Rosetten I.

97

6 Implementierung

Abbildung 6.7: Generierte Rosetten II.

der Mitte besitzt eine rekursive Struktur der Tiefe zwei, wo hingegen die Spitzbö-gen, die nur eine Kopie enthalten, die Tiefe eins aufweisen.

Die hier exemplarisch dargestellten Rosetten sind nur eine kleine Auswahl der mög-lichen Varianten, die durch die Implementierung erzeugt werden können. Durchdie parametrische Beschreibung der Maßwerkstruktur ist es möglich eine Vielzahlorigineller Rosettenmuster zu generieren. Dabei ist jedoch zu beachten, dass mitder rekursiven Struktur auch die Komplexität der Rosetten und damit die Anzahldarzustellender Dreiecke exponentiell ansteigt. Somit wird die höchste darstellba-re Rekursionstiefe der Rosetten durch die zur Verfügung stehende Rechenleistungbegrenzt. Dabei ist jedoch auch zu bedenken, dass Rosetten in der gotischen Ar-chitektur eine relativ geringe Rekursionstiefe aufweisen (siehe Kapitel 3.4).

98

7 Zusammenfassung undAusblick

7.1 Zusammenfassung

In dieser Arbeit wurde eine prozedurale Methode zur Erzeugung gotischer Maß-werkfenster, die auf fraktaler Geometrie basiert, vorgestellt und in Form einesPrototyps implementiert.

Die manuelle Modellierung gotischer Fenster ist auf Grund deren komplexen Auf-baus sehr aufwendig. Eine prozedurale Generierung hingegen automatisiert denModellierungsprozess weitgehend und verringert damit den Zeit- und Modellie-rungsaufwand per Hand.

Da zum Thema „Generierung gotischer Fenster“ bisher kaum Forschungsarbeitenexistieren, wurde im Rahmen dieser Arbeit eine neue Methode zur Generierungvon Rosetten entwickelt. Dabei wurde die fraktale Struktur der Rosetten ausge-nutzt.Hierzu war es zunächst notwendig, sich mit Prozessen zu befassen, die fraktaleStrukturen erzeugen. Daher wurde in Kapitel 2.4.1 das Rückkopplungsverfahrenvorgestellt, das bei der Konstruktion verschiedener Fraktale Anwendung findet.Anschließend wurde untersucht, welche Rolle Fraktale bei der Struktur von Ro-setten spielen. Dazu musste das Maßwerk - das Bauelement zur Konstruktion vonRosetten - auf seine Eigenschaften hinsichtlich der fraktalen Geometrie untersuchtwerden. Es stellte sich heraus, dass das Maßwerk in Rosetten bis zu einem gewissenGrad eine fraktale Struktur aufweist (siehe Kapitel 3.4), was die Voraussetzungfür die Entwicklung einer prozeduralen Methode zur Konstruktion von Rosettendurch fraktale Geometrie ist.

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7 Zusammenfassung und Ausblick

Der erste Schritt zur angestrebten prozeduralen Generierungsmethode bestand inder Beschreibung der Maßwerkstruktur.Das Grundelement bei der Konstruktion des Maßwerks ist der exakte Kreisbogen.Daher wurde zur Darstellung von Maßwerk am Rechner ein Beschreibungsmodellentwickelt, das auf exakten Kreisbögen basiert (siehe Kapitel 5.2.1). Damit istes theoretisch möglich in diesem Modell beliebig komplexe Maßwerkmuster zugenerieren. Das Maßwerk besitzt jedoch keine zufällige Struktur, sondern enthälteinige bestimmte geometrische Elemente, deren Aufbaulogik zunächst entschlüsseltwerden musste. In dieser Arbeit wurde exemplarisch die Konstruktionsweise fürhäufig verwendete Maßwerkelemente präsentiert. Im Speziellen wurden Methodendargelegt, um mit Hilfe des entwickelten Beschreibungsmodells Mehr-Pässe, Mehr-Blätter, Mehr-Schneuße und Spitzbögen zu konstruieren. Hierbei lassen sich dieForm und Größe der einzelnen Maßwerkelemente über Parameter variieren. So istes beispielsweise möglich, die Anzahl der Blätter in einem Mehr-Blatt festzulegenoder Spitzbögen mit beliebiger Bogenspannweite und Höhe zu definieren.Dadurch konnte eine große Variation von Maßwerkmustern zu beschreiben.

Der nächste Schritt bei der Konstruktion von Rosetten bestand darin, die selbst-ähnliche Struktur des Maßwerks zu nutzen, um automatisch komplexe Maßwerk-elemente zu erzeugen. Hierfür wurde eine Rückkopplungsmaschine - wie in Kapitel2.4.1 beschrieben - eingesetzt, die als Eingabe ein Maßwerkelement erwartet undfür diesen selbstähnliche Formen erzeugt. Die Ausgabe besteht aus einem Maß-werkelement, das kleinere Kopien seiner Struktur enthält. Bei der Anwendung desRückkopplungsverfahrens lässt sich dabei über die Rekursionstiefe bestimmen, biszu welcher Stufe die Selbstähnlichkeit bei der erzeugten Ausgabe auftritt.

Mit der Anwendung des Rückkopplungsverfahrens ist die Beschreibung des Maß-werks abgeschlossen.Zur Visualisierung des Maßwerks am Rechner wurde ein Verfahren vorgestellt, umaus der Beschreibung der Kreisbögen dreidimensionale Objekte zu erzeugen. Hier-bei wird eine Fläche entlang der Kreisbögen bewegt. Das Volumen des dreidimen-sionalen Objekts wird über den Pfad definiert, den die Fläche beim Entlangfahrenan der Kurve zurücklegt (siehe Kapitel 5.2.3).

Schließlich wurde zur Realisierung des Gesamtkonzepts ein Prototyp implemen-tiert, der eine Komposition des Maßwerkmusters erzeugt, die den Rayonnant-Stil

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7 Zusammenfassung und Ausblick

nachahmt. Die Parameter zur Beschreibung der Rosette werden aus einer Text-Datei herausgelesen.

Eine Bewertung der in dieser Arbeit entwickelten Methode fällt schwer, da hierauf Grund fehlender Vorarbeiten zu dem Thema keine Referenzmethoden zur Ver-fügung standen. Letztlich ist aber festzuhalten, dass sich die prozedurale Gene-rierung basierend auf fraktaler Geometrie als ein effizientes Mittel erwiesen hat,um gotische Rosetten zu konstruieren. Mit beträchtlich weniger Aufwand als beider manuellen Modellierung lassen sich mit dieser Methode eine Vielzahl komplexaufgebauter Rosetten erzeugen. Hierzu ist es lediglich notwendig einige Beschrei-bungsparameter zu definieren.

7.2 Ausblick

Neben den erreichten Zielen gibt es einige Erweiterungsmöglichkeiten für das be-stehende Konzept, die im Folgenden dargelegt werden.

Beschreibung weiterer Maßwerkelemente

Das in dieser Arbeit vorgestellte Konzept beschreibt die Konstruktion für einigehäufig verwendete Maßwerkelemente (siehe Kapitel 5.2.1). Es existieren jedocheine Vielzahl möglicher Formen für das Maßwerk (siehe Kapitel 3.3.1), die ausZeitgründen nicht alle in die Konzeption mit aufgenommen werden konnten. Andieser Stelle ist es wünschenswert weitere bisher noch nicht generierte Elemente(z.B. der Kielbogen und der angespitzte Dreipass) in Zukunft zu realisieren.

Verschiedene Stilrichtungen des Maßwerks

In dieser Arbeit wurde ein Prototyp vorgestellt, der Rosetten erzeugt, die an denRayonnant-Stil angelehnt sind. Um andere Stilrichtungen zu simulieren, müssenneben weiteren Maßwerkelementen zusätzliche Parameter zur Kompositionen desMaßwerkmusters definiert werden. Bei der Implementierung werden einfach struk-turierte INI-Dateien zur Eingabe und Speicherung der Parameter genutzt. Fürzukünftige und komplexere Kompositionen ist es unter Umständen notwendig aufdas flexiblere XML-Format auszuweichen.

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7 Zusammenfassung und Ausblick

(a) Pokrov Kathedrale in Moskau [Lor02]. (b) Dharmaradscha Rath in Mamallapu-ram, Indien [Lor02].

Abbildung 7.1: Fraktale Strukturen in der Architektur.

Graphische Benutzeroberfläche

Derzeit ist in der Implementierung die Eingabe von Parametern nur über das di-rekte Editieren der INI-Datei möglich. Hinsichtlich einer benutzerfreundlicherenEingabeschnittstelle besteht hier noch Entwicklungsbedarf. So könnte eine graphi-sche Benutzeroberfläche bereitgestellt werden, die den Benutzer bei der Eingabeder Parameter unterstützt.

Fraktale Konstruktion von Architektur

Neben der in dieser Diplomarbeit vorgestellten Methode zur prozeduralen Erzeu-gung von Rosetten, sind weitere Anwendungsgebiete für die fraktale Geometrie imBereich der gotischen Architektur denkbar. Zukünftige Forschungsarbeiten könn-ten sich mit der Fragestellung befassen, ob sich gotische Kathedralen vollständigmit Hilfe der fraktalen Geometrie konstruieren lassen.

Weitere Anwendungsgebiete für die fraktale Geometrie im Bereich der Architektursind denkbar, da selbstähnliche Strukturen in verschiedenen Baustilen zu findensind (Abbildung 7.1) [Lor02]. Es ist der Frage nachzugehen, ob sich die fraktalen

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7 Zusammenfassung und Ausblick

Strukturen dieser Architekturrichtungen - ähnlich wie bei Rosetten - ausnutzenlassen, um Bauten prozedural zu konstruieren.

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