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Führen lernen || Führen durch Sinn

Date post: 08-Dec-2016
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25 Führen durch Sinn Sinnsuche ist ein zentrales Zeitgeistphänomen, charakteristisch für die Mentalität des modernen westlichen Menschen. Sie ernährt inzwischen ganze Industrien. Das ist kein Wunder, nachdem der große metaphysische Orientierungsrahmen, das geschlossene, von Christentum, antiker Kultur und bürgerlichem Selbstbewusstsein geprägte abendländische Weltbild ebenso zerfallen ist wie der Glaube an säkular-messianische Heilslehren aus der Zeit des „Klassenkampfes“. Doch bei aller Fokussierung auf die individualisierte Selbstverwirklichung bleibt das Bedürfnis des Einzelnen nach einem Platz im Kósmos, der dem eigenen Leben, dem all- täglichen Tun und Handeln wenn nicht ewigen Ruhm, so doch immerhin innerhalb eines großen, das je Individuelle transzendierenden Ganzen Bedeutung und Richtung gibt. In einer offenen, pluralistischen oder „multikulturellen“ Gesellschaſt stellt sich nicht nur die Frage nach dem Ganzen, sondern ebenso dringlich die Frage nach meinem Beitrag, den ich dazu leisten kann. 1 25.1 Wenn traditionelle Führungsmodelle nicht mehr tragen In unserer Zeit ist das Führungsmodell „Command-and-Control“ nicht mehr anwendbar. Zum einen sind die wenigsten Menschen bereit und/oder fähig, sich einer militärischen Kommandostruktur zu unterwerfen. Zum anderen setzt das Command-and-Control- Modell voraus, dass die jeweilige Führungskraſt auch Fachexperte in all den Gebieten ist, in denen ihre Mitarbeiter tätig sind. In einer Sozio-Ökonomie, in der Wissen und Kom- petenz als Produktivkräſte die Faktoren (körperliche) Arbeit und Kapital im ersteren Falle ersetzen, im zweiten Falle ihm mindestens ebenbürtig geworden sind, kann eine Füh- 1 Einen Beitrag leisten ist die aktive Seite meines Zugehörigkeitsgefühls zu einer Gemeinschaſt. Da- mit nehme ich mich selbst innerhalb meines sozialen Kontextes als selbstwirksam war. Auf dieser Voraussetzung beruht das Community Building. 195 P. Gräser, Führen lernen, DOI 10.1007/978-3-8349-7135-7_25, © Springer Gabler | Springer Fachmedien Wiesbaden 2013
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25Führen durch Sinn

Sinnsuche ist ein zentrales Zeitgeistphänomen, charakteristisch für die Mentalität desmodernen westlichen Menschen. Sie ernährt inzwischen ganze Industrien. Das ist keinWunder, nachdem der große metaphysische Orientierungsrahmen, das geschlossene, vonChristentum, antiker Kultur und bürgerlichem Selbstbewusstsein geprägte abendländischeWeltbild ebenso zerfallen ist wie der Glaube an säkular-messianische Heilslehren aus derZeit des „Klassenkampfes“.

Doch bei aller Fokussierung auf die individualisierte Selbstverwirklichung bleibt dasBedürfnis des Einzelnen nach einem Platz im Kósmos, der dem eigenen Leben, dem all-täglichen Tun und Handeln wenn nicht ewigen Ruhm, so doch immerhin innerhalb einesgroßen, das je Individuelle transzendierenden Ganzen Bedeutung und Richtung gibt. Ineiner offenen, pluralistischen oder „multikulturellen“ Gesellschaft stellt sich nicht nur dieFrage nach dem Ganzen, sondern ebenso dringlich die Frage nach meinem Beitrag, denich dazu leisten kann.1

25.1 Wenn traditionelle Führungsmodelle nicht mehr tragen

In unserer Zeit ist das Führungsmodell „Command-and-Control“ nicht mehr anwendbar.Zum einen sind die wenigsten Menschen bereit und/oder fähig, sich einer militärischenKommandostruktur zu unterwerfen. Zum anderen setzt das Command-and-Control-Modell voraus, dass die jeweilige Führungskraft auch Fachexperte in all den Gebieten ist,in denen ihre Mitarbeiter tätig sind. In einer Sozio-Ökonomie, in der Wissen und Kom-petenz als Produktivkräfte die Faktoren (körperliche) Arbeit und Kapital im ersteren Falleersetzen, im zweiten Falle ihm mindestens ebenbürtig geworden sind, kann eine Füh-

1 Einen Beitrag leisten ist die aktive Seite meines Zugehörigkeitsgefühls zu einer Gemeinschaft. Da-mit nehme ich mich selbst innerhalb meines sozialen Kontextes als selbstwirksam war. Auf dieserVoraussetzung beruht das Community Building.

195P. Gräser, Führen lernen, DOI 10.1007/978-3-8349-7135-7_25,© Springer Gabler | Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

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rungskraft dieses Expertenwissen höchstens noch auf den untersten Management-Ebenenin sich vereinen. Aber auch dort ist das „Management by Expertise“ bei näheremHinsehenbestenfalls eine von den Mitarbeitern tolerierte Illusion.

25.2 Jenseits vonMotivation: Willenskraft

Ähnlich wie die „Authentizität“ gehört die Motivation zu den großen Mythen einer „neu-en Führungskultur“. Heike Bruchs Forschungsergebnisse zur „Organisationalen Energie“2

bestätigen, was die Alltagserfahrung längst weiß: Allein auf Motivation zu setzen, reichtin kritischen Situation nicht aus. Dann, wenn es wirklich darauf ankommt, versagt sie inder Regel: in Phasen, die gleichzeitig mit extremer Arbeits- wie psychischer Belastung ge-kennzeichnet sind, besonders dann, wenn ich mir des guten Ausgangs eines Vorhabensalles andere als sicher (mehr) bin und gleichzeitig das Einbrechen meiner Leistung dassichere K.O. für die Zielerreichung ist. Oder wenn das Ziel in zeitlich weiter Ferne liegt,ich ausdauernd viel Energie aufbringen muss, und die Rückschläge sich zu häufen begin-nen. In solchen „Non-Flow“-Phasen, in denen schon ein einzelner klarer Gedanke schwer-fallen kann, ist von Motivation keine Rede mehr. Wer jetzt noch weitermacht, ist nichtintrinsisch oder extrinsisch motiviert, sondern verfügt außer über Selbstdisziplin, Frustra-tionstoleranz und Resilienz vor allem über einen festenWillen. Nicht umsonst spricht manschließlich vonÜberlebenswillen und nicht von „Überlebensmotivation“.3 Der wesentlicheUnterschied zwischen Motivation und Volition ist ihre jeweilige Gerichtetheit: Motivationrichtet sich auf das Handeln, die Aufgabe. Volition zielt auf das Erreichen des gewünschtenErgebnisses.

The most powerful force of human behavior is willpower. When managers learn to activatewillpower, or volition, in themselves and others, companies reap the benefits of purposefulaction taking and see more projects completed. But engaging volition isn’t easy. It’s a higherattainment than mere motivation. Motivation is the desire to do something; volition is theabsolute commitment to achieving something.4

Voraussetzung, um „beyond motivation“ Willenskraft mobilisieren zu können, ist einstarkes Commitment auf das Ziel, das ich erreichen will. Dieses Commitment setzt wieder-um voraus, dass mir das Ziel überhaupt sinnvoll erscheint. Das heißt, es muss mit meinenpersönlichen Zielen, Haltungen undWerten hinreichend übereinstimmen. Esmuss inmei-nen persönlichen Sinn-Kontext passen. Dies gilt natürlich nicht nur für mich selbst alsFührungskraft, sondern ebenso für meine Mitarbeiter. Wenn sie sich auch dann einsetzen

2 Vgl. Bruch und Vogel (2005); Bruch et al. (2006).3 Die Erforschung der Kraft des menschlichen Willens geht zurück auf den deutschen PsychologenNarziß Ach. Aus politisch-ideologischen Gründen verschwand sie seit 1945 und wurde erst zu Endedes letzten Jahrhunderts wiederentdeckt. Vgl. neben den Schriften von Ach für den Führungskontextv. a. Ghoshal und Bruch (2003).4 Ghoshal und Bruch (2003, S. 51).

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25.3 Konkrete positive Sinnstiftung 197

sollen, wenn dieser Einsatz verschiedene Weisen des persönlichen Verzichts voraussetzt,dann müssen sie wissen: Wofür?

25.3 Konkrete positive Sinnstiftung

Negative Sinnstiftungen sind imorganisationalenKontext gang und gäbe, eigentlich dieRe-gel. Sicherlich ist es sinnstiftend und damit Willenskraft freisetzend, wenn ich durch meinHandeln dazu beitragen kann, eine drohende Katastrophe – Konkurs, feindliche Übernah-me, Verlust von Zuschüssen, eines Lead Accounts usw. – abzuwenden. Aber diese Situa-tionen kommen nicht permanent vor. Sie ohne wirkliche Not zu beschwören, senkt nichtnur die Glaubwürdigkeit einer Führungskraft rapide. Falls die dauerhafte Beschwörung ei-ner manifesten äußeren Bedrohung wider Erwarten gelingt, wird auch das auf die Dauereher kontraproduktiv. Das daraus resultierende Klima der Angst macht die Arbeit zusätz-lich schwer und senkt Kreativität und Innovationskraft bei den meisten Mitarbeitern undFührungskräften. Apokalyptische Propaganda ist kein konstruktives Führungsinstrument.Eine wesentliche Aufgabe von Führungskräften ist daher die positive Sinnstiftung: nichtwogegen, sondern eben wofür arbeiten wir.5

Der RaumderMöglichkeiten, der Gestaltungsraum ist immer Teil einer umfassenderenSinn-Konstruktion. In aller Regel ist diese jedoch nur implizit vorhandenund nicht explizitformuliert. Das bewusste Schaffen von Gestaltungsräumen allerdings bedeutet zwangsläu-fig eine Überprüfung der zu ziehenden Grenzen des für alle verbindlichen Gestaltungs-rahmens im Hinblick auf einen konkreten Sinn, die Bedeutung für das größere Ganze. Imengsten Kontext bezieht sich dieser Sinn auf die unmittelbaren Ziele der jeweiligen Organi-sationseinheit. Diese allein sind schon niemals nur unmittelbar finanzielle. Darum herumlegen sich wie konzentrische Kreise die weiteren Sinn-Kontexte und Zielerwartungen.

Die Überprüfung der Sinn- und Zielkonvergenz bei der Schaffung der organisationalenGestaltungsräume ist wesentlich für die Wirkungskraft der Organisationseinheiten. Ziel-konflikte – und damit auch mikropolitische Konflikte – können eine Organisation bis zurAgonie lähmen.

Wenn es ohnehin die Aufgabe von Führungskräften ist, die Frage nach dem Warumbei der Schaffung der organisationalen Gestaltungsräume zu stellen und zu beantworten,dann ist es nur naheliegend, das nicht alleine im stillen Kämmerlein zu tun. Wie das Meis-te, das die Führung einer Organisation oder eine ihrer Einheiten betrifft, ist Sinnstiftungnichts, das nach einsamen Entscheidungen Top-down verordnet werden kann. In unsererzunehmend komplexen Welt – man könnte richtiger sagen: nachdem wir beginnen, dietatsächliche Komplexität der Welt wahrzunehmen – ist ein einzelner Mensch nicht in derLage, Sinnstiftungsprozesse allein zu gestalten und zu einem guten Ende zu bringen.

Die Vorstellungen, die eine Gruppe vonMenschen von „ihrerWelt“ hat, entwickelt sichin einemGruppen-Diskurs. Dabei spielen Arbeitsteilung und entsprechende Delegationen

5 Vgl. zumThema der organisationalen Sinnstiftung auchWeissmann (1997) – Sinnergie.

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sowohl horizontal wie vertikal, bewusst und unbewusst eine wesentliche Rolle. Nichtsde-stotrotz handelt es sich jedoch immer um einen Gruppenprozess. Ergo ist es notwendig,diesen Prozess so weit wie möglich zu öffnen. Das bedeutet nicht, dass eine solche Stra-tegie-Debatte vollkommen transparent und egalitär geführt werden sollte. Dies zeigt auchdas unten in Abschn. 27.2 angeführte Beispiel.

Für eine maximale Effektivität und Effizienz des Prozesses kommt es nicht nur auf dasWissen der Beteiligten an. Unser Weltbild (oder unsere Weltbilder) sind keine Konstrukteeines rein rationalen Kalküls. Sie beruhen ebenso auf (vorläufigen) Urteilen wie auf Vor-urteilen, auf vielfältigen Traditionen und vor allem auf unseren emotionalen Präferenzen.Letztlich sind es unsere Emotionen und Gestimmtheiten, die unseren Wahrnehmungenebenso wie unseren Gedanken ihre besondere Bedeutung geben. Denn wirklich bedeutsamist für jeden von uns etwas nur und ausschließlich in Bezug auf uns selbst, auch dann, wennwir es maximal rationalisiert haben.6

Sinnstiftung innerhalb einer Organisation heißt, eine Antwort auf die Kernfrage zu ge-ben: Warum sind wir überhaupt da? Warum agieren wir auf diesem Markt? Oder, wiederetwas allgemeiner: Warum tun wir, was wir tun?Was geben wir unserer Um- bzw. Mitwelt,dass es einen wirklich guten Grund dafür gibt, dass es uns – diese Organisation – wirk-lich gibt? Wenn wir diese Frage beantworten können, lautet gleich die nächste: Tun wir aufder Basis dieser Voraussetzung das Richtige? Ist unser Handeln inhaltlich, wirtschaftlich,ethisch angemessen und wirkungsvoll?

Wenndiese Fragen nicht klarmit ja beantwortetwerden können, dann besteht eindeutigHandlungsbedarf – genauer: Führungsbedarf . Ohne positive Antworten auf diese Fragenist die Vorstellung einer Mitarbeiter-Identifikation egal auf welcher Hierarchie-Ebene mitderOrganisation, ihren Zielen und ihremHandeln eine gefährliche Illusion. DieMenschenin einer solchen Organisation können sicher noch arbeiten – zumindest werden sie so tun.Intrinsische – die Arbeit macht mir „Spaß“ – und extrinsische Motivation – ich braucheden Job – sind ja nicht völlig unwirksam. Ob die Leistungspotentiale der Einzelnen wie derOrganisation aber tatsächlich realisiert werden und in welchemMaße, das steht auf einem

6 Wir können gar nicht anders, als im Mittelpunkt unseres Weltbildes zu stehen. Das hat nichtsmit Egoismus oder Egozentrik in einem sozial-moralischen Sinne zu tun. Es beruht schlichtwegauf einer – reichlich erfahrungsbasierten und mittlerweile wissenschaftlich anerkannten – erkennt-nistheoretischen Grundannahme. Letztendlich entscheiden wir immer selbst – manchmal bewusst,meist unbewusst – was wir für richtig oder falsch, gut oder schlecht, stimmig oder unstimmig halten.Unser Weltbild ist ein je ganz individuelles Konstrukt, etwas von uns selbst Geschaffenes. Dass dieskeine creatio ex nihilo ist, sondern der Schöpfungsprozess bestimmtwird durch eine letztlich unüber-schaubare Zahl von biologischen und historisch-kulturellenRandbedingungen, ist keinWiderspruchdazu.Dasswir selbst dieAutoren unseresWeltbildes sindund dieses durch die Bedeutungen entsteht,die wir den verschiedenenElementen undVorstellungen in Bezug auf uns selbst beimessen, bedeutetkeinesfalls, dass uns andereMenschen oder der Rest derWelt gleichgültig wären oder gar sein sollten.Es meint allerdings, dass die letzte Verantwortung immer bei uns selbst liegt.

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25.5 Organisationale Sinnstiftung undWertediskussion 199

ganz anderen Blatt. Solange die Organisation in einem sicheren Fahrwasser mit positivenUmfeldbedingungen unterwegs ist, kann das gut gehen. Die Fluktuation ist vielleicht einbisschen hoch, die Qualität könnte besser sein – aber es geht doch. Jedoch: In Phasen, indenen es kritisch wird, wird es dann wirklich kritisch.

25.4 Moderierter Prozess – unserWertbeitrag

Sinnstiftung ist ein moderierter Prozess, der die ganze Organisation umfasst. Die Rolle desModerators bzw. der Moderatoren kommt dabei den Führungskräften zu. Ihre Aufgabedabei ist es, eine hinreichende Konvergenz zu erreichen zwischen den je individuellen per-sönlichen Weltbildern, Zielen und Wertvorstellungen der Menschen in der Organisationund der Organisation als solcher.

An dieser Stelle ist es wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass es bei der or-ganisationalen Sinnstiftung nicht um die allgemeine Frage nach dem „Sinn des Lebens“überhaupt geht. Im Fokus steht die Frage nach dem konkreten Sinn des organisationa-lenWirkens in einem bestimmten zeitlichen und geographischen Zusammenhang:WelcheProdukte oder Dienstleistungen bieten wir wem warum an?

Sinnstiftung bedeutet also die Bestimmung desmateriellen und immateriellenWertbei-trages einer Organisation für, in dieser Reihenfolge, ihre Kunden, ihre Mitglieder und füralle anderen Stakeholder – nicht mehr, aber vor allem nicht weniger.

25.5 Organisationale Sinnstiftung undWertediskussion

I would hope that . . . managers worldwide continue to appreciate what I have been sayingalmost from day one: that management is so much more than exercising rank and privilege,

that it is much more than „making deals.“ Management affects people and their lives.Peter F. Drucker

In den Zeiten von vor der industriellen Revolution bis zum Beginn des letzten Drittelsdes 20. Jahrhunderts war die Sinnfrage organisationalen, zumal wirtschaftlichen Handelnsnicht virulent. Die Schaffung vonWohlstand korrelierte maximal positiv mit der Verbesse-rung der Lebensqualität aller Schichten der Bevölkerung. Dass hier Optimierungspotentialbestand, war unumstritten. Zumindest im überwiegenden Teil der westlichen Welt ist dasgesetzte und notwendige Ziel erreicht worden. Wir leben – auch wenn wir auf hohem Ni-veau jammern – in einer „Wohlstandsgesellschaft“.

Damit ergeben sich notwendig zwei neue Ziele. Das eine ist die Erhaltung des Wohl-standes. Für ältere Generationen, die Zeiten des Hungers und der Entbehrungen auseigener Lebenserfahrung kennen, ist es keine Frage, dass Wohlstand schneller verlorenals geschaffen werden kann. Die Jüngeren, die in eine saturierte Welt hineingeboren wor-

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den sind, müssen für diese Problematik erst sensibilisiert werden. Auch dies ist Teil desCurriculums.

Mit der Allgegenwart des materiellen Wohlstandes eröffnet sich jedoch zusätzlich dieNotwendigkeit seiner Neubewertung. Die einfache Formel: Mehr materieller Wohlstandist gleich mehr Lebensglück, mehr individuelle Lebenserfüllung erweist sich jenseits deserreichten Grenzzustandes als falsch. Andere, zumal soziale und genuin ethische Wertetreten wieder in den Vordergrund.

Als Organisation in der daraus resultierenden Wertediskussion eine aktive und glaub-würdige Rolle zu spielen, schafft nicht nur einen sinnvollen Beitrag zum Ganzen unsererGesellschaft, sondern auch echte Wettbewerbsvorteile. Dafür gibt es mehrere Gründe:

Zum einen sind dieMenschen innerhalb der organisationalenGemeinschaft nicht iden-tisch mit ihren Rollen und Funktionen darin. Je größer die von ihnen wahrgenommeneDiskrepanz zwischen ihren persönlichen Werten und ihrem Handeln innerhalb der Orga-nisation ist, desto geringer wird notwendigerweise ihre Identifikation mit der Organisationund ihren Zielen sein. Die Folgen, die dies sowohl für ihre Leistungsbereitschaft als auchfür ihre Repräsentation der Organisation nach außen hat, liegen auf der Hand.

Zum zweiten sind die öffentlichen Diskussionen über die „heißen Themen“, sofern siedurch Interessengruppen initiiert und durch mediale Amplifikatoren, die sich gerne in dieRolle von „Volkstribunen“ aufschwingen, in den seltensten Fällen durch ein Übermaß anSachkenntnis geprägt, besonders nicht in Deutschland. Organisationen, die sich dadurchin die Defensive drängen lassen, gar versuchen, sich wegzuducken, oder sich durch äu-ßerliches Reputationsmanagement um eine strahlenden CSR-Fassade bemühen, haben imKampf der Meinungen ihre Niederlage vorprogrammiert. Kommunikation, die den ei-genen Ruf verbessert, muss einerseits auf tatsächlich vorhandenen und gelebten Wertenberuhen – wahre Schönheit strahlt von innen – und anderseits strategisch geführt werden.

Drittens ist durch den sozio-ökonomischen Gesamterfolg der westeuropäisch-nord-atlantischen Gesellschaften ein Grundkonsens über die Notwendigkeit vor allem wirt-schaftlichen Handelns verloren gegangen. Breite Teile der Öffentlichkeit nehmen denWohlstand unserer Gesellschaften nicht als etwas, das immer wieder neu erwirtschaf-tet werden muss, sondern als einen quasi-natürlichen Zustand. Nicht Fragen nach derSchaffung von Wohlstand, sondern nach dessen Verteilung bestimmen die breite öffent-liche Diskussion – so als wären die zu verteilenden gesellschaftlichen Güter etwas, aufdessen Verfügbarkeit per se ein Anspruch bestünde. Da die Sinnhaftigkeit der Existenzvieler Produkte und Dienstleistungen in der Tat fraglich ist, und das Problem der gesamt-gesellschaftlichen Gestehungskosten damit auch in vielen Einzelfällen immer stärker inden Vordergrund rückt, sind alle Organisationen – nicht nur Wirtschaftsunternehmen,sondern auch kulturelle und soziale Einrichtungen ebenso wie politische Parteien – gutberaten, in der Diskussion um ihr gesellschaftliches und wirtschaftliches Existenzrecht dasAgenda-Setting nicht anderen zu überlassen. Wirklich selbstverständlich ist bekanntlichnichts.

Voraussetzung dafür ist, den Diskussionsprozess um die Inhalte der jeweiligen organi-sationalen Sinnbeiträge in der Organisation aktiv zu fördern und zu moderieren.

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25.7 Mentaler Totalitarismus durch Inspiration? 201

25.6 What makes a future difference?

Neben die individuelle und gesellschaftliche Saturierung tritt das Problem der gesättigtenMärkte. In den westlichen Ländern ist es bereits manifest, in den Schwellen- und – mitVerzögerung – in den Entwicklungsländern wird es, hier früher dort später, zunehmend vi-rulent werden. Führung undManagement, nicht nur vonwirtschaftlichenOrganisationen,sind gut beraten, sich auf die Beantwortung einer zentralen Zukunftsfrage vorzubereiten:Wie können wir uns auf gesättigten Märkten von anderen Anbietern sinnvoll differenzie-ren?Welches ist derWertbeitrag, der uns in der Zukunft von anderen unterscheiden wird?Damit eröffnet sich die Organisation neue, sinnstiftende Handlungshorizonte. Sie setzendie organisationalen Energien frei, die notwendig sind, um die Zukunft erfolgreich zu ge-stalten.

Führungskräfte wie Mitarbeiter, die nicht nur wissen, was sie tun und wie sie es ambesten tun können, sondern auch, warum sie genau dies tun, sind dauerhaft erfolgreicherals andere – und auch zufriedener.7

25.7 Mentaler Totalitarismus durch Inspiration?

In Teilen der gegenwärtigen Forschung wird „Führen durch Sinn“ als eine Art mentalerTotalitarismusmissverstanden.DieMenschen sollen danach nichtmehr nur einfach gehor-sam ihren Job machen wie früher, nun werden sie auch noch zur Überzeugung gebracht,dass es einfach wundervoll sei, sich für eine Organisation maximal selbst auszubeuten.8

Das ist eine fatale Fehlinterpretation.Zum einen erklärt es die Menschen innerhalb einer Organisation zu wehrlosen Opfern

eines „Großen Bruders“ namens „organisationales System“ – und zwar ausnahmslos allevom CEO bis zum Pförtner. Ein solches Menschenbild kann man durchaus haben, aberin unseren Augen wird es nicht nur der Wirklichkeit nicht gerecht, sondern ist auch ein

7 Die Gallup Engagement Indizes (s. http://eu.gallup.com/Berlin/118645/Gallup-Engagement-Index.aspx) weisen für deutsche Mitarbeiter in den letzten Jahren traditionell miserable Wertehinsichtlich ihrer emotionalen Bindung an die jeweiligen Arbeitgeber aus. Laut Studie resultierendaraus geringe Arbeitsmotivation und -engagement mit den entsprechend hohen betrieblichen undvolkswirtschaftlichen Kosten. Angesichts der Tatsache, dass die Arbeitsbedingungen und die sozia-le Absicherung der Mitarbeiter auf historisch höchstem Niveau liegen, ist es unwahrscheinlich, indiesen Bereichen Ursachen für die seit Jahren negative Entwicklung zu finden. Generell ist zweifel-haft, ob „komfortable“ Arbeitsbedingungen und hohe Löhne wirklich entscheidende Faktoren sindfür die emotionale Bindung, d. h. die Identifikation von Führungskräften undMitarbeitern mit einerOrganisation.Wesentlicher dürften zwei Aspekte sein: Erstens die Organisationskultur: ErlebenMit-arbeiter und Führungskräfte eine Wertschätzung für ihre Person auf ihrer Position? Empfinden siesich auf ihrer Position als selbstwirksam? Zweitens der organisationale Sinn: Empfinden sie die Orga-nisation und die Ziele des organisationalen Handelns als sinnvoll? Gibt es eine Konvergenz zwischenihren persönlichenWerten und Zielen und der Realität des organisationalen Handelns?8 Vgl. Neuberger (2005, S. 205–212).

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Mangel an Wertschätzung den Menschen gegenüber. Auch eine gut gemeinte Viktimisie-rung nimmt denMenschen nicht nur ihre Freiheit, über sich selbst zu entscheiden, sondernauch ihre Würde.

Zum anderen unterstellt es die Existenz einer gottähnlichen Instanz, die unser Denken,Fühlen und Handeln vollkommen bestimmen kann. Unter solchen, ebenso maximal wiewillkürlich von außen determinierten Bedingungen wäre jedoch kreatives Handeln inner-halb von Organisationen schlechthin unmöglich. Oder auch: Je mehr ich an eine solcheVorstellung glaube, desto wirkungsloser wird das organisationale Handeln.9 Damit beißtsich die Katze in den Schwanz, und das Anstreben einer hinreichend kohärenten und vonallen geteilten organisationalen Identität führt geradewegs in deren Untergang.

Eine sinnstiftende organisationale Identität zu schaffen ist jedoch etwas ganz anderesals dieVerwirklichung eines totalitärenMachtanspruchs. In den Prozess fließen theoretischdie Auffassungen,Wertvorstellungen und persönlichen Ziele aller Organisationsmitgliederein. In der Praxis sind es natürlich nicht alle, die sich aktiv beteiligen, und nicht alle, diesich beteiligen, bringen den Prozess damit auch wirklich voran. Schon aus diesem Grun-de braucht es qualifizierte Moderatoren. Der Prozess ist auch alles andere als aufwandslosoder gar konfliktfrei – im Gegenteil. Aber genau darin liegt einer seiner großen Vorteile:An den Bruchstellen der vermeintlich klaren, in Imagefilmen gerne als widerspruchslosdargestellten Auffassung(en) der Organisation von sich selbst zeigen sich die Optionen fürderen Weiterentwicklung. Diese wahrzunehmen und zu nutzen gehört zu den Kernaufga-ben einer Führungskraft.

Ein solcher Prozess der gemeinsamen Sinnentwicklung zeigt auch, wer von den Men-schen in der Organisation wie stark engagiert ist und wozu er oder sie fähig ist. Auch diesesWissen ist für die Führungsebene von nicht zu unterschätzendemWert. Es gibt jedoch nochein weiteres, mindestens so starkes Argument für eine sinn-inspirierende Führungshal-tung und ein entsprechendes Führungshandeln: Das berechtigte Bedürfnis der Geführtendanach. Dieses ist in der konkreten Organisationspraxis naturgemäß umso größer, je un-verbindlicher ein gesamtgesellschaftlicher Sinnhorizont ist – bzw. wenn dieser überhauptnicht mehr existiert, wie es heute der Fall ist. Die Tatsache, dass die Tätigkeit, mit der ichden größten Teil meiner wachen Lebenszeit verbringe, aufgrund der arbeitsteiligen Kom-plexität (und der vielen konkreten Missstände in Organisationen) von den meisten an sichkaum mehr als sinnhaft empfunden wird, lässt sich so lange einigermaßen verschmerzen,wie ich durch meinen „sekundären Arbeitsgewinn“ noch persönliche Ziele erreichen kann(individuellen, materiellenWohlstand), die im gesamtgesellschaftlichen Sinnkontext einenkaum hinterfragten positivenWert darstellen. Aber auch dies ist heutzutage nicht mehr derFall.10 Insofern stellt sich für viele, wenn nicht sogar für die meisten (s. d. oben erwähnten

9 Die Tatsache, dass es durchaus auch wirkungslose Organisationen gibt, sollte uns nicht dazu ver-leiten, anzunehmen, dass diese alle auf mentaler Ebene totalitär gesteuert wären. Die Ursachen vonWirkungs- bzw. Erfolglosigkeit sind erwiesenermaßen sehr vielfältig.10 Aufschlussreich in diesem Zusammenstellung ist die Gegenüberstellung der Kernthemen der un-terschiedlichen Alterskohorten, der „Geezers“, geb. um 1925, und der „Geeks“, geb. um 1975 beiBennis undThomas (2002, S. 23–85, zusammengefasst in den Tabellen S. 32 u. S. 58).

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25.7 Mentaler Totalitarismus durch Inspiration? 203

Gallup-Studien) die sehr berechtigte Frage, warum ich eigentlich so viel arbeite, so viele –sogar im organisationalen Kontext – sinn- undwirkungslose Tätigkeiten verrichte. In einerZeitmanifester Kulturbrüche und der damit verbundenen gefühlten „Sinnlosigkeit“ der in-dividuellen Existenz kommt der Sinnstiftung in und durch das individuelle organisationaleHandeln daher zentrale Bedeutung zu.

Die Zeithistoriker verorten in den 1970er Jahren einen wirklichen historischen Bruch:

Solange wir die siebziger Jahre als ein Jahrzehnt im Kontinuum der Geschichte seit 1945betrachten, die zwar Schritt für Schritt Veränderungen aufweist, sich aber in der Spur fortbe-wegt, in die sie seit dem Zweiten Weltkrieg einschwenkte, werden wir diese Zeit von 1966/70bis 1970/86 nur als Niedergang auffassen können und sie mit kulturpessimistischenMusternder Interpretation konfrontieren. Erkennen wir jedoch in jenen Jahren den Anfang eines imWortsinn revolutionären Umbruchs, werden wir schon die siebziger Jahre mit anderen Au-gen betrachten und die achtziger und neunziger erst recht. Viele Anzeichen der bisher nurerst lückenhaft erschlossenen Entwicklung sprechen dafür, mit der Hypothese zu arbeiten,dass wir imÜbergang von den siebziger zu den achtziger Jahren in einen revolutionären Um-bruch hineingeraten sind, der sich bereits 1970 anbahnte.11

Wenn man nicht nur die politische, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, sondern auchdie Mentalitäts- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts in den Blick nimmt, sprichtvieles, fast alles dafür, dass dieser Bruch Teil einer abendländischen Kulturkrise ist, diein, durch und nach den bzw. dem zweiten Weltkrieg mehr und mehr manifest wird. Siesteht in der Wahrnehmung der meisten Menschen noch hinter dem Entsetzen und derTraumatisierung des Krieges und der Massenmorde unter den Flaggen von Hakenkreuzund Hammer und Sichel zurück. Sie wird überdeckt von den Notwendigkeiten des Wie-deraufbaus und dessen (materiellen) Errungenschaften während der „Trente glorieuses“.Sloterdijks Hinweis auf die Entstehungsbedingungen eines sich als Religion gebärdendenMentalunternehmens gelten nicht allein für die USA. „Der Ausgangspunkt für HubbardsKampagne“

für ein im Jahr 1950 lanciertes Produkt namens Dianetik [. . . ,] nur wenig später, dank ei-nes religoiden Upgradings, in die scientologische „Kirche“ [umgewandelt], liegt in der Kul-turkrise der späten vierziger Jahre [. . . ]. Zu dieser Zeit durfte der Autor einen Markt fürLebensberatungs- und Selbsthilfe-Literatur mit starkenWachstumspotentialen voraussetzen.Auf ihmwirkten psychoanalytische, lebensphilosophische, seelsorgerische, unternehmensbe-raterische, psychagogische, religoide, diätetische und fitnesspsychologischeMotive durchein-ander. Hubbards ingeniöser Ansatz bestand darin, diese Nachfragen in einem einzigen Punktzusammenzuziehen.12

11 Doering-Manteuffel (2008, S. 327).12 Sloterdijk (2011, S. 154–155). Hubbards Aktivitätenweisen eindeutig auf denAspekt der Kommer-zialisierung der Sinn-Industrie hin. Der europäische „Existentialismus“ und die „SituationistischeInternationale“ (vgl. Zweifel et al. 2006), eine Europäische Avantgarde-Bewegung, die später den„Mai 68“ auslöste, reagierten auf das gleiche Krisenphänomen, jedoch mit gänzlich anderen Hal-tungen und Zielen.

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Das Bedürfnis der Menschen nach Führern, die ihnen einen Weg aus der Krise undhandfesten – inneren wie äußeren Miseren – weisen, durchzieht die Geschichte des20. Jahrhunderts ebenso wie die Weltgeschichte. Allerdings waren die ambitioniertestenFührer des vergangenen Jahrhunderts zugleich die schlechtesten und die grausamsten.

Dass das Thema Leadership – Führerschaft für (Wirtschafts-)Organisationen erst abden 1970er Jahren virulent wird, zunächst in den USA, ist ein Hinweis auf den Konservati-vismus in der administrativen und ökonomischen Praxis wie Theorie und ihre Verhaftungim szientistisch-mechanistischem Paradigma. Gerade in der an anderer Stelle bereits dis-kutierten, allzu dichotomischen Gegenüberstellung von Führung und Management zeigtdie Leadership-Diskussion eine Hauptrichtung, die letztlich bekannte, organisationale undgesellschaftliche Grundbedürfnisse reflektiert. Gefragt wird nach inspirierender, transfor-mativer und visionärer Führung – also nach demGrundaspekt führenden Richtungsweisensüberhaupt.

Diesen zentralen Aspekt von Führung gering zu achten, gar wie Neuberger13 zu ver-suchen, ihn vollständig zu destruieren, ist nicht nur sinnlos, sondern geht auch an denBedürfnissen derMenschen in Krisenzeiten vollständig vorbei. Wann anders als in Krisen-zeiten bedürfen die Menschen der Führung, einer Führung, die ihre Energien freizusetzenund zu fokussieren versteht, damit die jeweilige Gemeinschaft die notwendigen Verände-rungsprozesse an sich selbst vollbringen kann? Solche Führung ist der Not der Situationgemäß inspirierend, transformativ und visionär. Die Frage ist also nicht: Darf Führunginspirierend, transformativ und visionär sein? Sie lautet vielmehr: Ist diese Führung imkonkreten Falle gut oder schlecht? Wozu inspiriert sie uns? Was taugen die Visionen?Wassind die Ziele des Transformationsprozesses? Und damit lautet die Frage ebenso: Wie gutoder schlecht sind die Führungskräfte – (aus-)gebildet? Und – da es die Menschen sind,da es die Gemeinschaft selbst ist, die ihre Führer bestimmt: Sind die Menschen in die-ser Gemeinschaft hinreichend gebildet, dass sie sich auch angesichts der empfundenenBedrohung denjenigen Hysterien enthalten können, die sie in die Arme grausamer, selbst-verliebter und widerwärtiger Scharlatane treiben könnten? Das Qualitätsmanagement vonFührung ist eine Sache der Führenden und der Geführten.

25.8 Konvergenz – organisational und individuell

Dass sich die Organisation intern eine Antwort auf die Sinnfrage - „Wozu machen wir dasalles überhaupt?“ - gibt, setzt voraus, dass es eine hinreichende Konvergenz zwischen or-ganisationalen und persönlichen Zielen der Menschen gibt bzw. geben kann. Das betrifftnicht nur allgemeine Fragen und Wertvorstellungen. Ein Pazifist wird sich sicherlich sehrschwer tun, besondere Leistungen bei einemHersteller vonZielleitsystemen für Kriegswaf-fen zu erbringen – ebensowie jemand, derKinder als notwendigesÜbel für die gesellschaft-liche Reproduktion ansieht, als Kindergärtner oder Lehrer. Entscheidend ist außerdem die

13 Neuberger (2005, S. 141–221).

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25.8 Konvergenz – organisational und individuell 205

Frage, ob ich an der Stelle in der Organisation, an der ich derzeit stehe, tatsächlich daserreichen kann, was ich will – sowohl hinsichtlich der organisationalen wie meiner per-sönlichen Entwicklungs- und Karriere-Ziele. Diese konkreten Fragen zu stellen, und zwarimmer wieder, ist keineswegs nur Aufgabe der Führungskräfte – es ist Teil der Selbstver-antwortung jedes Einzelnen. Führungskräfte wie Personalabteilungen können und sollenhier Impulse undUnterstützung geben, die zuallererst darin bestehen, eineUnternehmens-kultur zu entwickeln, in der das Interesse an den persönlichen Zielen der Menschen alsSelbstverständlichkeit gilt.

Dabei geht es um die Realisierung der je individuellen Ziele im Handlungszusammen-hang der Organisation und ihrer zweckgebundenen Ziele. Wie und inwieweit kann dasStreben nach Lebenserfüllung und beruflichem Erfolg innerhalb der Organisation am bes-ten verwirklicht werden? Dabei bleibt eines klar und unabweisbar: Die Maximierung desindividuellen Wohlfühlfaktors ist kein primäres Organisationsziel. Identifikation und Zu-friedenheit sind keine Organisationszwecke, sondernMittel, um diese zu erreichen.14 Or-ganisationsziele werden aber umso besser, effektiver und effizienter erreicht, je höher dasCommitment und die Identifikation der Führungskräfte und Mitarbeiter sind.

Meine Ziele – persönliche oder übergeordnete – sind eben meine Ziele – die Verant-wortung, sie mir bewusst zumachen, sie zu kommunizieren und zielgerichtet zu verfolgen,liegt vor allem bei mir selbst, dem Mitarbeiter gleich auf welcher Ebene der (Führungs-)Hierarchie. Die Antwort auf die Frage: „Was will ich eigentlich?“, kann sich der Einzelnenur selbst geben. Dafür muss er bereit sein, sie sich überhaupt zu stellen.

Im Rahmen der Sinnstiftung in einer Organisation(-seinheit) stellt sich unweigerlichfür jeden Einzelnen diese Frage mit größerer oder geringerer Deutlichkeit. Sie ist Teil desProzesses und darf von der Führungs- bzw. Moderationsebene keinesfalls ignoriert wer-den. Selbstverständlich werden im Rahmen des Sinnstiftungsprozesses selbst noch keinepersönlichen Entwicklungspläne aufgestellt. Aber sofern die Notwendigkeit dazu erkanntworden ist, sollten sie an geeigneter Stelle weiterverfolgt werden. Nur so ist gewährleistet,dass im Rahmen des Sinnstiftungsprozesses mehr produziert wird als bunte Folien. Wirk-lich wirkungsvoll ist der Prozess nur, wenn er in der Operationalisierung des Erarbeitetenkonkrete Ergebnisse hervorbringt. Dies können durchaus auch Umbesetzungen, Änderun-gen von Aufgabenbeschreibungen, Personal-Entwicklungsmaßnahmen etc. sein. Im Sinneder notwendigen Verzahnung von Organisations- bzw. Geschäftsstrategie einerseits undPersonalstrategie andererseits kann es gar nicht anders sein.

Die Verzahnung von HR- und Organisationsstrategie ist allerdings, auch dies wird hierdeutlich, keine einseitige. Jenseits der Ebene der Personal-Entwicklung schafft der Prozessder organisationalen Sinnstiftung (bzw. -überprüfung) wesentliche Einsichten für die Ge-schäftsentwicklung.

14 Vgl. dazu auch Malik (2006, S. 90–97).

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206 25 Führen durch Sinn

25.8.1 Hinreichende statt absolute Konvergenz

Eine vollkommene Konvergenz in den vielen Auffassungen unseres gemeinsamen Zielsund eine absolute Konvergenz der je persönlichen Ziele mit den Organisationszielen kön-nen in der Praxis nicht erreicht werden. Das ist auch nicht Sinn der Sache. HinreichendeKonvergenz meint, dass die Widersprüche zwischen Organisation und Umfeld sowie zwi-schen Organisation und Organisationsmitgliedern soweit aufgehoben sind, dass ein hoherWirkungsgrad mit Blick auf die als sinnvoll erkannten gemeinsamen Ziele erreicht wird.Eine vollkommeneWiderspruchslosigkeit ist kontraproduktiv, weil sich dadurch alleMög-lichkeiten einer Weiterentwicklung sowohl auf organisationaler wie auf der individuellenEbene verschließen. Entwicklung gibt es nur dort, wo es etwas zu entwickeln gibt, dasheißt, wo es Unstimmigkeiten, Widersprüche und Konflikte gibt. Gutes Ergebnis eines or-ganisationalen Sinnstiftungsprozesses ist die Freisetzung und zugleich Fokussierung derorganisationalen Energie-Potentiale, nicht die oberflächliche Einebnung von Widersprü-chen, die sich unter dem Teppich der Schein-Harmonie zu handfesten Klüften entwickeln.

25.8.2 Altruismus vs. Egoismus

Es gehört wohl zu den durchaus sympathischen, gleichwohl nur bedingt zielführenden Ei-genarten unseres deutschen Nationalcharakters, einen bedingungslosen Altruismus, voll-kommene Selbstlosigkeit als größtes ethisches Ideal anzusehen. Dies mag als individuelles,im Einzelfall sicher hart erarbeitetes Lebenskonzept durchaus stimmig sein. Als allgemei-nes Gesetz führt es jedoch schnell zuHeuchelei und Scheinheiligkeit – und in Organisatio-nen zu spezifisch destruktiven Ausprägungen vonMikropolitik. Selbstaufgabe andererseitsist die individuelleKehrseite der vollkommenen Selbstlosigkeit. Einemmeditierenden bud-dhistischen Mönch mag sie gut anstehen. Aber dessen Führung ist eine rein spirituelle. Erlebt von den Spenden anderer.

Es kommt daher darauf an, nicht Egoismus gegen Altruismus auszuspielen, sondern ei-ne der jeweiligen Situation angemessene, meinem persönlichen und dem organisationalenWertegerüst entsprechende Balance, besser noch: auch hier eine größtmögliche Konver-genz zwischen dem altruistischen und dem egoistischen Wollen zu finden.

In dieser Hinsicht ist eine Führungskraft nicht nur in ausgezeichneter Weise als Vorbildgefragt. Sie, d. h. die einzelne Führungskraft wie die gesamte Führungshierarchie, hat zurbesonderenAufgabe, die Führungs- undUnternehmenskultur in diesem Sinne zu gestaltenund (vor-)zu leben.

Von elementarer Bedeutung für wirksames Führungshandeln und für den Erfolg derOrganisation ist es, zu erkennen, dass der Wunsch nach Selbstverwirklichung nicht erstganz oben auf der Spitze einer gedachten Bedürfnispyramide erscheint, nachdem alle an-dere Bedürfnisse befriedigt worden sind.

Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung in dem Sinne, dass ich entsprechend meinenWerten und Zielen mein Leben und meine (Um-)Welt gemeinsam mit anderen gestal-

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25.9 GemeinsamerMythos 207

ten kann, haben alle Menschen zu jeder Zeit: „Mein Leben soll sinnvoll und bedeutsamsein!“

Dieses Bedürfnis kann niemand in jeder Situation vollkommen ausleben. Das bedeutetaber nicht, dass man es aufgeben muss oder gar nicht erst hat.15 Es ist immer da – solangeich nicht verzweifle und resigniere oder gar in eine tiefe Depression verfalle.

Es gehört zu den geradezu edel zu nennendenAufgaben einer Führungskraft, das in ih-rer Macht stehende zu tun, damit sowohl sie selbst wie auch ihre Kollegen undMitarbeiterkeinen Anlass zur Resignation haben.

25.9 GemeinsamerMythos

Eine Organisation, erst recht eine auf die Verwirklichung wirtschaftlicher Ziele gerichte-te, ist selbstverständlich eine streng rationale Veranstaltung. Und Mythen – angeblich dasschlechthin Irrationale – haben in Organisationen nichts verloren. Freilich, man kann esso sehen, aber es gibt auch eine andere Möglichkeit, die vielleicht hilfreicher ist.

Was ist eigentlich ein Mythos? Zunächst einmal eine Geschichte, die sich Menschengegenseitig erzählen. Sich Geschichten zu erzählen ist eine besondere Fähigkeit des Men-schen und – wie wir jeden Tag beobachten können, auch seine Leidenschaft. Das hat einenguten Sinn – durch Geschichten vermitteln wir uns und anderen nämlich nicht nur Fakten,sondern auch Bedeutungen und Bewertungen bezogen auf unser je konkretes Leben. Daswar schon lange so, bevor „Story Telling“ als Schlagwort in Marketing, Vertrieb und Ma-nagement in Mode kam. Geschichten sind das wichtigste Erkenntnis-Instrument für unsMenschen. Mythen sind in dieser Hinsicht keineswegs „irrational“, sondern Gestaltungs-formen unserer zutiefst menschlichen induktiven Rationalität.

Von den verschiedenen Mythen-Arten, die es gibt, interessieren in diesem Zusammen-hang besonders jene, die Gemeinschaft konstituieren. Die verschiedenen Geschichten, diez. B. in Organisationen von legendären Gründern erzählt werden, gehören zum Typus derSchöpfungsmythen – ebenso wie die Schöpfungsgeschichte des Alten Testamentes. Undwas wäre z. B. Krupp ohne die Geschichte(n) seiner Gründung durch Friedrich und vorallem seines Aufbaus durch Alfred Krupp. Es gibt viele Aspekte, die Krupp zu demMythoshaben werden lassen, der es heute noch ist – sehr deutlich wird das daran, dass der zwei-te Name in der heutigen Firmierung ThyssenKrupp AG bei den meisten Menschen einenungleich größeren, emotionalen Aufmerksamkeitsschub generiert. Wichtiger aber als dasist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass der Mythos Krupp nicht nur nach außengewirkt hat, sondernmindestens ebenso sehr nach innen. Stahlarbeiter bei Krupp nahmensich selbst in erster Linie als Kruppianer wahr und erst in zweiter Linie als Arbeiter. Oh-

15 Die populäre Rezeption der Maslowschen Bedürfnis-Pyramide (Maslow 1943; vgl. auch Maslow1998) unterstellt, dass in der Hierarchie höherstehendeMotivationen wie Individualbedürfnisse undder Wunsch nach Selbstverwirklichung erst wahrgenommen würden, wenn die Bedürfnisse an derPyramidenbasis (Physiologische Bedürfnisse, das Bedürfnis nach Sicherheit) gestillt wären.

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208 25 Führen durch Sinn

ne diese Identifikation mit dem Unternehmen wäre dessenWiederaufbau nach 1945 nichtmöglich gewesen.

Das Interessante am Mythos Krupp ist aus der Mitarbeiter-Perspektive, dass es ebennicht nur ein Mythos war. Der Mythos war durch die Realität gedeckt. Betriebsbeding-te Kündigungen zur Rendite-Optimierung waren bis in die 1970er Jahre bei der oberstenFührung von Krupp keine Option, dennman fühlte sich für das Schicksal aller Betriebsan-gehörigen persönlich verantwortlich. Die, wie man heute sagen würde: „außertariflichenLeistungen“ bei Kruppwaren in der Tat außer-ordentlich. Bis dahin, dass Krupp eine eigeneEinzelhandelskette besaß – „Konsum“ – die denMitarbeitern großzügige Rabatte einräum-te, so großzügig, dass das heutige Finanzamt dem Unternehmensbereich wahrscheinlichdie Gewinnerzielungsabsicht aberkennen würde.

Mithin – einMythos ist weder irrational noch irreal.Wenn dieMenschen eine relevanteDiskrepanz zwischen dem Inhalt desMythos und ihrer erlebtenWirklichkeit feststellen, istder Mythos selbst nur noch Vergangenheit.

So sind wir heute geneigt, denMythos anzusehen als eine Geschichte (oder eine Samm-lung davon), an die Menschen einmal geglaubt haben, weil sie es nicht besser wussten, weilsie auf einer „niedrigeren mentalen Entwicklungsstufe“ standen als wir. Vielleicht ist dasdoch ein wenig zu vermessen, um den Kern der Sache zu treffen.

Die Geschichten, die sich die Menschen von der Organisation, in der sie arbeiten, er-zählen, bilden einen kollektiven Mythos. Das geschieht – fast – wie von selbst, auf jeden Fallist es unvermeidlich. Wir Menschen sind eben so. Und genauso unvermeidlich ist, dass inOrganisationen oftmals sehr viel investiert wird, um das eigene Image nicht nur nach au-ßen, sondern natürlich auch nach innen aufzupolieren. Neudeutsch verkauftman das dannunter dem Titel „Reputation Management“.

Dabei werden seriöse Berater für Reputation Management allerdings nicht müde, im-mer wieder auf eine ebenso simple wie wesentliche Tatsache hinzuweisen: Sein Image kannman nicht aufpolieren. Oder mit anderenWorten:Wahre Schönheit strahlt von innen. DieReputation einer Organisation kann nur durch die Entwicklung ihrer tatsächlich gelebten„inneren Werte“ nach außen hin verbessert werden.

Wenn es also darum geht, den Mythos einer Organisation positiv weiter zu entwickeln,dann gibt es nur einen Weg: Man – und da stehen Führungskräfte an vorderster Front –muss genau das leben, was dann als Erzählung im Mythos destilliert und als wesentlicheEssenz kondensiertwerden soll. Denn jedeGemeinschaft braucht nicht nur einenMythos –er ist eines der wenigen Grundelemente, die eine Gemeinschaft konstituieren – sondern sieschafft sich ihren Mythos in jedem Fall.

Führungskräfte haben – auch das ist eigentlich keine neue Erkenntnis – auf zweiWeisenEinfluss auf den kollektiven Mythos einer Organisation: Durch ihr Handeln und Verhalteneinerseits, und die Art und Weise, wie sie mit der Organisation kommunizieren anderer-seits.

Integeres, achtungsvolles und wirkungsvolles Handeln bilden die eine Ingredienz füreinen konstruktiven Organisationsmythos. Die andere ist Kommunikation als gezieltesDeutungsangebot. Wir tun dies und das, weil . . . ! Natürlich kann man es damit auch über-

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25.10 Fundamente der Zukunft 209

treiben, und die Zuhörer zu langweilen ist das Schlimmste, was ein Geschichten-Erzählertun kann. Trotzdem: Wenn es keinen Sinnzusammenhang zwischen den verschiedenenHandlungssträngen gibt und kein kohärentesMuster erkennbar ist, ist es für unsMenschenunmöglich herauszufinden, wofür das alles eigentlich gut sein soll, was wir tun (sollen),und wo es uns schließlich hinführt. Das ist keine gute Leistungsgrundlage.

Wenn in einer Organisation statt eines einigermaßen konsistenten Mythos stark diver-gierende und konfligierende Mythen existieren, dann ist das ein sicheres Zeichen für dieNotwendigkeit, das Führungshandeln zu überprüfen. Denn der Mythos ist gnadenlos: Erentlarvt, was ist – nicht nur in der wahrnehmbaren Diskrepanz zwischen Erzählung undWirklichkeit, sondern auch durch die konkurrierenden Erzählungen.

Mythen drücken für uns Menschen Sinn aus, sie geben uns Orientierung, und dort,wo die großen Mythen, die „Metaerzählungen“ oder „Grandes Narrations“ ihre Verbind-lichkeit verloren haben, wachsen neue, nicht konsolidierte Mythen wie Pilze nach demHerbstregen aus dem Waldboden. Wenn uns diese Mythen abstrus und gefährlich für dieOrganisation und das Erreichen ihrer Ziele erscheinen, ist das ein Signal, das wir nichtübergehen sollten. Als Führungskraft bin ich nicht so sehrMythenschöpfer, sondernmussvor allem ein guter Zuhörer sein. Die anderen sind es, die Geschichten über mich und dieOrganisation erzählen.

25.10 Fundamente der Zukunft

Wenn wir die Pfadabhängigkeit unserer zukunftsgerichteten Existenz akzeptieren, begrei-fen wir, dass ein individueller Selbst-Entwurf in „freier“ Beliebigkeit schlechterdings un-möglich ist. Alle Versuche, sich von der Vergangenheit abzulösen, tabula rasa zu machenund das Neue auf einer carte blanche aufzubauen, sind von vornherein zum Scheitern ver-urteilt. Wir können weder uns noch die Welt „rebooten“. Ohne unser individuelles undunser kollektives kulturelles Gedächtnis habenwir nicht nur keine Vergangenheit, sondernauch keine Zukunft mehr. Was wir sind und was wir werden können, beruht auf unserenErinnerungen.16 Erinnerungen und Traditionen – individuelle, familiäre, organisationa-le, gesellschaftliche – sind unsere Wurzeln. Ohne deren Pflege gibt es kein Wachstum undkeine Entwicklung. Dazu müssen wir sie vor allem kennen. Ohne diese Kenntnis sind wirnicht mehr viel als Sklaven eines uns unverständlich erscheinenden, „unübersichtlichen“Geschehens.

Individuelle, kollektive und organisationaleMythen der Vergangenheit und Gegenwartsind Fundamente der Zukunft. Sie dienen – wie beschrieben – der Sinnstiftung, aber da-durch und darüber hinaus der identitätsstiftenden Selbsterklärung und Selbstvergewisse-rung. Sie bewahren unsere Traditionen auf, damit wir sie zur Verfügung haben und sieweiter entwickeln können – wobei sich das „unsere“ auf die Folge unzähliger Generatio-nen bezieht, deren Ursprünge sich im Dunkel der menschlichen Vorgeschichte verlieren.

16 Vgl. Schacter (2001); Assmann, J., (1992); Assmann, A. (2010).

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210 25 Führen durch Sinn

Mythen und Traditionen sind nichts Statisches, Unveränderbares – im Gegenteil. Je-de Generation muss nicht nur die von der vorigen übernommenen Traditionen, die „BestPractices“ der Vergangenheit überprüfen, neu interpretieren und den Notwendigkeiten ei-ner sich stetig veränderndenWelt anpassen. Jede Generation schreibt die überkommenenMythen nicht nur weiter, sondern schafft sie im doppelten Sinne neu: Indem sie sich dieMythen anverwandelt, sie sich zu eigen macht und dabei an ihre historische Situation an-passt.

Traditionsbewusstsein steht in keinerlei Hinsicht im Widerspruch zu Wandelbarkeitund Innovationskraft, imGegenteil. Gerade die traditionsbewusstenUnternehmen könnenbesonders erfolgreich sein, wie das Beispiel IBM zeigt. Hier wie in allen ähnlich gelager-ten Fällen dient Tradition nicht als Mittel, eine vergangene Größe und Stärke als mentalenSchutz gegen die gefährliche Gegenwart wie ein Schild der Selbstverblendung vor sich her-zutragen. Tradition und Erinnerung sind Stärkung undAuftrag, es jetzt und in der Zukunftgenauso gut oder gar besser zu machen als die Generationen vor uns.

Traditionsvergessenheit oder die in Deutschland seit den 1960er Jahren betriebene ak-tive Traditionsvergiftung17 führen geradewegs in die Zukunftslosigkeit. Wer die Pfade derVergangenheit abschneidet, verliert die Wegweiser zu den Passagen in die Zukunft. Dasist in Deutschland besonders gut zu beobachten, wo Zukunft zum Synonym gewordenist für die allgegenwärtige Verwirrung darüber, was eigentlich zu tun wäre. Nach demWiederaufbau- und Wohlstandsparadigma – noch einmal aktualisiert in der Forderungnach einem allgemeinen Grundeinkommen – kommt (fast) nichts mehr.18 Wohin soll mangehen, wenn man auf dem Gipfel zu stehen meint?

17 Ein Ausdruck, geprägt durch den evangelischen Theologen Fulbert Steffensky: „Das Böse seiüberall gesucht worden, sagt Steffensky. Die Linke habe in allem schon die Vorläufer der National-sozialisten gesehen, bei Hölderlin angefangen. Auf diese Weise habe man die Geschichte immer nurals Verfall lesen können, und man habe der eigenen Geschichte, der eigenen kollektiven Erinnerungnichts Gutes zugetraut. Vor 30 Jahren gehörte auch Steffensky zu denen, die Traditionen unter Ge-neralverdacht stellten. Heute sagt er: ,Das ist eine Selbstberaubung, die die Freiheit zerstört und mitder vor allem die Kinder nicht leben können.‘ Wieder fällt mir der ,vergiftete Boden‘ ein. Kulturleis-tungen, auf die üblicherweise jedes Volk stolz ist, wurden nachträglich vergiftet, weil man darin dieWurzeln des Zivilisationsbruchs vermutete. Es ist an der Zeit, unsere Erinnerungskultur zu überden-ken. Was wollen und müssen wir an unsere Kinder und Kindeskinder weitergeben? Wie vermittelnwir die NS-Vergangenheit? Welche Schwerpunkte setzen wir bei der Weitergabe des Wissens überdeutsche Geschichte und Kultur, damit das, was Deutschland im Kern ausmacht, für Kinder ausMi-grantenfamilien begreifbar wird? Was kann ihnen – die in nicht allzu ferner Zukunft die Hälfte derGroßstadtjugend ausmachenwerden – helfen, sich kulturell zu verankern?Was bedeutet für sie deut-sche Identität, solange das Fernsehen sich beim Darstellen der deutschen Geschichte überwiegendauf Schreckensbilder aus den dreißiger und vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts konzen-triert?“ (Bode 2006, S. 266). S. auch Lackmann (2009).18 Als politisches Kernprogramm der Bundesrepublik prägnant formuliert vom „Vater des Wirt-schaftswunders“ Ludwig Erhard (Erhard 1957). Erhards Erfolgstitel wurde zuletzt 2009 neu aufgelegt.Angesichts der Konzentration der öffentlichen Diskussion auf die Verteilung (statt der Schaffung)von Wohlstand muss allerdings davon ausgegangen werden, dass die Verkaufszahlen nur einen ge-ringen Hinweis auf eine tatsächliche Lektüre geben können. Zum Wohlstandsparadigma vgl. auch

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25.11 Offenheit und Zukunftsgerichtetheit 211

Wir brauchen Mythen, die unsere Traditionen erzählend symbolisieren und aus denPfaden der Vergangenheit in die Zukunft weisen. Es liegt in der Verantwortung der Füh-rungskräfte, über diese Gerichtetheit der „Grande Narration“ zu wachen.

25.11 Offenheit und Zukunftsgerichtetheit

Trying to predict the future is like trying to drive down a country road at night with no lightswhile looking out the back window.

Peter F. Drucker

Die Zukunft ist offen.Wennwir diesesWort gebrauchen,meinenwir damitmeist in ers-ter Linie die daraus resultierende, uns oft beängstigende Ungewissheit. Wenn überhaupt,dann kommt erst in zweiter Hinsicht die Tatsache in den Blick, dass diese Offenheit über-haupt erst die Voraussetzung für alle Entwicklungen und für unsere Gestaltungsfreiheit ist.Ohne die prinzipielle Offenheit der Zukunft gäbe es keine Möglichkeiten, keinerlei Optio-nen, die nicht schon im Voraus festgelegt wären.

Die Vorstellung von einer offenen Zukunft als solcher ist eine „Erfindung“ der frühenNeuzeit. Bis dahin war das Zeitverständnis geschlossen: Entweder war es zyklisch – eindauernder Kreislauf, eine „ewige Wiederkehr des Gleichen“ – oder teleologisch: Die Ge-schichte des Menschen hatte ein notwendiges Ende und zugleich ein Ziel: DieWelt, die wirkennen wird eines fernen Tages in einem apokalyptischen Szenario untergehen und – sozumindest die christlichen Vorstellungen19 – Gott wird kommen, zu richten die Lebendenund die Toten. Die Guten kommen in den Himmel, und die Schlechten ereilt die ewigeVerdammnis. Damit wird (nach christlicher Vorstellung) die Ordnung der Welt, wiederhergestellt, die seit der selbstverschuldetenVertreibung desMenschen aus demParadies ge-stört wurde. Jedoch sind apokalyptische Endzeitszenarien keineswegs auf den christlichenKulturraum beschränkt. Die säkularisierte Religion des Marxismus hat sie aufgenommen

Peer Steinbrück: „Bei der Überlegung, was in der Bundesrepublik nach 1949 identitätsstiftend war,kommt Steinbrück [*1947] auf vier Punkte: Verfassungspatriotismus (nach Habermas), die D-Mark,die Fußballweltmeisterschaft 1954 und einWohlstands- undWachstumsparadigma. Den vierten undletzten Punkt erläutert Steinbrück so: ,Abgesehen von kleinen Ausschlägen in der Konjunktur hastdu materiell von Jahr zu Jahr etwas mehr als vorher. Das ist die Erfolgsgeschichte dieser Republik.Und zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist diesesWohlstandsparadigma leider zum Ende gekommen.‘“(Bode 2006, S. 78). Ergänzend zu Steinbrück und mit Blick auf die Traditionsvergiftung von großerBedeutung ist das seit den 1960er Jahren aufgekommene, bis heute wirksame Paradigma der tra-ditionsvergiftenden „Post-mortem-Entnazifizierung“, bei der sicherheitshalber der wesentliche Teilder deutschen Geschichte und Kultur entsorgt wird. Allerdings steht zu befürchten, dass sich dieMachtergreifung der NSDAP 1933 auch dadurch nicht verhindern lassen wird, dass man Hölder-lin, Fichte, Hoffman von Fallersleben, die Familien Krupp, Benz und gleich ganz Preußen – um nureinige populäre Beispiele nennen – zu (proto-)faschistischenWegbereitern Hitlers deklariert.19 Stil- und meinungsbildend seit fast 2000 Jahren: Die Apokalypse des Johannes.

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212 25 Führen durch Sinn

und umgeformt. Hier steht amEnde der Geschichte als deren Ziel das paradiesische „Reichder Freiheit“ auf Erden.

Zukunftsvorstellungen, gleich ob sie sich inMythologemen, Religionen oder Ersatzreli-gionen niederschlagen bzw. popularisiert werden, sind zutiefst mit dem Alltagserleben derMenschen verwoben. Bis in die frühe Neuzeit hinein war zumindest die Alltagsgeschich-te eine relativ adynamische Veranstaltung. Das Leben nahm seinen Lauf im rhythmischenWechsel der Jahreszeiten, vonWerden undVergehen, Geburt und Tod. In ihrer Vorstellunghatten die Menschen wenig Einfluss auf ihr Geschick. Der normale Lebensvollzug ebensowie Seuchen, Kriege und Hungersnöte war bestimmt durch Gott und sein dem Menschenunergründliches Wirken.

Die Neuzeit bringt nicht nur bahnbrechende Phänomene wie den Beginn der Globa-lisierung, den Buchdruck und die Renaissance-Kunst hervor. Mit ihr entwickelt sich einneues Zeit- und vor allemZukunftsverständnis.WarZukunft auch im17. Jahrhundert nochvor allem das, was auf einen einfach zukam, ohne dass es beeinflussbar war, so entwickel-ten sich in dieser Zeit doch dieWahrscheinlichkeitsrechnung unddasVersicherungswesen:Die Menschen begannen auf vielfältige Weise, sich zumindest selbst auf das, was auf sie zu-kommen konnte, aktiv und berechnend vorzubereiten.

Im 18. Jahrhundert eröffnen sich die Menschen eine neue Dimension der Zukunft unddamit zugleich ihrer selbst: Die Zukunft wird vomMenschen gestaltbar. Das neue Zauber-wort heißt „Fortschritt“. Zukunft ist nun nicht mehr das, was uns geschehen wird, sondernetwas, wohin wir gehen. Wir eignen uns damit eine – praktisch noch geringe, theore-tisch aber als unumschränkt gedachte – Macht über die Zukunft, über unsere eigene Ent-wicklung in der Zeit an. Ermächtigt werden wir dazu durch unsere naturwissenschaftlicheErkenntnisfähigkeit und die Möglichkeit der praktischen Anwendung dieser Erkenntnisdurch die Technik. Fortschritts- und Zukunftsoptimismus gehen von jetzt an bis zum „En-de der Zuversicht“20 Jahrhunderte Hand in Hand.

Die nächste Zäsur in der Entwicklung unserer Zukunftsvorstellung liegt zu Beginn desletzten Drittels des 20. Jahrhunderts, also erst rund 40 Jahre zurück. Mit dem Verlust derIllusion von der Beherrschung der Welt durch die „Globalsteuerung“ aller physikalischen,sozialen und psychischen Phänomene wird die Zukunft zu etwas völlig Ungewissen, zuder schon erwähnten „schwarzenWand“. Seitdem greifen viele Menschen in Ermangelungalternativer Vorgehensmodelle auf altbekannte, mittelalterliche Haltungen zur Zukunft zu-rück: Die Apokalyptik feiert fröhliche Urstände. Allerdings gibt es einen fundamentalenUnterschied: Nicht mehr der göttliche (Heils-)Plan wie noch im Mittelalter, sondern dasmenschliche Handeln ist nun die vorgestellte Ursache der erwarteten Katastrophe. Damitliegt zumindest ihre mögliche Abwendung noch immer in unseren Händen.

Dieses unscheinbare Detail verweist auf einen fundamentalen Unterschied zwischenunserer heutigen und sowohl der mittelalterlichen wie der neuzeitlichen Zukunftsvorstel-lung: Beide sind letztendlich deterministisch. Die Zukunft des mittelalterlichen Menschenist vorherbestimmt durch die göttliche Vorsehung – es geschieht mit ihm und der gan-

20 Vgl. Jarausch (2008a).

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25.11 Offenheit und Zukunftsgerichtetheit 213

zen Menschheit, was Gott in seiner unergründlichen Weisheit für ihn vorgesehen hat. Derneuzeitliche Mensch bis in die Mitte der siebziger Jahre glaubt an die Gesetzmäßigkeitder Welt. „Natura non fecit saltus“ – die Natur macht keine Sprünge, lautet das Credo.Nichts geschieht, was nicht durch die Naturgesetze bestimmt ist. Die Kenntnis der Na-turgesetze ermöglicht nicht nur, sie sich zu Nutze zu machen, sondern jeden möglichenZustand der Welt vorherzusagen. Denn alle Zustände der Welt sind ja durch die Naturge-setze determiniert. Das ist die erkenntnistheoretische Basis der Vorstellung einer „Global-steuerung“.

Doch es waren vor allem die Naturwissenschaften, die seit Beginn des 20. Jahrhun-derts zunächst die Erkennbarkeit der Welt durch den Menschen und dann ihre in sichgeschlossene Determiniertheit als These falsifiziert haben: Natura fecit saltus! Kontin-genz und Emergenz sind natürliche Phänomene – unabhängig davon, ob sie in ein vommechanistisch-deterministischen Denken geprägtesWeltbild passen oder nicht. Das heißt:Die Welt – und damit die Zukunft – ist nicht determiniert. Und daraus folgt: Die Zukunftist definitiv nicht vorhersagbar.

Sonach erscheint vielleicht die gegenwärtige Tendenz, die Zukunft möglichst schwarzzu sehen, gewissermaßen einfach als das kleinere Übel? Wenn ich weiß – bzw. mir zu wis-sen einrede – dass eine Katastrophe unausweichlich ist, dann weiß ich wenigstens, was aufmich zukommt. Solange ichmir suggerieren kann, dass die Katastrophemenschengemachtist, kann ich hoffen, ich könnte sie irgendwie abwenden. Offensichtlich ist für uns heutigeMenschen kaumetwas schwieriger als dieAkzeptanz undder konstruktiveUmgangmit derUngewissheit und einer daraus abgeleiteten Vorstellung vollkommener Ohnmacht. Selbstder Preis eines selbstzerstörerischen Schuldkomplexes scheint nicht hoch genug zu sein.

Tatsache ist: Es gibt immer menschliche Einflüsse und damit auch die Möglichkeit aufdie Zukunft gerichteter menschlicher Einflussnahmen, im positiven wie im negativen Sin-ne. Aber es ist äußerst schwierig, unsere vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigenEinflussnahmen in den Gesamtkontext der Naturgeschichte einzuordnen und richtig zubewerten. Das heißt nicht, dass es völlig unmöglich ist. Es setzt nur eine sehr weite (prä-)historische Perspektive, wirkliche Sachkenntnis aller Beteiligten und die Bereitschaft vor-aus, die großen zeitlichen undmateriellen Aufwände für die Entwicklung solch komplexerBewertungsszenarien zu leisten.

So wenig Führungskräfte nach dem Verlust des Command-and-Control-Paradigmasohnmächtig oder gar überflüssig geworden sind – auch wenn ein neues Führungspara-digma erst noch im Entstehen begriffen ist –, sowenig sind die einzigen Alternativen zurgeplatzten Allmachtsillusion der Globalsteuerung Ohnmacht oder Schuld.

Es ist eine spannende Frage, wie die Menschen in fünfhundert Jahren darüber denkenwerden, aber aus heutiger Sicht können wir nur konstatieren, dass die Zukunft aus vonuns nicht beeinflussbaren Gründen in hohem Maße ungewiss und damit auch beängsti-gend ist. Das betrifft nicht nur den Zustand derWelt im Allgemeinen, sondernmindestensebenso sehr unser Alltagsleben und erst recht unser Handeln in und die Leitung von Or-ganisationen. Mit konventionellen Methoden reduziert sich unser Erwartungshorizont –der Zeitraum, während dessen uns heute bekannte Zustände mit hoher Wahrscheinlich-

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keit unverändert bleiben – auf wenige Jahre, mitunter nur auf Monate oder gar Wochen.Sicher sein kann man nie.

Welchen Sinn soll der von Führungskräften moderierte Prozess der organisationalenSinnstiftung haben, geschweige denn produzieren können? Zunächst einmal ist der Prozessder Sinnstiftung persistent. Organisationaler Sinn ist weder absolut noch statisch, sondernkontextuell und dynamisch. Das bedeutet nicht, dass eine Schule, einMinisterium oder einUnternehmen sich alle drei Tage komplett neu erfinden muss. Aber der Mythos einer Or-ganisationmuss offen sein für Veränderung. Sonst wird er zum Problem. Die Organisationerstarrt und ist auf die Dauer nicht überlebensfähig.

Menschliches Handeln, und wirtschaftliches in ganz besonderem Maße, ist per se zu-kunftsgerichtet. Ich entscheide mich jetzt, gleich – in der Zukunft etwas zu tun. Ich pro-duziere jetzt Güter oder Dienstleistungen, die ich in der Zukunft verkaufe (hoffentlich).Menschen handeln in der Gegenwart für die Zukunft. Selbst Einzeller tun das. Das Geißel-tierchen bewegt sich jetzt, um später, möglichst zeitnah, Nahrung zu finden.

Ein guter organisationaler Mythos muss zuallererst das zum Inhalt haben: Wir han-deln heute für morgen – auch für das Morgen, das wir noch nicht kennen. Wir bauen aufTraditionen auf, aber unsere Traditionen legen uns keine Fesseln an, sondern geben unsErfahrung und Mut, uns der Gegenwart zu stellen, um zukunftsgerichtet zu handeln. Wirbewahren die Traditionen, die hilfreich sind, und lösen uns von denen, die unsere notwen-dige Entwicklung behindern.Wir sind bereit undmutig genug, um loszulassen.Wir tretennicht nur hochfrequent auf der Stelle – wir sind bereit, uns wirklich zu bewegen.

Der Strukturwandel hat viele Beispiele von Unternehmen hervorgebracht, denen esgelungen ist, sich den geänderten Rahmenbedingungen anzupassen, indem sie sich neuerfunden haben: Mannesmann, Nokia21,ThyssenKrupp, BASF, Lufthansa, um nur wenigezu nennen. Andere haben sich kontinuierlich weiterentwickelt und dabei nicht so sehr vonihren historischenWurzeln entfernt. Sie alle haben ihren Mythos beherzt fortgeschrieben.Die Bücher sind nicht geschlossen.

Die Führungskräfte, die diese Prozesse moderiert und gestaltet haben, haben die vielenErzählstränge von innerhalb und außerhalb der Organisation, von ihren Mitarbeitern undvom Markt aufgenommen und daraus ein neues Drehbuch geschrieben – und erfolgreichrealisiert. Sie waren Autoren, Redakteure und Regisseure des Wandels. Der Wandel ist ge-lungen, weil sie eine guteGeschichte geschrieben haben – eineGeschichte, die aufgegangenist und den Reality Check bestehen konnte. Eben das macht einen guten Mythos aus. DieFrage ist, was sie brauchten, damit das gelingen konnte.

21 Möglicherweise entwickelt sich Nokia gerade zu einem Beispiel für den Fluch des Erfolgs resp. dasInnovatoren-Dilemma.


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