Referat Gesellschaft, Unterrichtsentwicklung, Lisa Rosa
Die Bedeutung von Leont'evs Konzept des persönlichen Sinns
für den historisch-politischen Unterricht
Bericht
neues Unterrichtsmodell konkretes Projekt zur Erprobung des Modells Auswertung des Experiments Schlussfolgerungen
Anlass: Befunde
Zunahme rechtsextremistischer Aktivitäten bei autochtonen deutschen Jugendlichen
Zunahme antisemitischer Einstellungen bei Jugendlichen mit arabischem / muslimischem Migrationshintergrund
wenig und „falsches“ Wissen über NS und Holocaust bei allen Jugendlichen
trotz vielen Unterrichts zum Thema NS / Holocaust
Übliche Therapievorschläge
mehr Unterricht über Holocaust in allen Fächern ein spezielles Unterrichtsfach „Holocaust-
Education“ oder „Menschenrechtserziehung“ neue Konzepte und Methoden für den
Geschichtsunterricht
Neue Unterrichtskonzepte ?
Anspruch der allgemeinen und Fachdidaktik Schülerorientierung, Erlebnisorientierung, Handlungsorientierung,
Problemorientierung, Lebensweltorientierung, Kompetenzorientierung… Umsetzung in Unterrichtstechnologie
bleibt: gelenkte Aneignung in Lehrgangsform bleibt: äußere Zielvorgabe
[„Richtiges“ Wissen über Holocaust + Empathie mit den Opfern] bleibt: vom Lehrer ausgewählte Inhalte bleibt: Bedeutungen werden vorgegeben
Folge Widerspruch zwischen Erfahrung der S. und Inhalt der Belehrung
Effekte Überdruss, Ablehnung, Widerstand
Fazit Die angeblich neuen Konzepte sind Varianten der alten.
„Der Sinn wird nicht durch die Bedeutung erzeugt, sondern durch das Leben.“
„Die Bedeutung konkretisiert sich nicht im Sinn, sondern der Sinn in den Bedeutungen.“
Leont‘ev
Thesen für einen wirksamen historisch-politischen Unterricht
Ausgangspunkt muss Wissen und Einstellungen der Schüler sein – statt vorgegebener Inhalte, Ziele, Kompetenzen
Selbstbestimmung der Schüler muss im Zentrum des Lernprozesses stehen – statt Erziehung
Gegenstand muss die Geschichtsdeutung heute und die Beziehung der Schüler dazu sein – nicht die Vergangenheit
Projekt – statt Lehrgang und Instruktionismus
Unterrichtsmodell
Erkundung des individuellen Verhältnisses zum Gegenstand - Selbsterkundung
Bestimmung des individuellen Lerninhalts - Selbstbestimmung
Individuelles Lernen in Kommunikation
Unterrichtsprojekt
"'Richtiges' Erinnern?
Wie können wir angemessen mit der Gegenwart unserer Vergangenheit
umgehen?
Ein (Selbst-) Erkundungsprojekt am Beispiel des Holocaust-Mahnmals in Berlin"
Projektgruppen
September 2007:
12 Schüler eines Hamburger Abendgymnasiums und deren Geschichtslehrerin
Juni 2008:
5 Lehramtsstudenten, 3 Referendare, 5 Lehrer und 2 Lehrerausbilder
Projektdesign
1. Initiierung – Projektteilnehmer gewinnen
2. Einstieg – Projektgruppe konstituieren
3. (Kooperative) Planung und
4. Durchführung eines dreitägigen Workshops in Berlin
5. Auswertung in Hamburg (Projektwoche)
6. Präsentation der Projektergebnisse
7. Weiterführung – Anschlussideen und erste Schritte der Umsetzung in neuen Projekten
Interesse am Gegenstand? - Provozierende Zitate
Schritt 1: Initiierung
Beispiel
„Kein ernst zu nehmender Mensch leugnet Auschwitz. […] Wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, dass sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt.“
Nachfragen zum Projektangebot
Stolz Verantwortung
Gegenwart
Opfer
Täter
Zukunft
Vergangenheit
Ehre
vergessenSchande
Scham Schuld
verdrängen verleugnen
Erinnerung
Gedächtnis
Zugehörigkeit
politisch korrekt Unschuld
Identität
Fremdheit
Schritt 2: Einstieg „Was hat der Gegenstand mit mir zu tun?“
Begriffskarten
„Was hat der Gegenstand mit mir zu tun?“
Schritt 3: Planung
festgelegt wurdenProzess-StrukturenProzess-Instrumente
angeboten wurdenMaterial (Kataloge, Spezialstadtpläne, Texte …)Kontakte mit Personen
offen bliebenFragestellungen, Inhalte, Themen, Stoff, Ziele
Schritt 4: Durchführung
1. Tag: Selbst-Erkundung Die eigene Beziehung zum Gegenstand vor Ort klären
(Holocaust-Denkmal, Ort der Informationen): „Was irritiert, berührt, verärgert? Womit habe ich Probleme? …“
Kommunikation in einer Kleingruppe Kommunikation im Plenum der Projektgruppe
2. Tag: Erkundung Formulierung einer individuellen „Forschungsfrage“ Teambildung (Tandems) zur Bearbeitung einer gemeinsamen
Forschungsfrage, Planung von Arbeitsvorhaben Materialsammlung zur Forschungsfrage Zwischenbilanz in der Projektgruppe
3. Tag: Zwischenbilanz, Prozessreflexion, Feedback
Forschungsfragen der Teams 2007
„„Wie wirkt das Mahnmal auf andere, vor allem in Bezug auf die verschiedenen Generationen?“
„Die Juden heute in Israel: Sind die Opfer Täter geworden?“
„Mahnmal / Denkmal – oder moderne Kunst?“ „Warum können Deutsche nicht stolz darauf sein,
Deutsche zu sein?“ „Wie konnten aus ganz normalen Menschen Täter
werden?“ „Mehr Wissen über die Juden sammeln“
Materialsammlungen der Teams
Interviews mit Besuchern / mit Anwohnern des Mahnmals
Experteninterviews mit Vertretern der Stiftung, mit Mitarbeitern anderer Gedenkstätten/Museen, mit Vertretern von Opferorganisationen und anderen Experten
Besuche anderer Gedenkstätten/Museen Fotos, Video-Aufnahmen
Produkte und Präsentation (Beispiele)
Gestaltungsvorschlag eines Covers für die Produkte-CD der Projektgruppe
Endgültige Version des CD-Covers
Abschlussdiskussion: „Wo stehe ich jetzt?“
Die Zitate aus der Initiierungsphase
Auswertung: Schülerfeedback 2007
Gut war,
„dass zu speziellen Fragen Gesprächspartner vorhanden waren und dass wir kein festes Ziel hatten. Jeder konnte sein eigenes Ziel verfolgen und bekam die nötige Unterstützung.“
„dass diese Art zu arbeiten besser ist als die normale Art wie es in der Schule praktiziert wird. Ich habe nämlich auch viel für mich selbst gelernt und konnte mich voll auf mein Thema konzentrieren … und bin immer noch tief im Thema drin.“
Auswertung: Feedback der Lehrerin 2007
Es trifft vollkommen / überwiegend zu: Die Schüler haben sich mehr engagiert als im normalen Unterricht. Die Schüler haben mehr, besser, anders gelernt als im norm. U. Ich habe bei einzelnen Schülern Fähigkeiten entdeckt, die sie im
normalen Unterricht bisher nicht gezeigt haben. Ich habe für mich selbst neue Fragen zum Thema entdeckt. Ich habe selbst neue Erkenntnisse zum Thema gewonnen. Ich habe neue Formen, Aspekte, Instrumente des Lernens entdeckt.
Was ich noch sagen möchte:...Innerhalb des uns von der Schulbehörde (u. Gesellschaft)
gesteckten Rahmens (…) sehe ich die Möglichkeiten für Projekte eher eingeschränkt (…), denn selbstgesteuertes Arbeiten führt zu unterschiedlichen Wegen und Ergebnissen und konterkariert damit das große Ziel der Vergleichbarkeit.
Auswertung: Studenten, Referendare, Lehrer, Lehrerausbilder 2008
Ich habe aus dem Projekt gelernt,
„…wie gut es sich mit persönlicher Sinnbildung lernen lässt“ „Sinnbildung ist das A und O“ „Planung ist nicht Zielfestlegung“ „Notwendigkeit der Sinnbildung“ „Geduld, Vertrauen, Flexibilität“ „Vertrauen in den Prozess“ „Zeit lassen, Zeit geben“ „Sinnbildung viel Raum geben“ „wie wichtig die Zusammenarbeit mit Freunden ist“
„wie wichtig es ist, dass die Lehrer vor der Frage, wie sie etwas den Schülern vermitteln, unbedingt sich selbst ausführlich zum Gegenstand in Beziehung gesetzt haben müssen“
Weiterführung Projektgruppe 2008 : Transfer der Projekt-Erfahrungen in das eigene Praxisfeld in Hamburg
Erinnerungsorte in Hamburg gemeinsam besuchen
Projektexperimente im eigenen Unterricht Anschlussvorhaben „Erinnerungswerkstatt“ Konzeptentwicklung für das Kernpraktikum im
Masterstudium: „(Selbst-) Erkundung in Neuengamme“ + „Erschließung der KZ-Gedenkstätte als Lernort“
Fazit: Bestätigt hat sich praktisch Der Gegenstand des Lehr-Lernprozesses ist das VERHÄLTNIS zwischen
Subjekt und Gegenstand. Die Kategorie „Persönlicher Sinn“ ist der Schlüssel des Lernens. Er bestimmt den konkreten individuellen Inhalt.
Die Gesellschaftliche Bedeutung des Holocaust ist das historische Produkt täglicher widersprüchlicher Aushandlungsprozesse und ist selbst in sich widersprüchlich. Sie geht NICHT in der offiziellen Geschichtsdeutung auf.
Die Aneignung kann darum nur stattfinden durch Teilnahme an dieser Aushandlung selbst, und zwar von Anfang an und nicht erst, wenn vorher genügend „richtiges“ Wissen erworben wurde.
An den Aushandlungsprozessen kann sich aber nur beteiligen, wer sein Verhältnis zum Gegenstand (seinen persönlichen Sinn) klärt und in Kommunikation reflektiert.
Wenn die Schüler Gelegenheit bekommen, ihr Verhältnis zum Holocaust und zur offiziellen Geschichtsdeutung zum Ausgangspunkt des Lernens zu machen, lernen sie.
Dieses Lernen ist im Projekt möglich.
Das Verhältnis der Lernformen: additiv
Lehrgang Training Projekt
Lehrgang und Training sind die Normalformen des Unterrichts –
Projekt ist die seltene Ausnahme
Das Verhältnis der Lernformen neu:
Projekt Lehrgang Training