Date post: | 26-Mar-2016 |
Category: |
Documents |
Author: | hannes-ortmann |
View: | 215 times |
Download: | 1 times |
fr ein handlungsfhiges Europa braucht es eine starke Europische Bewegung Deutschland vom
Honoratiorenkreis zum Europanetzwerk wurden Krisen als Chance genutzt und so konnte es werden
was es ist das Netzwerk starker Mitglieder und wie Europa 2.019 aussieht wird in 10 Jahren beantwortet
60 Jahre Europische Bewegung Deutschland
Wir danken allen Organisationen, die dieses Jubilum mit einer Anzeigenschaltung
untersttzt haben besonderer Dank gilt der Otto-Wolff-Stiftung.
3Dr. Dieter Spri, Minister a.D.Prsident der Europischen
Bewegung Deutschland
Die Europische Bewegung Deutschland schaut in diesem Jahr auf 60 Jahre wechselvoller Geschichte zurck. Sie steht damit nicht allein. 1949 war die Geburtsstunde der Bundes-republik Deutschland, in der mit der Verabschiedung des Grundgesetzes, der Wahl des Bundestages sowie der ersten demokratischen Nachkriegsregierung nicht nur die staatli-chen Strukturen neu geschaffen wurden. Auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen formierten sich neu. Die gesellschaftliche Vielfalt, die unterschiedlichen Interessen und Gruppierungen sollten in den Prozess einer demokratischen Meinungsbildung einbezogen werden.
Es stellte sich in den letzten 60 Jahren heraus, dass diese Einbeziehung der Zivilgesell-schaft ein Erfolgsgarant fr die Integration Deutschlands in das Projekt Europa war. Die Zivilgesellschaft ist neben den politischen Institutionen die unverzichtbare Basis des Dialogs ber die besten Konzepte und Lsungen in der Europischen Union.
Die Europische Bewegung Deutschland hatte sich von Anfang an zum Ziel gesetzt, ein Ort dieses Dialogs zu sein. Die besondere Strke liegt dabei in der Vielfalt der Interes-sen. ber 150 Mitgliedsorganisationen aus allen gesellschaftlichen Bereichen sorgen stets dafr, dass der Diskurs lebendig bleibt und Neuerungen nicht durch einseitige Interessen bestimmt werden, sondern sich im Rahmen einer reprsentativen Vielfalt gesellschaftlicher Perspektiven entwickeln knnen. Ich danke allen unseren Mitgliedsorganisationen und institutionellen Partnern, die uns ber die Jahre hinweg verbunden sind und unsere Arbeit aktiv untersttzen. Ganz besonders mchte ich all jenen danken, die mit ihren Beitrgen, mit ihren persnlichen Eindrcken und Erinnerungen diese Festschrift zum 60-jhrigen Bestehen der Europi-schen Bewegung Deutschland mitgestaltet haben. Auf diese Weise ist ein Rckblick entstanden, der uns allen auch neue Perspektiven fr die Zukunft ffnen kann.
Vielfalt der Perspektiven
4Dr. Angela Merkel
Bundeskanzlerin der
Bundesrepublik Deutschland
Am 23. Mai 1949 wurde das Bonner Grundgesetz verkndet und damit die Bundes-republik Deutschland konstituiert. Wenige Wochen spter, am 13. Juni 1949, grndeten deutsche Interessengruppen und Parteien in Wiesbaden den Deutschen Rat der Europischen Bewegung. Dass diese beiden Ereignisse zeitlich so eng zusammenfallen, zeigt: Von Anfang an ist Deutschlands Weg zu Freiheit, Demokratie und schlielich zur Einheit untrennbar mit dem europischen Einigungswerk verbunden.
Heute stehen wir vor groen Herausforderungen in Zeiten der Globalisierung. Europa ist mehr denn je gefragt, Rahmen und Regeln mitzugestalten, die unsere Welt sicherer und gerechter machen.
Das Jubilumsjahr 2009 ist nicht nur ein Jahr des Gedenkens, sondern auch ein Jahr wichtiger politischer Entscheidungen ber das Schicksal des Vertrages von Lissabon, ber ein neues Parlament und ber eine neue Kommission. Notwendige Vernderungen der Europischen Union zu erklren und um Vertrauen zu werben das sind bleibende Aufgaben nicht allein fr die Politik, sondern fr alle Freunde Europas.
Die Europische Bewegung gibt der Einheit Europas seit 60 Jahren Stimme und Gesicht. Sie verbindet mit ihrem Netzwerk Vlker und Kulturen in ganz Europa. Ihnen allen, die in der Europischen Bewegung Deutschland mitwirken, danke ich sehr herzlich und bermittle zu Ihrem Jubilum meine besten Glckwnsche.
5Dr. Frank-Walter Steinmeier
Bundesminister des Auswrtigen
ber 50 Jahre sind seit der Unterzeichnung der Rmischen Vertrge vergangen. Die europische Integration hat unserem Kontinent in dieser Zeit eine beispiellose Epoche des Friedens, der Freiheit, des Wohlstands und der Stabilitt gesichert. Fr die 500 Millionen Menschen in den 27 Mitgliedstaaten der Europischen Union bedeutet das mehr Lebens- und Entfaltungschancen als je zuvor in der Geschichte.
Diese Erfolgsgeschichte wre ohne breites zivilgesellschaftliches Engagement fr die europische Sache nicht denkbar gewesen. Europa braucht eine feste Verankerung in den Kpfen und Herzen der Menschen. Fr dieses Ziel steht schon seit sechzig Jahren die Europische Bewegung Deutschland. Ihre Grnder bewiesen visionre Kraft, als sie am 13. Juni 1949 nur wenige Wochen nach Verkndung des Grundgesetzes den Deut-schen Rat der Europischen Bewegung ins Leben riefen. Heute stellt die Bewegung mit ber 150 Mitgliedsorganisationen das grte Netzwerk der Zivilgesellschaft und der Interessengruppen im Bereich der Europapolitik.
Die Europische Bewegung hat in berparteilicher Organisation die europische Einigung von Beginn an begleitet und tatkrftig mitgestaltet. Sie organisiert und frdert den Dialog zwischen Gesellschaft und Politik und setzt Akzente fr die europapolitische Bildung in Deutschland.
Europische ffentlichkeits- und Netzwerkarbeit ist heute wichtiger denn je. Europa steht vor groen Bewhrungsproben. Die Welt erlebt Umwlzungen historischen und globalen Ausmaes, deren Ende und Auswirkungen wir nur schwer bersehen knnen. Neue Mchte drngen auf die Bhne der Weltpolitik. Die globale Finanz- und Wirtschafts-krise, Klimawandel und Ressourcenabbau, die Bedrohungen des internationalen Terroris-mus und der organisierten Kriminalitt stellen uns Aufgaben, die kein Land der Welt alleine lsen kann. Die Menschen in Europa erwarten darauf von der Politik mit Recht eine europische Antwort. Europische Politik kann aber nur erfolgreich sein, wenn sie auf Dialog und Teilhabe aufbaut.
Mit der Gratulation zum 60-jhrigen Bestehen verbinde ich meine besten Wnsche fr eine erfolgreiche Zukunft der Europischen Bewegung Deutschland.
6Prof. Dr. Annette Schavan
Bundesministerin fr Bildung und Forschung
In der Berliner Erklrung anlsslich des 50. Jahrestages der Unterzeichnung der Rmischen Vertrge heit es: Europas Reichtum liegt im Wissen und Knnen seiner Menschen; dies ist der Schlssel zu Wachstum, Beschftigung und sozialem Zusammen-halt.
Bildung hat nicht nur eine herausragende Rolle bei der Verwirklichung individueller Lebenschancen. Bildung stiftet gleichermaen Identitt und frdert das Zusammenwach-sen Europas.
Die Europische Union muss sich als Gemeinschaft verstehen, die auf gemeinsamen Werten beruht. Diese Werte zu vermitteln, dazu hat das Netzwerk Europische Bewegung Deutschland (EBD) in den vergangenen sechzig Jahren einen wichtigen Beitrag geleistet. Fr das Bundesministerium fr Bildung und Forschung (BMBF) ist das Netzwerk Europi-sche Bewegung Deutschland daher seit Jahrzehnten ein wichtiger Partner.
Seit 1954 untersttzt das BMBF den Schlerwettbewerb Europa in der Schule Europi-scher Wettbewerb, der jedes Jahr rund 180.000 Schlerinnen und Schler in rund 1.700 Schulen fr die aktive Gestaltung eines gemeinsamen Europas begeistert. Auch die Stipendien, die vom Netzwerk EBD an begabte deutsche Absolventen fr das zehnmona-tige Aufbaustudium European Studies am College of Europe in Brgge oder Natolin vergeben werden, sind ein wichtiger Schwerpunkt der gemeinsamen Arbeit.
Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den gemeinsamen Europischen Bil-dungsraum Wirklichkeit werden zu lassen: Grenzberschreitende Aus- und Weiterbildung, gemeinsame Bildungsprogramme, ein deutlicher Ausbau der europischen Mobilittsfr-derung und die Verbesserung der Transparenz und Anerkennung von Bildungsabschls-sen sind Zeichen dieser erfolgreichen Entwicklung. Jetzt gilt es, Bildung und Qualifizie-rung im europischen Dialog gemeinsam weiter voranzutreiben, um Europa zur wettbewerbsfhigsten und innovativsten Region der Welt werden zu lassen.
Das Netzwerk Europische Bewegung Deutschland wird dabei auch in der Zukunft ein wichtiger wertvoller Partner sein.
7Jos Manuel Barroso
Prsident der
Europischen Kommission
Die Geschichte der Europischen Union ist eng verbunden mit der Entstehung und der Arbeit der Europischen Bewegung. In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ging es darum, eine Neuordnung Europas zu entwerfen, in der sich die Nationen und ihre Gesellschaften als Partner verstehen und gemeinsam Frieden, Demokratie und wirt-schaftlichen Wohlstand entwickeln.
Bei dieser Neuordnung spielten die gesellschaftlichen Gruppen eine entscheidende Rolle. Gerade in Deutschland war es wichtig, dass sich in den Nachkriegsjahren Gewerkschaf-ten, Industrie- und Wirtschaftsverbnde wie auch Kirchen- und Sozialverbnde unter dem Dach der Europischen Bewegung Deutschland an diesem europischen Prozess aktiv beteiligten und von der Politik als Gestaltungspartner akzeptiert wurden. Diese Partnerschaft hat bis heute Bestand. Die Europische Kommission deren erster Prsident Walter Hallstein spter auch Prsident der Europischen Bewegung Internatio-nal wurde hat sich zum Ziel gesetzt, ihre Politik mit grtmglicher Transparenz und intensiver Einbindung der Interessengruppen zu gestalten. Auf diese Weise entsteht eine Europapolitik, die durch Konsultationen, wechselseitigen Respekt und partnerschaftlichen Dialog geprgt ist.
Das Netzwerk Europische Bewegung hat in diesem partnerschaftlichen Dialog eine zentrale Rolle in Deutschland eingenommen. Mit seinen ber 150 Mitgliedsorganisationen bildet das Netzwerk EBD eine Plattform, von deren Vielfltigkeit und Professionalitt alle EU-Akteure profitieren. Durch seine Angebote in der europapolitischen Kommunikation wie EU-De-Briefings, EU-Briefings und EU-Analysen untersttzt das Netzwerk EBD die Arbeit der Europischen Kommission in Deutschland in besonderem Mae. Diese Partner-schaft hat wirklich Vorbildcharakter. Ich hoffe deshalb, dass diese nicht nur in Deutsch-land fortgesetzt wird, sondern auch als Anreiz fr andere Lnder und die Europische Bewegung International dienen kann. Als Mitglied der Europischen Bewegung Portugal jedenfalls nehme ich diese Anregungen sehr gerne auf.
Ich gratuliere der Europischen Bewegung Deutschland von Herzen fr die geleistete Arbeit der letzten 60 Jahre und freue mich, wenn diese Partnerschaft mit der Europi-schen Kommission noch lange Bestand hat und stetig im gegenseitigen Nutzen weiterent-wickelt wird.
8Herzlichen Glckwunsch zum 60. Geburtstag!
Europa wchst zusammen ...
... die EBD ist mittendrin.
260509_dbb_Anzeige_210x148_EBD.indd 1 26.05.2009 10:25:39
9Inhaltsverzeichnis60 Jahre Europische Bewegung Deutschland diese Festschrift soll eine
interessante Rckschau, eine politische Standortbestimmung und einen Ausblick
in die Zukunft wagen. Beginnen wollen wir mit einem Pldoyer
Fr ein handlungsfhiges Europa von Dieter Spri (S. 10).
Es folgt erstmalig eine umfassende Aufbereitung der Geschichte der Europischen
Bewegung Deutschland Vom Honoratiorenkreis zum Europanetzwerk von Jrgen Mittag (S. 12) untersttzt von einer Reihe von Ehrenprsidenten wie Walter Scheel (S. 22), Philipp Jenninger (S. 24) und Wolfgang Thierse (S. 28).
Die Neuausrichtung der EBD wird mit der Frage eingeleitet Brauchen wir die EBD?, gestellt und beantwortet von Ehrenprsidentin Monika Wulf-Mathies (S. 30), gefolgt von Wie es wurde, was es ist von Christoph Linden und Bernd Httemann (S. 32).
Und dann wird gratuliert! Die Mitgliedsorganisationen haben uns ihre
Glckwnsche (S. 36) geschickt, ber die wir uns sehr gefreut haben!Zwei Vertreterinnen von Mitgliedsorganisationen haben wir zum Gesprch eingeladen:
Birgit Kling (EUD) und Yvonne Nasshoven (JEF) (S. 40). Direkt gefragt haben wir einen Europer aus Erfahrung, Jo Leinen im Interview (S. 43).
Beschlieen wollen wir diese Festschrift mit einem Blick auf
Europa 2.019 von Bernd Httemann (S. 44) und einem Dank an unsere Mitglieds organisationen (S. 46).
Mehr in 10 Jahren
Christoph Linden & Michael Hacker
1010
Fr ein handlungsfhiges Europa
von Dieter Spri
Wenn man auf die politische Geschichte der vergangenen
60 Jahre zurckblickt, fllt auf, dass Europa nicht nur eine einmalige historische Erfolgsgeschichte ist, sondern stndig von Krisen geschttelt wurde, die immer wieder
die Grenzen der Handlungsfhigkeit der politischen Institutionen und seiner Akteure aufgezeigt haben.
1111
Gerade die zurckliegenden Jahre und Monate haben deutlich gezeigt: Selbst ein so starker und ber Jahrzehnte gewach-sener Zusammenschluss wie die Europische Union hat enorme Abstimmungsprobleme, wenn regionale oder globale Krisen auftreten und operatives Handeln der EU gefordert ist. Diese Phasen sind das logische Ergebnis des Spannungsverhltnisses aus gemeinschaftlicher Verantwor-tung und dem Eintreten fr nationale Interessen, das auch in den kommenden Jahren die Zusammenarbeit der 27 Mitgliedstaaten in der EU bestimmen wird.
Dennoch zeigt die Vernderung der konomischen und politischen Machttektonik in der Globalisierung, dass die EU ihre Entscheidungs- und Handlungsfhigkeit durch institu-tionelle Reformen dringend verbessern muss. Die Ratifizie-rung des Vertrags von Lissabon ist unverzichtbar. Ansonsten entwickelt sich Europa zu einer Art Freihandelszone, die zum Spielball der alten und aufsteigenden neuen Player der Weltpolitik wird.
In Deutschland ist die Mehrheit der gesellschaftlichen Gruppen mit ihrer Arbeit auf das Engste mit europischer Politik verknpft, profitiert in hohem Mae von der europi-schen Integration und gestaltet sie aktiv mit. Das heit, die Regierung und die Organisationen der Zivilgesellschaft mssen sich als Verbndete verstehen, die dasselbe Inter esse haben: ein starkes Europa, in dem im Rahmen europischer Handlungsfhigkeit nationale Interessen adquat vertreten sind.
Im Gegensatz zu vielen anderen Mitgliedstaaten der EU ist in Deutschland die Europapolitik fachpolitisch dezentrali-siert. Das heit, die unterschiedlichen europapolitischen Themen und Entscheidungen werden in den jeweiligen Fachressorts behandelt und abgestimmt. Dieses so genann-te Ressortprinzip wirkt sich auch auf die europapolitische Kommunikation aus, da die unterschiedlichen Verbnde, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen eine Vielzahl von Ansprechpartnern haben, mit denen sie ber smtliche Facetten der Europapolitik kommunizieren. Das kostet nicht nur Zeit, es fhrt auch dazu, dass Europapolitik in diesen Strukturen oft als zu komplex, undurchschaubar und brokratisch wahrgenommen und schlimmstenfalls emotional abgelehnt wird.
Das Netzwerk Europische Bewegung Deutschland (EBD) versucht mit seinen aktuell ber 150 Mitgliedsorganisatio-nen diese Parzellierung der europischen Informations- und Entscheidungsprozesse zu berwinden, in dem es eine Schnittstellenfunktion bernimmt, an der dieser europapoli-tische Dialog der gesellschaftlichen Gruppen mit einem die Fachressorts bergreifenden Ansatz zusammengefhrt wird. Damit haben wir eine neue Kommunikationskultur fr Europa in Deutschland entwickelt, die als Grundlage die Bereitschaft aller relevanten Partner, d. h. der Bundesminis-terien, der Interessengruppen sowie auch der Europischen Kommission, voraussetzt, sich diesem intensiveren Dialog konstruktiv zu ffnen und zu stellen.
Das Netzwerk EBD hat mit diesem Ansatz einen signifikan-ten Beitrag zur notwendigen Balance der europapolitischen Inter essen geleistet und damit in gewisser Weise im Rahmen dieser zivilgesellschaftlichen Gruppen und Ressorts auf deutscher Ebene einen Code of Communication entwickelt. Dieser Code of Communication manifestiert sich in Veranstaltungsformaten, bei denen es weniger um das Ausbalancieren von Zustimmung, Ablehnung und Kompromiss geht, sondern um die Umsetzung der Verein-barung der Beteiligten, sich gegenseitig umfangreich und detailliert zu informieren. Darber hinaus ist es das gemein-same Ziel, durch Fragen zu lernen, durch Anregungen Gestaltungsspielrume zu erschlieen und dadurch deut-sche Interessen auf europischer Ebene besser vertreten zu knnen jeder Teil dieser Verbndeten fr seinen Bereich und letztendlich fr Deutschland gemeinsam.
In diesem Jahr feiert die Europische Bewegung Deutsch-land ihr 60-jhriges Bestehen. 60 Jahre Balance fr ein geeintes Europa mit Hilfe von Partnerorganisationen in 42 weiteren europischen Lndern, ber die Grenzen der Europischen Union hinaus. Wenn es also darum geht, eine neue Kommunikationskultur in Europa zu etablieren, bedarf es der kon struktiven Kommunikation aller EU-Akteure, die sich im europischen Sinne als Verbndete verstehen. Die Erfahrungen des Netzwerks EBD in Deutschland knnen dabei als Modell dienen und gemeinsam weiter ausgebaut werden.
Dr. Dieter Spri, Minister a.D., ist seit 2006 Prsident der EBD
12
Vom Honoratiorenkreis zum Europanetzwerk
Sechs Jahrzehnte Europische Bewegung in Deutschland
von Jrgen Mittag
Sechs Jahrzehnte EBD
Obwohl die weltpolitische Lage nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs zunchst kaum Aussichten auf
einen europischen Zusammenschluss bot, war die zweite Hlfte der 1940er Jahre durch ein umfangreiches
Engagement fr die europische Einigung gekennzeichnet.
Zahlreiche Menschen in Europa waren zutiefst von dem
Gedanken berzeugt, dass die berwindung von Krieg und
Not nur durch entschlossene Schritte zur europischen
Integration zu erreichen sei. Darber hinaus betrachtete man die Integration Europas als
Friedenssprojekt, mit dem die Gegenstze der einstigen Kriegsgegner und die innere Zerrissenheit des
Kontinents dauerhaft berwunden werden knnten.
Infolgedessen verschrieben sich in zahlreichen europischen
Staaten engagierte Brgerinnen und Brger, aber auch Teile
der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Elite dem
Ziel der europischen Einheit.
13Sechs Jahrzehnte EBD
Die Kooperation der Europaver bnde als Initialzndung Einen zentralen Impuls fr europapoliti-sche Aktivitten nach dem Zweiten Welt-krieg lieferte Winston Churchill, der seit seiner viel beachteten Zricher Rede vom September 1946 als Galionsfigur des europischen Integrationsgedankens galt. Ohne sich vereinnahmen zu lassen, unter-sttzte Churchill in der Folge die Europa-plne der britischen Europabefrworter. In enger Absprache mit seinem Schwie-gersohn, dem konservativen britischen Abgeordneten Duncan Sandys, wurde im Januar 1947 ein halbes Jahr nach der Zricher Rede ein United Europe Move-ment (UEM) gegrndet, das darauf zielte, vor allem die britischen Integrationsbefr-worter nher zusammen zu bringen. Hier orientierte man sich vor allem an der Ziel-setzung eines europischen Staatenbundes und konzentrierte sich zunchst auf eine funktionale Zusammenarbeit der Regierun-gen. Einige Monate spter bildete sich in Anlehnung an diese Entwicklung mit dem Conseil Franais pour lEurope unie eine vergleichbare Organisation in Frankreich. In beiden Organisationen wurde ebenso wie andernorts in Europa ber eine west-europische Einigung nicht nur diskutiert, sondern es wurden auch ernsthafte Ver-suche unternommen, diese in der Praxis umzusetzen. Dazu erschien eine grenz-berschreitende Kooperation unerlsslich.
Vor allem die Union der Europischen Fderalisten (UEF) stand Pate fr eine umfangreiche transnationale Kooperation. Bereits im September 1946 hatten im Rah-men der UEF 31 fderalistische Bewegun-gen aus zwlf Lndern ein gemeinsames programmatisches Manifest im schwei-zerischen Hertenstein verabschiedet und sich am 17. Dezember 1946 in Paris als Dachverband der einzelnen fdera-listischen Gruppierungen konstituiert. Mit nach eigenen Angaben zeitweise mehr als 100.000 Anhngern bildete die UEF die mitgliederstrkste Europabewe-gung. Dennoch gelang es ihr nicht, eine Massenbewegung zu etablieren. Dies war
nicht zuletzt auf die unterschiedlichen Vorstellungen ber die Ausgestaltung des knftigen Europas zurckzufhren.
Obwohl den Fderalisten bewusst war, dass die Haltung des UEM in Schlssel-punkten von der eigenen Position be-trchtlich abwich, wollte man die von Sandys lancierten Kooperationsangebote nicht zurckweisen. Insofern beteiligte man sich widerstrebend an der Einrich-tung eines Liaison Committee, in das die grten pro-europischen Verbnde und Organisationen der Nachkriegszeit einbezogen wurden. Whrend die von Richard Graf von Coudenhove-Kalergi gefhrte Europische Parlamentarier Union sich zunchst distanziert verhielt, vereinbarten die anderen fnf Organi-sationen eine engere Kooperation. Noch im Dezember 1947 wurde beschlossen, die anfnglich lockere und unverbindli-che Zusammenarbeit im Liaison-Komitee durch eine strker verbindliche Koope-ration zu ersetzen. Im Zuge dieser Ver-einbarung wurde ein Joint International Committee of Movements for European Unity gegrndet, ein Koordinierungsaus-schuss fr die Europische Einheit, der knftige Aktivitten vorbereiten sollte.
Vom Haager Kongress zur Europ ischen Bewegung In den folgenden Monaten bereitete der Koordinierungsausschuss unter der Feder-fhrung von Duncan Sandys den Haager Kongress vor, der als breite Manifestation der europischen Einigungsidee konzi-piert war, und in dessen Umfeld wichtige Kontakt- und Kooperationsstrukturen zwischen den Europabefrwortern und den Vertretern der Regierungen, Parlamente und Parteien geknpft wurden. Der Haager Europakongress vereinte vom 7. bis zum 10. Mai 1948 unter dem Banner der neuen Europa-Fahne mit dem grnen E im historischen Rittersaal des Haager Par-lamentsgebudes rund 720 Delegierte aus 17 Staaten. Darunter befanden sich zahlreiche namhafte Politiker, aber auch
Hertensteiner Programm
Vom 15. bis 22. September
1946 versammelten sich die
Anhnger des Fderalismus
der 14 europischen Lnder
in Hertenstein (Schweiz) zur
Annahme einer gemeinsamen
Erklrung, die den Weg fr
eine europische fderalis-
tische Organisation ebnen
sollte, aus der schlielich am
15. und 16. Dezember die Uni-
on Euro pischer Fderalisten
(UEF) hervorgegangen ist.
Zricher Rede
Am 19. September 1946
hlt der ehemalige britische
Premierminister Winston
Churchill an der Universitt
Zrich eine Rede, in der er
die europischen Staaten
zur Bildung der Vereinigten
Staaten von Europa aufruft.
Seine Vision der Vereinigten
Staaten von Europa sollte ein
erster Schritt zur Grndung
der Europischen Bewegung
und des Europarates sein.
14 Sechs Jahrzehnte EBD
prominente Schriftsteller und Wissen-schaftler sowie Reprsentanten einzelner gesellschaftlicher Gruppen. Der Umstand, dass sich zahlreiche prominente Persn-lichkeiten des ffentlichen Lebens sym-boltrchtig fr Europa einsetzten, konnte indes nicht darber hinwegtuschen, dass jenseits der Forderung nach einer gemeinsamen europischen Institution eine Festlegung auf konkrete europapoli-tische Ziele nicht erfolgte. Dennoch hatte die wirkungsmchtige Prsentation des Europagedankens in Den Haag die Bereit-schaft forciert, die Zusammenarbeit weiter auszubauen und sie sogar institutionell zu verankern. Am 25. Oktober 1948 wurde das Haager Vorbereitungskomitee, das Joint International Committee of Move-ments for European Unity, auf einem Tref-fen in Brssel in eine dauerhafte Einrich-tung berfhrt, die ab diesem Zeitpunkt den Namen Europische Bewegung trug.
Die neue Organisation erhielt eine feste, wenngleich auch etwas unbersichtliche Leitungsstruktur. Ihren Unterbau bil-deten auf der einen Seite die fnf Ver-bnde, die bereits im Vorfeld des Haager Kongresses federfhrend aktiv waren, und von denen die UEF mit Abstand den mitgliederstrksten (Dach-)Verband bil-dete. Hinzu waren noch das Mouvement socialiste pour les tats-Unis dEurope (MSEUE) und eine Internationale Parla-mentarische Sektion gekommen. Auf der anderen Seite fute die internationale Europische Bewegung auf den in den einzelnen europischen Staaten etablier-ten nationalen Rten, die gewissermaen das zweite Standbein der Europischen
Bewegung darstellten und auch Personen beziehungsweise Gruppierungen integrie-ren sollten, die sich nicht vollstndig mit den Zielen der pro-europischen Verbnde identifizierten. Fr nichtdemokratische Staaten so etwa zahlreiche osteuropi-sche Lnder, aber auch fr Spanien wurden Exilrte gebildet. Aufgabe der nationalen Rte sollte es sein, die Ttigkeit der einzelnen (nationalen) Verbnde zu koordinieren und zudem als Bindeglied zwischen den nationalstaatlichen und den europischen Aktivitten zu fungieren.
Die Europische Bewegung entwickelte rasch ein eigenes Profil: Sie organisier-te zahlreiche Kongresse und lancierte Kampagnen, um Einfluss auf die offizielle Politik der Regierungen zu nehmen. Im Mittelpunkt stand dabei die Umsetzung des Haager Programms und damit ins-besondere das Ziel, den Europarat zu etablieren und zu einer wirkungsmchtigen Organisation der europischen Einigung auszubauen. Diese Zielsetzung konnte jedoch nur zu Teilen realisiert werden: Als am 5. Mai 1949 zehn Staaten Europas das Londoner Zehnmchte-Abkommen ber die Grndung des Europarats unterzeichne-ten, wurde der Europarat zwar zur ersten originr auf Europa bezogenen politischen Organisation. In seinen Strukturen und Entscheidungskompetenzen entsprach er jedoch weitgehend den unionistischen Forderungen der britischen Regierung. Deshalb verfgt der Europarat bis heute nur ber begrenzte Kompetenzen vor allem in den Bereichen Menschenrechte, Bildung und Kultur nationale Souve-rnitt beeintrchtigt er jedoch kaum.
Haager Kongress vom 7. bis 10. Mai 1948 im Rittersaal des Haager Parlamentsgebudes.
An der Wand die Flagge mit dem E als Symbol fr die Europische Einigung.
15Sechs Jahrzehnte EBD
Die Grndung des Deutschen Rats der Europischen BewegungEugen Kogon, Autor des stark rezipierten Buches Der SS-Staat, Herausgeber der ebenso einflussreichen wie auflagenstar-ken Frankfurter Hefte und einer der fh-renden Vertreter des europischen Gedan-kens in Deutschland, war der Motor beim Aufbau des deutschen Zweigs der interna-tionalen Europischen Bewegung. Als fh-rendes deutsches Mitglied in den Gremien der UEF war er im Herbst 1948 von Duncan Sandys aufgefordert worden, die Konstitu-ierung eines nationalen Rats fr Deutsch-land in die Wege zu leiten. Kogon berief zu diesem Zweck am 21. Januar 1949 einen vorlufigen Ausschuss nach Schnberg im Taunus ein. Dieser hatte die Aufga-be, eine Liste mit rund 200 Personen zu erstellen, die den knftigen Deutschen Rat der Europischen Bewegung bilden sollten. Als Losung wurde dabei ausgegeben, unter Zusammenarbeit aller demokratischen Parteien sowie der Gewerkschaften, Uni-versitten, Kirchen, der groen Verbnde und freien Kreise eine Auswahl zu treffen, die ein mglichst reprsentati ves Bild der Gesellschaft widerspiegelte und zugleich mglichst prominente beziehungsweise charismatische Personen vereinte.
Offiziell gegrndet wurde der Deutsche Rat der Europischen Bewegung am 13. Juni 1949 im Wiesbadener Staatstheater. Auf der konstituierenden Sitzung wurde ohne formalen Wahlakt eine Liste von insgesamt 252 Mitgliedern besttigt, die sich in der Zusammenschau wie ein Auszug aus dem deutschen Whos who las. Obgleich die institutionelle Zuordnung bei der Zusammenstellung eine wichtige Rolle gespielt hatte, bestand neben der grund-stzlichen Befrwortung der europischen Einigung das entscheidende Rekrutie-rungskriterium in der Bedeutung der Persnlichkeit fr die gerade erst gegrn-dete Bundesrepublik.
Zu den Aufgaben des Grndungskongres-ses zhlte die Besetzung der Gremien, deren Struktur sich an der internationalen Europischen Bewegung orientierte. Das Amt des Grndungsprsidenten wurde dem Sozialdemokraten Paul Lbe angetragen, der als ehemaliger Reichstagsprsident und Vorsitzender der deutschen Sektion
der Paneuropa-Union in den 1920er Jahren sowie als Vorsitzender der Deutschen Gruppe der Interparlamentarischen Union fr diese Aufgabe prdestiniert erschien. Gewhlt wurde ein siebenkpfiges Prsidi-um, dem eine eher reprsentative Funktion zukam, und ein Exekutiv-Ausschuss. Zum Vorsitzenden des Exekutiv-Ausschusses wurde Kogon bestellt, stellvertretender Vorsitzender wurde Hermann Brill, Chef der hessischen Staatskanzlei in Wiesba-den. Generalsekretr blieb der Landrat von Bernkastel, Walter Hummelsheim, der im Widerstand beziehungsweise bei der Internierung im Konzentrationslager in en-gem Kontakt mit Kogon gestanden hatte. Mit diesem Fhrungspersonal setzte der Deutsche Rat der Europischen Bewegung vor allem auf diejenigen Europaaktivisten, die auf der einen Seite Sympathie fr die traditionelle Position der Europabewe-gung eines Europas als Dritte Kraft zwi-schen West und Ost hegten, andererseits aber auch aus realpolitischen Grnden die Idee der Westintegration untersttzten.
Das politische Leitreferat von Carlo Schmid, zu diesem Zeitpunkt stellver-tretender Vorsitzender der SPD, fand in Wiesbaden besondere Aufmerksamkeit. Schmid zeigte in einer tour dhorizon nicht nur die bisherigen Wege (und Gren-zen) europischer Einigungsbemhungen auf, sondern betonte in programmatischer fderalistischer Diktion, dass dieses Europa nur dann wird geschaffen werden, wenn die Staaten bereit sind, erhebli-che Schichten ihrer Souvernitt auf ein berstaatliches europisches Gebilde
Eugen Kogon bei der Erff-
nungssitzung des Europa-
rates in Straburg 1950
Sonderdruck der Rede Carlo Schmids
auf der Grndungsversammlung 1949
16 Sechs Jahrzehnte EBD
zu bertragen. Den Europarat begr-te Schmid als einen Fortschritt auf dem Gebiet der Neuordnung der zwischenstaat-lichen Beziehungen, rumte zugleich aber auch nchtern ein, dass dieses Abkom-men noch nicht die Charta der Verei-nigten Staaten von Europa sei, zu der noch ein weiter Weg zurckzulegen sei.
Die mit groer Hoffnung auf die Ver-einigten Staaten von Europa zu Ende gegangene Grndungsveranstaltung des Deutschen Rats der Europischen Be-wegung erzielte angesichts zahlreicher prominenter Namen betrchtliche Re-sonanz und weckte zugleich zahlreiche Hoffnungen. Es sollte sich in der Folge aber zeigen, dass die weiteren Aktivitten nur mit Mhe zu realisieren waren und die Alltagsarbeit zahlreiche Probleme aufwarf. Zu den ersten Schwierigkeiten zhlte dabei die Regelung der knftigen Finanzierung, forderte doch die internationale Europi-sche Bewegung, sich an den Kosten fr die beiden Bros in Paris und London sowie an den Ausgaben fr Kampagnen und Aktivitten zu beteiligen. Erst nachdem man die vorlufige Vereinbarung getrof-fen hatte, den Deutschen Rat zunchst aus Mitteln des Kanzleramts zu finanzie-ren, entspannte sich die Situation. Die Finanzierungsfrage sollte in den kommen-den Jahren jedoch immer wieder auf die Tagesordnung kommen, da man sich von vornherein entschieden hatte, Privatspen-den zurckzuweisen, um sich nicht der Gefahr einer Einflussnahme auszusetzen.
Die inhaltliche Arbeit des Deutschen Rats der Europischen Bewegung basierte im Kern auf zwei Strategien: Zum einen ging es um die Mitwirkung in der internationa-len Europischen Bewegung, zum anderen setzte man auf eine Koordinierung der deutschen Europaaktivitten, verstand
man sich doch als Dachverband (fast) aller in der Bundesrepublik wirkenden Europaverbnde und privater europi-scher Einrichtungen. Zu Beginn des Jahres 1950 zeichneten sich erste Konturen der Arbeit des Deutschen Rats ab. So begann das Exekutiv-Komitee, mit Kogon an der Spitze, als eigentliches Leitungs- und Len-kungsgremium in regelmigen Interval-len zu tagen und in diesem Rahmen mit grundstzlichen europapolitischen Stel-lungnahmen Position zu beziehen. Als eine der ersten Forderungen wurde die Einrich-tung eines Europa-Ministeriums erhoben.
Dass um Eugen Kogon das eigentliche Gravitationszentrum des Deutschen Rats angesiedelt war, zeigte sich, als Paul Lbe (19491951), der bis dahin nur eine begrenzte Anzahl von reprsentativen Terminen fr den Deutschen Rat wahr-genommen hatte, erklrte, nicht mehr als Prsident zur Verfgung zu stehen. Ohne greren Widerspruch wurde das Prsidentenamt Kogon angetragen, der zum neuen Vorsitzenden gewhlt wurde.Die inhaltliche Arbeit spiegelte sich aber auch in vier Kommissionen wider, die fr die Bereiche Wirtschaft, Sozialpolitik, Recht und Kultur gebildet wurden und fortan das Grundgerst der fachlichen Arbeit des Deutschen Rats bildeten. Wh-rend sich die juristische Kommission vor allem mit Fragen der Menschenrechte und der Verfassung eines knftigen europi-schen Bundesstaates beschftigte, griff die sozialpolitische Kommission zunchst das Problem der Heimatvertriebenen und Flchtlinge auf, das von deutscher Seite auch auf die Agenda der Europischen So-zialkonferenz 1950 in Rom gebracht wurde.
Zwei Einrichtungen der Europischen Bewegung, die auf den Haager Kongress 1948 zurckgehen, erzielten in der ffent-
Von den 252 Mitgliedern waren 93: Reprsentanten der politischen
Parteien 39 SPD 39 CDU/CSU 10 FDP/LDP 3 Deutsche Partei 1 Zentrum 1 Bayernpartei 18 Reprsentanten der Gewerkschaften 18 Reprsentanten der Unternehmer
14 Vertreter der ffenlichen Verwaltung 17 Vertreter der Wissenschaft 20 Vertreter der freien Berufe 16 Vertreterinnen der
Frauenorganisationen 7 Vertreter der Kirchen 3 Vertreter der Deutschen
Friedens gesellschaft. 46 Reprsentanten der (zu diesem
Zeitpunkt) vier deutschen Europa-Organisationen
Die Grndungszusammensetzung des Deutschen Rats der Europ i schen Bewegung
17
lichkeit besondere Aufmerksamkeit: das vom Literaten und Philosophen Denis de Rougemont im Oktober 1950 initiierte Eu-ropische Kulturzentrum in Genf und das kurz zuvor unter Leitung des Historikers Hendrik Brugmans gegrndete Collge dEurope in Brgge. Das Kulturzentrum ar-beitete darauf hin, Knstler, Intellektuelle und Wissenschafter fr ein verstrktes eu-ropisches Engagement zu gewinnen, das Collge dEurope bereitete hingegen auf eine administrative Karriere auf europi-scher Ebene vor. Whrend die Arbeiten des Kulturzentrums in der Folge eher distan-ziert betrachtet wurden, hatte das Collge dEurope fr den Deutschen Rat der Eu-ropischen Bewegung erhebliche Bedeu-tung, fiel doch die Auswahl der deutschen Stipendiaten in seinen Aufgabenbereich.
Der Deutsche Rat engagierte sich in hn-licher Form auch fr den Europischen Schultag, der 1953 auf Grundlage einer privaten Initiative erstmals durchgefhrt wurde. Mit den in diesem Rahmen durch-gefhrten Aufsatz- und Zeichenwett-bewerben wurde und wird seit 1978 unter der Bezeichnung Europischer Wettbewerb das Kernziel verfolgt, in den Schulen fr den Gedanken der europ-ischen Einigung zu werben und Schler mit dem Integrationsgedanken vertraut zu ma-chen. Die Aktivitten im Bildungsbereich Europakolleg und Europischer Schultag beanspruchten mehrere Jahrzehnte lang einen Groteil der Ressourcen des Deut-schen Rats, insbesondere seines General-sekretariats. Mit der Grndung des Zent-rums fr Europische Bildung (ZEB) wurde im Jahr 1978 eine eigene Arbeitseinheit geschaffen, die seither in besonderem Mae mit Bildungsaktivitten befasst ist.
Zu den weiteren Hauptaktivitten der Europischen Bewegung in den Anfangs-jahren gehrte die Mitwirkung an inter-nationalen Tagungen, so etwa an einer ganzen Serie von groen Kongressen, zu der ein Wirtschaftskongress in Westmins-ter im April 1949 oder ein Sozialkongress in Rom im Juli 1950 zhlten, an dem der Deutsche Rat mit 15 Delegierten und fnf Sachverstndigen teilnahm. Jenseits dieser Aktivitten stellte die Mobilisierung der Bevlkerung fr Europa eine weite-re Aufgabe dar oder wie es Eugen Kogon formulierte: die Zielsetzung, den euro-pischen Einigungswillen des Volkes zu wecken, zu entwickeln, zu reprsentieren und ihn konkret auf der nationalen Ebene ber alle zur Verfgung stehenden Wege
zur Geltung zu bringen. Frhzeitig begann man sich infolgedessen in der Europi-schen Bewegung fr Meinungsumfragen zu interessieren und nahm im Dezember 1949 Kontakt mit Meinungsforschungsins-tituten auf. Besondere Bedeutung kam in Verbindung mit den Mobilisierungsaktivi-tten den Kundgebungen des Deutschen Rats zu, von denen in den ersten Jahren vor allem diejenige in der Frankfurter Paulskirche am 17. Juli 1950 auf breites Interesse stie. Unverndert setzte man hier groe Hoffnung auf einen parlamen-tarischen Weg zur europischen Einheit und forderte, dass aus der Parlamen-tarischen Versammlung des Europarats ein Europisches Parlament hervorgehen solle. Die Versammlung in der Paulskirche stie auf groe mediale Resonanz wie berhaupt der Europagedanke in dieser Zeitphase wohl im Zenit des ffentlichen Bewusstseins in Deutschland stand.
Zur Mobilisierungsstrategie des Deut-schen Rats der Europischen Bewegung gehrte auch eine engagierte Pressear-beit. Im Jahr 1950 hatte man eine eigene Pressestelle eingerichtet, die zunchst einen wchentlich erscheinenden In-formationsdienst erstellte, der sowohl die deutsche Presse als auch wissen-schaftliche Zeitschriften belieferte.
Europischer Wettbewerb
Jhrlich nehmen bundesweit
rund 180.000 Schlerinnen
und Schler am Europischen
Wettbewerb teil. Neben der
aktiven Teilnahme und Be-
geisterung durch die Schler,
lebt der Europische Wett-
bewerb durch das ehrenamtli-
che Engagement der Lehre-
rinnen und Lehrer an rund
1.700 deutschen Schulen so-
wie dank der ehrenamtlichen
Untersttzung der Europa-
Union Deutschland.
www.europaeischer-wettbewerb.de
College of Europe
Das College of Europe ist das
lteste und renommierteste
Institut fr postgraduierte
European Studies in Europa.
Seit Grndung des College of
Europe im Jahr 1949 haben
viele Tausend Absolventen er-
folgreiche Karrieren in Euro-
pischen und internationalen
Institutionen, Parlamenten,
Unternehmen und Verbnden
gestartet und auf diese Weise
ein weltweites Netzwerk aus
hochqualifizierten Alumni
aufgebaut. Seit 1949 fhrt
die Europische Bewegung
Deutschland die Auswahl und
Betreuung der deutschen
Studierenden am College of
Europe durch.
www.coleurop.be
ffentliche Kundgebung des Deutschen
Rates der Europischen Bewegung in der
Frankfurter Paulskirche, 17. Juli 1950
Sechs Jahrzehnte EBD
18 Sechs Jahrzehnte EBD
Die Reform des Deutschen Rats der Europischen Bewegung in den 1950er Jahren
In der zweiten Hlfte der 1950er Jahre nahmen die Aktivitten des Deutschen Rats merklich ab, was sich im Wesentli-chen auf drei Begrndungszusammenhn-ge zurckfhren lsst: Erstens war die konstitutionelle Weiterentwicklung der eu-ropischen Integration in den 1950er Jah-ren nicht mehr in erster Linie eine Angele-genheit der Europa-Verbnde und damit auch nicht mehr nur der Europischen Bewegung. Statt ffentlicher Debatten und Kongresse hatten intergouvernementale Verhandlungen und Regierungskonfe-renzen Einzug gehalten. Entsprechende Verhandlungen wurden aber nicht auf ffentlichen Kongressen und in den Medien gefhrt, sondern von einem begrenz-ten Kreis von Politikern, Diplomaten und Beamten hinter verschlossenen Tren. Nachdem die ursprngliche Integrations-euphorie der Ernchterung gewichen war, hatte dies zur Konsequenz, dass auch das Engagement der Europaaktivisten deut-lich nachlie. Erklren lsst sich diese Haltung darber hinaus mit den fehlen-den Weiterentwicklungsperspektiven des Europarats, der von der Europischen Bewegung nach wie vor als das zentra-le Instrument der knftigen politischen Einigung des Kontinents betrachtet wurde. berwunden wurde diese erste groe Krise des europischen Einigungsprojekts durch die Bereitschaft der sechs Staa-ten der Europischen Gemeinschaft fr Kohle und Stahl (EGKS), die sektorale und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu vertiefen. Die Rmischen Vertrge setzten 1958 sowohl die Europische Wirtschafts-gemeinschaft (EWG) als auch die Euro-pische Atomgemeinschaft (EURATOM) in Kraft. Die beiden neuen Vertragswerke verliehen dem Integrationsprozess zwar neue Dynamik, trugen aber kaum dazu bei, dessen Attraktivitt zu verstrken.
Einen zweiten Erklrungsansatz fr die nachlassende Aktivitt des Deutschen Rats liefern die Gegenstze innerhalb der europischen Verbnde. Mit Blick auf die internationale Europische Bewegung be-traf dies vor allem die Auseinandersetzung zwischen Fderalisten und Unionisten. So waren lediglich sechs nationale Rte der
Europischen Bewegung darunter der deutsche im Frhjahr 1952 bereit, die Kampagne zur Einberufung einer Verfas-sung gebenden Europischen Versamm-lung zu untersttzen. Auch der mit groen Erwartungen verbundene zweite Haager Kongress der Europischen Bewegung, der vom 8. bis 10. Oktober 1953 rund 350 Delegierte der Nationalen Rte aus den sechs Staaten der Montanunion und eine Anzahl von Beobachtern aus den brigen Staaten vereinte, lieferte nicht die erhoff-ten neuen Impulse. Mitte der 1950er Jahre prsentierten sich die pro-europischen Verbnde vielstimmiger und disharmoni-scher denn je. In dieser Situation gelang es kaum, kohrente Stellungnahmen abzugeben, die zugleich auch ein gewisses Profil aufwiesen. Selbst unter den Fdera-listen bestanden erhebliche Gegenstze, die dazu fhrten, dass sich die Union Europenne des Fdralists zwischen 1956 und 1973 in zwei Teilorganisationen spaltete. Dieses Schisma hatte betrcht-liche Auswirkungen auf die Europische Bewegung, die zahlreiche Aktivisten und einige Mitgliedsverbnde verlor.
In der Bundesrepublik wurden die Debatten unter den Europabefrwortern nicht mit der gleichen Schrfe wie in anderen europi-schen Staaten ausgetragen. Hier berwo-gen die organisatorischen gegenber den inhaltlichen Problemen, womit ein dritter Begrndungszusammenhang fr die nachlassenden Aktivitten des Deutschen Rats der Europischen Bewegung ange-sprochen ist: In den 1950er Jahren zeigte sich in zunehmendem Mae, dass die Strukturen der Bewegung nicht ausreichend gefestigt waren. Eugen Kogon, der als Prsident und Vorsitzender des Exekutiv-Komitees bis dahin fast alle Aktivitten federfhrend geleitet hatte, sah sich angesichts seiner zahlreichen Funktionen und finanzieller Schwierigkeiten, die sich vor allem in der Europa-Union, aber auch im Deutschen Rat abzeichneten, mit einer Flle von Problemen konfrontiert. Kogon hatte zur Verschrfung der Problemlage ein Stck weit selbst beigetragen, da die Organisation und Finanzstruktur von zahlreichen europischen Projekten unter seiner Fhrung wenig planvoll und undurch-sichtig war. Diese Entwicklung fhrte zu einem kaum noch zu berschauenden Chaos mit der Konsequenz, dass sich Kogon schlielich von den Verbandsaktivitten zunehmend zurckzog und angesichts einer wahren Anti-Kogon-Kampagne am 7. Dezember 1953 seinen Rcktritt erklrte.
Unterzeichnung der
Rmischen Vertrge,
25. Mrz 1957
19
Im Zuge dessen wurde immer deutlicher, dass sich die Organisationsstrukturen des Deutschen Rats nur als bedingt trag-fhig erwiesen hatten. So war auf der Jahresversammlung 1954 in Dsseldorf nur ein Bruchteil der offiziell 279 Mitglie-der anwesend. Vor diesem Hintergrund wurde von Ernst Friedlaender der Vor-schlag eingebracht, einen kleineren Kreis beziehungsweise ein engeres Gremium durch demokratische Wahlen zu legitimie-ren, das die eigentliche Arbeit leisten und auch den Vorstand und den Prsidenten whlen sollte. Die weiteren Mitglieder sollten hingegen als korrespondierende Mitglieder knftig lediglich reprsentative Funktion haben. Hatte man bis dahin den Bekanntheitsgrad der Persnlichkeit in den Vordergrund gerckt und die institutionelle Zuordnung erst an zweiter Stelle bedacht, so ging es nunmehr um eine strker ver-bandliche Durchdringung. Die neue Or-ganisationsstruktur sollte sich demzufolge aus drei Personenkreisen rekrutieren: a) aus Vertretern der europischen Verbnde, Gruppen und Institute, die von ihren Organisationen selbst zu be-nennen waren, b) aus Vertretern der im
Bundestag vertretenen politischen Par-teien, die ebenfalls nicht mehr von der Versammlung bestimmt werden sollten, sondern im Einvernehmen mit dem Vorstand von der Partei selbst nomi-niert wurden, und c) aus Personen des freien Raumes, die nur dann whlbar wren, sofern sie nicht in Verbindung mit etwaigen Verbnden stnden.
Einige Monate spter, im September 1954, wurde der Initiator der Reformen, Ernst Friedlaender, zum neuen Prsidenten des Deutschen Rats der Europischen Bewe-gung gewhlt. Mit Friedlaender, der auch in der Europa-Union Eugen Kogons Nachfolge antrat, stand abermals einer der bekann-testen deutschen Journalisten an der Spitze des Deutschen Rats, der europapolitisch aber strker auf den Kurs der Westintegration Adenauers setzte, als es Kogon getan hatte.
Trotz der groen Hoffnungen auf einen Neu-start der Europischen Bewegung sollte sich jedoch zeigen, dass auch die Prsidentschaft Ernst Friedlaenders kein dauerhaft tragfhi-ges Fundament bot. In den folgenden Jahren ging die Breitenwirkung des Deutschen Rats
Fr alle, die Leistung sehen wollen.Hoffentlich Allianz.
GREY106602Allianz_arena_210x148.indd 1 06.05.09 09:07
20 Sechs Jahrzehnte EBD
sogar noch weiter zurck, was einmal mehr auf das Fhrungspersonal zurckzufhren war. Da Friedlaender 1956 ernsthaft erkrank-te, sah er sich nicht mehr in der Lage, den Vorsitz weiter auszufllen. Nach einer ge-wissen Bedenkzeit trat er von seinen mtern zurck. Hans Furler, Prsident der Gemeinsa-men Versammlung der Montanunion, wurde zum Nachfolger gewhlt (19581966). Dass die Aktivitten in den folgenden Jahren wei-ter erlahmten, lag aber auch am fehlenden Engagement der Reprsentanten im engeren Rat der Europischen Bewegung in Deutsch-land sowie an der fehlenden Durchschlags-kraft der internationalen Ebene. Auf dem 3. Kongress der Europischen Bewegung, der 1957 in Rom stattfand, hatten fast aus-schlielich Delegierte der sechs EWG-Staaten teilgenommen. In den folgenden Jahren verebbten die Aktivitten vollstndig, so dass kaum noch von der Europischen Bewegung zu hren war, bis anlsslich der Wahl von Maurice Faure zum Nachfolger seines Lands-mannes Robert Schuman als Vorsitzender der internationalen Europischen Bewegung auch hier auf einen Neubeginn gesetzt wurde.
Zu den Hauptaktivitten des Deutschen Rats zhlte in der zweiten Hlfte der 50er Jah-re die allgemeine Informationsarbeit ber Europapolitik. Zu diesem Zweck diente in erster Linie der Informationsdienst, der mit einer Auflage von 1.300 Exemplaren mitt-lerweile zweimal monatlich an die Mitglieder und an die Dienststellen des Bundes ging, aber auch von Zeitungen abonniert wurde. Politisch rckte mit der Prsidentschaft
Friedlaenders die Zielsetzung des deutsch-franzsischen Ausgleichs strker in den Mittelpunkt. Zahlreiche deutsch-franzsische Konferenzen wurden durchgefhrt, denen spter auch deutsch-italienische Treffen folgten. Insgesamt lsst sich fr diesen Zeitabschnitt bilanzieren, dass der Deut-sche Rat der Europischen Bewegung trotz der vorgenommenen strukturellen Refor-men vielfach nur noch als Dach fungierte, whrend die eigentlichen mobilisierenden Aktivitten in weitaus strkerem Mae von der Europa-Union initiiert wurden.
Pragmatismus und Konzentration der Krfte in den 1960er JahrenDer Erfolg der Rmischen Vertrge hatte angesichts der betrchtlichen Dynamik bei der Umsetzung der Vertragsvorgaben zur Zollunion sowie der Agrar- und Handels-politik nicht nur die europische Integra-tion belebt, sondern mit einer gewissen Zeitverzgerung auch zu einer Revitali-sierung der internationalen Europischen Bewegung gefhrt, die im Wesentlichen auf Initiativen des Deutschen und des Britischen Rats zurckging. Beim Deutschen Rat der Europischen Bewegung verlagerten sich in dieser Zeit mit der bernahme der Prsi-dentschaft durch Hans Furler die Aktivitten strker auf den Posten des Generalsekre-trs. Nach dem Tod von Ernst Gnter Focke, der von Februar 1952 bis April 1961 das Amt des Generalsekretrs ausgebt hatte, wurde nach einem kurzen Zwischenspiel von Berthold Finkelstein Karlheinz Koppe sein Nachfolger, der das Amt von Janu-ar 1963 bis November 1970 wahrnahm.
Ziel der zu Beginn der 1960er Jahre betrie-benen Aktivitten war es, das Engagement von Europa-Union und Deutschem Rat zu modernisieren und strker miteinander zu verzahnen. Im Jahr 1962 richtete man eine gemeinsame Pressestelle beider Verbn-de ein und stimmte sich ber gemeinsame Kampagnen ab. Zudem wurde ein Redakti-onskomitee gebildet, das ermchtigt wurde, zwischen den Vorstandssitzungen Verlautba-rungen und Stellungnahmen abzugeben. Die organisatorische und inhaltliche Verknpfung wurde in der Folge soweit verstrkt, dass beide Verbnde ein gemeinsames Haus in Bonn bezogen. Um die finanzielle Basis zu verbreitern, wurden darber hinaus mit
Ernst Friedlnder (links) mit Robert Schuman, Oktober 1954
21Sechs Jahrzehnte EBD
Wirkung vom 1. Januar 1963 an erst-mals Mitgliedsbeitrge vom Deutschen Rat erhoben. Grundstzlich trat man in dieser Zeitphase dafr ein, das Engagement auf ein moderneres Fundament zu stellen. Im Wesentlichen unter deutscher gide wurde am 7. und 8. Juni 1962 der 4. Internationa-le Kongress der Europischen Bewegung in Mnchen durchgefhrt, der im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Veranstal-tungen 1953 in Den Haag und 1957 in Rom erstmals Delegierte aus allen europischen Staaten rekrutierte. Bereits ein Jahr zuvor hatte ein auerordentlicher Kongress der in-ternationalen Europischen Bewegung in Lu-xemburg eine Revision bisheriger Grundstze vorgenommen, war aber zu dem Ergebnis gekommen, unvermindert auf die Zielsetzung Vereinigte Staaten von Europa zu setzen.
Vor dem Hintergrund der bis dahin schwers-ten konstitutionellen Krise der Gemein-schaft, die Staatsprsident Charles de Gaulle 1965 durch die Politik des leeren Stuhls auslste, setzte die Verbandsspitze immer strker auf eine schrittweise Vorgehens-weise. In Anlehnung an die realistischeren und pragmatischeren Leitbilder der 1960er Jahre wurde mit Seitenhieb auf die radikalen Fderalisten um Altiero Spinelli die Parole ausgegeben, es sei nicht Aufgabe der Euro-pischen Bewegung, fernab vom politischen Alltag Forderungen in den leeren Raum zu stellen, sondern vielmehr ffentliche Meinung und Regierungsaktion in Einklang miteinander zu bringen. Als Projektions-flche wurde dabei das Europische Parla-ment ausgemacht, das als Institution und in seiner Kompetenz gestrkt und zudem durch Direktwahlen bestellt werden sollte. Mit diesen Forderungen war zugleich das Leitmotiv benannt worden, das sowohl in den 1960er als auch den 1970er Jahren die Forderungen der Europischen Bewegung ob in Westdeutschland, Westeuropa oder auf europischer Ebene durchziehen sollte.
Zusammenfassend lsst sich fr die Phase der 1960er Jahre konstatieren, dass der Deutsche Rat der Europischen Bewegung seine bisherigen Strategien weiterentwi-ckelte, indem er strker auf die Einbindung der 22 Mitgliedsverbnde (Stand 1965) setzte und zudem im pragmatischen Sin-ne die Kooperation mit der Europa-Union vertiefte. Dies fhrte zu Synergien, hatte aber auch zur Konsequenz, dass biswei-len kaum noch eine Unterscheidung von Europischer Bewegung und Europa-Union in Deutschland mglich war.
Die 1970er Jahre im Zeichen der DirektwahlUnter der Prsidentschaft von Ernst Majonica (19661976), auenpolitischer Experte der CDU im Deutschen Bundestag, wurde eine strkere Konzentration auf die Zusammen-arbeit der Parlamentarier eingeleitet und die Forderung nach der Direktwahl zum Europischen Parlament forciert. So lud der Deutsche Rat der Europischen Bewegung im Mai 1968 zu einem Parlamentariertreffen nach Bonn, bei dem 80 Abgeordnete aus den EG-Staaten und potenziellen Beitrittsstaaten zusammenkamen und sich dafr ausspra-chen, die interparlamentarische Zusammen-arbeit in Europa zu vertiefen. Nachhaltiger noch als die Ergebnisse des Haager Gipfel-treffens (1969) sowie des Pariser Gipfels (1972) der Staats- und Regierungschefs, auf denen u. a. die erste Erweiterungsrunde
Die Einheit Europas war ein Traum weniger.
Sie wurde eine Hoffnung fr viele.
Sie ist heute eine Notwendigkeit fr alle.
www.markenverband.de
Der Markenverband, ein fhrender Wirtschaftsverband: 400 renommierte Markenunternehmen mit 500 Mrd. Euro Umsatz und 1,5 Mio. Arbeitspltzen in Deutschland. Seit ber 100 Jahren ein starker Partner. Ein verlsslicher Partner. Ein Partner mit fester Stimme: Fr ein positives Konsumklima, fr transparenten Leistungswettbewerb, fr mndige Verbraucher, fr den Schutz geistigen Eigentums, fr nachhaltiges Wirtschaften. In Deutschland, in Europa.
Konrad Adenauer
Wahlplakat zur ersten
Direktwahl des Europi-
schen Parlaments 1979
22
2009 denke ich mehr zurck an die Vergangenheit als jemals zuvor. Es mag an ganz eigenen Grnden liegen, dass ich in diesem Jahr einen beachtlichen runden Geburtstag feiere. Es kann daran liegen, dass in diesem Jahr einige Jubilen anstehen, mit denen ich mehr verbunden bin als mit anderen. Schmunzeln muss ich dabei, dass so hufig die Zahl 9 auftaucht: Ich denke an meinen 90. Geburtstag am 8. Juli 2009. Ich denke an 1939 - als ich Soldat wurde, ich denke an 1949 als wir unsere groartige Verfassung erhielten, ich denke an 1969 als in einem Jahr Bundesprsident und Bundestag gewhlt wurden; so wie auch 2009, ich denke an 1969 als das Land zum ersten Mal unter der Regierung Brandt / Scheel eine sozialli-berale Koalition erleben durfte, ich denke an 1989 als das wahr wurde, wofr sich so viele ber Jahrzehnte eingesetzt hatten. Am 9. November wurde das wahr, was viele schon aufgegeben hatten. Aber es geschah, ganz so wie in der Prambel der Verfassung von 1949 proklamiert und im Brief zur Deutschen Einheit festgehalten, der ja Bestandteil des Moskauer Vertrages von 1970 wurde: Das deutsche Volk erlangte durch die berwindung der Mauer in Berlin in freier Selbstbestimmung die Einheit Deutschlands, streng nach dem Wortlaut des Grundgesetzes und dem Brief zur Deutschen Einheit.
Und so wurde der 9. November 1989 zu einem Tag der Zsur meines Lebens. Ich bin sehr glcklich, dass ich an einigen Teilen an dieser Entwicklung Anteil nehmen durfte. Und genauso hat auch die Europische Bewegung einen Anteil an der Entwicklung eines freien Europas. Denn in diesem Beitrag soll es um Europa und die Europische Bewegung gehen. Doch die Parallelen mssen in keiner Weise gesucht werden. Europa und deutsche Politik sind verknpft und wurden durch die Verfassung von
Fr die politische Einigung Europas
vorbereitet und neue Aufgaben fr die Ge-meinschaft identifiziert wurden, wirkte sich der Direktwahlbeschluss auf die Arbeit des Deutschen Rats der Europischen Bewegung aus. Fast alle Aktivitten in der zweiten Hlf-te der 1970er Jahre waren darauf abgestellt, wobei der Information ber die Parteienzu-sammenschlsse auf europischer Ebene besondere Beachtung geschenkt wurde.
Im Zuge der Mobilisierungsaktivitten fr die Direktwahl, in denen das Pendel zwischen breiter ffentlichkeitsarbeit und gezielter Einflussnahme auf die nationalen Regierun-gen deutlich zugunsten der ersten Perspek-tive ausschlug, nderten sich abermals die Strukturen der Europischen Bewegung. Auf Betreiben des neuen Generalsekretrs Gerhard Eickhorn (19701991) wurde das verbandliche Fundament deutlich verbreitert. Die sektorielle Bandbreite der Organisatio-nen differenzierte sich nach entsprechenden Satzungsnderungen immer strker aus. Zu
Beginn der 1980er Jahre zhlte der Deutsche Rat bereits ber 80 Mitglieds organisationen. Zugleich richtete er auch Regionalorganisa-tionen ein. Im Vorfeld der ersten Direktwahl 1979 wurden auf regionaler, zum Teil auch auf kommunaler Ebene Direktwahlkomi-tees gebildet, die vor allem das Ziel hatten, brgernah Informationen zu vermitteln und Werbung fr die Wahlbeteiligung zu be-treiben. Nach einer Satzungsnderung im Dezember 1979 wurden diese Organe als so genannte Landeskomitees auch formal in der Struktur des Deutschen Rats der Europischen Bewegung verankert. Da in manchen Bundeslndern die Komitees auch nach den Europawahlen bestehen blieben, andere spter u. a. nach der deutschen Vereinigung 1990 neu gegrndet wurden, war die Europische Bewegung in Deutsch-land zunchst durch eine asymetrische Fderalstruktur gekennzeichnet, die sich erst im Laufe der folgenden Jahre strker auf Gesamtdeutschland ausgerichtet hat.
Landeskomitees
Die Europische Bewegung
ist heute in 14 Bundeslndern
mit Landeskomitees aktiv.
Als Schnittstelle zwischen
Interessengruppen, Politik
und Verwaltung setzen sich
die Landeskomitees fr eine
gute Europa-Kommunikation
und Koordinierung deutscher
Europapolitik in den Lndern
ein. Viele Landeskomitees
arbeiten eng mit der Europa-
Union Deutschland zusam-
men.
Walter Scheel
Bundesprsident von 19741979,Prsident der EBD von 19801985
23
1949 zu einem Ganzen verbunden. Deutschlandpolitik ist auch Europapolitik. Die Europische Bewegung hat einen ganz bedeu -tenden und oftmals unterschtzten Anteil an der Entwicklung, wie wir sie erleben konnten. Dass dies nicht eine Jubilums-schmeichelei ist, mchte ich belegen. Ich kenne nmlich die Europische Bewegung sehr gut ber Jahrzehnte hinweg. Seit den frhen fnfziger Jahren habe ich mich vor allem im Rahmen der politischen Ttigkeit in der FDP engagiert, und ich habe mit viel Interesse meine Vorgnger und Nachfolger im Amt des Prsidenten der Europischen Bewegung beobachtet. Alle haben an der Fortentwicklung fr ein vereinigtes und modernes Europa ihren Anteil. Dies gilt fr die Begleiter der frhen Zeit ich nenne Carlo Schmid, Konrad Adenauer und Paul Lbe. Besonders erwhne ich die Vizeprsidentin der Grndungsjahre: Elly Heuss-Knapp. Aber genauso gilt das fr die Aktiven von heute.
Fr die politische Einigung Europas lautete die berschrift meiner Dankesrede anlsslich der Verleihung des Karlspreises 1977 in Aachen. Damals waren seit der Grndung Europas durch die Rmischen Vertrge vom 25. Mrz 1957 genau 20 Jahre vergangen, und der europische Einigungsprozess war gerade in einer stockenden Phase. Die Euphorie und Hoffnung von 1957 war vergangen.Heute sind wieder mehr als 30 Jahre vergangen: Die Begrndung der europischen Einigung aus der Friedensidee in Europa ist weithin erfllt. Europas Institutionen sind geschaffen, nicht perfekt, aber doch umfangreich und mit angemessener Komplexi-tt. Die Vereinheitlichung des Binnenmarktes hat lnger gedauert, als bei der Unterzeichnung der Rmischen Vertrge vermu-tet worden war.
In mehreren Erweiterungswellen ist aus der Europischen Wirtschaftsgemeinschaft die Europische Union geworden. Erweite-rung und Vertiefung haben sich dabei nie als unberwindbare Gegenstze herausgestellt, sondern am Ende stets wechselseitig befrdert. Man kann sagen, heute ist Europa geschaffene Realitt.
1977 stand die EG vor dem Beitritt von Griechenland, Spanien und Portugal, und wir sahen uns einer Stimmungsmache gegen Europa ausgesetzt, die nicht zu unterschtzen war. In der Karlspreisrede sagte ich 1977 in diesem Zusammenhang:Woher soll die Gemeinschaft die Kraft beziehen, auch die mit dem Beitritt der drei sdeuropischen Staaten verbundenen Probleme zu lsen, da sie alle ihre Kraft zusammennehmen muss, dass Erreichte im engeren Kreise zu bewahren?Diese Kraft kann nur aus einer politischen Idee kommen. Und diese Idee heit Europa. Europa, das ist eben mehr als ein gemeinsamer Markt, mehr als eine Zollunion, so wichtig sie auch ist. Nur diese Idee Europa erffnet uns den weiten geistigen und politischen Horizont, den wir brauchen, um nicht in der Enge eines rein wirtschaftlichen Denkens langsam aber sicher unterzugehen. Wir werden die Europische Gemeinschaft nur erhalten knnen, wir werden sie nur dann erweitern knnen, wenn wir die politische Idee Europa, den Gedanken der politischen Einigung Europas, wiederbeleben.
Der Gedanke hat an seiner Aktualitt nichts verloren. Und so bleibt der Kompass wie 1977 ausgerichtet: Fr die politische Einigung Europas!
Die Lobbyarbeit der 1980er und 90er Jahre
Gerade weil die Mobilisierung der Brger im Vorfeld der ersten Direktwahlen zum Europischen Parlament besonders enga-giert betrieben worden war die Wahlen wurden vom Deutschen Rat als bedeu-tendste Vernderung der europapolitischen Landschaft seit dem Zweiten Weltkrieg gewertet , fehlte der Europischen Be-wegung nach den Wahlen, so scheint es, ein neues Projekt mit gleicher Bedeutung. Das neu ausgegebene Ziel einer europi-schen Regierung stie bei einigen ande-ren nationalen Rten der Europischen Bewegung auf erheblichen Widerstand und wurde nicht mit gleichem Nachdruck wie die Vorbereitung der Direktwahl verfolgt. Somit bildeten die Mobilisierungsaktivi-tten anlsslich der zweiten Direktwahl,
bei denen auf die erprobten Strukturen der 1970er Jahre zurckgegriffen wer-den konnte, erneut die ffentlichkeits-wirksame Hauptaktivitt des Deutschen Rats der Europischen Bewegung.
Zugleich wurde die interne Konsolidie-rung und Ausweitung des Verbands mit Erfolg weiter forciert. Obwohl im Ttig-keitsbericht von 1986 erstmals Spenden der Mitglieder erwhnt werden und auch die Zahl der Mitgliedsverbnde auf 140 anstieg, sprudelten die Finanzmittel in den Folgejahren weniger ergiebig, so dass Sparmanahmen notwendig wurden. Dieses Dauerproblem hatte bereits Ende der 1970er Jahre dazu gefhrt, dass der seit Beginn der 1950er Jahre betriebene Informationsdienst eingestellt wurde.
Unter der Fhrung des neuen Vorsitzen-den, Altbundesprsident Walter Scheel (19801985), sah sich der Deutsche Rat zu Beginn der 1980er Jahre auf europischer
24 Sechs Jahrzehnte EBD
Ebene mit einer Phase der Eurosklerose und erheblichen Problemen in der Agrar- bzw. Haushaltspolitik der Gemeinschaft konfrontiert, die keinen Raum fr eine kompetenzielle Weiterentwicklung des Europischen Parlaments oder gar Verfas-sungsberlegungen lie. Diese Stag nation lhmte auch die Aktivitten der Europi-schen Bewegung. Erst nach der berwin-dung der dringendsten Probleme auf dem Gipfeltreffen des Europischen Rats in Fontainebleau 1984 erffnete sich ein Zeit-korridor zur Vertragsrevision, in dem wirt-schaftspolitische Zielsetzungen insbe-sondere im Hinblick auf den Binnenmarkt mit institutionellen Reformen verknpft wurden. Bei den von der Einheitlichen Europischen Akte (1987) ausgehenden Vertragsrevisionen der 1990er Jahre in Form des Maastrichter (1993) und Amster-damer Vertragswerkes (1999) zeigte sich dann ein immer engeres Zusammenspiel zwischen der offiziellen Regierungspo-litik der Bundesregierung unter Helmut
Kohl und den Positionen des Deutschen Rats der Europischen Bewegung. Nicht verwundern kann es, dass bei Prsidi-umstreffen stets die Sicht der Bundesre-gierung zu aktuellen Fragen der Europa-politik vorgetragen und diskutiert wurde.
Mit Ausnahme des Vizekanzlers und Auenministers Hans-Dietrich Genscher (19921994) standen in diesen 1990er Jah-ren mit Philipp Jenninger (19851990), Annemarie Renger (19901992), Rita Sss-muth (19941998) und Wolfgang Thierse (19982000) durchweg Bundestagspr-sidenten an der Spitze des Deutschen Rats der Europischen Bewegung. Sie setzten sich dafr ein, dass die europische Inte-gration trotz der hohen Aufmerksamkeit fr den deutsch-deutschen Einigungspro-zess ebenfalls Beachtung fand. In diese Zeitphase fiel auch die Umbenennung des Deutschen Rats. Im Zuge einer Satzungs-nderung der internationalen Europischen Bewegung wurde aus dem Deutschen
Europa ntzt und schtztMit diesen Worten des berhmten Europa-Vaters Coudenhove-Kalergi aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts denken wir mit groer Dankbarkeit an die Grnder der Europischen Bewegung in Deutschland vor 60 Jahren zurck.Konrad Adenauer hat spter gesagt: Man kann Europa nicht bauen wie ein Haus, Europa ist eher wie ein Baum, der wchst, der eine Schicht nach der anderen ansetzt, der aber auch, um zu gedeihen, gesunde Wurzeln braucht. Ich fge diesem Satz hinzu: Eine der Stammwurzeln dieses Baumes Europa ist die einmalige und groartige Arbeit der Europischen Bewegung, die sich seit mehr als sechs Jahrzehnten fr die europische Einigung einsetzt. Sie verstand und versteht sich als das europische Gewissen, das vehement an die Verantwortlichen appelliert, das gemeinsame Europa zu schaffen.
Fr uns Deutsche setzte der Haager Kongress 1948 ein groes Zeichen der Hoffnung. Nach den schlimmen Jahren, die in unermesslichen Leiden des Kriegs und des Vlkermords, der Verfolgung und Vertreibung von Millionen Menschen geendet hatten, reichten Europer sich die Hand und schlossen Deutsche mit ein, um eine neue und gemeinsame Zukunft zu bauen.Es haben sich in diesen 60 Jahren nicht alle Wnsche erfllt, und es sind neue Aufgaben und Herausforderungen auf uns zugekommen. Nicht verschwiegen werden darf aber der bisher grte Erfolg der Europischen Bewegung, nmlich, dass es gelungen ist, auf unserem Kontinent Frieden und Freiheit zu schaffen und zu sichern. Inzwischen wchst die 3. Generation heran, die keinen Krieg kennengelernt hat. Das ist einmalig in der europischen Geschichte, aber keine Selbstverstndlichkeit. Denn der Friede ist kein Naturzustand, wie Kant gesagt hat. Es bedarf in jeder Generation der Friedens-Stifter. Deswegen brauchen wir das Netzwerk der Europischen Bewegung auch in Zukunft.
Als ich 1985 die Ehre hatte, das Amt des Prsidenten des Deutschen Rates der Europischen Bewegung aus der Hand von Bundesprsident Walter Scheel zu bernehmen, war die Begeisterung fr Europa noch sehr gro, wie damals viele Veranstal-tungen mit zahlreichen Besuchern zeigten. Daran konnte auch die kurze Phase der sogenannten Eurosklerose nichts ndern. Bei unseren Gedanken an 60 Jahre der Europischen Bewegung gilt es aber nicht nur, in die erfolgreiche Vergangenheit zu blicken, sondern auch einige Gedanken ber knftige Entwicklungen und Aufgaben anzusprechen.
Im Zeitalter der Globalisierung wird die Rolle Europas in der Welt immer wichtiger. Unser Kontinent ist als Beispiel fr Krisen-berwindung und als grter Entwicklungshelfer der Welt gefragt. Eine zentrale Aufgabe der EU ist es, sich mit einer demokra-tischen und gleichzeitig sozialen Antwort auf die Risiken und die Chancen der Globalisierung zu positionieren. Wir haben zweifellos eine sehr ernste weltwirtschaftliche Krise, die auch Europa mit voller Wucht trifft. Auch hier muss die EU ihren Teil zur Bewltigung der Krise beitragen. Sie hat bei der Verabschiedung von Grundstzen fr eine Reform des internationalen Finanzsystems auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Washington am 15.11.2008 bewiesen, dass sie magebliche Impulse auch fr weltweite Problemstellungen geben kann.
25Sechs Jahrzehnte EBD
Rat der Europischen Bewegung der bis heute aktuelle Name Europische Be-wegung Deutschland (EBD). Der neue Name wurde erforderlich, um die Bezeich-nung der deutschen Sektion den anderen nationalen Sektionen der internationalen Europischen Bewegung anzugleichen, die in der ffentlichkeitsarbeit mit einem eingngigeren Namen auftreten wollten.
Hatte sich der Deutsche Rat der Euro-pischen Bewegung unter dem langjh-rigen Generalsekretr Gerhard Eickhorn strker auf den Ausbau des eigenen Apparats und die Erweiterung der ver-bandlichen Mitgliederbasis konzentriert, so setzte sein Nachfolger Horst Brauner (19911994) auf eine intensive Medien-arbeit, zu der die Auslobung des Preis Frauen Europas Deutschland mit seiner hohen Medienprsenz beitrug.
In die Amtszeit des Generalsekretrs Hart-mut Marhold (19942002) fiel sowohl der
Umzug des Bros des Generalsekretariats von Bonn ins Berliner Jean Monnet-Haus als auch eine strkere Akzentverlagerung auf die Bildungsarbeit. Die pdagogi-schen Angebote wurden in den 1990er Jahren deutlich ausgeweitet, zugleich lsst sich eine strkere Annherung der EBD an die Wissenschaft erkennen. Nicht zuletzt anlsslich der Debatten um die Zukunft Europas und einen europischen Verfassungsvertrag wurden auch in der Europischen Bewegung Deutschland nach der Jahrhundertwende eingehender fderalistische Konzepte und die institu-tionelle Ausgestaltung der Europischen Union errtert. Inhaltlich standen dabei die Wirtschafts- und Whrungsunion sowie die Osterweiterung im Vordergrund.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts prgten die Arbeiten des Verfassungskonvents die Aktivitten der EBD, sah man doch erstmals seit einem halben Jahrhundert wieder die Chance, auf eine umfangreiche
Es geht bei der europischen Einigung aber auch um die Frage, ob die EU weiterhin willens und in der Lage ist, unseren Nachbarn in Ost- und Sdosteuropa bei der Integration zu helfen.
Erfreulich ist, dass der Lissabonner Vertrag einige wichtige Schritte wagt, etwa durch Schaffung eines europischen Auenmi-nisteriums. Wirklich gleichberechtigt mit anderen groen Mchten wird Europa aber erst dann sein, wenn es ber ein parla-mentarisch kontrolliertes europisches Auenministerium und ber ein vorbeugendes Konfliktverhtungs- und Sicherheitssys-tem verfgt. Wir hoffen, dass der Lissabonner Vertrag aber auch aus anderen Grnden alsbald in Kraft tritt. Er macht die EU demokratischer, transparenter und handlungsfhiger; etwa bei der Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen, der Strkung des Europaparlaments und der nationalen Volksvertretungen. Darber hinaus kann ein Brgerbegehren angestrengt werden. Die Brger erhalten auch eine Grundrechte-Charta. Sie garantiert Arbeits- und Sozialrechte, die beim Europischen Gerichtshof eingeklagt werden knnen. Damit wird dem Gedanken und der langjhrigen Forderung der Europischen Bewegung, Europa volksnher zu organisieren, zu einem groen Teil entsprochen.
Die Europapolitik muss neue Wege gehen; nicht den Weg der Brokratisierung, sondern den der Vertiefung im Sinne der Herausbildung eines Wir-Bewusstseins der Unionsbrger. Man muss auch mit den Menschen viel mehr darber reden, was Europa eigentlich ausmacht, ber die gemeinsame Geschichte und Kultur. Deswegen ist auch ein reger geistiger Austausch mit unseren europischen Partnern und ein weiterer Ausbau der kulturellen Zusammenarbeit wichtig. Europa kann sich nur behaupten, wenn es seine eigenstndige Kultur bewahrt. Dabei knnte man auch an eine erweiterte Zone denken, welche die angrenzenden stlichen und sdlichen Nachbarn umfasst.
Zusammenfassend will ich sagen: Wir sollten uns wo immer dies mglich ist zu Europern in unserer jeweiligen nationalen Eigenart bilden, um Europa zu leben als Teil unser Selbst und unserer nationalen Heimat. So sollten wir eine neue Geschichte von Europa als Wertegemeinschaft in der Welt von heute weiter erzhlen knnen. Dieses Ziel zu erreichen muss eine wichtige Aufgabe der Europischen Bewegung sein. Europa braucht immer wieder neuen Schwung und Elan. Geschichte macht sich nicht selbst, sie findet nur dann statt, wenn Menschen sie anstoen. Die Europische Bewe-gung kann viel dazu beitragen.
Dr. Philipp Jenninger
Bundestagsprsident a. D.,Prsident der EBD von 19851990
26
Neuordnung der europischen Konstruk-tion Einfluss zu nehmen. Gemeinsam mit der Europa-Union Deutschland wurde eine Studiengruppe eingerichtet, die Positions-papiere erarbeitete, die dem Prsidenten des Konvents, Valerie Giscard dEstaing, bergeben wurden und sowohl eine ver-besserte Handlungsfhigkeit als auch eine hhere Legimitation der Europischen Union anmahnten. Whrend die Konvents-aktivitten und die im Gefolge der Rede des deutschen Auenminister Joschka Fischer an der Berliner Humboldt-Uni-versitt am 12. Mai 2000 losgetretene Diskussion ber die Zukunft Europas zu einer Neubelebung der Europadebat-te gefhrt hatten, sah sich die EBD in dieser Zeitphase mit erheblichen orga-nisatorischen und vor allem finanziel-len Herausforderungen konfrontiert.
In dieser Situation entschied sich die Europische Bewegung zu der nach 1954 bisher wichtigsten organisatorischen und programmatischen Neuausrichtung. Unter der Prsidentschaft der ehemali-gen EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies (20012006) wurde in einem ersten Schritt die Satzung grundlegend berar-beitet: Die im Kern noch auf die Zeiten Friedlaenders zurckgehenden Struktu-ren mit drei Hauptgruppen innerhalb der Europischen Bewegung wurde reformiert,
Arbeitskonzept
Europa-Kommunikation &
Europische Vorausschau
Entstehung und Instrumente
werden ab Seite 30 mit einem
Text von Ehrenprsidentin
Monika Wulf-Mathies und
weiteren Texten vorgestellt.
da sie vor allem den Parteien beziehungs-weise Parlamentariern, die mittlerweile bei den Aktivitten eine eher untergeordnete Rolle spielten, einen als nicht mehr zeit-gem betrachteten Einfluss von einem Drittel der Stimmen gewhrten. Nach der Satzungsnderung erhielt nunmehr jede Mitgliedsorganisation eine Stimme. Zudem wurde 2004 festgelegt, dass nur solche Verbnde als Mitgliedsorganisationen ge-fhrt wrden, die auch den Jahresbeitrag entrichteten. Kam es zunchst zu einigen Austritten, konnten ab 2005 wieder mehr Bei- als Austritte verzeichnet werden, wobei sich die Bandbreite der Mitgliedsver-bnde nochmals ausdifferenzierte. Ende 2008 zhlte die Europische Bewegung Deutschland 153 Mitgliedsorganisationen.
Parallel zu diesen strukturellen Reformen wurde eine inhaltliche Neuausrichtung in Angriff genommen. Einhergehend mit einer gewissen Abnabelung von der Parteipo-litik erfolgte eine Konzentration auf die fachliche Detailarbeit der Europischen Union. 2004 wurde ein Arbeitskonzept entwickelt, bei dem die Kommunikation und die politische Vorausschau zu euro-pischen Themen im Mittelpunkt steht. Besondere Bedeutung haben dabei die so genannten EU-De-Briefings erlangt, bei denen zeitnah ber aktuelle Ergebnis-se der Ministerratstagungen sowie ber
Noch in den 1980er Jahren waren Auszeichnungen fr Frauen sehr selten, gerade international passierte sehr wenig. Mit dem Preis Frauen Europas wurde 1987 von Belgien ausgehend Neuland entdeckt. Seit 1991 verleiht die Europische Bewegung Deutschland diesen Preis in Deutschland und hat inzwischen 18 Preistrgerinnen gekrt.
Den schwierigen Start und die Vorbehalte einiger Herren der Schpfung habe ich heute noch in guter Erinnerung. Die Frauen-Kommission der Europischen Bewegung lie sich davon jedoch nicht abhalten und stellte eine Jury zusammen. Wir suchten und fanden Sponsoren, sind inzwischen mit den jhrlichen Preisverleihungen frher in Bonn, heute in Berlin sehr angesehen. Auch konnten wir hufig befreundete Schwestern aus den Europischen Bewegungen der Nachbarlnder begr-en, die wir umgekehrt bei deren Veranstaltungen besuchten. Das waren immer groartige Events! Jede der Preistrgerinnen war zugleich Botschafterin mit einem herausragenden Beitrag zur Integration unseres gemeinsamen Europas. Es entstand dadurch ein groes Netzwerk engagierter Frauen, die Meinungen austauschten und jeweils ihr Heimatland vorstellen konnten.
Alle Preistrgerinnen hatten eines gemeinsam: Sie erkannten Probleme, die sich grenzberschreitend stellten, wurden aktiv und setzten sich beispielgebend ein. Dieser Preis hat nicht nur Frauen mit ihren Leistungen herausgestellt, sondern auch alles unternommen, um die Aktivitten gegen Widerstnde und Schwierigkeiten zu untersttzen. Vor allem sollte die breite ffent-lichkeit auf das herausragende Engagement aufmerksam gemacht werden.
Frauen sind hervorragende Vermittler zwischen den Nationen, sie sind gewandt in anderen Sprachen und verstehen es, auch die Alltagssorgen auszudrcken und gegenseitiges Verstndnis aufzubringen. Deshalb nehmen sie eine wichtige Funktion im Prozess der europischen Integration ein. Ich trume immer noch von einem Buch, das die unterschiedlichen Aktivitten dieser Frauen und die damit verbundene Entwicklung darstellt. Diese drfen nicht in Vergessenheit geraten. Das Buch wrde aber auch zeigen, wie viele Menschen in unserem Europa sich fr die gute Sache einsetzen.
Ursula Schleicher, MdEP a. D., Vorsitzende der Frauenkommission der EBD bis 2006
Ein Netzwerk engagierter Frauen
27Sechs Jahrzehnte EBD
Politiken und Vorhaben im europischen Mehrebenensystem berichtet wird. Auf diese Weise hat die Europische Bewe-gung Deutschland eine neue europapoli-tische Dialogform entwickelt, die sowohl zivilgesellschaftliche Gruppen als auch politische Institutionen in den politischen Kommunikationsprozess einbindet.
Wandel und Konstanz: Sechs Jahrzehnte Europische Bewe-gung in Deutschland
Im Spiegel von 60 Jahren betrachtet hat die Dynamik der Europischen Bewegung in Deutschland immer wieder variiert. Die Aktivitten der Anfangsjahre konnten nicht durchgngig aufrechterhalten werden, zumal im Lauf der Jahrzehnte andere euro-papolitische Einflussmglichkeiten aufge-baut und wichtiger wurden. Dennoch kann ihre Bedeutung gerade fr die unmittel-bare Nachkriegszeit kaum berschtzt werden. Ohne die Europaverbnde und die Debatten in ihrem Umfeld wre es wohl nur schwerlich zur Grundsteinlegung einer
supranationalen Gemeinschaft gekommen. Zu Zeiten funktionalistischer und sekto-raler Wirtschaftsintegration in den 1950er und 60er Jahren war der Deutsche Rat der Europischen Bewegung im Verbund mit der Europa-Union eine der strksten gesellschaftlichen Krfte, die auf ein fde-rativ orientiertes politisches Integrations-projekt setzte. Whrend die Europa-Union von Beginn an vor allem als brgerbezoge-ne Mitgliederorganisation agierte, stellte der Deutsche Rat zu dieser Zeit noch ein Forum der politischen Eliten dar. Erst in den 1970er Jahren wurde begonnen, das Engagement auf ein breiteres Fundament zu stellen. Im Gefolge dieser Entwicklung prsentierte sich der Deutsche Rat be-ziehungsweise die Europische Bewegung Deutschland in zunehmendem Mae als organisierte Zivilgesellschaft. Diese Ausrichtung erfolgte vor allem mit dem Ziel der Herausbildung einer politischen ffentlichkeit, die eine aktive politisch-so-ziale Mitwirkung am europischen Projekt ermglicht. In diesem Sinne weitete die Europische Bewegung ihr gesellschaft-liches Engagement auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Verbnden und sozialen Gruppen aus, ohne dabei ihre Einwirkung auf die Bundesregierung einzustellen.
200911
1949 200960 Jahre Europische Bewegung Deutschland (EBD) 60 Jahre Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)60 Jahre Engagement fr ein Europa der Brgerinnen und Brger 60 Jahre Einsatz fr soziale GerechtigkeitWir wnschen der EBD einen langen Atem und viel Kraft, um ihre erfolgreiche und wichtige Arbeit fortzusetzen. Die Gewerkschaften in Deutschland werden sie dabei weiterhin untersttzen.
1949 200960 Jahre Europische Bewegung Deutschland (EBD) 60 Jahre Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)60 Jahre Engagement fr ein Europa der Brgerinnen und Brger 60 Jahre Einsatz fr soziale GerechtigkeitWir wnschen der EBD einen langen Atem und viel Kraft, um ihre erfolgreiche und wichtige Arbeit fortzusetzen. Die Gewerkschaften in Deutschland werden sie dabei weiterhin untersttzen.
DGB Der Bund der Gewerkschaftenwww.dgb.dewww.dgb.de
28 Sechs Jahrzehnte EBD
Nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges manifes-tierte sich die alte ehrwrdige Idee eines friedvoll geeinten Europas erstmals in einer international ver-netzten Europischen Bewegung. Ihr Kristallisations-punkt war der Europa-Kongress im Mai 1948 in Den Haag, aus dem wenig spter der Europarat hervorging. Die am 16. Juni 1949 in Wiesbaden gegrndete deutsche Sektion der Europischen Bewegung gilt heute als grtes Netzwerk der Zivilgesellschaft im europapoliti-schen Bereich mit ber 150 Mitgliedsorganisationen. In den ersten vier Jahrzehnten nach Grndung des Netzwerkes war die Idee eines in Freiheit vereinten Europas nur im westlichen Teil des Kontinents tatsch-lich auch umsetzbar.
In der DDR und den anderen osteuropischen Staaten blickten viele Menschen voller Sehnsucht und Respekt auf dieses Erfolgsprojekt. Erst nachdem sich die Osteu-roper 1989 aus den Fesseln von Diktatur und Bevor-mundung befreit hatten, stand auch ihnen der Weg ins Europische Netzwerk, in die Europische Union offen. Die Einigung Europas hat uns Frieden und Wohlstand gebracht, freie Grenzen, den Wegfall von Zoll- und Handelsschranken, eine einheitliche Whrung. Doch der rasant verlaufende Integrationsprozess produziert zunehmend auch Skepsis, Verunsicherungen, neue ngs-
te. Der Einfluss der Europischen Union auf die National-staaten wchst sprbar. Entscheidungen, die in Brssel fallen, greifen in das Alltagsleben der Menschen ein. Doch die Entscheidungswege selbst, die europischen Strukturen und Institutionen sind fr sie hufig nur schwer durchschaubar. Immer mehr Menschen frchten, dass sie in den kommenden Jahrzehnten ihren Lebens-standard einben und dass sie eines Tages als Verlierer der Globalisierung dastehen. Diese Bedenken und Sorgen mssen wir ernst nehmen. Wir mssen die europische Politik besser als bisher erklren, sie glaubhaft machen und fr sie werben nicht nur unmittelbar vor Wahlen zum Europischen Parlament. Und wir mssen aufhren, fr jede nationale Fehlent-wicklung europische Instanzen verantwortlich zu machen. Die Menschen mssen wieder spren, dass die europische Politik nicht an ihren Interessen und Erwartungen vorbei agiert, sondern auch ihnen ganz persnlich Vorteile bringt wie in den vergangenen Jahrzehnten. Ein solcher Prozess der Aufklrung und der Vermittlung von Vertrauen ist unabdingbar. Er stellt eine enorme Herausforderung fr die im Netzwerk Europi-sche Bewegung vereinten Wirtschafts- und Berufsver-bnde, Gewerkschaften, Bildungstrger, wissenschaftli-chen Institute, Parteien und Stiftungen dar: Unser Kontinent ist und bleibt auf brgerschaftliches Engage-ment angewiesen und wchst vor allem von unten zusammen. Der politische Wille von oben, von den nationalen Parlamenten und Regierungen allein kann das europische Projekt nicht tragen. Es bleibt also weiter-hin viel zu tun!
Ich wnsche dem Netzwerk Europische Bewegung auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten viel Leiden-schaft und Kraft bei der Bewltigung seiner anspruchs-vollen Aufgaben!
Wolfgang Thierse
Vizeprsident des
Deutschen Bundestages,
Prsident der EBD
von 19982000
Insgesamt betrachtet ist der Einfluss- und Aktivittsgrad der Europischen Bewegung vor allem auf die groen Entwicklungslinien der europischen Integration, aber stets auch auf das Engagement und die Impulse einzel-ner Persnlichkeiten zurckzufhren. Mit seinen Aktivitten und ffentlichen Kampagnen, die von weitgehender pro-grammatischer Konstanz, aber auch von einem strukturellen Wandel zeugen, stellt die Europische Bewegung Deutschland eine Vereinigung dar, die der ffentlichen Debatte der Bundesrepublik zahlreiche Impulse verliehen hat. Zugleich leistete und leistet sie durch die Mitwirkung in der internationalen Europischen Bewe-gung auch einen wichtigen Beitrag fr die Einbindung der Bundesrepublik in die westliche und stliche Gemeinschaft. Gerade in den Anfangsjahren westdeut-scher staatlicher Neugrndung war es von erheblicher Bedeutung, dass die
europische Einigung nicht nur durch die Gipfeldiplomatie der Regierungen geprgt wurde, sondern dass wesentliche Koopera-tions- und Verstndigungsmuster auch in jenen Netzwerken der Europaverbnde und -bewegungen geknpft wurden, in denen Verstndnis fr anders gelagerte nationale Traditionen geweckt, in denen Vertrau-en geschaffen und der Ansatz zu einer europaweiten Diskussion ber die Aus-gestaltung des weiteren Integrationspro-zesses ermglicht wurde. In der Wahrung dieser Traditionslinien und der gleich-zeitigen Weiterentwicklung europapoliti-scher Zielsetzungen liegt wohl eine der grten Herausforderungen der Zukunft der Europischen Bewegung Deutschland.
Jrgen Mittag ist Historiker und seit 2003 Geschftsfhrer des Instituts fr soziale Bewegungen an der Ruhr-Universitt Bochum
2929
1. Paul Lbe, MdB
19491951
2. Eugen Kogon, Publizist und Wissenschaftler
19511953
3. Ernst Friedlaender, Journalist
19541957
4. Hans Furler, MdB/MdEP
19581966
5. Ernst Majonica, MdB
19661976
6. Horst Seefeld, MdB/MdEP
19761980
7. Walter Scheel, Bundesprsident a. D.
19801985
8. Philipp Jenninger, Bundestagsprsident a. D.
19851990
9. Annemarie Renger, Bundestags prsidentin a. D.
19901992
10. Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister a. D.
19921994
11. Rita Sssmuth, Bundestagsprsidentin a. D.
19941998
12. Wolfgang Thierse, Bundestagsprsident a. D.
19982000
13. Monika Wulf-Mathies, Mitglied der Euro pischen
Kommission a. D., 20012006
14. Dieter Spri, Minister a. D.
seit 2006
Die Prsidentinnen und Prsidenten der Europischen Bewegung Deutschland 19492009
1 32
54 6
7 8
10 12
9
11
13 14
30
Brauchen wir die EBD? Wenn Krisen zur Chance werden
von Monika Wulf-Mathies
Als ich die Prsidentschaft der Europischen Bewegung
Deutschland (EBD) 2001 bernahm, hatte ich die Vorstellung,
die europische Debatte in Deutschland als Sprachrohr der Zivilgesellschaft vorantreiben zu knnen und freute mich
auf den Dialog mit den Mitgliedsverbnden. Dieser Dialog gestaltete sich anfangs allerdings sehr einseitig: Kaum
5 Prozent der Mitgliedsverbnde antworteten auf meine Rundfrage zum knftigen Profil der EBD.
31
Die EBD erschpfte sich im Wesentlichen in der Betreuung zweifellos wichtiger Projekte (wie z. B. dem Europischen Schlerwettbewerb, den Journalisten-Seminaren, der Auswahl der deutschen Studenten fr das College of Europe). Die Medien nahmen trotz intensiver Versuche, europapolitische Themen in die ffentlichkeit zu bringen kaum Notiz von uns und trotz der eindrucksvollen Zahl von Mitgliedsverbnden konnten wir eigentlich kaum behaupten, eine besonders lebendige Bewegung zu sein.
Die Mitgliedschaft in der EBD wurde von der Mehrzahl der Verbnde eher als allgemeines weltanschauliches Bekenntnis, denn als aktives Engagement gesehen. Was fehlte, war ein gemeinsames Selbstverstndnis, das die EBD von politischen Parteien, aber auch von der Europa-Union hinreichend unter-schieden htte und fr die Verbnde attraktiv war. Eigenstndi-ge politische Positionierungen litten hufig unter der Dominanz der politischen Parteien im Prsidium. So glich die EBD einem ehrenwerten Traditionsverein, der eine Flle lobenswerter Ak-tivitten verfolgte, aber nicht den Nerv seiner Mitglieder traf.
Um das Profil der EBD zu strken und die Mitgliedsverbnde zu aktivieren, bedurfte es zunchst einmal einer funktionsfhigen Informationsplattform, vor allem aber einer verbindenden Idee. Unsere Strke war und ist zweifellos unsere breite Mit gliederschaft. Es lag deshalb nahe, sie zu vernetzen und zunchst den Meinungsaustausch und die Informationen unter-einander zu verbessern und statt den Versuch zu machen, die heterogene Mitgliederstruktur in das Korsett einer einheitli-chen politischen Meinungsbildung zu zwingen die EBD als Plattform fr Diskussionen zu interessanten europischen Sachthemen auszubauen. Von dort aus war der Weg dann nicht mehr weit, dieses neue Forum fr die gemeinsame politische Interessenvertretung zu nutzen und der Bundesre-gierung und der Europischen Kommission als Plattform fr die Europa-Kommunikation anzubieten.
Und siehe da, mit dem Netzwerk Europische Bewegung war der Schlssel gefunden, die EBD zu bewegen und den Mit-gliedern einen Mehrwert anzubieten. Das Jahr 2003 markiert diesen Wendepunkt zum Besseren, war gleichzeitig aber auch das Krisenjahr der EBD, das ihre Existenz zu gefhrden drohte. Unsere Wirtschaftsprfungsgesellschaft war nmlich nicht bereit, den Jahresabschluss 2002 zu testieren, in dem sich drei Probleme angestaut hatten: Ein erwarteter EU-Zuschuss wurde nicht in voller Hhe gezahlt, ein im Haushalt eingestelltes Projekt mit einer Mitgliedsorganisation konnte nicht durch-gefhrt werden und Mietschulden des Europa-Union-Verlags wurden als nicht werthaltig eingestuft und schon bestand die Gefahr der berschuldung. Nach berwindung der Schreck-
starre hatten wir uns entschieden, fr das berleben der EBD zu kmpfen und beschlossen ein Sanierungspaket, das nicht nur deshalb ermutigend war, weil es uns tatschlich aus der Klemme befreite, sondern auch, weil es ein Ma an Solidaritt und Interesse am berleben der EBD bewies, das uns ber-rascht und erfreut hatte. Nachdem wir das Haus in Ordnung gebracht hatten, konnten wir uns mit neuem Elan den eigent-lichen Aufgaben der EBD zuwenden: So wurde die Ausrichtung auf die Netzwerkfunktion verstrkt, das Konzept Europa-Kom-munikation und Europische Vorschau entwickelt und der Geistesblitz, der dazu das Tpfelchen auf das i setzte das EU-De-Briefing eingefhrt, das Frhstcks-Briefing, zu dem die EBD nach den Europischen Rten einldt und bei dem das Auswrtige Amt und di