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Fehl, C. (2012). Living with a Reluctant Hegemon. Explaining European Responses to US Unilateralism....

Date post: 23-Dec-2016
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REZENSION Das transatlantische Verhältnis hat sich in den beiden vergangenen Dekaden zuneh- mend von einer Werte- zu einer Interessengemeinschaft entwickelt, in der nicht nur die Amerikaner, wie landläufig vorausgesetzt, die Agenda diktieren und der Union lediglich die traditionelle Rolle des Juniorpartners bleibt (aus strukturellen wie machtpolitischen Gründen, aber auch aufgrund des ausgeprägten amerikanischen Gestaltungswillens), son- dern auch die EU im Zuge eines sukzessiven Emanzipationsprozesses von Washington ihre Interessen von Fall zu Fall durchzusetzen sucht. So in etwa könnte die Schlussfolge- rung aus dem vorliegenden Band lauten, der anhand von fünf Fallbeispielen den Einfluss und die Rolle der Europäischen Union bei der Förderung einer multilateralen Weltord- nung analysiert, leider aber nicht ausführlich eben diese zutreffende Entwicklung in einen größeren Erklärungsrahmen stellt. Dabei geht es vor allem um die Frage, inwieweit die Union dieser selbst ernannten Rolle als „Vorkämpfer für den Multilateralismus“ gerecht wird und ob eine stärkere Koordinierung der nationalen Außenpolitiken der Mitgliedstaa- ten durch die EU-Rahmen die multilaterale Ausrichtung der europäischen Politik auf der globalen Bühne insgesamt stärken kann. Dass die 1990er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts und der Beginn des 21. Jahrhun- derts von einem markanten amerikanischen Unilateralismus geprägt waren, ist Gegen- stand zahlreicher Studien zu den transatlantischen Beziehungen. Geradezu zwangsläufig prallten dadurch in dieser Zeitspanne europäische und amerikanische Interessen über zahlreiche multilaterale Verträge zusammen – nicht zuletzt auch, da das Prinzip eines „effektiven Multilateralismus“ zur Staatsräson der EU-Außenpolitik gehört. Ausgehend von diesem Selbstverständnis, und anhand eines aus drei weiteren Kriterien gebildeten Analyserasters zur Bewertung der unterschiedlichen europäischen Antworten in den ein- zelnen Fallstudien – nämlich der Frage nach der Effizienz des Vertragsziels mit oder ohne Z Außen Sicherheitspolit (2013) 6:613–614 DOI 10.1007/s12399-013-0350-3 Fehl, C. (2012). Living with a Reluctant Hegemon. Explaining European Responses to US Unilateralism. Oxford: Oxford University Press, 288 S., ISBN: 978-0199608621, € 62,10. Stefan Fröhlich Online publiziert: 24.10.2013 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Prof. Dr. S. Fröhlich () Institut für Politische Wissenschaft, Universität Erlangen-Nürnberg, Kochstr. 4, 91054 Erlangen, Deutschland E-Mail: [email protected]
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Rezension

Das transatlantische Verhältnis hat sich in den beiden vergangenen Dekaden zuneh-mend von einer Werte- zu einer interessengemeinschaft entwickelt, in der nicht nur die Amerikaner, wie landläufig vorausgesetzt, die Agenda diktieren und der Union lediglich die traditionelle Rolle des Juniorpartners bleibt (aus strukturellen wie machtpolitischen Gründen, aber auch aufgrund des ausgeprägten amerikanischen Gestaltungswillens), son-dern auch die EU im Zuge eines sukzessiven Emanzipationsprozesses von Washington ihre interessen von Fall zu Fall durchzusetzen sucht. so in etwa könnte die schlussfolge-rung aus dem vorliegenden Band lauten, der anhand von fünf Fallbeispielen den Einfluss und die Rolle der Europäischen Union bei der Förderung einer multilateralen Weltord-nung analysiert, leider aber nicht ausführlich eben diese zutreffende entwicklung in einen größeren erklärungsrahmen stellt. Dabei geht es vor allem um die Frage, inwieweit die Union dieser selbst ernannten Rolle als „Vorkämpfer für den Multilateralismus“ gerecht wird und ob eine stärkere Koordinierung der nationalen Außenpolitiken der Mitgliedstaa-ten durch die EU-Rahmen die multilaterale Ausrichtung der europäischen Politik auf der globalen Bühne insgesamt stärken kann.

Dass die 1990er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts und der Beginn des 21. Jahrhun-derts von einem markanten amerikanischen Unilateralismus geprägt waren, ist Gegen-stand zahlreicher Studien zu den transatlantischen Beziehungen. Geradezu zwangsläufig prallten dadurch in dieser zeitspanne europäische und amerikanische interessen über zahlreiche multilaterale Verträge zusammen – nicht zuletzt auch, da das Prinzip eines „effektiven Multilateralismus“ zur Staatsräson der EU-Außenpolitik gehört. Ausgehend von diesem selbstverständnis, und anhand eines aus drei weiteren Kriterien gebildeten Analyserasters zur Bewertung der unterschiedlichen europäischen Antworten in den ein-zelnen Fallstudien – nämlich der Frage nach der Effizienz des Vertragsziels mit oder ohne

z Außen sicherheitspolit (2013) 6:613–614Doi 10.1007/s12399-013-0350-3

Fehl, C. (2012). Living with a Reluctant Hegemon. Explaining European Responses to US Unilateralism. Oxford: Oxford University Press, 288 S., ISBN: 978-0199608621, € 62,10.

Stefan Fröhlich

Online publiziert: 24.10.2013© springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Prof. Dr. S. Fröhlich ()Institut für Politische Wissenschaft, Universität Erlangen-Nürnberg, Kochstr. 4, 91054 erlangen, DeutschlandE-Mail: [email protected]

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amerikanische Mitwirkung, des ökonomischen Kostenkalküls (für von der Regelung betroffene europäische industrien) und schließlich der normativen implikationen eines von der amerikanischen Position abweichenden Verhaltens der Europäer – analysiert die Verfasserin die den jeweiligen europäischen Reaktionen bzw. entscheidungen zugrun-deliegenden Motive und Interessen. Das Verdienst der Studie ist dabei sicherlich die Fokussierung der Analyse auf die in der Literatur eher vernachlässigten Positionen der europäischen Regierungen (in diesem Fall der „drei Großen“ Frankreich, Großbritannien und Bundesrepublik plus einiger kleinerer ausgewählter Mitgliedstaaten) und der EU, wobei allerdings die unterschiedlichen Motive der USA als wesentliche intervenierende Variable zeitweise ein wenig zu kurz kommen.

Die Kernthese lautet, dass in allen fünf Fällen die europäischen Reaktionen auf ame-rikanischen Unilateralismus sowohl inhaltlich – zwischen Kompromiss und Widerstand – als auch im institutionellen Ergebnis variieren. Im Fall des UN-Aktionsprogramms zur Verhütung, Bekämpfung und Beseitigung des unerlaubten Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen bemühten sich die europäischen Regierungen und die EU als Ganzes zwischen 2001 und 2006 vergeblich, die US-Widerstände durch Anpassung bzw. „Ver-wässerung“ des Regimes zu überwinden – dabei ging man soweit, auch nicht bindende Instrumente bzw. Regelungen zu akzeptieren; im Fall des Verifikationsprotokolls zum Übereinkommen über biologische Waffen gaben die europäer die initiative im Jahr 2001 aufgrund des massiven Widerstands der Bush-Administration gar ganz auf, nachdem Washington trotz erheblicher europäischer Konzessionen in Bezug auf das Verifikations-regime und staatliche „Bioverteidigungsprogramme“ nicht nachgab. In anderen Fällen wurden jedoch multilaterale Initiativen über US-Einwände hinweg abgeschlossen, so in den Fällen des Übereinkommens von ottawa über Landminen, des internationalen Strafgerichtshofs oder des Kyoto-Protokolls. Sowohl bei der Landminen-Konvention wie auch beim iCC gingen dabei den endgültigen europäischen entscheidungen für eine Unterzeichnung der Verträge auch ohne US-Beteiligung zum Teil erhebliche innereuro-päische Diskussionen wie auch transatlantische Dispute (iCC) voraus. Lediglich beim Kyoto-Protokoll variierte die Position der Europäer: Während die EU-Unterhändler im Verlauf der Verhandlungen bis zur Annahme des Protokolls 1997 noch zu Konzessionen an die Clinton-Administration bereit waren, lehnten sie in der implementierungsphase (Höhepunkt war die Weigerung der Annahme eines Kompromissvorschlags in Den Haag 2000) und dann vor allem wiederum unter der Bush-Administration jede weitere Annähe-rungsinitiative ab und übernahmen stattdessen die Führungsrolle in der globalen Umwelt-politik auch ohne US-Beteiligung.

Die unterschiedlichen europäischen Antworten entscheiden damit nicht nur über die spannungen und Differenzen im transatlantischen Verhältnis, sondern auch über erfolg oder scheitern der multilateralen initiativen. Der Beitrag der studie zur Diskussion über das bilaterale Verhältnis liegt daher in erster Linie in einer systematischen, wenn auch nicht erschöpfenden Erörterung dieser Unterschiede anhand durchaus gängiger Erklä-rungsvariablen wie dem Einfluss inländischer Interessengruppen in „Zwei-Ebenen-Spie-len“, den Auswirkungen von NGOs als „Norm-Unternehmern“, der transatlantischen politischen Rivalität oder dem „balancing“, und nicht zuletzt den Verhaltensnormen innerhalb der transatlantischen „Sicherheits-Community“.


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