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Fachkräftemangel in der Pflege: Stand des Wissens … Tobias; Moog, Stefan (2008): Pflege im...

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Fachkräftemangel in der Pflege: Stand des Wissens und geeignete Gegenstrategien Prof. Dr. Michael Simon Vortrag auf der Frühjahrsakademie des Bayerischen Landespflegerates München, 5. April 2016 1
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Fachkräftemangel in der Pflege: Stand des Wissens und

geeignete Gegenstrategien

Prof. Dr. Michael Simon

Vortrag auf der Frühjahrsakademie des Bayerischen Landespflegerates

München, 5. April 2016

1

Struktur des Vortrags

• Vorbemerkungen zur Relevanz des Themas

• Begriffliche Klärungen und wichtige Unterscheidungen

• Zur gegenwärtigen Situation

• Zu zukünftigen Entwicklungen

• Ansätze zur Vermeidung eines Fachkräftemangels

• Fazit

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Zur Relevanz des Themas

• für die Gesellschaft

– Zukunft: Alternde Gesellschaft = steigende Nachfrage nach professioneller Pflege

– Gegenwart: Wird überwiegend bislang noch kein Handlungsbedarf gesehen

– Problem: Verkürzung von „Pflege“ auf „Altenpflege“

• für die Berufsgruppe

– Negativ: Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen

– Positiv: Nachfrage übersteigt Angebot = Verbesserung der individuellen Position

auf dem Arbeitsmarkt

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Begriffliche Klärungen und wichtige Unterscheidungen

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Begriffliche Klärungen

• Pflegekräfte

– alle erwerbsmäßig in der Pflege tätigen Personen

– einschließlich der Pflegehilfskräfte

• Pflegefachkräfte

– Pflegekräfte mit einer Ausbildung nach dem Krankenpflege- oder

Altenpflegegesetz

• Relevanz der Unterscheidung

– Sie ist außerhalb der Pflege vielfach nicht bekannt oder wird nicht

vorgenommen

– Die Zahl der Pflegekräfte wird nicht selten mit der Zahl der

Pflegefachkräfte gleichgesetzt

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Begriffliche Klärungen: Fachkräftebedarf und Fachkräftemangel

• Fachkräftebedarf

– im Sinne von "Personalbedarf“

• Messung erfordert den Einsatz anerkannter Methoden der

Personalbedarfsermittlung

– im Sinne von "Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt“

• Stellenanzeigen, gemeldete offene Stellen

– „Nachfrage“ darf nicht mit dem „Bedarf“ an Pflegefachkräften

gleichgesetzt werden

• Nachfrage ist vor allem abhängig vom Stellenplan

• Stellenplan ist abhängig von der Finanzierung

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Begriffliche Klärungen

• Fachkräftemangel

– Differenz zwischen "Personalbedarf" und tatsächlicher

Personalbesetzung

• Problem: Messung gegenwärtig nicht möglich, da es keine bundesweit

einheitlich angewendeten Verfahren der Personalbedarfsermittlung - und

somit auch keine zuverlässigen Daten gibt

– Differenz zwischen Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt und dem Angebot

an Fachkräften

• gemeldete offene Stellen - arbeitslos gemeldete Pflegefachkräfte

• Problem: nicht alle offenen Stellen dem Arbeitsamt gemeldet

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Wichtige Unterscheidungen

• Tätigkeitsbereiche

– Krankenhaus

– Pflegeheime

– Ambulante Pflegeeinrichtungen

– Sonstige Bereiche (z.B. Reha, Arztpraxen, MDK etc.)

• Relevanz der Unterscheidung

– Situation in den verschiedenen Bereichen ist unterschiedlich

– Beispiel: Stellenabbau in Krankenhäusern

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Zur gegenwärtigen Situation

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Basisdaten zur gegenwärtigen Situation

• Pflegepersonal 2013

– Pflegekräfte insgesamt: ca. 1,2 Mio.

– Pflegefachkräfte: ca. 860.000 (ca. 70 %)

• Anteile der einzelnen Pflegeberufe

– Krankenpflege: 45 %

– Kinderkrankenpflege: 5 %

– Altenpflege: 20 %

– Hilfskräfte: 30 %

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Basisdaten zur gegenwärtigen Situation

• Tätigkeitsbereich der Pflegefachkräfte

– Krankenhaus: 55 %

– Reha-Einrichtungen: 2 %

– Ambulante Pflegeeinrichtung: 18 %

– Pflegeheim: 25 %

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Thesen zur gegenwärtigen Situation

• Krankenhäuser sind immer noch der wichtigste Tätigkeitsbereich

• Ambulante Pflege und Pflegeheime werden jedoch immer wichtiger

• Der Stellenabbau in Krankenhäusern spielte bislang eine sehr

wichtige Rolle

– Dadurch wurden Pflegekräfte 'freigesetzt', die vom KH in die ambulante Pflege

und Pflegheime wechselten

– Sowie die Krankenhäuser wieder verstärkt Pflegefachkräfte einstellen, wird dies

Auswirkungen auf die anderen Bereiche haben (rückläufiges

Arbeitskräfteangebot)

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Thesen zur gegenwärtigen Situation

• Die gegenwärtige Personalbesetzung erlaubt keinen Rückschluss auf

den tatsächlichen Personalbedarf

• Es muss davon ausgegangen werden, dass die Personalbesetzung in

allen drei großen Einsatzbereichen unter dem Personalbedarf liegt

– Allerdings gibt es keine zuverlässigen Daten über einen 'objektiven'

Personal(mehr)bedarf, da es keine bundesweit angewendeten einheitlichen

Verfahren der Personalbedarfsermittlung gibt

• Der „Personalbedarf“ wird erst dann zur „Nachfrage“, wenn er in

finanzierte Stellen umgewandelt wird

• Fachkräftemangel ist darum vor allem ein Problem der Finanzierung

von Stellen (aber nicht nur!)

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Thesen zur gegenwärtigen Situation

• Es kann davon ausgegangen werden, dass gegenwärtig ein

Fachkräftemangel herrscht

– Sowohl gemessen am Personalbedarf als auch der Nachfrage auf dem

Arbeitsmarkt

• Es kann gegenwärtig allerdings keine zuverlässige Aussage zur Höhe

des Personalbedarfs und somit auch nicht zum gegenwärtigen

Fachkräftemangel getroffen werden

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Zu zukünftigen Entwicklungen

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Prognosen zum zukünftigen Bedarf an Pflegefachkräften

• Bisherige Prognosen weisen methodische Mängel auf, teilweise

sogar schwerwiegende1

– Die bisherigen Prognosen gehen - zumeist implizit - davon aus, dass die

gegenwärtige Personalbesetzung angemessen und bedarfsgerecht ist

– ungenaue oder falsche Bezeichnung der Pflegeberufe

– ungenaue Angabe des 'Prognosegegenstandes‘

• Was genau berechnet? Bedarf oder Nachfrage etc.

– häufig Beschränkung auf einen Bereich

• nur ambulante Pflege und Pflegeheime, nur Altenpflege, nur Krankenpflege

– zu wenige Einflussfaktoren werden berücksichtigt

– Verwendung ungeeigneter Daten

• Berechnung eines zukünftigen Pflegefachkräftemangels auf Grundlage der Zahl aller

Beschäftigten (einschl. Küchen-, Reinigungs-, Verwaltungspersonal etc.)

1) Simon, Michael (2012): Prognosen zum Thema "Fachkräftemangel in der Pflege": Limitationen amtlicher Statistiken

und methodische Probleme bisherige Studien. In: Sozialer Fortschritt, Jg. 61, Heft 2-3, S. 25-38.

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Fazit

• Prognosen zu einem zukünftigen Fachkräftemangel sind seriös nicht

zu berechnen, da

• der gegenwärtige Bedarf an Pflegefachkräften nicht zuverlässig zu

bestimmen ist und

• es zu viele nicht vorhersagbare Einflussfaktoren gibt

– Nachfrageseite

• zukünftiger Pflegebedarf

• Einführung von Personalbesetzungsstandards

• zukünftige Finanzierungsregelungen

• ...

– Angebotsseite

• Zahl der Interessentinnen für und Absolventinnen von Pflegeausbildungen

• Entwicklung des Berufsausstiegs, der Frühverrentung von Pflegekräften ...

• ... 17

Ansätze zur Vermeidung eines Fachkräftemangels

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Grundsätzliche Ansatzpunkte

• Zugang in den Pflegeberuf

– Ausbildung

• Schaffung (Finanzierung) zusätzlicher Ausbildungskapazitäten

• Gewinnung von qualifizierten Interessentinnen und Interessenten (Schüler)

– Wiedereinstieg

• Wiedereinstieg aus der Familienphase

• Abgang aus dem Pflegeberuf

– Reduzierung der Arbeitszeit (Teilzeit)

• Aufstockung der arbeitsvertraglichen Arbeitszeit

– Frühverrentung

• Vermeidung von chronischer Überlastung

– Abwanderung aus der „direkten Pflege“

• Studium, Wechsel in patientenferne Arbeitsbereiche, Wechsel zum MDK

etc. 19

Wichtigste Ansatzpunkte

• Wichtigster „Hebel“: Verbesserung der Arbeitsbedingungen

– Vor allem: Verbesserung der Personalausstattung

• Senkung der Teilzeitquote

– Darüber wäre ein erhebliches Arbeitszeitpotenzial zu mobilisieren

– Eine Senkung wird allerdings nur möglich sein, wenn die

Arbeitsbelastung gesenkt wird

• Das Ansehen der Pflegeberufe in der Öffentlichkeit verbessern, vor

allem bei jungen Menschen (Schülerinnen und Schüler)

– Aber: Imagekampagnen allein werden keine nachhaltige Verbesserung

bewirken können, wenn nicht die Arbeitsbedingungen verbessert

werden

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Fazit

• Die Vermeidung eines Fachkräftemangels in der Zukunft erfordert

zuallererst die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der

Gegenwart

• Es wird voraussichtlich in den nächsten Jahren einen verstärkten

Wettbewerb um Pflegefachkräfte geben

• Einrichtungen, die nur unterdurchschnittliche Arbeitsbedingungen

bieten, werden zunehmend Probleme bei der Personalgewinnung

haben

• Einrichtungen, die die besten Arbeitsbedingungen bieten können,

werden die besten Chancen in diesem Wettbewerb haben

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Fazit

• Von entscheidender Bedeutung werden allerdings die politischen

Rahmensetzungen sein

• Regelungen des Finanzierungsrechts

• Staatliche Vorgaben zur Personalbesetzung

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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

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Einbezogene Prognosen

Afentakis, Anja; Maier, Tobias (2010): Projektionen des Personalbedarfs und -angebots in Pflegeberufen bis 2025. In: Wirtschaft und Statistik, Jg. 62, Heft 11, S. 990-1002.

Enste, Dominik (2011): Pflegewirtschaft 2011: Wertschöpfung, Beschäftigung und fiskalische Effekte. Kurzstudie fur den Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. Online verfügbar unter: http://www.bpa.de/upload/public/doc/20110802_bgst_Enste_Pflegestudie_2011.pdf (3.08.2011).

Ernste, Dominik; Pimpertz, Jochen (2008): Wertschöpfungs- und Beschäftigungspotenziale auf dem Pflegemarkt in Deutschland bis 2050. In: IW-Trends, Jg. 35, Heft 4, S. 1-16.

Hackmann, Tobias (2009): Arbeitsmarkt Pflege: Bestimmung der künftigen Altenpflegekräfte unter Berücksichtigung der Berufsverweildauer. Diskussionsbeiträge No. 40 des Forschungszentrums Generationenvertäge an der Universität Freiburg. Online verfügbar unter: http://www.vwl.uni-freiburg.de/fakultaet/fiwiI/publikationen/242.pdf (10.02.2011).

Hackmann, Tobias (2010): Arbeitsmarkt Pflege: Bestimmung der künftigen Altenpflegekräfte unter Berücksichtigung der Berufsverweildauer. In: Sozialer Fortschritt, Jg. 59, Heft 9, S. 235-244.

Hackmann, Tobias; Moog, Stefan (2008): Pflege im Spannungsfeld von Angebot und Nachfrage. Diskussionbeiträge No. 33 des Forschungszentrums Generationenverträge an der Universität Freiburg. Online verfügbar unter: http://www.vwl.uni-freiburg.de/fakultaet/fiwiI/publikationen/224.pdf (10.02.2011).

Hackmann, Tobias; Moog, Stefan (2010): Pflege im Spannungsfeld von Angebot und Nachfrage. In: Zeitschrift für Sozialreform, Jg. 56, Heft 1, S. 113-135.

Kochskamper, Susanna; Pimpertz, Jochen (2015): Herausforderungen an die Pflegeinfrastruktur. In: IW-Trends, JHeft 3, S. 59-75.

Pohl, Carsten (2009): Der Arbeitsmarkt fur Pflege im Spiegel demographischer Veränderungen. Online verfügbar unter: http://doku.iab.de/externe/2010/k100114311.pdf (10.02.2011).

Pohl, Carsten (2011): Demografischer Wandel und der Arbeitsmarkt für Pflege in Deutschland: Modellrechnungen bis zum Jahr 2030. In: Pflege & Gesellschaft, Jg. 16, Heft 1, S. 36-52.

PwC, PricewaterhouseCoopers (2012): 112 - und niemand hilft. PwC.

PWC, PriceWaterhouseCoopers; WifOR (2010): Fachkräftemangel. Stationärer und ambulanter Bereich bis zum Jahr 2030. Online verfügbar unter: http://www.pwc.de/fileserver/RepositoryItem/Studie_Fachkr%C3%A4ftemangel_Gesundheit.pdf?itemId=43638020 (22.10.2010).

Rothgang, Heinz; Müller, Rolf; Unger, Rainer (2012): Themenreport "Pflege 2030". Was ist zu erwarten - was ist zu tun? Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Online verfügbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/themenreport-pflege-2030/ (30.06.2015).

RWI, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (2011): Faktenbuch Pflege - Die Bedeutung privater Anbieter im Pflegemarkt. Essen: RWI.

Schnabel, Reinhold (2007): "Zukunft der Pflege". Studie für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Online verfügbar unter: http://archiv.insm.de/Downloads/Pflegemarkt_final.pdf (10.02.2011).

Schulz, Erika (2012): Pflegemarkt: Drohendem Arbeitskraftemangel kann entgegengewirkt werden. In: DIW Wochenbericht, Heft 51/52, S. 3-17.

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